Indikation bedeutung medizin

Im klinischen Sprachgebrauch ist der Begriff der Indikation allgegenwärtig. Er wird mit großer Selbstverständlichkeit verwendet, doch es fehlt eine klare Definition. Zwar existiert bei Ärzt*innen und Pflegekräften in der Regel eine Intuition, was damit gemeint sein könnte, sie bleibt aber vage. Eine Vielzahl allgemeiner Explikationen bietet zunächst das Internet an. Dort erläutern Wissensplattformen wie Wikipedia den Rezipient*innen etwa die absolute, relative, vitale oder selektive Indikation. In der ethischen Fachliteratur werden weitere Spezifizierungen vorgenommen: Neitzke (2015) spricht von der ärztlichen und medizinischen Indikation, Raspe (2015) von der generellen, individuellen und personalen Indikation, Wiesing (2017) beschreibt die Indikationsstellung, die Indikationsregel und das Indikationsgebiet. Parallel wird hinterfragt, ob und in welcher Form der Begriff der Indikation überhaupt Bestand haben sollte. So schlägt Marckmann (2015) vor, Indikation als „kryptonormativen Begriff“ durch „Wirksamkeit und Nutzen“ zu ersetzen. In der Summe dürften die verschiedenen Interpretationen und Ansätze unter den Kliniker*innen eher Verwirrung stiften als Klarheit schaffen.

Nicht nur der Begriff der Indikation selbst ist unscharf, es stellt sich zudem die Frage, wer darüber entscheidet, welche Maßnahme indiziert ist. So könnten es die Patient*innen sein, die ein Therapieziel erreichen möchten und damit den Rahmen der zu indizierenden Maßnahme festlegen. Alternativ sind es die Ärzt*innen, die aufgrund ihrer fachlichen Expertise einschätzen, welches Vorgehen indiziert ist. Lipp beschreibt den Prozess der Indikationsstellung folgendermaßen: „Sie muss zwar im Gespräch mit dem Patienten erfolgen […], fällt aber letztlich in den Verantwortungsbereich des Arztes“ (Lipp 2015, S. 763). Die Bundesärztekammer wiederum sieht ausschließlich die Ärzt*innen in der Verantwortung. Als Entscheidungsgrundlagen für eine Indikation nennt sie objektive Parameter, ein moralisches Bewerten von Behandlungsbedarf und erstrebenswerten Zielen sowie die Individualität des Patienten. Wurde eine Indikation gestellt, so hat sie laut Bundesärztekammer „normative Kraft“, „normative Leitfunktion“ (BÄK 2015, S. 4).Footnote 3 Die normativen Bedingungen für medizinisches Handeln wiederum sind in § 1 (2) der (Muster‑) Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte (BÄK 2019a) festgelegt. So ist es ärztliche Aufgabe „das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten“. Für jede dieser Aufgaben gibt es verschiedenste Maßnahmen, die „indiziert“ sein können. Für Patient*innen und Ärzt*innen bedeutet das, mit einem Begriff umgehen zu müssen, der nicht eindeutig definiert, jedoch gleichzeitig normativ wirksam ist. Diese Problematik soll an zwei BeispielenFootnote 4 veranschaulicht werden; die konkreten Entscheidungssituationen illustrieren die Komplexität der Indikationsstellung.

Beispiel 1

Der Patient Herr A leidet an einer schweren Arterienverkalkung der Beine. Von einer offenen Stelle am Unterschenkel breitet sich eine Blutvergiftung aus, die Antibiotikatherapie hat keine ausreichende Wirkung mehr. Die Amputation des Unterschenkels ist lebensrettend. Möchte Herr A leben, „muss“ die Amputation durchgeführt werden, die „Indikation steht“.

Meist akzeptieren Patient*innen die von den Ärzten gestellten Indikationen. Gelegentlich äußern sie Sätze wie „Die Operation muss ja gemacht werden“ oder „Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig“. In diesen Formulierungen schwingt ein Gefühl des Ausgeliefertseins mit: Ist die Indikation einmal gestellt, ergeben sich Abläufe, die quasi schicksalhaft erscheinen. Selbst ein tödlicher Ausgang im Rahmen dieser Operation schiene durch die gestellte Indikation akzeptiert oder gar legitimiert.

Herr A entscheidet sich jedoch gegen die Amputation. Sein weit fortgeschrittenes Alter, schwere Begleiterkrankungen und die für ihn zu stark reduzierte Lebensqualität nach dem Eingriff geben den Ausschlag. Offiziell hat er das Recht, der Operation nicht zuzustimmen, seine Einwilligung zu verweigern. Sprachlich-kommunikativ heißt das für ihn: Er muss „Nein“ sagen, er muss sich gegen eine gestellte Indikation und damit ggf. auch gegen die Person, die die Indikation gestellt hat, positionieren. Er muss seine Haltung erklären, die eigenen Wertvorstellungen darlegen und Argumente gegen diese Indikation anführen. Dies alles ist für ihn als direkt Betroffenen nicht leicht, insbesondere bei erhöhter Vulnerabilität vor dem Hintergrund seiner Krankheit, Verunsicherung und Ängste. Zudem wird er jetzt als „schwieriger Patient“ oder als „nicht compliant“ bezeichnet, der „gegen ärztlichen Rat“ handelt und die Operation „verweigert“. Herr A wird möglicherweise sogar psychiatrisch vorgestellt, um seine Entscheidungs- bzw. Einwilligungsfähigkeit zu klären.

Selbstverständlich muss von ärztlicher Seite sichergestellt sein, dass die Patient*innen vollständig über den jeweils zu erwartenden Verlauf und die etwaigen Komplikationen informiert sind, die Situation einschätzen und verstehen können und damit einwilligungsfähig sind (BÄK 2019b). Doch ebenso hat jede*r Patient*in ein Recht auf eigene Wertvorstellungen, Achtung der Autonomie, sogar auf – vermeintlich oder tatsächlich – unvernünftige Entscheidungen. Bemerkenswert ist: Der Fall, dass Patient*innen einer indizierten Maßnahme zustimmen, führt nicht dazu, ihre Entscheidungsfähigkeit anzuzweifeln, selbst wenn der Eingriff mit einem hohen Risiko für Komplikationen oder mit dem des Versterbens verbunden ist. Sind Patient*innen aber nicht bereit, die aufgrund einer Symptomatik angeblich eindeutig indizierte Maßnahmen durchführen zu lassen, stören sie das funktionierende System: Abläufe müssen verändert, das Therapieziel neu geklärt, andere indizierte Maßnahmen gefunden werden. Patient*innen können daher in bestimmten Situationen praktisch nur schwer eine indizierte Maßnahme ablehnen. Mit der Indikationsstellung wird eine Entscheidung getroffen, ein Fahrplan festgelegt für den weiteren diagnostischen oder therapeutischen Weg. Je schwerer das Krankheitsbild, je bedrohlicher der potentielle Verlauf einer Erkrankung, umso nachdrücklicher scheint dabei der Charakter des Indikationsbegriffs zu werden. Bis zur Indikationsstellung hingegen ist Verhandlungsspielraum über Therapieziele oder Wünsche des Patienten. Umso wichtiger ist es, dass Ärzt*innen in ihre Indikationsstellung hier frühzeitig möglichst viele Aspekte einfließen lassen, die für Patient*innen relevant sein können.

Beispiel 2

Die Patientin Frau B hat sich bei einem Sturz eine Schenkelhalsfraktur zugezogen. Darüber hinaus leidet sie an einem weit fortgeschrittenen bösartigen Tumor, hat viel an Gewicht verloren und ist sehr schwach. Die behandelnde Ärztin schätzt die Lebenserwartung von Frau B aufgrund ihres stark reduzierten Allgemeinzustandes als sehr kurz ein. Sie zieht nun die aktuelle AWMF-Leitlinie zur Schenkelhalsfraktur des Erwachsenen (Bonnaire und Weber 2015) zurate. Dort heißt es:

  • „Die Abklärung sollte die operative Behandlung nicht verzögern“ (Bonnaire und Weber 2015, S. 16).

  • „Die operative Behandlung ist das Verfahren der Wahl bei der Behandlung der Schenkelhalsfraktur“ (Bonnaire und Weber 2015, S. 19).

  • „Patienten mit Schenkelhalsfraktur sollten so schnell wie möglich innerhalb von 24 h operiert werden, wenn der Allgemeinzustand des Patienten dies zulässt“ (Bonnaire und Weber 2015, S. 26).

Die Bezeichnung der Operation als „Verfahren der Wahl“ und der normative Charakter der Formulierungen lassen der Ärztin kaum eine Alternative. Kann es anhand dieser Vorgaben noch eine andere Indikation geben als die Operation? In der Leitlinie heißt es immerhin auch: „Bei Patienten mit der Kombination von ausgeprägtem Herzversagen, Bronchopneumonie und signifikanter Malnutrition sollte die operative Therapie zurückhaltend erwogen werden, da ein hoher Anteil die perioperative Phase nicht überlebt“ (Bonnaire und Weber 2015, S. 18). Diese Formulierung ist für die Ärztin in der konkreten Situation allerdings nicht hinreichend hilfreich, denn auch ein „zurückhaltendes Erwägen“ der Operation schließt die Indikation zur Operation nicht aus.

Es ist nun folgendes Dilemma entstanden: Die Ärztin steht unter dem Druck, eine Indikation stellen zu müssen – Operation oder konservative Therapie. Die Operation ist indiziert, da die Fraktur stabilisiert und die daraus entstehenden Schmerzen durch eine Operation reduziert werden können. Und: Die Operation ist nicht indiziert, da die Gesamtsituation der Patientin (aus Sicht der Ärztin) so schlecht ist, dass sie die perioperative Phase möglicherweise nicht überleben wird. Sie befürchtet, die Patientin könnte aufgrund der fortgeschrittenen Tumorerkrankung und ihrer Schwäche durch die Operation für einige Tage sehr beeinträchtigt sein oder gar perioperativ versterben. Sie stellt sich die Frage, ob die weit fortgeschrittene Tumorerkrankung der Patientin ausreicht, um die Operation als nicht indiziertes Verfahren gar nicht erst anzubieten. Sie würde damit ihre eigene Einschätzung über einen allgemeinen Konsens stellen und der Patientin ein Standardverfahren vorenthalten, weil sie den Nutzen der Operation geringer einschätzt als den Schaden für die Patientin. Sie würde – aus ihrer Sicht zum Wohl der Patientin – nicht „alles“ tun, sondern bewusst auf die Operation verzichten und ein alternatives Vorgehen wählen, hier: die Indikation zur konservativen Therapie stellen.

Was aber, wenn die Patientin von sich aus eine Operation wünschte, weil sie sehr starke Schmerzen hat, die nur mit starken Schmerzmitteln und den daraus resultierenden Nebenwirkungen wie Benommenheit und Müdigkeit zu beherrschen sind? Bereits jetzt spürt Frau B diese Nebenwirkungen, die für sie nicht akzeptabel sind. Sie möchte die ihr verbleibende Zeit selbstbestimmt nutzen können und könnte ihr vorzeitiges Versterben eher akzeptieren als eine Einschränkung ihrer geistigen Leistungskraft. Die Patientin hat nun ein Therapieziel festgelegt, das nur mit einer Operation zu erreichen ist. Ist die Operation also jetzt eher indiziert?

An beiden Beispielen wird deutlich: Der Begriff der Indikation unterstellt eine Sicherheit der Entscheidung, die in vielen Situationen so nicht gegeben ist. Gerade in komplizierten gesundheitlichen Konstellationen ist der Rückgriff auf Standardverfahren, also auf zwingend umzusetzende Indikationen auf Grundlage objektiver Parameter, nicht möglich. Es bleibt eine Abwägung des Therapieziels, des Schadens und des Nutzens einzelner medizinischer Maßnahmen. Dies kann nur individuell im gemeinsamen Gespräch erfolgen, um die verschiedenen medizinischen Optionen hinsichtlich der Werte und Ziele der Patient*innen zu beurteilen. Ärzt*innen können im Sinne des informed consent ihren Patient*innen lediglich eine Empfehlung für oder gegen ein Verfahren geben. Sätze wie „es ist indiziert“ oder „die Indikation steht“ aber suggerieren Objektivität. Sie verführen durch ihre subtile Normativität zu einem ungewollten Paternalismus, der heute anachronistisch anmutet. Ob eine die Autonomie achtende, wertschätzende Gesprächskultur sich mit alternativen Begriffen oder Konzepten, die eventuell weniger normative und imperative Konnotationen als „Indikation“ haben, besser bewerkstelligen lässt und welche das im Einzelnen sein könnten, muss an dieser Stelle offen bleiben.

In den drei folgenden Beiträgen zum Themenschwerpunkt wird das Phänomen der medizinischen Indikation in seiner Mehrdimensionalität, speziell in seiner sprachlich sich manifestierenden Konzeptbeladenheit und Interpretationssensibilität exemplarisch ausgeleuchtet, indem die Autor*innen an konkreten Beispielen Voraussetzungen für die Indikationsstellung explizieren und reflektieren und auf diese Weise Konsequenzen des Indikationsbegriffs für die medizinische Praxis aufzeigen.

Was ist eine Indikation einfach erklärt?

Als Indikation bezeichnet man in der Medizin den Grund für den Einsatz einer therapeutischen oder diagnostischen Maßnahme bzw. welche medizinische Maßnahme bei einem bestimmten Krankheitsbild angebracht ist. Bei Arzneimitteln spricht man in diesem Zusammenhang auch vom Anwendungsgebiet.

Wann liegt eine medizinische Indikation?

Die medizinische Indikation beruht auf einem aktiven Entscheidungs- prozess, der sich definieren lässt als die Beurteilung eines Arztes, dass eine konkrete medizinische Maßnahme angezeigt ist, um ein bestimm- tes Behandlungsziel zu erreichen.

Was ist der Unterschied zwischen Indikation und Diagnose?

Beispiel: Bei Krankheitsbild „X“ ist das Therapieverfahren „Y“ indiziert, also angebracht bzw. angezeigt („Krankheitsbild“ ist nicht synonym mit Diagnose zu verwenden, sondern umfasst den Gesamtzustand und die Lebenssituation bzw. -perspektive eines Patienten).

Was bedeutet fehlende Indikation?

Ein diagnostischer oder therapeutischer Eingriff, der medizinisch nicht indiziert oder kontraindiziert ist, ist fehlerhaft, auch wenn er sorgfältig durchgeführt wird. Die Indika- tion muss durch die Dokumentation der Anamnese, der Beschwerden oder die Befunderhebung – zumindest vertretbar – belegt sein.

Was heist op Indikation?

Definition. Grund oder Umstand, nach Abschätzung des Risikos und des möglichen Nutzens eine Operation durchzuführen.

Was bedeutet Indikation Pflege?

Die Indikation bzw. Heilanzeige zeichnet den Weg vor, welche medizinischen Maßnahmen bei einem bestimmten Krankheitsbild eingeleitet und verfolgt werden sollten.