Deutschland verschwindet jeden tag immer mehr und das finde ich einfach großartig

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Es ist die einfachste Sache der Welt: die Worte eines Politikers zu verdrehen, sie entstellend aus dem Zusammenhang zu reißen oder ihm einfach welche in den Mund zu legen und sie dann ins Netz zu stellen.

Der islamfeindliche Blogger Michael Mannheimer etwa verbreitet auf seiner Seite, dass Wolfgang Schäuble gesagt habe: „Wir sind dabei, das Monopol des alten Nationalstaates aufzulösen. Der Weg ist mühsam, aber es lohnt sich.“ Mannheimer regt sich ordentlich über das Zitat auf. Er schreibt: „Die Abschaffung des deutschen Nationalstaates ohne Wählerauftrag ist ein Putsch gegen das Grundgesetz und ein krimineller Akt.“ Mannheimer gibt auch eine Quelle an. Wenn man die prüft, sieht man: Zwischen den zwei Sätzen, die er zitiert, stehen noch zwei weitere. Und um die Abschaffung Deutschlands geht es auch nicht. Sondern um die Euro-Krise. Egal, der Dreck hat sich schon im Netz verbreitet. Schäuble ist ein Feind Deutschlands.

Besonders Politikern der Grünen werden solche Zitate gerne in den Mund gelegt. Da gibt es zum Beispiel einen Satz, den Cem Özdemir gesagt haben soll. „Wir wollen, dass Deutschland islamisch wird.“ Dieses Zitat wird mit einem Link verbreitet, der zu der Quelle führt: zu einem Video. Darin interviewt Michael Stürzenberger, Mitglied der Partei „Die Freiheit“, Susanne Zeller-Hirzel, ein früheres Mitglied der „Weißen Rose“. Das Interview führt er für den Blog „PI News“ – das steht übrigens für „Politically Incorrect“. Zeller-Hirzel erzählt in dem Video, dass sie mal gehört habe, wie Özdemir den Satz einer Gruppe junger Mädchen gesagt habe. Wo und wann, das sagt sie nicht. Egal. Man hat einen knackigen Satz, und mit Quelle sieht so ein Zitat einfach besser aus. Die Leute von „PI News“ und der Freiheit sind sowieso ganz gr0ß darin, mit Zitaten und angeblichen Belegen um sich zu werfen.

Besonders häufig findet sich folgender Satz: „Deutschland verschwindet jeden Tag immer mehr, und das finde ich einfach großartig.“ Angeblich von Jürgen Trittin. Er hat das nie gesagt, aber bekommt den Satz einfach nicht weg. Obwohl Trittin es versucht. Auf seiner Website kündigt er an, juristisch gegen jeden vorzugehen, der das erfundene Zitat verbreitet.

Quellen sind frei erfunden

Die Fälschung findet man im Netz mit gleich zwei unterschiedlichen Quellenangaben: Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 2. Januar 2005, Seite 6. Und dem Protokoll einer Plenarsitzung aus dem Bundestag, vom 23. April 1999. Die Angaben sind frei erfunden, dort findet sich das angegebene Zitat nicht. Die beiden Quellen sind online zugänglich, im F.A.Z.-Archiv (kostenpflichtig) oder auf der Seite des Bundestags (gratis). Das falsche Trittin-Zitat wird im Netz häufig sogar mit einem Link veröffentlicht. Es ist mithin einfach, die angebliche Fundstelle zu prüfen. Aber die Leute verbreiten das falsche Zitat trotzdem, mitsamt offenkundig falscher Quelle. Weil ihnen im Grunde egal ist, was Trittin gesagt hat und was nicht. Sie haben sich ihre Meinung schon gebildet. Zitate wie der Trittin-Satz dienen ihnen nur als Beleg für das, was sie eh schon zu wissen glauben: in diesem Fall, dass Trittin Deutschland abschaffen will.

Das falsche Trittin-Zitat findet sich nicht nur auf Seiten mit Namen wie „Wahrheitskampf“, „Volksbetrug“ oder „BRD-Schwindel“, sondern auch auf einer Website der CSU, Ortsverband Landshut-Stadt Ost. Mitsamt der falschen F.A.S.-Quelle. Der Ortsvorsitzende Rudolf Schnur begründet es so: Das wäre nichts, was er Herrn Trittin nicht zutrauen würde. Wenn man Schnur fragt, woher er das Zitat hat, gibt er dieselbe Antwort wie alle anderen, die das Zitat verbreiten, darunter Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker: Er kann sich nicht erinnern. Fände er auch ein bisschen viel verlangt.

Das Zitat wird bei der CSU als Teil einer Liste veröffentlicht. Sie besteht hauptsächlich aus Zitaten von den Grünen, meistens zu den Themen Migration und Islam. Das gefälschte Özdemir-Zitat aus dem Interview mit Zeller-Hirzel ist auch dabei. Aber wie entsteht so eine Liste? Schnur sagt: Man schickt sich im Ortsverein halt „interessante“ Zitate per Mail zu, die man im Netz gefunden hat. Irgendwann hat der Ortsverein entschieden, sie zu sammeln und zu veröffentlichen. Und nein – die Quellen hat Schnur nicht überprüft. Wenn da F.A.S. stehe, dann sei das ja glaubhaft, sagt er. Aber die F.A.S. hat es nie veröffentlicht – das lässt sich mit einem Zeitaufwand von weniger als einer Minute prüfen. Inzwischen, mutmaßlich infolge unserer Anfrage, ist das angebliche Trittin-Zitat von der Website verschwunden. Der Rest der Liste steht noch da.