Lange in die Augen schauen Experiment

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Eye Contact Experiment: Von Weinen bis Knutschen: Das passiert bei 15 Minuten intensivem Blickkontakt

Fremde treffen sich an öffentlichen Orten, um sich eine Viertelstunde tief in die Augen zu schauen. FOCUS-Online-Autorin Daniela Hartmann wollte wissen, was bei dem Experiment passiert, und hat überraschende Erfahrungen gemacht.

Es ist so simpel und trotzdem eine Grenzüberschreitung: 15 Minuten lang soll ich in die Augen eines Fremden sehen. Vielleicht sollte ich besser sagen "starren", denn jemandem, den man nicht kennt, so offen gegenüber zu sitzen, ist erst einmal vor allem eins – unangenehm. Da wappne ich mich besser mit einem inneren Schutzschild – nach dem Motto, wer zuerst wegschaut, verliert. 

Dabei geht es an diesem Abend um etwas ganz anderes. Mit dem Slogan "Where has the human connection gone?" (was so viel heißt wie, warum gehen wir heute so bindungslos durch die Welt?) lädt „Eye Contact Munich“ immer wieder dazu ein, sich gegenseitig in die Augen zu sehen. Dutzende Menschen sind an diesem Abend gekommen. Es folgen kurze, abschätzende Blicke, wer sich wohl als Partner eignen könnte, schließlich sind mir alle unbekannt. Ein junger Mann aus Indien und ich lächeln uns verlegen an, wir nicken einander zu und das ist das stille Zeichen, dass wir es miteinander versuchen wollen.

Sich einem Fremden nahe zu fühlen, ganz ohne Worte

Wir setzen uns einander gegenüber und schauen im wahrsten Sinne des Wortes, was passiert. Seine Gesichtszüge verschwimmen und seine Augen sind nach kurzer Zeit noch alles, was ich sehe. Freundlich, warm. Ich spüre eine innere Verbindung, die ohne Worte und Gesten auskommt. Und ich schaue nicht verlegen weg. Das Seltsame ist, schon nach wenigen Momenten fühle ich mich diesem Unbekannten so nahe wie schon lange niemandem mehr.

Auch mit Fremden vertrauensvoll umgehen zu können, darum geht es Anne-Sophie Jörgensen vom Münchner „Eye Contact Experiment“. "In Deutschland vermisse ich manchmal die Herzlichkeit, die ich von Reisen her kenne. Wenn man von Fremden einfach so angesprochen oder sogar zum Essen nach Hause eingeladen wird. In Deutschland bewegt man sich eher in bekannten Kreisen, man bleibt hier sehr unter sich." Die „Eye Contacts“ bieten ihrer Erfahrung nach eine Gelegenheit, aus diesem Trott auszubrechen. "Das sind spontante Begegnungen, mit Menschen, denen man sonst nie begegnen würde."

In 156 Städten suchten über 100.000 Menschen Blickkontakt

Im Oktober 2015 nahm Jörgensen am ersten globalen „Eye Contact Experiment“ teil, das in 156 Städten mit über 100.000 Teilnehmern stattfand. Initiiert wurde das große In-die-Augen-schauen von der australischen Organisation „The Liberators“, die sich auf die Fahne geschrieben haben "bedingungslose Liebe und menschliche Wärme an öffentliche Plätze" zu bringen. 

Die Künstlerin Marina Abramović hatte bereits 2010 beim bislang längsten je abgehaltenen Eye Contact Experiment ausprobiert, wie das so ist. 721 Stunden lang - jeweils sieben Stunde pro Tag - saß sie in der Performance "The Artist is Present" insgesamt 1565 Besuchern des New Yorker Museum of Modern Arts gegenüber und blickte ihnen schweigend in die Augen.

Im Video: Wissenschaftler erforschen Blickkontakt - nach 3,3 Sekunden wirkt er aggressiv

Wie lange halten Sie den tiefen Blick in die Augen aus?

Weinen bis Knutschen - beim „Eye Contact ist“ alles drin

Doch ehe man diesen maximalen Einblick erhält, gilt es die Hemmschwelle zu überwinden, die automatisch entsteht, wenn man einem Unbekannten so nahe kommt. 3,3 Sekunden, dann fängt Blickkontakt an, unangenehm zu werden, haben Forscher des University College London herausgefunden. Wer weniger lange schauen kann, wirkt schüchtern, wer den Blick länger hält, wirkt aggressiv.

"Ganz ehrlich, mir war das total unangenehm", erzählt mir eine Teilnehmerin nach dem Experiment. "Mir wurde ganz heiß und ich fühlte mich beobachtet. Dabei lag das sich nicht an der Frau, mit der ich Eye Contact hatte." Sie brach nach wenigen Minuten ab. Jens, mit dem ich zur Veranstaltung gekommen war, sagt: "Es fiel mir anfangs total schwer, meine Gedanken abzuschalten. Irgendwann hab ich diesen Kampf einfach sein lassen und dann hat es Klick gemacht. Dann fand ich es sehr schön."

Die üblichen Tricks helfen jetzt nichts mehr

Es ist schon so, dass man zunächst mit jeder Menge Eindrücken zu kämpfen hat, die sich nicht so einfach abschütteln lassen. Normalerweise greife ich schnell zum Glas und trinke einen Schluck, mache einen Witz zur Auflockerung oder wende einfach meinen Blick ab. Hier aber gibt es keine Ablenkung.

Dabei hat Blickkontakt viel damit zu tun, dass wir uns verlieben. Dem sind Forscher nachgegangen und haben eine Dozentin in den Selbstversuch geschickt. Sie jedenfalls hat ein Jahr nach dem Experiment ihr Gegenüber geheiratet.

Ich habe mich nach 15 Minuten zwar nicht in meinen Partner aus Bangalore verliebt, aber mein Interesse an ihm ist geweckt. Nach dem Experiment unterhalten wir uns wie alte Freunde. Er erzählt mir von seiner gescheiterten Ehe, von WG-Mitbewohnern, die sich weigern mit ihm Deutsch zu sprechen, und seiner Doktorarbeit. Ich schwärme von meinen Jahren in Indien.

Manchmal spielen die Gefühle verrückt

Das ist es also, wovon mir einige im Vorfeld erzählt hatten: Nähe auf den ersten langen Blick. Und ich bin nicht die einzige, der es so geht. Viele Blick-Partner strahlen sich am Ende ihrer Session an. Manche haben Tränen in den Augen, einige umarmen sich lange und innig. "Wenn jemand erst einmal bei sich ist und aus seinem Gedankenkarrussel heraustritt, dann ist er offen für Neues und Überraschendes", sagt Anne-Sophie Jörgensen. Manchmal spielen die Gefühle dann auch verrückt.

"Es kam schon vor, dass zwei plötzlich wild knutschten. Aber das ist selten. Am meisten hat mich eine junge Frau berührt, die anfing zu weinen, weil sie sich zum ersten Mal wirklich gesehen fühlte. Niemand in ihrer Familie, in der Arbeit oder im Freundeskreis habe sie so wahrgenommen wie sie ist, hat sie mir erzählt. Ein Fremder sie gesehen und ihr diesen sehnlichen Wunsch erfüllt."

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Daniela Hartmann

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