Jenny und die roma kinder spende

Nur wenige Kilometer vom hippen Stadtzentrum der siebenbürgischen Kulturhauptstadt Hermannstadt (Sibiu) entfernt leben Roma in heruntergekommenen Siedlungen am Rande der Gesellschaft. Eine junge Deutsche kämpft seit 2007 für Chancengleichheit.

Wer als Tourist nach Hermannstadt kommt, erlebt eine wunderschöne und pulsierende Altstadt – nicht umsonst darf sich Hermannstadt seit 2007 mit dem Label „Kulturhauptstadt“ schmücken. Auf dem Streetfoodfestival treffen sich junge Menschen, ein paar Straßen weiter wurde gerade ein Spielplatz neu ausgestattet – mit inklusiver Schaukel und modernen Calisthenicsgeräten für Jugendliche. Ja, hier werden EU-Gelder sinnvoll eingesetzt, denkt man und ist fast schon ein bisschen neidisch, wenn man an den einen oder anderen in die Jahre gekommenen Spielplatz in der eigenen Stadt denkt. Verlässt man die üblichen Touristenpfade nicht, könnte man bei dieser Einschätzung bleiben.
Doch schon ein paar Schritte hinter dem inneren Stadtkern werden dem Bild ein andere Nuancen hinzugefügt. Da sieht man eine junge Mutter und ihren Nachwuchs beim Schrottsammeln. Die drei verdreckten Kleinen ziehen und zerren an einem wackeligen Leiterwagen, Metallbleche fallen auf die Fahrbahn, müssen wieder aufgeladen werden. Auf einem Hinterhofgelände hocken Menschen um ein Feuer. Offensichtlich leben sie dort hinter Planen und Stellwänden aus Wellblech. Bilder, wie man sie in nahezu jeder Stadt und an den Rändern der kleineren Ortschaften in Rumänien einfangen kann. Über ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut oder ist armutsgefährdet. Der Mindestlohn beträgt 2,81 Euro pro Stunde. Sozialleistungen sind an viele Bedingungen und bürokratische Hürden geknüpft. Das Kindergeld beträgt 30 Euro monatlich*. Und das bei Lebenshaltungskosten, die denen in Deutschland ähneln.
Noch höher ist die Armutsquote unter den Roma. Von den fast zwei Millionen der größten Minderheit in dem Land mit rund 14 Millionen Einwohnern lebt ein Großteil nach wie vor im wörtlichen Sinne ganz am Rand der Gesellschaft.
Dorthin ist auch Jenny Rasche aus Stapelburg gegangen, als sie 2003 als junge Sozialarbeiterin einen Hilfstransport begleitete, und wollte ihren Augen nicht trauen. Slums, Hunger, Elend – das hätte sie in Afrika, Südamerika oder Asien erwartet, nicht aber in Hermannstadt in Europa. Menschen, die auf Müllhalden hausten, Kinder, die nicht zur Schule gingen, Hütten aus Müll ohne Wasser- und Stromanschluss – eine Gruppe von Roma, vollkommen abgeschnitten vom gesellschaftlichen Leben. Das sollte Jenny Rasche nicht mehr loslassen.

Jenny und die roma kinder spende
Foto: Kinderhilfe für Siebenbürgen e. V.

Sie beschloss, wiederzukommen und zu helfen. 2007, nach dem Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union, zog die junge Mutter samt Kindern und Lebenspartner nach Hermannstadt und gründete eine Organisation, die „Kinderhilfe für Siebenbürgen e. V.“.
Für Kinder, die Opfer von Gewalt wurden oder als Baby einfach im Krankenhaus zurückgelassen wurden, betreibt Jenny Rasche ein kleines Kinderheim, 18 Kinder werden hier betreut. Auch in ihre eigene Familie hat Jenny Rasche noch Pflegekinder aufgenommen. Das rumänische Jugendamt unterstützt die Plätze im Heim inzwischen und zahlt 120 Euro Pflegegeld pro Kind. Der Rest wird über Patenschaften, Förderpatenschaften und Spenden finanziert.

Wichtigstes Element ihrer Organisation ist jedoch die groß angelegte Familienhilfe. Die Kinderhilfe für Siebenbürgen engagierte sich zunächst in Hermannstadt, dem acht Kilometer vom Stadtzentrum entfernten Großscheuern (Șura Mare) und dem zehn Kilometer entfernten Heltau (Cisnădie). Inzwischen betreut Rasche weit mehr Familien in vielen weiteren Orten im Umkreis. Ihre Hilfe hat sich herumgesprochen, ständig melden sich neue Hilfsbedürftige bei ihr.

Jenny Rasche setzt bei den Kindern an, um eine langfristige Verbesserung der Lebensverhältnisse zu bewirken. Über 90 Kinder aus Großscheuern und 60 aus Heltau besuchen von Montag bis Freitag ihr After-School-Programm in der Schule im jeweiligen Ort. Die Kinder erhalten ein Mittagessen, machen ihre Hausaufgaben und bekommen Nachhilfe. In den Ferien werden Fahrten ans Meer und in die Berge oder auch Freizeiten vor Ort organisiert. Eine enorme Abwechslung für die Kinder, die es vormals nur gewohnt waren, im Matsch und Müll ihrer Siedlung zu spielen.
Inzwischen konnten die Kinder, die vormals keine Schule besucht haben, in reguläre Klassen wechseln. So gut wie alle haben die Versetzung in die nächsthöhere Klasse geschafft, einige der Schützlinge von Jenny Rasche besuchen mittlerweile Gymnasien oder machen eine Ausbildung. Zudem gibt sie den Kindern und Jugendlichen Selbstvertrauen, indem sie ihnen Aufgaben überträgt. So kümmern sich einige neuerdings darum, Straßenhunde aus der Region zum Tierarzt zu bringen und sterilisieren zu lassen.

Jenny und die roma kinder spende
Foto: Kinderhilfe für Siebenbürgen e. V.

Als Motivation erhalten Familien, die ihre Kinder regelmäßig zur Schule schicken und am After-School-Programm teilnehmen lassen, eine Lebensmittelhilfe.
Zudem gibt es eine Gesundheitsberatung und Zuschüsse für Medikamente, Winterholz, die Sicherung von baufälligen Hütten und die zeitweise Unterbringung von obdachlosen Familien in Notunterkünften. Weiterhin beraten die Mitarbeiter des Projekts die Familien hinsichtlich Hygiene, Erziehung, wirtschaftlicher Planung und Familienplanung. Frauen, die keine Kinder mehr möchten oder zumindest eine Pause einlegen wollen, können sich das Einsetzen einer Spirale finanzieren lassen. 400 Frauen haben in den letzten zweieinhalb Jahren das Angebot angenommen.

Längst betreut Rasche nicht mehr nur die Roma aus der Region, sondern auch andere von Armut betroffene Familien, wie beispielsweise ganz aktuell eine 26-jährige Mutter, die mit ihren fünf Kindern ihren gewalttätigen Mann verlassen hat und nun völlig mittellos ist – das sechste Kind ist gerade unterwegs. Auch für sie hat Jenny Rasche einen Hilfeaufruf gestartet.
Auf rumänische Ämter und Behörden verlässt sie sich dabei nicht, sondern setzt auf ihre Community bei Facebook. Täglich hält sie die knapp 9.000 Abonnenten über die Arbeit auf dem Laufenden und startet neue Spendenaktionen.

Wenn man Jenny Rasche dazu befragt, ob sie denke, dass in Rumänien genug für Minderheiten getan werde, winkt sie ab. Sie sei politisch nicht aktiv und ihre Meinung werde deshalb nichts verändern, sagt sie. „Aber wenn Rumänien genug machen würde, wäre ich nicht hier – das ist doch wohl klar!“ Wenn man einen Vertrag eingehe wie beim Zusammenschluss ganzer Länder, müsse man auch über einheitliche Regelungen nachdenken, sei es beim Thema Kindergeld oder Sozialleistungen, findet sie. „Solange das nicht passiert, brauchen wir uns über das Thema Armutsabwanderung oder -zuwanderung nicht zu unterhalten“, ist Rasche überzeugt.

Ihren Beitrag dazu, dass es Familien in ihrem Heimatland besser geht, leistet Rasche mit Hilfe ihrer Fangemeinde in Deutschland – zumindest für ein paar Hundert von zwei Millionen Roma in Rumänien.

Jenny und die roma kinder spende
Foto: Kinderhilfe für Siebenbürgen e. V.

Links

roma-kinderhilfe.de
Hintergrundinfos zur Arbeit von Jenny Rasche
facebook.com/KinderhilfeFuerSiebenbuergen
Auf dieser Seite postet Jenny täglich Updates zu den aktuell laufenden Hilfsaktionen.

Dokus über die Arbeit von Jenny Rasche in Rumänien

Raus aus dem Elend – Eine Deutsche kämpft gegen die Armutsflucht

Sieben Jahre begleitete ein Filmteam Jenny Rasche und die Roma mit der Kamera.
von Antje Schneider, ARD 2017

Raus aus dem Elend – Eine Deutsche kämpft gegen die Armutsflucht | Gott und die Welt | Das


Jenny und die vergessenen Roma-Kinder

Inzwischen seit zehn Jahren begleitet Antje Schneider Jennys Arbeit in den Slums rund um Hermannstadt.
Eine Reportage über ihren Kampf um Chancengleichheit, MDR, 2019

Jenny und die vergessenen Roma-Kinder

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Was macht Jenny Rasche heute?

Jenny Rasche Sie leitet vor Ort in Rumänien mehrere Hilfsprojekte für Roma-Kinder.

Was ist ein Roma Kind?

Roma- und Sinti-Kinder. Sinti und Roma wurden früher von der Bevölkerungsmehrheit abschätzig „Zigeuner" genannt. „Roma" oder „Rom" wird als Sammelbegriff, „Sinti" als Name für eine Teilgruppe verwendet.

Wo leben die meisten Roma in Rumänien?

Die 8.000 Einwohner leben im Nordwesten Rumäniens nahe der Stadt Oradea an der ungarischen Grenze. Rund 1600 Bewohner von Tinca sind Roma.