Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt Bedeutung

Impfpflicht

Die Freiheit, die sie meinen

Woche für Woche gehen zehntausende Menschen auf die Straße, radikalisieren sich zunehmend. Geht es nur um Corona?

Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt Bedeutung

Es ging dieser Tage im österreichischen Nationalrat um die Behandlung des sogenannten "Impfpflicht-Nein"-Volksbegehrens, das es auf 269.000 Unterschriften gebracht hatte. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein räumte in seinem Debattenbeitrag ein, dass die mit 1. Februar 2022 gesetzlich festgelegte Impfpflicht zwar einen Eingriff in die Grundrechte darstelle, griff aber dann zu dem berühmten Zitat des berühmten deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724-1804), um das Argument der Impfgegner zu widerlegen, sie würden ihre Freiheit verlieren:

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Die Corona-Pandemie beschäftigt uns seit eineinhalb Jahren und wirft viele Fragen auf, die unser Zusammenleben betreffen. In Zeiten der Pandemie sei der Respekt zwischen Andersdenkenden besonders wichtig, sagt der Ethiker und Theologe Frank Mathwig. Es gehe nicht um maximale Freiheit, sondern um maximalen Schutz vor dem Virus.

Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt Bedeutung

Frank Mathwig

Theologe und Ethiker

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Frank Mathwig ist Titularprofessor für Ethik am Institut für Systematische Theologie der Universität Bern, Mitglied der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (NEK) und Beauftragter für Theologie und Ethik der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (SEK) in Bern.

SRF: Was bedeutet Freiheit in der Pandemie?

Frank Mathwig: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Freiheit nicht schrankenlos ist. Sie muss mit der Freiheit jeder anderen Person abgewogen werden.

Wir mussten Freiheit als kollektives Gut kennenlernen und diese Dimension viel stärker in den Vordergrund rücken, als wir es vor der Pandemie gewohnt waren. Unsere individualistische Lebensweise wurde teilweise revidiert. In diesem Gemeinschaftsdenken mussten wir Freiheit neu entdecken.

Nach Immanuel Kant endet die Freiheit des Einzelnen dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Freiheit ist also per se beschränkt. Es gibt Spannungen zwischen Geimpften und Ungeimpften – und während der ersten Welle zwischen Alt und Jung. Wer muss in dieser Situation auf wen Rücksicht nehmen?

Die Kant'sche Formulierung hat ja keine besondere gesellschaftliche Gruppe im Blick, sondern die einzelne Person: jede und jeder gegenüber jeder anderen Person.

Das ist, glaube ich, die Pointe, warum Kant mit diesem Satz so berühmt wurde: Er nennt keine Kriterien, hebt also nicht besonders vulnerable Gruppen hervor. Kant sagt: Wir müssen in einer liberalen Gesellschaft eine Regel akzeptieren. Nämlich die: Meine Freiheit ist auch die Freiheit jeder anderen Person.

Rosa Luxemburg hat zugespitzt, dass es eigentlich um die Freiheit der Andersdenkenden geht. Das sind nicht nur die Bedingungen des Diskurses, sondern auch des Zusammenlebens.

Ethisch relevant wären der Respekt vor der anderen Person, der Verzicht auf Sündenböcke und ein starkes Bewusstsein für die Verantwortung

Die Leute zeigen gerne mit dem Finger auf jene, die es eben «nicht so gut» machen wie sie selber. Stichwort: Ferienrückkehrer vom Balkan, die Leute, die Party machen. Was kann die Gesellschaft tun, um nicht einem solchen Sündenbock-Denken zu verfallen?

Das ist die grosse Herausforderung. Im Recht finden wir keine Normen, die das verhindern. Die liberale Gesellschaft ist insofern die anspruchsvollste Gesellschaft, weil sie am stärksten eine ethische Reflexion ihrer Bürgerinnen und Bürger einfordert.

Ethisch relevant wären der Respekt vor der anderen Person, der Verzicht auf Sündenböcke und ein starkes Bewusstsein für die Verantwortung, die die Mitglieder der Gesellschaft sich wechselseitig schulden.

In einer freien Gesellschaft, die weitgehend auf sanktionierte Grenzen zwischen den Interessen der einen und anderen Person verzichtet, können wir nur klar kommen, wenn wir uns darauf verpflichten, fair miteinander umzugehen.

Der Staat befindet sich in einem Dauerexperiment.

Eine leise Mehrheit findet, der Staat macht seine Sache gar nicht so schlecht. Zu hören sind aber vor allem die lauten Stimmen. Die einen finden, der Staat tue zu wenig, um uns vor der Pandemie zu schützen. Andere sagen, die Einschränkungen gleichen einer Diktatur. Warum wurde der Staat für manche zum Feindbild?

Natürlich hat er als Absender von Freiheitsbeschränkungen die unkomfortabelste Rolle in dieser Pandemie. Wer keine Verantwortung trägt oder sie verweigert, kann sich problemlos über Freiheitsbeschränkungen aufregen.

Die Behörden erlassen Einschränkungen, weil sie weitreichende Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung haben. Die Freiheitsrechte und die Schutzpflichten müssen immer zusammen gedacht werden.

Der Staat befindet sich in einem Dauerexperiment, besonders jetzt, wo er nicht auf Erfahrungen zurückgreifen kann, wie wir durch die Pandemiekrise kommen und wie das ideale Gleichgewicht zwischen Schutzpflicht und Freiheitsrechten aussieht.

Ich erwarte aber von jeder Person, die dagegen protestiert, dass sie diese doppelte Herausforderung im Blick hat. Das scheint mir etwas verloren gegangen zu sein. Protest muss eine konstruktive Idee verfolgen.

Das Ziel, die eigene Freiheit zu maximalisieren, taugt nicht, wenn es nicht mit dem anderen Ziel verbunden wird: Wie kann ich Menschen davor schützen, durch das Virus schwer zu erkranken oder zu sterben?

Das Gespräch führte Raphael Zehnder.

Was bedeutet die Freiheit des Einzelnen?

Freiheit (lateinisch libertas) wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auszuwählen und entscheiden zu können. Der Begriff benennt in Philosophie, Theologie und Recht der Moderne allgemein einen Zustand der Autonomie eines Subjekts.

Wie erkennt man wo die Freiheit des anderen beginnt?

Die Grenzen der Freiheit „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“, hat der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) einmal gesagt. Der Dichter Matthias Claudius (1740-1815) formuliert es so: „Die Freiheit besteht darin, dass man alles das tun kann, was einem anderen nicht schadet.

Wie weit geht die Freiheit des Einzelnen?

Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt. (Ein Zitat von Immanuel Kant.)

Was bedeutet Freiheit für Kant?

Kant versteht Freiheit nicht bloß als Willkürfreiheit, sondern als Autonomie oder Selbstgesetzgebung. Freiheit heißt nicht einfach tun, was wir wollen, sondern auch jenen Regeln und Verpflichtungen folgen, die wir uns durch unsere Vernunft selbst gesetzt haben.