Wenige Werke haben die Menschheitsgeschichte so sehr geprägt wie die Bibel. Sie ist eine der am weitesten verbreiteten und am häufigsten publizierten Schriften der Welt. Für zwei Weltreligionen und mehr als zwei Milliarden Juden und Christen ist sie die Grundlage des Glaubens. Auch der Islam betrachtet sie als heiligen Text. Die Ausstellung im Papyrusmuseum begibt sich an die Wiege der Bibel und beleuchtet die spannende Geschichte ihrer Überlieferung anhand von einmaligen Originalen aus den wertvollen Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek. Solche Inhalte möglichst ohne Schreibfehler, Auslassungen oder Hinzufügungen zu überliefern, war zu einer Zeit, in der es noch keinen Buchdruck gab und Texte nur durch Abschriften vervielfältigt werden konnten, eine Herausforderung. Das zeigen die ersten Übersetzungen der Hebräischen Bibel ins Griechische, der sogenannten Septuaginta, die ab dem 3. Jh. v. Chr. angefertigt wurden. Sie sind oftmals durchsetzt mit „Hebraismen“, die den Satzbau und Wortgebrauch der hebräischen Textvorlage nachahmen. Die Schau im Papyrusmuseum illustriert dies an zwei Highlights, die zu den weltweit ältesten Textzeugen der Septuaginta gehören: ein Fragment der Bücher Jesaja, das aus dem 3. Jh. stammt, sowie ein Bruchstück der Psalmen aus dem 5. Jh. Durch schlichte Abschreibefehler ebenso wie durch interpretierende Ergänzungen und Bearbeitungen kam es zu einer großen Vielfalt verschiedener Bibeltexte um die Zeitenwende. Erst am Ende des 1. Jh.s entsteht mit der Bildung des Kanons der Hebräischen Bibel auch ein Standardtext, der von einer Gruppe jüdischer Schriftgelehrter, den Masoreten, festgelegt wurde, und noch heute in Judentum und Christentum verwendet wird. Dieser masoretische Text hat sich nur in mittelalterlichen Handschriften erhalten. Die Ausstellung zeigt eine besonders eindrucksvolle Seite einer Hebräischen Bibel aus dem Mittelalter, an deren Rändern sich auch Kommentare mehrerer Schreiber finden. Kostbar und besonders: Das Evangelium des NikodemusDie christliche Bibel enstand ab dem 2. Jh., als zur Hebräischen Bibel die Evangelien, die Apostelgeschichte, die apostolischen Briefe und die Apokalypse als Neues Testament traten. Da sich die neue Religion im Römischen Reich verbreitete, wurden die griechischen Übersetzungen der hebräischen Texte erneut übertragen, diesmal ins Lateinische. In der Ausstellung ist beispielsweise eine um 500 entstandene lateinische Fassung der Sprüche Salomons zu bewundern. Das Besondere: Sie ist als Palimpsest überliefert. Das wertvolle Pergament wurde dreihundert Jahre nach seiner ersten Beschriftung im Kloster Bobbio in Italien „recycled“. Bemerkenswert ist, dass es die Mönche mit Briefen des Kirchenvaters Hieronymus überschrieben, dem Verfasser der Vulgata, der lange Zeit maßgeblichen lateinischen Bibelübersetzung der katholischen Kirche. Doch die ursprüngliche Schrift ist auf dem ausgestellten Blatt noch immer erkennbar. Ebenfalls als Palimpsest zu sehen ist das „Nikodemus-Evangelium“ aus dem 5. Jh. Es war eines der populärsten und einflussreichsten neutestamentlichen Apokryphen, also jener Schriften, die nicht in den Kanon der Bibel aufgenommen wurden. Ähnlich einem modernen Film-Prequel oder -Sequel, das erzählt, was vor, nach oder neben der Haupthandlung geschah, schildert es, wie Jesus zwischen Kreuzigung und Wiederauferstehung in die Hölle hinabsteigt, um den dort Gefangenen zu predigen und Adam in den Himmel zu führen. Die Handschrift der Österreichischen Nationalbibliothek ist das wichtigste und älteste Fragment der lateinischen Übersetzung, die bald nach dem griechischen Original entstand und nur äußerst selten öffentlich zu sehen ist. Austausch der Kulturen: Koranhandschriften und kunstvolle hebräische CodicesWährend die Schriften der Bibel über Jahrhunderte als kollektive Literaturen zusammengetragen wurden, entstand der Koran in relativ kurzer Zeit: Muhammad empfing seine erste Offenbarung im Alter von vierzig Jahren, mit seinem Tod im Jahre 632 wurden die Inhalte des Korans als komplett angesehen. Die Ausstellung präsentiert einige sehr frühe Koranhandschriften, darunter ein Fragment aus dem 8. Jh., das auch die engen Beziehungen von jüdischen, christlichen und islamischen Texten illustriert: So heißt es dort in Sure 10, in Anspielung auf Jesus Christus, dass Gott sich keinen Sohn genommen habe. Der Koran steht aber nicht im Gegensatz zu den Evangelien oder dem Tanach, er betrachtet sich vielmehr als Endpunkt einer Folge von Botschaften Gottes an Propheten, von denen Jesus einer, Muhammad ein anderer war. An etlichen Stellen gibt es Bezugspunkte zu den jüdischen und christlichen Schriften. Juden und Christen werden als Verbündete für den Glauben an einen einzigen Gott gesehen, Motive und Bilder der Bibel werden aufgegriffen oder bezeugen die gemeinsame Gedankenwelt der drei Religionen: So zeigt das Doppelblatt einer arabischen Handschrift aus dem 9.–10. Jh. eine kunstvolle, mehrfarbig illustrierte Darstellung des Paradieses als Garten – eine im gesamten Nahen Osten verbreitete und auch in der Bibel ausgedrückte Vorstellung. Der Austausch der Religionen und ihrer Buchkulturen verlief jedenfalls in beiderlei Richtungen. Die frühesten illuminierten hebräischen Bücher wurden im 10. Jh. im Mittleren Osten hergestellt, in einem lebhaften Dialog mit der sich gleichzeitig entwickelnden Tradition islamischer Koranhandschriften – eine kunstvolle Verwandtschaft, die sich auch in hebräischen Bibeln des mittelalterlichen Europa wiederfindet. Ein Beispiel für die an islamischer Ornamentik geschulte Kunstfertigkeit jüdischer Buchillustration ist ein Codex aus dem Jahr 1299, in dem hebräische Buchstaben zu einem schreitenden Löwen – ein Symbol der Herrschaft Judäas – angeordnet sind. Höhepunkte heiliger Schriften aus Antike und Mittelalter: |