Wenn ich gehe dann gehe ich

Eines Tages besuchte eine Gruppe von Geschäftsleuten einen weisen Gelehrten, um von ihm das Geheimnis der Zufriedenheit zu erlernen. „Herr“, fragten sie, „was tust du, um so glücklich und zufrieden zu sein? Wir arbeiten Tag und Nacht, haben eine Familie daheim und verdienen viel Geld, aber wir sind einfach nicht glücklich.“

Der Lehrmeister antwortete mit bedachtsamen Worten: „Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich schlafe, dann schlafe ich.“

Wenn ich gehe dann gehe ich
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Die Geschäftsleute schauten sich verwundert an und wurden ungeduldig. „Aber wir machen doch dasselbe wie du, wir gehen, essen und schlafen. Also was ist nun dein sagenumwobenes Geheimnis?“

Der Lehrmeister gab wieder als Antwort zurück: „Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich. Wenn ich schlafe, dann schlafe ich.“

Nach einem kurzen Augenblick fügte der Gelehrte hinzu: „Sicher geht ihr auch, esst und schlaft so wie jeder andere Mensch auch. Aber während ihr geht, fragt ihr euch schon was ihr essen werdet. Während ihr esst, lenkt euch schon das Radio oder der Fernseher ab und wenn ihr schlafen geht, denkt ihr schon an die Herausforderungen des nächsten Tages. So sind eure Gedanken immer woanders und nicht da, wo sie eigentlich sein sollten, nämlich im Hier und Jetzt. Das Leben findet nicht in der Vergangenheit und auch nicht in der Zukunft statt. Lasst euch auf diesen Augenblick ein und ihr habt die große Chance, wirklich glücklich und zufrieden zu sein.“

Ein Schü­ler frag­te ein­mal sei­nen Meis­ter, war­um die­ser immer so ruhig und gelas­sen sein könne.

Der Meis­ter antwortete:

Wenn ich sit­ze, dann sit­ze ich. Wenn ich ste­he, dann ste­he ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich.”

Der Schü­ler fiel dem Meis­ter in Wort und sagte:

Aber das tue ich auch! Was machst Du dar­über hinaus?”

Der Meis­ter blieb ganz ruhig und wie­der­hol­te wie zuvor:

Wenn ich sit­ze, dann sit­ze ich. Wenn ich ste­he, dann ste­he ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich…”

Wie­der sag­te der Schü­ler: “Aber das tue ich doch auch!”

Nein”, sag­te da der Meis­ter. “Wenn Du sitzt,
dann stehst Du schon.
Wenn Du stehst, dann gehst Du schon.
Wenn Du gehst, dann bist Du schon am Ziel.”
Aus dem Zen-Buddhismus

Wie jede Ten­denz führt auch die­se Zeit­ver­dich­tung (Zeit­ver­nich­tung?) zu Gegen­ten­den­zen. Die stei­gen­de Popu­la­ri­tät jahr­tau­sen­de­al­ter Acht­sam­keits­prak­ti­ken kann man auch als sol­che Gegen­ten­denz ver­ste­hen. Cha­de-Meng Tan initi­ier­te bei Goog­le bereits 2007 das Acht­sam­keits-Pro­gramm Search Insi­de Yourself (Ama­zon Affi­lia­te-Link), das dort schnell zum belieb­tes­ten Trai­nings­pro­gramm avan­cier­te. Auch vie­le deut­sche Fir­men haben die Kraft der Acht­sam­keit erkannt, bei­spiels­wei­se SAP. Die obi­ge Geschich­te aus dem Zen-Bud­dhis­mus zeigt jeden­falls, dass acht­sa­me Prä­senz wohl schon immer eine Her­aus­for­de­rung für Men­schen war. Durch viel­fäl­ti­ge tech­ni­sche Hilfs­mit­tel haben wir in den letz­ten Jahr­zehn­ten die in jedem ein­zel­nen Moment zur Ver­fü­gung ste­hen­den Hand­lungs­op­tio­nen dras­tisch erhöht. Und anstatt uns bewusst für eine Opti­on zu ent­schei­den und acht­sam bei­spiels­wei­se eine E‑Mail zu beant­wor­ten, fin­den wir uns in einer has­tig anbe­raum­ten und daher unspe­zi­fi­schen Bespre­chung ohne Agen­da mit viel zu vie­len nur peri­pher tan­gier­ten Teil­neh­mern, hören mit einem Ohr zu, wäh­rend wir (end­lich) has­tig unse­re E‑Mails abar­bei­ten, selbst­ver­ständ­lich unter­bro­chen von Whats­App, Twit­ter, Face­book und Co. oder einem wich­ti­gen Anruf.

Alles über 85 Pro­zent Aus­las­tung führt zu Cha­os bis hin zu Kata­stro­phen. Denn eine solch hohe Aus­las­tung erzeugt durch Ärger und Prio­ri­tä­ten­än­de­run­gen wegen war­ten­der Not­fäl­le neue Arbeit, sodass die Aus­las­tung über 100 Pro­zent steigt und das Sys­tem zusam­men­bre­chen lässt.Gun­ter Dueck

In sei­nem sehens- und hörens­wer­ten Vor­trag auf der Agi­le­By­Ex­amp­le Kon­fe­renz 2016 (s.u. bzw. in dem Blog-Post dazu) erzählt Hen­rik Kni­berg aus sei­ner sehr per­sön­li­chen Erfah­rung, war­um Mul­ti­tas­king das Pro­blem und nicht die Lösung ist, wie er den Wert von Fokus­sie­rung schmerz­haft wie­der ler­nen muss­te und was er seit­her tut, um im opti­ma­len Fluss zu arbei­ten. Was Gun­ter Dueck in sei­nem Buch Schwarm­dumm (Ama­zon Affi­lia­te-Link) mathe­ma­tisch aus der War­te­schlan­gen­theo­rie her­lei­tet, zeigt Hen­rik plas­tisch mit Hil­fe zwei­er sei­ner Kin­der und eini­gen Zuschau­ern: Die opti­ma­le Aus­las­tung im Sin­ne des opti­ma­len Durch­sat­zes liegt deut­lich  unter 100%. Las­tet man Sys­te­me über die­se Schwel­le hin­aus aus, pas­siert das, was Gun­ter Dueck oben beschreibt und was wir bei­na­he täg­lich im Stra­ßen­ver­kehr erle­ben: Ver­kehrs­cha­os und Staus, also sub­op­ti­ma­ler Durch­satz auf­grund zu hoher Aus­las­tung (muri heißt das dann im Toyo­ta Pro­duc­tion Sys­tem). Hen­rik bringt die­se Erkennt­nis auf die ein­fa­che For­mel: Fokus braucht Frei­raum. Für sich selbst setzt er das um, indem er sich seit Jah­ren pro Woche zwei Tage frei hält von Kun­den­ter­mi­nen. Obwohl er damit als Selb­stän­di­ger theo­re­tisch 40% Ein­kom­mens­ein­bu­ßen ris­kiert, wur­de er  tat­säch­lich pro­duk­ti­ver und erfolg­rei­cher, weil er durch die­se Restrik­ti­on viel stär­ker prio­ri­sie­ren und sich für die ihm wich­ti­gen und rich­ti­gen Optio­nen ent­schei­den musste.

Weni­ger ist mehr. Stop star­ting, start finis­hing. Wir müs­sen auf­hö­ren, Beschäf­tigt­sein mit Pro­duk­ti­vi­tät zu ver­wech­seln. Und wie­der ler­nen, Nein zu sagen. Ver­knap­pung der eige­nen Zeit wie Hen­rik Kni­berg das macht ist dafür ein  pro­ba­tes Mit­tel. Genau­so wie Acht­sam­keit, um die rele­van­ten Optio­nen dann auch voll aus­zu­schöp­fen – oder ein­fach nur Mensch zu sein …