Am seidenen faden bedeutung

Redensart/Redewendung

1) roter Faden – sich wie ein roter Faden durch etwas ziehen
2) am seidenen Faden hängen – an einem dünnen Faden hängen
3) die/alle Fäden (fest) in der Hand haben/halten
4) die Fäden ziehen
5) den Faden verlieren
6) nach Strich und Faden
7) keinen guten Faden an jemandem/etwas lassen
8) (k)einen guten Faden zusammen/miteinander spinnen
9) keinen trockenen Faden mehr am Leibe haben

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Bedeutung

1) Leitmotiv – stets vorhandener/wiederkehrender Grundgedanke – eine die verschiedenen Teile verbindende Vorstellung – eine das Ganze prägende Besonderheit
2) Sich in einer gefährlichen Lage befinden – in Fort- und Ausgang unsicher sein
3) Die Lage überblicken und alles lenken
4) Aus dem Hintergrund die Macht ausüben – unauffällig den entscheidenden Einfluss ausüben
5) Beim Sprechen ins Stocken geraten – vergessen, was man sagen wollte bzw. was zuletzt gesagt wurde – nicht mehr weiter wissen – kurzzeitig verwirrt sein
6) Überaus gründlich – nach allen Regeln der Kunst – tüchtig
7) Nur schlecht über jemanden/etwas reden – jemanden/etwas sehr schlecht machen
8) Schlecht/gut miteinander auskommen – sich schlecht/gut vertragen – schlecht/gut zusammenarbeiten
9) Vollkommen durchnässt sein – durch und durch nass sein

Herkunft

Angesichts der vielen unter dem Stichwort Faden versammelten Redensarten wäre es von Vorteil, einem roten Faden folgen zu können. Wir können das seit Goethes „Wahlverwandschaften“, erstmals erschienen anno 1809. In diesem Roman führt Goethe den roten Faden als Gleichnis ein.

„Wir hören von einer besondern Einrichtung bei der englischen Marine. Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, daß ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, daß sie der Krone gehören. Ebenso zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet.“ (Teil 2, Kapitel 2)

Der Ursprung einiger anderer Redewendungen hingegen hängt an einem dünnen, wenn nicht gar am seidenen Faden. Die Redensart vom dünnen/seidenen Faden wird oft und wohl auch gern auf eine hübsche und anschauliche Geschichte zurückgeführt, deren Überlieferung wir nicht zuletzt dem berühmten römischen Redner, Politiker und Gelehrten Cicero verdanken.[1] Der Legende nach beneidete der Höfling Damokles im vierten vorchristlichen Jahrhundert seinen Herrn Dionysios von Syrakus (auf Sizilien) um dessen Macht und Reichtum und pries ihn als den glücklichsten aller Herrscher. Der König bot ihm daraufhin bei einem Gastmahl an, den Platz mit ihm zu tauschen. Die Freude und der Stolz des Damokles währten nur solange, bis er merkte, dass über seinem Haupte ein Schwert mit nichts weiter als einem Pferdehaar an der Decke angebracht worden war, um ihm zu zeigen, dass für einen scheinbar mächtigen Herrscher die Gefahr allgegenwärtig ist. Der Neid des Damokles war geheilt und der Höfling bat demütig darum, seinen einfacheren, aber auch weniger gefährlichen Platz wieder einnehmen zu dürfen.

Das ganz offensichtliche Problem dieser Herleitung könnte Ihnen bereits aufgefallen sein: Das Schwert hängt an einem Haar, nicht an einem Faden. So nimmt es nicht wunder, dass mancher Autor die antike Sage als Ursprung verneint.[2] Aber die Verwendung der Redensart in alten Büchern lässt doch auf einen Zusammenhang schließen.[3]

Aber so weit muss man räumlich wie zeitlich gar nicht in die Ferne schweifen. Auch in deutschen Sagen hängt des Öfteren ein gefährliches Etwas über dem Haupt eines von Unglück bedrohten Menschen. Beispiel gefällig?

„Wie er aufblickte, sah er einen Mühlstein über seinem Haupte, der hing an einem dünnen Faden, und ein riesiger Mönch stand dabei, der stieß mit seinem Kopf an die Decke, hielt in der Hand eine große Schere und setzte sie gerade an, um den Faden durchzuschneiden. Da that der Knecht einen lauten Blök, und sprang nach der Thüre.“[4]

Ob rot, dick oder dünn, Hauptsache ist, man kann die/alle Fäden (fest) in der Hand halten und – mit etwas Geschick – die Fäden ziehen. Beide Wendungen sollen dem Marionettentheater entstammen, da dort ein Puppenspieler die Marionetten mittels Fäden beherrscht und bewegt. In diese Richtung denkt zumindest „der Röhrich“, jedoch ohne aussagekräftige Belegstellen anzuführen.[5] Somit steht hinter dieser Deutung ein Fragezeichen.

Was wollte ich schreiben? Hm, ich fürchte, ich habe den Faden verloren… Ah, gutes Stichwort! Den Faden verlieren: Nahezu jede Herleitung dieser Redewendung kommt auf einen griechischen Helden und seine Liebste zu sprechen. Der Sage nach segelte der Athener Königssohn Theseus nach der Insel Kreta zu König Minos, um zu verhindern, dass dem stierköpfigen Minotaurus wieder einmal sieben Athener Jünglinge und Jungfrauen geopfert wurden, wozu die Athener eines begangenen Unrechts wegen alle neun Jahre verpflichtet waren. Gleich bei seiner Ankunft verliebte sich die Königstochter Ariadne in den wohlgestalteten Recken. Gegen das Versprechen, sie zur Frau zu nehmen, erklärte sich Ariadne bereit, Theseus beim Kampf gegen den Minotaurus zu helfen. Sie drückte ihm ein Wollknäuel in die Hand und gab den klugen Rat, den Faden beim Eindringen in das Labyrinth, in dem das Ungeheuer hauste, abzurollen. So konnte er nach erfolgreichem Kampf wieder ins Freie finden.

Die griechische Mythologie umfasst wirklich sehr einfallsreiche, fesselnde Geschichten und gehört auch nach Jahrtausenden noch zum gehobenen Allgemeinwissen. Aber wenn wir die Redensart und deren Bedeutung mit der Sage vergleichen und dabei sehr kritisch vorgehen wollen, fällt auf, dass Theseus erstens nie den Faden verloren hat, und dass er zweitens andernfalls nicht nur kurz aus dem Tritt gekommen wäre, sondern sich den Rest seines Lebens in dem vom genialen Erfinder Dädalus angelegten Labyrinth die Füße plattgelaufen hätte, ohne je den Ausgang zu finden.

Man kann die Redensart auch aus der früher sehr weit verbreiteten Arbeit des Spinnens ableiten. Beim Spinnen werden aus Fasern (ehemals vor allem Wolle und Flachs) Garne hergestellt, indem die länglichen Fasern ineinander verdreht und dadurch verbunden werden. Wer beim Drehen der Fasern den Faden aus der Hand verliert, muss die Arbeit kurz unterbrechen und den Faden wieder aufnehmen.

Bei Strich und Faden gehen wir einige Arbeitsschritte weiter. Irgendetwas muss man mit den gesponnenen Garnen schließlich anfangen. Und weil Tierfelle als Bekleidung schon längst nicht mehr unseren Ansprüchen genügen, werden beim Weben aus den Garnen Stoffe gefertigt. Während wir heutzutage überwiegend nach Strich und Faden belügen und betrügen, besonders rohe Mitmenschen gar jemanden nach Strich und Faden verprügeln, wurde früher lediglich nach Strich und Faden geprüft. Bei den Stoffen prüften der Meister oder der Auftraggeber, ob der Stoff den Anforderungen an Strich (Farbe, Muster u.ä.) und Faden (keine Webfehler durch gerissene Fäden) entsprach. Bei Schlamperei konnte und wollte der Prüfer keinen guten Faden an dem Stoff lassen.

Auch wenn nach Ansicht der meisten Fachleute Redensarten aus mindestens zwei Bestandteilen bestehen, will ich noch kurz auf das Wort fadenscheinig eingehen, weil es am Ende eines so langen Artikels auf drei weitere Zeilen nun auch nicht mehr ankommt. Die machen das Kraut nicht fett, weil es das schon ist. Ein Stoff (insbesondere aus Wolle) wird fadenscheinig genannt, wenn er so abgenutzt und dünn ist, dass man die einzelnen Fäden, aus denen das Gewebe besteht, erkennen kann. Im übertragenen Sinne sind Ausreden und Begründungen fadenscheinig, wenn sie so offensichtlich nicht den wahren Gründen entsprechen, dass das eigentlich jeder erkennen kann.

Hoffentlich war Ihr Geduldsfaden nicht so dünn und angespannt, dass er beim Lesen dieses etwas längeren Beitrages gerissen ist.

[1] Siehe Marcus Tullius Cicero: Tusculanae Disputationes, 5/61, 62
[2] Siehe z.B. Krüger-Lorenzen, Kurt: Deutsche Redensarten und was dahinter steckt, 7. Auflage, Wilhelm Heyne Verlag, München 2001, S. 86
[3) Verbirgt der Firniß des Wohlstandes für den Arbeiter das Elend und den Schmerz, und jene schändlichen Laster, Unzucht und Trunkenheit, welche die Armuth in den Manufakturstädten Europa´s erzeugt? Schweben auch hier Schrecken und Aufruhr wie ein Schwert an einem dünnen Faden über dem Haupte der Reichen, und ein gewöhnlicher Zufall, eine bloße Unklugheit, oder der Hauch
schlechter Leidenschaften reicht schon hin den Faden zu zerreißen? (Das Ausland, München 1834, Bd. 2, S. 928)
[4] Bechstein, Ludwig: Thüringer Sagenbuch, C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Bd. 1, S. 227
[5] Röhrich, Lutz: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, 7. Auflage, Herder Verlag, Freiburg – Basel – Wien 1994, S. 410

Beispiele

1) „Die Liebe zur Natur zieht sich wie ein roter Faden durch alle seine Werke.“
„Der fehlende Kampfgeist zieht sich wie ein roter Faden durch die Mannschaft.“
2) „Aber ausgerechnet der Einsatz des Torschützenkönigs hing wegen einer Oberschenkelverhärtung am seidenen Faden.“
„Es geht um die Existenz, und die hängt oft nur noch an einem dünnen Faden.“
3) „Man fragt sich, wer hier die Fäden in der Hand hat.“
„Sie legt Wert darauf, alle Fäden fest in der Hand zu halten, verfügt aber nicht über die notwendigen Fähigkeiten, das Unternehmen zu leiten.“
4) „Abseits des Parteiengezänks ziehen die Lobbyisten die Fäden und drücken die Interessen ihrer gut zahlenden Auftraggeber durch.“
„Er gilt unter Freunden als Stratege, der im Hintergrund die Fäden zieht.“
5) „Wenn ich einen Vortrag halten muss, habe ich immer panische Angst, ich könnte völlig den Faden verlieren und mich blamieren.“
„In der zweiten Halbzeit verlor die Mannschaft völlig den Faden und ließ sich regelrecht vorführen.“
6) „Die Betrüger nutzen die vielfältigen Möglichkeiten des Internets und nehmen liebeshungrige Männer nach Strich und Faden aus.“
„Bei der Jagd nach Schnäppchen ohne Sinn und Verstand werden viele Verbraucher nach Strich und Faden betrogen.“
„Vater holte den Teppichklopfer aus der Kammer und verdrosch ihn nach Strich und Faden.“
7) „Dieses Mal waren die Kritiker, die an seinem letzten Werk keinen guten Faden gelassen hatten, gnädiger gestimmt.“
„Selbstverständlich ließ der Oppositionsführer keinen guten Faden an seinem Nachfolger.“
8) „Wir konnten auf Anhieb einen guten Faden miteinander spinnen.“
„Ich bin sicher, dass wir einen sehr guten Faden miteinander spinnen werden.“
9) „Es dauerte keine fünf Minuten, und wir hatten keinen trockenen Faden mehr am Leib.“
„Der Ärmste hatte keinen trockenen Faden mehr am Leib, als er nach Hause kam.“

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