Parlament stimmt über weiteren brexit-kurs ab

London - Sechs Wochen vor dem EU-Austritt Großbritanniens hat Premierministerin Theresa May am Donnerstag eine neue Brexit-Schlappe im Parlament hinnehmen müssen.

Die Abgeordneten votierten in London mit 303 zu 258 Stimmen gegen eine Beschlussvorlage, die sowohl ein Mandat für Nachverhandlungen am Brexit-Deal als auch eine Absage an den EU-Austritt ohne Abkommen bestätigen sollte.

Vor zwei Wochen hatten die Abgeordneten May den Auftrag gegeben, das mit Brüssel vereinbarte Abkommen nachzuverhandeln. Die Premierministerin hatte sich zum Erstaunen Brüssels hinter den Antrag gestellt und war damit auf Schmusekurs zu den Brexit-Hardlinern gegangen. Doch die versagten May nun die Gefolgschaft.

Stein des Anstoßes war, dass gleichzeitig auch eine weitere Entscheidung des Parlaments aus der ersten Abstimmungsrunde bestätigt werden sollte: Die Ablehnung eines Brexits ohne Abkommen mit chaotischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche. Obwohl das Votum keine bindende Wirkung hatte, wollten einige Brexit-Hardliner das nicht mittragen.

Damit ist die Glaubwürdigkeit der Regierungschefin, doch noch eine Mehrheit für ein Brexit-Abkommen im Parlament zu bekommen, deutlich angekratzt. May will der EU rechtlich verbindliche Änderungen am Brexit-Vertrag abtrotzen, obwohl Brüssel dazu nicht bereit ist.

Eine Rebellion der EU-freundlichen Abgeordneten konnte May abwenden, indem sie bereits am Dienstag eine dritte Abstimmungsrunde für den 27. Februar in Aussicht stellte. Sie bat um mehr Zeit für die Nachverhandlungen mit der Europäischen Union. Brüssel lehnt bisher aber Änderungen am Brexit-Abkommen strikt ab.

Großbritannien will bereits am 29. März die Staatengemeinschaft verlassen. Mitte Januar hatte das Parlament das von May mit der EU ausgehandelte Brexit-Abkommen mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Wann das Parlament erneut über den Deal abstimmen soll, ist immer noch unklar.

Eine parteiübergreifende Gruppe von Abgeordneten plant, der Regierung die Kontrolle über den Austrittsprozess zu entreißen, sollte sich ein No-Deal-Brexit abzeichnen. Der Plan sieht vor, May zum Verschieben des EU-Austritts zu zwingen, sollte sie bis Mitte nächsten Monats keinen Erfolg mit ihrem Austrittsabkommen haben. Zum Showdown soll es nun aber erst Ende Februar kommen.

Die britische Premierministerin Theresa May hat bei der Abstimmung über das Brexit-Abkommen eine historische Niederlage eingesteckt. Mehr als 400 der 600 Abgeordneten im Unterhaus lehnten ihren Deal mit der EU ab.

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Die britische Premierministerin Theresa May hat bei der Abstimmung über das Brexit-Abkommen eine historische Niederlage eingesteckt. Mit 432 zu 202 Stimmen votierten die Abgeordneten am Dienstagabend in London gegen den von ihr ausgehandelten Deal mit der Europäischen Union. Am kommenden Montag will May nun einen Plan B vorlegen und ihr geplantes weiteres Vorgehen im Parlament erläutern.

Der Machtkampf zwischen der Regierung und dem Parlament über den Brexit-Kurs dürfte sich allerdings noch weiter verschärfen: Nur Minuten nach der Abstimmung stellte die oppositionelle Labour-Partei einen Misstrauensantrag gegen die Regierung von Theresa May. Das gab Labour-Chef Jeremy Corbyn im Parlament bekannt. Ein erfolgreiches Misstrauensvotum ist der einzige gangbare Weg, wie die Opposition eine Neuwahl auslösen kann. Erfolgschancen werden der Labour-Initiative aber kaum eingeräumt. Sie bräuchten dazu die Hilfe von Rebellen aus der konservativen Regierungsfraktion oder der nordirisch-protestantischen DUP, die mit ihren zehn Stimmen die Minderheitsregierung stützt. Beides ist nicht in Sicht. Einen Rücktritt lehnt May einem Sprecher zufolge bislang jedenfalls ab.

Mit chaotischen Folgen wird gerechnet

Großbritannien will die Europäische Union bereits am 29. März verlassen. Gibt es bis dahin keine Einigung, droht ein Austritt aus der Staatengemeinschaft ohne Abkommen. Für diesen Fall wird mit chaotischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche gerechnet. Schon zuvor hatten britische Medien damit gerechnet, dass May bei der Abstimmung im Parlament mehr als 100 Stimmen aus dem eigenen Lager fehlen könnten.

Ausschlaggebend für die Ablehnung des Brexit-Deals ist die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Das britische Unterhaus hat 650 Abgeordnete. Sieben Sinn-Fein- Abgeordnete nahmen ihre Sitze aus Protest gegen den britischen Staat nicht ein und vier Parlamentssprecher enthielten sich. Die Stimmen von vier weiteren Abgeordneten, zwei von jeder Seite, die für das korrekte Auszählen zuständig sind, werden ebenfalls nicht mitgezählt. Damit ergibt sich eine sichere Mehrheit bei mindestens 318 Stimmen.

In ihrer abschließenden Rede vor dem Unterhaus hatte May ihren mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag noch einmal verteidigt und an die Abgeordneten appelliert: „Ich glaube, wir haben die Pflicht, gemäß der demokratischen Entscheidung des britischen Volkes zu liefern“. Zugleich warnte sie, die EU werde kein „alternatives Abkommen“ anbieten. „Dies ist eine historische Entscheidung, welche die Zukunft unseres Landes für Generationen bestimmen wird.“ Das zwischen May und Brüssel ausgehandelte Abkommen sieht eine Übergangsphase bis mindestens 2020 vor. In diesem Zeitraum würde im Prinzip alles beim Alten bleiben.

Der Deal stößt aber nicht nur in der Opposition auf Ablehnung, sondern auch in weiten Teilen der Regierungsfraktion und bei der nordirischen DUP, von deren Stimmen die konservative Minderheitsregierung abhängig ist. Vor allem die als Backstop bezeichnete Garantie für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland ist umstritten. Die Regelung soll im Notfall die Einführung von Grenzkontrollen verhindern. Befürchtet wird sonst ein Wiederaufflammen des Konflikts in der früheren Bürgerkriegsregion. Der Backstop sieht vor, dass das ganze Land so lange in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis eine andere Lösung gefunden worden ist. Nordirland müsste zudem in Teilen des Binnenmarkts bleiben. Das stößt auf Widerstand bei der DUP. Sie lehnt jegliche Sonderbehandlung der Provinz ab.

Wegen der Abstimmung in London ist am Nachmittag bereits EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker vorzeitig von der Sitzung des Europaparlaments aus Straßburg nach Brüssel zurückgekehrt. Dort werde Juncker die Situation im Zusammenhang mit der Entscheidung des Unterhauses managen, erklärte sein Sprecher Margaritis Schinas. „Es ist wichtig, dass er in den nächsten Stunden in Brüssel zur Verfügung steht und arbeitet.“

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Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk kehrte nach Angaben eines Sprechers am Dienstag nach Brüssel zurück. Tusk hatte in Polen an einer öffentlichen Trauerveranstaltung für den getöteten Danziger Oberbürgermeister teilgenommen. Zu britischen Gerüchten, Premierministerin Theresa May könnte am Mittwoch nach Brüssel reisen, erklärte der Sprecher, May habe nicht um ein Treffen nachgesucht. Sowohl Tusk als auch Juncker bedauerten in einer ersten Reaktion – ähnlich wie zahlreiche Bundespolitiker – das Votum des britischen Parlaments.

Quelle: sreu./dpa/AFP/Reuters

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