Was wer ist dummheit psychologie

Inhalt:

Ist eine Welt ganz ohne Dummköpfe möglich? Leider nein. Und dennoch sollte man über die Dummheit nachdenken, denn jeder kennt sie und jeder muss sie täglich ertragen. Die Dummheit ist - und zwar seitdem es den Menschen gibt - eine Bürde, von der wir uns nach Kräften befreien sollten. Obwohl Spezialisten für menschliches Verhalten, haben Psychologen noch nie den Versuch unternommen, der Dummheit auf den Grund zu gehen. Das Phänomen will allerdings erst verstanden werden, bevor wir den Kampf dagegen aufnehmen können. Und so versammelt dieser Band einige der namhaftesten Psychologen aus aller Herren Länder sowie Philosophen, Soziologen und Schriftsteller, die ihre Lesart dieses grundlegenden Wesenszugs des Menschen präsentieren. Eine Weltpremiere!

Autor(en) Information:

Jean-Françios Marmion ist Psychologe und Chefredakteur von Le Cercle Psy. Er arbeitet als Journalist für das Magazine Science Humaines und hat verschiedene Bücher bei Éditions Sciences Humaines herausgegeben.

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Führungskräfte schreiten voran - doch wo verläuft die Grenze zwischen visionärer Genialität und destruktivem Übermut?

Führungskräfte schreiten voran - doch wo verläuft die Grenze zwischen visionärer Genialität und destruktivem Übermut?

Foto: Florian Kresse / plainpicture

SPIEGEL: Ob eine Entscheidung mutig oder visionär ist oder einfach nur schwachsinnig, kann fast nie im Moment des Geschehens beurteilt werden, sondern erst wesentlich später. Wann lohnt es sich, mutig zu sein?

Kets de Vries: Ich glaube, man muss Mut mit Durchhaltevermögen kombinieren, mit Sturheit und ein bisschen auch Besessenheit. Schauen Sie sich Erfinder an, wie oft sind die gescheitert, bis der große Durchbruch kam? Sie ließen sich nicht entmutigen und haben weitergemacht, und irgendwann hat es geklappt. Etwa Elon Musk von Tesla, er ist auf eine großartige Weise besessen von seinen Ideen. Er stammt aus einer Familie von Innovatoren, Ideen sind Teil seiner DNA.

SPIEGEL: Wie schafft ein Unternehmen es, eine Kultur aufzubauen, in der Mitarbeiter sich etwas trauen – zum Beispiel Missstände anprangern oder ihre Führungsriege zu kritisieren?

De Vries: Das Problem ist: Wenn Sie im Topmanagement arbeiten, sind die Chancen sehr groß, dass Sie umgeben sind von Lügnern. Jeder sagt dir, was du hören willst. Die Frage ist also: Wie schafft man eine Kultur , in der die Mitarbeiter ihren Chef gelegentlich hinterfragen? Das ist extrem schwer, weil hier ganz klassische und sehr komplexe psychologische Prozesse ablaufen: Es geht um den Umgang mit Autoritätspersonen. Und da ist jeder anders, der eine idealisiert sie, der andere arbeitet gegen sie an.

Die Grundlage hierfür wird in unserer Kindheit gelegt, und fortan findet ein permanenter Transfer, eine Übertragung statt. Denn alle unsere Beziehungen werden von frühen Beziehungen geprägt.

Manfred Kets de Vries

Foto:

Grahamward1 / wikimedia.org

Psychologie hatte lange nichts zu suchen in der Welt des Managements. Doch Manfred Kets de Vries zeigte schon vor rund 40 Jahren, dass Topentscheider nicht sachlich urteilen und argumentieren, sondern sich von unterdrückten Gefühlen und unbewussten Ängsten leiten lassen.

1942 geboren, studierte der Niederländer Ökonomie an der Universität in Amsterdam, machte seinen MBA in Harvard und promovierte anschließend dort. 1974 holte Henry Mintzberg ihn 1974 an die McGill University in Montreal. Parallel machte Kets de Vries eine psychoanalytische Ausbildung am Canadian Psychoanalytic Institute. Seit 1984 lehrt er an der Business School Insead, wo er den Lehrstuhl für Leadership Development inne hatte. Mit einer Insead-Kollegin gründete er eine eigene Beratungsfirma in London.

SPIEGEL: Was bedeutet das in der Praxis?

De Vries: Wenn Sie einen sehr autoritären Vater hatten, mit dem Sie ständig gestritten haben, gegen den Sie sich aufgelehnt haben, wird das Ihre Beziehung zu Menschen, die Sie an Ihren Vater erinnern, negativ beeinflussen. Die erste Organisation, die wir erleben, ist die Familie. Wenn Macht und Autorität dort sehr stark durchgesetzt wurden, prägt Sie das Ihr ganzes Leben. Und wenn dann ein autoritärer Chef etwas von Ihnen haben will, stehen Sie stramm und sagen: Jawohl. Egal wie verrückt der Auftrag ist. Erinnern wir uns an den Dieselskandal bei VW: Ich bin mir sicher, da wussten viele Mitarbeiter Bescheid – doch sie haben alle die Klappe gehalten.

SPIEGEL: An der kindlichen Prägung der Mitarbeiter kann man nicht viel ändern. Was kann eine Führungskraft tun, um mutiges Handeln zu fördern?

De Vries: Gutes Feedback ist der Schlüssel. Wenn Ihnen jemand eine schlechte Nachricht überbringt und Sie verziehen den Mund, werden Sie nie wieder eine derartige Nachricht bekommen. Das klingt im ersten Moment wunderbar, ist aber fatal. Sie werden vom Informationsfluss abgeschnitten. Ich kenne viele Unternehmen, die Millionen für Informationssysteme ausgeben, bei denen das Topmanagement aber wie auf Eiern geht, völlig abgeschottet ist und nichts mitkriegt.

Die Topmanager isolieren sich, haben private Aufzüge, Speisesäle, eigene Firmenjets. Schauen Sie sich doch die Chefetagen an, wie edel sie sind, wie einschüchternd die Architektur und die Rituale. Das alles entmutigt. Wenn ich in großen Konzernen war, haben mich diese Statussymbole und der Habitus früher auch sehr beeindruckt.

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Dann lernte ich einen Trick: Ich stellte mir die CEOs in Shorts vor. Das half. Wer den Trick aber nicht kennt, wird immer kleiner und traut sich dann auch nicht, den obersten Boss zu kritisieren. Die direkten Mitarbeiter schweigen, sind wie in einer Art Stockholm-Syndrom gefangen.

SPIEGEL: Das ist eine unschöne Diagnose.

De Vries: Ich gehe noch weiter: In den Chefetagen finden sich überdurchschnittlich viele Narzissten und Psychopathen, gemessen am Bevölkerungsdurchschnitt. Psychopathen können sehr charmant sein, sie bringen die Leute dazu, das zu machen, was sie wollen. Sie umgeben sich mit Jasagern und merken es noch nicht mal.

Aber es sind zum Glück nicht alle so. Ein CEO hat mir einmal gesagt: »Das Beste, was meine Mitarbeiter tun können, ist, die richtige Entscheidung zu fällen. Das zweitbeste, die falsche Entscheidung zu fällen. Das schlechteste aber ist, keine Entscheidung zu fällen. Wer keinen Mut hat, sich zu entscheiden, wird gefeuert.« Das ist eine gesunde Fehlerkultur!

SPIEGEL: Die Voraussetzung für mehr Mut wäre also eine Fehlerkultur, in der man angstfrei sein Scheitern zugibt?

De Vries: Fehler zu machen gehört dazu, und deshalb sollte in jeder Unternehmenskultur auch eine Fehlerkultur verankert sein. Dann gehört auch nicht mehr so viel Mut dazu, Fehler zuzugeben. Hier gilt wie so oft: Der Fisch stinkt vom Kopf. Die Top-Executives müssen konsequent mit gutem Beispiel vorangehen.

Ich hatte einmal einen Workshop mit dem Leitungsteam eines Unternehmens. 15 Leute, die ihre Zusammenarbeit verbessern wollten. Also habe ich sie gebeten, auf einer Skala von eins bis zehn ihr Team und seine Leistung zu bewerten – und einzuschätzen, was sie meinten schaffen zu können. Eins stand für ganz schlecht, zehn für fantastisch. Diese Bewertung gaben sie anonym auf Zetteln ab.

Ich rechnete und heraus kam: aktuelle Zusammenarbeit 3,5 Punkte, Potenzial 8 Punkte. Also sagte ich: Das ist ja fantastisch, dann wissen wir ja, was wir heute tun werden.

Ich habe drei Gruppen eingeteilt, um Vorschläge zu erarbeiten, wie sie besser werden könnten. Nach einer Stunde stellten die Gruppen ihre Ergebnisse vor, richtig tolle Sachen, waren ja auch schlaue Leute. Doch als sie fertig waren, brauste der CEO auf und schrie: »Ihr undankbares Pack, nach allem, was ich für euch getan habe, wie könnt ihr nur.« Nun ja, Sie können sich vorstellen: Da hat nie wieder jemand den Mund aufgemacht.

SPIEGEL: Das ist ein abschreckendes Beispiel. Aber ist es inzwischen nicht so, dass zumindest hier in Deutschland recht offen geredet werden kann?

De Vries: Das Ziel ist, zu einer Coachingkultur zu kommen, also einem positiven Umgang mit Kritik, dass man über Dinge sprechen kann. Deutschland ist – von VW mal abgesehen – eigentlich ganz gut, wenn es um Feedback geht, hier kann man offen sprechen. Das ist nicht selbstverständlich.

Wichtig ist aber auch der Umgang mit Erfolg: Was passiert, wenn jemand etwas richtig gut gelungen ist? Wird er gelobt und erhält Anerkennung? Anerkennung nährt Mut. Zu mir hat einmal jemand gesagt: »Bei uns einen guten Job zu machen ist wie in einen dunklen Anzug zu pinkeln: Es gibt dir ein warmes Gefühl, aber keiner merkt's.«

SPIEGEL: Was für Methoden empfehlen Sie?

De Vries: Das 360-Grad-Feedback ist sehr gut. Hier bekommt man Feedback von den unterschiedlichsten Leuten, auch von denen weit unter einem. Das öffnet die Augen, geht aber nicht überall.

Ich hatte mal für den CEO einer russischen Stahlfabrik eine Onlinemitarbeiterbefragung für sein 360-Grad-Feedback aufgesetzt. Er erhielt maximale Punktwerte in allen Bereichen. Ich ging zu unserer IT-Abteilung, weil ich einen Computerfehler vermutete. Doch das Gegenteil war der Fall: Der CEO hatte alle Online-Feedbackbögen ausgedruckt, mit den jeweiligen Namen der Mitarbeiter versehen und jedem persönlich vorbeigebracht. Was ich damit sagen will: 360-Grad-Feedback braucht eine gewisse Kultur, es klappt nicht, wenn die Befragten Angst haben.

SPIEGEL: Sie haben in vielen Fallstudien den Unternehmer Richard Branson  analysiert. Ist er ein Vorbild für Mut?

De Vries: Branson wirkt sehr innovativ, aber er ist kein Innovator, sondern ein Fast Follower, jemand, der neue Ideen rasend schnell adaptiert und umsetzt. Er lässt andere Leute mit dem Kopf gegen die Wand rennen, und wenn sie etwas Kluges erfunden haben und der Markt dafür bereit ist, adaptiert er es. Richard Branson ist übrigens auch ein gutes Beispiel für das Autoritätsproblem, über das wir eingangs sprachen. Es motiviert viele Menschen, zum Gründer zu werden, weil sie ihr eigener Chef sein wollen. Branson brach die Highschool ab, weil er gegen seine Lehrer rebellierte und ständig Ärger bekam.

SPIEGEL: Wo verläuft die Grenze zwischen visionärer Genialität und destruktivem Übermut?

De Vries: Das ist eine Frage der Persönlichkeit. Es gib viele Führungskräfte genau an dieser Grenze, oft haben sie eine psychische Störung. Über Narzissten sprachen wir ja schon, bei vielen sind aber auch bipolare Störungen ein Thema: Winston Churchill war bipolar, oder Mussolini – man hat in der Öffentlichkeit nur nie den depressiven Part gesehen. Diese Personen kennen oft keine Grenze, werden übermütig.

Deshalb ist in Organisationen aller Art Kontrolle durch Aufsichtsräte so wichtig. Doch ich muss leider feststellen, dass viele Aufsichtsgremien Mut vermissen lassen. Oft sind Aufsichtsrat und Managementebene sogar vermischt wie in den USA in den sogenannten Boards – die Rollen von Chairman und CEO zu verbinden ist lächerlich.

SPIEGEL: Wer mutig sein will, muss unabhängig sein.

De Vries: Er muss unabhängig sein und seine Position sicher. Am Ende ist das Mutthema ein Sicherheitsthema: Fühlen sich Ihre Mitarbeiter sicher, wenn sie Kritik vorbringen? Oder arbeiten sie in einer Organisation unter starkem Druck, voller Angst vor Konsequenzen? Werden sie bestraft für ihren Mut?

In vielen Organisationen fühlen sich Manager nicht sicher. Und wo eine psychologische Sicherheit nicht gewährleistet ist, fehlt es auch an Mut. Und wir reden hier oft von Menschen im mittleren Alter – die müssen ihr Haus abzahlen, Kinder durchfüttern, da hält man lieber den Mund und läuft mit.

SPIEGEL: Klingt jetzt so, als könnte Mut auch ganz schön nach hinten losgehen.

De Vries: Zwischen Mut und Dummheit verläuft ein sehr schmaler Grat. Schauen Sie sich Theresa May an und den Brexit – war ihr Verhalten mutig? Oder dumm? Hatte sie die Wahl? Wir werden es erst in ein paar Jahren sagen können.

SPIEGEL: Dann blicken wir doch ein paar Jahre zurück – welche Manager und Entscheidungen finden Sie mutig?

De Vries: (überlegt lange) Da fällt mir jetzt niemand ein.

SPIEGEL: Dann vielleicht historische Persönlichkeiten?

De Vries: Sophie Scholl, das war ernsthaft mutig. Oder Nelson Mandela. Wenn Sie Menschen fragen, wen sie für mutig halten, antworten übrigens 95 Prozent: Nelson Mandela.

SPIEGEL: Waren Sie selbst auch einmal feige?

De Vries: Ja. Ich gebe seit Jahren Workshops für Top-CEOs. Da sind extrem mächtige Menschen beisammen, und meistens sind es Männer. Vor einigen Jahren kamen wir am ersten Tag zusammen, und einer dieser Alphamänner machte einen unfassbar sexistischen Witz über die Organisatorin des Seminars. Er war wirklich extrem unpassend. Und ich habe nichts gesagt, denn ich wusste: Wenn ich jetzt etwas sage, fliegt mir das Seminar um die Ohren. Also habe ich geschwiegen und am Ende des Kurses gesagt, dass das nicht die Art ist, wie man über Frauen spricht.

Ich hatte rationalisiert und dachte mir: Wenn ich schweige und er bleibt, habe ich zwei Tage, um einen besseren Menschen aus ihm zu machen. Wenn ich ihn zurechtweise, geht er gleich und ich verliere meinen Einfluss auf ihn. Vielleicht habe ich mir da aber auch nur in die eigene Tasche gelogen. Rückblickend muss ich sagen: Das war feige.

© HBM 2020

Das Interview erschien im Spezial 2020 des Harvard Business managers