Es war kurz vor Weihnachten, am 16. Dezember. Schnee fiel in dicken Flocken vom Himmel. Es war bitterkalt, als Saskia Jufer Mann und Kinder verliess. Sie wusste: «Ich komme nicht mehr zurück.» Show
Ich komme nicht mehr zurückBis kurz vor 40. «Da ist es mir einfach passiert. So, wie andere ihr Schicksal haben, ist mir das passiert. Er schmeckte mir nicht mehr. Ich konnte ihn nicht mehr riechen.» Warum? «Ich kann es nicht erklären. Es war die Chemie, die nicht mehr stimmte.» Sein Rasierwasser, seine Zahnpasta, sein Haar, seine Haut. Sein Blinzeln, sein Lachen. «Ich konnte ihn nicht mehr ertragen.» Sie redete mit ihm darüber. Er
sagte: «Ich kann nichts tun. Du hast dich verändert.» Rabenmutter, Emanze, dürre TusseSie weiss, sie geht. «Ich konnte kaum von ihm erwarten, dass er auszieht.» Er versucht nicht, sie umzustimmen. Nur einmal sagt er: «Wenn du willst, kannst du bleiben.» Sie will nicht, findet eine Wohnung im Nachbarort Fraubrunnen. Sie ist gespannt, nervös, unsicher, voller Lust aufs Leben. Doch dann ist die neue Beziehung auf einen Schlag zu Ende. «Es war ihm wohl
zu viel. Er wollte nicht mitmachen. Das war sehr schmerzhaft. Ich habe ihn sehr geliebt.» An ihrem Entschluss ändert das nichts. Keine Sekunde lang. Ein paar Tage, bevor sie auszieht, erfährt Saskia, dass ihr Mann eine Freundin hat. «Da wusste ich, dass ich nur Teil eines Bildes war, den er jetzt durch eine andere ersetzt.»
Die Wohnung ist klein. Zweieinhalb Zimmer. Mehr kann sie sich nicht leisten. Die Möbel von Ricardo, die Küche aus den 80ern. Sie bekommt einen Job bei der Ärztenotrufzentrale Bern. Vollzeit. «Ich musste ja Alimente zahlen.» Sie hatte die Kinder gefragt, ob sie mit ihr gehen. Sie hatte gehofft, dass sie es tun. Die Mädchen waren 12 und 16 Jahre. Sie wollten nicht. Sie zeigten sich solidarisch mit dem Vater, waren wütend. «Blöde, dürre Tusse», sagte die Ältere, aufgebracht. Sie wusste, dass sie einen anderen hatte, war traurig und verletzt. Die Jüngere weinte: «Warum bleibst du nicht. Vielleicht auch nur für mich?» Es ging nicht. Sie sagte: «Ich gehe weg, werde aber immer bei euch sein.» ich habe mich kennengelernt«Es hat wie Feuer gebrannt im Bauch. Ich musste den wichtigsten Teil von mir zurücklassen.» Trotzdem geht sie. Und als sie die Tür ihrer Wohnung aufschliesst, fühlt sie sich wie 20. «Ich fühlte mich befreit von ihm, so gut, so neu. Es war so richtig.» Die ersten Tage sind aufregend. Einrichten,
Pfannen, Töpfe, Zahnputzglas anschaffen, alles neu machen, alles schön. Sie geniesst es, frei zu sein und zu wissen, den Kindern geht es gut, er kümmert sich. Doch sie hat auch ein schlechtes Gewissen. Ich dachte: «Freu dich ja nicht zu früh, du hast etwas Schlechtes getan.»
Den Kindern geht es gut beim Vater. Doch seine wechselnden Partnerinnen machen ihnen Mühe. Der Vater ist abends oft weg. Die Mädchen wollen keine fremde Frau. «Ich wusste, sie brauchen mich, vermissen mich.» Doch sie hält sich raus, hat nichts zu sagen, kann nichts sagen. Sie traut sich lange nicht auszusprechen, was sie sich wünschen würde. Doch dann tut sie es trotzdem, fragt ihren Mann: «Wie wäre es, wenn ich wieder ins Haus gehe und du ziehst aus.» Und er sagt: okay. «Es war wie früher. Ich gab den Input und er war einverstanden. Vielleicht war er auch ein bisschen erleichtert. Denn sein Alltag mit Schichtjob und zwei pubertierenden Mädchen war sicher kein Zuckerschlecken. Vielleicht dachte er auch, dass es nur fair ist, wenn ich jetzt die Kinder übernehme.» Die Narben bleiben – bei allenSaskia Jufer lebt jetzt wieder in Grafenried. Die Möbel von Ricardo sind aufgestellt, die Schachteln ausgepackt. «Jetzt sehe
ich meine Mädchen wieder am Morgentisch sitzen, mit verstrubelten Haaren und im Pyjama, wortkarg, und weiss, das ist es, wovon ich geträumt hatte.» Wie ist es, zurückzukommen? «Ich hatte grossen Respekt, und es ist auch nicht immer einfach. Es gibt oft Zoff, die Kinder verzeihen wohl nie restlos.» Doch sie sind froh, dass die Mutter wieder da ist: «Es ist halt einfach das Mami», sagt die Jüngere. In dieser Geschichte gibt es nicht diesen einen Tag, an dem sie gegangen ist, für immer. Es waren eher immer länger werdende Absenzen. Sie ging und kam und ging. Sie nannten es Beziehungsferien, bemühten sich, zu kitten, gingen zum Paartherapeuten, wollten es hinkriegen. Zuletzt nahm sie sich eine Wohnung. Zwar war auch da die Hoffnung noch nicht ganz tot. Erst am Tag der gerichtlichen Trennungsverfügung. Da wusste Georg Mattmüller, jetzt ist es so und es bleibt so. «Wie wenn man aus einem Word ein PDF macht.»
Ornella Cacace Georg Mattmüller wollte seinen Kindern keine Ersatzmutter organisieren. Und sich keine Ersatzpartnerin. Irgendwann Fing sie an zu GehenEs war Liebe auf den ersten Blick. Er war 18. Sie etwas älter. Er wusste, sie war es, mit ihr wollte er zusammenbleiben, lieben und leben. Und wenn man weiss, was man will, warum warten? Das erste Kind kam bald, kurz vor dem zweiten heirateten sie. Da war er zweiundzwanzig und Student. Sie in Ausbildung. Zwei Jahre später dann das dritte Kind. «Es waren gute Zeiten», so Georg Mattmüller.
Trotzdem: «Es war schön, das Leben mit den Kindern. Wir haben intensiv und nahe zusammengelebt, haben viel unternommen, sind oft rausgegangen, hatten einen grossen Freundes- und Bekanntenkreis. Ich habe ihre Kindheit hautnah miterlebt. Wären wir eine ganz normale Familie gewesen, wäre ich wohl ein Vollzeitjob-Papa geworden, der vieles verpasst hätte.» Der Papa stand im RampenlichtDoch Unterschiede, findet Mattmüller, gibt es schon. Männer erziehen vielleicht freier, unbeschwerter, weniger gluckenhaft. Etwa wenn die Kinder an kühlen Tagen ohne Mütze rumlaufen, wenn die Schnürsenkel rumflattern, oder wenn er sich aus
Sandkastenreibereien der Kinder erst mal rausgehalten hat. Dann gabs immer mal wieder ungefragte Inputs, gutgemeinte Tipps, Bemerkungen und Ratschläge. «Von Frauen, natürlich. Wohl einfach darum, weil Männer ja nicht wissen, wie das mit den Kindern geht.» Und er hat sich geärgert, hat gekontert und es irgendwann einfach ignoriert.
Georg Mattmüller ist heute 43 Jahre alt. Er sitzt in seinem Büro in Basel. Er arbeitet als Geschäftsführer des Behindertenforums in Basel. Die Geschichte, wie er zum alleinerziehenden Vater wurde, ist jetzt bereits 17 Jahre alt. «Es ist die Trauer, die bleibt, weil wir es nicht geschafft haben als Familie.» Narben? «Ja, die gibt es. Bei den Kindern wie bei mir.» Für den Sohn sei es wohl am wenigsten schlimm gewesen. «Er war schon etwas älter, konnte das alles besser verarbeiten.» Die beiden Mädchen hat es härter getroffen. «Ihnen fehlte die Mutter sehr, das weibliche Vorbild, das Abgucken, Nachmachen, Abgrenzen, die Auseinandersetzung, alles, was es braucht zum Frauwerden.» Und die Tatsache, dass die Mutter so nah wohnte und trotzdem so weit weg war, schmerzte. Die Pubertät der Mädchen war dann auch heftig. «Es gab Streit und Gezänke von morgens bis abends. Da bekommt man als Alleinerziehender die ganze Ladung ab», so Mattmüller. «Ich fühlte mich wie aufgefressen, die Kinder brachten mich an den Rand meiner Kräfte.» Den Mädchen fehlte das vorbildDie Erlebnisse prägten ihn sehr. So wollte er nicht gleich wieder mit einer Frau zusammenziehen. «Das hätte ich meinen Kindern nie antun können.» Er wollte ihnen nicht eine Ersatzmutter organisieren. Und sich keine Ersatzpartnerin. Auch heute noch lebt er in einer Zweiraumpartnerschaft. Ist da auch die Angst, wieder zu scheitern? «Sicher. Man sucht sein Unglück nicht ein zweites Mal.» Wie ist eine Mutter Sohn Beziehung?Eine starke Liebe zur Mutter macht aus einem Mann noch lange kein Muttersöhnchen. Liebe und eine innige Vertrautheit sind wichtig, denn sie bestimmen das Verhalten gegenüber anderen Menschen. Ebenso wichtig ist jedoch auch das Loslassen. Funktioniert der Abnabelungsprozess gut, ist die Mutter-Sohn-Beziehung gesund.
Wem gleicht das Baby?Wissenschaftler glauben heute, dass es sich dabei um ein (unbewusstes) Täuschungsverhalten der Mütter handelt. Das Ergebnis einer Studie der Binghamton Universität im US-Bundesstaat New York sagt, dass Babys, die ihrem Vater ähnlich sehen, mit einem Jahr gesünder seien als Kinder, die ihrem Vater wenig ähneln.
Was tun wenn sich erwachsene Kinder nicht mehr melden?Wenn man nichts hört, ist alles in Ordnung
Dann gilt Schmidt zufolge häufig der Leitsatz: „Wenn die Kinder sich nicht melden, geht es ihnen gut. “ Verlassen die Kinder das Haus, empfiehlt Familientherapeutin Valeska Riedel Eltern eine Art innere Inventur, denen es schwerfalle, loszulassen.
Warum wollen Kinder keinen Kontakt zu Eltern?Häufig gab es in der Familie der Betroffenen Gewalt oder Missbrauch. Mitunter litten die Eltern an schweren psychischen Krankheiten, oder die Kinder fühlten sich schlicht nicht geliebt und beachtet. Fast immer drückt der Kontaktabbruch sehr große Not aus.
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