Hakt es zwischen der form und der lämmer ebene

"Die wahre Absurdit�t unseres Lebens"

Der Gestank ist unertr�glich. Unz�hlige Menschen zappeln in einem See ihrer eigenen Exkre-mente. Andere stecken mit dem Kopf nach unten in L�chern, aus denen die Flammen lodern. Sie umspielen die aus den L�chern ragenden, zuckenden Fu�sohlen der heulenden Opfer, die bren-nen, aber nicht sterben k�nnen; denn auch ihnen ist ja das ewige Leben geschenkt. Wieder andere sind v�llig verzerrt und verrenkt, das Gesicht ist bis zum R�cken hin verdreht, so dass sie r�ckw�rts gehen m�ssen. Die Tr�nen der Verzweifelten str�men den R�cken hinunter durch die Ker-be zwischen den Ges��backen. Und so fort, und so fort in dreiunddrei�ig Ges�ngen, kunstvoll in Terzinen gesetzt.Der Besucher weint immer wieder vor Mitleid und preist gleichzeitig � ebenfalls nat�rlich in kunstvollen Terzinen � die h�chste Weisheit Gottes, der im Himmel, auf Erden und in der H�lle seine Liebe, Allmacht und Gerechtigkeit offenbart.

Ja, der gro�e, lorbeerbekr�nzte Dante war ein gottbegnadeter Dichter, der heute noch im gleichen Atemzug mit Shakespeare und Goethe genannt wird (warum eigentlich nicht mit dem Marquis de Sade oder dem Ritter von Sacher-Masoch?) Dem armen Michael Schmidt-Salomon konnte ein solches Heilsepos wie �Die G�ttliche Kom�die� nicht gelingen, denn er schreibt in schn�der Prosa, au�erdem fehlen ihm wom�glich die sadistische Phantasie und die von oben inspirierten Visionen. Damit ist das Urteil eigentlich schon gesprochen. Aber schauen wir uns trotzdem den Roman dieses 36-j�hrigen Doktors der Philoso-phie etwas n�her an, der u.a. von sich reden machte, weil sein Musical �Das Maria-Syndrom� unter Anwendung des �Gottesl�sterungsparagraphen� verboten wurde.

Immerhin, sein Protagonist, Jan Stollberg, 56, Philosoph, Biologe und Religionskritiker, saust nach seinem dritten Herzinfarkt hinab in den Siebten Ring der Vorh�lle, bis in die eigentliche H�lle schafft er es nicht ganz. Vorher wird er von Vermummten hochnotpeinlich verh�rt und eine Registriernummer wird ihm in den Unterarm gebrannt, die ihn als Tods�nder kenntlich macht.

Dort unten widerf�hrt ihm Grausiges mit den brutalen Aufsehern und Inquisitoren, aber auch Kurioses im Club der vor Gott missliebigen Philosophen. Au�erdem werden ihm makabre Einblicke in die Karriere von Nazischergen und -verbrechern in der Vorh�lle gew�hrt; und er ger�t in h�chste erotisch-sexuelle Verz�ckungen mit seiner Traumfrau Elli, die er dort unten im Sieb-ten Ring kennen und lieben lernt; die ihn rettet, annimmt und seine Lust erf�llt, obwohl er sich trotz ihrer Warnungen in der Vorh�lle der Unkeuschen mit liebestollen Weibern einl�sst, die mit ihm von Begierde zu Begierde jagen, ohne dass er Erf�llung findet.

Das Allerbeste aber ist eine Idee, auf die Dante nie verfallen w�re, n�mlich just beim Eintreffen Jans im Siebten Ring planen die Insassen einen Aufstand gegen den Allerh�chsten. Anlass ist der bevorstehende Transport Ludwig Feuerbachs zur himmlischen Rampe, wo er, nachdem er die Herrlichkeit Gottes geschaut hat, in die Qual des ewigen Feuers gest�rzt werden soll, so dass dann seine Verzweiflung um so gr��er ist (die offizielle kirchliche Lehre wird hier v�llig korrekt wiedergegeben). Und der liebe Gott hat auch ein bisschen Unterhaltung und Spa� dabei, wenn er sieht, wie sein Widersacher auf Erden hinter der Klappe des himmlischen Feuerofens verschwin-det, um in die unendlichen, ewigen Tiefen der H�lle zu st�rzen, die von Ihm dem Satan und sei-nem Anhang bereitet ist.

Zun�chst aber muss Jan unter den Peitschenhieben eines Aufsehers mit einer Spitzhacke aus har-tem Felsgestein eine tiefe Grube ausheben, anschlie�end sofort zusch�tten, den inzwischen wie-der harten Boden aufhacken und so fort. V�llig ersch�pft und verzweifelt darf er dann mit seinen Leidensgenossen endlich die Hacke wegwerfen. Der Tods�nder neben ihm stellt sich als Albert Camus vor. Der Philosoph des Absurden und Verfasser des �Mythos von Sisyphos� wird von nun an und nicht zuf�llig sein st�ndiger Freund und Begleiter sein.

Mit ihm geht er zur �Gro�en Speisung�, wo herrliche Gerichte aufgedeckt sind, die gr�ulich schmecken. Der einzige, der gebratene Puten und Marzipantorten in sich hineinstopft, ist Nietz-sche, der sich als Verr�ckter geb�rdet. Und nun beginnt der Aufmarsch der anderen Philosophen. Eigenartiger Weise tauchen nur solche auf, mit denen sich Jan Stollberg zu Lebzeiten besch�ftigt hat. Der kr�nklich wirkende Marx wird von Ernst Bloch und Herbert Marcuse gest�tzt. Es folgen Erich Fromm und Jean Paul Sartre. Auch Theodor Adorno und Max Horkheimer fehlen nicht. Ernst H�ckel hat Jan schon vorher kennen gelernt. Heidegger hat den gro�en Sprung nach �oben� geschafft. Kant und Schopenhauer � letzterer hat eine Menge Inquisitoren das F�rchten gelehrt � sind unbeugsam zu Satanas hin�bergewechselt. Camus und Jan unterhalten sich �ber die philosophische Prominenz, ihre Eigenheiten und Lehren. Noch in der Vorh�lle gibt es unter ihnen Strei-tigkeiten und Personalinjurien. Ansonsten geht es leger zu, man duzt sich und nennt sich beim Vornamen.

Hier wie �berall im Buch darf der Leser sich �ber die kabarettistischen Einlagen des Autors am�-sieren und sich von seinen verbl�ffenden Einf�llen zu unserem absurden Welttheater �berraschen lassen.

In einem Punkt sind sich alle Philosophen im Siebten Ring einig: Feuerbach muss aus dem Son-derlager befreit werden, das die letzte Station zum Abmarsch auf die himmlische Rampe ist. Und der Tyrann, (der Herr der Ringe) auf seinem Sch�pferthron muss sterben. Adorno macht schlie�-lich auch mit, obwohl er das Ganze f�r blinden Aktionismus h�lt und den Schlachtruf: �Traum-t�nzer aller Vorh�llen vereinigt euch!� mit h�lzerner Stimme ert�nen l�sst.(Hier sei eingef�gt, dass der Autor am Ende seines Buches ein Glossar verfasst hat, in dem in alphabetischer Reihenfolge alle historischen Personen des Romans und ihr postmortales Schicksal knapp, aber pr�zise geschildert werden. Eine kleine Geistesgeschichte der Menschheit, die sich in weitem Bogen von Buddha, Epikur, Goethe und Gandhi bis zu Mahler, Kafka, Mengele und Frank Zappa spannt, um nur einige Beispiele zu nennen.)

Die Philosophen schreiten also zur Tat. Es wird Verbindung zum Frauenlager aufgenommen, wo clevere Damen wie Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Simone Beauvoir zur Verbl�ffung der Herren bereits die Macht an sich gerissen haben. Dort lernt Jan auch seine Elli kennen. Feuerbach wird heimlich am Lagerzaun verst�ndigt. Dann werden in einer gezielten �berraschungsaktion alle Aufseher unsch�dlich gemacht und das Endl�sungslager wird erobert. Der Kommandant, ein ehemaliger SS-Mann, schlie�t sich den Revoluzzern an; er entpuppt sich als unentbehrlicher F�h-rer zum ewigen Thron des Allerh�chsten.

Von Luzifer hat man sich am Rand der H�lle noch beraten lassen. (Anscheinend konnte er sich aus seiner riesigen Danteschen Gefriertruhe befreien.) Satanas ist der Meinung, Gott k�nne nur von Menschen, nicht von Engeln get�tet werden. Der Erzengel Michael werde sein Flammen-schwert f�r diese gute Tat zur Verf�gung stellen.

Viele Abenteuer �berstehen die Revolution�re auf ihrem Marsch durch die sieben Vorh�llen.Petrus, der Subalterne, wird am Himmelstor �berlistet. Aber in den Marmors�len des himmli-schen Palastes entbrennt ein hei�er Kampf, den Paulus anf�hrt. Jan gelingt es, mit dem Schwert Michaels und in Begleitung von Elli, Albert Camus und Nietzsche zu dem mit Gold und Edel-steinen verzierten Thron Gottes vorzudringen.

Hier allerdings stehen sie wie erstarrt vor Seinem Antlitz. Mit diesem Anblick haben sie nicht gerechnet! Nur Nietzsche l�sst sich nicht verwirren, er entrei�t Jan mit einem Fluch das Schwert und schl�gt �Gott� den Kopf ab. Der rollt die Stufen des Throns herab und landet direkt vor Jans F��en. Er hebt den Kopf auf und betrachtet ihn ...! Er l�chelt, lacht, lacht immer wilder, der gan-ze Marmortempel kracht in sich zusammen und Jan st�rzt in die Tiefe.

Dann nimmt er Abschied. Hunderte von Menschen haben sich um ihn versammelt sogar Petrus und Paulus, Satan und Michael haben sich eingefunden, alles Gesch�pfe seiner Phantasie. Jetzt soll er also sterben, jetzt wo er Gott besiegt hat und gl�cklich mit Elli leben k�nnte. Das hat doch alles keinen Sinn! Elli streichelt ihn: �Das Leben hatte keinen Sinn, warum sollte das Sterben einen haben?� Und sein treuer Begleiter Albert tr�stet ihn: �Du hast bis zum letzten Atemzug gegen das Absurde revoltiert. Mehr kann man von einem Menschen nicht erwarten...�

Jan begreift, dass er die ganze Zeit mit sich selbst gesprochen, sich selbst bek�mpft, sich selbst geliebt und am Ende auch �ber sich selbst triumphiert hat. Aber Elli war sein sch�nster Gedanke. Sie beginnt zu verblassen und alle anderen Gesichter um ihn her. Er denkt noch: �Sterben ist wirklich das Letzte!� Keine besonders gegl�ckte Pointe, �(...) aber sie verfehlte ihre Wirkung nicht: Jan blickte dem Unvermeidlichen entgegen, wie er es sich stets gew�nscht hatte � mit ei-nem L�cheln auf den Lippen.�

So endet dieser Philosophen-, dieser Abenteuer-, ja dieser Liebesroman. Der Autor hat sich wacker geschlagen. Das negative Urteil des Rezensenten �ber ihn war verfr�ht. Keine kunstvollen Terzinen, keine �genialen� h�llischen Phantasien, aber eine l�ssige, witzige, und ehrliche Sprache, ehrlich und nicht verklemmt, gerade auch wenn es um die Schilderung der Liebesabenteuer des Helden geht. Der Absurdit�t menschlicher Vorstellungen und Projektionen von G�ttern und Religionen stellt M.S. Salomon die wahre Absurdit�t unseres Lebens entgegen: die Sinnlosigkeit, in der jeder selbst seinen Sinn finden muss, vorz�glich dann, wenn er gegen das Absurde in sich und um sich herum bis zum letzten Atemzug ank�mpft wie der Protagonist in seinem Roman.

Der Rezensent will nicht pathetisch werden, der Autor ist es auch nie in seinem Buch, in dem es wahrlich um �die letzten Dinge� geht. Es sei jedenfalls deutlich festgehalten, dass Salomon die Grundanforderungen, an die sich leider nicht jeder, nicht einmal jeder prominente Schriftsteller h�lt, bravour�s erf�llt: Er unterh�lt spannend, er unterh�lt mit Geist und Witz, und er hat sogar eine fundamentale �Message� her�ber zu bringen. Vor allem im Schlussteil des Romans k�nnen sich die LeserInnen, wenn sie wollen � man gestatte mir die strapazierten und missverst�ndlichen Vokabeln � auch ergreifen und r�hren lassen.

Joachim Goetz, Aufkl�rung und Kritik 2/03

"Bosch und Breughel lassen gr��en..."
Die etwas andere Rezension: "Stollbergs Inferno" aus der Sicht eines "philosophischen Satanisten"

Kein esoterischer Fachschinken oder transzendentes Initiativwerk, das den Leser zu schweren Betrachtungen �ber die Membrane zwischen Physik und Metaphysik animiert, sondern eine unterhaltsame Erz�hlung, gruppiert um das R�ckgrat einer plakativen Darstellung christlicher Jenseitsvorstellungen � Bosch und Breughel lassen gr��en, Dante ist auch nicht fern.

Ein Buch von der Sorte, f�r die man kein Lesezeichen braucht, weil man sie Vormittags in der Buchhandlung abholt, am Nachmittag, wenn das Tagesgesch�ft vor�ber ist, zu lesen beginnt � und erst aus der Hand legt, wenn man Ende des Glossars angekommen ist (..... welchen ich an sich schon vielen Zeitgenossen als sehr lehrreich nahe legen m�chte ....).

Die Story und ihren Handlungsaufbau nachzuvollziehen (... im Sinne von intellektueller Erkundung ....), ist eine Facette des Lesevergn�gens, daher dazu nur ein kurzer Anriss:

Jan Stollberg, ein akademischer Religionskritiker, stirbt w�hrend einer Uni-Vorlesung an einem Herzinfarkt, mit einem letzten �coito ergo sum� erl�schen die Lichter in seinen Gehirnwindungen � der Empiriker und Atheist erwacht in der (katholisch!!) christlichen Vorh�lle, bestens thematisiert und beissend karikiert nach den Vorstellungen der Unterw�rfigkeits-Fanatiker und Kinderbibel-Christen (.... gew�rzt mit Dantes g�ttlicher Kom�die ...).Da Stollberg aus katholischer Sicht sozusagen eine �ideologische Giftspritze� gewesen war, deren Gift viele L�mmer (... m�h ??) vom rechten (... wie doppeldeutig ....) Weg abgebracht hatte landet er in der Ebene der Tods�nder, das unterste Niveau der � wie schon Dante wusste, trichterf�rmigen - postmortalen Topographie der Christen.

Dort trifft er auf viele Geistesgr�ssen, Revolution�re und �Vordenker� der vergangenen Jahrhunderte, die sich dort unter recht widrigen Bedingungen ein erzwungenes Stelldichein geben.

Mit Stollberg interniert sind u. A. Michail Bakunin, der als Praktiker den k�stlichen Satz �.... wenn Gott wirklich existierte, m�sste man ihn beseitigen ...� beisteuert, Albert Camus, Ludwig Feuerbach, Karl und Jenny Marx, Rosa Luxemburg � und einem Friedrich Nietzsche, der bis zu Stollbergs Eintreffen als einziger der Denker das Prinzip der transformierenden Negation verstanden hat und anwendet - mit den Worten �es gibt nichts heiligeres als den Willen zur Gans!� geniesst er deren wurmzerfressenes, verfaultes Fleisch � welch gewaltiger Akt der thelemitischen Observanz!

Wer mit den Grundz�gen der Biografien und weltanschaulichen Konstrukte der Charaktere vertraut ist, hat seinen Spass an dem Wechselspiel der daraus resultierenden Weltsichten vor dem Hintergrund des negativen Feedbacks durch das umgebende, katholische Jenseits-Auschwitz, den Ergebnissen und Entscheidungen, die sich daraus ergeben und den Lauf der Story weiter formen, aber der Leser wird selbst sehen ......................

MSS streut immer wieder hintergr�ndige, die �quivalenzen zwischen christlicher und faschistischer Terminologie und Geschichte aufzeigende Szenen und Betrachtungen ein � �Glaube macht frei�, anstatt �Arbeit macht frei� � Dualismus macht eben nicht Halt vor Religionen, sondern kann sich in Ideologien wie Faschismus oder Stalinismus ebenso manifestieren wie in den Institutionaldiktaturen und ihren Establishments der westlichen Industriegesellschaften, siehe Realit�t.

Zwar m�chte man zun�chst Israel Regardie in den Reihen der Tods�nder vermissen, oder Crowley auf dem Berg der Dissidenten � bis Jan Stollberg von einem Inquisitor purgiert wird, der ihn zuerst nach dem Sinn des Lebens fragt - und in dessen Argumentation sehr viel vom exoterischen Teil der okkulten Weltsicht steckt.

Die Wende kurz nach dem grandiosen Handlungs-Finale wird die Leserschaft wohl ambivalent Beurteilen, man darf aber nicht vergessen, dass MSS vermutlich Empiriker ist und damit nat�rlich vor dem Hintergrund einseitig linear orientierter Paradigmen, also entsprechend zweidimensional interpretiert werden muss.

Aber es handelt sich um eine fiktive Erz�hlung zu Unterhaltungs- und Inspirationszwecken und die elegante Pirouette, mit der sich M.S.S aus der dramaturgischen Sackgasse rettet, weist ihn als erstklassigen Erz�hler aus.

Problem der Rationalisten und Empiriker, die Angst vor dem spurlosen Verl�schen des Egos in der Nichtexistenz (..... im Sinne einer Dematerialisation des Bewusstseins ....), durch die Assoziation des Todes mit einer absoluten und endg�ltigen Depersonalisation (.... wir nennen es Abyss ....), schl�gt sich nieder in dem Satz �Man lebt nur, weil es so sch�n ist, wenn mit dem Tod der Schmerz nachl�sst� � den der Autor allerdings ausgerechnet Buddha (!?) in den Mund gelegt hat.

Das Ego aber zieht den Schmerz der Linderung vor, wenn damit die vom linear-rationellen Weltbild implizierte Ausl�schung verbunden w�re � einer der Attraktoren f�r die in der westlichen Industriegesellschaft so verbreitete hysterische Todesfurcht und der kuriosen Verdr�ngungsmechanismen, in denen sich diese �ussert.

Fazit: Einfach ein unterhaltsames Buch, herrlich beissende Religionskritik, philosophische Abgr�ndigkeit und auch apophenische Inspiration enthaltend - Aus verschiedenen Blinkwinkeln heraus empfehlenswert.

Poincare 9�=2, Poincare's Hellgate

"Absurde, unreine Mischung"
Der erste Verriss: "Stollbergs Inferno" aus der Sicht eines durchaus gebildeten, allem Anschein nach jedoch ziemlich humorfreien, "orthodoxen (= dogmatischen) Marxisten"

Platon in 90 Minuten; Clever bluffen: Philosophie ("Von Aristoteles [...] bis Wittgenstein werden Sie mit den Gedanken der gro�en Denker schnell vertraut sein" (Cover-Text), und Sie m�ssen dazu nur 78 Seiten lesen!); Sofies Welt - Roman �ber die Geschichte der Philosophie: ein Parforceritt vom Garten Eden bis zum ewigen zyklischen Prozess auf 606 Seiten; ...Fast food allenthalben, nicht nur was den Magen, sondern auch was den "Geist" betrifft. Fast food jetzt auch noch aus dem Alibri-Verlag, Freidenkerinnen und Freidenkern u. a. bekannt durch die Reihe "Klassiker der Religionskritik". Die Mischung aus - um im Bild zu bleiben - Ham-, Cheese- und Fishburger tr�gt den Titel Stollbergs Inferno und stammt von M.S. Salomon (i. e. Michael Schmidt-Salomon), einem "Doktor der Philosophie" (S. 241) - das Fremdwort "promoviert" wollte man den Leserinnen und Lesern des Buches wohl nicht zumuten. Der Roman, so jedenfalls der Text auf der Umschlag-R�ckseite, sei "[e]in packender Philosophie-Thriller �ber die H�lle, die Revolte und das Absurde. Als kritisches Update zu Dantes G�ttlicher Kom�die gibt der Roman einen rasanten �berblick �ber 500 Jahre Kulturgeschichte."

Die Handlung des Romans: Jan Stollberg, ein ber�hmter Philosoph, Biologe und Religionskritiker, Autor des Buches Philosophie des Absurden, erleidet im H�rsaal einen Herzinfarkt und findet sich "im heiligen Purgatorium" (S. 8), der "Vorh�lle" (S. 15) wieder. Dort trifft er auf atheistische 'Prominenz' wie Camus, Marx, Bloch, Marcuse, Fromm, Nietzsche und Ludwig Feuerbach, der demn�chst in die H�lle abtransportiert werden soll. Dies wollen die Genannten und einige andere mehr zusammen "mit den Frauen der Nachbarh�lle" (S. 61) verhindern und gleich auch noch "den Himmel [...] erobern und diesen Henker-Gott von seinem Thron [...] st�rzen" (72). Die Frauen sind schon einen Schritt weiter als die M�nner: Elli Baumgart (das weibliche Pendant zu Jan Stollberg), Jenny Marx und Rosa Luxemburg, um nur einige Namen zu nennen, haben bereits "vor einiger Zeit die Aufseherinnen durch unsere Leute ersetzt" (S. 69), und so kommt es schliesslich zu einem gemeinsamen Marsch durch die Ringe der Vorh�lle. Angef�hrt wird der Trupp ausgerechnet von einem (ehemaligen) Nazi, der "f�r Eichmann gearbeitet" hat (S. 143) und nun Kommandant im h�llischen Lager ist. Dies ist zum einen aus der Not der Revolution�re geboren, die 'den Weg zu Gott' nicht kennen, dies ist zum anderen aber auch eine Konsequenz aus der Salomonschen Konstruktion der H�lle als KZ und seiner 'Lieblingseigenschaft' von Gott. H�ren wir dazu Luzifer (S. 87f.):

Auschwitz hat Gott sehr imponiert! Es war das gr��te Menschenopfer der Geschichte, sieht man einmal von der gro�en Sintflut ab! Er lobte die Effizienz der Judenvernichtung und ordnete sogleich eine Neustrukturierung der Vorh�llen an! Hatte er zuvor die gro�e Abrechnung auf den J�ngsten Tag verschoben, verlangte er nun den sofortigen Beginn der Endl�sung der Ungl�ubigenfrage. Nazischergen kamen in hohe Positionen. Eichmann wurde sofort nach seiner Hinrichtung in Israel [in der H�lle] mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut!

Schliesslich stehen die Revolution�re vor Gottes Thron, und Nietzsche t�tet Gott mit dem Flammenschwert des Erzengels Michael. Wer Gott ist bzw. wie Gott 'aussieht', sei an dieser Stelle nicht verraten.

Um das literarische (Sub)Genre "Thriller" zu bedienen, gliedert Salomon den Text in kurze Kapitel ("short cuts"), baut die Handlung einstr�ngig auf und verzichtet weitestgehend auf Analepsen (R�ckblicke), was f�r die Figurenschilderung fatale Konsequenzen hat, die dadurch noch eklatanter zutage treten, dass der Text h�lzern und holprig daherkommt.

Die Figurenschilderung ist deshalb nicht zufriedenstellend, weil die Protagonisten im Roman keine Vergangenheit haben, nicht als Menschen in Erscheinung treten, sondern als Fetzen aus philosophischen Systemen. (Daran �ndert auch die Tatsache nichts, dass Jan und Elli im Garten Eden, dem Erholungsort f�r h�llische Aufpasserinnen, Sex haben - dies ist ein Zugest�ndnis an das Genre.) Nietzsche z. B. wird weitestgehend reduziert auf seine Geisteskrankheit, die im Roman, also in der H�lle, lediglich gespielt ist, sowie auf seine "Gott ist tot"-Aussage und - nat�rlich, das darf ja nicht fehlen - auf seinen ber�hmtesten Satz:

Nietzsche sprang auf: "Jawohl! Kampf ist M�nnersache! Auf dem Schlachtfeld haben Frauen nichts zu suchen! Das ist ... "

Weiter kam er nicht. Ein Peitschenhieb riss ihn von den Beinen. "Wenn du zum Manne gehst, vergiss die Peitsche nicht!", lachte Clara Zetkin. "Nichts f�r ungut, Herr Kavalier! Aber wir Frauen sind es leid, die zweite Geige zu spielen!"

Gro�es Gel�chter.

�ber das Frauenbild Nietzsches sind Bibliotheken f�llende Abhandlungen geschrieben worden, aber die Peitschen-Sentenz ist eine der am wenigsten geeigneten Stellen aus dem volumin�sen Werk des Philosophen mit dem Hammer, um es zu explizieren. Zum einen spricht den Satz weder Nietzsche noch Zarathustra, sondern "das alte Weiblein"; zum anderen ist v�llig unklar, ob Zarathustra zu Frauen geht - das Weiblein formuliert eine Frage: "Du gehst zu Frauen?" - und ob er oder die Frauen die Peitsche nicht vergessen soll(en).

Solche Beispiele liessen sich zuhauf anf�hren, ebenso vom Autor erfundene Aussagen, die die betreffenden Protagonisten wohl nie und nimmer getan h�tten (was nat�rlich ebenso eine Spekulation ist wie die von M.S. Salomon), und es scheint so, als habe der Autor das Manko erkannt, denn er f�gt dem Roman ein "Glossar" an (Seite 219 - 240), das "[d]ie historischen Personen und ihr postmortales Schicksal" (S. 219) schildern soll.

Das ist aller Ehren wert, wenn man davon ausgeht, dass dem selber gestellten Anspruch dann auch Gen�ge getan wird. Teilweise ist dem auch so, besonders, wenn man den knappen Platz f�r die Schilderung der Philosophinnen und Philosophen in Betracht zieht. Aber eben nur teilweise.

Dass Martin Heidegger mit den Nationalsozialisten sympathisierte, ist bekannt. Inwieweit seine Philosophie nazistisch ist, dar�ber streiten sich die Gelehrten, hier kann z. B. ein Blick in die Sammlung von Texten von G�nther Anders, die den Titel �ber Heidegger tr�gt, weiterhelfen (erschienen M�nchen 2001). Fragw�rdig ist aber die Vorgehensweise, die Schmidt-Salomon an den Tag legt. Er macht nicht einmal den Versuch, wesentliche von Heidegger ersonnene Begriffe zu explizieren, er nennt sie nur und setzt sie, als Zeichen des Zitats, in Anf�hrungszeichen.

Die Grundverfassung des menschlichen Daseins fasst H. als ein "In-der-Welt-Sein", das von "Angst" und "Sorge" bestimmt sei. (S. 228)

So weit, so gut - bis hierher stimmt's ja, nur weiss man als Nicht-Philosoph jetzt wahrscheinlich auch nicht mehr als vorher. Dann aber schiesst Salomon deutlich �ber das Ziel hinaus. Das Zitat geht so weiter:

Indes: Von den wirklichen �ngsten und Sorgen seiner Mitmenschen bekam der sensible H. wenig mit. Als die Nazis das "Aus-der-Welt-Sein" von Juden, Sinti und Roma, Schwulen und Kommunisten besorgten, spekulierte H. sorgenfrei weiter. (ebd.)

Wer mit der Heidegger'schen Terminologie nicht vertraut ist, vertraut darauf, dass im Glossar 'objektive' Informationen geboten werden, dass in Parenthese Gesetztes auch Gleiches, in diesem Fall Originalbegriffe, also Zitate, enth�lt. Weit gefehlt: Die Anf�hrungszeichen von "Aus-der-Welt-Sein" bezeichnen kein Zitat, sondern eine von Schmidt-Salomon besorgte Parallelformulierung zum Heidegger'schen "In-der-Welt-Sein". So geht's nun freilich nicht!

Das Dilemma des Buches tritt hier paradigmatisch zutage. Zum einen der oben bereits zitierte Anspruch des rasanten �berblicks �ber 500 Jahre Kulturgeschichte, auf der anderen Seite die Verpackung dieses Anspruchs in die Form des Thrillers (mit historischen Personen). Vom jugendlichen Ernst Bloch stammt das Bonmot: "Es gibt nur Karl May und Hegel, alles dazwischen ist eine unreine Mischung." Wendet man diese Aussage auf Stollbergs Inferno an, dann kann man den Roman nur als unreine Mischung bezeichnen, eine Eigenschaft, die besser vermieden worden w�re.

Zum Schluss noch ein Wort zur philosophischen "Grundstimmung" von Stollbergs Inferno. Jan Stollberg hat, wie schon erw�hnt, eine Philosophie des Absurden verfasst, sein st�ndiger Begleiter ist Albert Camus, und so kann es nicht �berraschen, dass das Absurde st�ndiges Gespr�chsthema und dass die Arbeit, welche die "Tods�nder" zu verrichten haben, Sisyphos-Arbeit ist: sie heben L�cher aus, die sie dann wieder auff�llen m�ssen. Mit diesem Existentialismus Camus'scher Provenience einher geht ein radikaler Konstruktivismus, hier beispielhaft aufgezeigt an einer von Jan Stollberg an Elli gerichteten Frage und deren Antwort:

Ich habe das Ganze nur getr�umt, nicht wahr? Das Jenseits, die Vorh�llen, die Verh�re, der Aufstand ... nichts von all dem ist je geschehen? (S. 214)

Ellis Antwort:

Es war ja auch real! [...] F�r DICH war es real! (ebd.)

Der indische Mystiker Sri Nisargadatta Maharaj �ussert wenige Zeilen weiter: "Jeder erschafft sich seine eigene Welt ... " (S. 215), was stark an Piagets "Der Verstand organisiert die Welt [...]" erinnert.

G�nzlich in Vergessenheit ger�t �ber solchen Solipsismus, dass

das menschliche Wesen [...] kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum [ist]. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verh�ltnisse. (Karl Marx: 6. These zu Feuerbach)

Und so erschafft sich auch nicht jeder gl�ubige Mensch seinen eigenen Gott, wie der Roman Glauben machen will, sondern dieser verf�gt, zumindest nach christlichem Verst�ndnis, �ber die Attribute allm�chtig, g�tig und allwissend, so unterschiedlich das individuelle Gottesbild dann auch sein mag. Dem tr�gt Marx Rechnung, wenn er in Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung formuliert:

Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewu�tsein und das Selbstgef�hl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben oder schon wieder verloren hat. Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, au�er der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Soziet�t. Dieser Staat, diese Soziet�t produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewu�tsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt [...] Sie ist die phantastische Verwirklichung des menschlichen Wesens, weil das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt.

Das ist eine origin�r Marx'sche Erkenntnis, auch wenn der Erz�hler in Stollbergs Inferno peinlicherweise Camus �ber Feuerbach �ussern l�sst: "[Er] ist der Mann, bei dem Marx seine Religionskritik �ber weite Teile abschrieb ... " So was l�sst sich leicht schreiben, k�nnen sich doch weder Camus noch Feuerbach noch Marx wehren, und der Leser wird diese philosophische Geschichtsklitterung wohl der Romanform zugute halten.

Nicht der Romanform geschuldet werden kann aber, was Schmidt-Salomon im Glossar zu Marx verlauten l�sst. Dort �bernimmt er ein Lieblings'argument' der Christen, indem er die Erkenntnisse Marx' unter der Rubrik 'Religion' subsummiert (Marxismus = Religion), und er macht im gleichen Atemzug Marx daf�r verantwortlich,

dass sein Ansatz [...] zur fundamentalistischen Politreligion verkommen konnte, in der orthodox geschulte, kommunistische Parteipriester das Hochamt der Gewalt zelebrierten. (S. 233)

Kein Wunder, dass die Hauptpersonen in Stollbergs Inferno Existentialisten sind, die daran glauben, dass das Leben absurd ist, sind es doch so manche Behauptungen ihres Sch�pfers auch.

Walter Schmid, Freidenker Neu/Ulm