Wenn keine chemo mehr hilft

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Erstellt: 08.01.2018Aktualisiert: 05.01.2019, 01:13 Uhr

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Wenn keine chemo mehr hilft

Das Verabreichen mit Zellgiften, sogenannten Zytostatika, ist nach wie vor eine wichtige Säule der Krebsbehandlung. © Getty

Eine Chemotherapie ist zwar nach wie vor die wichtigste Behandlung gegen Krebs, doch hilft sie nicht allen Patienten. Berliner Forscher untersuchen nun, welche Rolle das akute Auslösen der Zellalterung spielt.

Trotz aller Fortschritte bei der Immuntherapie: Die Chemotherapie ist nach wie vor eine der wichtigsten „Waffen“ gegen Krebs und wird wohl auf lange Zeit unverzichtbar bleiben. Doch bei einigen Patienten bleibt oder wird diese Waffe stumpf: Ihr Tumor reagiert nicht auf die Medikamente und wächst unter Umständen nach der Behandlung noch aggressiver als zuvor. Ob ein Krebs auf die Zellgifte ansprechen wird oder ob man einem Patienten die strapaziöse Behandlung besser erspart, weil sie nichts bringen oder das Gegenteil bewirkt – das lässt sich bis heute leider oft nicht vorhersagen. Wissenschaftler der Charité-Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin haben sich mit diesen Prozessen – den „Schattenseiten der medikamentösen Therapie von Krebserkrankungen“, wie sie es formulieren – beschäftigt. Im Fokus stand die Frage, was mit Tumorzellen passiert, wenn gezielt und akut ein Zellalterungsprogramm in Gang gesetzt wird – und welche Rolle dabei das Stammzellprogramm der Zellen spielt. Die Ergebnisse ihrer Studie haben die Forscher um Clemens A. Schmitt, stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie und Direktor des Krebsforschungszentrums der Charité, in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.

Tumorzellen können noch aggressiver werden

Der programmierte Zelltod und die akute Auslösung eines Zellalterungsprogramms sind Selbstschutzmaßnahmen unseres Körpers. Wenn eine Zelle sich genetisch verändert und das nicht mehr zu reparieren ist, so können diese Mechanismen eingreifen und in vielen Fällen die Gefahr bannen. Beim programmierten Zelltod – der Apoptose – geschieht das, indem die Selbstzerstörung der Zelle veranlasst wird. Dazu steht ein Arsenal an Instrumentarien zur Verfügung: Die Zelle schrumpft auf einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Größe, die DNA zerbricht in Stücke, Strukturproteine werden gespalten. Die Zelle zerfällt schließlich in kleine Teile, Fresszellen erledigen den Rest. Das hört sich dramatisch an, ist tatsächlich aber Routine. Täglich sterben auf diese Weise bei einem Erwachsenen viele Milliarden Körperzellen ab – und genauso viele werden neu gebildet. Bleibt die Selbstzerstörung jedoch trotz bedrohlicher Veränderungen aus, so setzen sich die bösartigen Prozesse ungehindert fort – der Krebs kann sich manifestieren und ausbreiten. Zur akuten Auslösung des Zellalterungsprogramms – Seneszenz genannt – kann es ebenfalls kommen, wenn Zellen an sich selbst verdächtige Schäden festgestellt haben. Fortan teilen sie sich nicht mehr, geben außerdem Botenstoffe ab, die das Immunsystem auf diese Stelle aufmerksam machen. Auch äußere Einflüsse wie die bei einer Chemotherapie eingesetzten Zellgifte können diese Prozesse auslösen. Bereits vor einigen Jahren hatten die Berliner Wissenschaftler festgestellt, dass gerade bei Tumorzellen, wo die Apoptose nicht richtig funktioniert, das gezielte Auslösen der Zellalterung ein wichtiger Effekt ist, um das weitere Krebswachstum zu behindern. Bei ihren aktuellen Forschungen beobachteten sie nun, dass die in ihrem Wachstum blockierten Tumorzellen jedoch eine massive epigenetische Reprogrammierung durchlaufen, wenn sie in den Zustand der Seneszenz eintreten. Epigenetische Veränderungen spielen sich nicht innerhalb der in der DNA gespeicherten Erbinformation ab, sondern eine Ebene darüber: Sie bewirken, dass verschiedene Gene stärker abgelesen oder stillgelegt werden. Das kann erhebliche Folgen haben – ohne dass die eigentliche Erbinformation angetastet würde.

Bei den Prozessen, die die Forscher nach der gezielt herbeigeführten Zellalterung beobachteten, kam es zu einer Neu-Kodierung von verschiedenen „Arbeitsprogrammen“ der Zelle, berichtet Clemens Schmitt. Dazu gehört auch das Anschalten eines Stammzell-Programms, das Fachleute als „Tumor-Stemness“ – Tumorstammigkeit – bezeichnen. Es beschreibt eine besonders bedrohliche Fähigkeit bösartiger Zellen, das Tumorwachstum anzutreiben oder sogar neu zu starten, wie es etwa geschieht, wenn Metastasen entstehen. Die Krebsforscher fanden im nächsten Schritt heraus, dass sich jene Tumorzellen, bei denen die Zellalterung ausgelöst wurde, „viel aggressiver“ verhielten als die gleichen Tumorzellen, die nie in diesen Zustand der Seneszenz eingetreten waren, wie Clemens Schmitt erläutert. Untersuchungen an Tumormodellen in lebenden Organismen bestätigten die beobachteten Befunde aus Zellkulturen. Außerdem verglichen die Forscher Tumorproben von Patienten mit Lymphdrüsenkrebs vor dem Beginn der Therapie mit Proben derselben Patienten nach einem Rückfall. Das Resultat lege nahe, dass Zellen, die sich vormals im Zustand einer durch die Chemotherapie auslösten Zellalterung befanden, „zum besonders aggressiven Tumorwachstum im Therapieversagen beitragen“, erläutert Schmitt. „Diese Ergebnisse sind klinisch sehr wichtig, da sie uns Einblick in das geschickte Verhalten der Tumorzellen geben, sich gegen eigentlich sehr wirksame Krebsbehandlungen durchzusetzen“, sagt der Berliner Mediziner. „Glücklicherweise“ habe man in der Forschungsarbeit aber auch „genetische und medikamentöse Strategien“ vorlegen können, um die neu erworbene Fähigkeit der Tumorzellen, das Wachstum anzutreiben oder neu zu starten, „direkt anzugreifen und zu neutralisieren“. In Folge-Experimenten und einer derzeit geplanten klinischen Studie wollen die Wissenschaftler dem Phänomen der durch Seneszenz hervorgerufenen Stammzell-Reprogrammierung bei Patienten mit Lymphom weiter nachgehen. Sie hoffen, dabei einem „gezielten Therapieansatz“ gegen diese fatale Eigenschaft von Tumoren näherzukommen.

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