Abgesehen davon, dass Einstein im normalen Leben auch nicht der Wunderwuzzi war, für den man ihn gerne hält – zu seinen Ehefrauen konnte er auf Herzensebene auch ganz schön brutal sein – ist er auch nicht für jedes Zitat urheberrechtlich verantwortlich, das sich vielleicht irgendein Fantast ausgedacht hat. In Zeiten von Facebook erleben solche Zitate
geradezu virulente Verbreitung. Aber zuerst einmal ein paar Worte, die sehr wohl von Einstein stammen, denn sie sind handschriftlich verbürgt: Nämlich die Bedingungen, die Einstein 1914 seiner ersten Frau Mileva Einstein-Maric stellt, um die Aufrechterhaltung der Ehe zu gewährleisten. Nicht gerade die feine Art, aber lesen Sie selbst: A. Du sorgst dafür Obiges Zitat soll jetzt nicht dazu dienen, den altehrwürdigen Professor Einstein, dessen Klugheit unbestritten bleibt, herabzuwürdigen. Aber es ist gut, sich ab und zu in Erinnerung zu rufen, dass niemand perfekt ist. (“Wo viel Licht, da auch viel Schatten.”) Die angesehensten Meisterinnen und Meister haben ihre merkwürdigem Punkte in ihrer Biographie, und bei manch anderen, denen man vorderhand wenig Gutes
attestieren würde, verhält es sich vielleicht genau umgekehrt. Oder wie es Marcel Prawy einmal formulierte anlässlich seiner Erfahrungen in der NS-Zeit. Menschen sind nicht schwarz oder weiß, sondern grau. Doch zurück zu den Zitaten die Einstein nicht gesagt hat. Hier mal der Klassiger Nummer 1: Einen schönen Artikel, zur Entstehungsgeschichte dieses Zitats gibt es in der Zeit. In jüngerer Zeit vielleicht noch beliebter, weil es Einstein, nicht nur als profunden Physiker und Mathematiker auszeichnet, sondern auch als visionären Biologen:
Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben. Keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, kein Mensch mehr. Eine schöne Geschichte, wie sich das Zitat (an Einstein vorbei) entwickelt hat, findet man hier.
Zugegeben, man hätte sich eigentlich spätestens seit 2013 der österreichische Rechtspolitiker HC Strache dem armen Herrn Einstein mit dessen Nichtzitat für seine Zwecke instrumentalisierte, die Frage stellen müssen, ob an der Urhebeschaft etwas dran ist. Aber gut, immerhin ist wenigstens das Zitat des Herrn Strache, der Einstein zitiert, belegt. In Zeiten, in den die Japanerin Marie Kondo, verzweifelten Menschen beim Aufräumen hilft, kann man natürlich auch den Nobelpreisträger Einstein
bemühen: Wenn ein unordentlicher Schreibtisch einen unordentlichen Geist repräsentiert, was sagt dann ein leerer Schreibtisch über den Menschen, der ihn benutzt aus? Aber gut, man soll hier nicht so streng sein. Wenn
Einstein helfen kann, Ordnung zu halten, warum nicht ein bisschen nachhelfen?
1. dass meine Kleider und Wäsche ordentlich imstand gehalten werden.
2. dass ich die drei Mahlzeiten im Zimmer
ordnungsgemäß vorgesetzt bekomme.
3. dass mein Schlaf- und Arbeitszimmer stets in guter Ordnung gehalten sind, insbesondere dass der Schreibtisch mir allein zur Verfügung steht.
B. Du verzichtest auf alle persönlichen Beziehungen zu mir, so weit deren Aufrechterhaltung aus gesellschaftlichen Gründen nicht unbedingt geboten ist.
Insbesondere verzichtest Du darauf
1. dass ich zu Hause bei Dir sitze.
2. dass ich zusammen mit Dir ausgehe oder verreise.
C. Du
verpflichtest Dich ausdrücklich, im Verkehr mit mir folgende Punkte zu beachten:
1. Du hast weder Zärtlichkeiten von mir zu erwarten noch mir irgendwelche Vorwürfe zu machen.
2. Du hast eine an mich gerichtete Rede sofort zu sistieren, wenn ich darum ersuche.
3. Du hast mein Schlaf- bzw. Arbeitszimmer sofort ohne Widerrede zu verlassen, wenn ich darum ersuche.
D. Du verpflichtest Dich, weder durch Worte noch durch Handlungen mich in den Augen meiner Kinder
herabzusetzen.
Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht
ganz sicher. Ähnliches:
Pseudo-Albert-Einstein-Zitat. |
Die Zuschreibung dieses Sekundärzitats an Albert Einstein wird bezweifelt, weil die einzige Person, die behauptet hat, diesen Aphorismus von Albert Einstein gehört zu haben, 22 Jahre vorher diesen Satz noch einem unbekannten Astronomen zugeschrieben hat.
Der Satz "Two things are infinite, as far as we know – the universe and human stupidity" wurde in diesem Wortlaut im Jahr 1947 erstmals publiziert und damals von dem Gestaltspschologen Frederick S. Perlsnoch einem 'großen Astronomen' zugeschrieben.
22 Jahre später schrieb derselbe Frederick S. Perls den Satz etwas verändert und erweitert Albert Einstein zu.
Der amerikanische Zitatexperte Garson O'Toole hat im Jahr 2010 auf diese problematische
Quellenlage aufmerksam gemacht (quoteinvestigator.com)und ich folge hier seinen Argumenten.
Im Zitat von 1947 sind der große Astronom, der von der Unendlichkeit der "zwei Dinge" gesprochen hat und Albert Einstein, mit dem das Zitat kommentiert wird, eindeutig zwei verschiedene Personen:
Frederick
S. Perls: Variante 1, 1947
Frederick S. Perls: "Das Ich, der Hunger und die Aggression", übersetzt von Gudrun Theusner-Stampa (1978) (Link) |
22 Jahre später hat das Zitat nicht mehr ein großer Astronom gesagt, sondern Albert Einstein persönlich zu dem Autor:
Frederick S. Perls: Variante 2, 1969
Frederick S. Perls: "Gestalt-Therapie in Aktion"(1969); übersetzt von Josef Wimmer, 1974 (Link) |
Frederick S. Perls: Variante 3, 1969:
- "I spent one afternoon with Albert Einstein: unpretentiousness, warmth, some false political predictions. I soon lost my self-consciousness, a rare treat for me at that time. I still love to quote a statement of his: 'Two things are infinite,
the universe and human stupidity, and I am not yet completely sure about the universe.'"
Zitiert nach Garson O'Toole (quoteinvestigator.com).
Das Albert Einstein zugeschriebene Zitat hat eine lange Vorgeschichte.
Dass die menschliche Dummheit im Gegensatz zu Erde unendlich sei, steht zum Beispiel in einem Brief
Gustave Flauberts, den er drei Monate vor seinem Tod an seinen Bewunderer und Freund Guy de Maupassant geschrieben hat:
Gustave Flaubert, 19. Februar 1880:
"La terre a des limites, mais la bêtise humaine est infinie!"
"Die Erde hat Grenzen, aber die menschliche Dummheit ist unendlich!"
Guy de Maupassant: "Des Vers", G. Charpentier, Paris: 1880 (Link)
In den folgenden Jahren taucht dieser Gedanke (ohne Nennung Gustave Flauberts) in verschiedenen Formulierung auch in deutschsprachigen Büchern und Zeitungen auf.
Beispiele. Chronologisch:
1890
- "Die menschliche Weisheit hat ihre Grenzen, die menschliche Dummheit ist grenzenlos."
"An der schönen blauen Donau", 5. Jahrgang, 5. Heft, Wien: 1890, S. 110 , Aus der Mappe. Von Ludwig Borns(?) (Link)
Die Schaupielerin, Regisseurin und Autorin Olga Wohlbrück verwendet erstmals 1891 die Formulierung "Zwei Dinge" für den Aphorismus, eine Formulierung, die an Immanuel Kants vielleicht berühmtestes Zitat erinnert:
Olga Wohlbrück, Aphorismen:
1891
- "Zwei Dinge sind grenzenlos: Der Horizont und die Dummheit."
Olga Wohlbrück, Aphorismen (books.google)
Immanuel Kant, Kritik der Praktischen Vernunft:
- "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das
Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir."
(Link)
1894
- "Auf dem großen, weiten Erdenrund, gibt es nur etwas, dem das Privileg der Unsterblichkeit verliehen ist: — die menschliche
Dummheit."
Dr. A. Heine, Prager Tagblatt, 14. Oktober 1894, S. 4 (Link)
Auf Französch, Englisch und Deutsch wird der folgende Aphorismus oft dem französichen
Historiker Ernest Renan zugeschrieben, allerdings hat meines Wissens noch niemand dafür einen Beleg in einem Text Renans nachweisen können:
1914
- "Renan hat das kurz in dem Satz ausgedruckt: 'Die menschliche Dummheit gibt die annäherndste Vorstellung von der Unendlichkeit!'".
Max Nordau: "Die Shakespeare-Bacon-Dummheit", 26. April 1914, S.2 (Link)
1915
- "Renan sagte einmal, dass es nur eine Sache gebe, die imstande sei, ihm die Idee der Unendlichkeit nahezubringen, und das sei die menschliche Dummheit. Ob Herr Renan bei diesem Ausspruche wohl an die französische Bürokratie gedacht hat?"
Anonym (Jean Weber zitierend) , 27. September 1915, (Link)
-
1919
- "O menschliche Dummheit! Ewig wie die Sterne!"
Léon Werth, zitiert von Anna Nußbaum, 21. Dezember 1919 (Link)
Ödön von Horváth: "Geschichten aus dem Wiener Wald", Motto:
1931
- "Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit."
Ödön von Horváth hat im Motto seines Volksstücks "Geschichten aus dem Wiener Wald" den
Renan zugeschriebenen Aphorismus mit dem Austriazismus "als wie" variiert.
-
Vielleicht hat Albert Einstein den alten Aphorismus wiederholt, auch wenn man nach der Quellenlage den genauen Wortlaut nicht mehr ermitteln kann, eher hat aber das Gedächtnis dem in Berlin geborenen Gestaltspschologen Frederick S. Perls einen Streich gespielt.
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Quellen:
Google : "Ungefähr 167 000 Ergebnisse"
Garson O'Toole: "Two Things Are Infinite: the Universe and Human Stupidity: Albert Einstein? Frederick S. Perls? Anonymous? A Great Astronomer?" 2010 (quoteinvestigator.com)
Garson O'Toole: "The Difference Between Stupidity and Genius Is That Genius Has Its Limits: Albert Einstein? Alexandre Dumas, fils? Elbert Hubbard? Brooks F. Beebe? Anonymous?" 2014, (quoteinvestigator.com)
Frederick S. Perls: "Das Ich, der Hunger und die Aggression: die Anfänge der Gestalt-Therapie." (1947) Übersetzt von Gudrun Theusner-Stampa, Klett-Cotta, Stuttgart: (1978) 2007, S. 132 (Link)
Frederick S. Perls: "Gestalt-Therapie in Aktion"(1969) Übersetzt von Josef Wimmer, Klett-Cotta, Stuttgart: 1974, S. 41 (Link)
Guy de Maupassant: "Des Vers", G. Charpentier, Paris: 1880, nach dem Vorwort, ohne Seitenangabe (Link)
"An der schönen blauen Donau", 5. Jahrgang, 5. Heft, Wien: 1890, S. 110 , Aus der Mappe. Von Ludwig Borns(?) (Link)
Olga Wohlbrück, Aphorismen, in: Deutsche Illustrierte Zeitung, Über Land und Meer, 67. Band, 34. Jahrgang, Oktober 1891-1892, Nr. 18, S. (books.google.at/) [Wiederholt von Stephanie Lonyay, Die Stunde, 20. April 1924, S. 4 (Link)]
Dr. A. Heine: "Von Denen, die nicht ausstebern wollen", Prager Tagblatt, 14. Oktober 1894, S. 4 (Link)
Max Nordau: "Die Shakespeare-Bacon-Dummheit", Pester Lloyd, 26. April 1914, S.2 (Link)
Anonym (Jean Weber zitierend) Pester Lloyd, 27. September 1915, S. 3.
(Link)
Léon Werth, zitiert von Anna Nußbaum in einer Rezension, Neues Wiener Journal, 21. Dezember 1919, S.7 (Link)
Man liest öfters, das Renan-Zitat sei in dessen "Dialogues et fragments philosophiques" (Calmann-Lévy, Paris 1876) enthalten. Ich konnte es dort nicht entdecken.
Ödön
von Horváth: "Geschichten aus dem Wiener Wald: Volksstück." Herausgegeben von Klaus Kastberger und Nicole Streitler, Reclam, Stuttgart: 2009, Motto.
Christoph Drösser: "Hat Einstein gesagt, die menschliche Dummheit sei unendlich?" DIE ZEIT Nr. 42/2017, 12 (Link)
Martin Rasper: "»No Sports« hat Churchill nie gesagt. Das Buch der falschen Zitate" Ecowin Verlag, Salzburg: 2017
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Dank:
Ich bin besonders Garson O'Toole, aber auch den Mitarbeiter:innen von wikiquote, Christoph Drösser, Martin Rasper und Andrea Capovilla zu Dank verpflichtet.
Artikel in Arbeit.