Abschied ist ein scharfes schwert bedeutung

Sie erinnern sich? Vor drei Jahren lud ein Haifisch zum Kirchentag nach Köln! Die markante Rückenflosse war gut zu erkennen, die Zähne weniger. Aber die Diskussion im Vorfeld hatte es in sich: Ein Haifisch - Symbol des Kirchentages? Symbol der Kirche? Noch bevor das Kreuz Symbol der Christen wurde, diente der Fisch zwar als Erkennungszeichen: Jesus Christus, Gottes Sohn, Erlöser - ein kleines griechisches Wortspiel,  aber mit dem Hai taten sich viele doch schwer. Wenn erst einmal ein Film im Kopf abläuft ...

Dabei wollten die Menschen, die den Kirchentag planten, nur das Motto des großen Treffens ins Bild setzen - es war ein Satz aus dem Brief an die Hebräer: „lebendig und kräftig und schärfer". Heute begegnet uns dieses Wort wieder.

Hier der Abschnitt:

Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.
Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.

Gottes Wort. Ein scharfes Wort: bissig, kraftvoll, dynamisch. Ein scharfes Wort auch, weil es nicht  erbaulich, langweilig oder vorsichtig ist. Es nimmt das Leben auseinander, klärt es, öffnet es. Es seziert Verhältnisse und Abhängigkeiten. Es legt Ängste und Aggressionen frei. Es ist mutig und dient dem Leben. Wenn es von ihm heißt  „bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens" sehe ich einen neuen Anfang für mich - und für andere. Die anfängliche Furcht, nur auseinandergenommen zu werden, ist der Freude gewichen, von Gott wahrgenommen zu sein, so, wie ich bin. Wenn er die vielen Einzelteile meines Lebens sieht, bekommt er ein Bild von mir hin, in dem ich selbst gut aufgehoben bin. Diese Entdeckung ist richtig scharf!

Als die Vorbereitungsgruppe damals zusammensaß, auch darüber nachdachte, was heute zu klären und zu öffnen ist, machte unter den vielen Vorschlägen und Entwürfen der „Hai" dann das Rennen - und trotz aller Bedenken haben ihn Menschen am Ende sogar lieb gewonnen. Ohne ihn zum Kuscheltier zu machen. Ich sehe ihn gerade - wie er das Meer durchpflügt.

Zweischneidiges Schwert

Eigentlich steht ein anderes Bild aus dem Brief auf: das Schwert. Das zweischneidige Schwert. Es ist die mächtigste und schärfste Waffe einer längst vergangenen Zeit - und gleich mehrere Nummern zu groß, um Seele und Geist, Mark und Knochen zu trennen. Wie soll das gehen? Mit einem solchen Instrument? Ich sehe das große Schwert - und die erschrockene Seele. Ich bekomme Angst.

Ich muss jetzt an ein Lied von Roger Whittaker denken:

Abschied ist ein scharfes Schwert, das oft so tief ins Herz Dir fährt.
Du bist getroffen und kannst Dich nicht wehren,
Worte sind sinnlos, Du willst sie nicht hören,
Weil, einmal geht auch die schönste Zeit vorbei, ooh.
Stunden der Liebe, Du hast sie besessen, Stunden so zärtlich, Du musst sie vergessen,
Denn das Leben geht ja weiter.

Abschied ist ein scharfes Schwert. So Roger Whittaker . Er spricht mit seinem Lied einen Menschen an, den er kennt oder zu Kennen vorgibt „Du bist getroffen und kannst Dich nicht wehren". Es sieht nach einer Trennungserfahrung aus. Nach verlorener Liebe. Nach Trauer. Wir werden auf eine schmerzende Wunde gestoßen  - in unseren Köpfen hören wir Worte, die verletzen, gar töten. Sehen wir Erinnerungen durcheinandergehen. Fühlen wir Zerrissenheit und Enge. Worte, geschmiedet und geschärft wie ein Schwert. Trotzdem auch in diesem Lied die Hoffnung: „Denn das Leben geht ja weiter."

Mir kommt auch ein Lied von Prinz Porno - dem Berliner Rapper Friedrich Kautz - in den Sinn:

(in RAP-Duktus vorzutragen!)
Abroo, dieses Lied ist für dich mein Freund!
Ich glaube, das erinnert mich irgendwie an deine Texte oder so...
Ich lieg' auf dem Boden, die Augen geschlossen, in Brust-, Bein- und Bauch getroffen...
Irgendwie ist Leben im grunde zu hart!
Irgendwann hat "die Letzte-Stunde" geschlagen!
Irgendwo, wo mich dunkle Wolken bedrängen, schwebe ich fort mit goldenen Engeln, hab mein Leben genommen, mein Leben genossen, der Saft meines Lebens ist eben verflossen,
in meinem Herz ist das Beste verschlossen, die Kugeln haben nur meine Weste getroffen!
Und durchgeschlagen, durch den Magen, komisches Gefühl dadurch zu atmen,
Meine Seele verlässt die Hülle des Körpers, ich rede mit der Fülle von wörtern,
wie langsam er stirbt, wie langsam verendet, ich habe mein Leben nicht sinnlos verschwendet.
Ich gehe zurück, woher ich auch kam, wo auch immer das ist, ich hab' kaum einen Plan,
ich hab' vieles gesehen, versucht zu verstehen, und diesem menschlichen Fluch zu entgehen!
Kein tägliches flehen,
Kein tägliches beten, führt uns zu einem ewigen Leben,
was dir auch die Kirche verspricht, es gibt da kein "Ewiges-Licht",
Nur tiefe schwärze, samt und Seide ein Scharfes Schwert, die Hand zur Scheide!

Vieles bleibt in diesem Song vage und offen, angedeutet und hingeworfen: die Resignation? Eine ausweglose Situation? Ein vergebliches Aufbäumen? Die meisten Songs von Friedrich Kautz sind sozialkritisch. Sie geben Menschen, die „unten" sind, eine Stimme. Sie beschreiben Erfahrungen. „Irgendwie ist Leben im grunde zu hart! ...ich rede mit der Fülle von Wörtern ... ich hab‘ kaum einen Plan... nur tiefe Schwärze", aber auch „Irgendwo, wo mich dunkle Wolken bedrängen, schwebe ich fort mit goldenen Engeln ... ich hab‘ vieles gesehen, versucht zu verstehen, um diesem menschlichen Fluch zu entgehen!" Am Schluss dann: „die Hand zur Scheide!" Ist das nun ein Aufbruch - oder ein sich Fügen? Ein Widerstand - oder ein Abtauchen? Das scharfe Schwert - hier ist es wieder. Und es erreicht tatsächlich, dass sich an ihm die Geister scheiden. Für viele ist selbst die Sprache, der Tonfall, die Stimmung dieses Songs trennend. Gehört aber in unseren Gottesdienst, in unser Gebet - wie Bruder Hai.

Zu Gottes Ruhe kommen

Umgangssprachlich hat sich das Bild des zweischneidigen Schwertes sehr verändert, der ursprüngliche Sinn gar ins Gegenteil verkehrt: Aus zwei scharfen Seiten, oben und unten - von alters her ein Zeichen für Recht und Gerechtigkeit -, ist die Zwiespältigkeit geworden, ein „einerseits" und „andererseits". Die Belege im Internet sind nicht zu zählen! Kaum eine Rede, in der nicht von einem zweischneidigen Schwert geredet wird - zweischneidig heißt: nicht genau zu wissen, wie etwas ausgeht - es könnte sich auch gegen uns kehren - wir können nicht alle Folgen abschätzen. Ein Panorama von Vermutungen und Abwägungen. Tenor: alles ist offen.

Erfreulich direkt, eindeutig und gewiss ist dagegen der Brief an die Hebräer. Dass es keine Ambivalenz gibt, keine Unsicherheit, keine Vorsicht - mutet uns wie aus einer anderen Welt an. Woher Gottes Wort auch kommt.  Wenn denn jetzt von dem zweischneidigen Schwert die Rede ist, bleibt nichts offen - und muss auch nicht offen gehalten werden. Wir sehen Gottes Verlässlichkeit, freuen uns an seiner Nähe und lauschen seinem Wort. Er schaut hinter die Fassaden. Er schaut auch hinter die Masken. Er schaut Herzen - und legt sie frei.
Lebendig und kräftig und - schärfer als alle anderen.

Von einer unverhofften und unerwarteten Sicht habe ich Ihnen noch nichts erzählt. Denn bevor die Worte laut werden: „lebendig und kräftig und schärfer" wird im Brief - wer ihn ganz liest, findet‘s nicht einmal überraschend - auf die Ruhe Gottes, auf den 7. Tag der Schöpfung, auf die Vollendung der Welt hingewiesen :
„Es ist also noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes. Denn wer zu Gottes Ruhe gekommen ist, der ruht auch von seinen Werken so wie Gott von den seinen. So lasst uns nun bemüht sein, zu dieser Ruhe zu kommen..." (Hebr. 4,10f.)

Und dann kommt das „denn":
Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.

Wir entdecken: Gott ist so eindeutig mit uns, damit unser Leben gelingt. Ruhe steht für fertig sein, abschließen können - sich überlassen können. Ich kann dann in den Spiegel sehen. Ich sehe mich nicht mehr verbissen, über- oder unterfordert, auch nicht hilflos oder immer auf dem Sprung. Von Gott heißt es:
„Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte" (Gen. 2,1f.)

Aufgedeckt vor den Augen Gottes

Heute bin ich dankbar, dass ein Geschöpf aus der Killerecke herauskommen durfte: der Hai. Als er zum Kirchentag einlud - und manches Kopfschütteln geduldig ertrug, gab er den Worten „lebendig und kräftig und schärfer" den nötigen Biss - und die Weite des Meeres. Wenn Gott redet, deckt er mit seiner Güte das Unheil nicht zu, sondern legt es offen - wenn er redet, macht er sich nicht zum Komplizen der Angst, sondern schneidet sie in Stücke - wenn er redet, lockt er nicht in eine Kuschelecke, sondern in die Arena. Was das für unser Reden, für unser Leben bedeutet, ist kaum in Worte zu fassen.

Wenn alles „bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes ist" - wie der Hebräerbrief mutig festhält -, ist die Zeit der Dunkelmänner und Tagträumer vorbei. Der Dreck wird nicht mehr unter den Teppich gekehrt - und unter den vielen Feigenblättern kommt heraus, was wir Menschen sind: nackt.