Ausgangssperre darf ich meinen mann von der arbeit abholen

Mitte März hat Frankreich eine sehr strenge Ausgangssperre verhängt. Aus dem Haus darf man nur noch aus triftigen Gründen. VdK-Mitglied Elisabeth M. erzählt, wie ihre Familie diese Einschränkungen erlebt.

Ausgangssperre darf ich meinen mann von der arbeit abholen

Mitte März wurden die Grenzen zwischen dem Saarland und Lothringen geschlossen. Passieren dürfen nur Berufspendler mit einer Bescheinigung des Arbeitsgebers. | © Foto: Becker&Bredel

Niemals hätte sie damit gerechnet, doch dann ist es passiert: Die Grenzen zwischen dem Saarland und Lothringen werden Mitte März geschlossen und es herrscht Ausgangssperre. Für VdK-Mitglied Elisabeth M. (alle Namen von der Redaktion geändert), die in einem Dorf hinter der Grenze in Lothringen wohnt, eine einschneidende Erfahrung. „Der erste Gedanke war, dass ich jetzt meine Angelegenheiten nicht mehr erledigen kann“, sagt die 67-Jährige. Wenn sie noch zum Einkaufen außer Haus geht, ist sie besonders vorsichtig, da sie selbst unter Asthma leidet.

Noch schlimmer trifft es ihren Mann, der nach verschiedenen Krebserkrankungen und einer Entfernung des Kehlkopfes und der Stimmbänder durch ein sogenanntes Tracheostoma im Hals atmen muss. „Wir waren noch einmal im Metzer Krankenhaus, aber ich durfte nicht mit hinein, obwohl mein Mann nicht sprechen kann. Seine Untersuchungen finden nicht statt, wir können nicht zum Arzt. Es ist irre“, sagt Elisabeth M.

Dennoch findet sie die Ausgangssperre prinzipiell richtig. „Im Saarland habe ich gesehen, dass die Menschen sehr locker damit umgegangen sind und keinen Abstand gehalten haben. Viele sind leider unvernünftig.“ Der Krankenpfleger, der täglich das Tracheostoma reinigt, trägt Handschuhe, ein Haarnetz und zwei Masken übereinander, da er schon Kontakt mit Corona-Patienten hatte. Eine FFP3-Maske hat er nicht.

Familie getrennt

Ausgangssperre darf ich meinen mann von der arbeit abholen

Wer das Haus verlässt, muss auf diesem Papier einen der fünf Gründe ankreuzen. | © VdK

Die Ausgangssperre belastet die gesamte Familie: Elisabeth M. lebt zusammen mit ihrem Sohn Jens, dessen Job im Saarland vorerst auf Eis liegt, und ihrem Enkel Pascal, der im Saarland in die Schule ging und der jetzt zuhause unterrichtet werden muss. „Die Kinder leiden, weil sie nicht raus können. Wir haben das Glück, dass wir einen Garten haben.“ Zwar ist sportliche Betätigung während der Ausgangssperre erlaubt, allerdings darf man sich nicht weiter als einen Kilometer vom Haus entfernen und nur allein unterwegs sein – und nur eine Stunde am Tag. Jens kann also nicht wie sonst mit seinem Sohn im Wald spazieren gehen. Fahrradfahren ist verboten. Stattdessen machen sie Fitnesstraining zuhause.

Die Grenzschließung hat die Familie auseinandergerissen: Jens‘ Tochter ist bei der Mutter im Saarland geblieben. Wann sie sich wiedersehen, ist ungewiss. „Ich glaube, dass Pascal seine Schwester sehr vermisst. Er kann sich nur schlecht konzentrieren, bekommt den Kopf nicht frei“, sagt Elisabeth M. Ihr Sohn Jens achtet streng darauf, dass Pascal seine Aufgaben macht. „Das ist nicht einfach, man muss praktisch den Lehrer ersetzen“, sagt Jens. Die Aufgaben bekommt Pascal über die Internetseite der Schule in einem Wochenrhythmus, eine Kontrolle gibt es derzeit noch nicht. „Wenn du dich jetzt auf die Aufgaben konzentrierst, kannst du schneller wieder spielen“, sagt Jens zu seinem Sohn.

Wer das Haus zum Einkaufen verlassen will, muss ein Papier mit sich führen und einen der fünf Gründe ankreuzen, die zum Ausgang berechtigen: Einkaufen, Sport bzw. Gassi gehen, Arztbesuch, Arbeit oder Versorgung von Familienmitgliedern. Beim Einkauf halten alle Abstand voneinander, Jens trägt Handschuhe. Die Parkplätze sind nur halb so voll wie sonst. „Früher ist man durch den Laden gerauscht, jetzt ist alles viel ruhiger.“

Ressentiments

Die Krise bringt auch die Schattenseiten der Menschen zum Vorschein, findet Jens und berichtet von zahlreichen Anfeindungen vor der Grenzschließung. „Ein Bekannter von mir ist zurück ins Saarland gezogen, hat aber noch ein französisches Nummernschild. Er ist beschimpft worden, er soll doch nach Frankreich zurückgehen.“ Auf der deutschen Post habe sich ein Kunde nicht von der französischen Verkäuferin bedienen lassen wollen. Und an der Schule seien Menschen an seinem Auto vorbeigegangen und hätten verächtlich den Kopf geschüttelt. „Ressentiments gegenüber Grenzgängern und Franzosen gab es schon vor Corona, aber jetzt halten sich die Menschen nicht mehr zurück. Dieser Rechtspopulismus ist gefährlich. Dabei sollten die Saarländer nicht vergessen, wie stark unsere Wirtschaft, unsere Gastronomie, aber auch unser Gesundheitssystem von den Franzosen abhängig ist“, sagt Jens.

Zuhause erledigt er Arbeiten und Reparaturen am Haus, für die er sonst keine Zeit hatte. „Abends, wenn alle schlafen, kommt man zur Ruhe und denkt viel nach, da kommt dann alles hoch. Es ist immer noch surreal, wie in einem Film, einer Apokalypse. Aber ich sehe die Situation nicht nur negativ. Es ist auch eine Entstressung. Vor der Ausgangssperre waren wir immer im Stress, waren ständig unterwegs, arbeiten, einkaufen, Kinder abholen. Die ganze Welt hat sich immer nur vorwärtsbewegt – wer nicht mitgeht, wird gefressen. Jetzt steht die Welt auf einmal still. Der ganze Druck des Alltags ist weg. Wir können uns auf das Wesentliche besinnen und endlich wieder schätzen, was wir haben. Wir haben Zeit für die Familie und können uns darauf konzentrieren.“

Auch Elisabeth M. versucht, positiv zu bleiben, obwohl sie ihre Enkelin sehr vermisst. „Ich habe die große Hoffnung, dass bald ein Impfstoff gefunden wird und dass der Virus sozusagen im Keim erstickt wird. Man muss positiv denken, um nicht verrückt zu werden. Wenn die Menschen sich jetzt vernünftig verhalten, können wir es schaffen!“

Maria Wimmer