Wie fußball-weltmeister bei der gesetzlichen unfallversicherung abkassieren

Wie Fußballweltmeister bei der gesetzlichen Unfallversicherung abkassieren
Spezialagenturen haben Wege gefunden, Profikickern hohe Summen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zuzuschanzen. Das Geld erwirtschaften auch Niedriglöhner wie Reinigungskräfte oder Wachleute.

Marcell Jansen ist ein Tausendsassa. Mit dem FC Bayern München gewann der Linksverteidiger die deutsche Meisterschaft und den DFB-Pokal. Als Nationalspieler nahm er an Welt- und Europameisterschaften teil. Jetzt ist er Funktionär und Erfinder.

Als Präsident des Hamburger SV versucht er, den Klub zurück in die erste Bundesliga zu führen. Er ist an Sanitätshäusern beteiligt, investiert in Start-ups. Gerade hat er eine Intimdeocreme für Männer herausgebracht und bewirbt sie selbst im Internet. »Gerade im Intimbereich sollten wir Verantwortung für unseren Körper übernehmen«, sagt er in dem Werbespot.

Sogar auf dem Spielfeld kann der Präsident noch mithalten. Wenn ihm seine vielen Aufgaben Zeit lassen, kickt der 35-Jährige in der dritten Mannschaft des HSV, die in der Oberliga spielt.

Der sportliche Einsatz ist erstaunlich, denn zumindest auf dem Papier scheint es um Jansens Gesundheit nicht gut bestellt zu sein. Jedenfalls hat der HSV-Boss nach SPIEGEL-Informationen vor Kurzem bei der gesetzlichen Unfallversicherung eine Verletztenrente beantragt und genehmigt bekommen. Eine solche Unterstützung erhalten Arbeitnehmer, deren Erwerbsfähigkeit durch einen Arbeitsunfall auf Dauer stark eingeschränkt ist.

Jansens Unfall ist lange her. Vor acht Jahren, damals in Diensten der Erstligamannschaft des HSV, verletzte er sich an der rechten Schulter. Nun soll ein Hamburger Orthopäde bestätigt haben, dass ihn das Malheur bis heute belastet.

Dabei ist die rechte Schulter wohl nicht der einzige Körperteil, der während der Profikarriere eine dauerhafte Schädigung davongetragen hat – wofür die Sozialkasse zahlt. Drei weitere Unfälle, die sich 2006, 2007 und 2014 ereigneten, begründen ebenfalls Ansprüche auf Entschädigung. Zusammen summieren sie sich zu einer Minderung seiner Erwerbsfähigkeit, der sogenannten MdE, um 50 Prozent. Mit so viel rechnet die gesetzliche Versicherung gewöhnlich bei Verletzten nach der Amputation eines Beins.

Der geschäftstüchtige Fußballer Jansen ist kein Einzelfall. Etliche Spitzensportler lassen sich ihr Karriereende von der Sozialversicherung vergolden. Die Entschädigungszahlungen sind attraktiv – selbst für diejenigen, die während ihrer Karriere Millionen verdient haben und nun als Manager, Trainer oder Fernsehexperten arbeiten. Denn das Geld ist steuerfrei, und es wird nicht auf das übrige Einkommen angerechnet, wie es bei anderen Sozialleistungen der Fall ist.

2,7 Verletzungen erlitt im Durchschnitt ein eingesetzter Fußballspieler der ersten beiden Bundesligen.
In der Saison 2018/19; Quelle: VBG-Sportreport 2020

Die Betroffenen erhalten eine lebenslange Rente von bis zu mehreren Tausend Euro im Monat. Oder sie lassen sich ihre Ansprüche auf einen Schlag auszahlen. Allein für eine Schulterverletzung, wie Jansen sie erlitten hat, können 300.000 Euro fällig werden.

Die Profis nutzen offensichtlich eine Lücke in den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs aus. Denn längst nicht jeder dieser Rentenempfänger benötigt Unterstützung. Im Sport aber hat sich in den vergangenen Jahren fernab der Öffentlichkeit eine neue Disziplin entwickelt: die schamlose Ausbeutung der Sozialkassen.

Spezielle Beratungsagenturen nutzen diese Unwucht im Sozialsystem, um für die Sportler, aber auch für sich selbst Kasse zu machen. Während es für normale Arbeitnehmer oftmals aussichtslos erscheint, Ansprüche gegen Berufsgenossenschaften durchzusetzen, erfreuen sich die Profisportler der Unterstützung erfahrener Juristen und Mediziner. Und schaffen es auf diese Weise, selbst Entschädigungen für Unfälle durchzusetzen, die Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen.

Über den Geldsegen reden will kaum einer der Profiteure. Gesundheitsdaten gelten als vertraulich. Auch Jansen lehnt eine Stellungnahme gegenüber dem SPIEGEL ab. Sein Anwalt schreibt, die Daten seien »durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt«, Jansen stimme einer »unautorisierten Weitergabe« nicht zu.

Desto lauter beschweren sich hingegen die Sportvereine, die als Arbeitgeber die Versicherungsbeiträge zahlen müssen. Denn die steigen seit Jahren. Dabei reichen die Einnahmen der für die Sportvereine zuständigen Berufsgenossenschaft längst nicht aus, um die Kosten zu decken. So müssen andere Branchen die Lücke schließen. Die Millionen für die Profisportler erwirtschaften auch Niedriglöhner wie Wachmänner und Reinigungskräfte.

Kranke Weltmeister
Die gesetzliche Unfallversicherung gilt als eine der größten Errungenschaften des deutschen Sozialversicherungssystems. Sie ist 136 Jahre alt und entstand, als es im Zuge der Industrialisierung zu schlimmen Unfällen in den neuen Fabriken kam. Die Arbeitgeber zahlen die Versicherungsbeiträge allein, anders als bei Kranken- und Rentenversicherung.

Im Jahr 1884 ahnte allerdings niemand, dass irgendwann Menschen ihren Lebensunterhalt auf dem Fußballplatz oder in der Eishockeyhalle verdienen würden. Mit einer Beschäftigung also, in der Unfälle zum Alltag gehören. Bei Wettkämpfen, in denen sie Risiken für die eigene Gesundheit und Verletzungen des Gegners in Kauf nehmen.

Matthäus
Matthäus Foto: Jan Huebner / imago images
Für die Versicherung solch spezieller Arbeitnehmer ist heute die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) zuständig. Mehr als 1,2 Millionen Unternehmen zahlen Beiträge für neun Millionen Versicherte. Traditionell diente sie als Sammelbecken unterschiedlicher Berufssparten. Größter Beitragszahler ist die Zeitarbeitsbranche.

Die Sportler bilden eine kleine Minderheit. Gerade einmal 27.000 Berufssportler führt die VBG in ihren Akten, unter ihnen etwa 17.000 Fußballer und Fußballerinnen. Aber der bezahlte Sport verursacht rund acht Prozent der Gesamtausgaben der VBG für Rehabilitation und Renten. Jährliche 95 Millionen Euro.

Die Ursachen für die hohen Ausgaben liegen laut VBG-Geschäftsführer Bernd Petri auf der Hand: »Ein normaler Arbeitnehmer hat in seinem ganzen Berufsleben vielleicht einen Arbeitsunfall. Die Profisportler durchschnittlich 2,7 pro Jahr.«

Einmal im Jahr veröffentlicht die VBG den Sportreport, einen Bericht, in dem die Unfälle in den höchsten beiden Männerligen im Fußball, Eishockey, Handball und Basketball ausgewertet werden. Das Papier belegt, wie wenig der Profisport in das System der gesetzlichen Unfallversicherung passt. Laut jüngstem Report fallen vier von fünf Fußballern mindestens einmal während der Saison verletzt aus – und die VBG muss dafür die Krankenkosten und womöglich spätere Rentenzahlungen übernehmen.

Wohin das führt, veranschaulichte Petri Mitte November bei einem Besuch im Sportausschuss des Bundestags. Er zeichnete vor den Abgeordneten ein verstörendes Bild der größten deutschen Sporthelden – das fast an die Paralympics erinnert.

Die VBG habe die Kader der Weltmeisterteams von 1974, 1990 und 2014 mit ihrer aktuellen Datenbank abgeglichen, erläuterte der Geschäftsführer. Für die 67 Kicker seien 632 Arbeitsunfälle und fünf Berufskrankheiten registriert. Viele der Stars machten darüber hinaus geltend, dass der Sport ihre Gesundheit so stark beeinträchtigt habe, dass ihre Erwerbsfähigkeit eingeschränkt sei.

Von den Weltmeistern 1990 bekam deshalb die Hälfte eine oder gar mehrere Renten. Das Bild des Teams von 1974: Von 22 Spielern im Kader kassierten 9 Entschädigungen. Und selbst für einen Spieler der WM-Mannschaft von 2014 sei bereits eine Rente genehmigt worden. Häufige Malaisen der Kicker: instabile Gelenke und malade Menisken.

Scholl
Scholl Foto: Sportfoto Zink / DAMA / imago images
Bis heute haben die Weltmeister knapp fünf Millionen Euro an Renten und Abfindungen erhalten. »Wir halten uns an Recht und Gesetz«, sagt Petri, »aber wir erleben eine Diskussion, ob solche Zahlungen für diesen besonderen Personenkreis Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung sein sollten.«

Prächtige Geschäfte
Von dem spendablen Sozialsystem profitieren auch Geschäftsleute wie Ernst Köpf, einst einer der besten deutschen Eishockeyprofis. »Gori«, wie er genannt wird, spielte bei den Kölner Haien, der Düsseldorfer EG, der Nationalmannschaft. 1999 musste er mit gerade einmal 31 Jahren seine Karriere wegen einer Schultereckgelenksprengung beenden. Ein klassischer Fall für eine Verletztenrente.

Doch Köpf merkte, dass die Paragrafen des Sozialversicherungsrechts nicht einfach zu durchdringen sind. Er machte aus der Erkenntnis eine Geschäftsidee und gründete 2007 die Firma Alpha Sports, die seither Sportlern bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche hilft.

Köpf wirbt aggressiv für sein Unternehmen. Jeder Profi, der in Deutschland bei einem Verein spiele, könne sich kostenlos von seiner Firma helfen lassen. Erst wenn tatsächlich eine Entschädigung fließe, werde eine Provision fällig – bis zu einem Viertel der erstrittenen Summe.

Dazu hat er eine raffinierte Firmenkonstruktion gewählt. Alpha Sports berät die Sportler. Ist aber ein Verfahren vor Gericht notwendig, übernimmt das eine Berliner Rechtsanwaltskanzlei. Köpf bezeichnet seine Firma deshalb auch als Prozessfinanzierer. Der Kniff erlaubt Alpha Sports, offensiver um Kunden zu werben, als dies Anwälten erlaubt ist.

Die Geschäfte scheinen prächtig zu laufen. Köpf residiert in repräsentativer Lage am Berliner Kurfürstendamm. In den Büros pflegt er eine spezielle Galerie, eine Sammlung von Sporttrikots, signiert vom Who's who des deutschen Profisports. Mit dem SPIEGEL sprechen möchte er nicht, immerhin beantwortet er Fragen schriftlich. Er behauptet, schon mehr als 10.000 Sportlerinnen und Sportler unterstützt zu haben. Und die Nachfrage steige. »Vielen Sportlern, gerade aus dem Ausland, ist nicht bewusst, dass sie in ihrer aktiven Laufbahn eine versicherte Tätigkeit ausüben«, schreibt Köpf.

In drei Viertel der Fälle erziele er ein »positives Ergebnis«, behauptet Köpf. Jährlich würde er mehr als 20 Millionen Euro für seine Klienten erstreiten – mehr als ein Fünftel der gesamten Leistung der VBG für den bezahlten Sport.

Nowotny
Nowotny Foto: Sportfoto Rudel / imago images
Der Erfolg verwundert nicht. Im Vergleich zu einer privaten Versicherung bietet die gesetzliche Regelung traumhafte Bedingungen. Niemand wird wegen einer Vorerkrankung ausgeschlossen. So ist später schwer zu beurteilen, welche Verletzung einen Dauerschaden verursacht hat.

Sogar Hobbyspieler sind bestens geschützt. Auch wer nur abends und am Wochenende kickt, dafür aber mindestens 250 Euro im Monat bekommt, ist versichert. Jeder zweitklassige Eishockeyspieler oder fünftklassige Fußballer bekommt folglich kostenlosen Versicherungsschutz.

Hat er einen Unfall, werden zur Berechnung der Entschädigung nicht nur die Einkünfte aus dem Fußball berücksichtigt, sondern auch die aus seinem Hauptjob. Das Beste aber für Köpf und seine Leute: Die Ansprüche verjähren nicht, sie können noch nach Jahrzehnten geltend gemacht werden.

Die Firma werte angeblich alte Sportmagazine wie den »Kicker« aus, um dort ehemalige oder ausländische Spieler aufzuspüren und denen ihre Dienste anzubieten, heißt es unter Sportlern.

Alpha Sports hat jede Menge zufriedene Kunden – auch wenn kaum jemand öffentlich darüber sprechen mag. Immerhin gratuliert das Unternehmen seinen »Alpha Sportslern« im Internet, etwa den ehemaligen Fußballgrößen Mehmet Scholl, Lars Ricken, Jens Nowotny – und vor allem »einem der größten Alpha Sportsler aller Zeiten«, Lothar Matthäus – danach zu urteilen ein besonders guter Kunde.

Auf Facebook danken Handballer, Eishockeyspieler und Fußballprofis für die Hilfe. »Lasst euch das Ende eures Leistungssport-Daseins etwas versüßen«, rät etwa Rico Glaubitz, einst Zweitligaspieler und heute Berater. Alpha Sports sei die »Vitaminbombe der Betreuung«.

Ein Konkurrent von Köpf ist die »Sportfürsorge«, ein Unternehmen, hinter dem der Rechtsanwalt Olaf Matlach aus Hannover steht. Der Jurist lehnt ein Gespräch mit dem SPIEGEL ab. Auf seiner Homepage rühmt er sich, mit einschlägigen Fachärzten zusammenzuarbeiten und Klienten auch medizinisch zu beraten. Unter der Überschrift »So viel könnte für Dich drin sein« rechnet er vor, dass der Riss eines Kreuzbands 225 120 Euro Entschädigung wert sein könne.

Buck
Buck Foto: Bernhard Kunz
Das prominenteste Gesicht in der Rubrik »Klienten« gehört Handballnationaltorwart Johannes Bitter. Der hat nach SPIEGEL-Informationen sogar das Kunststück vollbracht, eine Verletztenrente zu bekommen, obwohl er noch sehr aktiv ist. Im Januar wird Bitter bei der Weltmeisterschaft in Ägypten zwischen den Pfosten stehen. Der Torwart ist im Vorstand der Spielervereinigung Goal, zu der Matlachs Firma eine Partnerschaft unterhält.

»VBG-Beratung« ist auch das Metier von Andreas (»Turbo«) Buck. Der Fußballer, der in den Neunzigerjahren mit Stuttgart und Kaiserslautern deutscher Meister wurde, betreibt gemeinsam mit dem ehemaligen Fifa-Schiedsrichter Urs Meier die Firma Sportcare, die laut eigenen Angaben rund 500 Sportler betreut. Er bietet Kunden an, schon während der Karriere alle »verletzungsrelevanten Daten und Akten zu sammeln, um dann zu gegebener Zeit bestmöglich vorbereitet die Ansprüche gegen die VBG geltend machen zu können«.

Bereitwillig erzählt Buck, dass ihm selbst nach seiner Karriere überhaupt nicht bewusst gewesen sei, dass er Anspruch auf eine Rente haben könnte. Erst vier Jahre später habe ihn ein Spielerberater auf die Idee gebracht.

Er habe dann bei der VBG eine Liste seiner gemeldeten Unfälle angefordert. 50 seien während seiner Profizeit zusammengekommen. Nichts Großes, kein Kreuzbandriss, kein Knorpelschaden. Trotzdem genug, um am Ende eine Entschädigung zu bekommen. Mittlerweile würden bei Fußballprofis Unfälle akribischer als früher erfasst, berichtet er. Er vertrete etwa einen aktiven Nationalspieler, der 300 Unfälle auf seiner Verletzungsliste habe.

Auch seine Firma wirbt im Internet mit Klienten, die laut Buck nach ihrer Karriere eine Entschädigung bekommen haben. Unter ihnen sind der frühere Bayern-Star Giovane Élber und Guido Buchwald, einer aus dem Weltmeisterteam von 1990.

Buck findet nichts dabei, wenn Fußballmillionäre noch mehrere Hunderttausend Euro aus der Sozialversicherung kassieren. Dafür, sagt er, hätten die Vereine schließlich hohe Versicherungsbeiträge gezahlt.

Jansen
Jansen Foto: Tim Groothuis / Witters
Erdrückende Last
Die gewerblichen Berufsgenossenschaften müssen sich komplett aus ihren Einnahmen finanzieren. Jedes Jahr schickt die VBG deshalb den Unternehmen Rechnungen für die Ausgaben des Vorjahres.

Im April dieses Jahres fuhr vielen Klubchefs allerdings der Schreck in die Glieder. Die VBG wollte nämlich deutlich mehr Geld haben als im Vorjahr. Die Ausgaben seien kräftig gestiegen, hieß es zur Begründung. Zugleich aber fehlten den Vereinen wichtige Einnahmen, weil viele Ligen durch die Pandemie ihren Spielbetrieb vorzeitig abbrechen mussten.

Vertreter von Handball, Basketball, Volleyball und Tischtennis schrieben daraufhin einen Brandbrief an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Die Belastung, klagten sie, schnüre ihnen »die Luft zum Atmen« ab. Er müsse helfen.

Auch die Deutsche Eishockey Liga beschwerte sich. Deren Geschäftsführer, Gernot Tripcke, kann aus dem Effeff vorrechnen, wie die Zahlungen an die Sozialkasse das Geschäftsmodell des Profi-Eishockeys in Deutschland zu ruineren drohen. Der Versicherungsbeitrag für einen Kufenstar mit einem Jahresgehalt von 120.000 Euro brutto sei von gut 20.000 im Jahr 2018 auf nun rund 35.000 Euro gestiegen. Die 14 Erstligaklubs würden zusammen 130 Millionen Euro einnehmen, müssten davon ein Zehntel an die VBG überweisen. Das sei »erdrückend«.

In Absprache mit Handballern und Basketballern legten im Sommer drei Vereine Widerspruch gegen die Beitragsbescheide ein. In einem Musterverfahren wollen sie nun gemeinsam gegen die VBG klagen.

Sie argumentieren unter anderem, die Beitragshöhe sei verfassungswidrig, weil sie in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung unverhältnismäßig stark eingeschränkt würden. Tatsächlich gibt es in Deutschland ein sogenanntes Erdrosselungsverbot für staatliche Gebühren und Steuern. Doch bis die Gerichte darüber entscheiden, dürften Jahre vergehen.

Bitter
Bitter Foto: Wolf Sportfoto / imago images
Ohnehin wirken die Klagen ziemlich scheinheilig. Nicht nur dass Tripcke und die anderen Ligenchefs sich nicht daran stören, dass die Agenturen von Köpf & Co. mit ihrer Arbeit die Beiträge in die Höhe treiben. Vereine wie die Kölner Haie und die Düsseldorfer EG kassieren von Köpf sogar Sponsoringgelder.

Gerade Eishockeyklubs sind auch durch ihre eigene Personalpolitik für die Situation mitverantwortlich. So diene ausgerechnet die fürstliche deutsche Unfallversicherung als Argument, um Altstars aus der nordamerikanischen NHL für einen Wechsel nach Deutschland zu gewinnen, heißt es aus der VBG. Denn die deutsche Absicherung gilt weltweit als einmalig. Und so gibt es Sportler, die sich nach einem kurzen Gastspiel in den hiesigen Eishockeyhallen nun in Kanada über eine Rente aus Germany freuen.

Es sollte also keinen Klub überraschen, dass die Beiträge der Vereine trotz deren Höhe keineswegs ausreichen, die Ausgaben zu decken. 40 Millionen Euro muss die VBG Jahr für Jahr in ihrem Etat umschichten, um die Lücke zu schließen – mit Geld, das andere Berufssparten erwirtschaften, etwa Zeitarbeitsfirmen, die Schlosser und Reinigungskräfte vermitteln.

Die Berechnung des Beitrags ist kompliziert, eine wesentliche Komponente ist das Risiko in den einzelnen Berufssparten. Der aktuelle Gefahrentarif liegt für Bankangestellte bei 0,41 und für Fußballer bei 62,80. Am Ende der Rechnung zahlt deshalb der Sportverein bei gleichem Gehalt einen 150-mal höheren Beitrag für seinen Mitarbeiter als die Bank. Um kostendeckend zu sein, müsste der Tarif für bezahlte Sportlerinnen und Sportler aber bei über 80 liegen. Dann allerdings würde der Versicherungsbeitrag pro Spieler auf mehr als 44.000 Euro klettern.

Die Unterfinanzierung des Sports ist in den Gremien der VBG schon seit Jahren ein Thema. Unter anderem die Zeitarbeitsbranche kritisiert die Subvention des Sports, sie konnte sich bisher aber nicht durchsetzen.

Corona verschärft die Lage nun noch einmal. Durch Kurzarbeit nimmt die VBG weniger ein, muss aber langfristige Lasten wie Renten weiterhin tragen. Das Loch, das der Sport in den Etat reißt, lässt sich so schlechter ausgleichen. »Unsere Branche befindet sich in einer schwierigen Situation«, warnt Martin Dreyer vom Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen. »Ist die VBG der richtige Rahmen für den Sport?«, fragt er. »Die Unfallrisiken sind einfach zu hoch.«

25 Prozent aller Verletzungen im Fußball betrafen den Oberschenkel.
In der Saison 2018/19; Quelle: VBG-Sportreport 2020
Auch im Sport hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Noch höhere Beiträge würden das Geschäftsmodell des deutschen Profisports gefährden. Seit Monaten schon beraten Vertreter der höchsten deutschen Sportligen mit der VBG über eine Lösung.

Dabei gibt es innerhalb des Sports wenig Solidarität. Topligen wie die DEL würden gern die Sportler aus dem System ausschließen, die für ein paar Euro an den Wochenenden spielen und neben dem Sport einem normalen Beruf nachgehen. Der Vorschlag von Eishockeymann Tripcke: Wer unter 20.000 Euro im Jahr mit seinem Sport verdient, wäre nicht mehr gesetzlich versichert und müsste sich privat absichern.

Tatsächlich stehen bei den Feierabendsportlern Beitragseinnahmen und Ausgaben der VBG in einem besonders ungünstigen Verhältnis. Aber wäre deren Rausschmiss sozial? Es bliebe bei der absurden Absicherung für Fußballmillionäre, während ärmere Sportler leer ausgehen.

Der Staat soll zahlen
Der Königsweg für Sportfunktionäre wäre ein voller Versicherungsschutz bei niedrigen Beiträgen. Als Vorbild dient ihnen ausgerechnet eine sterbende Branche: der Bergbau. Weil dort durch immer weniger Beschäftigte die Einnahmen sinken, aber die Rentenlasten vorerst bestehen bleiben, wird dieser Berufzweig über einen Solidaritätsfonds aller Berufsgenossenschaften mitfinanziert. Als Alternative, so die Funktionäre, könnte der Steuerzahler die Renten für die angeblich so maladen Fußballmultimillionäre bezahlen.

Notwendig wären für solche Lösungen aber wohl Gesetzesänderungen. Zuständig ist Arbeitsminister Heil. Seit Wochen schon bemühen sich Vertreter des Sports und der VBG um ein Gespräch mit dem SPD-Politiker.

Dessen Haus aber bremst. »Gespräche über grundsätzlichen Reformbedarf« sollten erst nach Corona geführt werden, teilte Hubertus Heils Staatssekretärin Kerstin Griese den Ligenvertretern mit.

Welche Leistungen werden von der Unfallversicherung getragen?

Leistungen. Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung an Versicherte sind im Wesentlichen medizinische und berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation sowie Lohnersatz- bzw. Entschädigungsleistungen in Geld (Verletzten- und Übergangsgeld, Verletztenrente, Hinterbliebenenrente).

Wer führte die Unfallversicherung ein?

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung ist Teil der Sozialversicherung in Deutschland. Sie wurde im Rahmen des Unfallversicherungsgesetzes unter Otto von Bismarck im Jahr 1884 eingeführt. Ziel der Gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) ist es bis heute, Arbeitnehmer im Beruf abzusichern.