Worin besteht der unterschied zwischen notstand und notwehr

Notwehr und Notstand – Was ist der Unterschied?

Notwehr und Notstand sind zwei Regelungen, die ein an sich strafwürdiges Verhalten von der Strafe befreien, weil der Betroffene unter einer Notlage handelt. Doch worin liegt der Unterschied zwischen diesen beiden Rechtskonstrukten?

Die Notwehr

Die Notwehr (§ 32 StGB) rechtfertigt eine Verteidigungshandlung, die gegen einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff erfolgt. Mehr zu den Voraussetzungen finden Sie hier.

Dabei muss der Angriff und die Verteidigung im rechten Verhältnis zu einander stehen.

Der Angriff muss dabei von einem Menschen ausgehen und die Verteidigung darf sich auch nur gegen diesen richten.

Der Notstand

Wenn der Angriff nicht von einem Menschen, sondern von einer Sache ausgeht, so darf sich auch dagegen im Rahmen des Notstands gewehrt werden (§ 34 StGB). Im Strafrecht fallen auch Tiere unter den Begriff der Sache. Einem tollwütigen Tier muss man sich nicht wehrlos gegenüberstellen.

Dabei gibt es zwei Alternativen: Den Aggressiv- und den Defensivnotstand.

Im Aggressivnotstand wird der Betroffene in die Interessen eines unbeteiligten Dritten eingreifen um sich zu wehren. Klassisches Beispiel ist die Abwehr eines tollwütigen Tieres mit einer Zaunlatte, die aus einem Zaun herausgebrochen wird. Auch wenn dieser Zaun dabei kaputtgeht, ist die damit erfolgte Sachbeschädigung ggf. straffrei, weil sie unter einer Notlage geschah.

Der Dritte unterliegt hier einer Duldungspflicht, wenn der drohende Schaden weit höher ist als der entstehende Schaden. Hier muss der Tierangriff, der ein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit ist, wesentlich schwerer wiegen, als die beschädigte Sache. Es findet also im Gegensatz zum Notwehrrecht eine Güterabwägung statt.

Der Aggressivnotstand ist in § 904 BGB und § 34 StGB geregelt. Im Grunde finden sich hier dieselben Prinzipien wie auch in der Notwehr, jedoch sind wesentlich strengere Anforderungen an die Voraussetzungen zu stellen, da fremdes unbeteiligtes Gut beschädigt wird.

Im Defensivnotstand richtet sich die Verteidigungshandlung direkt gegen den Gegenstand, von dem die Gefahr ausgeht. Die Verteidigungshandlung gegen das tollwütige Tier fällt darunter.

Fazit

Wenn Sie in einer schwierigen Situation strafrechtlich relevant gehandelt haben und nun mit einer Anzeige konfrontiert wurden, dann zögern Sie nicht, sich anwaltlichen Beistand zu suchen. Ich stehe Ihnen mit meiner langjährigen Erfahrung gerne bei.

Weitere Informationen

Als Rechtsanwalt für Kapitalverbrechen verteidige ich in allen Verfahren, in denen es um den Vorwurf eines Tötungsdelikts geht. Dazu zählt Mord, Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung. 

Grundsatz

Es gibt Situationen, bei denen Personen gezwungen sind, strafbare Handlungen zu vollzuziehen um sich oder andere Personen vor Dritten oder Gefahren zu schützen. In diesen Fällen wird von Notwehr und Notstand gesprochen. Liegt ein Fall von Notwehr oder Notstand vor, so bleibt die Tat entschuldbar und damit straffrei. 

Wird bei der Notwehr die Verhältnismässigkeit jedoch nicht mehr gewahrt, so spricht man von Notwehrexzess. Beim Notstand wird zudem zwischen rechtfertigendem Notstand und entschuldbarem Notstand unterschieden. 

Notwehr

Definition

Wird jemand ohne Recht von einem Angreifer angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren. (Art. 15 StGB)

Merkmale

  • Angriff auf eine Person
  • Rechtswidrigkeit des Angriffs
  • Verhältnismässigkeit der Abwehr

Beispiel

Herr X. wird überfallen und schlägt im Reflex den Angreifer ausser Gefecht. Dies wird je nach Fall als einfache Körperverletzung (Art. 123 StGB) oder Tätlichkeit (Art. 126 StGB) als strafbare Tat angesehen. Da die Tat jedoch begangen wurde, um sich selber zu schützen, bleibt die Tat entschuldbar und somit straffrei. 

Notwehrexzess

Definition

Der sogenannte Notwehrexzess ist Notwehr, bei der die Verhältnismässigkeit nicht gewahrt wurde.

Grundsatz

Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr, so mildert das Gericht die Strafe. (Art. 16 StGB)

Entschuldbarkeit

Überschreitet der Abwehrende die Grenzen der Notwehr in entschuldbarer Aufregung oder Bestürzung über den Angriff, so handelt er nicht schuldhaft. (Art. 16 StGB)

Beispiel

Herr X. wird überfallen und nimmt im Reflex dem Angreifer die Waffe aus der Hand und schiesst diesem ins Bein. Dies wird je nach Fall als einfache Körperverletzung (Art. 123 StGB) oder schwere Körperverletzung (Art. 124 StGB) als strafbare Tat angesehen. Da die Tat jedoch begangen wurde, um sich selber zu schützen, bleibt die Tat grundsätzlich entschuldbar. Da die Grenzen der Notwehr (Notwehrexzess) jedoch überschritten wurden, mildert das Gericht die Strafe. 

Rechtfertigender Notstand

Definition

Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um ein eigenes Rechtsgut oder das Rechtsgut einer anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten, handelt rechtmässig, wenn er dadurch höherwertige Interessen wahrt. (Art. 17 StG)

Das „Opfer“ des rechtfertigenden Notstands hat keine abwehrenden Notwehrrechte und muss die Handlung dulden.

Merkmale

  • Begehung einer strafbaren Tat
  • Rettung eines hochwertigen Rechtsguts
  • Abwendung einer unmittelbaren Gefahr
  • Wahrung höherwertigen Interessen

Beispiel

Frau Y. schlägt das Fenster im Parterre des brennenden Nachbarhauses ein um das sich dort befindende Kind zu retten. Frau Y. hat in das Rechtsgut Eigentum des Nachbars eingegriffen um das höherwertige Rechtsgut Leben zu retten. Die Handlung ist somit straffrei. 

Entschuldbarer Notstand

Definition

Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.

War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. (Art. 18 StGB)

Merkmale

  • Begehung einer strafbaren Tat
  • Das gerettete Rechtsgut ist nicht höherwertig als das aufgegebene Rechtsgut
  • Abwendung einer unmittelbaren Gefahr

Beispiel

Nach einem Schiffsunglück kämpfen zwei Schiffbrüchige um den einzigen Platz auf dem Rettungsboot. Sie kämpfen um ihr Leben (Rechtsgut) und der Schwächere wird ins Wasser geworfen und ertrinkt. Dem Überlenden war nicht zuzumuten, sein Leben preiszugeben, weshalb er nicht schuldhaft handelte.

Unterschiede im Notstand

Der Notstand kann entweder ein rechtfertigender Notstand oder ein entschuldbarer Notstand sein. Beim entschuldigenden Notstand liegen keine überwiegenden Interessen vor.

Zusammenfassung

Ist man gezwungen sind, strafbare Handlungen zu vollzuziehen, um sich oder andere Personen vor Dritten oder Gefahren zu schützen, so spricht man von Notwehr oder Notstand. Der sogenannte Notwehrexzess ist Notwehr, bei der die Verhältnismässigkeit nicht gewahrt wurde. Beim Notstand wird zudem zwischen rechtfertigendem Notstand und entschuldbarem Notstand unterschieden.

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Unser Autor

Worin besteht der unterschied zwischen notstand und notwehr

David Schneeberger

Dr. iur., Rechtsanwalt, M.A. HSG in Law & Economics

Leiter Stab am Bundesverwaltungsgericht

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Kommentare

  1. Ch. Gerber 20. Februar 2016 at 22:54

    Danke für diese Beispiele.
    Ich selbst hatte eine Situation erlebt, welche ziemlich extrem war und nachdem ich mich mit der Polizei und meinem Anwalt darüber unterhalten hatte, war ich schockiert!!!
    Kurz was passierte:
    Auf einer Autobahn Ausfahrt wurde ich grundlos massiv ausgebremst, sofort stiegen mehrere Personen aus und versuchten die Verschlossenen Türen des Fahrzeuges zu öffnen. Ich hatte das Fenster auf der Fahrerseite offen und der eine packte mich am Hals und schrie irgendetwas…
    Ich hatte derart Angst das ich das Fahrzeug etwas zurücksetzte und dann mit Vollgas neben dem anderen Fahrzeug durchfuhr, der eine musste vor meinem Auto wegspringen. Ich bin unter angst davon gefahren. Ich hielt auf einem Parkplatz an und verständigte den Notruf (Polizei). Diese rieten mir, mich zu beruhigen und auf einem Posten zu kommen und Anzeige zu erstatten. Ich informierte meine Rechtsschutz (Anwalt) und wollte nachfragen ob dies nun Notwehr oder Notstand ist, und erhielt die erschreckende Antort: NEIN! Weder noch… Im Gegenteil, ich hätte nicht auf eine Person zufahren und andere in Gefahr bringen dürfen, um MEIN Leben zu Retten. Ich hätte das Fenster schliessen und die Polizei verständigen sollen…. Abgesehen davon, dass jedes Autofenster sofort stoppt, wenn eine Hand dazwischen ist und wieder aufgeht, ein ziemlich dummer Tipp bei mehreren Aggressiven die Dein Auto klauen wollen.

    Meine Frage nun ist die Folgende: Warum kann ich mit dem Fahrzeug keine Notwehr resp. Notstand geltend machen? Ich kann nicht unbewaffnet aussteigen und mich mit 3 Gorillas anlegen, die einmal husten und ich umfalle. Was ist das für eine dumme Gesetzgebung? Ich hatte panische Angst und hatte KEINE andere Möglichkeit.

    Ich hatte dann KEINE Anzeige erstattet, da ich mich selbst strafbar gemacht hätte. Das Schlimmste kommt noch, ich habe ALLES auf Video d.h. Dashcam aufgenommen, ALLES, auch die 10min. ab Start der Fahrt. Doch das würde gegen mich verwendet werden, laut Anwalt.

    Sollte dies erneut passieren, werde ich mich wohl nicht anderst verhalten, ich werde mich hüten, eine Anzeige zu machen, sonst bin ich selbst dran.

  2. Worin besteht der unterschied zwischen notstand und notwehr
    lexwiki.ch 8. März 2016 at 16:03

    Guten Tag Herr Gerber,

    wenn der Anwalt, den Sie kontaktiert haben, in Anbetracht des vollständigen Sachverhaltes zum Schluss kam, dass er eine Anzeige aufgrund einer möglichen Selbstbelastung durch das Beweismaterial nicht empfehlen kann, können wir diesem Fazit auf Basis der obigen Schilderungen nicht widersprechen. Am Ende war es sicherlich auch eine Abwegung der Chancen und Risiken. Scheinbar sind Sie durch den Vorfall weder verletzt worden, noch wurde Ihr Auto beschädigt, d.h. Sie würden aus der Anzeige keinen persönlichen Nutzen ziehen, gleichzeitig würden Sie sich jedoch der Gefahr aussetzen, sich selber zu belasten. Aus dieser Warte erscheint die Empfehlung des Anwaltes, keine Anzeige zu erstatten, als richtig.

    Ob es sich in Ihrem Falle tatsächlich um Notwehrexzess handeln würde, wenn einer der „Angreifer“ verletzt worden wäre und Sie deshalb strafrechtlich verfolgt würden, ist eine andere Frage und kann vorliegend offen bleiben.

    Wir überlegen diese Frage in generischerer Form in einem zukünftigen Artikel durch einen Strafrechtsexperten aufzunehmen. Selbstverständlich würden wir Sie – sofern wir diese Idee tatsächlich weiterverfolgen würden – entsprechend informieren.

    Wir hoffen Ihnen damit weitergeholfen zu haben,

    Ihr lexwiki.ch-Team

  3. M. Salm 10. September 2017 at 14:44

    Sehr geehrtes lexwiki.ch-Team,

    Ich habe diesen Beitrag erst jetzt und per Zufall gelesen. Wie so oft wird hier nicht zu Ende gedacht. Viele Leser interessiert doch, wie denn in solchen Zusammenhängen die Prävention funktioniert. Während wir alle die Situation kennen wenn wir mal 5 oder auch mal 10 km/h über der Limite plus Toleranz fahren und dann eine Busse zahlen müssen (angeblich zur präventiven Wirkung, auch wenn keinerlei Gefahr durch ein solches Verhalten entstand und in der Regel entsteht), würde einen doch auch interessieren wie denn hier mit den tatsächlichen Tätern ( und wir müssen dem hier schreibenden Opfer nun mal bis zum Gegenbeweis glauben ) in Bezug auf die Prävention zukünftiger Bedrohungen behandelt werden sollen. Wie geht die Schweizer Justiz damit um? Gibt es nicht eine Verpflichtung solches Verhalten (Versuchter Wagendiebstahl? Versuchte Tätlichkeit/Gewalt? Fahren in angetrunkenem Zustand? Drogen? Gefährdung der Sicherheit? Verletzung von Strassenverkehrsgesetzen?) zu melden / einzuklagen?

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Was ist der Unterschied zwischen Nothilfe und Notstand?

Nothilfe ist diejenige Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von einem anderen abzuwenden. Notstand ist der Zustand gegenwärtiger Gefahr für rechtlich geschützte Interessen, dessen Abwendung nur auf Kosten fremder Interessen möglich ist.

Was ist Notstand einfach erklärt?

Als Notstand wird ein Zustand bezeichnet, in dem die Lebensbedingungen einer Gefahr ausgesetzt sind, die nur aufgrund außergewöhnlicher Maßnahmen zu beseitigen ist. Das Strafrecht unterscheidet den rechtfertigenden und den entschuldigenden Notstand.

Wann ist es Notstand?

Nach § 34 StGB ist der (rechtfertigende) Notstand die Abwehr, die erforderlich ist, um eine gegenwärtige Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Ein Notstand liegt vor, wenn sich der Täter aufgrund der Umstände gegen einen anderen wehren darf, um so den Schutz der betroffenen Rechtsgüter zu wahren.

Was bezeichnet man als Notwehr?

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.