Von wem ist das literarische werk die getreue windsbraut

Project Gutenberg's In Purpurner Finsterni�, by Michael Georg Conrad

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Title: In Purpurner Finsterni�
       Roman-Improvisation aus dem drei�igsten Jahrhundert

Author: Michael Georg Conrad

Release Date: April 29, 2012 [EBook #39565]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK IN PURPURNER FINSTERNI� ***




Produced by Jens Sadowski





Von wem ist das literarische werk die getreue windsbraut

In purpurner Finsterni�. Roman-Improvisation aus dem drei�igsten Jahrhundert von Michael Georg Conrad

Verlag von C. F. Tiefenbach
Separat-Conto
Leipzig.

Meinem genialen Kameraden
Juliane D�ry

Kapitel 1

Grege wu�te, da� kein Abmahnen fruchtete, wenn Jala ihren Willen durchsetzen wollte.

Wie tief und schmerzlich seine Wunde am Fu�, hatte er ihr verheimlicht. Immer noch sickerte Blut durch den leichten Verband. Als er die Tropfen mit dem Finger wegstrich, griff Jala nach seiner Hand, so da� an der ihrigen, an der inneren Fl�che zwischen Daumen und Zeigefinger, ein rothes Blutzeichen haften blieb. L�chelnd besah es Grege, es hatte die Form eines Sterns.

— Also Du ziehst voraus, meine s��e Hoffnung?

— Ja, Grege. Ich bin voll Unruhe. Und wenn ich vorzeitig raste, schwinden meine Kr�fte. Kann ich irren?

— Nicht leicht, Jala. Geradeaus im versandeten Kanalbett, bis in die D�nen, die wir noch in der Nacht erreichen. Du hast die frische Brise, vom Meer her�ber, immer im Gesicht. Verla� Dich darauf. Bis die Luft wechselt, bin ich Dir wieder nahe. Ich mu�, mu� mich jetzt eine Weile schonen, meiner Wunde wegen.

— Schmerzt Dich die Wunde? Warum l��t Du sie mich nicht bef�hlen?

— Es ist nicht viel, Jala. Sie heilt, wenn ich kurze Rast halte.

— Du bist so voll Kraft und Gesundheit, mein Held. Und wir wachsen in der herrlichen Einsamkeit. Ich h�tte mich nie so stark geglaubt, als in dieser Bewegung, die mich beschwingt.

— Es ist eine Flucht, Jala.

— Nie mehr zur�ck, nie mehr! Hinaus in unsere Welt, in unser freies Himmelreich! S�ume nicht zu lange, Grege, la� Deine Jala nicht zu lange ohne Dich! Hast Du nirgends etwas wahrgenommen mit Deinem scharfen Blick, das uns bedrohen k�nnte?

— Nirgends. Die Luft ist vollkommen rein. O, ich mu� lachen, wei�t Du. Sie haben sich selbst des Mittels zu unserer Verfolgung beraubt, unsere Oberweisen von Teuta, seit sie die Luftfahrt verboten und alle Schwinggondeln in ihrem Lande zerst�rt. Und die Wege, die wir auf ebener Erde durch die W�steneien ihrer Grenze gegangen, sind der Lahmheit ihrer H�scher verschlossen. Weit, weit liegt jetzt Teuta mit seiner unterirdischen Herrlichkeit hinter uns. Kaspe, ihr wortreicher Oberrichter, ist langsamer in Entschl�ssen und Bewegungen, als eine Schnecke, und Ao, ihr Oberpriester, schl�ft und verdaut.

— Du nennst nur Ao und Kaspe. Vergi� nicht, da� noch ein Dritter im hohen Rathe sitzt.

— Ach, Minus meinst Du? Der Dich einmal mit widerlichen Antr�gen bel�stigte? Den hat nur Dein Anblick entz�ndet. Wenn Du aus seinen Augen bist, bist Du ihm auch aus den Sinnen. Der ist kein Verfolger. Der findet andere Ablenkungen. Ein schwacher Querkopf, dem es gen�gt, wenn er nichts Anderes haben kann, den heiligen Wortschatz von Teuta h�ten zu helfen. Nein, dieser hohe Oberlehrer von Teuta wird uns nicht gef�hrlich. Ich kenne ihn. Er hat mich einst unterrichtet.

— Du beschwichtigst mich, Grege, dennoch bin ich voll Unruhe.

Sein Auge umfing ihren jugendlich-kr�ftigen Leib mit einem tiefen z�rtlichen Blick.

— Die hat andere Ursache, s��es Weib.

— Also folg’ mir bald, Grege.

Dann reichte er ihr noch eine Handvoll Surro in die Tasche, ein Zehrungsmittel seiner eigenen Erfindung, das in Nu�gr��e die Kraft des Brodes und Weines und die labende Frische der Quelle barg, und lie� sie ziehen.

Er wu�te, wie wohl und sicher ihr war, wenn sie uneingeschr�nkt ihren Willen hatte. Er wu�te auch, da� in ihrer Einsamkeit seine Seele mit ihr war.

So legte er sich zur Ruhe nieder. Die Augen fielen ihm zu, das Bild der Wandernden einschlie�end. Er entschlummerte. Ein lebhaftes Jucken seiner Wunde erweckte ihn, er mu�te doch eine geraume Zeit durchschlafen haben.

— Jala wird sich um mich bangen. Ach, die weite Landschaft, endlos! Aber er war so schlaftrunken und in seinen Gliedern erschlafft, da� er sich nicht zu erheben vermochte. Nein, sie hatte recht, Ruhe thut nicht gut. Er wird sich jetzt doppelt anstrengen m�ssen, sie einzuholen. Wer wei�, wie gro� der Vorsprung ist, den sie bei der ausdauernden Stetigkeit ihres Schrittes vor ihm gewonnen, die rastlose Pilgerin.

Und in Gedanken malte er sich ihr einsames Dahinschreiten aus, ihre hoheitsvolle Haltung in der grenzenlosen Schweigsamkeit dieser unendlichen, sonnenhellen, wei�en Landschaft mit der hochgew�lbten Himmelskuppel. Eine schwebende Seele, die nur im Banne des Leibes mit der Fu�sohle die Erde ber�hrt. Die verk�rperte Sehnsucht nach den h�chsten R�thseln des Lebens und deren eigenpers�nlichster L�sung. Eine wandelnde Flamme mit eigenem Gluthherd, aus sich selbst ihre Nahrung sch�pfend zu immer st�rkerem Glanze, unfa�bar allem Gemeinen.

— Jala, Jala, ich verbrenne an der Sehnsucht nach Deiner Sch�nheit, wenn ich l�nger s�ume.

Und er schnellte auf, schwang seinen Stab hoch und zwang sich, mit schmerzendem Fu�e ihren Spuren zu folgen.

Er erinnerte sich genau aus alten Schilderungen, durch welche seltsamen Gegenden ihn jetzt sein Schicksal f�hrte, die gro�e Befreiung.

Alles in der Welt war seither ein Abstreifen, ein Tiefer-Zwingen, ein Unterdieerdebringen.

Was lag rings unter dem Sande gebettet? St�dteleichen �ber St�dteleichen. F�r bl�hende Gemeinwesen haben sie sich gehalten, und ihre Bl�the war eine Wurzelf�ule. Ihr Aufstreben war ein maskirter Niedergang. Eine Kraft schlug die andere, eine Kraft fra� die andere. So wurde immer weniger Kraft, bis sich Alles in platte Gleichheit und Unkraft wandelte und unter den Erdboden kroch. Ein unterirdisches Geschlecht. Ein naturscheues Geschlecht. Was �brig geblieben war von alten Kulturen, K�nsten und Herrlichkeiten, eine Kuriosit�t f�r die Gaffer, ein Hohnlachen f�r die Wissenden, ein Spott f�r die Langeweile der Feiertage.

Aber ihr Gewimmel giebt ihnen die erstickende Macht. Ihre Vielzahl erdr�ckt den Einzelnen. Da winde sich Einer heraus, wenn ihm Hunderte gleich an den Beinen und Armen h�ngen!

— Jala, Du freilich bist ein solches Wunder! Du schreitest �ber K�pfe und Tr�pfe weg. Du hast auch mich schreiten gelehrt. Was haben diese Nichtse aus Niemandsland und Niemandsgeschlecht aus mir gemacht, dem Sprossen alter K�nige? Heiliger Gott Bimbam, ist’s denn glaublich? Und erst eine Blinde mu�te mir die Augen �ffnen? Ein Kind Ao’s, des frommen Kom�dianten, mu�te mir Ernst beibringen und Selbstachtung? So oder so, jetzt stell’ ich meinen Mann.

Er verga� seiner Wunde und der endlos sich dehnenden L�nge des gleichf�rmigen Weges in diesen bald stillen, bald lauten Selbstgespr�chen. Er zog die leichte Kapuze tiefer in’s Gesicht, die Sonnenstrahlen abzuwehren, die mit den Reflexen der Sandfl�che sich verb�ndeten, ihn desto hei�er zu stechen.

Erm�det lie� er endlich den Kopf sinken, schlo� die Augen und tastete sich mit dem Stabe weiter. Sollte er’s besser haben als Jala, sein Weib, die blinde Seherin? Ueberwindet sie nicht alles Ungemach im Purpurglanze der Finsterni�, im hellen Muthe des Alleinseins, die starke Pilgerin?

Greges Ohren summten.

Er blieb pl�tzlich stehen. Er bog sich nieder und bef�hlte seine Wunde an der Ferse. Kein Blut mehr. Aber in den Zehen und in der Wade f�hlte er schmerzenden Krampf von dem ungleichm��igen Auftreten. Instinktiv war er die lange Zeit her nicht mit der ganzen Sohle des wehen Fu�es, sondern nur mit den Zehen aufgetreten. Er hinkte.

H�rte er nicht eine Stimme? Wer rief?

Er fuhr auf, sp�hte geradeaus, lauschend. Es war nicht Jala’s Ton.

Er schlug die Kapuze zur�ck, wendete sich betroffen um.

Zwei M�nner entstiegen ihrem Luftschiff, einer altmodischen Schwinggondel, zweimal Stabesl�nge kaum, hinter ihm.

Es durchzuckte ihn.

Fremdlinge zum Gl�ck, ganz offenbar, ihrer Tracht nach. Also wenigstens keine H�scher aus Teuta.

— Wer bist du, Hinkender? Wohin des Weges in dieser W�ste?

Das gab ihm die Fassung wieder. Er st�tzte sich auf seinen Stab und blickte die Fragenden scharf an.

Hochaufgeschossene Gesellen mit schlanken Knochen, durchgearbeiteten Muskeln und Sehnen, keine Spur von Fett, mit blonden B�rten, kalten, festen Augen mit herrischem, unerbittlichem Blick gleich Sto�v�geln.

Er antwortete nicht. Mit vorgestrecktem Arm machte er eine abweisende Bewegung in dem Sinne: Was k�mmert’s Euch? La�t mich! Ich will nichts mit Euch zu schaffen haben.

— Ist Dein Mund so krank wie Dein Fu�? Hinkt auch Deine Zunge?

Und sie lachten kalt.

Der Eine n�herte sich ihm, w�hrend der Andere mit dem Fu�e den Anker, mit der Hand das Steuer der Schwinggondel festhielt.

— Du kannst mit uns ziehn. Unser Fahrzeug tr�gt drei.

Das sprach der Aeltere. Genau hingesehen, hatte er nicht ein Gesicht wie ein Todtenkopf? Wahrhaftig. Und wie er grinste! Hing sein Bart nicht leblos, wie angeklebt?

— Du gehst in die Irre, scheint es, wir bringen Dich zur�ck.

— Du kannst uns von Nutzen sein, wenn Du gef�llig den Mund �ffnen willst. Wir gr��en Dich!

Aber es klang nicht wie Gru�.

Grege bi� die Z�hne zusammen, �rgerlich, da� er nicht schnell den rechten Entschlu� fand. Wie w�rde Jala handeln?

Da lachte er auf: — Ich erwidere Euren Gru�. Nun la�t mich in Frieden. Ich suche mein Weib.

Er stie� seinen Stab auf und wollte sich zum Gehen wenden.

— Er sucht sein Weib in dieser W�stenei! lachten jetzt die Fremden.

Sie wechselten rasch verst�ndige Blicke. Sein Weib? W�re das auch mitzufangen? Eine doppelte Beute? Das Fahrzeug hat Raum und Tragkraft auch f�r vier. Oder macht er nur Flausen? Fragt sich �berdie�, ob das Weib nicht eine Katze, die schwer zu b�ndigen. Sicher ist sicher. Schlie�lich ist der Teutamann doch die Hauptsache.

Nach wenigen Schritten f�hlte sich Grege angehalten. Der eine Fremde, der j�ngere vertrat ihm den Weg.

— H�re, Mann aus Teuta!

— Woher wei�t Du das?

— Ferner sind alle bewohnten L�nder. In deinem Zustande kann man nur aus dem n�chsten kommen. Auch Dein Gebahren deutet darauf und Dein bartloses Gesicht. Nur in Teutas Land ist die Gleichheit so strenges Gesetz, da� sich Keiner den Bart darf sprossen lassen. Alle sind dem gleichen Willen unterthan, bartlos zu gehen mit glattgeschabtem Gesicht.

— So sieh’ doch, jetzt spro�t mir der Bart. Ich habe nichts mehr mit der glatten Gleichheit Teutas zu schaffen. Und ich eile meinem Weibe nach. In Teuta sind die Weiber Allen gemeinsam. Keiner darf dort der Ausnahme sich r�hmen, eines eigenen Weibes eigener Mann zu sein l�nger, als die Zeit der Begattung w�hrt.

— K�stlich, wie du Bescheid wei�t!

— Gut, ich habe Dir, dem Fremden, meine Sache gesagt. Nun hindere mich nicht l�nger.

— Willst du Gewalt gegen unsere Wi�begierde brauchen? Setz’ Dich zu uns und belehre uns. Wir sind Forscher. Wir ziehen auf Kundschaft aus nach seltenen Sitten. Du hast eine gel�ufige Zunge und einen lahmenden Fu�. Dein Fu� kann in unserem Fahrzeug ruhen, Deine Zunge sich behaglich in Allem ergehen, was uns wissenswerth. Du bist uns ein guter Fund.

— Aus welchem Lande kommst Du, da� Du eine solche Sprache zu mir, dem Freien, wagst?

— Angelos sind wir, wie Du bald erfahren sollst, und Du — ein Freier gewesen.

Nach kurzem Ringen war Grege �berw�ltigt, gefesselt und in die Gondel gelegt.

Im Nu stieg das Fahrzeug in die Luft wie ein Geier.


Kapitel 2

Die Winde schliefen. Kein Laut in der Luft. M�des Flimmerlicht.

Was am warmen Boden knisterte, war der feink�rnige Sand, unter Jalas Sandalen, so oft sie den Fu� hob und senkte in wachsender Erm�dung. Es waren keine Schritte mehr. Die Gelenke zitterten vor Ueberanstrengung.

Jala war heute mehr Meilen gewandert, als gestern und ehegestern, von jagender Sehnsucht gepeinigt, endlich an’s Ziel zu gelangen.

Grege, der Getreue, warum war er um Hochmittag zur�ckgeblieben? Bis zum Abend versprach er sie einzuholen, wenn er seine Wunde gepflegt. Jala konnte ja des Weges nicht fehlen, in der geraden Linie des �bersandeten Kanales mit der leichten d�nenartigen B�schung auf beiden Seiten. War das nicht seine feste Meinung?

Nun kam ihr doch der Gedanke, sie m�chte irre gegangen sein. Ihr tastender Stab f�hlte keinerlei Erh�hung mehr am Wege.

Jala hielt an, lauschend, den Kopf zur�ckgelegt, das Gesicht in der Richtung der scheidenden Sonne, die Lider tief �ber den blinden Augensternen. Keines Dinges wurden ihre Sinne im Verweilen inne, au�er ihrer brechenden M�digkeit.

So beschlo� sie, zu rasten, bevor volle Ersch�pfung sie zw�nge, und Grege’s, des Getreuen, zu harren.

Ausgestreckt, in seitlicher Lage, die aufeinandergepre�ten Handfl�chen unter die linke Wange geschoben, ruhte sie am Wege, wie entseelt.

Auf ihre Schulter senkte sich, leicht wie ein Hauch, mit bebenden Fl�geln ein gelber Schmetterling.

— Wenn Grege jetzt mich so f�nde, seine muthige Jala! dachte sie. Dann verwehte ihr Bewu�tsein, bis sich’s wieder verdichtete im Traum.

Ihr lichtgraues Wanderkleid, �berstaubt, hatte die Farbe des Sandbodens, ihr aschblondes Haar, in ungeordneten Locken aus der Kapuze hervorquillend, die Farbe der verdorrten Gr�ser und Halme.

Das Gesicht, sonst mattwei�, hatte auf der langen Wanderung in freier Luft und Sonne sich ins Bernsteinfarbige gedunkelt. Um die weichen Umrisse der Nase, des Mundes und des Kinns wie �ber die geschmeidige Fl�che der Wange schwebte ein L�cheln der Ergebenheit junghei�er Leibeslust in den leidvollen Sieg der Seele, gemischt mit der Erinnerung an die tiefw�hlenden, schauerlich-s��en Wonnen, die sie im Zauber ihrer ersten wildfreien, sich selbstbejahenden Liebe genossen.

Immer tiefer, immer inniger schien der ausgestreckt rastende K�rper in den warmen Boden zu versinken, abgeflacht zu Schemen und Schatten.

Wie eine gro�e, selige Mattigkeit war die D�mmerung �ber die Welt gekommen, wie ein tiefausholendes Verschwingen in langen, lauen Rhythmen.

Am Horizonte das Meer in weingelben Streifen, veilchenblau ge�dert, letzte, verklingende Liebkosung aus der strahlenfeurigen Z�rtlichkeit der versunkenen Sonne.

Jala sah es im Traum, ganz so. Und ihr Herz erf�llte es wie heiliger Rausch beim Kusse des Geliebten. Und wie von stummer Musik getragen, schwebte sie mit Grege im lichten Gefilde, zwischen feierlichen Sonnenblumen, um deren hohe Stengel zierliche Schlingrosen rankten, in s��en D�ften die seidenweiche Luft gebadet.

Nun sah sie dies: Heilig, aus n�chtiger Finsterni� tauchend, die Insel, das Ziel der Pilgerschaft, die Heimath, das freie, ungetr�bte Gl�ck, Grege’s Himmelreich und das ihre.

Ausland und Fremde war ihr die weite, feste Erde gewesen, wo die Vielzuvielen und Zusammenh�ngenden wohnen, der dichte, dr�ckende Schwarm der Gleichm��igen, die traurigen V�lker, verbl�det im Gl�ck des Niemalsungl�cklichseins und des stumpfgewordenen Willens.

Nie, seit sie wu�te, hatte sie sich Mensch mit solchen Menschen gef�hlt.

Wie war das gekommen, da� sie anders war? Ein Trotz f�r sich und ein Widerspruch allen Anderen? Ein drohendes Aufb�umen in ihrem F�rsichsein und eine best�ndige Gefahr? Ein Verdacht, der zur herrischen Ueberzeugung wuchs, da� die Ordnung rings nur ein feiges Elend sei, dem ein Held erstehen m�sse, der Alles erl�se, indem er Alles aus den Fugen schl�gt? Und sie die Heldin des Helden?

Wie war das gekommen?

War’s eine verborgene Erbschaft aus ihrem Stammlande Friska, die jetzt in gesammelter Kraft aus ihrem stillen Herzensschrein hervorbrach, ihre Gedanken zu feurigen Pfeilen spitzte, ihre Empfindungen mit sprengenden Elementen lud?

Oft hatte Jala nach Zeichen gesucht, sich’s zu deuten in gegenst�ndlichen Bildern, da die erkl�renden Worte versagten.

War es ihre Blindheit, darin sie das neue Sehen fand?

War das eine Deutung, da� in jener Sturmnacht des jauchzenden Fr�hlings, als die Reife des Weibes im Wunder der Liebe ihren Leib verwandelte, das Licht aus ihren Augen floh und die Seele so hellsichtig wurde, als schw�mme sie in Blitzen?

Schuf Grege, der Hei�e, Treue, Unvergleichliche, den Unterschied zur dauernden Gestalt, daraus die neue Menschheit wachsen mu�te? Konnte sie darum nimmer von ihm lassen?

— Auf der Insel die Erf�llung! seufzte Jala im Traume.

So verging die Zeit.

Pl�tzlich erwachte Jala in s��er Ersch�tterung.

Langsam richtete sich ihr Oberleib vom Boden auf.

— Nicht versinken, nicht unter die Erde! In die H�he! Grege! Grege!

Was war das Alles? Was?

Ihre Hand tastete nach dem Stabe. Sie zog sich daran empor, sie straffte ihren K�rper zu voller H�he. Fremd. Allein.

— Grege! Grege!

Es war ein Nothschrei aus tiefster Seele. Ein Schrei in’s Leere.

Das schwarze Schweigen der Nacht verschlang ihre Stimme.


Kapitel 3

Kaspe und Ao sa�en in ihrem geheimsten Berathungssaal, drei�ig Klafter tiefer, als die �brigen Amtsstuben, unter der gemeinen Erde.

Es war ein weiter, magisch erleuchteter und wie ein Treibhaus durchw�rmter Raum, zeltartig mit Teppichen und seidenen Geweben ausgekleidet, so da� keine Wand zu sehen. Von der Decke hingen Reihen verschiedenfarbiger Schn�re f�r die Luft-, Licht- und Tonleitungen. Die Mitte nahm ein kleiner runder Tisch ein mit dem Tastwerk und dem Spiegel.

Der oberste Diplomat von Teuta, Titschi und sein junger Gehilfe Soundso hielten ihnen abwechselnd den Wochenvortrag.

Ein Theil war nunmehr erledigt, der auf die allgemeinmenschliche Stimmung der Teutaleute bez�gliche.

— Alle satt? fragte Ao, der dicke Oberpriester, sich auf dem fahrstuhl�hnlichen Polstersitz streckend.

— Alle ruhig? fragte Kaspe, der schm�chtige Oberrichter.

— Alle satt und ruhig, antwortete Titschi mit verbindlichem L�cheln.

— Also Alle gl�cklich, nickte Ao.

— Wie �blich, best�tigte Kaspe.

— Ist es Euch, Hoheiten, nicht um einen Zehntel Grad zu warm? fragte Soundso. Ich meine, es m��te uns um einen Zehntel Grad zu warm sein.

Ao drehte den Ring an seinem kleinen Finger der linken Hand, die mit einem feinen Faden umwickelt war, der magnetische Apparat spielte, mit einem zarten Ton entwich das Zehntel �bersch�ssiger W�rme durch die Temperaturorgel.

Alle nickten. Soundsos Hautempfindung war unfehlbar.

— Ist es Euch, Hoheiten, nicht um eine Zehntausendstel Kerze zu hell? fragte wieder Soundso. Ich meine, es m��te uns um eine Zehntausendstel Kerze zu hell sein.

Alle stimmten bei.

Ao ber�hrte den Ring an seinem kleinen Finger der rechten Hand, der Apparat spielte, mit einem feinen Duft kam die gew�nschte Milderung der Helligkeit in den Raum. Die Talare der hohen R�the schimmerten um die Idee einer Schattirung tiefer in ihrem purpurnen Seidenglanz. Der goldgelbe Ton der Zeltgewebe und T�cher stumpfte sich um ein kaum Merkliches. Aber die hohen R�the empfanden die schwache Ver�nderung als eine Mehrung ihrer sinnlichen Behaglichkeit.

— Die Abschaffung s�mmtlicher Luftfahrzeuge f�r das gemeine Volk hat sich bew�hrt? fragte Kaspe mit zirpender Stimme. Es finden keinerlei Entweichungen mehr nach oben statt, die Teutaleute halten sich zufrieden am R�cken der Erde? Es wurde keinerlei Verunreinigung der Luft durch Schwinggondeln mit Fl�chtigen und Durchbrennern bemerkt?

— Die Luft ist vollkommen geschlossen, erwiderte Titschi, seine etwas geknickte Gestalt erhebend.

— Freiheit und Gleichheit herrschen im Lande innerhalb der Grenzen der gemeinen Wohlfahrt. Ungetr�bt ist das gemeine Gl�ck, dank der Idealit�t unserer Zust�nde. Gott und sein Volk sind das A und das O, und ich bin, durch beider Willen, ihrer frommen F�rsorge treuer Knecht, so lange ich im geheiligten Amte stehe — sprach der Oberpriester in schl�friger Feierlichkeit.

— Ja, Hoheit, Deiner Tugenden Lohn ist Allen sichtbar, Du verdaust gut, Du schl�fst gut. Dem Volke Gottes kann es an nichts mangeln, betheuerte im weichsten Ton Titschi, der oberste Diplomat.

— Wie war das Ergebni� der letzten Zeugungsperiode? nahm Kaspe das Wort.

Titschi rieb sich die feine Schn�ffelnase. Er bl�tterte in einem winzigen Notizbuche, das mit allerlei krausen Abbreviaturen vollgekritzelt war.

Abtheilung I zwischen F�nfzehn und F�nfundzwanzig sehr gut, Abtheilung II zwischen Achtundzwanzig und F�nfunddrei�ig gut, Abtheilung III zwischen Vierzig und F�nfundvierzig m��ig, Abtheilung IV zwischen Achtundvierzig und F�nfzig gut, Abtheilung V Rest ungen�gend.

— Wir werden uns mit dem Oberphysikus benehmen m�ssen. Vielleicht, da� er eine Abk�rzung der Schonperioden guthei�t und eine Erweiterung der Abtheilungen nach unten und oben vorschl�gt, lallte Ao schlafs�chtig.

— Nach oben, das wird wenig n�tzen, bemerkte Soundso mit pfiffiger Miene, es liegt in der Natur, da� die Leute mit der Zeit flau und bequem werden und sogar angenehmeren Pflichten sich entschlagen.

Soundso hatte sich diesmal verschnappt. Niemand nickte.

Das ri� Ao aus seiner Schlummerstimmung.

— Natur? rief er merklich �berrascht, beinahe vorwurfsvoll, was hat in Teuta die Natur zu sagen? Ich schaudere schon vor dem Wort zur�ck. Gr��e und Gl�ck unseres Teutalandes, seine Einzigkeit und sein Ruhm begr�nden sich darauf, da� wir �ber die Natur hinaus sind, seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden. Alles ist Mechanik und Mystik. Damit stehen und fallen wir. Das ist unser Lebensgeheimni�. Das ist unsere Macht. Mechanik und Mystik, das sind die beiden Pole unseres Staates, um den uns die Welt beneidet. Soundso, ich rufe Dich zur Ordnung. So lange ich hier meines Amtes walte, ich, Ao, will ich das Wort Natur in diesem Zusammenhange nicht mehr h�ren. H�te Deine Lippen, Soundso. Auch Deine Werthung der Pflichten, nach ihrer gr��eren oder geringeren Annehmlichkeit, ist Ketzerei, wenn man der Sache auf den Grund geht. Du bist gewarnt.

Alle stutzten. So lebhaft hatten sie den w�rdevollen Ao schon lange nicht mehr gesehen.

— Das macht die Jugendlichkeit meines vortrefflichen Gehilfen, da� er sich so verschnappt hat, beschwichtigte Titschi, mit einem mahnenden Zwinkerblick auf Soundso.

Der junge Diplomat hatte sofort die gef�gigste Lammsmiene aufgesteckt, als h�tte er nie das kleinste W�sserchen getr�bt.

Titschi fuhr im trockensachlichen Tone fort: Ja, Hoheiten, der Oberphysikus wird uns Bescheid sagen. Inzwischen will ich feststellen, da� keinerlei ernste Gefahr im Verzuge ist.

Nun zirpte auch Kaspe: Der Bev�lkerungsr�ckgang ist durchaus normal und giebt zu keinen Bef�rchtungen Anla�, so lange wir in der Lage sind — und wir sind es, wie seit f�nfzig Jahren stets — den Slavakos die festgesetzte Zahl an jungem Tauschvolk allj�hrlich und p�nktlich gegen die Einlieferung der bedungenen Nahrungsfr�chte zu liefern. Wir k�nnen sogar, bei der n�chsten Erneuerung des Vertrages, mit der Sch�tzung unserer Leistung hinaufgehen und st�rkere Gegenleistung fordern.

Soundso konnte hier eine sachliche Bemerkung nicht unterdr�cken.

— Eines Tages m�chte sich’s doch ereignen, da� Teutaland nicht mehr so viel Tauschvolk produzirte, um die gen�gende Nahrung geliefert zu erhalten. Und bei allen Fortschritten der Technik werden wir nicht leicht dahin kommen, das Volk mit Luft zu ern�hren. Auch die Surros kriegt man auf die Dauer satt. Der Magen nimmt sie nicht mehr an. Er will nat�rliches Originalfutter zur Abwechslung. Unsere Vorfahren thaten nicht gut, die Landwirthschaft zu zerst�ren und uns ganz den K�nsteleien der Techniker und Chemiker zu �berliefern oder gar den dilettantischen Erfindern vom Schlage Greges. So h�ngen wir von den Slavakos ab. Wenn denen einmal Unheil zust��t, sind wir ohne Fr�chte. Es k�nnte sich auch ereignen, da� sie unsere menschliche Tauschwaare zur�ckwiesen. Womit wollten wir sie dann verpflichten? Oder sie f�hren ein System des Lebens ein, das ihnen selbst gen�gend Menschen lieferte. Was dann, Hoheiten? Gestattet meiner Jugendlichkeit diese bescheidenen Gedanken.

— Zukunftsgespenster! Die schrecken uns nicht. Die Slavakos werden im Gegentheil immer nachdr�cklicher auf unsern Menschenersatz angewiesen sein.

— Wie das? fragte Ao, der seine Schl�frigkeit vollkommen bezwungen zu haben schien.

— Sehr einfach. Wie ich aus zuverl�ssigen Berichten wei�, sind bei den Slavakos wieder einige neue religi�se Sekten entstanden, welche es mit den Lehren ihres Heiligen, den sie unter den gr��ten Auserw�hlten ihrer Rasse vor zweitausend Jahren entdeckten, noch viel strenger nehmen. Toistoji nennen sie sich. Diese Toistoji setzen ihre Seligkeit in absolute Enthaltung von jedweder Fortpflanzung aus eigenem Samen und w�hlen ihre Anh�nger aus den j�ngsten Jahrg�ngen . . .

— Beachtenswerth, rief Ao erbaut, das n�chste Mal erbitten wir uns weitere Aufschl�sse, Kaspe. Die Zeit ist heute zu vorger�ckt. Ich habe noch andere Fragen. Zun�chst die: Wie stehen wir zu den Angelos? Hat sich unsere Abschlie�ungszone gegen sie erweitert? Ist unsere Grenze gen�gend gesch�tzt? Die Angelos verharren in der Barbarei ihrer alten Ordnung und sind Feinde unserer Ruhe. In jedem Blutstropfen lauert ihre Herrschgier. Liegt nichts Verd�chtiges vor?

Als Titschi den Kopf sch�ttelte, r�usperte sich Soundso, als wolle er wieder das Wort nehmen. Aber nun kam ihm Titschi zuvor, um nicht durch eine neue Verschnappung seines jungen Gehilfen umst�ndliche Er�rterungen und damit eine l�stige Verl�ngerung der Sitzung herbeizuf�hren.

— Nein, es liegt nichts vor. Seit Jahren lie� sich keiner von diesen St�renfrieden an der Grenze unseres Reiches blicken. Unsere Abschlie�ungszone gegen das Meer hat sich inzwischen um weitere bedeutende Fl�chen vermehrt, der W�steng�rtel hat sich verbreitert. Die sanften Slavakos, obwohl sie immer weiter nach Westen dr�cken, sind unsere vertragsm��igen Freunde. Die Frankos scheinen wirklich stille Leute geworden zu sein, von liebensw�rdiger Gesinnung. Weitab wohnen die kleinen V�lker, die ihrer turbulenten Neigungen zwar noch nicht ganz Herr geworden sind, aber zu fernen Abenteuern jeden Anla� verloren haben. Ich kann mir kein friedlicheres Bild unserer Beziehungen zur Umwelt denken. Je tiefer der Trieb unserer Leute im Leben und Bauen geht, desto weniger Angriffspunkte bieten wir.

— Ja, unter der Erde ist gut und sicher wohnen, zirpte Kaspe. Schade, da� wir die alten Kulturdenkm�ler nicht auch unter die Erde bringen k�nnen. Das K�nigsschlo�, das Gotteshaus, die Kaserne, das Museum, das Zuchthaus — g�be es wirklich kein Mittel, sie tiefer zu legen? In der Luft ist ohnehin die Verwitterung so stark, da� uns die Unterhaltungskosten mit der Zeit dr�ckend werden k�nnen. Oder wollen wir sie wie die Fabrik mit ihren neunundneunzig Schl�ten ruhig dem Verfall und dem Einsturz �berlassen? Sattgesehen hat man sich in den vielen Jahrhunderten auch daran. Ich glaube nicht, da� unsern Teutaleuten das Herz an diesem Ger�mpel h�ngt. F�r diesen Ausfall erfinden sie sich reichlich neue Vergn�gungen.

— Neue Vergn�gungen, lispelte Soundso mit l�chelnder Lammsmiene, ja, das ist das herrliche Problem, neue Vergn�gungen, Hoheiten!

— Mein kluger Soundso vergi�t, da� bei uns Alles Eintracht und Zufriedenheit athmet. Probleme sind Keime f�r Umw�lzungen. Diejenigen, welche Revolutionen gemacht haben, dulden nicht, da� man nach ihnen welche machen wolle. Mit Recht oder Unrecht, so ist’s.

— Der Ton wird bedenklich, sagte Ao feierlich, ich hebe die Sitzung auf.

Der Oberpriester faltete die H�nde, der Saal h�llte sich in purpurne Finsterni�. Der Oberpriester dr�ckte den Daumen an den Knopf des Riemens, der um sein linkes Knie geschnallt war, sofort spielte der Mechanismus, der die Hoheiten mit sammt ihren Polstersesseln durch die sich �ffnenden W�nde in die G�nge schob, wo ihrer die Fahrst�hle f�r die privaten Gem�cher in der h�heren Region harrten.

Soundso fl�sterte seinem Meister ins Ohr:

— Der Alte wird schwach.

— Ein Idiot.


Kapitel 4

Minus, der Oberlehrer, zog die winzigen H�rr�hrchen aus der Ohrmuschel und schlenkerte sie nerv�s spielerisch an dem rothen Seidenfaden. Sein Blick war seltsam unruhig.

— Na? fragte Bim, der Oberphysikus, und verzog sein l�ngliches Gesicht zu einem neugierigen L�cheln.

— Eine Mittheilung von Ao. Soundso hat ihn gekr�nkt. In der Wochensitzung. Heillose Worte sind gefallen. Ich soll pr�fen.

— Heillose Worte? Von Seite Aos?

— Nein. Soundso vers�ndigte sich am heiligen Wortschatz.

— Schon wieder? Ich werde seinen Geisteszustand beobachten lassen. Mir ist er l�ngst verd�chtig. Also Frevelworte ausgesto�en?

— Hm.

Minus spitzte den Mund und blies in die hohle Hand.

— Na, Hoheit?

— Vor bald zweitausend Jahren sprach Einer das Spr�chlein: „Worte sind Schall und Rauch.“ Das wirkt fort, Bim. Man nimmt die Worte zu leicht. Viel zu leicht . . . Eine schleichende Gefahr. Auch bei uns. Geh�rtes verf�hrt . . .

Bim nickte. Sein l�ngliches Gesicht zeigte d�stere Nachdenklichkeit.

— Wie hat der vor bald zweitausend Jahren gesagt?

— „Worte sind Schall und Rauch.“

— Hab’ ich nie geh�rt. Ich verneige mich vor Deiner Gelehrsamkeit. Worte nicht blo� Schall? Worte auch Rauch? Also haben damals Worte geraucht, in jener primitiven Zeit? Einfach kanibalisch: Worte, die rauchen. Worte die nicht nur die Ohren, sondern auch die Augen bel�stigen. Die br�ndeln und st�nkeln. Puh, Minus, kehren solche Zeiten wieder? Glaubst Du, gro�er Wissender?

— Wenn eine Jugend, wie dieser Soundso, in die Staatsgesch�fte hineinw�chst, Bim. Geh�rtes verf�hrt, sei �berzeugt.

— Jawohl, Hoheit. Wort, Aetherschwingung, Seele, Alles in eins. Furchtbare Gewalt. Wenn nun Worte auch noch schallen und rauchen! Aufruhr, Umw�lzung, Umsturz, ja wahrhaftig, Umsturz! Und was — —

Bim bekam pl�tzlich seinen Hustenanfall und drehte seinen langen d�nnen Hals verzweiflungsvoll, da� die Wirbel knackten.

— Hm, machte Minus, indem er wieder die winzigen H�rr�hrchen in die Ohrmuschel steckte.

— Na? fragte Bim, nachdem er sich von seinem Anfall erholt hatte.

— Eine Mittheilung von Kaspe. Soundso scheint ihm verd�chtig. Seit der Wochensitzung. Worte, Worte, Worte.

— Schon wieder? Was hab’ ich vorhin gesagt? Darf ich nun erfahren?

— Der Gehilfe unseres Oberdiplomaten erregt Aergerni� auf allen Seiten.

— Ich bitte um die Worte, zum Thatbestand.

— Aber vorl�ufig ganz unter uns, Oberphysikus. Amtsgeheimni�.

— Vertrauliche Mittheilung, versteht sich. Sch�tzbares Material unter dem Siegel der Verschwiegenheit.

Aug’ in Aug’, da� sich ihre Nasenspitzen fast ber�hrten, dann den Mund am Ohr: Vernimm, Bim — Natur — angenehmere Pflichten im Sexualen, h�rst Du? — Probleme, herrliche Probleme sogar.

Dann blickten sie sich starr an.

— Soundso?

— Soundso. Und dieser Mensch, Minus, sollte er nicht des Schlimmsten f�hig sein? Ist das nicht ein keimender Entartungstypus in unserem normalen Gemeinwesen? Ist das nicht ein stetig sich aufbauender Seuchenheerd in unserem musterhaft gesunden Land?

— Ich ahne, Bim.

— Schon damals. Meine unglaubliche Entdeckung des Urstoffs, alle Geister hat sie ersch�ttert, ihn hat sie kalt gelassen. Mehr noch: er hat sie still verh�hnt. Und er wagt Worte, wie Natur, Probleme, angenehmere Pflichten vor dem Oberpriester auszusprechen.

— Und vor dem Oberpriester!

— Und vor dem Oberpriester. Gerade vor dem, der meine unglaubliche Entdeckung mit dem h�chsten Lob auszeichnete. Wei�t Du noch?

— Das Lob ja. Sehr ergreifend. Wie lautete doch gleich Deine herrliche Entdeckung? Die Worte sind mir nicht gegenw�rtig.

— O Minus, Hoheit: Urstoff! Die Materie, aus welcher die Atome bestehen, ist nicht qualitativ verschieden, sondern die verschiedenen Atome sind nur verschiedene Qualit�ten derselben Materie, und diese Materie ist der Urstoff.

Minus zog die Augenbrauen hoch, da� sie wie ein schwarzes Runzel-Dreieck �ber den erstaunten Augen standen. In seinem Sinne dachte er: O du bl�der, aufgeblasener Frosch, mit deinem dummen Gequake — aber seinem Munde entschl�pften kl�gere Worte.

— Herrliche Entdeckung, herrliche Definition. Ja, das sind Ideen, nicht Schall und Rauch. Davon wird eine neue Entwicklung ausgehen. Neue Probleme werden hervorsprie�en, neue —

Bim spreizte erschreckt die f�nf Finger der linken Hand in die H�he und legte die rechte dem Sprecher auf den Mund.

— Oh! Oh! Wenn uns ein sterbliches Wesen geh�rt h�tte, Minus, Hoheit! Oh! Entwi— Entwicklung, geh�rt das nicht auch zu den verp�nten Worten unseres staatlichen Sprachschatzes, so gut wie neue Probleme? Stehen wir nicht auf dem Gipfel? Wohin mit Entwi— Entwicklung? W�re das nicht Schwindel eines Schwarmgeistes? Wir bauen aus, wir vertiefen, wir f�gen hinzu, aber entwickeln? Nein. Wir haben einen Standpunkt, unser erreichtes Ziel, da ist nicht Raum f�r etwas Zielloses, Un�bersehbares. Entwicklung — wem schauderte da nicht? Sturz in’s Bodenlose — wem — — —

Bim bekam schon wieder seinen Hustenanfall, da� die Halswirbel knackten.

Minus hatte sich bei Bim’s emphatischer Strafpredigt langsam umgewendet. Jetzt drehte er ihm das Gesicht wieder zu, mit unersch�tterter Ruhe:

— Bim, ich bitte, wem sagst Du das? Mein Amt gestattet mir, mich auch einmal �ber meinen Standpunkt zu stellen, um — Andere zu pr�fen. Du hast die Pr�fung bestanden. Gl�nzend. Wie vorauszusehen. Der Mann des Geistes begl�ckw�nscht den Mann der K�rperlichkeit.

— Der Ebenb�rtige verneigt sich, Hoheit.

Sein l�ngliches Gesicht versuchte durch ein s�uerliches L�cheln den aufsteigenden Aerger zu d�mpfen.

Nein, es ist mehr als Fopperei von diesem obersten Gelehrsamkeitsverwalter, es ist ein Stich in’s Boshafte, fast in’s Gr��enwahnsinnige dabei, dem nichtsahnenden Oberphysikus mit solchen Scherzen zu kommen. Man k�nnte sich ordentlich f�rchten, wenn unter Kollegen solche Neigungen herrschend werden. Das ist kein gl�cklicher Ton im hohen Rath des gl�cklichsten Volkes. Einem meuchlings mit Pr�fungen zu kommen, mit hinterlistigen Gesinnungs-Erforschungen! Und gerade ihm, dem tadellosen Bim, dem unersetzlichen Physikus, der die Wissenschaften mit F�nden und Entdeckungen weitreichender Art begl�ckt und dabei �ber die Gesundheit der Teutaleute mit solchem Eifer wacht!

Was weht denn jetzt f�r ein Wind in den auserlesensten K�pfen, wenn ein Mann von der Gelehrsamkeit und W�rde eines Minus Schabernack treibt? Kommt damit nicht eine gef�hrliche Unsicherheit in alle Beziehungen derer, die der Wille des Volkes auf die wichtigsten Posten gestellt?

— Ja, ich begl�ckw�nsche Dich, Bim! begann pl�tzlich der Oberlehrer wieder. Du bist ein Mann von hohen Gaben. Wie viele Jahre giebst Du mir noch? Damit ich dem w�rdigen Teutavolke mich n�tzlich erweise, der Weisheit meiner hohen Kollegen immer n�her komme?

— Wieso das?

— Wir wissen, oder auch nicht, je nachdem, Bim, da� die Erde nichts ist als ein erstarrter winziger Sonnenabfall, ein kleiner Dreckspritzer, ein Sandkorn in der unendlichen W�ste der Welten. Wir wissen, welche Gase an der Fl�che der fernsten Sterne gl�hen. Macht das Dein Herz gr��er? Dein Leben fr�hlicher? Wir wissen, da� man vor tausend Jahren, bevor die Chinesenherrschaft in Europa triumphirte, Weltr�thsel zu l�sen im Begriffe war, von denen wir heute keine Ahnung haben. Da� man damals fast das Problem gel�st hatte, aus dem Dunstkreis der Erde hinaus und in die Sph�re des Mondes hineinzufahren. Hat dieser Aufschwung gehindert, da� dennoch ganz Europa in die Br�che gegangen? Da� all’ die gro�en Reiche des Kontinents verschwunden und wir nur armselige Reste sind? Wie viele Jahre noch?

— O, Hoheit.

— Wie viele Jahre giebst Du mir und Dir noch?

— Wie kommst Du auf solche Gedanken, Minus? Wir sind beide in guter Verfassung.

— Wir sind zwar die �ltesten Mitglieder noch nicht im hohen Rath, Bim. Bei der n�chsten Musterung, wer wei�? Dem Volke schmecken mit einem Male die Alten nicht mehr, stell’ Dir das vor! Es geht wie ein Traum der Verj�ngung durch die Herzen der kleinen Teutawelt. Meine Sp�her und Zeichendeuter wollen sich nicht geirrt haben. Hast Du noch nichts bemerkt?

— Keinen Schimmer, hauchte der Oberphysikus erm�det.

— Fehlt Dir etwas, Oberphysikus? Deine Lippen zittern. Hast Du Zahnweh?

— Aber, ich bitte.

— Wie viele Z�hne hast Du noch? Hast Du �berhaupt noch Z�hne?

— Die sitzen noch ganz solide.

— Sind Deine Kiefer noch stark genug, das Gebi� zu tragen?

— Ich begreife nicht, Hoheit.

— Richtig, ich vergesse, da� man in Deinen Jahren wohl auf diesen Zierat verzichtet.

— Zierat, Minus? Z�hne sind ein Instrument der Gesundheit. Erinnere Dich, da� ich einst ein vielgepriesenes Mittel erfunden, dieses Instrument zu sch�rfen.

— Hast Du das, Bim? Ich erinnere mich nicht. Nach Dir kam aber einer, der Speiseformen erfand, wodurch die Arbeit dieses Instruments �berhaupt �berfl�ssig wurde. Haben die Teutaleute Deiner Erfindung Ehre erwiesen, wirklich, Bim?

Der Oberphysikus bi� die Z�hne zusammen — es war keine vollst�ndige Garnitur, und griff sich mit der Hand an die Stirn. Dann warf er einen hilflosen Blick auf den unbegreiflichen Frager.

Der aber fuhr unerbittlich in seiner starren Weise fort:

— Wie ein Traum der Verj�ngung. Meine Sp�her und Zeichendeuter sind zuverl�ssig. Hast Du nie einen �hnlichen Traum getr�umt?

— Nie, Minus.

— H�ttest Du’s doch. Vielleicht h�tte Dein Scharfsinn einen Sporn mehr erhalten. Du h�ttest uns ein durchgreifendes Verj�ngungsmittel erfunden, Bim. Warum l��t Du uns sterben?

— Sterben wir? Hoheit, noch leben wir.

— Nein, wir sterben. Du irrst, Oberphysikus. Wir sterben — wir sterben an der Jugend der Anderen. Grausame Todesart. Sie macht l�cherlich.

— Du qu�lst Dich und mich, Minus. Warum qu�len wir uns mit solchen Fragen?

— Weil sie zeitgem�� sind.

— Aber sie stehen heute nicht auf der Tagesordnung, Minus, Hoheit.

— Das ist nicht ihr Fehler. Das ist unser Fehler.

— Du verschwendest Deinen Geist, Minus.

— Verschwende ich ihn?

— O, sicher an keinen Unw�rdigen. Aber immerhin — —

— Bist Du so sicher, Bim? Ich habe oft zu Thoren geredet, wenn ich vermeinte, zu Weisen zu sprechen. Man nimmt die Worte zu leicht. Viel zu leicht. Daher die schleichende Gefahr. Aber vorl�ufig ganz unter uns. Oberphysikus, Amtsgeheimni�!

Bim wu�te nicht mehr, was er denken sollte. Irgendwo und bei irgendwem stand’s nicht richtig.

Er starrte seinen hohen Kollegen vom hohen Rathe an.

Nein, da war wirklich guter Rath theuer. Aus diesen Mienen war keine Erkl�rung f�r die sonderbaren Worte zu sch�pfen.

— Sollen wir uns die grausame Todesart gefallen lassen, Bim? Wei�t Du? Die den Sterbenden l�cherlich macht, weil er sein Gestorbenwerden nicht merkt? Die Anderen aber, an denen er stirbt, die merken’s, Bim! und lachen und weinen, die Unerbittlichen.

— Niemand stirbt so im Lande der Teutaleute. Ich fasse Deine Besorgni� nicht, Minus.

— Sie lachen und weinen, die Unerbittlichen. Mit ihren Thr�nen verh�hnen sie den Ungl�cklichen. Ihre Thr�nen sind Salz in offene Wunden.

— Minus, nie habe ich Jemand von unserem Volke weinen sehen. Im edlen Lande der Teutaleute kennt man keine Thr�nen. Man kennt sie nicht. In alten Zeiten, ja, wo es noch F�rsten gab und Soldaten, Tyrannen und Knechte. Da kam’s zu blutigen Thr�nen. Im Staat des Kapitalismus, der folgte, noch schlimmer. Dann der Zusammenbruch, dann die sozialistischen Qu�lereien. Das besserte wenig. Die Menschen verlernten das Weinen nicht. Aber in unserem Weltalter der gemeinsamen G�te! Thr�nen, Minus! Das ist vorbei. Das ist die Auszeichnung der Teutaleute, ihr besonderes Wesen. Ihr Gleichmuth, denke doch, ihre Sittsamkeit, ich bitte Dich, ihre Geduld. Wir k�nnen ruhig sterben, Minus.

— Warum thun wir’s nicht? So stirb doch, Bim! Schaffe Platz der Jugend! Was z�gerst Du? Ich will sehen, ob Du ein Ende machst. Bestelle Dir wenigstens einen Gehilfen, wie Titschi sich einen Gehilfen bestellt hat. Nimm Dir einen Soundso. Die einzige Form, die unser Gesetz gestattet, in Staatsgesch�ften unser Leben zu dehnen. Aber Alles das thust Du nicht, Du wartest ab. Du greifst nicht vor. Du l��t’s drauf ankommen. Du willst gestorben werden. Deine Feigheit w�hlt die grausamste Todesart.

— Minus!

— Ja, so sind wir. So seid ihr. Ich nicht. Ich mache ein Ende. Heute noch. Ich habe Sehnsucht, loszukommen, ohne Hohn.

Diese Wendung �berraschte Bim mehr, als Alles Uebrige. Also darauf spielten die krausen Wendungen und Worte. Aus sich selbst heraus kam dem edlen Minus der Ueberdru�, der Unmuth.

— Bedenke doch, Minus, wer uns auf den Posten gestellt. Und da sollen wir fl�chten, ohne Noth, aus trauriger Laune? Des Volkes Wohl ist uns anvertraut — —

— Des Volkes Wohl! Ich mache ihm meine Reverenz — —

— Gut denn. So sagen wir (und kost’ es mir den Kragen, wenn’s ein Sp�her h�rt), die Beherrschung des Volkes, was dasselbe ist, befriedigt Dich das nicht?

— Beherrschung? F�hlst Du das Zeug zu einem Herrscher, zu einem Gott in Dir, Bim? Ich h�nge an meiner Schw�che. Ich r�hme mich meiner Unvollkommenheit. Nicht die kleinste Herrg�ttlichkeit reizt mich.

— Des Volkes Wohl liegt in seiner Beherrschung, Minus.

— Aber nicht mein Wohl. Und warum k�nnen wir das Volk beherrschen? Weil wir ihm die Fl�gel gestutzt und den Sinn verwirrt haben. Ein geistvolles Gesch�ft, �ber ein solches Volk zu herrschen!

— Das Volk ist m�ndig und frei in seinen Entschl�ssen, Minus.

— Ist’s das? Bestellt sich der M�ndige einen Vormund? Duldet der Freie Obere, die sich mit „Hoheit“ anreden lassen? Ein m�ndiges freies Volk jagte Dich und mich und alle Hoheiten zum Kuckuck, kr�che aus der Erde heraus und liefe frei in die Sonne und allen Winden nach, wie die Thiere des Waldes, wie die V�gel des Himmels.

— Darauf sage ich, der Oberphysikus, Dir dieses: Deine Gelehrsamkeit ist Dir zu Kopf gestiegen. Das sind Alles transszendentale Theorien, die Du aus alten Poeten, Philosophen und anderen Narren aufgelesen. Ich wei� mich frei davon, drum kann ich ruhig reden.

Minus l�chelte wie Einer, dem wirklich vielerlei im Kopfe durcheinander geht. Wiederholt setzte er sein H�rr�hrchen ein. Alles blieb stumm. Von keiner Seite eine neue Meldung. Ist die Welt todt?

Bim h�stelte aufgeregt. Er f�hlte sich der Ersch�pfung nahe. Solchen unerfreulichen Sachen war er nicht gewachsen. Das Herumr�thseln an unentwirrbaren Dingen ging allen seinen F�higkeiten wider den Strich. Dieser Minus, nein, niemals hatte er ihn in einem solchen Zustande gesehen. Ein Kn�uel von Widerspr�chen. Eine Windsbraut von tollen Stimmungen.

— Ja, ja, Bim. Die Sonne, der Wald, der Himmel, die Thiere.

— Erlaube, das ist Alles furchtbar ungesund. Teuta aber ist gesund geblieben, weil es der Sonne, dem Himmel ausgewichen ist bei Zeiten, weil es die W�lder vertilgt, die �berfl�ssigen Thiere beseitigt hat. Diesen vergangenen Dingen k�nnen nur zwei Menschensorten nachschw�rmen: Poeten und Verliebte. Und mit ihnen haben wir seit Annodazumal in Teuta aufger�umt, gr�ndlich.

— Haben wir das, alter Bim?

— Eine weite, ruhige, gradlinige Fl�che ist die Erde im Teutaland. Alles ist klar und bestimmt nach Ma� und Gewicht. Dieser Zustand soll erhalten bleiben, er ist der denkbar gl�cklichste f�r unsere Menschen. Das empfand ich in meiner Jugend, das best�tigt mein Alter. Eine Wissenschaft, die anders lehrt, ist falsch. Sie zerst�rt den Frieden, unser h�chstes Gut.

Minus h�rte nicht mehr, in m�den, schmerzlichen Gedanken versunken. Nie h�tte er �berhaupt den klugen, beschr�nkten Schw�tzer so lange angeh�rt, au�er der Gewohnheit des Amtes, oder es sei denn, er spielte Kom�die mit ihm, oder sich im Witz zu �ben, oder in der Geduld. Aber heute! —

Die H�rr�hrchen brannten f�rmlich im Ohr. Der Fernsprecher wu�te ihm so wenig zu melden, wie der Fernseher. So oft er sich an den Spiegel wandte, es kam kein Bild. Und der Fernsprecher narrte ihn mit der Wiederholung altbekannter Dinge.

Endlich eine Nachricht, die wie ein Blitz auf seine Erwartung schlug.

— Spurlos verschwunden, st�hnte er nach einer Weile. Ao wei� nichts. Kein Mensch wei� was. Jala, Ungl�ckliche!

— Jala, wie? Die sch�ne Blinde? Ich hatte sie in meiner Irren-Abtheilung zur Beobachtung. Dann entwich sie — —

— Das sagst Du mir jetzt erst?

— Fragtest Du?

— Nein, das wu�te ich. Was wei�t Du, da� ich nicht wei�? Berichte!

— Nichts von Belang. Ganz dem Gegenstande entsprechend. Sie entwich. Sie wird ein Ende gemacht haben. Sie war unheilbar. Unheilbar, aber still und unsch�dlich. Damit ist die Sache wohl erledigt. Teuta ist ruhig.

— Ich danke. Fahr’ ab, Bim, und h�te Deine Zunge.

— Eine N�rrin weniger, das regt in unserem Lande keinen Menschen auf. Eine N�rrin weniger, ich bitte Dich. Das st�rzt keine Rechnung um.

— Fahr’ ab, Bim. Jala ist keine N�rrin und — mehr als Eine. Schlu�. Fahr’ ab.

Der Mechanismus spielte, der Oberphysikus sa� vor der Th�r.


Kapitel 5

Schwarze N�chte folgten den dunklen Tagen. Niedrig, wolkenschwer lastete das Firmament auf der na� erkalteten Erde, ohne Sonne, ohne Mond, ohne Sterne.

Aus den Nebeln, die das Meer verh�llten, klang ged�mpft der schwerm�thige Gesang der Wellen am Strande.

Aus der tiefen Stille der Ferne �ber den Wassern kam es zuweilen wie hartes Grollen und Sto�en und St�rzen, als machte sich weit dahinten, verborgen in dichter Finsterni�, der Sturm fertig, um mit wuchtigen Schl�gen bald �ber die Fluth hinweg in’s Land zu fallen in w�thender Heerfahrt.

Zwischen den letzten hohen D�nen, die in weitem Bogen den Strand umg�rteten, lag, tief eingebettet, eine Siedlung von Schifferh�tten: Eine Weltfremde in den d�steren Zeiten des verlorenen Himmels, bewohnt von wenigen Familien uralter Eingeborener, zu denen sich ab und zu von Wind und Wetter verschlagenen Insulanern oder Fl�chtlingen aus den platten Hinterl�ndern einige Neulinge gesellten, um unter dem Schutze des Gastrechts die H�rte des Lebens zu �berwinden. Etliche zogen wieder ab bei g�nstiger Wetterwende, Etliche, die sich anzufreunden und innigeres gegenseitiges Gefallen zu erwecken vermochten, blieben dauernd, Andere verschwanden spurlos, nachdem sie kurze Rast und Labung genossen.

Die Bleibenden erfrischten und vermehrten mit ihrer neuen Kunde aus entlegener Welt den Geist und mit ihrem Blute die K�rperlichkeit der einsam hausenden Siedler und h�teten sie vor Erstarrung in der Einf�rmigkeit des Daseins zwischen den D�nen.

Dennoch blieb die Zahl der Bewohner der Schifferh�tten beschr�nkt. Das Meer forderte best�ndig seine Opfer, und das Gesetz der Auslese �bte seine Gewalt am schw�cheren Nachwuchs.

So gab’s keine Bedr�ngni� an neuen Menschen, und das Blut und die Sitten der Eingeborenen aus alter Zeit behielten die Oberhand. Wie bei den Ahnen, die einst mit B�ren gerauft und in den W�ldern, die in l�ngst verschwundenen Epochen bis an’s Meer stie�en, den Ur gejagt, war das Geschlecht blondm�hnig und von seltener, aus blauen Augen und ruhig rauhen Manieren blitzender Kraft, in seinen besten Exemplaren.

Das gro�e Wort aber f�hrten einige schwarze Rundk�pfe in den l�nger werdenden Abenden der Sommerflucht, �ber die endlosen N�chte des Winters hinweg, bis zur Sonne Wiederkehr in triumphirendem Glanz.

Diese Rundk�pfe waren weit unten von den w�lschen K�sten heraufgekommen, die in wei�en Felsen und Klippen starren. Sie wu�ten viel zu erz�hlen von waghalsigen Fahrten und blutigen Abenteuern, und aus der �ltesten Geschichte ihrer Voreltern berichteten sie von Kriegsz�gen, Revolutionen und Umst�rzen, mit solcher Fabulirkunst, als w�ren diese bunten, unglaublichen Dinge gestern erst geschehen, leibhaft, unter aller Augen, und lagen doch weit zur�ck um Jahrtausende, als die Menschheit noch l�rmte und tobte, und in streitbaren Wanderungen die V�lker gegeneinander losgingen und noch nicht so stille und bedachtsam geworden waren wie heute.

Besonders aber flo� den schwarzen Rundk�pfen der Mund �ber von ihrem kriegerischen Nationalgott Polium. Zweimal sei dieser Schlachtengott Polium erschienen, denn ohne ihn geschehe nichts Gewaltiges in Europa, und in hundert Jahren werde er wieder erscheinen und den Angelos und Amerikanos den Garaus machen. Alle Nachbarv�lker habe er bei seinem zweiten Erscheinen mit feurigen Schlangen gepeitscht und das Antlitz Europas mit Blut gewaschen und Schaaren Gewappneter durch die halbe Welt geschoben, da� unter ihren Fu�tritten die Erde gebebt.

Das Alles war l�ngst, l�ngst vergangen. Aber es hatte seine Spuren zur�ckgelassen, sogar im Ged�chtni� der rundk�pfigen, kleingewachsenen M�nner mit der unerm�dlich behenden Zunge.

Wenn sie erz�hlten, mu�te man staunen �ber so au�erordentliche Dinge. Aber wenn drau�en der Sturm dazu br�llte, Blitze in die schwarze, sich rasend aufb�umende Wogenwildni� schleudernd, als sollte sich die Erde spalten und der Wolkenhimmel in Schl�nden und Abgr�nden schmetternd versinken, da klang das alte Heldenlied so glaubhaft, da� jeder Zweifel wich.

Nein, es konnte keine Fabel sein.

Wie das Meer in seinem Aufruhr, wie Sturm- und Gewitternacht heute noch, wenn die Jahreszeiten sich kreuzen, so war einst die Menschheit, ehe die gro�e Helle und Stille �ber sie kam.

Auch die Angelos, die dr�ben auf der gro�en Insel, weit weg vom Strande, hausten, und von denen zuweilen noch Einzelne in listiger Fahrt her�berkamen, best�tigten dies. Ja, sie hatten selbst noch mancherlei Manieren an sich, die an die wilden Menschenzeiten gemahnten, etwas Gewaltth�tiges, T�ckisches, Raubthierhaftes, das namentlich den Leuten, die aus Teuta stammten, be�ngstigend erschien und von ihnen als drohende, unausrottbare Feindseligkeit empfunden wurde, gegen die ausreichender Schutz nicht leicht sei. Aller Vorsicht und Ordnung zum Trotz.

— Gieb Acht, in dieser Nacht wird der Sturm noch losbrechen, wie wir lange keinen gehabt, sprach der blondm�hnige Schiffer Willem Mom zu seinem Nachbar Fix, dem kleinen Schwarzkopf, der heute wieder unerm�dlich in alten See- und R�ubergeschichten gekramt und vom Hundertsten in’s Tausendste fabulirt hatte.

— Alles kehrt wieder, Willem Mom.

— Schlechtes Wetter, jawohl.

Sie wollten, heute als W�chter bestellt, dieweil Alles in den H�tten schlief, der Auffahrt des Wetters n�her zusehen. Sie krochen auf den Kamm der D�ne. Zu sehen aber war in der mond- und sternenlosen Nacht nicht viel. Dicke Schw�rze, zuckende Blitze, grollender Donner, regenschwere Luft.

— Es gab eine Zeit, Willem Mom, da fuhren da drau�en ungeheuere eiserne Maschinen in schwarze Rauchwolken geh�llt, Dampfschiffe genannt, die an die tausend Menschen fa�ten.

— Das ist vorbei, Fix.

— Damals gab es auch Eisenbahnen, mit hundert W�gen, einer am andern, die fa�ten noch mehr, die fuhren auf dem platten Land, durch die Berge, �ber Br�cken.

— Das kommt nicht wieder.

— Warum, Willem Mom?

— Das ist zu plump. Die Menschheit hat keinen Geschmack mehr am Plumpen.

— Na, mag sein. Jetzt ist man f�r das Kleine, Flinke. Jeder f�r sein kleines, unterseeisches Boot. Du kannst recht haben. Aber das kriegen sie auch wieder satt.

— Dann erfinden sie was Neues, Fix. Hast Du den Blitz gesehen? Der hat sich durchgehauen, und von einer solchen Dicke. Da liegt Kraft drin.

— Jawohl.

— Fr�her hat man sie in Dr�hten aufgefangen, fingerdick, von schwerem Metall. Jetzt thut’s ein haarfeiner Faden, oder gar nichts. Das geht, wie man will.

— Aber die Blitze, die so wild herumfahren, mit dem pr�chtigen Donner, he, Willem Mom!

— Ja, die gez�hmten sind stumm, in der Gewalt der Menschen, sie leuchten nicht einmal unterwegs.

— Und wo sie dennoch Licht geben, geben sie gleich Musik dazu, hab’ ich mir sagen lassen. In Teuta sollen sie wunderbare Sachen machen.

— Ich sag’ Dir, Fix, den Teutaleuten ist auch nicht wohler in ihrer Haut, als uns, wenngleich sie sich f�r das erste Volk auf Erden halten.

— Das thut schlie�lich jedes. Ich h�tte schon Lust, einmal dahinein zu sehen, nach Teuta.

— O, die sperren sich ab, die sind sich selbst genug, Fix. Und immer tiefer in die Erde hinein, da ist nicht beizukommen.

— Wenn einmal die Wolken ’runterbrechen, m�ssen sie alle miteinander ersaufen. So eine Nacht, wie jetzt diese da, meinst Du nicht, das g�be eine Ueberraschung f�r die Teutaleute! Klitsch, klatsch, Alles unter Wasser, Willem Mom!

— Das kommt nicht. Merkw�rdig, die haben Alles ausgerechnet. Da geht Alles trocken �ber ihr Land weg. Nichts kommt aus der Luft herunter, was sie nicht haben wollen. Die lassen sich nichts auf die K�pfe fallen.

— Was trinken sie denn in ihrem trockenen Land?

— Das haben sie sich abgew�hnt, Fix.

Fix lachte.

— Das w�re unser Fall, Willem Mom. So ein Leben ohne Feuchtigkeit. Und was glaubst Du von ihrem Essen?

— Das haben sie sich wahrscheinlich auch abgew�hnt.

Fix lachte wieder.

— Na, h�r’ mal, das ist ja geisterhaft. Da k�nnen sie ja auch nackt gehen, denn zu sehen ist da wohl nichts.

— Thun sie auch, Fix. Wie die W�rmer. Drum verkriechen sie sich tief in die Erde, wo’s h�bsch warm ist.

Fix war ungemein belustigt von diesem Bericht.

— H�re, Willem Mom, das m�ssen wir sehen. Ist da keine M�glichkeit?

— Sehr schwer. Das ist schon das st�rkste Abenteuer, nur davon zu tr�umen. W�r’ auch hineinzukommen, heraus k�men wir gewi� nicht mehr.

— Oho! Es sind doch schon Teutaleute zu uns her�bergekommen, h�rt’ ich.

— Das schon, wenn auch ungeheuer selten.

— Nun also, Willem Mom.

— Jawohl. Aber die sind nicht echt. Die sind aus der Art geschlagen. Oder sie haben etwas Verr�cktes angestellt.

— Noch Verr�ckteres, als es schon die Anderen treiben? Kanntest Du so Einen?

— Jawohl.

— Davon mu�t Du mir einmal erz�hlen, Willem Mom. Jetzt fr�stelt mich. Ich denke, wir haben von der Nacht genug. Wir legen uns schlafen. Oder glaubst Du, es ereigne sich noch was? Der Nebel wird immer dicker. Was ist da zu sehen? Es r�hrt sich nichts.

In der That, die Welt war wie mit Finsterni� verh�ngt. Auch das Blitzen und Donnern hatte nachgelassen. Das Get�se des Meeres klang ged�mpfter.

Pl�tzlich war’s, als gingen die Falten der Nebelgardine auseinander, als w�rden sie emporgezogen von oben. Eine schmale Lichtung that sich auf, in einem Strich, weit hinaus auf die wogende See. In ungew�hnlicher Sch�nheit tauchte der Mond mit voller Scheibe aus der bewegten Horizontlinie auf, gerade im Mittelpunkte der Lichtung, deren schwarze W�nde sich in dunkles Gold f�rbten, und violettrothe Lichter spiegelten auf der bauschigen Fluth.

Die beiden M�nner standen wie gebannt von so viel Sch�nheit.

— Da spricht man von einem Zauberland, begann Fix leise, ergriffen. Was sagst Du dazu, Willem Mom?

Der aber deutete auf den Strand hinab, in die Lichtung hinein, und steckte den Kopf vor, um sch�rfer zu sehen.

— Da unten bewegt sich was, Fix. Hart am Wasser hin. Siehst Du?

— Ein Thier? Wo? Ich entdecke nichts. Sprich doch, wo?

— Es geht aufrecht wie ein suchender Mensch, ein wenig geb�ckt.

— Richtig. Wer kann denn zu dieser Stunde von den Unsrigen noch am Strande sein?

— Niemand von den Unsrigen. Das ist was Fremdes, sicher, was ganz Fremdes.

— Verirrtes, ohne Zweifel. Jetzt ist’s weg, rechts hinein. Am Ende doch nur ein Schatten, ein Wolkenschatten. Wollen wir nachsehen, Willem Mom? Meinst Du?

— Ja, wir wollen nachsehen, bevor der Mond wieder verschwindet.

Die M�nner hatten erst wenige rutschende Schritte im feuchten Sande abw�rts gethan, als in der That leichte W�lkchen, die wie Rauch an der Mondscheibe vor�berzogen, sich mehr und mehr verdichteten. Im Nu war das Spiel des Lichtes wieder in n�chtiger Finsterni� verloren. Nur der wei�e Strand grenzte noch in tr�ber Helle sich schwach von dem schwarzen Wasser ab.

— Mehr nach rechts, Willem Mom.

— Dort liegt’s, noch f�nfzig Schritte. Hast Du eine Ahnung, was das sein k�nnte?

— Ein Mensch. Wir werden ja gleich sehen.

Und sie stapften in gro�en Schritten weiter, die Beine hochziehend im nachgiebigen Sande.

— Etwas Verh�lltes, langausgestreckt, Willem Mom.

Nun standen sie davor.

— Heda! rief Fix.

Willem Mom beugte sich schweigend nieder.

— Greif nicht zu, lass’ mich erst reden, rief Fix wieder, auf die andere Seite tretend. — Heda, r�hr’ Dich!

Willem Mom hatte den K�rper bereits am Kopfende erfa�t und bem�hte sich, ihn vorsichtig aufzurichten. Die Gestalt lag der L�nge nach, auf dem Gesicht, die Stirn auf den gekreuzten Armen.

— Hier ein Stab, sieh mal, Willem Mom.

— Greif lieber da zu, an der Schulter, Fix, da� wir ihn umwenden.

— Maustodt, Willem Mom, wie vom Blitz erschlagen. Es r�hrt sich nicht. W�r’s nur nicht so stockfinster, da� man sehen k�nnte. Das steckt wie in einem nassen Sack. Am Ende doch was Angeschwemmtes. Nicht das Richtige, was wir von oben gesehen. Glaubst Du?

— Lass’ mich nur machen. Fa� unten, ziehe die Beine, richte die F��e, Fix.

Willem Mom hatte sich niedergekniet und hielt nun den Oberleib in seinen Armen, mit den Ohren nach der Brust und dem Herzen suchend.

— — Ein Weib, Fix, sagte er leise. Fass’ den Arm und f�hle nach dem Puls!

Inzwischen streifte er mit der Hand �ber den Hals zog die Kapuze zur�ck und seine Finger verfingen sich in einer F�lle von Haaren.

— Ich finde keinen Puls, Willem Mom.

— Das ist eine haarige Geschichte. Was machen wir nur gleich, Fix?

— Also wirklich ein Weib, Willem Mom? Du wirst recht haben, die Glieder sind schlank und zart. Ich will’s noch einmal mit einer Anrede versuchen.

— Schweig’, Fix. Sie ist jung und sch�n, das sieht man im Finstern. Wir m�ssen sie lebendig machen. Das geht nicht mit Redensarten. Reibe die Handfl�chen kr�ftig. Ich will’s an der Brust und im R�cken versuchen.

Und schweigend machten sich die M�nner, an’s Werk.

Der Himmel blieb verh�llt. Das Meer beschwichtigte sich, die Wogen schwankten sanfter an den Strand und lindes Rauschen erf�llte die Luft wie elegische Musik.

Willem Mom zog seine warme Jacke aus und umwand damit den Oberleib des Weibes. Dann eilte er gesch�ftig, ihre F��e von den Sandalen zu befreien und einen Fu� nach dem andern in seine H�nde zu pressen.

Fix athmete heftig, so angestrengt bearbeitete er die H�nde und die Arme.

— Sie r�hrt sich, Willem Mom, wahrhaftig, sie r�hrt sich. Ihre Finger zucken.

— Am besten, wir tragen sie in meine H�tte. Ich nehme sie auf meine Schulter, Fix.

— Nein, in meine H�tte, die ist n�her und ger�umiger. Ich habe auch St�rkungsmittel. Heda, Weib, komm’ zu Dir und zu mir!

— Sei kein Narr, Fix. Lass’ los, ich bin Manns genug.

— Willem Mom, ich sag’ Dir, sei nicht gewaltth�tig. Heda, Weib, schlag die Augen auf! Siehst Du mich?

Ohne sich weiter um Fix zu bek�mmern, hatte Willem Mom mit einer raschen kraftvollen Bewegung das Weib auf seine Schulter geladen und versuchte davonzueilen wie mit einer kostbaren Beute.

Fix nahm den Stab vom Boden und stapfte mit seinen k�rzeren Beinen m�hsam hinter dem hochgewachsenen, weitschrittigen Kameraden drein, aufgeregt, �rgerlich, hitzige Worte in die graue, k�hle Luft prustend.

Und Willem Mom immer vorw�rts, keuchend, mit offenem Munde, mit stechenden Blicken die Finsterni� durchbohrend, um ohne Umweg die Buchtung zu finden, von der aus der k�rzeste Pfad durch einen D�neneinschnitt in die Siedlung und zu seiner H�tte zu gewinnen war. Mit starken Armen hielt er die schlanke Gestalt umfangen. Er f�hlte ihre Br�ste an seiner rechten Wange, w�rmer und w�rmer, und pl�tzlich war ihm als h�be sich ihr herabh�ngender Arm und suche sich um seinen Hals zu legen.

— Recht so! rief er mit sto�endem Athem. Halte Dich fest, ich bin stark.

Aber da that er einen Fehltritt, kam in eine Senkung und st�rzte mit seiner Last zu Boden.

Mit schwerem Druck kam er auf das Weib zu liegen, das er im Schreck noch gewaltsamer an sich pre�te.

Wie aus schmerzhafter Empfindung entrang sich der Brust des Weibes der erste Laut, der wie ‚Grege‘ klang.

— Grege! Du thust mir weh! seufzte die zarte Stimme.

— Sie lebt, sie spricht! jubelte Willem Mom und bem�hte sich mit �u�erster Anstrengung, im weichenden Sande sich aufzurichten.

— Was beginnst Du da? schrie Fix, der ihn nun eingeholt hatte. Ganz Leidenschaft, schwang er drohend den Stab. Willem Mom sa� auf der B�schung, das Weib auf sein Knie ziehend.

— Alles gewonnen, Fix, sie lebt, sie lebt. Siehst Du? rief er fr�hlich. Und der Schwei� perlte ihm von den Schl�fen und tropfte auf die weiche weibliche Hand, die auf seiner Schulter ruhte.

Fix kniete vor der Gruppe nieder, griff nach der andern Hand, dr�ckte sie in der seinigen und ri� gierig die Augen auf, um die Formen des weiblichen Gesichts zu ersp�hen.

— Du bist jung und sch�n, es ist keine Gefahr mehr. Wer bist Du? Ich sch�tze Dich!

— Schweig’, Fix! Sie bedarf der Ruhe. Du erschreckst sie mit Deiner Heftigkeit.

Offenbar war sie wieder in Bewu�tlosigkeit zur�ckversunken.

Um nicht unn�tz die Zeit zu verlieren, kamen die M�nner �berein, gemeinsam die Fremde zu tragen. Keiner wollte sie dem Andern �berlassen, der Weg war ansteigend und schwierig, und so war’s das Vern�nftigste, sich in die Last zu theilen.

Dann ging’s vorw�rts, der Siedlung zu. Keiner sprach unterwegs mehr ein Wort.

An der ersten H�tte, die erleuchtet war, machten sie Halt. Es war die Willem Mom’s, dessen alter Vater, an Schlaflosigkeit leidend, sich ein kleines Feuer angesch�rt hatte, um Thee zu kochen.

— Hier Vater, mach Platz’ auf dem Lager, wir bringen menschliches Strandgut. Ein Weib.

— Ein Weib? rief der Alte. Dann weckt ein anderes Weib zur ersten Hilfe.

Aber da waren nicht viele Umst�nde zu machen.

— Sie kommt nicht aus dem Wasser, Vater, es bedarf nicht des Umkleidens. Warmes Lager und einen warmen Schluck.

Schon war Fix mit der Theekanne zur Hand.

Bald war alles Zweckdienliche vollbracht. Die Fremde belebte sich auf dem wohligen Lager, im D�mmerlicht der stillen H�tte.

— Wo? Wo bin ich? war ihre erste Frage.

— Hier bei uns, �ffne die Augen, Kind! rief der Vater Mom.

— Ist Grege da?

Die M�nner sahen sich an.

— Wer ist Grege? fragte Fix, sich �ber sie neigend.

Sie schwieg. Wie eine Todte lag sie wieder da, den Leib langausgestreckt, die H�nde �ber der Brust gefaltet.

La�t sie ruhen, sagte Vater Mom. Aber in ihm selbst war eine seltsame Unruhe. Nach geraumer Weile hob er die Leuchte hoch. Der Lichtschein ergo� sich �ber das jugendliche Antlitz, da� es zu l�cheln schien, und entz�ndete den Glanz der reichen blonden Haare. Die M�nner standen betroffen vor so edler Sch�nheit.

Auch durch die Fenster drangen jetzt die Lichtboten des sich sonnig hellenden Morgens und schl�pften durch die angelehnte Th�r.

— Sie tr�umt wohl, meinte Fix. Seht ihr Gesicht, wahrhaftig, es l�chelt.

— Oeffne die Augen, sieh’ uns an, bat Willem Mom.

Endlich bewegten sich ihre Lippen: — Dank Euch. Ich habe nicht Augen zum Sehen.

— Sie redet irr, fl�sterte Fix.

Als er sein Gesicht dem ihrigen n�herte, da� sie den Hauch seines Athems sp�rte, wehrte sie mit schwacher Handbewegung ab. Zwischen Daumen und Zeigefinger erschien ein bla�rother Stern.

Fix entging er nicht.

— Ist da nicht eine Spur von Blut an ihrer Hand? wollte er fragen. Aber schon hatte sie ihre Hand wieder gefaltet, und die Anderen waren mit eigener Beobachtung besch�ftigt.

— Warum willst Du uns nicht sehen? fragte Willem Mom in z�rtlichem Tone. Wie hei�t Du?

— Ich bin Jala, die Blinde, kam es wehmuthsvoll aus ihrem Munde.

— Die??

— Sie ist blind! rief Willem Mom ersch�ttert.

— Das ist ja nicht m�glich! fuhr Fix leidenschaftlich auf.

Vater Mom sch�ttelte seinen alten grauen Kopf: — Nicht m�glich? Es giebt kein Ungl�ck, das nicht m�glich w�re.

Dann, gegen das Lager gewendet:

— Ist’s wirklich so? Bist Du blind?

Jala hob zitternd ihre Augenlider empor. Zwei gro�e blicklose Augen enth�llten sich wie wolkenverschleierte, unergr�ndliche Sterne.

Die Lider fielen wieder herab, und um den Mund zuckte ein stolzer Schmerzenszug.

— Jala hei�t Du? fragte Vater Mom, die H�nde gefaltet.

Sie nickte und seufzte:

— Meine Augen sind bei Grege. Ist er noch nicht hier? Der wird Euch Alles sagen.

— Wo kamst Du her? Wer ist Grege? fragten die M�nner durcheinander.

Der Fr�hwind sprang �ber’s Meer und jagte die Th�r auf.

Flammend gr��te jetzt die Sonne in’s Gemach.

Jala lag wieder da, still, wortlos, Lippen und Augen wie in tiefem Sinnen geschlossen, ein schmerzliches Geheimni� des Lebens sich selbst und ihren Rettern.

— Ich will eine Frau rufen, sagte der alte Mom. Das geht �ber M�nnerwitz.


Kapitel 6

Die Luft klar wie Krystall.

Der Himmel bla�blau, mit einigen b�schelf�rmigen W�lkchen zur Rechten und Linken, die einzeln sich bewegten, wie von gegens�tzlichen Kr�ften getragen.

Und unten auf Erden schien ein Sturm zu toben.

Keiner wu�te mehr Raths, seit der Apparat versagte.

So ging’s die Nacht hindurch, so den zweiten Tag.

Erfreulicher Weise f�hrte die Flugbahn durch milde Temperaturen, selten gekreuzt von einer kalten Str�mung. Wie weit von der Erde entfernt, war kaum mehr zu sch�tzen.

Bei dem Zusammensto� mit dem r�thselhaften unbemannten und dunklen Riesenfahrzeug waren alle Instrumente verloren gegangen, die Leuchte dazu und alle Mittel, bei Insichttreten anderer Fahrzeuge Zeichen zu geben.

Gewi�, es war ein Wunder, da� man bei dem ungeheuren Anprall im wilden Wirbel des Fallwindes �berhaupt nicht vollst�ndig scheiterte.

Wie nun das Abenteuer enden w�rde? Keiner konnte es wissen. Der steuerlose Flug spottete jeder Berechnung.

Nur den einen Schlu� lie� die andauernde bla�blaue F�rbung des Himmels und die krystallene Klarheit der Luft zu, da� man sich den Regionen des Pols n�herte. Also l�cherlich weit ab vom Ziel.

Und richtig, wie das Wetter tief unten ausgel�rmt hatte, war fremdes wei�es Land in ungeheuren Fl�chen zu erkennen.

— Vielleicht, da� wir uns an den Eisnadeln des Pols ein wenig anspie�en zum Verschnaufen, spottete der J�ngere.

— Und einem Eisb�ren das Fell �ber die Ohren ziehen, damit es uns den Buckel w�rme. Uebrigens ein spa�hafter Anblick, die alte Mutter Erde in dieser Rieseneism�tze. Wann wird die gute Dame die Mode wieder �ndern und sich Urw�lder hinter den Ohren wachsen lassen und sich Palmenzweige auf den Scheitel stecken? Was meint unser Freund Grege aus dem gelehrten Teuta?

— Siehst Du, Grege, begann wieder der J�ngere, in dieser programmwidrigen Weise die Welt umkreisen, darin besteht das eigentliche Reisevergn�gen. Das erfrischt und bildet zugleich. In Deinem Teuta w�rst Du nie dazu gekommen, aus solcher H�he den Wundern der Sch�pfung in die T�pfe zu gucken.

Grege mu�te die Kaltbl�tigkeit und Laune dieser Leute bewundern. Besonders der Aeltere, der mit dem Todtenkopf, war von einer verbl�ffenden Ruhe. Au�er seinem wehenden Bart, an dem man f�rmlich die Richtung und den Wechsel des Windes ablesen konnte, hatte er nichts Bewegtes an sich. Selbst seine Lippen schienen beim Sprechen starr zu bleiben. Und er sprach nicht am wenigsten. Dergleichen hatte Grege noch nie erlebt. Der baroke Humor in dieser Situation absoluter Hilf- und Rathlosigkeit war ihm eine Offenbarung. Da� er selbst meist die Zielscheibe ihrer H�nseleien wurde, nahm er seinen Entf�hrern schon gar nicht mehr �bel in der gemeinsamen Noth.

Von der Ausfahrt bis zum Zusammensto� mit dem irrenden Luftschiff in den ersten vom ausziehenden Wetter stichdunklen Nachtstunden hatten sie kein Wort an ihn gerichtet. Sie ignorirten den Gefesselten in seiner knirschenden Bet�ubung vollst�ndig.

Bald nach dem Zusammensto� l�sten sie seine Fesseln, und ihr erstes Wort an ihn war Spott. Aber es klang ihm nicht b�s, eher humoristisch.

— So, Mann, jetzt bist Du frei, wie wir, Du kannst Dich nach Herzenslust bewegen und hingehen, wo es Dir beliebt.

In der geisterhaften Ger�uschlosigkeit der Fahrt durch den n�chtigen Weltraum war ihm so beispiellos unbegreiflich zu Muthe, da� er kaum einen bestimmten Gedanken denken konnte.

Nach dem ungeheuerlichen Sturz und Wirbel des Fahrzeugs im Trichter des Fallwindes hatten auch seine Entf�hrer allerdings eine Zeitlang das Spotten vergessen und hantirten ernst und schweigend in der Gondel herum. Als sie sich vergewissert hatten, da� vorerst nichts zu unternehmen war, als dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, richteten sie einige freundliche Worte an ihn.

— Nimm’s uns nicht �bel, wir hatten’s besser mit Dir vorgehabt. Wir werden Dich f�r die ausgestandene Angst schadlos halten, sobald wir geborgen sind. Dann wirst Du auch eine liebensw�rdigere Meinung von uns gewinnen. Willst Du frei sein, Fl�chtling?

Und der Aeltere nahm ihm die Fesseln ab.

Grege hatte seither kein Wort mit ihnen gewechselt. Er vermied auch, ihnen in die Augen zu sehen. Er f�rchtete das kalt Beherrschende, das starr Bannende ihres Blicks. Es ging etwas von ihnen aus, das entwaffnete und l�hmte. Alle Schrecken seiner ersten Ueberw�ltigung und Fesselung vermeinte er wieder zu f�hlen, wenn er ihnen in die Augen sah. Jetzt erst, wo ihr Schicksal ein gemeinsam ungewisses war und gemeinsam der Selbsterhaltungstrieb neuen Katastrophen gegen�ber, fand er sich in’s Unvermeidliche und f�hlte sich fast als ein mit ihnen auf Leben und Tod Verb�ndeter.

Nur wenn er an Jala dachte, war’s mit seiner Fassung vorbei.

— Jala, meine muthige, arme Jala, wenn Du w��test! Das war ein �bler Anfang. O �ber die verw�nschte Wunde!

Und er f�hlte die Geliebte fast in k�rperlicher N�he, hergezogen durch die schmerzlich �berquellende Sehnsucht seiner Seele.

Dann aber sah er sie als m�rchenhafte Erscheinung in unme�barer Ferne wieder verschweben und sich selbst und seine Genossen wie au�erhalb aller Welt, losgel�st von allem irdisch Menschlichen, und eine dumpfe Ruhe folgte auf die bittere Erregung.

— Seid Ihr gewi�, da� wir uns in der N�he des Pols bewegen? fragte er seine Peiniger.

— Die unendlichen Schneelagen da unten und die schimmernden Gletscher schlie�en den Zweifel aus.

Die Strahlen der versinkenden Sonne schr�gten �ber die schneeige Erde und lockten aus dem Wei� ein wunderbares Spiel zarter Farben.

Grege machte gro�e Augen. Er strengte seine Sinne an.

Wie unfa�bar neu und von seltsamer Majest�t war das Schauspiel, das die Erde aus dieser fabelhaften H�he bot!

Gleich schwarzen Flecken sa� das Wasser zwischen der Landschaft ewigen Schnees. Diese schwarzen Arabesken im Farbenspiel waren doch Wasser? Er mochte nicht fragen.

Die Gletschergipfel und die Zinken der Eisberge flammten auf wie ein Feuerwerk. Eine lange rosige D�mmerung legte sich dar�ber.

Schlo� er die Augen, dann nahm die Nacht Alles unter ihren dunklen Mantel. In der H�he aber brannten die Lichter des Himmels in kaltem, wundersamem Glanz.

Endlich kam das Prunkst�ck der Nacht, der volle goldene Mond, getragen von einem zuckenden Schimmer, der aus der Erde heraufzubrechen schien.

Selbst die Angelos verstummten vor dieser gro�artig einfachen Sch�nheit in dieser weltentr�ckten H�he, wo Alles nur in himmlischer Reinheit als Licht und Farbe wirkte, keine Form f�r sich bestand, au�er in den Zust�nden dieser beiden Medien und ihrer einzigen Idealit�t.

Keiner h�tte vermocht, in Worte zu fassen, was sie bei diesem Tiefblick in das All und ihre eigene unwillk�rlich erschauernde Seele empfanden, keiner ein Bild gefunden, um diese Stimmung auszudr�cken. Es war das �u�erste Raffinement des Reizes, den die Natur auf menschliche Wesen auszu�ben vermochte, in diesen fremden Regionen.

— Das geht bis zur Stupidit�t, sagte der J�ngere, um sich aus dem Zauber zu l�sen, und �ber die Stupidit�t geht nichts.

— Ganz meine Meinung, best�tigte der Aeltere.

— Aber wird damit etwas wett gemacht? fragte Grege mit dunkeler Stimme, die Augen aufschlagend, wie im Traum.

— Diese Frage an das Schicksal steht uns Menschen immer frei. So oft wir sie auch wiederholen, kl�ger werden wir nicht dabei, erwiderte der Aeltere. Lass’ ruhig Deinen Bart wachsen, Grege, und wisch’ Dir den Mund. Wir thun das Gleiche.

Grege versank in Schweigen, das auf’s Neue zu einem schlummer�hnlichen Zustand �berleitete. Die Einf�rmigkeit der Bewegung war so unersch�tterlich, da� er glaubte, er hinge still in der Luft, regungslos, und doch schwebte die Erde unter ihm fort und die Ereignisse nahmen ihren Gang. Aber er war so unbetheiligt an Allem — — so verwandelt — — —

Hinter seinen geschlossenen Augenlidern sah er in purpurner Nacht einen Stern blinken, geliebte erblindete Augen, feucht schimmernd von Thr�nen, von der Sehnsucht geweint und der Verzweiflung.

Die Angelos zuckten die Achseln �ber den Entschlummerten.

Der Aeltere zog ein feines Elfenbeink�mmchen aus der Tasche und strich damit seinen Bart.

— Originell ist er immerhin, dieser Typus.

— Eine Hilfe in dieser verw�nschten Irrfahrt ist er uns freilich nicht. In normaler Lage w�re er seinen Preis werth. So aber kann er uns selbst theuer zu stehen kommen.

— Hoffentlich bringen wir ihn mit heiler Haut heim, die R�ckkehr �berhaupt vorausgesetzt.

— Wenn wir nicht gezwungen werden, ihn als Ballast hinauszuwerfen. Wir gondeln bedenklich tief, da unten ist’s Meer. In seinen Schl�nden zwischen Eisbergen zu landen, d�nkt mich kein w�nschenswerther Abschlu� unserer Fahrt. Schlechtes Gesch�ft. Verdammt kalter Wind, der da unten streicht.

Der J�ngere hatte diese Worte rauh herausgesto�en. In seinen Augen blitzte es seltsam.

— Zweifellos sind wir verloren, wenn wir noch l�nger mit sausender Geschwindigkeit auf dieser schiefen Ebene abw�rts gleiten. Lassen wir den Teutamenschen fliegen oder nicht, das ist jetzt die Frage. Es geht auf Tod und Leben.

— Er schl�ft. Der Augenblick ist g�nstig. Mit einem Griff und Wurf ists gethan. Opfern wir ihn! Fort damit! Bist Du nicht entschlossen?

— Sicher, das ist rasch zu machen. Vielleicht warten wir doch noch eine Minute, bevor wir die Beute preisgeben. Eine kleine Schwenkung der Luft und wir gewinnen neue Kraft. Ich bin nun nicht sicher, da� wir den Pol in der N�he haben. Der Lichtschein ist noch zu schwach. Das ist kein Polarlicht von der richtigen St�rke.

— Ebenso zweifellos ist, da� wir au�erhalb des vern�nftigen Kurses in der reinen W�stenei irren. Kein einziges Fahrzeug weit und breit. Die verlassenste Gegend der Welt. Wir k�nnen uns nur �ber der �den Platte befinden. F�r das Polarlicht ist die Jahreszeit nicht gen�gend vorger�ckt. Das Ding funktionirt noch nicht. Ich bin f�r den kurzen Proze�. Schleudern wir auf gut Gl�ck die Last hinaus. Finden wir den R�ckweg, k�nnen wir uns ein anderes Exemplar einfangen.

Grege fuhr aus einem furchtbar b�sen Traume �chzend auf und richtete sich stracks empor, mit gestr�ubtem Haar, in bleichem Schrecken: Man hatte seine Jala erschlagen. Seine Jala erschlagen in der Irrni�, an fernem Strand! Sein Herz sprach ihm zu, es sei nicht m�glich. So Grauenvolles und Sinnloses — ganz unm�glich. Dennoch rang er in schneidendem Weh die H�nde. Eher m�sse die Welt, die ganze lumpige Welt in Tr�mmer gehen — —

Blitzschnell fa�te ihn der J�ngere von hinten, kreuzte ihm die Arme um den Leib und stie� ihn mit dem Knie hoch.

Instinktiv und in blinder Verzweiflung mit der Kraft der Todesangst schlug Grege mit den Beinen nach r�ckw�rts so wuchtige St��e, da� der �berraschte Aeltere, vom Anprall getroffen, r�cklings �ber den Bord st�rzte, ohne die schwankende Gondel noch haschen zu k�nnen. Der Todtenkopf! Lautlos flog er in die Tiefe. Das Werk eines Wimpernzuckens, eines Augenaufschlags. Und die Luft muckste nicht, die Gondel kreischte nicht. Ein Mensch, der sich den Hals bricht, sonst nichts. Ganz zuf�llig.

— Das hast Du gut gemacht, kreischte der J�ngere mit verzerrtem Gesicht, seinem Opfer nach der Gurgel fahrend mit eiserner Faust.

Grege hatte Blitze, Feuerschlangen und rothe Sterne vor, den Augen, blutigrothe.

— Oho! Jala!! schrie er, wie ein Verr�ckter.

Und mit einem Sto� in die Herzgrube und einem fast gleichzeitigen Schlag von �bermenschlicher Energie in die Augen streckte Grege seinen Gegner nieder.

Wie rother Qualm brach’s durch die Luft, und eine frische Str�mung hob das Fahrzeug.

— Jala, das dank’ ich Dir! Jala, Lebendige! —


Kapitel 7

Auf geheimni�vollen Pfaden flog das Fahrzeug weiter.

Nach unten war nichts zu sehen als ein riesiges Wolkengeschiebe, ein Zug von grauen Ungeth�men, die die Erde verh�llten. Die Luft voll Salz.

Grege f�hlte sich zum ersten Mal wieder als ganzer Mann, seit er die ihm aufgedrungene Fehde mit den Angelos so tapfer ausgefochten. Es war eine neue Kr�ftespannung in ihm geboren, er f�hlte sich so frei und gehoben.

Hei, das war ein wirkliches Erlebni�, an dem er muthvollen, redlichen Antheil hatte. Den Einen beseitigt, den Andern zusammengehauen, das war ein Weg zur Kl�rung der dunklen Verh�ltnisse von Mann zu Mann.

Nun hie� es noch Ausdauer den unsichtbaren M�chten des Luftreiches gegen�ber bew�hren. Z�he auf der Hut sein! Mit der dumpfen Ergebung und wehmuthsvollen Beschaulichkeit war gebrochen.

Achtung, da� sich kein neues Unheilgespinnst um die Seele legt! Da� der Feind dich nicht mit R�nken umgarnt!

Der gez�chtigte Angelo gewann �berraschend schnell seinen Gleichmuth wieder.

An den empfangenen Streichen hatte er einen Ma�stab f�r die Leistungsf�higkeit seines Gegners gefunden.

Das war seine Erleuchtung, da� er an dem Teutamann nicht mehr einen Gefangenen, sondern einen erprobten Gegner hatte.

Mit der Vergewaltigung eines Schw�cheren war’s vorbei.

Grege verhehlte sich’s nicht, da� die neue Seite des Lebens in ihrer Mischung von Brutalit�t und Bosheit, so sehr sie auch allen Lehren und Sitten der Teutaleute daheim wider den Strich ging, ein nicht zu untersch�tzendes Gef�hl der Frische und Behaglichkeit in ihm geweckt habe. Die Gefahr selbst, die seine Nerven unausgesetzt gestrafft hielt, empfand er als eine Bereicherung seiner M�nnlichkeit.

Ja, er empfand es als angenehmen Kitzel, seinem Gegner mit scharfgespitzten herausfordernden Fragen auf den Leib zu r�cken.

— M�chtest Du’s noch einmal mit mir versuchen? Meinst Du, allein F�uste und das Recht zu haben, sie gegen den Mitmenschen zu erheben? Meinst Du, da� von Dir zu mir ein anderes Gesetz gilt, als von mir zu Dir?

Und als der Angelo stirnrunzelnd schwieg, fuhr Grege beherzt fort:

— Sag’ jetzt, wie willst Du Dein Verhalten vor mir rechtfertigen?

— Die Antwort eilt mir nicht, entgegnete der Angelo trutzig. Gieb mir von Deiner Speise, wenn Du noch Vorrath hast, der Hunger fri�t mich.

Grege fand in seiner Tasche noch einige Surro-Kugeln, davon reichte er ihm eine.

— Da, nimm und wohl bekomm’s! Wir m�ssen den Rest eintheilen.

— Ich hoffe, da� wir heute noch zu Speise und Trank kommen.

— Warum hoffst Du das?

— Sieh dort hin�ber, die lichten Punkte! Wir haben guten Kurs, endlich!

In der That bemerkte jetzt Grege zu seiner freudigen Ueberraschung, da� sich auf der n�mlichen Luftlinie in nicht allzu weiter Entfernung zwei andere Fahrzeuge hielten.

— Sobald Anruf m�glich, k�nnen wir uns Ankn�pfung suchen. Geht’s gut, werden wir uns schleppen lassen.

— Und dann?

— Dann kehren wir heim.

— Wie verstehst Du das?

— Wir haben bewohntes Land unter uns. Das Inselreich der Angelos ist nicht fern. Dort ist unser Ziel.

Grege stutzte. Also in’s Land der Feinde, unentrinnbar, in die Gefangenschaft.

— Unser Ziel? Was hast Du mit mir vor? fragte er und fa�te den Mann k�hn in’s Auge.

— Ich werde Dich absetzen, lautete die Antwort mit gespielter Harmlosigkeit.

— Was hei�t das, mich absetzen? Heraus mit Deinem letzten Gedanken!

— Du wirst unser Gast sein.

— Grege sch�ttelte den Kopf. Alles b�umte sich in ihm auf.

— Und wenn mir das nicht behagt?

— Es wird Dir behagen. Man wird Dich mit offenen Armen empfangen.

— Wenn ich aber nicht empfangen sein will?

— Man wird Dir die Ehre anthun, Dich als ein seltsames Kulturwunder zu feiern. Ist Dir das zu wenig?

Grege sann nach, wie er mit einem schlagenden Wort wie mit einem Hieb die unsichtbare Fessel zu durchhauen verm�chte, an der dieser freche Mensch ihn noch in Unterth�nigkeit zu halten w�hnte. Aber er fand es nicht. Innerlich stand ihm nur dies fest: keine Ueberrumpelung durfte mehr gl�cken, keine weitere Entziehung der Freiheit mehr m�glich sein, um keinen Preis. Das Entsetzliche durfte sich nicht vollenden.

Endlich sagte er entschlossen: Wenn wir am Lande sind, werde ich frei meiner Wege geh’n, als Niemandes Knecht.

— Vergi� nicht, da� vor Allem noch eine Rechnung zu begleichen ist.

— Was f�r eine Rechnung?

— Mit einem Kameraden zog ich aus, ohne ihn kehr’ ich heim. Durch Deine Schuld. Du hast Ersatz zu bieten. Die Rechnung ist einfach.

— Die Rechnung ist falsch! Ich erkenne sie nicht an, der Schuldige bist Du!

— Das wird sich zeigen, ereifere Dich nicht.

Hei� stieg’s in Grege auf. War das nicht emp�rend, so allen Thatbestand und Sachverhalt zu verkehren und gegen ihn zu wenden? Er der Schuldige, weil er als der Angegriffene in verzweifelter Nothwehr gehandelt?

Aber er f�hlte sofort, da� da mit Gr�nden und Erkl�rungen nichts mehr zu richten sei. Nur eine That konnte aus dieser ruchlosen Verstrickung retten. Die That des St�rkeren. Nur Gewalt konnte ihm Recht bringen.

Also mu�te er der Gewaltth�tige sein, wollte er nicht dem Unrecht unterliegen. Das war das Gesetz, das au�erhalb der Bannmeile von Teuta galt: Schaffe Dein Recht aus eigener pers�nlicher Macht, wende Gewalt an!

Nun erst wurde ihm der tiefe Sinn und die unbewu�te Verantwortung seiner Flucht aus Teuta klar.

Was hatte ihn gegen die Gemeinschaft der Teutaleute emp�rt, was hatte ihn aus ihrer Gesellschaft in die Flucht gejagt? Ein Gef�hl und ein geheimer Bund mit dem Weibe. Jetzt setzte sich ihm in lichte Erkenntni� und Pflichtbewu�tsein um, was bisher nur dunkler Drang in ihm gewesen. Jetzt galt’s die Probe auf die Berechtigung seiner Selbstbestimmung.

Seine Flucht vor denen, die hinter ihm sind, verwandelte sich in Kampf gegen die, die vor ihm sind.

Die stille That wird zum hellen Aufruhr, zum lauten Kampf. Nicht mit den Beinen ist die Freiheit zu erlaufen, nicht als Geschenk des Zufalls wird sie eingeheimst. Als Siegespreis will sie erstritten sein.

Grege’s Augen leuchten. Er strich sich die Haare aus der hei�en Stirn. Er dr�ckte die Hand auf die pochende Brust.

Er brauchte nur den Arm auszustrecken, so stie� er auf den Feind. Er brauchte nur unbedacht den R�cken zu wenden, so war seine eigene Niederlage besiegelt. Das ganze Luftreich stille, starre, theilnahmslose Natur. Und setzte er den Fu� auf die Erde, so wuchsen ihm zu dem einen Feind eine Legion aus dem Boden.

Sogar daheim fahnden sie nach ihm als Einen, der das Staats-Gesetz gebrochen und den Gesellschafts-Vertrag verletzt.

Das war jetzt sein Weltbild: Feindschaft ringsum. Seine Welterkenntni�: Teuta, aller Weltwirklichkeit entfremdet, vegetirte im Irrwahn. Die Teutaleute spielten eine traurige Rolle in der Weltgeschichte. Sie zehrten vom Gnadenbrot ihrer Nachbarn. Der n�chste Sturm konnte das Kartenhaus ihres eingebildeten Gl�cks �ber den Haufen blasen.

Er w�nschte, das ganz Teuta bei ihm in der Gondel s��e und sein Geschick seit dreimal vierundzwanzig Stunden theilte. Diese Lektion k�nnte gen�gen. Sogar f�r die Weisesten im hohen Rath.

— Wie war das mit dem Weibe, Grege? Zogst Du wirklich hinter einem Weibe her, als wir Dich einluden, in unser Fahrzeug zu steigen? fragte der Angelo mit boshaftem L�cheln.

— Habe ich je nach Deinem Weibe gefragt? entgegnete Grege kurz.

— Warum hast Du nicht gefragt? Deiner Wi�begierde sind keine Schranken gesetzt, junger Mann. Willst Du meine Leibspeise wissen? Willst Du den Stand meiner Sippe kennen? Willst Du wissen, woraus ich mein bestes Vergn�gen ziehe? Oder interessirt Dich meine Hausnummer? Frage frisch drauf los. Spute Dich. Ich verhehle Dir nichts. Nicht einmal meinen Namen.

— Dein Name ist Schurke! Wie ihn auch Deine Zunge aussprechen m�ge, Schurke immer und ewig.

— Tobe Dich aus, bevor’s zu Ende geht mit unserer Luftfahrt und Du unter gesittete Menschen kommst, Grege. Wonach gel�stet Dich? Versage Dir nichts, ich bitte Dich.

Grege’s Blicke irrten unst�t. Der ma�los kalte Hohn pre�te ihm das Herz zusammen. Eine rettende Eingebung, Jala!

Merkte er, wie die Erde n�her stieg? Wie auf wenige Hundert Meter eine weite Wiesenlandschaft sich dehnte? Wie ein anderer Geruch die Luft durchdrang, deren Salzgehalt ihm so lange fremdartig die Nase gekitzelt?

Er achtete nicht der halb gierigen, halb befriedigten Sp�herblicke seines Feindes. In einem einzigen Gedanken konzentrirte sich ihm Alles.

Ohne den Kopf auff�llig zu wenden, hielt der Angelo scharf Auslug und berechnete bereits die Minute und den Platz, wo sich die Landung erm�glichen lie�. Ueberm��ig g�nstig sch�tzte er zwar den Ort nicht, aber er war ge�bt genug, alle Vortheile rasch zusammen zu fassen — jedenfalls w�rde er auch hier Mittel finden, seine Beute auf den Boden und in Sicherheit zu bringen.

Und im feurigen Ueberschlag der Ergebnisse war’s ihm jetzt ein gesch�ftlich verdammt angenehmer Gedanke, da� er ohne Theilhaber von dem abenteuerlichen Beutezug heimkehrte. So flo� der Gewinn ganz in seine eigene Tasche. Die ethnographische Menschengarten-Gesellschaft f�r vergleichende Rassen- und Sittenforschung mu�te ihm sogar noch ein Uebriges zulegen f�r dieses lang gesuchte vollkommene Teuta-Original in Anbetracht der �berwundenen Gefahren. Vielleicht lie�e sich auch sonst noch Erkleckliches aus dem Kerl schlagen. Zum Beispiel im aristokratischen Damen-Klub f�r sexuelle Experimentir-Physiologie und Hypnose. Auch der Sportverein f�r Z�chtung reiner Menschenrassen, dem s�mmtliche k�nigliche Prinzen angeh�rten, k�nnte f�r diesen rasseechten Versuchs-Mann interessirt werden. Kurz und gut — Kalkulation und kein Ende.

Da — alle Wetter!

Grege, wie von unsichtbaren H�nden hinausgeschleudert, baumelt am Anker.

Eins, zwei, drei liegt er in der geringen Tiefe. Eilig sinkt mit ihm die Erde.

Das Fahrzeug nimmt einen neuen, �berraschend schnellen Aufstieg. Jede gesunde M�glichkeit ist vorbei, dem Fl�chtling wieder nahe zu kommen. Ihm nachst�rzen, w�r’ sicherer Todessprung.

— Alle Wetter! Verdammt, verdammt! So als Angelo �berlistet und betrogen!


Kapitel 8

Nein, dieser Bim. Teuta hatte noch keinen aufdringlicheren Oberphysikus erlebt. Was ihm nur pl�tzlich durch’s Gehirn gestiegen sein mochte, da� er jetzt Projekt auf Projekt th�rmte? Das ist ja unheimlich. Dieser Narrentanz senilen Ehrgeizes und Erfinder-Wahnsinns. Teuta, ruhig und gl�cklich, so zu behelligen!

Ao war entschlossen, seine Hand nicht dazu zu bieten. Diese wissenschaftlich-technischen Neuerungen sind gef�hrlicher Unsinn.

Der Oberpriester warf noch einen Blick auf Bim’s Bl�tter und Tafeln, dann schob er sie �rgerlich bei Seite.

— Ewig diese sogenannte Wissenschaft! Wird man nie Ruhe vor ihr haben? Hypothetisches Helium, Linie D 3 Sonnenspektrum, Wellenl�nge 587,74. Zweimal diese Galgenziffer neben einander. Wo er das nur wieder gestohlen hat! Eine neue Beleuchtung — nein, ich mag nicht mehr. Teuta ist hell genug. Was meinst Du, Minus?

— Zumal jetzt, Ao, wo uns diese Flucht-Geschichte auf den N�geln brennt. Mir ist wahrhaftig Amt und Leben verleidet. Der ganze Kram ist mir zuwider. Ich kann nicht mehr. Alles bricht mir zusammen.

Ao kniff die w�sserigen Augen ein und seufzte:

— Mir auch, mir auch, Minus. Ach, ach, Theuerster!

— Jala ist aus Deiner Sippe. Mit allem schuldigen Respekt, Oberpriester, Herrlicheres habt ihr nie hervorgebracht.

— Sag’ Ungl�ckseligeres. K�nnten wir einen Schleier dar�ber breiten! Wir haben schon so Vieles vertuscht, zum gemeinen Wohl, lie�e sich nicht auch dieses vertuschen? Denk’ nach, Minus!

— Wenn uns nicht zugleich dieser Grege abginge. Das Volk ist erregt. Er war sein Liebling. Soundso n�hrt die G�hrung. Er l��t durchblicken, wir h�tten diesen letzten k�niglichen Spro� beseitigt. Und es giebt kein Fest, wenn das Volk nicht dem Grege in’s Antlitz sehen kann.

Ao machte ein bek�mmertes Gesicht.

— K�nnen wir f�r ihn nicht einen Anderen unterschieben? Sag’, Minus, ginge das nicht? Es kommt doch nur auf die Illusion an. Nur auf die Illusion. Auf das Bild, das sich die Leute machen, suggestiv.

— Es giebt nicht seines Gleichen im Lande. Keiner ist so sch�n gewachsen wie er. Oder wei�t Du Einen? Sein still gefa�ter Geist ist so harmonisch entwickelt, wie seine Muskulatur. Mag hier ein Wunder der Vererbung vorliegen oder nicht, es ist so. Er �berragt. Mag’s zum Grundgesetz unserer Weltgleichheit stimmen oder nicht, die Thatsache ist unfehlbar. Sag’ ich zuviel? Keiner hat seine heldische W�rde, seinen Liebreiz, seinen Zauber, Ao. Er und Jala! Ist es nicht wie ein Symbol, da� Beide gleichzeitig verschwunden?

— La� jetzt Jala aus dem Spiel. Die war keine �ffentliche Person, keine Staatseinrichtung, sozusagen, aber Grege, freilich, der war Schauspiel von Staatswegen und Augenweide f�r Alle.

— Das Volk hatte seinen Narren an ihm gefressen.

— Ja, ja, Minus, das Volk! Es fri�t auch wieder an einem Andern seinen Narren. Es will seine Kom�die haben, das ist Alles.

— Und eben die spielte ihm Grege mit seinen ausgezeichneten k�rperlichen Gaben zum Entz�cken vor. Die Leute waren aufgel�st in Wonne. Ihr Zwerchfell war ersch�ttert wie ihr Herz, wenn er in seinem k�niglichen Kom�diantenpomp hervortrat und die h�fischen Zeremonien aus der alten Zeit vorspielte. Er war ihr Gott und F�rst und Hanswurst in diesem Augenblick in einer Person. Eine Art k�nstlerischer Dreieinigkeit zum Gaudium der Massen. Das war sein gro�er Erfolg. Ich glaube nicht einmal, da� ihm die Sache pers�nlich Spa� machte. Aber daran liegt nichts. Die schaulustige Menge am�sirte er k�niglich.

Ao stimmte bei und wackelte mit seinem gl�nzenden Fettkopfe. Dann fl�sterte er mit speckiger Stimme:

— Minus, unter uns: das entscheidet in der Welt, wer der gr��te Kom�diant ist. Der gr��te Kom�diant wird immer das Herz des Volkes f�r sich haben.

— Das ist das Furchtbare in der Welt, da� sie im Grunde schrecklich und doch ohne Ernst ist. Drum hat auch das l�cherliche Wort Uebermensch so viel Gl�ck gemacht. Und das Zarathustra-Fest alle Feste besiegt.

Und Grege alle andern Volksbelustiger in den Schatten gestellt.

— Das Zarathustra-Fest gipfelte in diesem Uebermenschen. Wei� denn Bim nicht Rath?

— Geh’ mir mit Bim!

— Immer qu�lt er uns mit seinen Entdeckungen und Erfindungen. Kann er denn da nichts machen?

— Das ist ja lauter dummes Zeug, was er macht. Du hast’s vorhin selbst gesagt. Linie D 3, Sonnenspektrum, Wellenlinie — l��t sich daraus ein Grege fabriziren, Ao? Oder eine Jala?

— Sprich mir nicht von Jala. Sie geh�rt nicht hierher. Das ist Deine pers�nliche K�mmerni�, Minus. Leider. Ein Mann in Deinen Jahren und W�rden sollte dar�ber hinaus sein, erlaube das harte Wort. Ein Weib geht uns, als Gef�hlsgegenstand, so wenig an wie das hypothetische Helium.

— Du thust Dich leicht, Ao.

Der Oberpriester blies die Backen auf und machte die Augen rund wie Glaskugeln:

— Das Gesetz ist da. Teutas unverbr�chliches Gesetz: H�nge Dein Herz an kein Weib!

— Soll ich’s an Bims Helium h�ngen? Das Herz ist eben auch da.

Ao machte sich kleiner und senkte den Kopf zwischen die fetten Schultern.

— F�r das Gemeinsame, Minus, nur f�r das Gemeinsame. Ach, mu� ich die Rebellion an den Besten erleben! Zerbrich Dein Herz, Mann vom hohen Rath, f�gt sich’s nicht in’s Gesetz!

— Ich bitte Dich, Oberpriester, was redest Du!

— So lange ich das erste Wort im Lande habe, wei� ich kein anderes, darf ich kein anderes wissen. Dr�cke mich nicht mit Deinem unrechtm��igen Begehr. Ich kann nicht mehr. In Teuta ist kein Raum f�r leidenschaftliche Ueberschw�nglichkeiten. Darum reinliche Scheidung zwischen Mann und Weib und strengste Regelung des Verkehrs. Keinen Mischmasch der Gef�hle. Ich erliege der Last des Regiments, wenn sich solche Dinge h�ufen. Wie ruhig und glatt ging Alles die vielen sch�nen Jahre her, und nun auf einmal steigt mir ein Wirrsal um’s andere auf den Nacken. Ach, ach . . . .

— Gut, ich werde ein Ende machen.

— Ja, thue das. Nimm Vernunft an, Du mein Bester. Entsage dem th�richten Weiblichen. Mach’ ein Ende. Du bist zu alt zum Tanzen. Mach’ ein Ende.

— Noch vor dem Zarathustra-Fest.

— Recht so. Noch vor dem Zarathustra-Fest. So bist Du Deiner w�rdig. Teutaland wird Dir’s danken. Und wegen Greges will ich die Aeltesten vom Festbund vernehmen. Es sind kluge Leute. Die werden uns heraushelfen. Um Jala wollen wir jetzt nicht weiter jammern. Mach’ ein Ende. Mach’ Frieden mit Deinem Herzen.

— Gewi�, das will ich.

— Gut, Minus, ich habe Dein Wort. Nun sollst Du auch wissen, da� Du damit dem hohen Rath einen Stein des Aergernisses aus dem Wege r�umst. Kaspe und Titschi hatten Wind von Deiner Sache und nahmen Ansto� daran. Allerlei Schwierigkeiten, Du verstehst mich.

— Ja, ich verstehe Dich, guter Ao.

— Und nun verla�’ mich. Morgen wirst Du dem hohen Rath eine Erkl�rung geben. Ich bin todtm�de. Mich verlangt nach Ruhe. Ganz Teuta peinigt die Sehnsucht nach Ruhe. Dich nicht auch?

— Mich auch. Leb’ wohl, Ao, leb’ wohl.

Minus k�mpfte schwer.

Sein Wille wurde, soweit er zur�ckdenken mochte, seiner Neigungen nicht Herr. Seine Nerven lie�en sich nicht an die Ordnung binden. Sein Blut wollte sich keinem Zuspruch f�gen. Alles war Widerstreit in ihm, Alles lag sich in den Haaren. Sein Befinden hatte sich dabei bis zur Unertr�glichkeit verschlechtert.

Ewig sich selber Feind und Kriegsschauplatz sein und vor der Welt den sanften Meister der geistigen Zucht spielen? Den l�chelnden Herrscher, der nur auf Siege blickt und auf Ruhmesbahnen schreitet, w�hrend er thats�chlich von Niederlage zu Niederlage taumelt und voll ist bis zum Halse von bitterem Ekel �ber sich und seine Mitwelt?

F�rwahr, eine plumpe L�genpeterei war dieses ganze Leben, zu dem er sich als Angeh�riger des Teutavolkes verdammt sah. Ein Genist von Ungeheuerlichkeiten der ganze Verkehr von Mensch zu Mensch. Nirgends Zug und Schwung, ein ewiges Hinkriechen und Beiseiteschleichen. Die D�mmsten die Verh�tscheltsten, die Aberwitzigsten die Belobtesten.

Und diesen m�ffigen Lebensbrei ausl�ffeln, mit zugehaltener Nase, Tag f�r Tag, bis endlich die Sickerquelle des Bewu�tseins und Begehrens im elenden Hinsiechen sich von selbst verstopft?

Da war noch ein bleicher Schimmer von Gl�ck in einer ungew�hnlichen Holdseligkeit des Weibes. Er ist erloschen. Da war noch eine schwache Bet�ubung im Verkehr mit den Ausnahmegeistern der Vergangenheit. Gespensterspiel, nichts weiter. Was blieb? Nichts, was die Pers�nlichkeit �ber den Verdru� mit sich selbst hinaushebt. Nichts, was zu einer �u�ersten Kraftprobe befeuert. Nichts, was die verp�nten Laster Verachtung, Zorn, Ha�, Rache zu geheiligten Tugenden umwandelt. Eine einzige Nichtigkeit Alles. Und nun schleicht das Alter heran, die Verstumpfung der letzten k�mmerlichen Daseinsreize, die Verzweiflung, die nicht einmal sich selbst mehr ernst nehmen kann.

— Minus, verkadavere Dich, endgiltig, bevor es zu sp�t ist. Sogar der hohe Rath, der l�cherliche hohe Rath, hat Wind . . .

Sein Auge gl�hte, sein Gesicht bedeckte tiefe Bl�sse.

Sein Fahrstuhl hielt vor der Th�r seines Gemaches. Wie ein Schatten war er durch die lange Kreisbahn gehuscht, die aus der Tiefe der Beamten-Region zur oberen Schicht f�hrte. Hier lag die Wohnung im neunundneunzigsten Bezirk, dicht an der Grenze der M�nnerhauptstadt.

Eine Mauer mit vielen Thoren, die mystische Inschriften trugen — wie: Wille zur Macht, Selbstverneinung, Bejahung des Lebens, Nullpunkt der Gef�hle, Schwelle des Unbewu�ten — trennte die M�nnerhauptstadt vom Jenseits der Frauenhauptstadt. Denn das war der Triumph der moralischen Entwickelung in Teuta: Anerkennung der Gleichheit in der Trennung, Freiheit in der Beth�tigung des Sonderwesens als Gattung, Mechanisirung der Empfindung bis zur Vernichtung der pers�nlichen Wahltriebe.

Vom Diesseits der M�nner zum Jenseits der Frauen waren die Verkehrswege streng geregelt. Es gab offene Zeiten und geschlossene Zeiten.

Jetzt war geschlossene Zeit. Drum fiel es Minus auf, da� eine vermummte, zierliche Gestalt, aus dem Jenseits kommend, in sp�ter Nacht, ohne Fahrzeug sich her�bertastete, mit kleinen, unsicheren Schritten, im Schein des verminderten Lichts.

— Wer da? rief Minus und �ffnete seinen Mantel, um durch seinen purpurnen Talar als Mann vom hohen Rat sich auszuweisen und in Respekt zu setzen.

Die zierliche Gestalt schlug die Kapuze zur�ck und erwiderte l�chelnd:

— Soundso gr��t Minus, Hoheit.

— Ach, Soundso, Du, auf Schleichwegen?

— Auf Schleichwegen, ja, wenn Du willst. Im Sp�herdienst.

— Kehr’ ein bei mir, auf eine Minute. Du bist mir ein willkommener Zeuge.

— Wenn ich dienen kann, gern, auf eine Minute. Kaspe erwartet mich, bei Titschi.

— In diplomatischer Sendung vers�umst Du auch bei mit Deine Zeit nicht. Du kannst dann �brigens den Hoheiten Sch�nes von mir melden.

Beide traten ein. Ein weites Gemach, durch verstellbare Schirmw�nde in mehrere kleine R�ume geteilt, empfing sie. Minus bewegte mit dem Fu� einen Knopf am Boden, sofort ward milde D�mmerung.

— La� Dich hier nieder, Soundso, Du wirst erm�det sein.

Minus ging bis zur n�chsten Abtheilung.

Von dort aus f�hrte er, ungesehen, das Gespr�ch.

— Darf ich Mitwisser sein, Soundso?

— Bis zu einem gewissen Punkt, gewi�! antwortete Soundso, den Fl�sterton etwas erh�hend.

— Bist Du durch das Thor des siebenfachen Schweigens gegangen?

Soundso blieb stumm.

— Und durch das Thor der sieben Seligkeiten?

Soundso seufzte woll�stig.

— Sahst Du auch die Ecke links vom Thor zum s��en Salb�l, wo die apokalyptischen Leuchter stehen?

Soundso schnalzte leise mit der Zunge: Ich habe den Kopf durchs Gitter gesteckt, das Thor war verschlossen und Blut auf der Schwelle.

— Die alte, ewig junge Geschichte. Ach, gl�ckliche Jugend . . . . Und hat das Mondlicht Dich wonnig umflossen?

Soundso schwieg, erinnerungstrunken l�chelnd. Wenn der Esel Minus w��te . . .

— Also reden wir vom Dienst, Soundso. Ist Dir’s gef�llig?

Soundso r�usperte sich. — Kann ich leise sprechen, h�rst Du?

— Ich verstehe Dich gut. Wem galt Deine Auskundschaftung?

— Einer Entwichenen. Einer K�nstlerin der sch�n gemessenen Bewegung . . .

— Wenn Du den Namen verschweigst, denk’ ich an Jala. Einverstanden?

Soundso schwieg. Er zog die Kapuze wieder �ber, bis an die Stirn.

— Hat man Spuren? N�here Umst�nde?

— Man wei� den Tag und vermuthet die Richtung.

— Die Richtung des untergehenden Gestirns. Ist’s so?

— Du sprichst im Bilde, Minus.

— Und sonst? fragte Minus mit merklich erregter Stimme.

Soundso schwieg.

— Hat man Hoffnung auf Wiederkehr?

— Einer ist mit ihr gegangen, Einer ist geblieben.

— Schlie�t das die Hoffnung aus? Ist der Gebliebene verd�chtig? M�chtet ihr seiner los sein?

Soundso schwieg.

Lauschende Stille. Soundso glaubte, Minus athmen zu h�ren.

Die Pause verl�ngerte sich.

Soundso schlug die Kapuze zur�ck. Ein kaum vernehmbares Ger�usch wie von sich entfernenden schleichenden Schritten.

Dann stockendes Leben in vollkommener Ruhe. Soundso h�rte nur noch seinen eigenen Athem.

Schw�l beklemmender Duft dickte die Luft.

— Minus, ich denke die Audienz ist zu Ende. Entlasse mich mit g�tigem Gru�, bitte.

Eine Weile t�dtliche Stille.

— Gr��e Du mich! kam es verr�chelnd aus dem Hintergrunde.

Soundso verzog das Gesicht. Das ist mir schlechter Geruch und unerfreulicher Ausgang, dachte er.

— Aber man kann ja sehen, sagte er halblaut und machte wenige Schritte gegen den Hintergrund.

— War das Dein letztes Wort, Hoheit? rief er stehen bleibend. Kann ich mich zur�ckziehen?

Es ward ihm keine Antwort.

Im Umdrehen kam er mit dem Fu� an den Knopf am Boden.

Pl�tzlich stand er im Dunkeln.

— Ich bedanke mich, der Narr eines Verr�ckten zu sein, ich werde meine Ma�regeln ergreifen, da� mir Keiner zuvorkommt, murmelte er. Jeder geht seine eigenen Wege schlie�lich.

Und er tastete sich schleunig zum Ausgang. Er glaubte genug zu wissen. Und er versprach sich Nutzen von diesem Wissen.


Kapitel 9

Der Oberpriester hatte sein Schl�fchen genossen. Ganz so erquickt wie sonst f�hlte er sich nicht.

Er rieb sich die Augen und die brummenden Unterschenkel. Er schien nicht ganz bequem gelegen zu haben. Dann wischte er sich die Mundwinkel aus, die im Schlafe stets ein wenig geiferten.

Ja, ja, so ein Schl�fchen, das ist doch das Beste. Man ist wie im Paradiese. Nun hei�t es wieder an die rauhe Wirklichkeit denken und die Sorgen des Amtes herantreten zu lassen, eine nach der andern.

Was denn zun�chst? Ja, was denn? Und er sann. Da drohte ihn noch einmal der Schlummer zu �berfallen. Die dicken Augenlider wollten nicht halten. Ach, das viele Denken.

Er �chzte. Er g�hnte und �chzte wieder. So ein oberstes W�chteramt, das lastet schwer, selbst auf den St�rksten. Diese ganze Menschheit zu beh�ten vor Schwankungen und St�rungen ihres Gl�ckes, da� Alles stets seinen rechten Weg gehe, da� die Maschine nicht nothleide — das strengt an, kein Wunder. Und als Aufseher der Aufseher, in dieser etwas bunten Mischung der Charaktere, da galt es doppeltes Gehirnschmalz aufwenden, wenn Alles klappen sollte. Und das war sein Ehrgeiz, da� unter seinem Regiment Alles sch�n klappte.

Bis jetzt, in allen Hauptsachen wenigstens, klappte Alles. Dies Verdienst konnte ihm Niemand schm�lern. O, er verstand zu f�hren, zu richten und zu schlichten.

Und er g�hnte und l�chelte. Eine Ehrentafel war ihm sicher. Eine gl�nzende Ehrentafel. Keinem seiner Vorg�nger stand er jemals nach, keinem. Bei der n�chsten Wahl wird man ja sehen. In ganz Teuta findet man keinen Besseren. Da k�nnen sie in alle Winkel leuchten.

Was denn nun zun�chst? Und er k�mpfte einen neuen G�hnanfall muthig nieder.

Eine feine Klingel ert�nte, musikalisch abgestimmt, in rhythmisirter Kadenz. Eine ganze Arie.

Ao w�lzte sich in Positur.

Er spitzte die Ohren. Er las die Kl�nge, ohne sie sich zu �bersetzen. Sein Gehirn arbeitete noch ganz wunderbar mechanisch.

— Titschi will mir seinen Soundso zu einer Meldung schicken. Ach so. Die Geschichte mit Minus, Grege und so weiter. Nein, jetzt nicht. Ich will erst die Aeltesten h�ren, die guten, klugen, vergn�gten Leute vom Festbund. Titschi ist ja eine gewiegte, zuverl�ssige Kraft.

Er bewegte sich auf seinem schwingenden Polster an den kleinen Mitteltisch mit dem Tastwerk.

— Titschi ja, aber mit seinem Soundso soll er mir vom Halse bleiben.

Er nahm seine Amtsmiene an und lie� seine dicken Finger w�rdevoll auf den Tasten spielen.

— So, jetzt kann’s losgehen. Minus interessirt mich jetzt nicht, er soll mit sich selbst fertig werden. Grege und Jala, was sie nur forttrieb? Besser finden sie’s doch nirgends. Aber wo der tolle Eigenwille anf�ngt, da ist kein Halten mehr.

Wieder ert�nte eine Klingel. Diesmal f�r den H�r- und Sprechapparat.

— Na, na, na. Das ist ja keine Musik, das ist Sturml�uten. Was? Minus ist mit sich fertig geworden? Um so besser. Hab’s ihm eindringlich genug gerathen. Ueber das Weitere kann er mir morgen pers�nlich Bericht erstatten. Ich lasse Minus gr��en.

Er machte eine Pause, sich von der Anstrengung ein wenig zu erholen.

Dieser Minus, so stolz und eigenwillig, wahrhaftig, das war ein schmeichelhafter Erfolg f�r die Beherrschungsgabe Aos: Minus nimmt Vernunft an, Minus bringt dem oberpriesterlichen H�ter der Gesetze ein Herzensopfer!

Ao l�chelte und tippte mit dem kleinen Finger auf eine zierliche Flasche. Sofort antwortete ein duftiger Spr�hregen. Ao hielt seine Glatze vor, das fl�ssige Aroma aufzufangen. Das s��e Bad flo� ihm �ber Stirn und Nase.

— Aber, aber! Schon wieder? Ich kann nicht mehr, die Aeltesten erwarten mich im Berathungssaal. Wie? Falsch verstanden, ich? Minus — was? Feierlicher Abgang, eigenh�ndig? Das w�r’ gegen alle Verabredung. Soundso bezeugt’s? Dabeigewesen? Das lass’ ich mir doch nicht aufbinden. Hat keine Wahrscheinlichkeit f�r sich. Minus wird den Soundso als Augenzeugen zu sich einladen, um diesem vorwitzigen J�ngling so etwas vorzumachen, Verzeihung, Titschi, das glaubt Dein Scharfsinn selbst nicht. Wie? Bis morgen. Der Irrthum wird sich aufkl�ren. Ich hab’ jetzt wirklich an Anderes zu denken, wie gesagt, Die Aeltesten erwarten mich. Ich kann mir nicht Alles durcheinander bringen lassen. Eins nach dem Andern. Also bis morgen. Schlu�.

Ao zog sich die H�rr�hrchen aus den Ohren. Gut, nun w�rde er morgen Gelegenheit haben, diesen aufdringlichen Soundso einmal gr�ndlich aufsitzen zu lassen. Der blinde Uebereifer verdient die Lektion.

Mit liebevoller Umst�ndlichkeit ordnete der Oberpriester seinen weitl�ufigen Leib in die Polster des Fahrstuhls, dr�ckte auf eine Klappe, schlo� die Augen und lie� sich in sanftem Gleiten in den Berathungssaal bef�rdern.

Die Aeltesten waren bereits zur Stelle. Sie hatten sich inzwischen die Zeit mit der gelehrten Untersuchung einer Frage vertrieben, die j�ngst ein spitzfindiger Sch�ler aufgeworfen: Wenn ein Gesetzesbeschlu� zu Stande k�me, da� die Teutaleute statt zu gehen auf allen Vieren kriechen m��ten, wie lange bliebe dies ruhig ge�btes Recht? Und sie kamen �berein, da� sich der Zeitraum nicht �bersehen lie�e. Die heilige Macht des Gehorsams w�re stark genug, eine Gewohnheit zu schaffen, da� die herrlichen Teutaleute schlie�lich nur mit neuem Zwang davon abzubringen w�ren, auf allen Vieren zu kriechen. Es l�ge sicher ein wonniger Reiz in dem Bewu�tsein jedes richtigen Teutamenschen, eine gesetzliche Bewegungsart zu pflegen, die von keinem anderen Volke angenommen w�re. Bei festlichen Aufz�gen k�nnte das Kriechen vor dem Gehen �berdies ungew�hnliche Pikanterien voraushaben und die positiven Lustgef�hle vermehren. Aus diesem Grunde habe man schon im deutschen Alterthume, wie zuverl�ssige Sagen melden, sogenannte Spring-Prozessionen gehabt, das hei�t religi�se Aufz�ge, die nicht feierlich geschritten, sondern geh�pft wurden. Dergleichen auf allen Vieren zu machen, sei aber entschieden noch sehr viel aparter und anregender.

Pl�tzlich war Ao hereingehuscht.

Die Aeltesten verneigten sich. Ihr Sprecher begann:

— Deine Hoheit hat gew�nscht, uns hier zu sehen. Wir sind zur Stelle.

— Seid gegr��t, Freunde! W�hlt Euch bequeme Pl�tze, der Anla� unserer Begegnung zwingt uns wohl zu l�ngerer Unterredung. Euer Befinden ist gut?

— Wie das ganz Teuta’s. Das Volk ist gl�cklich. Es sieht unserem sch�nsten Feste mit gehobenem Gem�the entgegen.

— Und doch scheint mir diesmal nicht Alles in glatter Ordnung, und die Vorbereitungen zum Zarathustra-Feste erf�llen mich mit einiger Sorge. Drum lie� ich Euch hierher bitten.

Wieder verneigten sich die Aeltesten. Ihr Sprecher tauschte mit ihnen einen orientirenden Blick, dann nahm er, als Ao nachsinnend schwieg, das Wort:

— Von unserer Seite wurde nichts vers�umt, dem Feste den gewohnten Glanz zu bewahren. Wir haben vorhin sogar eine kleine Neuerung erwogen, die eine pikante Abwechslung in die Sache zu bringen nicht ungeeignet sein d�rfte.

— Beim gro�en Mysterium, liebe Freunde, sprecht mir nicht von Neuerungen, noch von Pikanterien. Nur das bew�hrte Alte h�lt uns auf der H�he. Im Neuen liegt meist eine Gef�hrdung der Sicherheit. Nur nichts, was unsere gewohnte Ruhe ersch�ttern k�nnte, ich beschw�re Euch. St�rt die anmuthigen Kreise des Ueberlieferten nicht in unserem Staate.

Der Sprecher l�chelte und blickte auf die Spitze seines vorgestreckten, leise wippenden Fu�es.

Ao folgte seinem Blick und sein Auge haftete mit Ueberraschung an dem leise wippenden Fu�e. Nun sahen auch die Uebrigen forschend auf den n�mlichen Punkt.

— Ei, ei, ich gewahre eine Spitze, wo m�nniglich seither eine Rundung zu sehen die liebe Gewohnheit hatte. Seit wann tr�gt man denn die Fu�bekleidung gespitzt?

Alle neigten die K�pfe und blickten sch�rfer hin. Richtig, der Sprecher trug Filzschuhe wie alle Welt in Teuta, nur erschienen sie, abweichend vom allgemein �blichen Muster, nach vorn weniger gerundet, als vielmehr in einer Spitze verlaufend. Und die Aeltesten, mit Ausnahme des Sprechers, nickten dem Oberpriester beif�llig zu, seiner au�erordentlichen Beobachtungsgabe ihre Bewunderung auszudr�cken.

— O, ich bitte, es ist nicht der Aufmerksamkeit werth, kam es entschuldigend von den Lippen des Sprechers. Es ist nichts, als ein Versuch, mir mit dem Fu�e das Tasten zu erleichtern. Meine Zehen sind seit einem kleinen Unfalle etwas empfindlich geworden, und die Jahre haben das Licht meiner Augen geschw�cht.

— Es handelt sich also um keine absichtliche Neuerung im Schuhschnitt, mein Freund? Um keine eitle Modelaune, die von unseren Gesetzen, wie Ihr Alle wi�t, verp�nt ist?

— Keineswegs, Hoheit. Wie sollte ich mir in meinen alten Tagen solche Extravaganzen erlauben, die dazu noch gegen das gemeine Gesetz versto�en! Nein, nein, nein, Hoheit. Nur aus pers�nlicher Nothdurft hab’ ich mir diese Abweichung gestattet.

Ao nickte befriedigt, und die Aeltesten nickten befriedigt mit.

— Du wirst wieder zur runden Form zur�ckkehren, sobald Deine Zehen gekr�ftigt sind? fragte Ao liebreich.

— Gewi�, das werde ich.

— Gut, ich habe Dein Wort. Und nun la�t uns, nach diesem gl�cklich erledigten Zwischenfall, unserer Tagesordnung die geb�hrende Aufmerksamkeit zuwenden.

Die Aeltesten legten sich in ihre Polster zur�ck.

— Wie gesagt, meine Freunde, die Vorbereitungen zum Zarathustra-Feste, die Eurer Obhut vom Volke unterstellt sind, erf�llen mich, gelinde ausgedr�ckt, mit einiger Sorge.

Alle schwiegen ein wenig beklommen, denn der Ton des Oberpriesters schien wirklich �berraschende Dinge von zweifelhafter Annehmlichkeit anzuk�ndigen. Auch war’s, als suche er m�hsam nach dem Worte.

— Wir werden nichts vers�umen, Deine Sorgen zu zerstreuen, oder, sollte uns dies nicht gelingen, sie Dir tragen zu helfen, unterbrach der Sprecher die Stille. Denn die Miene des Oberpriesters machte den Eindruck, als ob er das rechte Wort immer noch nicht gefunden habe.

— Es ist mir in der That diesmal nicht leicht, meine Freunde, Euch die Sache so vorzutragen, da� Ihr sofort und ohne Be�ngstigung ein klares Bild von der Lage bekommt, in die uns ein noch nicht gen�gend aufgekl�rtes Ereigni� versetzt hat.

— Ein Ereigni�? Ein uns noch unbekanntes Ereigni�? In unserem still geordneten, gl�cklichen Teuta? fragten vier Stimmen durcheinander.

Die Aeltesten blickten ahnungsvoll vor sich hin.

In diesem Augenblicke ert�nte der Silberton der Klingel.

Der Oberpriester setzte die H�rr�hrchen ein und lauschte lange mit gesenktem Kopfe.

Endlich seufzte er auf:

— Zwei Ereignisse.

— Zwei sogar? Das ist viel auf einmal.

— Fast zuviel, meine Freunde. Ich bitte um Eure Diskretion. Es stehen hohe Dinge auf dem Spiel. Nun will Alles doppelt sorgsam �berlegt und behandelt sein. Kommt n�her, seid gefa�t, wir werden gleich sehen.

Seiner Handbewegung folgend, schwangen sie sich n�her, Allen voran der Sprecher, so da� sie von hinten um den Oberpriester gruppirt mit diesem zugleich in den Spiegel des Fernsehapparates blicken konnten.

— Geduldet Euch, das Bild wird gleich erscheinen.

Alle starrten auf den Spiegel, dessen leere blitzblanke Fl�che sich allm�hlich mit den Z�gen eines Menschengesichtes zu beleben begann, bis das Bild mit fast plastischer Deutlichkeit den Rahmen f�llte.

— Ein Todtenantlitz! rief der Sprecher. Ein Todtenantlitz, f�rwahr, t�uschen mich meine schwachen Augen nicht.

— Sie t�uschen Dich nicht. Seht Ihr, meine Freunde? Kennt Ihr ihn?

— Minus? fragte Einer verzagt. Ist’s nicht Minus?

Und wie aus einem Munde, Alle zugleich: — Minus!

— O weh! Dann m�ssen wir das Fest absagen. Trauer im Volke l��t kein Freudenfest zu! entfuhr’s dem Sprecher in der ersten Erregung.

— Das w�re die beste L�sung, dachte Ao, halblaut murmelnd, und warf dem Sprecher einen dankbaren Blick zu.

Aber der Anblick des Todtenantlitzes hielt die Aeltesten noch gebannt.

— Minus vom hohen Rath! bemerkte der Eine mit kl�glicher Stimme. Man sieht’s ihm gar nicht an.

— Ja, man sieht’s ihm gar nicht an, wiederholte der Zweite.

— Wahrhaftig, Du hast recht, fiel der Dritte ein.

— In der That, es ist so, der Vierte.

— Ich bitte Euch, meine Freunde, was meint Ihr? Was ist in der That und wahrhaftig so, da� man’s ihm gar nicht ansieht, unserm Minus vom hohen Rath? Sprecht Euch deutlicher aus, was meint Ihr? Sprecher, sprich Du, was meint man? Ist Euch etwas kund, das mir verborgen geblieben? Wi�t Ihr eine besondere Ursache seines pl�tzlichen Todes? Sprecht Euch umst�ndlich aus, ich bitte Euch. Er r�hrt sich nicht mehr, er sieht und h�rt Euch nicht mehr. Sein sch�nes, kluges Antlitz starr und bleich wie Wachs, und einst in der sprudelnden Lebhaftigkeit seiner Einf�lle so beweglich.

— Beweglich, das ist das Wort, Hoheit, athmete der Sprecher auf.

— Beweglich! fielen die Anderen mit eindringlicher Betonung im Chore ein. Beweglich!

Ao bewegte die Hand, das Bild im Spiegel verschwand.

— Beweglich? Ihr sprecht in R�thseln, Freunde.

— Er galt doch als der Beweglichste im hohen Rath? fragte der Erste, seine Mit�ltesten der Reihe nach anblickend.

— Das war im Volke sein Ruf, Hoheit. Minus galt als der Beweglichste, best�tigte der Sprecher mit Kennermiene.

— Als der Beweglichste im hohen Rath, intonirte der Chorus zur Bekr�ftigung.

— Soll damit eine Kritik ausgesprochen sein? fragte der Oberpriester, seine Stimme erh�hend, da� sie scharf und spitz klang.

— Mit Verlaub, Hoheit, Beweglichkeit ist an und f�r sich wohl nichts Kritisches, begann der Sprecher und lie� durchmerken, da� in dieser pl�tzlich sich aufbauenden Diskussion die weisen Aeltesten so gut ihren Mann zu stellen f�hig w�ren, wie irgend einer vom hohen Rath.

— Unser Sprecher dr�ckt unser gemeinsames Empfinden aus, Beweglichkeit ist an und f�r sich nichts Kritisches.

— So lange der Gegenstand nicht kritisch als ein kritischer festgestellt ist, auf den sich die Beweglichkeit bezieht, erkl�rte der Sprecher mit einer Deutlichkeit, die von seinen Mit�ltesten als �u�erste in diesem Augenblick erlaubte Grenze des Aussprechbaren empfunden wurde.

— Diese Feststellung steht heute wohl nicht auf der Tagesordnung, lenkte der Zweit�lteste ein.

— Es st�nde uns auch nicht zu, diese Feststellung festzustellen. Wir sind kein Todtengericht. Wir sind die Vertreter vom Festbunde, bemerkte der Sprecher wie zur Selbstbelehrung.

Endlich griff Ao wieder ein, nachdem er schnell die eigenth�mliche Stimmung, die ihm befremdend aus den versteckten und doch so hartn�ckigen Wechselreden der Aeltesten entgegenschlug, sich deutlich zu machen versucht hatte. Er f�hlte, da� das Ueberraschende des Ereignisses geeignet sein mu�te, die Leute zu pl�tzlichen und un�berlegten Gef�hlsausbr�chen zu dr�ngen. Mit ruhiger G�te und Geduld war daher der Wurzel dieses sonderbaren Verhaltens wohl n�her zu kommen.

— Ihr seid mir als liebe, kluge, verst�ndige Leute bekannt, ich begreife, da� Euch das pl�tzliche Ableben eines so hohen und verdienten Vertreters unseres Volkes erregen mu�. Wer sch�tzte Minus nicht, den geehrten Meister und H�ter des Wortes und des Geistes, der im Worte wohnt? Den Verwalter und Aufseher unseres heiligen Sprachschatzes? Wer liebte ihn nicht? Und jetzt ist er todt. Nicht wahr, meine Freunde, wer liebte ihn nicht?

— Und wen liebte er nicht, nicht wahr, Hoheit? Er war so beweglich, der gelehrte Minus.

Schon wieder dieses th�richte, aufreizende Wort.

— Beweglich? Im Angesichte des Todes frag’ ich Euch, wollt Ihr mit der Sprache herausr�cken oder nicht?

Der Oberpriester sprach langsam, mit vibrirender Stimme und gab seinem Gesicht einen ungew�hnlichen Ausdruck erhabener W�rde.

Das schien zwar den Aeltesten nicht �berm��ig zu imponiren, doch konnten sie sich des Gef�hls nicht erwehren, da� jetzt wohl nicht der geeignete Augenblick und hier auch nicht der rechte Ort sei, ihre versteckten Angriffe gegen den verstorbenen Minus fortzusetzen. Es mu�te also ein Abschlu� gefunden werden.

— Nun, Sprecher, f�hre Deine Sache offen! fuhr der Oberpriester fort.

— Minus hat sich einen hohen Ruf in seinem Amte erworben. Neben seinem Amte pflegte er jedoch Liebhabereien, die im Volke nicht immer g�nstig beurtheilt wurden. Aus der Frauenstadt sind oft seltsame Ger�chte �ber seine dortigen Besuche zu uns gedrungen. Beweglich war er in seinen Neigungen, schroff, wenn ihm eine Herzensgeschichte nicht nach Wunsch gl�ckte. Das, Hoheit, ist die Meinung im Volke. Anderes wollten auch meine Mit�ltesten nicht andeuten.

— Habt Ihr Beweise?

Der Sprecher, die ermuthigenden Blicke seiner Mit�ltesten gewahrend, nahm sich kein Blatt vor den Mund.

— Hoheit, Beweise? Es kommt darauf an, was man als Beweise gelten lassen will. Zum Beispiel geht seit einigen Tagen das Ger�cht, Minus habe eine Person aus der Frauenstadt an sich gelockt und f�r seine Privatzwecke versteckt. Jedenfalls ist die Person seitdem nicht mehr zum Vorschein gekommen. Du selbst, Hoheit, kennst die Person.

— Ich kenne keine Person, auf welche diese Andeutung pa�t.

— Dann kennst Du Jala nicht?

— Jala? Was geht Euch Jala an?

— Jala, die T�nzerin, geht uns so viel und so wenig an, wie jedem Unbetheiligten an der Geschichte. Aber Thatsache ist, da� Jala verschwunden ist. Und Volkes Stimme sagt: Minus’ Hand hat sie verschwinden gemacht. Sein Zauber hat sie beseitigt.

— Ebenso gut k�nntet Ihr behaupten, Minus habe Grege beseitigt. Denn auch Grege ist verschwunden.

— Wer? riefen Alle zugleich. Grege? Die Hauptperson unseres Zarathustra-Festes? Der unvergleichliche Uebermensch?

— Jawohl, Grege ist vom Schauplatz verschwunden.

Erst ging ein lebhaftes Murmeln und Geberdenspiel durch die Gruppe der Aeltesten, dann aber trat der Sprecher mit dem entschiedenen Worte auf:

— Fehlt uns Grege, so hat auch ihn Minus beseitigt. Minus hat ihn gemeuchelt.

Und die Anderen unterst�tzten ihn mit dem einhelligen Ruf: Das ist Minus’ Werk! Keiner ist listiger, als er.

Ao war au�er sich. Sind das die guten, klugen, vergn�gten Aeltesten vom Festbund? Das sind Emp�rer, Verleumder, Verschw�rer. Aber er nahm all’ seine Kraft zusammen. Wenn je, so galt es jetzt, den Leuten Ueberlegenheit zu zeigen und sich die Z�gel nicht entschl�pfen zu lassen. Das war ja einfach unheimlich, dieses Aufb�umen, diese Selbstherrlichkeit, dieses Losgehen auf eigene Faust. Wo wollte denn das hinaus? Was war in der Welt von Teuta vorgegangen?

Der Berathungssaal mit seinem ged�mpften Licht, seinen stillen, tiefen Farben, seiner ruhigen, milden Luft hatte selten so viel Aufregung zu schlucken gehabt, wie heute.

Von der Decke, aus den Ecken, aus jeder Falte der Tapeten und Teppiche schien dem Oberpriester der Widerhall des Widerspruchs in die Ohren zu klingen. Schlechte Musik f�rwahr.

— Habt Ihr Euch ausgetobt, meine Freunde? Seid Ihr im Stande, ein Wort aus weisem Munde zu vernehmen?

Da hob der Sprecher an: Wer tobt hier, Hoheit? Man ruft uns hierher und tischt uns die unglaublichsten Ereignisse auf. Das Zarathustra-Fest steht vor der Th�r, und wir haben seinen geheiligten programmgem��en Verlauf zu verantworten, wie allj�hrlich. Minus ist aus dem Lande der Lebendigen geschieden und mit ihm Jala und Grege. Wie wollen wir da Feste feiern? Wie wollen wir uns vor dem Volke verantworten?

— Begreift Ihr denn nicht? Darum hab’ ich Euch ja berufen lassen, da� wir uns �ber den planm��igen Festverlauf verst�ndigen, in dieser wirrsalreichen Zeit. Das Volk soll sein Fest und seine ungeschm�lerte Freude haben. Mehr denn je brauchen wir �ffentliche Heiterkeit. Es war des edlen Minus letzter Gedanke, dem Volke ein Freudenbringer zu sein. Ihr verkennt ihn, liebe Freunde, Ihr mi�deutet seine Handlungen. Freiwillig ist er aus dem Leben gegangen —

— Freiwillig? Ist das m�glich? Freiwillig einer vom hohen Rath?

— Jawohl, staunt, freiwillig ist er aus dem Leben gegangen, damit der st�renden Reden ein Ende werde. Er hat sein Leben seinem geliebten Volke zum Opfer gebracht, damit neue Freuden daraus erbl�hen.

Der Sprecher r�ckte einen Schritt zur�ck. Dann begann er kopfsch�ttelnd:

— Wir fassen das nicht. Sein Tod macht das sch�nste Fest zur Unm�glichkeit, denn er hat nicht nur den Zwang zur Trauer im Gefolge, er hat auch das Wiedererscheinen Greges und Jalas vernichtet. Wo sollen wir die Verschwundenen suchen, vorausgesetzt, da� sie �berhaupt noch am Leben sind? Oder sollen wir f�r das Fest anderweitig Ersatz schaffen?

Ao athmete auf.

— Ich danke Dir, Sprecher. Das ist das Problem. Du hast den Kern der Sache getroffen. Nun k�nnen wir rasch vorw�rts schreiten in der Verst�ndigung. Erstens: Ist das Fest m�glich, wenn wir den Tod des edlen Minus geheim halten? Au�er Titschi und Soundso haben wir zun�chst keine Mitwisser. Und das sind Meister der Diplomatie. Zweitens: Wi�t Ihr Ersatz f�r Grege? Denn Grege ist verschwunden, ohne das nachweisliche Verschulden des Minus.

Die Auseinandersetzung des Oberpriesters wurde abgebrochen durch erneutes lebhaftes Ert�nen der Klingel.

Kaspe, der Oberrichter meldete sich. Er habe mit Ao dringend zu sprechen. Die Sp�her h�tten wichtige Nachrichten gebracht. Es bestehe gegr�ndeter Verdacht, da� Soundso den Tod des Minus herbeigef�hrt. Soundso sei zur kritischen Stunde beobachtet worden, wie er unter erschwerenden Umst�nden das Gemach des Minus verlassen. Soundso habe zweifellos ein Verbrechen begangen in der Absicht, das Zarathustra-Fest zu st�ren und das Volk gegen den hohen Rath aufzuwiegeln.

— Ich bitte Euch, liebe Freunde, wo steht mir der Kopf? jammerte der Oberpriester.

— Da ist eine Schraube im Weltmechanismus los, rief ein Aeltester.

— Dergleichen Dinge sind unerh�rt, einfach unerh�rt, fiel entr�stet der Sprecher ein. Der Glanz Teutas tr�bt sich.

Kaspe erschien, schm�chtiger als je, fieberhaft aufgeregt.

— O, Du Ungl�cksbote! wimmerte ihm der Oberpriester entgegen. Beim heiligen Mysterium, wer bringt Ordnung in diese tolle Welt? Ich wei� nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Und diese guten Leute wissen es auch nicht. Oberrichter, Kluger der Kl�gsten, konntest Du nicht vorbauen?

— Was verlangt Ihr nicht Alles von meiner Wenigkeit. Ich thue, was meines Amtes ist. Die Ereignisse dieser Tage entzogen sich menschlicher Berechnung. Meine H�scher sind ausgesandt, Soundso aufzujagen und zu fangen.

— Ist denn der auch fort? fragte der Oberpriester best�rzt.

Kaspe nickte. Man wisse noch nichts Genaues. Jedenfalls halte er sich versteckt. Titschi selbst habe ihn seit der Todtmeldung des Minus nicht mehr gesehen und vergeblich allerorts nach ihm gefragt. Seine Spur verliere sich in der Frauenhauptstadt, wohin er sich in Verkleidung begeben habe. Das sei die letzte sichere Nachricht, die man �ber den Verd�chtigen erhalten.

Die Aeltesten steckten in heimlichen Reden die K�pfe zusammen.

Dann m�sse man sich an Titschi halten. Der sei unter allen Umst�nden f�r seinen Gehilfen haftbar, meinte der Oberpriester. Sofort m�sse er eingeladen werden, hier zu erscheinen. Und der Oberpriester lie� seine Hand auf dem Tastwerke spielen.

Ob ihre Anwesenheit jetzt noch nothwendig sei? fragte der Sprecher im Namen der Aeltesten. Ob man sie nicht zu einer sp�teren Stunde wieder herbescheiden wolle?

Ao antwortete nicht. Er lauschte mit eingesetzten H�rr�hrchen.

— Wir m�ssen wegen des Zarathustra-Festes zu einem Beschlusse kommen, meine Freunde, verweilt noch.

— Wegen des Festes? zirpte Kaspe. Da ist nicht viel zu beschlie�en, d�nkt mich, Hoheit Operpriester. Wir verk�ndigen dem Volke stille Zeit und verschieben das Fest. Von Staatswegen, Punktum.

— Das war auch mein erster Gedanke, bemerkte der Sprecher bescheiden. Und meine Mit�ltesten theilen ihn. Nur k�nnen wir die Verantwortung nicht tragen. Das Volk erwartet von uns Vergn�gen, nicht Entsagung und Trauer.

— Das Volk! Das Volk! zirpte Kaspe mit bitterem L�cheln. Soll’s das Volk besser haben, als wir vom hohen Rath? Das Volk wird sich in seine Rolle finden m�ssen, wie wir uns in die unserige finden. Suggerirt ihm das Zweckentsprechende, und es wird sich zufrieden geben. Es empfindet wei� oder schwarz, je nachdem es ihm vorgestellt wird.

Titschi lie� melden, er k�nne jetzt leider nicht abkommen, er habe alle H�nde voll zu thun. Die Beschl�sse des Oberpriesters mache er unbesehen zu den seinigen.

— Auch der l��t uns im Stiche, jammerte der Oberpriester. H�rst Du, Kaspe, ich solle beschlie�en! Beim heiligen Mysterium, was soll ich denn beschlie�en?

Und sein Gesicht nahm einen bis zum Komischen dummen Ausdruck an.

Nun machte der hohe Oberrichter den Schlagfertigen, wie stets bei feierlichen Anl�ssen.

— Beschlie�e eine ergreifende Trauerkundgebung gro�en Stils f�r den herrlichen Minus! Zwar sei sein Tod geheimni�voll, aber unwiderruflich, er soll den Leuten leid thun, aber sie nicht in allzutiefe K�mmerni� st�rzen.

Der Sprecher der Aeltesten l�chelte. Er nahm sich die Freiheit.

— Gef�llt Dir meine Formel nicht? Sie ist �berraschend, findest Du? Gerade das ist ihr Werth. Das Volk wird zur Abwechslung im Gef�hle der Ueberraschung sein Behagen finden und uns Zeit lassen, Alles auf’s Beste zu ordnen. Ich bitte Euch, Ihr Aeltesten, da Ihr nun doch eingeweiht seid, unterst�tzt uns und haltet reinen Mund �ber alles Unaufgekl�rte. Sucht auch aus der Trauer Genu� und Kurzweil f�r das gute Volk zu schlagen.

— Ach, das Volk, wer h�lt uns das Volk vom Leibe! Dieses nimmersatte Ungeheuer! �chzte der Oberpriester.

Die Aeltesten aber grinsten dem Oberrichter freundlich zu.

— Gef�llt Dir mein Vorschlag, Hoheit?

— Ach, Oberrichter, mir gef�llt Alles, was Ordnung schafft und Ruhe stiftet.

Sein verzweifelt dummes Gesicht gl�nzte wieder in einem Schimmer intelligenter Zuversicht.

— Lasse das meine Sorge sein, Ao.

— Ich danke Dir, Oberrichter. Ich danke auch Euch, Ihr Aeltesten, treue Freunde. Beliebt es Euch, da� wir uns zur�ckziehen? Die n�chste Stunde wird Alles in die rechten Wege leiten. Oberrichter, ich bitte um Deine Begleitung. La�’ uns Titschi aufsuchen.

— Wenn wir ihn nicht gerade im Bette antreffen, ist’s m�glich, da� wir ihm nicht unwillkommen sind. Aber ich folge Dir gern zum hohen Diplomaten, obwohl ich mich gern selbst ein wenig auf die faule Haut legte.

Ao �berfiel bei diesen Worten des Oberrichters die Angst des Nichtbegreifens. Wie konnte nur Kaspe so im Handumwenden diesen gleichgiltigen Ton anschlagen? Stand denn nicht Alles auf dem Spiele? Hatten sich nicht unglaubliche Dinge ereignet? Und nun that Kaspe, als handle sich’s um irgend eine Verabredung zum Fr�hst�ck.

Titschi empfing die hohen Amtsbr�der richtig im Bett. Er habe seinen faulen Tag, sagte er aufger�umt. Und das Lustigste von Allem sei, da� man den Leichnam des Minus nicht auffinde. Sogar die Todten fl�chteten aus Teuta!


Kapitel 10

Das war nun allerdings das st�rkste St�ck, das der hohe Rath jemals dem Teutavolke geboten.

Die vergn�gte Zarathustra-Feier mu�te verschoben werden auf unbestimmte Zeit, um der gro�en Trauerkundgebung willen zu Ehren des Minus, und die Trauerkundgebung konnte nicht stattfinden, weil sich der Leichnam der verstorbenen Hoheit aus dem Staube gemacht. Fabelhaft!

Man fand nicht einmal Zeugen, den Tod des Minus festzustellen.

Der die erste Nachricht vom Tode des hohen Oberlehrers dem obersten Diplomaten �berbrachte, war allerdings eine vertrauenerweckende amtliche Person, Soundso.

Aber als Soundso als einziger Augenzeuge �ber die n�heren Umst�nde des �berraschenden Todesfalls vernommen werden sollte, war er verschwunden. Und als man die Leiche zu einer imposanten Trauerkundgebung verwerthen wollte, war von ihr nirgends eine Spur zu entdecken.

Konnte die Erscheinung des Todtenantlitzes im Fernseh-Spiegel des hohen Rathes auf T�uschung beruht haben? Oder auf Suggestion oder sonst einer Betr�gerei?

Alle diese so schwer genommenen Vorg�nge spielten sich nat�rlicher Weise nur im engsten Kreise von drei oder vier Personen des hohen Rathes und der Aeltesten ab.

Das Volk wu�te auch nicht eine Silbe davon, oder wenigstens nicht mehr, als man f�r gut fand, ihm direkt oder indirekt mittheilen zu lassen.

Unanfechtbar waren blo� zwei Thatsachen: Titschi lag im Bett und redete sich auf die Folgen der Ueberanstrengung ohne n�here Begr�ndung hinaus, und Soundso vermochte trotz der eifrigsten Bem�hungen nicht zur Stelle gebracht zu werden.

Und ein Todtenpomp als Ersatz f�r die diesmalige Zarathustra-Feier erwies sich als unm�glich, da nicht der geringste passende Leichnam aufzutreiben war. Die Ungeheuerlichkeit einer gro�artigen �ffentlichen Leichenfeier ohne Leichnam konnte nicht einmal mehr von dem Oberpriester Ao ernsthaft in Erw�gung gezogen werden.

Der Oberrichter Kaspe strengte sich scheinbar auf’s Aeu�erste an und lie� alle Minen seines ausgezeichneten Sp�herdienstes springen. Vergeblich.

— Ihr seht, ich bin so perplex wie ihr, piepste er.

Der Oberdiplomat kroch immer tiefer in’s Bett und konnte mit nichts als mit virtuosen Redensarten und Trugschl�ssen dienen.

So fiel Alles auf den ungl�ckseligen Oberpriester zur�ck. In seinem Gehirn pre�te sich die ganze Thatsachenreihe zu einer einzigen Halluzination zusammen. Bald trat ihm der hei�e Schwei� auf die Stirn und seine Glatze dampfte, bald fror ihn, da� er sein Sch�deldach wie eine Eisdecke f�hlte, die vor Frost zu bersten droht.

— Kinder, legt mir die Zwangsjacke an, ich bin verr�ckt. Ich werde tobs�chtig, es geschieht ein Ungl�ck. Ach, ich �rmster Ao!

Titschi w�lzte sich im Bette und versicherte, da� es ihm gro�e Freude mache, von seinem hohen Kollegen so aufopfernd getr�stet zu werden.

Kaspe l�chelte s�uerlich und erkl�rte alle Welt f�r Uebelth�ter, denen man beim besten Willen nichts mehr recht machen k�nne. Nicht einmal zum Einfangen seien sie mehr zu haben. Alle Liebesm�h’ sei umsonst. Diese unnahbar edlen Spitzbuben!

Wahrhaftig, Ao, der w�rdige Oberpriester, schnitt jetzt Grimassen wie ein Verr�ckter.

— Nimm sie beim Kragen, hollah, da sind sie! rief er mit schiefgezogenem Munde dem Oberrichter zu. Dabei schlug er mit der Faust auf die eigene Brust.

— Wer denn? Wo denn?

— Grege hier, Soundso hier, Minus hier, die Lebendigen und die Todten, Alle durcheinander, die Aeltesten dazu, seid Ihr denn blind? Alle sind sie in mich hineingeschl�pft. Ich beherberge sie. Ich bin ihr Schlupfwinkel, ihr Diebsnest, ihr Hehler. Greif zu, Oberrichter!

Und er wand und kr�mmte sich wie eine getretene Schnecke.

— Du machst Deine Sache sehr gut, Oberpriester! rief Titschi und streckte seinen Diplomatenkopf aus der Bettdecke hervor. Ich w�nschte, da� ganz Teuta dieses Schauspiel s�he. Beim heiligen Bimbam, das gen�gte als Ersatz f�r das Zarathustra-Fest. Du bist ein gro�er K�nstler, Ao! Herrlich, herrlich!

— Zu Eurem Narren habt Ihr mich gemacht, st�hnte Ao mit geiferndem Munde und brach in den Polstern zusammen.

— Der arme Mensch hat wieder seinen Anfall, fl�sterte Kaspe. Soll ich vielleicht den Bim herbeirufen?

— Verschon’ mich mit diesem Querkopf. Aos Anfall, nein, es lohnt nicht der M�he. Der Gute krabbelt sich von selbst wieder in die H�he. Bliebe er einmal unten, he, Kaspe, was denkst Du von der F�hrung der obersten Gesch�fte?

Ein fahler Blitz zuckte �ber des Oberrichters verlederte Mienen. Mit ged�mpfter Stimme meinte er, ein wenig zur�ckhaltend:

— Wie denkst Du dar�ber? Deine Meinung ist mir werthvoll.

Titschis scharfes Auge hatte das Mienenspiel bemerkt. Er wollte schweigen. Die Sache war noch nicht reif. Der ehrgeizige Kaspe!

Aber der Oberdiplomat konnte sich das Vergn�gen nicht versagen, dem Streber nach dem Vorsitz im hohen Rathe ein h�hnendes Hoffnungsalmosen hinzuwerfen:

— Sei getrost, Kaspe, wenn ich wieder gesund bin, werde ich mich f�r Dich in’s Zeug st�rzen. Auch meine Agenten werden f�r Dich Stimmung machen. Aos Fall ist Deine Erh�hung. Das Volk wird ihm’s nie verzeihen, da� es unter seinem Regiment so wenig Vergn�gen gehabt. Ruhe, Stille, Ordnung — l�cherlich: Vergn�gen will das Volk haben, Feste, Apotheosen! Und nun geht unter Aos genialer F�hrung sogar die Zarathustra-Feier, das gl�nzendste Narrenfest der Welt, in die Br�che. Kaspe, mein Kompliment! Das hast Du gut eingef�delt!

Der Oberrichter neigte leicht den Kopf wie zu gn�digem Danke. Es hatte ihn jedesmal, so oft Titschi herausfordernde Andeutungen dieser Art gemacht, das Gef�hl beschlichen, als sollte er vergiftete Pillen schlucken.

Endlich r�hrte sich Ao wieder. Sein Aussehen war erbarmungsw�rdig.

— Bim — ruft mir den Bim, ich bitte. Ich habe Vertrauen zu Bim. Er kann mir helfen. Ich bin ja so krank. Merkt Ihr denn nichts? Gar nichts?

— Ja, hoher Oberpriester, wenn Du Vertrauen zu Bim hast! Mit Vergn�gen! Ich bin f�r Deine Anregungen immer empf�nglich.

Titschi streckte sein langes, d�nnes Bein aus dem Bette — die Bewegung sah drollig aus, aber Niemand schien Sinn daf�r zu haben — und mit der gro�en Zehe dr�ckte er auf den Knopf des Tastwerks, und auch die �brigen Zehen begannen zu spielen.

— Du sollst gleich Deinen Bim haben, Ao. Hast Du sonst noch W�nsche?

— Hunger hab’ ich, guter Titschi, Hunger.

— Hunger? Da sieh einmal. Vielleicht auch Durst? Die Lebensgeister sammeln sich. Du brauchst nur zu befehlen, Oberpriester.

— Ja, auch Durst. Ach, mir ist noch immer elend. Ihr habt mich verr�ckt und elend gemacht.

Titschi spielte wieder mit dem Fu�e auf dem Tastwerk. Bald �ffnete sich die Wand und ein Tischchen glitt herein, mit winzigen Sch�sselchen und Fl�schchen.

— Mische Dir selbst Dein Labsal, Un�berwindlicher!

Ao mischte sich mit zitternder Hand Festes und Fl�ssiges und f�hrte es zum Munde.

— Was habt Ihr inzwischen beschlossen? Hab’ ich lange geschlafen, Freunde?

Sein w�sseriger Blick ging vom Einen zum Andern, w�hrend sein Mund kaute.

— Hast Du gut geschlafen, Ao? fragte Kaspe.

— Ja, geschlafen und getr�umt. Nach dem schlimmen Anfall oder mitten hinein.

— Hast Du Sch�nes getr�umt? fragte Titschi.

— Wie man’s nimmt. Ich hatte etwas Bl�hendes und Duftiges in der Hand. Dann verwandelte sich’s in schwarzen Staub mit schlechtem Geruche. Ich glaube, Deine Luft ist nicht gut, Titschi.

— Ich f�rchte, Du thust meiner Luft Unrecht. Ist meine Luft nicht k�stlich? Bezeuge Du’s, Oberrichter Kaspe.

— Ja, die Luft Titschis ist gut.

Ao wischte sich den Mund: Mag sein. Wir werden ja Bim’s Urtheil h�ren. Was habt Ihr beschlossen, Freunde?

— Wir haben beschlossen, da� Alles nach Deinem allweisen Willen gehen soll, erwiderte Titschi mit halbabgewandtem Gesicht.

— Wo ist mein Wille? Wo habt Ihr meinen Willen?

— Das mu�t Du Bim fragen. Er wird gleich erscheinen.

Richtig, Bim, der Oberphysikus, erschien, eilfertig, mit dienstbereiter Miene. Sein Auge strahlte, seine Stirn leuchtete, als k�me er direkt aus der Sonnenh�he der Weisheit niedergefahren.

Gewi�, so dachte er, w�rden ihn die hohen Freudespender und Volksregenten von Teuta so schleunig in ihre Mitte fordern, um von seiner neuesten wissenschaftlichen Entdeckung zu h�ren. Und nun war er da, gewappnet mit seiner Gelehrsamkeit, umg�rtet mit seinem Tiefsinn, ein Held des Geistes, der treffliche Oberphysikus. Und er f�hlte sich begr��t und begl�ckw�nscht durch ihr schweigsames Erwarten. Die guten Leute m�ssen’s doch ahnen —

Offenbar: Alle schwiegen, Alle erwarteten, Alle ahnten.

Nur Ao �chzte leise und machte ein gequ�ltes Gesicht.

— Jawohl, Hoheiten, die That ist mir gelungen, begann Bim.

— Hast Du ihn gefunden? fiel ihm Ao gleich in’s Wort.

— Ich habe ihn gefunden und halte ihn fest, er wird mir nimmer entwischen.

Aller Augen rundeten und befeuerten sich und drangen auf den gewaltigen Bim ein.

Er hat ihn gefunden! Unglaublich!

— Leicht war’s ja nicht, Hoheiten, fuhr er mit Selbstgef�hl fort. Leicht war’s ja wahrhaftig nicht. Die Zahl der Hemmnisse und Irrwege war erstaunlich gro�. Aber nun halt’ ich ihn. Er entschl�pft mir nicht mehr. Er ist kein Schemen, er ist ein Sichbeth�tigendes, ein Wesen, welches die ganze, weite Sch�pfung in sich tr�gt und die Bedingung ihrer Erscheinung ist, er ist das Urleben, die Urkraft des Weltalls selbst.

— Mit Vergunst, von wem sprichst Du, hoher Oberphysikus? unterbrach Titschi den Strom der Rede.

— Einen Augenblick, ich bin gleich zu Ende. Es bedarf nicht vieler Worte. Die Wahrheit ist gro�, aber einfach. Nachdem ich ihn — —

— Namen nennen! rief Kaspe dazwischen. Namen! Denn es sind leider Viele fl�chtig.

— Unterbrecht ihn nicht, bat Ao. Seine H�lfe ist so werthvoll.

— Nachdem ich ihn, nein, bitte, st�rt mich nicht, Alles h�ngt am richtigen Wort, wie Minus sagt.

— Minus! Ihn hast Du?

Der Oberrichter konnte seine Neugier nicht mehr z�geln. Seine Erwartung war auf’s Aeu�erste gespannt. Er litt f�rmlich unter der Erregung. Der Bauch that ihm weh vor Ungeduld.

— Nachdem ich das Atom — —

— Das Atom! H�rt, h�rt!

— Das Atom!

— Das Atom?

Eine solche Entt�uschung. Man h�tte sich’s im Voraus denken k�nnen. Aber immer auf’s Neue fiel man bei dem gediegenen Oberphysikus und Weltr�thsell�ser Bim darauf herein. Ein solcher Blender!

Titschi, halb h�misch, halb sich belustigend: — Hoheiten, das Atom ist der Anfang aller Dinge, lassen wir’s dem guten Bim, damit er auch an das Ende der Dinge gelange, die uns heute besch�ftigen.

Bim lie� sich nun aber mit Flei� nicht mehr aus dem Konzept bringen. Nicht um eine Welt. Und wenn sie bersten sollten.

— Was ich vorhin definirte, war der neue Begriff des Raumes, des Weltraumes. Und das ist meine eigenste Entdeckung. Nachdem ich das Atom als das durch seine Bewegung den Raum Erf�llende, durch seine Verkettung zu Molek�len K�rperbildende erkannt, lautet meine Antwort auf die Frage: Was ist Materie? konsequent: Die Materie ist der Ausdruck der Selbstbewegung des Raumes, nicht Gesch�pf, sondern Funktion des Raumes.

Ao hielt sich die Ohren zu, Kaspe sch�ttelte den Kopf, Titschi kroch unter die Bettdecke.

— So, Hoheiten, habe ich den neuen Begriff des Weltraums und seiner Bedeutung gefunden. Nehmt ihn hin, meinen Fund.

— Und Du verzichtest, uneigenn�tzig, wie immer, auf den Finderlohn, musterhafter Gelehrter. Etwas Anderes w�re uns zu dieser Stunde lieber gewesen. Aber man mu� Deiner Wissenschaft f�r Alles danken. Sieh hier unsern hohen Titschi, er ist leidend, sieh hier unsern unersetzlichen hohen Ao, er ist krank, und ich selbst — —

Ao l�chelte schwerm�thig: — Was mich betrifft, ich f�hle mich nicht mehr krank. Bim besitzt eine seltene Kraft. Aber im Anderen w�nschte ich jetzt seine H�lfe zu haben. Was n�tzen neue Begriffe!

Titschi kroch aus dem Bette: — Wei�t Du, was inzwischen in Teuta und seinem hohen Rathe vorgegangen ist, w�hrend Du bei den Atomen im Weltraum weiltest?

— Nun?

— Wei�t Du uns des Minus Hingang und Verbleib zu definiren?

— Minus? Er ist eingetreten in’s gro�e Mysterium? Ist er das?

— Woher wei�t Du das, Bim?

— Minus hat mir sein Wort gegeben, da� er das thun werde. Also hat er sein Versprechen erf�llt.

— Ja, das hat er.

Nun wurde Kaspe aufmerksam. Endlich ein K�rnchen im Bimschen Spreuhaufen, das auf eine Spur leiten k�nnte. Kaspe stellte die Zwischenfrage:

— Welcherlei Art war das Versprechen, Bim?

— Seinem Alter und seiner Gebrechlichkeit zuvorzukommen und ein Ende zu machen.

— Wie konntest Du ein solches Versprechen annehmen? fragte Titschi.

— Es war mir wissenschaftlich interessant, sonst nichts.

— Sonst nichts? fragte Ao, seine Kaubewegungen unterbrechend.

— Nein, hoher Oberpriester.

— Und alles Drum und Dran des Vorgangs? warf wieder Kaspe im Kreuzverh�re ein.

— Wenn die Sache geschehen ist, werde ich das Material f�r meine Forschungen zu sammeln suchen. Meine Sch�ler werden mir an die Hand gehen. Minus ist mir stets ein interessanter Fall gewesen.

Bim schlug befriedigt die Beine �bereinander, kreuzte die Arme und legte sich in die Polster zur�ck. Es war doch eine Lust zu leben, so lange das Dasein an merkw�rdigen Versuchen so reich war. Da� Minus nun selbst noch ihm in die Schlinge gegangen war, erf�llte ihn mit innigem Behagen. Was k�mmerten ihn die Sorgen der Andern? Sie werden auch noch an die Reihe kommen, diese widerborstigen Herrschaften. Er nahm sich fest vor, sie Alle zu �berleben. Ihm mu�te der Sieg bleiben. Der Sieg �ber ihre wissenschaftliche Stumpfheit wie �ber ihr hochfahrendes Wesen. Der St�rkere war er, so wenig sie’s auch merken mochten. Das hatte ihm wieder diese Unterredung best�tigt. Hat nicht auch Minus die Waffen vor ihm gestreckt, der unheimliche Oberlehrer, dieser Abgrund verschlagener Weisheit?

Und er stierte l�chelnd vor sich hin, keine Notiz mehr von den Andern nehmend und ihren rathlosen Mienen, ganz in seinen Selbstgenu� versunken.

— Das Fest! das Fest! murmelte apathisch Ao.

— Beruhige Dich, Oberpriester, das Teutavolk f�hren wir auch �ber die festlose Zeit hinweg, prahlte der Oberrichter mit piepsender Stimme und mit einem schiefen Blick nach Titschi.

— Nat�rlich f�hren wir’s dr�ber hinweg. Wor�ber f�hrten wir’s nicht hinweg? La�t mich nur erst wieder aus dem Bette sein!

Ao war in seiner kummervollen Ersch�pfung eingeschlafen. Was half ihm Bim?

Es herrschte tiefe Stille.

— Bei den ewigen Atomen! schrie mit einem Male Bim aus seinen Gedanken auf.

Todtenbleich tauchte Minus am Eingang aus der Wand hervor, auf seinem Fahrstuhl liegend.

— Lebendig und todtbegl�ckt gr��’ ich Euch.

Hinter ihm erschien Soundso, pfiffig l�chelnd.

— Gespenster! piepste der Oberrichter schreckensvoll.

— Das �berleb’ ich nicht, r�chelte Ao.

Sogar dem k�hlen Oberdiplomaten erschien das unvermuthete Bild ein starkes St�ck.


Kapitel 11

Nicht weniger fremd, als die Luftregion der Polargegend, war Grege, als er zu Bewu�tsein kam, die Landschaft, in der er sich nach dem Absprung aus der Luftgondel fand.

Aber er war auf fester Erde und ganz allein, und diese Thatsache d�nkte ihm vorerst k�stlich genug, ein wahres Himmelsgeschenk.

Schon da� der Absprung ihm nicht den Tod gebracht, empfand er nach wieder erlangtem Bewu�tsein und kritischer Untersuchungsf�higkeit, als eine Wiedergeburt zu neuem Leben.

Von dem Falle her schmerzte ihn eigentlich nichts au�er dem Fu�gelenke. Erst wie er sich erheben und auf die Beine stellen wollte, f�hlte er, da� nicht Alles unbesch�digt geblieben.

Auch die Wunde zwischen dem Kn�chel und der Fu�sohle schien wieder aufgebrochen und blutete ein wenig.

Als er die kleinen rothen Tropfen auf der Haut gewahrte, stand ihm wie eine Vision der bla�rothe Blutstern an Jalas Handfl�che vor Augen, und aus dem bla�rothen Blutstern wuchs wie eine lichte Erscheinung die ganze Gestalt des geliebten fernen Weibes.

Jala! Die Seelen gr��ten sich.

An ein Weiterschreiten war vorerst nicht zu denken. So lie� er sich wieder auf den gastlichen fremden Boden sinken, den ein reichlicher Gras- und Mooswuchs wie ein weiches Polster �berdeckte.

Nie hatte er im Teutalande, dem steinigen und sandigen, Gras und Moos von solcher Dichtigkeit und Weichheit gesehen. Wie auf einem guten Bette ruhte der K�rper.

D�mmernder Abend verh�llte die Ferne. Alles war geheimni�voll, still, fremd, beschwichtigend.

Schrecken- und Angstgef�hle wie weggeblasen. Keinerlei Furcht. Daf�r eine herrlich erhebende Empfindung durch Seele und Leib von Hoffnung und Zuversicht. F�rmlich athmen und schwelgen konnte Grege in dieser Alles durchdringenden Empfindung wie in einer neuen, wunderkr�ftigen Luft.

— Jala, wo weilest Du? Wo ich?

Er lag auf dem R�cken, die Glieder ausgestreckt, und starrte in den Himmel.

Stern um Stern trat hervor, und in ihrem zarten Glitzerschein entdeckte er schwebende Punkte, aber in solcher H�he, da� kein Luftfahrer im Stande sein konnte, den an die weiche, wohlige Erde geschmiegten K�rper auch nur zu ahnen. Grege l�chelte.

Freiheit! Hoffnung! Jala!

Wo er auch weilen mochte, der Boden, der seinen K�rper so fest und weich trug, wie in Liebesarmen, konnte nur einem edlen, gastlichen Lande geh�ren.

Freiheit! Hoffnung! Jala!

Wie s��e Musik sang in seiner Seele und in seinen Nerven die Hoffnung.

Und gewi�, er konnte ihr vertrauend lauschen. Wie aus den Schatten der Nacht die gl�nzenden Sterne, die Morgenr�the und der lichte Tag, so werden aus dem Ungl�ck die Freuden geboren und die Tr�stungen der Freiheit. Wie der Wanderer in den Th�lern der Tr�bsal die sonnigen H�hen der Befriedigung, wie der Held im Kampfget�mmel die Wonnen des Sieges ahnt, so w�hnt sich der Hoffende jeder Gefahr entronnen.

— Jala!

Erst ganz langsam wuchs in Grege die Empfindung, so sicher und herrlich stehe es mit seiner Befreiung doch nicht, wenn er hier auf dem Boden der r�uberischen Angelos raste, denn wie solle ihm, dem Fremdling ohne jeden Ausweis, ein volles Recht unter diesem �berm�thigen und gewaltth�tigen Volke werden? Und wie w�rde er seinen Weg hinausfinden, aller Mittel entbl��t, sich die Gunst der Leute zu erkaufen?

— Jala!

Nun stieg ein Zweifel in ihm auf, der seiner Hoffnung Kraft lieh und sein Siegesbewu�tsein zu lodernden Flammen anblies: Mu� dieser Boden das Land der Angelos sein? Kann sich der Mann im steuerlosen Fahrzeug, das ein Spiel allen Launen der Winde und magnetischer Str�mungen gewesen, nicht im letzten Augenblick noch im Wege get�uscht haben? M�glich war Eins und das Andere, entschieden Nichts.

Also Grund genug zum Zweifeln und kein Grund zum Verzweifeln.

Aus luftiger H�he gesehen und im Wirbeltanze steuerloser Fahrt, im Her und Hin, im Auf und Nieder der zuf�lligen Lenkung, wer will die nordischen L�nder unterscheiden und eins mit Bestimmtheit nennen? Zwischen Meere von gleicher Farbe gebettet, in Wiederholung der Insel- und Halbinselform sich alle gleichend im Zuschnitt, jedes mit m�chtigen Felsen, die starr aufragen in wilder Gebirgsart — —

Grege kam aus dem erw�genden und in Bildern malenden Denken wieder in den Zustand des Traumlebens, Gesicht und Geh�r empfingen ferne Bilder, die sich zum vollen Wirklichkeitseindruck verdichteten, w�hrend sein Leib unbeweglich auf dem Boden ausgestreckt blieb.

— Grege! Grege!

Es war Jala’s Stimme. Wahrhaftig, sie war’s. Ihr Ruf hallte �ber Berg und Thal und �ber das stille Meer. S��, schmeichelnd, flehend, bebend wie Fl�tenton.

— Grege, wo bist Du? Wo bist Du? Ich bin hier, siehst Du mich nicht? Ich suche dich, Grege, Grege!

Wahrhaftig. Und nun sah er Alles. Sie war ausgegangen in die Weite, ihn zu suchen. Am Meere hin f�hrte sie der Weg, dann �ber Schluchten, auf steile, bleiche Felsen kletterte sie und hing sich mit blutenden Fingern an die Gipfel, an die Wolken — —

— Grege! Zu Hilfe! Rette mich!

— Jala, hier! Was willst Du in der fernen H�he? Hier bin ich, hier, Du wirst st�rzen, ich beschw�re Dich! Siehst Du mich denn nicht? Hier, Jala, hier bin ich. Wende Dein Gesicht, meine Arme sind Dir ge�ffnet, so komm’ doch, komm’ — — komm’ herab zu mir — — —.

Er konnte nicht mehr. Das Entsetzen nahm ihm die Stimme. Er f�hlte nur, wie ihm die Augen aus dem Kopfe traten, mit aller Gewalt den Blick der Verschwindenden nachzusenden, ihre letzten Z�ge im Verschweben in unme�barer Ferne einzufangen. Er f�hlte nur, wie krampfhaft lauschend sein Ohr sich anstrengte, noch einen Laut, noch ein verschwimmendes Zittern ihrer Stimme durch den himmelweiten Luftraum zu erhaschen.

Vergebens.

Schrecken und Sehnsucht im fiebernden Gehirn, im st�rmisch pochenden Herzen lie�en ihn noch einmal herausschreien: Sprich, sprich, Jala, sprich!

Noch einmal war’s ihm, als verm�chte er ihre Z�ge zu sehen, in ihr verrinnendes Angesicht zu blicken, die gleitenden Umrisse ihrer sch�nen, hoheitsvollen Gestalt zu erkennen in den schrecklich fernen Aetherweiten der Unendlichkeit. Dann l�ste sich Alles in gleichm��ig helles, unbestimmt zitterndes Licht, von feinen Silberw�lkchen durchzogen, ferner, immer ferner und lautlos verschwindend hinter dicht heranziehenden schwarzen Purpurwolken, die allm�hlich den ganzen Himmelsraum erf�llten in majest�tisch d�sterem Gewoge.

Grege mu�te lange in starrer Bewu�tlosigkeit gelegen haben. Sein Leib war steif und durchk�ltet, als sich die Besinnung wieder einstellte, sein Gehirn von einer uns�glichen M�digkeit.

Nur mit harter M�he konnte er sich entschlie�en, die Augen zu �ffnen und den Kopf ein wenig zu erheben, mit heftigen Schmerzen im Nacken, als die kitzelnden Betastungen an seiner Nase, seinem Munde und seinen Ohren nicht nachlie�en. Auch an den inneren Handfl�chen und zwischen den Fingern hatte er die Empfindung, als ob eine lange leckende Ber�hrung mit einem feinborstigen, nerv�s warmen Gegenstande von kr�ftiger Lebendigkeit stattgefunden.

Durch die Lidspalte gewahrte er ganz nahe seinem Gesicht eine m�chtige Hundeschnauze. Das hei�t: er rieth auf eine Hundeschnauze, denn in Teuta hatte er nie diesen braven Vierf��ler gesehen, in seinem thierfeindlichen Lande war die Bekanntschaft mit dem edlen Thierleben nur aus alten Erz�hlungen und Bildern zu sch�pfen. Teutas alleinseligmachende, unvergleichliche Musterkultur hatte ja alle Hausthiere verbannt und seit Jahrhunderten nur den reinen Staatsmenschen als einzig w�rdiges Material f�r die Darlebung der h�chsten Vernunft gez�chtet.

Durch die Lidspalte gewahrte Grege jedoch nicht blo� die m�chtige Hundeschnauze, sondern auch ein scheinbar unmittelbar der Erde entstr�mendes vibrirendes Flimmerlicht, das nach der �berstandenen so intensiv durchlebten Vision einen schmerzlichen Reiz auf seine Sehnerven aus�bte. Erst wie er merkte, da� dieses Licht nicht an etwas Einzelnem haftete, sondern gleichm��ig ausgegossen, wie eine helle Luftschicht �ber dem Boden schwebte, �ffnete er ohne Furcht vor neuen Visionen und Schmerzen weit das Auge und versuchte, sich emporzurichten.

Fr�hlich bellend umsprang ihn der gro�e, zottige, goldbraune Hund. Wie ein Gru� neuen Lebens klang ihm die merkw�rdige nie geh�rte Stimme. Es lag so viel Aufmunterndes, Liebreiches in diesen schallenden Lauten, eine reizvolle Naturfrische in den Intervallen, da� Grege bis in’s Innerste davon getroffen war.

Der Hund machte noch einmal die tanzenden Bewegungen unter freudigem Gebell, dann stellte er sich straff wie ein W�chter zwischen die Beine Greges und fa�te den halbaufgerichteten Fremdling fest in’s Auge.

Grege nickte ihm zu.

— Ja, wer bin ich, mein Thier? Und wer bist Du, da� Du mich so herzlich begr��t hast? Du nimmst wohl Interesse an dem seltsamen Gast? Oder haben Dich die Angelos geschickt, mich aufzuschn�ffeln und zu wecken? Oder schickt Dich Jala mir als Bote?

Der Hund beschnupperte ihn die Brust hinauf bis in’s Gesicht, sch�ttelte eifrig den buschigen Wedel und begann wieder zu bellen und zu springen, als wollte er sagen: Was wei� ich? Du gef�llst mir und das Weitere wird sich finden. Mach’ nur, da� Du endlich vom Fleck kommst, Du langer Schl�fer und Faulpelz. Da� ich Deinem guten Geruch vertraue, siehst Du wohl, also vertraue auch mir. Erhebe Dich, komm! Mach’ Spr�nge wie ich! Und hinter Dir steht noch Jemand erwartungsvoll, nein, bist Du aber schwerf�llig — siehst Du denn nicht?

Den Bewegungen des lustigen Thieres folgend, wendete Grege den Oberleib und blickte r�ckw�rts.

— Ach, ein Weib! stie� er �berrascht hervor und st�tzte die H�nde auf den Boden, um sich besser zu drehen und deutlicher zu sehen.

Sie sa� f�nf, sechs Schritte hinter ihm auf dem Boden. L�chelnd stand sie auf, die eine Hand auf dem Kopfe des gro�en Hundes, mit der andern eine gr��ende Geste machend. Von Gestalt m��ig hoch, doch kr�ftig. Lichtblondes Haar, in sch�nen Z�pfen, die ihr �ber die Schulter hingen. Den jugendlichen Leib in einem festen, wenig faltenreichen, �rmellosen Gewand, von einem G�rtel umspannt, die F��e nackt, wie die Arme. Die ganze Erscheinung strammer, frischer, kerniger als Jala, die Z�ge gew�hnlicher, aber in Allem eine gro�e Kraft und ungezwungene Herzlichkeit. Ach, die gro�en dunklen Feueraugen voll spr�hender Gewalt!

— Angelos? Wohnen hier Angelos?

Das Weib trat mit dem Hunde einen Schritt n�her und sch�ttelte l�chelnd den Kopf. Der Hund sah neugierig zu ihr auf, als wollte er ihre Blicke und Worte auffangen.

— Mein Name ist Maikka. Hier sind keine Angelos.

Der Hund stellte sich bellend auf die Hinterbeine und legte ihr die m�chtigen Pratzen auf die Schultern.

— Maikka? Keine Angelos? Ich danke Dir.

— Du bist gro�, blond, stark, wie unsere M�nner, aber ich merke, da� Du fremd bist. Ist Dir etwas Schlimmes widerfahren? Du siehst verst�rt aus. Lange lagst Du regungslos. Mir bangte um Dich, bis Dich mein Hund weckte.

Sie war noch einen Schritt n�her getreten. Der Hund lief von ihr zu Grege und ber�hrte ihm mit dem Kopfe liebkosend die Schulter.

Grege verharrte sinnend in der Betrachtung der beiden g�tigen Wesen. In dem allgemeinen Lichtscheine, der die freie weite Nachtlandschaft erf�llte, gewann das Weib in dem schlichten wei�en Gewande etwas so Vergeistigtes, da� Grege sich fragte, ob er nicht wieder dem Zauber einer Vision oder sonst einem Spuke zum Opfer gefallen. Die Stimme klang so schmelzend und doch so bestimmt und war so voll Seele und Nat�rlichkeit, wie das Bellen des Hundes.

— Komm, Maikka, ber�hre mich wie Dein Hund.

— Hier! Sie reichte ihm die Hand. — Warum erhebst Du Dich nicht? Bist Du m�de von der Wanderung? Welches Weges bist Du gekommen?

Nun erschien Grege erst recht Alles wie ein Traum. Welches Weges er gekommen! Durch die Luft!

Aber kaum hatte er zu erz�hlen begonnen, da unterbrach ihn Maikka.

— Seltsames ist Dir begegnet. Die Erz�hlung wird lange werden nach dem abenteuerlichen Anfang. Hast Du hier kein Heim, so folge mir in das meinige. Auch scheinst Du ersch�pft zu sein und noch der Ruhe zu bed�rfen. Dein Gewand ist auch nicht im besten Zustand. Hast Du mit den Elementen gek�mpft?

— Ja, Maikka, das hab’ ich. Aber glaube mir, ich bin ein friedsamer Mensch und trage keinen Streit in die Welt.

Maikka reichte ihm lachend auch die andere Hand Und an ihren beiden H�nden sich fassend, sprang Grege vom Boden auf, mit so leichtem Schwunge, da� ihm selbst die Freude wieder kam �ber die T�chtigkeit seines Leibes.

— O Du hast eine tapfere Gestalt, gut f�r den Streit und sch�n f�r den Frieden. Warum verhehlst Du mir Deinen Namen?

— Grege hei�’ ich und komme aus Teutaland, ein Fl�chtling. Nun wei�t Du’s. Ich habe nichts Uebles gethan, ich bin nur mir selbst nachgegangen, nur meiner Freiheit hab’ ich mich gewehrt.

— Aus Teutaland bist Du geflohen? Allein?

— Jala floh mit mir, mein Weib. Wo ist sie nun? Wo bin ich nun? Sprich, g�tige Maikka, in welchem Lande begr��est Du mich?

Maikka lachte: — Du verstehst die Worte zu setzen wie ein Dichter. Nordika hei�t das Land. Ist Dir das fremd? Du sprichst seine Sprache, ein wenig anders zwar, doch verstehen wir uns. Wir sind verwandt. Teuta freilich, o Teuta!

Und sie sch�ttelte ihm beide H�nde und lachte frisch, recht von Herzen, aber doch nicht in einem unzarten Tonfall. Auch der Hund tanzte und schlug seine vergn�gtesten T�ne an.

— Teuta macht Dich lachen, Maikka. Kennst Du Teuta?

— Davon und von vielem Anderen sp�ter. Willst Du mein Gast sein? Ich f�hre Dich eine Stra�e, die ist so grasig wie eine Parkwiese. Kannst Du schwimmen?

Grege nickte. Die einzige Leibes�bung, die den Teutaleuten als vornehm-menschlich und staatserhaltend galt, war das Schwimmen. Das Schwimmen in gro�en unterirdischen Bassins.

— Gut, dann kannst Du �ber den See schwimmen. Das wird Dich von Deiner Starrheit erholen. Willkommen in Nordika noch einmal. Du wirst ein sch�nes Land kennen lernen, Teutamann Grege.

— Gute Leute hoffe ich.

— Gewi�.

— Was lieben die Leute in Nordika?

— Nichts, Grege, und Alles — was Liebe verdient.

— Ich will sagen: wof�r haben sie die meiste Neigung? Oder: wovor haben sie Respekt?

— Vor nichts, Grege, und vor Allem — was Respekt verdient.

— Merkw�rdig, Maikka.

— Jawohl, Du wirst schon sehen.

Unter diesem Gespr�che hatten sie bereits eine Strecke auf der grasigen Stra�e zur�ckgelegt. Grege f�hlte sich wunderbar stark, obwohl er Hunger sp�rte.

Der Hund k�rzte sich den Weg durchaus nicht. In weitem Bogen umkreiste er die Herrin und ihren Gast. So oft er eine dichtere Lichtbahn kreuzte, machte er einen hohen Satz.

— Die Beleuchtung in hiesiger Art ist mir neu und �berraschend. Man watet hier f�rmlich in feinem Licht. In Teuta kennt man das nicht.

— In Teuta!

Maikka lachte wieder. Fest und geschmeidig, in anmuthigen Schritten und Bewegungen ging sie voraus, zuweilen stehen bleibend, bis der Gast an ihrer Seite war. Aber ihre Lebhaftigkeit lie� sie gleich wieder den Vormarsch nehmen.

— Wir lassen die Erde selbst leuchten, ohne viel K�nstelei. Der Boden ist hier so reich an Leuchtstoff. Man brauchte nur sinnreich dem Magnetismus die Bahn freizumachen. Das ist unser Nordlicht, nur da� es nicht in hohem Bogen steigt. Sieh, wie der Himmel sich sammetdunkel �ber die lichte Erde spannt. Man merkt nur am Mond und an den Sternen, da� es Nacht ist.

Sie blieb vor Grege stehen und blitzte ihn mit leuchtenden Augen an.

— Ueber dem See ist geringerer Schimmer, da mu� Deine Haut leuchten! Bist Du sehr ge�bt in Muskelarbeit?

Grege mu�te besch�mt verneinen. Obwohl er daheim in nat�rlichem Drange mancherlei Uebungen gemacht, ganz insgeheim, da sie wider die �ffentliche Ordnung verstie�en, f�hlte er doch, da� er als Angeh�riger eines Volkes von Rutschern, Hockern und Liegern mehr verweichlicht war, als sich mit einer kr�ftigen Ausbildung von Muskeln und Sehnen vertr�gt.

— Ich habe ein kleines einsitziges Boot am Ufer. Wenn Du willst, kannst Du rudern und ich schwimme hinterdrein mit meinem Fox. Wir sind Luft-, Land- und Wassermenschen, nach Belieben, Grege.

Und wieder klang ihr frisches, seelenvolles Lachen in die stille schimmernde Nacht.

All’ seinen Lebtag hatte Grege kein solches Lachen in Teuta geh�rt. Lautes Lachen vertrug sich dort �berhaupt nicht mit der staatlichen Wohlanst�ndigkeit. Nur an den hohen Feiertagen bildete das Lachen einen Bestandtheil der offiziellen Freude, eine anerkannte Programm-Nummer sozusagen.

— Rudern? fragte Grege. Und nun wollte er auch mit einer Ueberlegenheit aufwarten, denn es ber�hrte ihn peinlich, auf diesem fremden Boden einer wenn auch verhaltenen, so doch offenbar systematischen Geringsch�tzung seines Teutalandes zu begegnen.

— Ja, rudern! Rudert man bei Euch daheim nicht, Grege?

— Dar�ber sind wir l�ngst hinaus. Auf unsern unterirdischen Seen gehorchen unsere Fahrzeuge einem Druck mit dem Finger, so wunderbar ist der Mechanismus unserer elektrischen Einrichtungen.

— Das haben wir auch, das hatte man, wenn auch gr�ber und umst�ndlicher, schon vor tausend Jahren. Aber das Rudern ist noch viel �lter, und deswegen nicht weniger sch�n, zur Abwechslung. Es st�rkt die Brust, man mu� breit ausathmen, alles hat einen so poetischen Takt, und man bekommt prachtvolle Arme. Da f�hl’ einmal her!

Maikka hielt ihm beide Arme hin. Grege griff danach. Fox deutete das als Aufforderung zu einem Hochsprung. Kaum hatte Grege seine H�nde um die herrliche Rundung des prallen Fleisches gelegt, da sauste zwischen den K�pfen und �ber die ausgestreckten verbundenen Arme auch schon Fox mit m�chtigem Sprung durch die Luft.

— Hier ist der See und dort das Boot! rief die lachende Maikka.

Fox pl�tscherte bereits ger�uschvoll schnaufend im Wasser.

Grege stand unentschlossen.

— Nun? Mein Gast hat die Wahl!

— Schade, da� das Boot nicht zweisitzig ist, bemerkte Grege galant ausweichend.

Maikka schlagfertig: — Aber das Wasser ist f�r zwei Schwimmer. Wenn Du darauf h�ltst, schwimmen wir Seite an Seite um die Wette und sto�en das Boot noch vor uns her. Mir nach!

Damit hatte sie schon den G�rtel gel�st, Ober- und Untergewand abgestreift und in das Boot geworfen, die Z�pfe hoch um den Kopf gesteckt — und platsch! tauchte ihr schimmernder Leib im kr�uselnden Wasser auf und nieder. Wie ein Fisch in seinem Elemente, so sicher und sch�n war jede Bewegung.

— Herrlich, herrlich! Flink, Grege!

Wie von physischem Zwang erfa�t, entledigte sich Grege seiner Kleidung, sie flog wie von selbst ins Boot, und halb taumelnd fiel er ins Wasser. Fast besinnungslos arbeitete er mit Armen und Beinen. Er hatte nur das eine Gef�hl, da� er auf Tod und Leben etwas Unerh�rtes ausf�hre. Seine Schl�fen pochten, seine Lunge schwoll, sein Athem prustete gewaltsam. Und neben ihm kicherte und schl�ngelte, wogte und wiegte die Nixe in den sch�nsten Schwimmk�nsten, das Boot mit einzelnen, kr�ftigen Armst��en vor sich hertreibend.

Einmal war sie ihm so nahe, da� er ihren Ellbogen und Fu� an seinem Leibe sp�rte. Dann war’s ihm wieder, als schl�pfe sie unter ihm durch oder gleite �ber seinen R�cken hinweg. Dann wieder, als sitze sie rittlings auf ihm. Dann wieder, als walle der See auf in einem Get�mmel von wei�en Frauenleibern und jeder Wassertropfen sei erf�llt von Kichern und Lachen und aus der Tiefe breche hei�er Phosphorglanz.

Das Ufer, endlich! Grege war nicht wenig erstaunt, es heilen Leibes erreicht zu haben. Er sah sich schon als Leiche angeschwemmt, von z�rtlich w�rgenden Nixenarmen erstickt.

Fox war der Erstangekommene. Er sch�ttelte sich — und sein Bellen schallte wie Siegesruf.

Auf seinen Appell kamen zwei Dienerinnen an das Ufer geeilt, die Herrin zu empfangen. Sie schienen nicht sonderlich �berrascht, auch noch einen nackten Mann zu finden. In behender Dienstfertigkeit verrichteten sie das Zweckm��ige.

Bevor Grege die neue Situation zu �berschauen vermochte, steckte er schon in den warmh�llenden Kleidern, und Maikka stand l�chelnd vor ihm, als h�tte sie ein Zauber von einem Ufer unver�ndert zum andern gehoben. Nur ihre Wangen schienen etwas bl�sser und ihre gro�en Augen gl�hten dunkler.

— Und nun rasch in’s wohnliche Gemach, mein tapferer Gast! Ist Alles bereit?

Die Dienerinnen bejahten. Grege wandelte wie im Traum, den lebhaften Schritten Maikkas folgend.

Was war das f�r eine Welt?

In Teuta gab’s f�r den Mann vom J�nglingsalter an keinen freien, offenen Verkehr mit dem Weibe. Hier die M�nnerstadt, dort die Frauenstadt. Die Thore wurden von Staatswegen geschlossen und ge�ffnet. Nur in der „offenen Zeit“ gab’s Verkehr zwischen Mann und Weib, nach strengen offiziellen Regeln. Auch bei festlichen Aufz�gen konnten M�nnergruppen mit Frauengruppen verkehren, nicht anders jedoch, als nach der Anweisung der Festordner. Sonst im gesammten Leben stand der Mann f�r sich, das Weib f�r sich. Die Kinder waren den Weibern zur Aufzucht zugetheilt, bis man sie mit dem f�nfzehnten Jahr gleichfalls nach dem Geschlechte trennte.

Grege war aus Teuta entwichen, weil er ein geliebtes Weib f�r sich, f�r sich ganz allein, haben wollte. Und weil er nicht heimlich s�ndigen wollte. Denn das wu�te er, heimlich ges�ndigt wurde in Teuta. Thore thaten sich heimlich auf, die geschlossen sein sollten. Aber es stand Strafe darauf, wenn Einer in der Frauenstadt betroffen wurde, der nicht von Amtswegen dort zu thun hatte.

Und alles Uebrige, was so einengend und h��lich war, und trotz aller Vererbung und Gew�hnung einzelnen Naturen bis auf’s Blut zuwider. Aber was wollten die Ausnahmen gegen die Regel! Und das Volk pries sich frei und gl�cklich unter der aufgezwungenen Regel — und sich zu preisen sch�tzte es nicht als seinen geringsten Stolz, sich zu preisen und zu r�hmen als das bevorzugteste Volk der Zivilisation!

Was war das f�r eine Welt nun, in die Maikka, die Zauberhafte, ihren Gast Grege f�hrte?

In einem F�hrenhain stand das Haus und in dem Hause war ein hohes Gemach, reich geschm�ckt mit allerlei Bildwerk und entz�ckend traulich zugleich in all’ seiner Einrichtung. Sch�nheit, Lust, geistige Kraft — wie schmolz das ineinander und schuf eine Luft, in der die freie Seele athmete wie in einem Himmelreiche!

Die Dienerinnen kamen und brachten in k�nstlerisch gearbeiteten silbernen Gef��en, Kr�gen und Sch�sseln allerlei Labung, dazu Obst, Backwerk, s��e S�fte die F�lle. Die Dienerinnen, h�bsche, junge M�dchen, verschwanden schweigend, auf einen Wink der Herrin, und lie�en diese mit ihrem Gaste allein.

— Es sind meine Sch�lerinnen, Grege, darum dienen sie mir so folgsam und bescheiden. Wenn sie in die Jahre kommen, wo die Lehrzeit �berstanden, sind sie frei, wie ich. Du bist in einem freien Lande, bei freien Menschen, in Nordika, Grege. Und nun setz’ Dich zu mir und i�!

Maikka legte ihm vor, warme Speisen aus den verdeckten Sch�sseln.

Grege sa� wie bet�ubt. Er sch�ttelte endlich den Kopf, griff nach den Fr�chten, einem St�ckchen Backwerk und sch�nkte sich von dem s��en Saft einen Schluck in sein Glas.

— Warum nimmst Du nicht von den warmen Pastetchen? Sie sind k�stlich. Sieh, wie sie mir schmecken! Ist es wider die Teuta-Regel?

— Allerdings. In diesem Falle ist die Regel wie ein geleisteter Schwur.

Maikka, obwohl sie im Hause ernster schien, als im Freien, lachte laut auf und r�ckte ihren Sitz n�her dem seinigen.

— Merke dies, mein Gast: Teuta-Schw�re gelten in Nordika nicht. Jetzt bist Du ein freier Mann in einem freien Lande.

— Aber noch kein neuer Mensch, Maikka. Das Alte lastet.

— Der neue Mensch wird die alte Last absch�tteln.

Aus einem Nebengemach t�nte lieblicher M�dchengesang.

— Das ist das Nachtlied, Grege. Gleich werden meine Dienerinnen erscheinen, Dich zu Deinem Lager zu geleiten. Schlaf wohl! Ich will noch nach Fox und meinen Thieren sehen.

— Noch ein Wort, g�tige Maikka: Du sprachst vorhin von Sch�lerinnen. Also bist Du Lehrerin?

— Ja, Grege, das bin ich. Gut Nacht. Deine pers�nlichen Erlebnisse erz�hlst Du mir morgen.


Kapitel 12

Der Mann aus Teuta hat eine traumschwere Nacht in Maikkas Heim verbracht.

Erst sehr sp�t ist er fest eingeschlafen. Zuerst sch�ttelte ihn eine w�thende Sinnlichkeit, dann kl�rte sich die Begierde ab zu hei�er Sehnsucht nach der fernen Geliebten. An welchen bleichen Gestaden mochte sie nun ihres Verlassenseins Kummer bergen?

Ob wohl die zauberhafte Gastfreundin ein Mittel w��te, die Getrennten einander nahe zu bringen? Sch�tze von Geist, Erfindung, Thatkraft, G�te stehen dem Weibe Nordikas zu Gebote. K�nnte ihm die kluge Lehrerin nicht eine Nothhelferin werden?

Er f�hlt es, sein Herz hat keine Falten vor ihr. Ihr kann er wie einer Schwester das Zarteste und Schmerzlichste anvertrauen.

Ja, ja, ja.

Wie warmer Fr�hlingssonnenschein wehte es �ber seine Seele, und behaglich streckte sich sein Leib in den leichten, duftigen H�llen des Lagers. Ein neues Leben lachte ihn an, mit zuversichtlichen Maikka-Augen.

Dann schlichen sich die D�monen in seine sonnigen Tr�ume, l�schten die himmlische Helle, machten Alles schwarz und schwer, schoben Alles irr und wirr durcheinander, peinigten ihn mit Fratzen und Hundegekl�ff und warfen ihn schlie�lich in den See. Alles schien f�r ihn verloren in gr��licher Hilflosigkeit. Da tauchte Maikka zu ihm hinab, umschlang ihn mit s��en Blicken und weichen Armen und in seligen Wirbeln strudelten sie in die Tiefe. Bis in die letzten Gr�nde des Nichtsmehrvonsichwissens — —

Lieblicher M�dchengesang t�nte in seinen sp�ten Schlaf.

Das war das Morgenlied.

Nun schlief er noch wonniger und fester, der abgehetzte gl�ckliche Narr der Tr�ume.

Mit einem Male r�ttelte ihn ein energischer Weckruf: Fox brach mit m�chtigem Gebell in das Gemach, die Gardinen flogen von den Fenstern, wie Feuerpfeile schossen die Sonnenstrahlen herein, und von der Th�r her t�nte eine glockenhelle Stimme: — Ein schlechter Mann, der nicht der Erste sein will!

Und pl�tzlich war Alles wieder still und d�mmerdunkel.

Grege rieb sich die Augen und schob in tiefem Nachdenken die Beine vom Lager. Er strich �ber die Knie, er strich �ber die Waden, er bef�hlte die heile Wunde, er bef�hlte seine Wange mit dem sprossenden Bart, er glitt mit beiden H�nden �ber die Brust den Leib hinab: Er war er, kein Zweifel.

Wie klang’s?

„Ein schlechter Mann, der nicht der Erste sein will!“

Und wessen Stimme war’s?

Ja, ja, Maikka’s Stimme. Richtig. Maikka. Die Gastfreundin. Die edle Herrin dieses Heims. Wo ist sie? Soll er nach ihr rufen?

Er sprang auf, tastete umher, erwischte eine Schnur an der Wand. Ein Ruck. In freier Nacktheit stand er im hereinfluthenden Sonnenlicht. Rasch suchte er nach seinen Kleidern. Er fand nichts als einen neuen wei�en, weiten, weichen Mantel. Er ging zur n�chsten Th�r, im Gehen den Mantel um sich nehmend. Er �ffnet und steht in einem Baderaum. Grege traut kaum seinen Augen: Zwei Dienerinnen, h�bsche, junge M�dchen, wie gestern, erwarten ihn, ihm ihre Dienste schweigend zu leisten.

Nach dem Bade reichen sie ihm ein neues Gewand, bestehend aus Hemd, Wams und kurzem Beinkleid. Er fragt nach seinen alten Kleidern. Sie verneinen, sie wissen von nichts.

Nachdem er mit ihrer Hilfe angekleidet, �ffnet die Eine eine Th�r, die Andere geht voran, und zwischen beiden M�dchen schreitet Grege, die Sinne fast umflort wie im Traume, in das hohe Speisegemach.

Die Dienerinnen laden ihn ein, mit freundlicher Handbewegung, am gedeckten Tische Platz zu nehmen, und entfernen sich wortlos.

Grege steht, wie verzaubert, in Erwartung. Aber es r�hrt sich nichts. In dem hallenartigen Raum, durch mildes, gleichm��iges Oberlicht erleuchtet, die W�nde mit Landschaftsbildern in zarten Farben geschm�ckt, athmet eine sanfte Stille. Alles umf�ngt hier den Menschen so weich und innig und doch so bestimmt in verborgener, lebendiger Kraft. Nichts Flaues, Zugerichtetes, Ausgelebtes, Mechanisches wie in Teuta. Eine tiefe, starke Seele durchzieht Alles. Selbst das Schweigen spricht wie Musik an.

Grege steht immer noch, von all’ den �berraschenden Eindr�cken erf�llt — aber es f�llt kein Wort, es zeigt sich kein Gesicht, ihn aus dem Banne zu erl�sen und ihn sich selbst zur�ckzugeben, da� er sich frei und �berlegsam mit der ungewohnten Umgebung in bewegte Harmonie setze, da� er nicht nur empfange, sondern auch aus seiner Pers�nlichkeit Einiges spende. Er ist doch nicht blo� eine Figur, die man schiebt und richtet und hinstellt, wo ein fremder Wille, und w�re es der freundlichste, sie haben will?

Seine Stirn runzelt sich. Ist das eine Schaustellung, eine Kom�die, die sich ein unsichtbares Publikum mit ihm aufgespart hat? War das der Weg, um seiner Natur Freiheit und W�rde der Selbstbestimmung zu verschaffen? Mit der Gewaltthat der rohen Angelos ist er fertig geworden, will ihn jetzt die Feinheit der Gastfreundschaft �berlisten, da� er selbst in ein fremdes Joch schl�pfe?

Sein Blick gleitet �ber den zierlich gedeckten Tisch. Zwischen den kunstvoll gearbeiteten Gef��en prangt ein bunter Strau� — Blumen, so sch�n und farbenreich, wie er in Teuta noch keine gesehen. Doch was soll ihm das? Eine Handvoll Surros gen�gte ihm, den Hunger zu stillen. Er selbst war chemischer K�nstler genug, sobald er die Rohstoffe und einige zweckm��ige Werkzeuge hatte, sich seine Speise in winziger und doch kraftreicher Form herzustellen. Hier war das Meiste aus der Hand der Natur, ohne viel Menschenwerk: Fr�chte, Eier, S�fte, dazu barbarische Sachen, die den Tod von Thieren zur Voraussetzung hatten, unvereinbar mit Teutas strengen Kultursitten. Und warum sollten Teutaschw�re in Nordika nicht gelten, f�r ihn nicht gelten?

Sein Blick umkreist die W�nde. Nirgends die Spur von jenen zahlreichen Apparaten, mit denen man in Teuta umgeben ist, um jederzeit auf dem Wege des H�rens und Sehens sich in jede beliebige Ferne mitzutheilen und von �berall her Mittheilungen zu empfangen. Auch auf dem Tische und am Stuhle keinerlei Verst�ndigungsmittel. Unverm�gen in mechanischen K�nsten wird dies kaum sein, wohl aber berechnete Absicht. Gewi�, auf seiner ersehnten Insel w�rde er sich auch einrichten ohne verwickelte Maschinerie. Aber hier? Im Lande der magnetischen Zauberm�chte? Der leuchtenden Erde?

Grege schlo� einen Augenblick die Augen mit der Hand.

Dann fiel sein Blick auf seine neue Kleidung. Ein weiches und doch starkes Gewebe von lichtbrauner Farbe, ungew�hnlich im Schnitt, jedoch nicht unbequem. Die Figur tritt m�nnlicher hervor, in energischeren Umrissen, als in den sack- und mantelartigen Gew�ndern, welche Teuta’s Staatsweisheit vorschreibt. Aber mit welchem Recht hat man ihm die alten Kleider vorenthalten?

Nichts r�hrt sich? Warum erscheint Maikka nicht?

Er blickt gegen die Th�r, durch welche ihn die M�dchen eingef�hrt. Sie ist in die Wand eingef�gt und wie diese bemalt, ohne unterscheidendes Merkmal.

Wie er sich umwendet, ist der Tisch in den Boden versunken. Der Raum ist leer.

Grege l�chelt. Nun ist er um sein Fr�hst�ck gekommen.

In demselben Augenblick treten durch eine unkenntliche Th�r auf der gegen�berliegenden Seite zwei J�nglinge, gekleidet wie er, und winken ihm, ihnen zu folgen.

Er gehorcht. An der Th�r bleibt er noch einmal z�gernd stehen und sieht zur�ck. Der Raum ist licht, still, leer, wie zuvor.

Die J�nglinge sind frische, pr�chtige Gestalten. Darum d�rften sie aber doch den Mund aufthun, dachte Grege, dem das ewige Schweigen endlich unheimlich wurde.

Sogar Fox schien sich Schweigen gelobt zu haben. Was h�tte Grege darum gegeben, jetzt sein fr�hliches Bellen zu h�ren. Und w�re der Hund in der N�he, k�nnte auch die Herrin nicht ferne sein. Warum k�mmert sie sich heute nicht pers�nlich um ihren Gast?

Was sich jetzt knurrend meldete, das war Greges Magen. Das Fr�hst�ck als Licht- und Schattenspiel hatte nichts S�ttigendes. Aber war’s nicht Greges eigene Schuld, da� er nicht zugegriffen?

Die J�nglinge f�hrten ihn schweigend vorw�rts, in raschen, taktm��igen Schritten, durch einen langen Laubgang, dessen gr�ne W�nde so dicht und hoch waren, da� sich Grege keinen Begriff von der Oertlichkeit machen konnte. Wei�er Sandpfad, gr�ne, mauerdicke Hecken, dar�ber ein Streifen vom sonnenwarmen blauen Himmel, geradaus, in perspektivisch verschwindender Linie.

Das Tempo des Dahinschreitens wurde immer eiliger, so da� Grege gar nicht Zeit hatte, eine Frage an seine behenden F�hrer zu thun. Schlie�lich ging’s im regelrechten Dauerlauf. Wie von einer geheimni�vollen Macht getrieben, ahmte Grege Alles nach. Er w�re nicht mehr im Stande gewesen, zur�ckzuschauen oder zur�ckzubleiben. Vorw�rts, vorw�rts, ohne Besinnen! Links und rechts in den Hecken schien ein Vogel laut zu werden, bald flog auch einer her�ber oder hin�ber. Vorw�rts, vorw�rts!

Grege hielt den Mund offen, um voller zu athmen. Seine Brust arbeitete, seine Haut wurde schwei�warm.

Pl�tzlich hielten die J�nglinge an und ordneten sich mit Grege zu einer Reihe.

Der Eine hob die Hand hoch, wie zum Kommando. Grege begriff nicht gleich. Nun z�hlte der Andere: eins, zwei — drei!

„Ein schlechter Mann, der nicht der Erste sein will!“

Wurde das Wort wirklich gesprochen oder sauste es ihm nur in der Erinnerung an die letzte Nacht durch den Kopf?

Bei drei sprang Grege mit seinen Wettl�ufern a tempo ab, in kurzen, h�pfenden Schritten, wie sie — wer aber nicht als der Erste am Ziele erschien, war der junge Mann aus Teutaland.

Das Ziel war ein nat�rliches, die Ausm�ndung des Laubganges in eine weite, lustige Halle von leichter Holzarchitektur mit reicher Schnitzerei im Geb�lke. Es war ein eleganter Bau, bestimmt zu Spielen und allerlei Leibes�bungen, mit, und ohne Ger�thschaften.

Es gab keinen Ausweg. Grege mu�te eintreten.

Er war erstaunt, eine gro�e Gesellschaft von J�nglingen und Jungfrauen in dem Raume zu finden, der ihm beim ersten Blicke von ganz un�bersehbarer Ausdehnung d�nkte. Noch erstaunter aber war er, als aus den Reihen der Jungfrauen ihm pl�tzlich Maikka entgegentrat.

— Willkommen, Gast! Damit reichte sie ihm die Hand.

Endlich der erste gesprochene Gru� an diesem seltsamen Morgen. Nach der merkw�rdigen Wettlauferei mit n�chternem Magen f�hlte Grege, wie sein Gesicht eines gewissen grimmigen Ausdrucks sich nicht erwehren konnte, auch fand er keine freundliche Erwiderung auf Maikka’s Willkomm. Er begn�gte sich mit einer stummen Verneigung.

Maikka musterte ihren Gast von Kopf zu Fu� und schien sehr befriedigt.

Grege aber blickte sie an, als wollte er fragen: Wie komm’ ich daher, was thue ich in diesem Haufen fremder Menschen? Was treibst du selbst hier, au�erordentliche Frau? Ist das hier deine Schule, dein Lehramt?

Die kluge Frau las ihm die Fragen von den Augen ab.

— Ich kann Dir nicht jede einzelne Person vorstellen, aber jede ist w�rdig, von Dir gekannt und gesch�tzt zu werden.

Grege nickte h�flich.

Maikka fuhr fort: — Wir �ben uns hier im Ring- und Reigenspiel, im Springen und Schlagen. Nimm theil, Grege!

Das war wieder mit der bezwingend lieben Stimme gesagt und mit dem s��en Spr�hen der dunklen Augen begleitet.

Bevor Grege �berlegte und zu irgend etwas entschlossen war, hatte er schon einen langen Stab in der Hand und stand in Reih und Glied und machte, so gut es gehen wollte, die kommandirten Spr�nge mit. Dergleichen hatte er noch nie erlebt. Nicht einmal zur Emp�rung und zum Widerspruche wurde ihm in diesem „freien Lande“ Zeit gelassen. Ohne Besinnen wurde er mit fortgerissen.

Eine Pause. Lachend und plaudernd standen Alle, so zwanglos wie m�glich, jedoch ohne die Reihe aufzul�sen.

Maikka trat, mit lieblich ger�thetem Antlitz, denn sie hatte alle Spr�nge mit ausgef�hrt, auf Grege zu: — Wie gef�llt es Dir?

Grege: — In Teuta h�tte mich’s verr�ckt gemacht.

— Und hier begl�ckt es Dich, das ist der Unterschied! fiel ihm Maikka in’s Wort.

Mit zweimaligem Aufsetzen der Sprungstange flog sie wieder an ihren Platz vor der ersten Reihe. Sie kommandirte einen Sing-Reigen, der von der H�lfte der J�nglinge und Jungfrauen, paarweise am Stabe verschlungen, ausgef�hrt wurde.

Der Gast aus Teuta konnte nicht genug schauen, so anmuthig und heldenhaft sch�n waren die Bewegungen und Stellungen dieser bl�henden Menschen, und so jubelnd und innig ihr Gesang. Er glaubte die Verse zu vernehmen:

Frisch, frei und froh, mein Kind!

Dein Sinn sei leicht wie der Wind,

Dein Muth bew�hrt wie Gold,

so bleibt das Gl�ck dir hold —

Trala, Dir hold, trala, Dir hold.

Fest in Treue stets geschlossen

Sind wir stolzen Volkes Sprossen

Dir in Liebe zugewandt,

Nordika, heiliges Vaterland —

Heil, Vaterland! Heil, Vaterland!

Die ferneren Strophen des langen Sing-Reigenspiels �berh�rte Grege, nur der feurige Klang und der st�rmische Rhythmus nahmen seine Aufmerksamkeit gefangen, wie das herrliche Schauspiel der kunstvollen, aber wie selbstverst�ndliche Natur wirkenden Verschlingungen und Figuren sein Auge entz�ckte.

Am Schlusse dr�hnte es f�rmlich wie Wetterbrausen mit elektrischen Schl�gen:

Nordika, heiliges Vaterland!

Denn auch die nicht mittanzende H�lfte fiel jetzt aus voller Kehle in den Gesang mit ein — aber Maikkas Stimme glaubte Grege wie Trompeten-Ton �ber dem harmonischen Gewoge schweben zu h�ren. Das war ihm ein unerh�rter Ohrenschmaus. Und das berauschend aufsteigende, machtvoll ausklingende

Heil, Vaterland! Heil, Vaterland!

ging ihm durch Mark und Bein. Thr�nen traten ihm in die Augen. Von dieser alles bezwingenden Gewalt des Gesanges und der Vaterlandsliebe hatte er seither keine Ahnung gehabt.

In Teuta kannte man das Gef�hl der Vaterlandsliebe �berhaupt nicht. Dort galt nur der Begriff vom „Staat“ und „Reich“ als eines k�nstlich aufgebauten Gesellschafts-K�rpers, an dem nur der Verstand, aber niemals das Gef�hl betheiligt war, auch gab es dort keinen nat�rlich quellenden Enthusiasmus f�r irgend etwas, sondern nur eine eingelernte Ruhmredigkeit, die sich in erhitzten Phrasen ergo�, ohne echtes Feuer, ohne nat�rliche W�rme. Und wo fiele es den Teutaleuten, J�nglingen und Jungfrauen, M�nnern und Frauen, jemals ein, ein Lied anzustimmen, einen gemeinschaftlichen Gesang steigen zu lassen, die Seele losbrechen zu lassen in einer Fluth von T�nen und wuchtigen Harmonien? Wenn sie singen jemals gelernt hatten, heute hatten sie’s sicher verlernt, seit Menschengedenken hat man im Teutareich keinen Volksgesang geh�rt. Warum fehlt das dort? Weil die Seele fehlt. Weil Alles in seelenlose Mechanik umgewandelt ist. Drum kennt man auch nur mechanisches Musikmachen, ohne Sinn und Gef�hl, wie man nur verstandesm��ige Staatsbegriffe kennt, ohne Vaterlands-Empfindung.

Und Grege liefen die Thr�nen �ber die Wangen, er stand bet�ubt, selig ersch�ttert und todtbetr�bt zugleich.

— Nun? fragte Maikka, mit gl�nzenden Augen und hochklopfender Brust auf ihn zutretend. — Was sagt Teuta dazu?

Grege wischte sich die Augen und sch�ttelte den Kopf: — Nie h�tte ich das geglaubt, nie habe ich das geh�rt, kein Mensch hat mit daheim davon gesagt.

Maikka gab ihm einen leichten Schlag auf die Wange: — Du bist ein guter Mensch, aber Deine Landsleute daheim sind arme Murmelthiere. Das haben sie von ihrer gr��enwahnsinnigen Abgeschlossenheit und Verbohrtheit.

— Woher wei�t Du das, Maikka? Woher kommt Dir all’ die Kenntni�? Bist Du je bei uns gewesen?

Sie lie� ihre Augen und Z�hne blitzen und lachte mit dem ganzen Gesicht: — Nein, danach hat mich nicht gel�stet. Aber wir haben einen guten Kundschafter. Wir sind von Allem unterrichtet, Du n�rrischer K�nigsspro� von Teutaland.

Pl�tzlich wurde sie sehr ernst, und als Grege, verbl�fft von ihrem letzten Wort, mit Fragen auf sie eindringen wollte, legte sie den Finger an ihre Lippen.

— Und nun, mein Gast, hab’ ich eine halbe Stunde Zeit, ich bin schon seit f�nf Uhr an der Arbeit, lass’ uns einen Gang in die Sonne machen.

Sie gab einem J�ngling einen Wink, fl�sterte ihm ein paar Worte zu und entfernte sich mit Grege durch einen schmalen Heckenpfad hinter der Halle, hinaus in’s Freie.


Kapitel 13

Scheu betrachtete Grege die neben ihm schreitende Frau von der Seite.

Sie errieth seinen Blick und beantwortete ihn mit einem anderen, der sagte: — Verbei� nur Deine Frage, Grege. Darauf bekommst Du keine Antwort. Das ist Staatsgeheimni�. Vorl�ufig wenigstens.

Und Grege verstand den Blick und bi� sich auf die Zunge.

Maikkas beweglicher Geist lie� ihm keine Zeit zum Gr�beln und T�fteln.

— Sprich, Grege, bist Du beschlagen in europ�ischer Geschichte?

— Ich glaubte es, bis gestern. In Nordika zweifle ich daran.

— Lass’ h�ren: Was hinterlie� uns der Mensch der Steinzeit?

— Eine Erinnerung.

Maikka lachte hellauf: — Das ist Poeten-Ausrede f�r sachliches Nichtwissen.

— Teuta kennt und duldet keine Poeten. Du thust mir Unrecht, Maikka.

— Ach, Du willst Dich dr�cken. Du gebrauchst Ausfl�chte. Ernsthaft, Grege: Was hinterlie� uns der Mensch der Steinzeit?

— Kehrichthaufen, Kj�kkenm�ddinger.

— Sehr gut. Und was hinterlie� uns der Mensch der industriellen und kapitalistischen Metallzeit?

— Auch Kehrichthaufen. Ruinen, Museen, Arsenale, einen traurig zusammengeschrumpften Rest Menschheit. Kehrichthaufen, wie ich sage.

Als Maikka schwieg, f�gte er wie entschuldigend bei: — F�r Nordika gilt das wohl nicht.

— Doch, doch, zum Theil auch. Wir hatten vor tausend Jahren auch an dem gro�en europ�ischen Krach mitzutragen und die Zeche mitzubezahlen. Unsere Menschheit ist der Zahl nach gleichfalls b�s zur�ckgegangen. Aber das gab schlie�lich die einzige M�glichkeit, die V�lker Europas, soweit sie kulturf�hig waren, auf eine neue Bahn zu bringen. Es war geradezu ein Segen, ein grausamer Segen, da� �ber vier F�nftel der europ�ischen Bev�lkerung in jenen Katastrophen draufgegangen sind. Was nach dieser furchtbaren Musterung �brig geblieben, war doch eine Art Auslese. Nat�rlich blieb auch noch schlechter Kleinkram �brig, eben weil er Kleinkram war und durch allerlei g�nstige Zuf�lle mit durchschl�pfen konnte.

— Namentlich bei uns in Teuta. Wir haben es heute noch auf keine Million Menschen gebracht, behaupten unsere Volksz�hler.

Maikka blieb eine Sekunde sinnend stehen, dann lie� sie ihre Augen auf Grege blitzen: — Du bist ein herrlicher, nat�rlicher Ausnahmemensch, mit Dir kann man reden. H�r’ mal, Grege, was Ihr in Teuta treibt, schreit doch zum Himmel. Das ist eine Staatskunst von Idioten und Feiglingen. Da Ihr doch einmal keine freien Naturmenschen sein wollt, meinetwegen, so fristet Euch als Staatsk�nstler durch. Aber wenn man nicht mit der Natur hausen kann, mu� man gleich ein Verbrecher gegen die Natur sein? H�r’ mal, Grege, h�r’ mal!

— Ich verstehe nicht, Maikka, was meinst Du?

— W�r’s m�glich, da� Du f�r die Schmach Deiner Teutaleute selbst so wenig Empfindung h�ttest?

— Sprich deutlich, ich bitte Dich! Wie soll ich nun pl�tzlich hier, an Deiner Seite, an Alles denken, was je Schmachvolles daheim in Teutaland geschehen? Sprich, Maikka! Was st�rmt hier nicht an unbeschreiblichen Eindr�cken auf mich ein — und da soll mir Schmachvolles gegenw�rtig sein, das weit hinter mir liegt?

In d�sterem Ernst fand ihre Stimme nur tiefe, rauhe T�ne, als sie, die Hand auf Grege’s Schulter legend, halblaut hervorstie�: — In Teutaland verhandelt man die Leibesfrucht gegen die Brotfrucht, man fri�t seine eigenen Kinder — und spielt den Fleischver�chter? Wei�t Du, was das f�r ein Volk bedeutet? Kennst Du den Fluch, den die Natur auf solche Verbrechen setzt?

Grege zuckte zusammen.

— Kein Volk hat Zukunft, das seine Jugend preis giebt oder verschachert. Grege, begreifst Du das nicht?

— Ich beschw�re Dich, Maikka!

Sie hatte jetzt ganz die unheimlich vision�re Art Jalas in Ausdruck und Stimme. Jedes Wort gab Grege einen Stich in’s Herz.

— Besch�nige nichts, Grege, bei Deinem Heil! rief sie. — Oder ich mu� Dich wie einen Tollen aus meiner N�he jagen.

Und als Grege sie streng fixirte, mit bebenden Lippen, als suche er vergeblich nach dem rechten Wort, fuhr sie mit wachsender Leidenschaftlichkeit fort: — Das geht durch Eure ganze Geschichte, seit Jahrtausenden. Nie hattet Ihr Respekt vor der Jugend, vor dem eigenen Nachwuchs. Ihr habt sie geistig und k�rperlich gemartert, wo ihr konntet. Ihr habt sie in den Zeiten des Mittelalters durch Eure bl�dsinnigen Gelehrten in Schule und Kirche den Alterth�mlern �berliefert, den R�mern und Griechen und Juden und ihrem blutigen Aberwitz, ihre K�pfe entnervt und ihre Seelen belastet und ihre Gem�ther verd�stert. Ihr habt sie dann in Kasernen, Zuchth�user, Fabriken gesperrt, jede heilige Individualit�t mit F��en getreten, Jahrhunderte lang sie ausgeschunden um elender Idole willen. Ihr habt sie dem Moloch des Militarismus, des Industrialismus, des Mammonismus zu Hunderttausenden hingeworfen, wie man einem Geier Aas hinwirft — —

— Halt ein, Maikka!

— Ihr habt sie gepeinigt mit jeder denkbaren Pein, mit Verfolgung, Hunger, Noth und Elend in tausend Gestalten, Ihr habt sie als D�nger �ber alle Erdtheile gestreut, und die armen M�dchen als Weihrauch auf alle Lasterpfannen gelegt in der Ehe, in der Prostitution, in den — — der Millionenst�dte — —

— Bis der gro�e europ�ische Krach kam und die gro�e Schicksalswende, Maikka. Ich bitte Dich, halte Maa�. Das that man in jenen unseligen Zeiten nicht bei uns allein, das geschah, st�rker oder schw�cher, fast in allen L�ndern Europas. Und wenn die Todten, die die Vergangenheit nicht alle begraben konnte, an die Ufer der neuen Zeit geworfen wurden — sprich, Maikka, welches V�lkerhaus hat heute nicht noch seinen Leichnam?

— Du fabelst wieder in Bildern wie ein Poet, trotzdem Ihr in Teutaland keine Poeten duldet. Aber gut, Du sollst Recht haben. Den giftigsten und stinkendsten Leichnam jedoch beherbergt Euer Haus, Teutaland.

— Bei meinem Leben, Maikka! Er soll hinausgeschafft werden!

Sie griff mit beiden H�nden nach seinen Schultern, sch�ttelte sie, bohrte ihren Blick hinauf in sein flammendes Auge: — Das soll ein Held gesprochen haben, Grege. Und nun schnell weiter, weiter, weiter, mich fr�stelt im Schatten. Sonne, Sonne, himmlische Sonne! Freie Luft im freien Licht!

Sie waren in einen Hain mit wei�schimmernden Birken und jungen Blutbuchen eingetreten, in deren fl�sterndem Laub die goldenen Strahlen spielten. Maikka mu�te Grege mit sich fortrei�en. Denn nun waren in seinem Lockenkopfe die Gedanken rebellisch geworden und in seiner Brust war ein seltsamer Rumor.

Er zwang Maikka zum Stillestehn.

— Bist Du nicht von Deinem urspr�nglichen Gedankengang abgewichen, Maikka?

— Nein, nein. Oder gleichviel. Komm’ nur, wir haben schon den rechten Faden gesponnen. Soll ich’s sagen? Dein grimmiges Teuta-Gesicht zuerst und dann Deine Thr�nen — wei� ich’s? Das hat mich eben erregt und au�er mich gebracht. Grege, merk’ Dir’s, mit mir ist nicht zu spa�en!

— Mit mir wohl auch nicht.

— Das will ich hoffen, Grege. Du mu�t ein ganzer Mann sein.

Nun hatte sie ihren lieben Herzenston wieder, ihre klare G�te.

— Aber nun will ich Dir auch mit einer Frage kommen, Maikka. Ankn�pfend an den Kehrichthaufen. Was glaubst Du, da� unsere Zeit hinterl��t?

— O, ich kann nur f�r Nordika gut stehen, Grege: Freude wird sie hinterlassen. Freude, die aus dem Lebensmuthe quillt. Freude, die neuen Muth schafft. Mach’ doch nicht wieder jenes Gesicht!

— Der Muth mu� aber nicht blo� eine Quelle, er mu� auch einen Gegenstand haben, Maikka!

— Freilich. Den gr��ten und h�chsten, den’s giebt: Immer mehr Freude und Sch�nheit. Aber das ist schlie�lich dasselbe: Freude, Sch�nheit. Die Mittelalterlichen nannten es das G�ttliche und verdarben sich das Menschliche damit und verekelten sich mit ihrem Himmel die Erde. Sieh’ mal den lustigen K�fer, wie er behende �ber die Rinde l�uft. Sch�n und drollig, nicht? Wei� er, woher und wohin? K�mmert er sich um den letzten Grund der Dinge?

— Wir nennen’s in Teuta das Mystische.

— Schweig’ mir von Teuta jetzt. Das Mystische!

— Du glaubst nicht daran? An das unerforschliche Wesen, das uns hegt und tr�gt?

— F�llt mir nicht ein. K�mmert uns Nordika-Menschen nicht. Das Mystische! Nicht im Mindesten k�mmert’s uns. Wir hegen und tragen uns selber. Ja, wir erlauben uns das, Grege.

Und nun lachte sie wieder.

— Warum leben wir eigentlich, Maikka?

— Weil wir da sind und weil uns das Leben gef�llt. Sehr einfach.

— Und wenn Dir das Leben einmal nicht gef�llt?

— Dann warte ich, bis es mir wieder gef�llt. Ich ertrag’s in der Hoffnung, da� es mir wieder gef�llt. Interessant ist’s ja immer, mit und ohne.

— Mit und ohne, was hei�t das?

— Mit und ohne Gefallen. Aber h�r’ mal, Grege! Stell’ dich nicht dumm!

— Ich glaube, Maikka, Deine Vernunft ist so stark, da� sie mich in die sch�nsten Kindertr�ume zur�ckf�hren k�nnte.

— Mu� man Dich erst dahin zur�ckf�hren? Mit Vernunft? Ich bin mit Vernunft mittendrin, in jedem M�rchen, Du M�rchenprinz. Mittendrin!

Sie lachte, so �berm�thig und ansteckend, da� Grege mitlachen mu�te, ob er wollte oder nicht.

— Du solltest mir Deine Geschichte erz�hlen, Grege. Aber siehst Du, sonderbar, ich erz�hle mir sie selbst. Ich wei� Alles. H�rst Du? Alles!

— Ich erkl�re, da� Du dann mehr wei�t, als ich selbst. Vieles in meinem Leben ist mir wie verriegelt und versiegelt, ich kann nicht dahinter kommen. Wieder Anderes, weite Strecken meiner Jugend — ach, was rede ich!

— Nun?

— Ist so verschattet, da� ich’s nicht mehr entziffern kann, es ist wie eine alte verblichene Handschrift.

Sie setzte wieder mit ihrem hellen Lachen ein: — Poeten-Flausen! Was man nicht wei�, z�hlt nicht. Das mag so oder anders gewesen sein, was liegt daran? Nur das Bewu�te ist das Wirkliche. Das Andere ist einfach nicht da, f�r uns nicht da. Was soll’s uns also?

— Das ist leicht gesagt. Hinweglachen l��t sich’s auch nicht, was in unserem Leben dagewesen ist. Das bleibt unserem Schicksal einverwoben. Denk’ nur an das Gesetz der Vererbung, das uns so Vieles mitschleppen l��t, wovon wir kaum eine Ahnung haben. Aber hat es uns nicht doch am Kragen, ob wir’s wissen und wollen, oder nicht?

— Vererbung! Wenn das so schrecklich buchst�blich zu nehmen w�re, dann h�tten wir die Ehre, heute sammt und sonders stumpfsinnige, schmutzige Chinesen zu sein, wir Europ�er. Schau’ mich an, Grege: Bin ich stumpfsinnig? Bin ich schmutzig? Bin ich chinesisch?

Und sie stand vor ihm, die verk�rperte Fr�hlichkeit. Alles an ihr strahlte von Gesundheit und heiterem Geist. Sie ballte die H�nde und streckte die Arme straff aus und mit ihren kr�ftigen F��en stampfte sie den Boden.

Grege legte den Arm �ber den R�cken und besah sich das sch�ne Menschenbild l�chelnd. Etwas Gegens�tzlicheres zu seiner Jala h�tte, er sich nicht vorstellen k�nnen. Weiter kam er in seinem Vergleiche nicht. Er konstatirte, da� er ein Wunder erlebe, darin sich die Sch�pfung von einer neuen Seite offenbare. Tiefer vermochte er jetzt mit seinem Denken nicht einzudringen. Denn erstens gefiel Maikka seinen Sinnen �ber alle Ma�en gut, zweitens w�nschte er, weniger Hunger zu haben, als er in der That hatte.

— Ja, Du bist sehr sch�n und sehr klug, Maikka. Und wenn ich Dich als Symbol von Nordika nehmen darf, so mu� ich sagen: Beneidenswerthes Land!

— Ach, wie pathetisch! Nun, so nimm mich halt — als Symbol. Nimm mich! Nordika hat nichts dagegen.

Er starrte sie entz�ckt an, mit offenem Munde.

Sie drehte sich rasch und eilte aus dem Hain.

— Mir nach! Hier ist Nordika!

— Ach so, ja! stotterte Grege und ging ihr gemessenen Schrittes nach. — Humor hat das Weib, dachte er, und so was, wie diesen Weibshumor, hat man in Teuta auch nicht. Armes Teuta!

In dem n�mlichen Augenblick hatte aber auch Maikka gedacht: Humor hat der sch�ne Teutamann nicht und Schneidigkeit des Gef�hls offenbar noch weniger. Armer Grege, mit dem Vererbungsgesetz magst Du f�r Dich und Deine Teutaleute recht haben. Ihr habt den Chinesen noch im Blut. Am fr�hen Morgen nach einem reichlichen Fr�hst�ck und blutw�rmender Bewegung schon so schlaff — —

Eine reiche Landschaft dehnte sich vor Greges Blicken in der hellen Sonne. Breit und friedlich zog ein Flu� aus dem See; so weit man sehen konnte, reihte sich H�gel an H�gel in gr�nem Glanze, ohne gro�e H�hen und Tiefen, von einem eigenartigen sanften Charakter, der Grege ergreifend zum Herzen sprach. Und Haine, kleinere Baumgruppen und einzelne Baumriesen �ber das Ganze verstreut. Daraus hervorlugend, roth und braun, eine Unzahl von H�usern, fast alle von gleicher H�he, aber ungemein malerisch und anheimelnd in dem steten Wechsel mit Wiesen, Feldern und Baumwuchs. Und V�gelschw�rme in der sonnigen, seidenweichen Luft hin und her.

— Im Winter ist das Alles wei�, schneewei�! erkl�rte Maikka mit einem Anflug von Spott. — Aber auch das ist sch�n, weil sich dann der Fr�hling um so bunter ausnimmt. Abwechslung belebt das Vergn�gen, nicht wahr, Grege?

— Ich habe Dergleichen nie gesehen. Nur in meiner Phantasie, gewi�, da versetzte ich mich oft in �hnliche Landschaften, und Jala erz�hlte mir von ihrer Insel — —

— Ach so, Jala. In Teuta selbst habt Ihr nichts von alledem, nichtwahr?

Grege verneinte mit Kopfsch�tteln.

— Das ist der Unterschied, Grege. Ihr hockt in einer einzigen Riesenstadt, wenn man das so nennen darf, beisammen. Wir kennen keine Stadt, oder vielmehr bei uns ist die Stadt �ber das weite Land zerstreut, die H�user sind hineinges�t zwischen Wiesen und Flu�ufer und W�lder — was wei� ich! Schau hin, da liegt ja Alles vor Deinen Augen, und wo der Horizont abschlie�t und Du nichts mehr siehst, da geht’s noch weit fort, nach allen Himmelsgegenden, bis ans Meer mit seinen Fjorden und Inseln. Alles Nordika, immer Nordika.

— Wie ein einziger K�rper!

— Jawohl, mein Gast, sehr richtig, wie ein einziger K�rper.

Und nun wandelte sie wieder die Lust des Spottens und Irref�hrens an. Sie zog den Mund ein wenig schief und die Mundwinkel zuckten schalkhaft.

— Wie ein K�rper, Du hast’s verrathen. Und verr�thst Du auch wie wir’s machen, damit wir uns auf diesem weitfl�chigen K�rper auskennen? da� wir uns in diesem Gewimmel von H�usern in der Landschaft nicht verlaufen? Err�thst Du’s?

— Ihr macht’s wie wir. Ihr verseht Alles mit Nummern und Ueberschriften, denk’ ich.

— Nein, gefehlt, mein Gast! Wir machen’s nicht wir Ihr. Das w�re uns zu mechanisch, zu langweilig. Wir sind geistreicher. Oder anschaulicher, wenn Du willst. Wir sehen den K�rper des Landes als wirklichen K�rper vor uns, als menschlichen K�rper, und benennen die einzelnen Landestheile mit den menschenk�rperlichen Namen. Unsere Landestheile oder Kreise sind also wie K�rpertheile benamst und zwar genau nach dem echten anatomischen Zusammenhang des Leibes, von unten nach oben, von S�den nach Norden. Jeder, der seinen K�rper kennt, findet sich auch im Lande zurecht, und wenn er wei�, wo er sich befindet, findet er �berall hin, ohne viel zu fragen oder Nummern und Ueberschriften zu studieren. Wenn Jemand zum Beispiel im gro�en Zehen des linken Fu�es ist und will nach dem rechten Knie oder nach der Nase oder dem Wirbel, so wird ihm das Suchen der Richtung keine Schwierigkeiten machen. Verstehst Du?

Grege fand das wirklich praktisch, aber so spa�haft zugleich, da� er nun auch lachen mu�te.

— Siehst Du jetzt, da� wir ein durchaus fr�hliches und vern�nftiges Land sind? Der gestrenge Teutamensch lernt bei uns das Lachen.

Ein Flug wilder Tauben rauschte ihnen �ber die K�pfe hinweg. Grege blickte und horchte auf.

— Aber nun, mein Gast, wo glaubst Du, an welchem K�rpertheil wir uns jetzt befinden?

Der hungrige Grege strich sich mit der Hand �ber den Magen.

Sein Mund jedoch sprach: — Auf dem Herzen.

Er sagte das so kindlich weich, mit so unschuldigem Blick seiner sch�nen Augen, da� es Maikka durchbebte.

Und sie betrachtete ihn eine Weile schweigend, mit innigem Wohlgefallen.

Sollte sie ihm sagen, da� sie ihn gefoppt habe?

Nein, noch nicht.

— W��test Du eine poetischere Eintheilung und Benennung unseres Landes?

Grege blickte ihr tief in’s Auge, besann sich ein wenig, dann antwortete er im vorigen Tone, nur w�rmer und herzlicher: — Ich w��te nicht, aber — vielleicht doch.

— Sprich! sagte sie und ergriff seine Hand.

— Nach Sternbildern.

— O Du Poet! Und in welchem Sternbild bef�nden wir uns jetzt?

— Im Morgenstern, Maikka.

— Das ist wunderlieb gesagt. Wenn’s nur nicht falsch w�re, Grege!

— Wieso?

— Weil der Morgenstern nur ein Stern ist, kein Sternbild!

Er err�thete ein wenig �ber seinen astronomischen Schnitzer, f�gte jedoch lachend und schlagfertig hinzu: — Nun denn, so erheben wir den einzigen Morgenstern zum Range eines Sternbildes. Erblicken wir doch auch in dem einzigen Augenpaar eines lieben Menschen den ganzen Himmel!

Maikka dr�ckte ihm mit warmem Drucke die Hand und schwieg still entz�ckt �ber die sch�ne Deutung.

Grege machte sich sanft von ihr los, seiner Jala gedenkend, die ihm mit ihren armen erblindeten Augen mehr war als alle Himmel und alle Sternbilder.

Schweigend wandelten Maikka und Grege am leise rauschenden Flusse hin.

— Wo ist Fox? fragte Grege pl�tzlich.

— Auf der Jagd.

— Auf der Jagd?

— Ja.

Neues Schweigen.

— Sind das Bauern, die Leute dr�ben im Feld? begann Grege wieder, im Gehen z�gernd.

Maikka, aus ihren Gedanken heraus, ohne den Kopf zu erheben: — Wir sind alle Bauern in Nordika. Bauern und Kulturst�dter im �lteren Sinne zugleich — und das ist unser neuer Sinn.

— Neuer Sinn? sprach ihr Grege nachdenklich die letzten Worte nach.

— Neuer Sinn, ja, Grege: Mitten in der Natur arbeitsam zu leben und der Kultur froh zu werden. Alle Bauern und Arbeiter und Geistmenschen zugleich, da kommt kein Gef�hl zu kurz. Keins.

Grege, in einer anderen Gedankenrichtung: — Also herrscht auch in Nordika die wirthschaftliche Gleichheit? Es giebt nicht Obere und Untere im Besitz, nicht Satte und Hungrige — —

— Nicht Herren und Sklaven, Grege. Unser Land ist Freiland, unser Volk ist eine einzige gro�e Familie: Gemeineigenthum aller Grund und Boden, Austausch der F�higkeiten und Dienst unter Gleichgestellten.

— Aber wer F�higkeiten nicht oder nicht gen�gend einzusetzen hat, oder wer die Gleichstellung mit b�sem Willen lohnt?

— Da haben wir seit Jahrhunderten eine feste Praxis, Grege: Absolute Dummk�pfe und Thunichtgute verladen wir auf eine entlegene Insel hoch im Norden. Da bel�stigen sie uns weiter nicht mehr. Also nimm Dich zusammen und halte Dich brav! schlo� sie lachend.

— — —

Inzwischen lenkte Maikka ihren Gast vom Flusse ab auf einen Hain zu, aus dem ein freundliches Haus schimmerte.

— Meine Zeit ist um, Grege. Ich mu� wieder an die Arbeit. Aber Du kannst mich begleiten und dem Unterrichte beiwohnen. Der Unterricht ist im Garten. Es ist keine Kleinkinderschule. Es ist Volksschule. F�r Alt und Jung. Du z�gerst?

Grege machte ein melancholisch l�chelndes Gesicht.

— Warum blickst Du so sonderbar tiefsinnig, Grege?

— Ich habe furchtbar Hunger, Maikka.

— Du hast doch gefr�hst�ckt?

— Mit den Augen, Maikka. Mein Magen ist noch n�chtern.


Kapitel 14

Er kam befl�gelten Schritts gerade rechtzeitig, um auch heute noch einem Theil des Unterrichts beizuwohnen, den die bewundernsw�rdige Maikka im Freien gab.

Ueber den gr�nen Rasen bewegten sich noch andere Leute dem Versammlungsplatze zu, lichte, leichtf��ige M�dchengestalten, reifere Frauen und M�nner.

Die Schule ist �ffentlich. Au�er denen, die ungezwungen ihre Ehre dareinsetzen, einen ganzen Kursus regelm��ig mitzumachen, f�hlen Andere das Bed�rfni�, je nach Zeit und Gelegenheit soviel mitzunehmen, als sie erhaschen k�nnen.

Grege merkte an ihrem ernsten Wesen, da� ihnen die Wissenschaft etwas Heiliges sein m�sse, von dem sie sich im tiefsten Innern ber�hrt f�hlen. Mitten in die Alltagsgedanken ein paar seltene Anregungen gestreut zu erhalten und im Vor�bergehen eine feinere Kenntni� mitzunehmen, wie man auf einem Gang �ber die Wiese den Duft einer Blume mitnimmt, schien ihnen ein gewohnter Genu� zu sein. Keines k�mmerte sich um’s Andere. So gab’s auch keine St�rung der Aufmerksamkeit, wenn ein H�rer sich entfernte, ein Anderer schweigend und gesammelt herankam.

Alles griff hier ineinander: Natur, F�higkeit, Arbeit, Lernbegier, Idealit�t der freien Pers�nlichkeit, edles Gemeinschaftsgef�hl eines starken Volksgeistes. Nirgends etwas k�nstlich Gemachtes, �u�erlich Erzwungenes. Kein dogmatisches System. Keine Verk�rzung irgend einer pers�nlichen oder menschheitlichen Gerechtsame zu Gunsten einer mechanischen Ordnung. Es mu�te, das f�hlte Grege mit wachsender Bewunderung, eine ungeheuer gl�ckliche Veranlagung mit einer unausgesetzten Kulturarbeit durch lange Zeitr�ume zusammengewirkt haben, um einen solchen Volkszustand wie etwas Selbstgewachsenes herzustellen. Alles athmet hier Geist, Gesundheit, Sch�nheit, Zufriedenheit. Nirgends merkt man etwas von jener T�ftelei und Aengstlichkeit, von jener schlaffen und entnervenden Vielregiererei und Klugschwatzerei, von all’ jenen maskeradehaften W�rdespielereien, die ihm sein Teutaland so widerlich gemacht hatten.

Und trotzdem — es war sein Teutaland, er lernte hier ein Gef�hl kennen, das ihm seither fremd geblieben war, das Gef�hl der Mitverantwortlichkeit. Wenn Teuta vor Nordika zur�ckstehen mu�te, so mu�te er pers�nlich vor den Nordikaleuten zur�ckstehen. Wenn Teuta vor Nordika sich sch�men mu�te, so mu�te er sich vor Maikka sch�men. Das verfing hier nicht mehr, da� er sich erhaben d�nkte �ber seine Volksangeh�rigen; das gab ihm keine rechtfertigende Gr��e und Sonderstellung, da� er von daheim Rei�aus genommen. Womit wollte er’s begr�nden, da� es ihn nichts angehe, was seine Blutsverwandten aus ihrer Volksgemeinschaft gemacht? W�re es nicht unm�nnlich, sich auf die schaffende Gewalt der historischen Ereignisse hinauszureden, gerade hier in Nordika, wo er in jedem Blick, in jeder Miene, in der ganzen Haltung der Leute, ohne Unterschied des Geschlechts und der Jahre, lesen konnte von dem ruhig stolzen Ichgef�hl, das in seiner Lebensgestaltung sich frei und selbstsch�pferisch wei� und jede sklavische Unterwerfung unter eine blinde F�gung ausschlie�t?

Und neben diesem Gef�hl der Mitverantwortlichkeit f�r seines Volkes Thun und Leiden, f�r der Heimath Gr��e oder Erb�rmlichkeit wuchs in Grege das hei�e Verlangen, seine Gastzeit in Nordika zu seiner eigenen Belehrung und Festigung auszun�tzen. Seine Jala blieb ihm unverloren, das war ihm heiliger Glaube, und m��ten Wunder geschehen, um ihn mit dem geliebten Weibe wieder zusammen zu f�hren, gut, so w�rden eben Wunder geschehen.

War es nicht auch ein Wunder, da� er jetzt hier stand, unangefochten, in sicherer Gastfreundschaft, und den Worten einer Meisterin des Lebens und Wissens wie dieser Maikka lauschen konnte, umweht von w�rziger Luft, umflossen von mildem Sonnenlicht? Und stieg’s nicht wie ein Schwur in seiner Seele auf, das hier Erlebte und Erfahrene dereinst mit Posaunen seinen Volksgenossen zu verk�nden, damit sie erwachten aus ihrem �rmlichen Geistesd�mmer und stumpfen Genu�leben, da� sie sich aufrafften zu einem bedeutungsvollen, inhaltreichen Dasein? Hatte das Leben in Teutaland �berhaupt einen nennenswerthen Inhalt? Schuf es eine innige starke Freude den Lebenden? Gab es dort einen �ffentlichen Geist, der �ber so beredte Zeugen gebot wie diese geisterf�llte Maikka? Was galten seinen Teutaleuten �berhaupt die Frauen, waren sie ihnen mehr als sinnliche Werkzeugsnaturen, als minderwerthige Nebengesch�pfe? Trotz der Gleichheit?

Und wie war das Alles so geworden?

Aus dem Munde Maikkas selbst konnte er’s jetzt h�ren, was in der Kulturarbeit des Volkes des Weibes Kopf und Hand geschaffen.

Die Einrichtung dieser freien Volkshochschule selbst war Frauenwerk. Nicht dem Manne nach�ffend, in Nachschriften und Abklatsch und Zerrbildern, sondern aus dem selbst�ndigen, dem m�nnlichen durchaus gleichgeachteten Wesen der Frauenseele heraus. Im T�chtigen so t�chtig wie der Mann, im Erg�tzlichen so viel reicher und zarter als er. Und nichts mit dem heimlichen b�sen Blick und Blut des erzwungenen Wettbewerbs, des k�mpferischen Schrankenbruchs. Alles frei, naiv, selbstverst�ndlich. Eine Kraft, die geradaus geht, weil sie nie und nirgends gehemmt wird, die nichts verdirbt und nichts zerst�rt, weil sie kein willk�rliches Hinderni� zu �berwinden hat. Diese heitere Entfaltung im Nebeneinander vom Weiblichen und M�nnlichen gab allem Werk soviel reine, �bersch�ssige Sch�nheit. Keine h�mische Kritik vom Einen zum Andern, kein Mi�trauen, keine Bosheit — daher dieses nat�rliche Gedeihen zu allseitiger Freude. Eins f�rdert das Andere, Keines wird des Anderen Nachtheil. So belebt und hebt sich Alles in dem gleichen Geiste, wie in dem gleichen Sonnenstrahl das Verschiedene zu Hochwuchs und Bl�the gelangt und mit seiner besonders gesegneten Art sich und die Anderen erquickt.

Ja, Nordika-Frauen haben diese Volkshochschule ersonnen und ausgef�hrt. Die Zurichtung des gro�en Gartens und die Bauwerke darin, den Unterrichtsplan und den gr��ten Theil der Lehre — Alles dankt man ihnen. Die t�chtigsten Maurerinnen und Schreinerinnen haben den Bau aufgef�hrt und die phantasievollsten Malerinnen und Schnitzerinnen haben ihn mit Bildern und Zierrath geschm�ckt. Die Vorh�nge sind von den geschicktesten Teppichweberinnen gewoben. In die Herstellung und Unterhaltung der Parkanlagen ringsum haben sich die erfindungsreichsten und emsigsten G�rtnerinnen getheilt.

Haushaltung und Hausflei�, Musik und Malerei, dramatische Kunst und Literatur, Natur- und Kulturgeschichte werden hier von zahlreichen Lehrkr�ften, die ihre Probe in der Aus�bung bestanden, dem lernbegierigen Volke in freier Wahl vorgetragen. Und keine Wissenspolizei bewacht die einzelnen Lehren. Der gesunde Verstand, die emsige Forschung, die praktische Anschauung und Erfahrung, die unabh�ngige Kritik sind ebenso viele und bessere W�chter, als irgend ein Einzelner von Amtswegen.

In Teuta hingegen, Grege mu�te lachen und z�rnen zugleich! In Teuta sitzt ein leberkranker Querkopf, wie dieser Minus, als „Hoheit Oberlehrer“ im „obersten Rath“ und h�tet den „heiligen Wortschatz“ — und nie d�rfte ein Mann oder gar ein Weib sich beikommen lassen, gegen diese ruhmreiche Ordnung, die den Bestand und das Gl�ck Teutas verb�rgt, zu versto�en, oder es wartet ihrer der „gro�e Fluch“ der Verdammung zu „ewiger Verh�hnung“ beim Zarathustra-Feste!

Greges Augen schweiften �ber die sch�nen Menschengruppen, die den Park und die Halle f�llten und den Worten der Meisterin Maikka lauschten. Maikka stand auf einem erh�hten Platz, vor einem gro�en Tisch. Sie sprach vollkommen frei, ohne Buch oder Heft, und im Eifer der Rede ging sie manchmal hin und her, bald die H�nde auf dem R�cken, bald mit eindringlichen Bewegungen ihre Worte begleitend, den Kopf leis auf die Seite geneigt. Eine Bewegung gefiel Grege besonders gut. Wenn Maikka n�mlich die f�nf Finger der linken Hand an den Spitzen zusammendr�ckte und sich damit gegen die Stirn fuhr, als wollte sie sagen: Nun, liebe Leute, nehmt einmal eure f�nf Sinne zusammen, damit ihr gut versteht, die Sache ist nicht so einfach. Das sah allerliebst aus. Die ersten Reihen der Zuh�rer, auf losen B�nken, r�ckten nahe an die Sprecherin heran, die hinteren Reihen verloren sich aus der an drei Seiten offenen sechseckigen Halle in den Garten, und hier sa�en die Uebrigen theils auf dem Rasen, theils auf Feldst�hlen, oder sie lehnten zwanglos an den B�umen oder sie gingen lauschend vor den dichten, gr�nen Bosketts auf und ab, denn die Anlage war so geschickt, da� sich kein Wort der Sprecherin verlor. Und wenn zuweilen ein V�gelein im Busch dazu zwitscherte, oder eine Zikade von der Wiese her�ber dazu zirpte, so wirkte das gesprochene Wort um so inniger und ergreifender in dieser gro�en, fein abget�nten Harmonie der Natur. Mag der Wind in den Wipfeln lauschen oder sausen, mag ein Wolkenschatten �ber die K�pfe ziehen, was macht das der in sich gefesteten Ruhe und Heiterkeit des Geistes? Kommt aber gar ein wildes Wetter und rauscht der Regen nieder, so r�ckt man in der Halle zusammen oder fl�chtet in die Nebenr�ume oder unter die Zelte. Im schlimmsten Falle wird der Vortrag abgebrochen und jeder rettet sich wie er mag.

— Wie ist’s im Winter? fragte Grege, als ihm Maikka auf einem Gang �ber die Felder die schulischen Einrichtungen Nordikas des Weiteren erkl�rte.

— Der Winter ist wom�glich noch k�stlicher als Studierzeit. Da beziehen wir in Abtheilungen besondere R�ume. Jeder Bezirk — nein, ich habe Dich doch ein wenig genarrt mit meiner Landeseintheilung in Herz, Magen, Nieren, Mund, Schlund — hast Du Hunger, sprich? — jeder Bezirk hat seine Schulkolonie und seine Volkshochschule. Im Winter wohnen wir Alle, die mit der Schule als Lehrende und Lernende zu thun haben, m�glichst dicht beisammen. Also ein gro�es, behagliches, wissenschaftliches Familienleben. Die Mahlzeiten und Unterhaltungen sind gemeinschaftlich. Das Hauptgeb�ude jeder Schulkolonie enth�lt au�er den Vortragss�len, der Turnhalle, den Bibliothek- und Lesezimmern u. s. w. auch ausreichende Wohnr�ume f�r die st�ndigen Sch�ler.

— Auch Werkst�tten, Spielr�ume?

— Aber selbstverst�ndlich. Sogar Schwimmb�der f�r die Reinigung wie zu lustigen Wasserfesten, w�hrend drau�en die Welt in Eis starrt und kracht, sogar Theater und Alles, was Geist und Herz erfreut.

— Ach, Maikka, das sind f�r mich so neue Ideen- und Lebenskreise, da� ich meinem Kopf ordentlich zureden mu�, das Alles aufzunehmen und in Ordnung zu behalten.

— Das wundert mich nicht, mein Gast. Nur Zeit nehmen und Zeit lassen, das ist das ganze Geheimni�, um mit Allem fertig zu werden. Das ist f�r uns in Nordika unsere beste Kunst. Wir haben immer und zu Allem Zeit. Uns plagt nie das Gef�hl, da� wir Etwas vers�umen. Drum leben wir auch so furchtbar lang, das hei�t, das Leben kommt uns nicht kurz und zeitbeschr�nkt oder �berladen vor.

— Eine Zwischenfrage! Du gestattest schon, Meisterin, da� ich als beflissener Sch�ler Alles durcheinander frage. Warum sieht man bei Euch all’ die tausend Apparate nicht, in den H�usern, an den W�nden, an den Wegen, die bei uns in Teuta auf Schritt und Tritt ger�uschlos den Verkehr vermitteln und so viel Zeit sparen helfen?

— O, weil wir ohnehin Zeit genug haben. Weil wir kein Gespensterleben f�hren m�gen, sondern �berall pers�nlich dabei sein wollen. Weil tausend Dinge, die Euch wichtig scheinen, uns nicht im geringsten k�mmern. Und so noch ein Dutzend Weilweil. Siehst Du, die Menschheit hat nie weniger Zeit gehabt, also auch nie weniger gelebt, als im gro�en Maschinen-Weltalter. Sie sahen Alles, h�rten Alles, beschwatzten Alles, bekrittelten Alles, wu�ten Alles — nur Eines nicht, da� das wahnsinnige Narrethei und kein Menschenleben ist. Ist auch nichts dabei herausgekommen, kein Gl�ck, keine Sch�nheit, kein Friede, keine Freude. Das Maschinen-Weltalter! Wir in Nordika haben es auch damals nicht so toll getrieben, wie die Anderen, die weiter unten wohnen in der Geographie und sich als die Spitzenreiter der Zivilisation bejubelten, bis sie in den Graben purzelten, wie blinde Eseltreiber. Nein, wir haben bei Zeiten damit aufger�umt. Alles �berfl�ssige Maschinenwerk ist bei uns abgethan. Schon lange.

— Ja, das war gut. Ich erinnere mich, in Teuta hat man immer etwas Mechanisches unter den F��en, unter dem Ges��, zwischen den Fingern, in den Ohren, vor den Augen und —

— Nichts im Kopf! wollte Maikka herausplatzen, aber sie fand es eben so erleichternd, wenn sie blo� kr�ftig lachte.

— Wenn wir Eure Schulen h�tten! rief Grege nach einigen Sekunden, nachdem er sinnend stehen geblieben.

Maikka entschlug sich auch jeder �berm�thigen Glosse zu diesem Teuta-Seufzer. Als ob ein Volk von Pedanten, Worth�tern, Silbenstechern, Buchstaben- und Paragraphenfuchsern durch die Schulvermehrung nicht noch schlimmer und d�mmer w�rde! dachte sie f�r sich. Gar keine Schule einige Menschenalter hindurch, eine radikale Hungerkur f�nfzig Jahre lang f�r diese Wortfresser! Das br�chte sie vielleicht zum eignen Nachdenken und zu thatenfroher Anstrengung. Aber nein, sie wollte ihm willig Auskunft geben ohne Harm und ohne Falsch.

Sie entwickelte ihm also die Grunds�tze, denen Nordikas Bev�lkerung die sogenannte Bildung verdankt. Sie wies ihn darauf hin, da� das im jungen Menschen sehr zart und allm�hlich erwachende Seelenleben weder durch eine gro�e Menge von Eindr�cken, noch durch Unverst�ndliches verwirrt und in seiner Entwicklung belastet werden d�rfe. Das Kind solle vor seinem achten Jahre �berhaupt keinerlei systematische Anleitung in irgend etwas, das wie ein Unterrichtsfach aussehe, erhalten. In der ersten Schule, zu der kein Kind vor seinem zehnten Jahre zwangsweise verpflichtet werden d�rfe, sei nur in den Grundelementen der Anschauung und des Wissens, also im Lesen, Schreiben, Zeichnen, Rechnen, sowie in der vaterl�ndischen Geschichte zu unterweisen, ja nicht abzurichten oder anzuqu�len. Erst im jugendlichen Alter, und hiezu rechnete Maikka wie alle ihre unterrichteten Landsleute die Zeit vom achtzehnten bis drei�igsten Lebensjahr, sei der gesunde Mensch im Stande, das geistig Aufgenommene ohne Gef�hrdung seines k�rperlichen und seelischen Wohlbefindens zu erfassen, durch eigene Gedankenth�tigkeit zu verarbeiten und in Wirklichkeit zu verwerthen. Da bleibe der Mensch in nat�rlichem Wachsthum, ohne zu k�nstlicher Bl�the und raschem Verwelken gepeinigt oder zu allerlei Kr�ppelhaftigkeit im Geistigen und Leiblichen herangez�chtet zu werden. Wie alt an Jahren Grege zum Beispiel sie sch�tze?

Er stutzte. Denn nach seiner Sch�tzung mu�te hier ein Widerspruch mit ihren Worten vorliegen. Wie konnte sie schon Meisterin in so jugendlichem Alter sein? Er lie� den Blick wiederholt �ber ihre bl�hende, kernige Gestalt hin- und hergehen, er pr�fte die Linie ihres so sch�n geschnittenen Mundes mit den jauchzend rothen Lippen, er pr�fte die Winkel ihrer gro�en, blaublitzenden Augen mit den langen, dunklen Wimpern und den hohen Bogen der dichten, fast schwarzen Brauen — nirgends ein F�ltchen oder Runzelchen oder sonst ein verr�therisches Zeichen, das �ber die Jugend hinauswies. Gewi�, sie war �lter als Jala, mindestens vier bis f�nf Jahre �lter, vielleicht gleichalterig mit ihm selbst, aber das Reifejahr, das er soeben erst aus ihrem eigenen Munde mit drei�ig festsetzen h�rte, konnte er ihr unm�glich geben.

— Lach’ mich nicht aus, Maikka, aber so Ende der Zwanzig, nein, w�r’s m�glich?

— Doch, doch, mein scharfsinniger Herr. Daran liegt uns Nordika-Frauen nichts. Ich fragte nur Deiner Menschenkenntni� wegen. Bei uns giebt’s keine alten Menschen, verstehst Du, nur langlebige giebt’s. Ich bin schon drei Jahre im Amt. Jawohl, volle drei Jahre.

Grege wollte in Verwunderung ausbrechen.

— Nein, mein Sch�ler, h�r’ mich ernsthaft zu Ende und bleibe bei der Sache, nicht bei der Person. Unsere erwachsenen Sch�ler, gleichgiltig ob m�nnlich oder weiblich, m�ssen sich um die Lehrer schaaren, ebenfalls gleichgiltig, ob weiblich oder m�nnlich, im flei�igen Verkehr mit ihnen ihr Wissen erg�nzen, ihr Selbstvertrauen st�rken und ihre eigene Lebensanschauung entwickeln. Denn eingepaukt wird hier nichts. Vorgeschrieben als unfehlbare Lehre auch nichts. Auch in Respekt und Heldenverehrung wird nicht gearbeitet. Jeder kann seine Muster suchen, wo er will, und sich zu ihnen stellen, wie ihm pers�nlich gutd�nkt. Glaube mir, Grege, in Nordika kommen die richtigen Leute, m�gen sie auch verschiedene Wege einschlagen, immer an dasselbe Ziel. Der Gipfel eines Berges kann von verschiedenen Seiten bestiegen werden, nicht wahr? Der Weg eines Strebenden mu� sich jederzeit individuell bestimmen, nach Gem�thsart, Geisteskraft, Charakter. Ein Jeder mu� sich den ihm am besten zusagenden Weg nach eigener Erkenntni� w�hlen, ohne damit das Recht zu erwerben, andere Wege, als den seinigen, als falsche zu verketzern. Das ist ja selbstverst�ndlich. Die Eigenart eines jeden Einzelnen bedingt auch einen verschiedenartigen Ideenkreis.

— Jawohl, rief Grege lebhaft, Ideenkreis! Jeder seinen Ideenkreis in voller Freiheit.

— Die F�higkeit, sich in den Ideenkreis Anderer hinein zu versetzen und dann erst zu beurtheilen, ob diese betreffenden Anderen den k�rzeren oder den weiteren Weg zum Ziele wandeln, Grege, siehst Du, das ist wichtig.

— Ja, sehr.

— Und wer diese F�higkeit hat, der ist weit entfernt von rechthaberischem Absprechen, von prahlerischem Weisheitsd�nkel, von der dummen Meinung, alle echte Erkenntnis f�r sich allein gepachtet zu haben.

— Wie wir Teuta-Leute! Ach, Eure Schulen, Maikka! Worauf erstrecken sich die Vortr�ge in Euren Volkshochschulen?

— Vor Allem auf die Sprache, Geschichte und Kunst des eigenen Landes, dessen Verfassung und gesetzgeberische Entwicklung.

— O, Entwicklung, verp�ntes Wort in unserem heiligen Teuta.

— Dann auf allgemeine Geschichte, Naturwissenschaften, Geographie, Mathematik, Gesang. Au�erdem werden praktische Arbeiten in den Werkst�tten, in Haus, Feld und Garten und so weiter ge�bt. In den geschlossenen Kursen werden Abends einige Theile des Vorgetragenen einer ungezwungenen allgemeinen Besprechung unterzogen. Dadurch lernen die Sch�ler eine Sache von mehreren Gesichtspunkten betrachten und ihre Gedanken deutlich ausdr�cken. Der Unterricht ist �berall f�r beide Geschlechter gemeinsam, auf allen Lehrstufen und in allen Schulkolonien. So bleibt der Geist nat�rlich, gesund und rein, die Menschen �berheben sich nicht gegenseitig. Sie genie�en den vollen Segen der Arbeit. Keiner betr�gt den Anderen um die Fr�chte seines Schwei�es, wie es in jenen ruchlosen Zeiten war, wo einzelnen Wenigen Alles, der Mehrzahl nur der Hungerlohn zum „Existenz-Minimum“ geh�rte. Jetzt schafft Einer f�r Alle, und Alle f�r Jeden, sie sehen in der Arbeit keine Last, sondern eine freudvolle Pflicht und eine Ehre. Ohne diesen Geist kein allgemeiner Wohlstand, keine bl�henden Genossenschaften, kein Nordika! Verzeih, Grege, aber wir Leute hier oben beten unsere Heimath an!

Grege schritt still, gedankenvoll.

— Ja wir verehren unseren Boden, wir haben Ehrfurcht vor unserer Natur. Wenn ein Bauer einen jungen Wildling veredelt, entbl��t er das Haupt, wenn er einen alten Baum niederschl�gt, entbl��t er wieder das Haupt. Der Landbau ist eine heilige Kunst. Wer den Pflug gut zu f�hren und eine sch�ne Furche zu ziehen wei�, ist so gut ein K�nstler wie der, der ein Bild malt oder einen Spruch dichtet. Wer die Sense schwingt und eine Mahd gef�llig hinlegt, oder einen Erntewagen mit Garben symmetrisch vollschichtet, ist so bedeutend in der Kunst, wie der T�nzer oder wie der S�nger oder wie der Architekt. Die Kunst, das ist die Seele des Volks. Und ein Volk kann nie genug Seele haben und nicht genug Freude, sich dar�ber zu freuen. Siehst Du, Grege, drum freu’ ich mich allweil so unb�ndig.

— Ah, dieses Feuerherz! murmelte Grege bebend in sich hinein.

Er f�hlte die zehrende Glut, die dieses Wesen auf ihn �berstrahlte. Es war wie ein lohender Brand, und er stand dabei, unentrinnbar, mitten in der Flammenzone.

Rasch f�hrte er seine Hand zum Gesicht und betrachtete die Stelle, wo Jala’s Blutstern war. Verbla�t, verschwunden. Nein, nicht verschwunden, in die Haut hineingekrochen, in sein eigenes Blut versunken. In seiner Blutbahn kreiste jetzt Jalas Stern, wie ein Licht, das im Dunkel seinen Gef�hlen leuchtet, damit sie nicht in Irrni� gerathen.

Und Grege k��te heimlich die kleine Stelle an seiner Hand, zwischen Daumen und Zeigefinger.

Dann blickte er froh begl�ckt in Maikkas leuchtendes Angesicht.

— Warum sprichst Du nicht, Grege? Schl�fst Du — oder bist Du hungrig?

— Nein, nein! Es ist Alles in Ordnung. Wundersch�n ist, was ich sehe, wundersch�n ist, was ich h�re. Es ist herrlich hier. Ich wei� nicht, wie ich Dir genug danken soll, Maikka, unvergleichliche Meisterin.

Der Lobspruch klang wohl m�nnlich und echt. Und am dankbaren Gem�the des sch�nen, stattlichen Teutamannes zweifelte Maikka auch nicht. Aber sie hatte doch etwas Anderes erwartet. Viel mehr Kraft und Ueberschwang der Empfindung. Freilich, wo soll das herkommen, wenn man aus dem vertrackten Teuta stammt! Und immer Meisterin, Meisterin! Mu�te er denn das sch�lerhafte Achtungsgef�hl in Alles hineintragen?

Sie waren jetzt in einer Gegend von entz�ckender Abgeschlossenheit. Hohe, breitwipfelige B�ume dr�ngten sich zu beiden Seiten des Weges und �berschatteten ihn so vollst�ndig, da� Grege ein Fr�steln �ber seine nackten Glieder laufen f�hlte. War’s wirklich nur die Schattenk�hle, was ihn erschauern machte?

In schweigender Betrachtung eilte er vorw�rts.

— Wahrhaftig, er hat Hunger und wittert die Meierei da oben! dachte Maikka und beschleunigte die Schritte. Dabei blickte sie auf seine nackten Beine und F��e und fand, da� sie sch�n gewachsen und f�r einen k�rperlich wenig ge�bten Teutamann erstaunlich muskul�s waren. Gute Rasse verrieth sein Leib in jedem Glied und in der ganzen Struktur und Haltung. Im Wuchs konnte er neben dem gelungensten Nordikamenschen mit Ehren bestehen. Er war ein edler Recke in seiner Art, das war zweifellos. Und der jugendlich sprossende Blondbart stand ihm ausgezeichnet. Maikka hatte mit ihrem Gast keinen schlechten Fund gemacht. Sie betrachtete ihn mit heftigem Wohlgefallen; denn wie er im Schatten dahinschritt, sich straffend und reckend, um das Frostgef�hl nicht merken zu lassen, bot er wirklich das Bild eines Helden aus der Wiege des reinen Germanenthums. Maikka konnte sich nicht verhehlen, da� sie jetzt nicht unaufgelegt w�re, mit ihm in das romantische Traumland der skandinavischen Mythologie zur�ckzuschw�rmen, mit ihm Held und Heldin in g�ttlicher Leidenschaftlichkeit zu spielen, mit ihm zu ringen und — sich von ihm �berw�ltigen zu lassen. Jawohl, auch dies — vollkommen �berw�ltigen. Ihn dann aber f�r seinen Sieg mit einem Sturm von Z�rtlichkeiten zu z�chtigen, da� ihm das hei�e Blut dampfend aus den Poren spritzte.

Grege eilte, eilte —

Sie blieb stehn, folgte ihm mit funkelnden Augen, ri� den Mund auf, da� ihr Gebi� schimmerte, wie eines edlen Raubthiers Rachen, dann schrie sie ihm mit bebenden N�stern zu: — Halt! Gelehriger Sch�ler! Wei�t Du, wo Du wandelst? Wei�t Du, wie ich Dich sehen m�chte? Als rei�igen Nordlandssohn, in Br�nne, B�renfell und Fl�gelhelm! Du — Dich!

Stracks hatte er sich gewendet, wie angedonnert. Als g�lte es, sich zu pl�tzlichem Kampfe zu r�sten, mit einem Feind, der aus dem Boden gewachsen, zehn Schritte vor sich. Grege st�tzte die F�uste in die geschmeidige H�fte, stemmte einen Fu� vor den andern, hoch hob er den Kopf auf dem starken Nacken: — Halloh, Maikka!

Sie streckte den linken Arm und wies durch die dunklen St�mme in die Lichtung gen Westen, wo das ungeheure Meer heute ruhig wie an Ketten in den Fjorden lag:

— Von dort, Teutamann Grege, flog der kraftstrotzende nordische Aar sieghaft �ber die Welt, �ber Fluth und Flur, sein Name schon erf�llte die abgelebten V�lker mit Angst und Schrecken, da� sie bebten bis in die vermorschten Knochen, bis in’s Mark! Wiking, halloh, auf’s Drachenschiff! Wiking, los!

Und ihr Schrei endigte in einem gellenden konvulsivischen Lachen.

Grege stand wie eine Tanne, deren Wurzeln den Fels umklammern, und die ohne Schwanken im Sturmestoben den Blitz erwartet.


Kapitel 15

Am n�chsten Nachmittage, als die Sonne schr�ge Feuerpfeile durch die dunklen St�mme scho�, fanden sich Grege und Maikka wieder an der n�mlichen Stelle ein, um ihre Wanderung fortzusetzen.

Er hatte noch keine Zeit gefunden, ihr den Bericht seines Lebens zu Ende zu erstatten. Was er ihr gestern Abend erz�hlte, auch von Jala — da� sie blind geworden, verschwieg er ihr — schien wenig Eindruck auf sie zu machen. Sie verlangte auch nicht Weiteres zu h�ren.

Seine Kindheitsgeschichte interessirte sie nicht.

Seine Liebesgeschichte entlockte ihr kaum ein sp�ttisch-mitleidiges L�cheln.

Seine k�nigliche Abstammungs-Fabel von einem gefangenen Friska-F�rsten fand sie geschmacklos. Alles Dekadente ber�hmt sich seiner Abstammung und pocht auf Ahnenreihen. Sie warf an dieser Stelle seiner Erz�hlung nur die Bemerkung hin: — Was liegt an Vorfahren? Da� man Vorfahr werde und Nachkommen habe, die die Welt mit Glanz erf�llen, daran liegt etwas. Vielleicht liegt auch an den Nachkommen nichts, wer wei�!

Seine Stellung als Zarathustra-Protagonist d�nkte ihr barok, um kein verletzenderes Eigenschaftswort zu gebrauchen. Uebrigens behielt sie sich vor, hinsichtlich Zarathustras ihm, auf den Zahn zu f�hlen. Seine geschichtlichen Kenntnisse erschienen ihr l�ckenhaft. Er gab seine Urtheile mit einem Wortprunk, der ihr als afterpoetisch und unwissenschaftlich zuwider war.

Den Hinweis auf seine n�chsten Zukunftspl�ne nahm sie mit ironischem Kopfnicken auf: — Du willst auf die Insel? Was willst Du dort? Frei sein? Wovon, wozu? Ein Herr sein, wem? Sch�pfer, wessen? Welchen Inhalt soll Deine Kraft, Deine Jugend auf der einsamen Insel haben? Ist ein Weib ein Inhalt?

Kurz, sie lie� kein gutes Haar an ihm.

Und nun hatte sie ihn hierher bestellt, und sie standen, wo sie gestern gestanden.

— Was hast Du heute gearbeitet? begr��te sie ihn.

Grege sch�ttelte unmuthig den Kopf.

— Du sehnst Dich von hier fort?

Er schwieg.

— Es geht jetzt keine Post an Dein romantisches Gestade. Zu den Angelos kannst Du jedoch noch in dieser Woche gelangen.

Grege wehrte heftig ab.

— N�chst Nordika ist Angela das einzige Land, das ich Dir empfehlen m�chte. Du k�nntest dort viel lernen, doch sch�tze ich Dich noch nicht reif daf�r. Willst Du nach Teuta zur�ck?

Grege besann sich. Sein Gesicht nahm einen seltsam entschlossenen Ausdruck an: — Noch nicht. Noch lange nicht, Maikka.

Sie empfand den Ton, mit dem er ihren Namen aussprach, wie eine Liebkosung. Aber sie wollte jetzt keine Liebkosung aus seinem Munde.

Ein Nebenpfad zweigte ab, der in Gartenland f�hrte.

— Schau Dich um, Grege. Jeder Zoll ist hier bebaut. Solche Blumen, Kr�uter und Fr�chte sieht man selten.

Grege bejahte stumm.

— Vor hundert Jahren war’s nicht so. Der Boden ist tr�chtiger geworden. Vielleicht das Klima sogar milder.

Maikka deutete auf niedrige Birnb�ume, die sich unter der Last der Fr�chte bogen. Quitten hingen �ber einen niedrigen Zaun, der die Gartenst�cke abgrenzte. Von einem Spalier lachten Pfirsiche und Pflaumen aus dem Laub. Dann kamen zwischen den Baumgel�nden Beete wie bes�t mit Reseda und Flammenblumen. Malven und Sonnenrosen gl�nzten in s��en Farben �ber den Zaun.

— Ihr habt wohl gro�e Freude an den Blumen, in Nordika?

— Wir haben auch gro�e Freude am Kohl, Grege.

— Und Ihr e�t von Allem?

— Von Allem, was uns schmeckt. Euch in Teuta schmeckt ja nur das Chemische, das k�nstliche Pr�parat, nicht das nat�rlich Gewachsene, nicht wahr?

— In Teuta! Geh’ mir mit Teuta, Maikka. Ich bin doch nicht Teuta?

— Nicht ganz. Aber ein gro�es St�ck davon.

Sie sch�pfte tief Athem.

Grege wollte die Pause ben�tzen, eine Blume zu brechen.

— La� das. Jetzt bricht man keine Blumen. Sag’ mir lieber: Was haben Deine Teutaleute eigentlich? Was f�r Hauptvorz�ge des Geistes und Gem�ths, meine ich.

Er f�hlte etwas Bitteres in sich aufsteigen. Dieses ewige Examiniren!

— Was sollen sie haben, das Andere nicht h�tten? Vielleicht etwas mehr Humor, Maikka.

— Humor? Unfreiwilligen vielleicht. Sprudelnden kaum.

— Nenn’ ihn Sinn f�r Ulk, wenn Du willst.

— Wahrhaftig, Grege, das will ich. Sinn f�r Ulk. Du kannst davon singen und sagen. Dein Hinweis gestern Abend auf Deine �ffentliche Stellung im Teutareich als — Ulkist! Zarathustraismus — Ulkismus!

— Maikka, es ist wirklich schade um die duftige Sonnenluft, da� wir sie mit solchen Gespr�chen erf�llen.

— O, k�mmere Du Dich um unsere Luft. Die ist reich und kann etwas abgeben. Oder ziehst Du vor, Gedichte herzusagen? Nein, gerade jetzt recht. Euer Zarathustra-Kult ist eine Hanswurstiade. Da fliegt das Wort. Fang’s! Und gleich noch eins, dann ist’s ein Paar: Wer die Hanswurstiade mitspielt, ist ein Hanswurst, und wer den Zarathustra mimt, ist ein Kom�diant und zwar kein guter.

Grege fuhr auf: — Respekt!

— Ja, Respekt vor Allem, was Respekt verdient. Das ist eins unserer Staatsgrundgesetze.

Und nun prasselte das Gefecht los. Er immer verbitterter, dann herrischer, hochfahrender; sie immer sch�rfer, stachelnder. Auf jeden Trumpf setzte sie einen st�rkeren Trumpf, an jeden Einser h�ngte sie eine Null, dann gab’s einen Zehner.

Bis sie mit einem Mal einlenkte oder einzulenken schien.

— Den Kom�dianten brauchst Du mir nicht �bel zu nehmen, Grege. Gesetzt, Deine Vorfahren waren K�nige, oder wenigstens kleine regierende deutsche F�rsten, wie sie vor tausend oder anderthalb tausend Jahren — ich will einmal ein historischer Stegreifrechner sein, nach Teuta-Art, mit weitem Spielraum und elastischer Grenze — also wie sie damals an den Kanten des gro�en Preu�enreichs noch herumbl�hten, ja, bl�hten, um kein anderes botanisches Wort zu w�hlen. Diese Deine Vorfahren machten einen Hof und hielten sich neben anderen Hofbeamten, die vielleicht auch nur Hofkom�dianten waren, noch besondere Hofschauspieler. O, Deine Vorfahren, die F�rsten, zeichneten sie nicht wenig aus, ihre berufsm��igen Hofschauspieler. Sie machten Hofschauspieler, wenn sie h�bsche, anstellige Damen waren, zu ihren Maitressen, oder gar zu ihren Frauen, oder traten pers�nlich an die Spitze ihrer Hofschauspieler-Truppe als Leiter, als F�hrer, und machten mit ihnen Gastreisen im Reiche umher und bedeckten sich als Musageten mit Ruhm, der f�r sie auf andere Weise nicht mehr zu gewinnen war. Glaubst Du, da� ich darin etwas Verletzendes sehe? Hier in Nordika, wo man die Kunst am h�chsten stellt? Glaubst Du, da� es in jenen Zeiten am Ende nicht besser gewesen, die F�rsten h�tten sich mit dem Kunstruhm begn�gt und die Kunst des Regierens Anderen �berlassen? Und nun, Grege, h�r’ mich ohne Zorn an: Achtest Du’s f�r ausgeschlossen, da� Du der Abk�mmling — eines Abk�mmlings eines jener Schauspieler-F�rsten sein k�nntest und da� Du gerade darum berechtigt w�rst, auf die doppelte Erbschaft zu pochen? Ist das nicht verst�ndig geredet, Grege? H�ttest Du Grund in dem kleinen Teuta von heute einen Theil der Erbschaft als Schmach zu empfinden, da er doch in jenem gro�en Reich von damals als unbezweifelte Ehre galt? Man mu� nur Alles aus dem richtigen Gesichtswinkel nehmen.

Grege hatte sich �ber den Zaun gebeugt und streifte mit der Nase schnuppernd an einer hochstengeligen Tulpe.

— Duftlos, l�chelte er.

Maikka l�chelte gleichfalls, indem sie auf seine Bemerkung einging: — Vorsichtiger ausgedr�ckt, Deine Nase findet keinen Duft daran. Wollen wir k�nftig beide vorsichtiger im Ausdruck sein? Der Tulpe verschl�gt’s ja nichts, aber unserer Nase und was als empfindlicher Mensch noch dranh�ngt, kann’s zu statten kommen.

Mit freundlichem Ernst, der nahe an wiedergewonnene sanfte Liebensw�rdigkeit grenzte, fuhr Grege im Weitergehen fort: — Ich m�chte wissen, Maikka, giebt’s auch Bl�dsinnige in Nordika?

Maikka fand die Frage �berraschend. Sie erwog sie einen Augenblick. Dann betrachtete sie forschend Grege’s Gesicht. Nein, der Ausdruck so wenig wie der Frageton lie� einen beabsichtigten Doppelsinn vermuthen.

— Bl�dsinnige, Grege? Ja, leider, aber nur wenige.

— Taubstumme?

— Ich vermuthe.

— Blinde?

— Blinde? Blindgeborene oder Blindgewordene?

— Einerlei. Ich unterscheide jetzt nicht.

— Ja, Grege.

— Wo sind diese Bedauernswerthen?

— In einer besonderen Anstalt. Drau�en, in der N�he des gro�en Fjords.

— Warst Du einmal dort, Maikka, sie zu besuchen?

— Vor Jahren einmal. Es ist lange her. Ich hatte einen erblindeten Freund drau�en.

— O, einen erblindeten Freund! Der Arme! Ist er nimmer sehend geworden?

— Doch, ich h�rte davon. Er hat das Augenlicht wieder erhalten, zum Theil wenigstens.

Eine gro�e Bewegung erfa�te Grege.

— Maikka, liebe Maikka, das ist ja wunderbar. Der gl�ckliche Ungl�ckliche, nein, nein, wahrhaftig, er wurde wieder sehend?

— Ja, Grege, das wurde er, wie ich bestimmt h�rte.

Er mu�te an sich halten, um im Uebergef�hl der Ahnung einer gleichen seligen M�glichkeit f�r seine Jala Maikka sich nicht an den Hals zu werfen und zu weinen wie ein himmlisch beschenktes Kind. Er k�mpfte die Wallung tapfer nieder.

— Und die n�heren Umst�nde seiner Genesung? Maikka, sag’ doch!

— Wei� ich nicht. Er verlie� bald die Anstalt und siedelte in einer fernen Gegend sich an, mit andern Freunden. Und so verloren wir uns aus den Augen.

— Sonderbar, sonderbar.

— Da� man sich, kaum sehend geworden, wieder aus den Augen verliert, Grege? Dies findest Du sonderbar?

— Ja, auch dies. Maikka, sprich, k�nntest Du mir die Anstalt drau�en am gro�en Fjord einmal zeigen?

— Gewi�, an meinem n�chsten freien Tag. In kommender Woche.

— Der Verkehr mit der Au�enwelt, ich meine mit den Fjords und so, ist wohl schwer?

— O, Du kannst leicht allein hinauskommen. Bist Du sehr ungeduldig?

— Gewi� nicht, Maikka. Ich kann warten. Aber warum soll ich Dir immer zur Last fallen?

— Du f�llst mir nicht zur Last. Im Gegentheil, Grege. Und da sich nun einmal Alles so gef�gt hat, m�chte ich wirklich gern dabei sein. Du bist fremd, ich kann Dir in Manchem helfen. Abgesehen vom Besuch in der Anstalt, m�chte ich dabei sein, wenn Du unsern gro�en, schauerlich-sch�nen Fjord zum ersten Mal siehst. O, mach’ Dich auf ein ungeheures Schauspiel gefa�t, Grege.

— Das will ich, Maikka. Es wurde ihm erstickend hei�. Er ri� sein Wams auf, da� die Luft �ber seine nackte Brust strich.

Und er ergriff ihre Hand, treuherzig und schlicht von der Seite, im Gehen, und dr�ckte sie innig.

Maikka erwiderte den Druck und hielt seine Hand mit der ihrigen fest.

So schritten sie eine Weile hin, schweigend, in hei�en Gedanken.

Es war ein Nehmen und Geben von Herz zu Herz in Seligkeit. Und jedes hatte einen anderen Himmel, darein die Seele geflogen war, und war doch nur eine einzige Wonne, ein einziges Gl�ck, wenn auch in verschiedener Mischung und F�rbung.

Wehmuthstrunken verlor sich Greges Blick in die sonnenverschleierte Ferne, er wendete den Kopf ein wenig seitw�rts, von Maikka ab. Diese aber sah gierig an seiner Gestalt hinauf, bis an seinem feinen, vom Haar beschatteten Profil ihr Auge haften blieb in z�rtlicher Bewunderung: — Er ist sch�n, gl�hend sch�n, mein Grege — und ihre schwellenden Lippen feuchteten sich in dunklem Roth, als w�re s��er Thau auf sie gefallen.

Beide fuhren pl�tzlich erschreckt auseinander.

Fox war ihnen nachgeschlichen und mit einem Satz — hopp! �ber ihre verschlungenen H�nde hin�ber und davon, feldeinw�rts, mit Gebell.

— Wem geh�rt das streunende Thier eigentlich, Maikka?

— Dir, mir, uns Allen, haupts�chlich dem, der es am meisten lieb hat. Und das wechselt. Neulich wich er mir eine Woche lang nicht von der Seite. Jetzt scheint das anders zu sein. Und dann das Jagdvergn�gen, wei�t Du.

Grege’s Gedanken waren schon wieder auf anderer F�hrte.

— Wie kommen wir hinaus, an den Fjord, in die Anstalt?

— Wir kutschiren, Grege.

— Wie ist das?

— Wir nehmen einen kleinen, zweisitzigen Wagen und spannen ein Pferd vor, ein recht flinkes.

— Das ist doch unglaublich schwierig und altmodisch.

— Das Kutschiren? In unserem Falle tausendmal sch�ner, als das tr�ge Hinausgleiten mit der Elektrischen oder das schl�frige Gondeln in der Luft.

— Aber es ist gef�hrlicher und wir verlieren Zeit.

— Wir verlieren Zeit, Grege, wenn wir bei einander sind? Ich bitte Dich! Gef�hrlich, was hei�t gef�hrlich? Das ist schlie�lich Alles . . . f�r den Aengstlichen.

— Aber anstrengend mu� das Kutschiren sein, nicht?

— Das ist ja das Sch�ne am Altmodischen, wie Du sagst, da� es anstrengend ist. Sieh’ mal hin�ber, dort hinter der Allee rutscht die Elektrische dahin, und wir gehen doch auch hier zu Fu� und schlendern und w�hlen uns Pfade nach Belieben. O, das Kutschiren! Das wirkt st�rkend auf Geist und Gem�th, das giebt Witz und Widerstandskraft, das st�hlt die Nerven. Du wirst h�pfen vor Freude, glaub’ mir, Grege.

— Ihr nehmt doch Alles anders in Nordika. Diese Art der Weiterbef�rderung bin ich gar nicht gewohnt.

— Eben darum, Grege! Ist nicht das Ungewohnte das Belebende? F�hlst Du das nicht? Frag’ einmal Deine Beine! Haben sie nicht Freude am Marschiren? Sind sie nicht vergn�gt, da� sie sich an Allem kr�ftig betheiligen d�rfen, was wir unternehmen?

Grege lachte.

— Frag’ sie doch, Du eigensinniger Mensch! Und Maikka lachte mit.

Links und rechts auf der Flur tauchten arbeitende Menschen auf. Von einem eingefriedigten Weideplatz schallte Muhen und Bl�ken her�ber. Man h�rte Sensen dengeln, Leute sich zurufen, V�gel singen.

Wieder wechselte Maikka den Weg. Sie w�hlte einen, der, ganz mit jungen Birken umbuscht, gar still und heimlich war.

— Du, Maikka, ich habe meine Beine gefragt.

— Nun?

— Sie sind m�de und hungern nach Ruhe.

— O, ihr ewigen Hungerleider! Gleich jetzt sollt ihr gef�ttert werden. Die armen hungrigen Beine. Wartet, ich wei� ein Mittel.

Und sie kniete sich vor Grege nieder und bearbeitete ihm die Waden, eine nach der andern, mit beiden H�nden, energisch, durch Streichen, Kneten, Dr�cken, Klopfen, dann pre�te sie ein Knie um’s andere und schlug lachend mit der Handschneide in die Kniekehle, da� Grege einknickte.

Dergleichen hatte noch kein Weib an ihm probirt.

— H�r’ auf, Maikka, das schmerzt ja. Gr��lich schmerzt’s.

— Nachher wird’s Dir wohl thun. Gieb mir die H�nde, heb’ mich auf. Und nun vorw�rts!

Grege ri� sie so stramm auf, da� sie an seinen Leib flog und einen Augenblick an seiner Brust lag.

— Maikka, was m�ssen die Leute denken!

— Da� Du ein Narr bist! Und sie eilte lachend voraus: — Hier giebt’s �brigens gar keine Leute. Nur Blumen, B�ume und liebes Vieh.

Als Grege nicht gleich folgte, sondern seine schmerzenden Waden rieb, duckte sich Maikka auf den Boden und machte sich klein, ganz klein, zu einem H�ufchen.

Wie ein spielendes M�dchen rief sie neckisch: — Allahopp, Fox, �ber mich hin�ber! Eins, zwei — drei!

Und wahrhaftig, die zwingende Gewalt ihres Auges, ihrer Stimme und Stellung war so gro�, da� Grege einen Anlauf nahm und �ber das kauernde Weib hinwegsetzte. Seine Fu�fohlen streiften ein wenig ihre elektrischen Haare.

Sie sprang auf, klatschte in die H�nde: — Himmlisch! Aber jetzt m�ssen wir ernsthafte Leute sein und wieder vern�nftig reden. Hast Du mich lieb, Grege?

— Ist das vern�nftig geredet?

— Enorm, wenn Du ja sagst.

Da eilte mit hochgeschwungenem Schwanze ein rothes K�tzchen �ber den Weg, eine piepsende Maus im M�ulchen.

— Ah, siehst Du, Grege, die war auch an der Arbeit.

— Und wir schlagen die Zeit mit Spielereien todt.

— Sie verdient’s nicht besser. Ich habe Freistunde. Und Du lernst doch was unterwegs, Du dummer Mensch, nicht? Mach’ die Augen auf, jetzt wird’s interessant.

Und voll unersch�pflichem Uebermuth griff sie ihm am Nacken hinauf und packte seinen Kopf und dr�ckte ihn nach links.

— Was ist das dort, Grege?

— Ein Haus.

— Gut geantwortet. Ein Haus. Und was hat das Haus?

— Ein Dach, Fenster, eine Th�r.

— Sehr gut geantwortet. Und zur Th�r treten wir ein.

— Durch die Th�r, Maikka, nicht zur Th�r.

— Himmel, macht der Sch�ler Fortschritte. Jetzt ist er schon �ber seinen Meister und korrigirt ihn.

— Nicht Meister, Meisterin, mit Verlaub.

— Wer sagt Dir, Grege, da� ich eine Meisterin bin, also ein Weib? Bin ich denn ein Weib? Was wei�t Du vom Weibe? Dann m��test Du ja ein Mann sein! Bist Du ein Mann? Dann m��test Du ja das Weib lieben! Und Du liebst mich ja nicht. Also!

— Das ist eine tolle Geschichte, murmelte er erhitzt.

— Nein, das ist keine tolle Geschichte, das ist ein logischer Schlu�, Du verzauberter Prinz aus M�rchenland.

Und sie schritt hart an seiner Seite und dr�ngte ihn mit einem Druck, ihrer Schulter links vom Pfad in einen langen Gang von wilden Weinranken, der gerad auf das Haus zuf�hrte. Sie hielt pl�tzlich vor Grege still und hauchte in fieberhafter Erregung, athemlos: — Gieb mir einen Ku�. Ich verdurste.

Und er k��te sie auf die duftigen Haare und auf die Stirn.

Sie aber schlang sich an seinem K�rper in die H�he, suchte seinen Mund mit ihren Lippen und saugte sich daran fest.

In j�her Leidenschaft loderte Greges Blut. Er pre�te Maikka, da� sie aufschrie und zu Boden fiel, wie er pl�tzlich die Arme �ffnete.

Als er sich den Mund wischte, fand sich Blut an seinen H�nden, an der Stelle von Jalas Stern.

— Du bist eine Wilde, knirschte er.

— Du bist ein, Starker, st�hnte sie am Boden. Ich f�rchte, Du hast mir weh gethan.

— Wer wohnt in dem Hause?

— Niemand au�er Ingeborg, meiner Gro�mutter. Willst Du sie kennen lernen? Dann komm! Heb’ mich auf, ich bitte Dich.

Er nahm sie auf seine Arme und trug sie wie ein Kind, festen Schritts durch die Laube �ber die Schwelle. Da stellte er sie nieder.

Die Th�r war offen. Niemand in der Wohnung. Die Stube ganz einfach, sauber und behaglich, wie in Erwartung lieber G�ste. Durch die Fenster ein Blick wie ins Paradies. An den W�nden ein paar seltsame alte Bilder und Uhren, auf dem Sims altes, blaues Porzellan und mattgl�nzende Zinngef��e. Ueber einem gro�en, tiefen, lederbezogenen Lehnstuhl ragte das Bild einer gravit�tischen alten Dame, mit einer wunderbaren gro�en Haube von blendendem Wei�.

— Das ist Gro�mutter. Das Bild ist von mir gemalt. Gef�llt es Dir? Ich werde Dich auch malen.

— Aber nicht so.

— Nein, du bekommst keine Haube. Du bekommst einen Fl�gelhelm. Nun setz’ Dich in den Gro�vaterstuhl und raste, Du Starker. Hast Du Hunger?

Er bejahte und verneinte zugleich.

— Der Mundvorrath wird knapp sein, l�chelte sie mit stechend gl�nzenden Augen, die immer gr��er zu werden schienen, als wollten sie ihn verschlingen.

— Der Mundvorrath, was ist das? fragte Grege.

Und Maikka warf sich �ber ihn und schl�pfte f�rmlich in ihn hinein und k��te ihn, als wollte sie ihm die Seele aus dem Leibe k�ssen.

Und Grege lie� sie gew�hren.

Denn sie gehabte sich, als sei au�er ihr und Grege jetzt Niemand auf der Welt.

Au�er dem berauschend s��en Duft der Blumen, der vom Garten durch Th�r und Fenster fluthete, schien wirklich in diesem Augenblick nichts Lebendiges da zu sein. Und wie eine immer dichtere Wolke von Wohlger�chen umh�llte der Athem der tausend Blumen das einzige Menschenpaar, da� es aus seliger Bet�ubung kaum mehr erwachte.

Als das Irdische wieder sein Recht forderte und die Seligen aus dem Himmel wieder zur�ck auf die Erde kamen, etwas erm�det von der weiten Reise durch den Aether, fanden sie sich immer noch allein in der Stube.

— Ich erinnere mich jetzt, Gro�mutter Ingeborg ist zu dieser Zeit nie daheim, wenn sie wohl ist. Und die Gl�ckliche ist nie unwohl. Nun will ich die Wirthin machen.

Maikka verlie� die Stube und kam mit einem Krug Milch und einem gro�en Pfefferkuchen zur�ck.

— Hier, Grege, lass’ Dich erquicken. Ich bin schon lange nicht mehr so gl�cklich gewesen. Und Du?

Grege sch�ttelte mit irrem L�cheln den Kopf, dann nahm er aus Maikkas H�nden den Krug und that einen tiefen Zug.


Kapitel 16

Die Reise an den Fjord mu�te verschoben werden. Das Wetter verbot jeden gr��eren Ausflug. Seit einer Woche war die Luft voll Ungewitter und St�rme, die kaum ausgerast, sich stets neu zu geb�ren schienen in �bersch�umender elementarer Gewalt.

Grege versuchte, da er die meiste Zeit in Maikkas Bibliothek zubrachte, einmal systematischen Studien in der V�lkerkunde obzuliegen. Es wollte ihm nicht gelingen. Die Sammlung fehlte, die Konzentration der Gedanken, die allein zu einem eindringenden Verst�ndni� den Weg bahnen kann und mit dem Verst�ndni� die Lust am wachsenden Schatz der Erkenntni� rege erh�lt. Grege fluchte oft auf Teuta, das in seinem versteinerten Bildungswesen aller wirksamen Mittel sich beraubte, dem jungen Volk den Sinn f�r wahre wissenschaftliche Anstrengung zu sch�rfen. Wieviele unsch�tzbar werthvolle Jugendjahre mu�te er daheim vergeuden, um das todte Zeug sich einzupauken, das der blinde Autorit�tsfanatismus der Schulgewalthaber von Staatswegen als alleinwissensw�rdig verordnet. Jetzt erst ging ihm ein Licht auf �ber die Geistesnacht, die in Teuta Jung und Alt gefangen hielt. Daheim f�hlte er, wie viele seiner begabteren Jugendfreunde, sich nur unbefriedigt von dem gelehrten Quark, der sich nicht verdauen lassen wollte, der schwer und w�st blieb, trotz aller mechanischen Einordnungsspiele, und sich nie in gesunden, kr�ftigenden Lebenssaft verwandelte. Doch �ber die Ahnung, da� das nicht das Rechte sei, da� es Besseres, Ges�nderes, Neueres, Fr�hlicheres geben m�sse, konnte er nicht hinaus kommen. Jede Sehnsucht nach dem sonnigen Leben frischer Erkenntni� wurde dem jungen Volke mit der pfiffigen Formel ausgeredet: Das Alte ist das Bew�hrte, das Neue ist das Gef�hrliche, wir sind mit dem Alten das erste Bildungsreich der Welt geworden, also haltet Euch an unserer Autorit�t, Ihr werdet den Segen der �berlieferten Kulturideale und Kultursch�tze schon noch an Euch versp�ren, auch wenn sich Euer unreifes Gef�hl jetzt dagegen wehrt; Ihr m��t Euch auf denselben Wegen vorw�rtsarbeiten, auf denen wir in die H�he gekommen sind, alle anderen Wege sind verderblich f�r Ordnung, Zucht und Sitte, f�r den Bestand des Staates, der f�r einen richtigen Teutamann das Theuerste sein mu� auf der Welt. So will’s unsere Weisheit, denn sie ist auf die tiefste Einsicht in die Naturnothwendigkeit aller Dinge gegr�ndet. Will das Ei kl�ger sein als Henne und Hahn?

Gluckgluckgluck, zippzippzipp —

Und Grege schlug das Buch zu und lachte zornig auf, wenn er an die anma�liche Frechheit und lebensm�rderische Aufschneiderei seiner Teuta-Autorit�ten gedachte. Na, auch diese Ilios wird st�rzen.

— Du lachst aber komisch, Grege, rief Maikka, die in der N�he sa� und emsig ihren n�chsten Vortrag vorbereitete.

— Ein Wunder. Wenn Du meinen verw�steten, ver�deten Kopf h�ttest, Du w�rdest noch Anderes thun.

— Gewi� w�rde ich das. Ich w�rde ihn wieder herzurichten und urbar zu machen suchen. Ich w�rde die W�stenei langsam, langsam, aber beharrlich in Fruchtland verwandeln. Zeit lassen! Du bist noch so jung, Grege! Du wirst Deine Welt noch erobern, glaube mir!

Ja, er glaubte ihr. So lange er sie vor sich hatte wenigstens, so leib- und geistesm�chtig, so willensstark, so unersch�tterlich selbstst�ndig. In ihrer unmittelbaren Atmosph�re da lebte und brodelte Alles, und war doch voll reifer Klarheit und lachendem Sonnenschein. Aller Verstandesbesitz war ihr zugleich Gef�hlsbesitz. Da lag nichts fremd auseinander. Da quoll Alles brunnentief und vollkommen frisch und unmittelbar, gesund und nat�rlich aus einem innerlichen Zentrum, aus einem �berreichen Kernpunkt.

Und wer von ihrer magnetischen Anziehungskraft ber�hrt wird, der kommt nimmer los.

— Nimmer los? rief’s wie ein fernes, m�des Echo in seiner Brust.

Und wer von dem geheimni�vollen Duft ihres Blutes genossen hat, dem wallt das eigene Blut in seltsamer Leidenschaft und wilder Begeisterung, und es ist, als w�chsen ihm Zauberfl�gel an den Schultern, und kann doch sich nicht aufschwingen und in seiner eigenen H�he schweben und fliehen wohin er mag. Sie befreit und l�hmt zugleich.

— Befreit und l�hmt zugleich? rief wieder das Echo, noch ferner und m�der.

Aber da klang Maikkas Stimme, und obwohl er abgewandt sa�, glaubte er doch zugleich ihre Blicke in seinem Auge und Gehirn zu sp�ren.

— Was sagtest Du, Meisterin?

— Ich sagte, Du solltest Geduld haben. Das Wissen ist wie das unendliche Meer. Nur ein tr�umendes Kind w�hnt, es in der Eile und mit der hohlen Hand aussch�pfen zu k�nnen. Das merke Dir, wer einmal von diesem Wasser getrunken, den wird ewig d�rsten.

— Und was arbeitest Du jetzt?

— Ach, ich bohre auch hartes Holz. Hast Du schon von der Gesteinsbildung durch Pflanzen geh�rt?

Grege wiederholte sich leise die Frage. Nein, er erinnerte sich nicht, davon geh�rt oder dar�ber nachgedacht zu haben.

— Aber von der Gesteinsbildung, oder der bedeutenden Betheiligung an ihr durch die Thierwelt wirst Du geh�rt haben? Auch davon nicht?

— Ist das etwas Mechanisches? Etwas was unser Teuta-Oberphysikus nacht�pfeln k�nnte?

Maikka lachte kurz und schrieb weiter.

— Liebe Meisterin, wenn’s nichts Mechanisches ist, kannst es nicht von mir verlangen. In Teuta lehrt man nur das Mechanische.

— Unsinn. Du bist jetzt in Nordika.

— Gut. Also wie ist’s damit? Mit der Gesteinsbildung durch Thiere zun�chst!

Maikka legte den Stift in das Buch und streckte die Arme aus, die ihr ein wenig steif geworden waren.

— Hast Du noch nicht dar�ber nachgedacht, wie zum Beispiel die ragenden Kreidefelsen an der K�ste der Angelos oder die Dolomitenfelsen in den Alpen oder gewisse Inseln im stillen Ozean entstanden sind?

— Ich bitte Dich, wie soll ich dar�ber nachdenken, da ich das Alles noch niemals gesehen habe, niemals dort gewesen bin?

Maikka sch�ttelte den Kopf, halb �rgerlich, halb mitleidig.

— Du bist ein gro�es Kind, Grege. Hast Du denn wenigstens nicht Abbildungen davon gesehen?

— Gestatte, da� ich verneine.

Sie schnellte von ihrem Sitze auf, entnahm aus einem Schrank einen riesigen Folianten und legte ihn vor Grege auf die Tafel.

— Such’ Dir selbst das N�thige auf, ich habe jetzt wenig Zeit. Den urspr�nglichen Baustoff zu den Dolomiten in den Alpen haben kalkabsondernde Seethiere geliefert, die Inseln im stillen Ozean wurden von Korallenthieren gebaut, und die K�sten der Angelos bestehen zum gr��ten Theil aus den Kalkgeh�usen der mikroskopischen Foraminiferen.

— Foramif — —?

— Foraminiferen, Urthiere, die mit den blo�en Auge nicht wahrzunehmen sind.

— Gut, sch�n, gro�artig. Aber ich wei� nicht, ob ich mir diesen werthen Namen der unsichtbaren Kalklieferanten der Angelos jemals werde merken k�nnen. Schadet nicht. Es gen�gt mir, da� Du ihn wei�t. Ich glaube Dir auf’s Wort. Wie ist’s nun mit den Pflanzen?

Maikka lief, turnerische Bewegungen beim Sprechen ausf�hrend, zwischen den B�chergestellen hin und her.

— Da� auch die Pflanzenwelt am Aufbau der Erde wacker mit gearbeitet, wird Dir einleuchten.

— Leuchtet mir ein, nat�rlich. Man konnte den armen kleinen Thieren diese Arbeit nicht allein aufhalsen. Weiter im Text, Meisterin!

— Du wei�t doch Etwas von den Bergwerken?

— Na und ob! Unser Teutavolk wohnt zu Dreiviertheilen unter der Erde in den Riesenr�umen der ehemaligen Bergwerke des zweiten Jahrtausends und zu einem Viertheil zwischen den kolossalen Schuttbergen, welche die alten Bergwerksv�lker �ber der Erde aufgeschichtet. Das waren die unsichtbaren Bauthiere unseres Landes.

— H�tten sie die L�cher lieber wieder mit den Schuttbergen ausgef�llt, das w�re f�r euch Teutamenschen heilvoller gewesen. Solchen feigen Erdschlupfern mu� man den Boden zusch�tten, damit sie zu ihrer besseren Natur gezwungen werden.

— Dagegen wende ich nichts ein, Maikka. Aber es war nun einmal das Schicksal des allzeit tiefsinnigen Teutavolks, in der Noth der Zeiten — vergi� das nicht! — sich in die Tiefen der Erde zu fl�chten. Sp�ter, wie’s immer geschieht, bleibt man im sch�tzenden, warmen Loch hocken und macht sich aus der Noth eine Tugend und rechtfertigt sie mit der Staatsweisheit. Fatal, aber unvermeidlich.

— Hinter diese Unvermeidlichkeit erlaube ich mir ein Fragezeichen zu setzen. Bei einiger Ueberlegung und Energie h�tte der Schlupfwinkel in der Noth nicht auch der letzte Zufluchtsort in der guten Zeit bleiben m�ssen.

— Die Macht der Anpassung, der Gewohnheit, Maikka!

— Auf die sich alle historischen Faulpelze hinausreden. Der neue Geist baut sich einen neuen K�rper und schafft sich neue Wohnst�tten.

— Wir hatten eben keinen neuen Geist.

— Das ist wahr, den hattet ihr in Teuta niemals.

— Siehst Du, jetzt zanken wir uns schon wieder. Es ist komisch, wir k�nnen keine zehn Worte wissenschaftlich miteinander reden, geht der Zank los. Ach, Maikka —

— Das nennt man nicht zanken, in der Wissenschaft, sondern opponiren.

— Danke, Meisterin! Fahre jetzt mit den Pflanzen fort, ich werde Dir nicht einmal opponiren. Ich sitze still und spitze die Ohren.

— Das sollst Du auch nicht, Grege.

— Was soll ich denn? rief er jetzt in komischer Verzweiflung und sprang von seinem Sitz.

Maikka schob seinen Arm in den ihrigen.

— Das sollst Du: Mit mir spazieren. Da spricht und h�rt sich’s gem�thlicher.

Und nun schritten sie selbander den Saal ab, Arm in Arm, Meisterin und Sch�ler. Und um gr��ere Fl�che zur Verf�gung zu haben, �ffnete Maikka einen zweiten und dritten Saal, und im taktm��igen Gehen �bte die kluge Meisterin laut dozirend ihren n�chsten Schulvortrag ein, mit dem erw�nschten Genu�, im Probeh�rer zugleich einen geliebten Menschen in warmer F�hlung zu haben. Drau�en klatschte der Regen unabl�ssig und erk�ltend an die Scheiben, so da� sie sich innen mit feuchtem Hauch �berzogen.

Ab und zu warf Grege ein bewunderndes Wort dazwischen, dann dr�ckte die Sprecherin seinen Arm mit besonderer Innigkeit.

— Algen? Gro�artig!

— Ja, es sind fast ausnahmslos Algen, die in dieser Weise bei der Aufspeicherung der Kalkstein-Vorrathskammern th�tig gewesen sind. Sie sind Gesteinsbildner ersten Ranges. Lange haben die Naturforscher geschwankt, ob sie die Algen zu den Thieren oder zu den Pflanzen stellen sollen.

— Die Naturforscher! l�chelte Grege.

— Sie leben im Meere . . .

— Die Naturforscher?

— Die Algen leben im Meere, besonders auf den Korallenriffen und gleichen �u�erlich Polypen-St�cken, da ihr ganzer K�rper mit einer Kalkschicht bedeckt ist und steinhart erscheint. Diese Korallen-Algen, von den �ltesten Naturforschern, am Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts noch, Nulliporen genannt, haben in fr�heren Zeiten der Entwicklung unserer Erde m�chtige Gesteinsschichten aufgebaut. Vor hundert Jahren noch hat man bei Ausgrabungen in den Ruinen von Paris ungeheure Massen von Baustein gefunden, der aus Foraminiferen-Sch�lchen gebildet ist, w�hrend man in den Ruinen von Wien haupts�chlich Bausteine fand, die aus den Ger�sten von Kalkalgen gewachsen sind.

— Und in den Ruinen von Berlin? fragte Grege dazwischen.

— Dort liegt das Meiste noch unber�hrt. Aeltere Ausgraber, namentlich amerikanische Arch�ologen, versicherten, die Arbeit lohne zu wenig, da man bislang noch nichts eigenartig Werthvolles gefunden. Eine andere Gruppe von Algen bilden die Erbauer des Travertins, jenes Kalkgesteins, aus dem die ungeheuren Bauten des altklassischen Roms und zum Theil auch des p�pstlichen Roms errichtet sind. Hier sind die Ausgrabungen nicht wieder aufgenommen worden, seit die P�pste unter dem Pontifex Nathanael Rothschild IX. Europa verlassen und die letzten Reste des Vatikanismus nach Amerika gerettet haben. Denn auch die Nebenp�pste in Konstantinopel und Sevilla haben damals, ihres unersprie�lichen Wirkens m�de, den europ�ischen Staub von ihren Pantoffeln gesch�ttelt, und haben ihre Statthalterei �ber den Ozean getragen, nach S�damerika und Australien.

— Was ich ihnen nicht verdenke, meinte Grege still f�r sich.

— Die gro�artigsten Bildungen dieser Algenart, aus der Gruppe der . . . der . . . Schizophyceen, finden sich in Amerika. Unter den hei�en Quellen des Yellowstone-Parks haben die Mammuthsprings gewaltige Travertinmassen abgesetzt, die eine Ausdehnung von �ber zwei Quadratmeilen und eine H�he von einigen tausend Fu� erreichen. Auf dem gl�nzenden Wei� der ungeheueren Travertin-Terrassen heben sich gelbe und rothe, gr�ne und braune Streifen und Flecken in Menge ab und zeigen den Lauf des herabrinnenden Wassers. Es sind die Anzeichen eines �ppigen Algenwuchses, der je nach der Temperatur des Wassers bald diese, bald jene Farbe zeigt. So erscheinen bei 65 Grad nur wei�e Algen, die in der Regel mit seidengl�nzendem Schwefel bedeckt sind, bei etwas geringerer Temperatur stellen sich gr�ne Farben ein, bei noch geringerer W�rme kommen die rothen und orangefarbigen und in den k�hlsten Becken sind sie olivenbraun.

— Das mu� ja prachtvoll aussehen, rief Grege und blickte schw�rmerisch auf die gelehrte Meisterin, die unerm�dlich weiter dozirte.

Sie kam noch auf die Betheiligung der Moose bei der Sinterbildung, auf die kieselschaaligen, mikroskopischen Bazillarien, auf die Infusorienerde und vieles Andere zu sprechen.

Endlich brach sie ab. Grege war schon lange vor ihr erm�det und vermochte ihren Ausf�hrungen nicht mehr zu folgen. Aber er fand begeisterte Worte, ihr seine Bewunderung auszusprechen. Wie ein Mensch nur das Alles im Kopf behalten und so anschaulich wiedergeben k�nne!

Aber jetzt m�ge er zur Abwechslung etwas Anderes h�ren, etwas Ungelehrtes, Unwissenschaftliches, gestand er ihr. Etwas Drolliges und Phantastisches, sonst halte sein Gehirn nicht mehr aus. Es brumme f�rmlich in seinem Kopf.

— Ganz nach Prinzenart! spottete Maikka. Und ich b�ffle mit Vergn�gen noch eine halbe Stunde an der Ausarbeitung meines Vortrages.

— Ja Du, ein Weib!

— Warte, f�r diese Artigkeit sollst Du eine Extrabelohnung haben.

Grege spitzte schon den Mund und warf sich in Positur.

Aber er hatte sich diesmal verrechnet.

Maikka war an den Schrank geeilt, der ihre bibliographischen Rarit�ten und Kostbarkeiten enthielt.

Sie schleppte eine m�chtige Kupferstichmappe herbei.

Grege nahm ein altes, vergilbtes Blatt heraus, besah es nachdenklich.

Ein nacktes Weib, knieend, die H�nde vor das Gesicht geschlagen, vor sich das weite, stille Meer. Hei�es Sonnenlicht. Ein starres Schweigen im Himmel und auf Erden. Ein ersch�tterndes Alleinsein des Endlichen mit dem Unendlichen. Ein verzweifeltes Fragespiel. Als Schlu�ruf: Was gehen wir uns an, was haben wir miteinander zu schaffen? Nein, Grege wollte jetzt nicht an Jala denken. Jetzt nicht. Er ertr�ge es nicht.

— Viel zu ernst, klagte er und reichte das Blatt Maikka, die ihm �ber die Schulter sah.

— Barbar! Ein Max Klinger aus dem neunzehnten Jahrhundert. Seine wohlgez�hlten elf Jahrhunderte alt und so frisch und sch�n in seiner Empfindung, wie der junge Tag. Ein Blatt, so werthvoll wie ein M�rchenschatz Indiens: „An die Sch�nheit“. Und Dir viel zu ernst? Gut, ich wei� Dir Passenderes.

Wieder eilte sie an den Schrank, der ihre bibliographischen Rarit�ten und Kostbarkeiten enthielt.

Diesmal brachte sie einen m��ig starken Band, in Leder gebunden, arg von der Zeit mitgenommen, und schlug ihn mit feierlicher Miene wie ein Buch voll schauerlich geheimni�voller Beschw�rungen vor Grege auf.

— Kniee nieder, Barbar aus Teuta, und falte die H�nde wie die alten Gl�ubigen zum Gebet!

Es war der letzte Band der „Fliegenden Bl�tter“ aus dem Jahre 2001, Jubil�umsausgabe, das Einzige, was von deutschen Zeitschriften f�r die Nachwelt �brig geblieben.

An der Th�r erschien eine Dienerin mit der Meldung, da� der Aelteste des Bezirks bereit sei, Grege zu empfangen und ihn auf dem Rathhaus erwarte.

Maikka l�chelte triumphirend, denn sie hatte hinter dem R�cken Greges die Sache eingef�delt.

Grege l�chelte befriedigt, denn er hatte hinter dem R�cken Maikkas um den Empfang nachgesucht.

So hatten beide Theile einen vergn�gten Tag.


Kapitel 17

Die Dienerin hatte Grege einen gro�en braunen Mantel und einen breitkr�mpigen, weichen, braunen Filzhut gereicht. Ob er statt der Sandalen vielleicht Schuhe w�nsche? Ja. So brachte sie auch ein Paar bequeme Schuhe und nahm ihm die Sandalen ab.

Grege machte sich auf den Weg. Der Regen hatte nachgelassen. Die Luft war angenehm, aber f�r Greges Empfinden, nach dem langen Aufenthalt im geschlossenen Bibliotheksaal, zu wenig warm. Er zog sich den Mantel dicht um den Leib, h�llte auch die Arme darein.

Maikka wischte den Wasserdunst von der Fensterscheibe und blickte Grege nach.

— Odin als Wanderer. Er ist j�nger und elastischer, dabei doch m�nnlicher geworden. Seit er von Freyas Aepfeln genossen . . .

Und sie setzte sich stillvergn�gt wieder an ihre Arbeit, nachdem sie die kostbaren Werke von Greges Tisch genommen und sorglich in den Schrank geschlossen.

Der zwischen den verziehenden Wolken sanft hervorblauende Himmel hellte auch die Scheiben auf, deren Dunstbelag in raschen Rinnen abtropfte.

Der ernste Saal mit seinen etwas einf�rmigen B�chergestellen und Schr�nken, Tischen und Pulten gewann im wachsenden Licht eine heitere Stimmung, wie von freundlichen Geistern durchleuchtet. Es war wie ein erleichtertes Aufathmen nach dem Druck der tr�ben Elemente, die w�hrend des langen Regnens auf der Erde gelastet und ihre harten Schatten auch in diese lichte St�tte der Erkenntni� und Aufkl�rung geworfen.

Maikka legte ab und zu den Stift weg und rieb sich die H�nde. Sie war sehr zufrieden. Die Arbeit schmeckte ihr vortrefflich.

Grege machte manchen Umweg. Zuf�llig kam er an Gro�mutter Ingeborgs Gartenhaus vor�ber, das nicht auf der geraden Linie zum Rathhaus lag. Heller, etwas zitteriger und gebrochener Gesang klingt heraus. Gro�mutter Ingeborg singt. Sie ist also daheim, das Herz ist ihr voll und sie str�mt den Ueberflu� in T�nen aus. Das Gl�ck wohnt in dem Haus. Grege l�chelte und schickte ihm einen eiligen Gru� hinein. Grege gr��t das Gl�ck. Wie das klingt, und wie ist es wahr!

Der Gedanke: Grege gr��t das Gl�ck! schwellte seine Brust und befl�gelte seine Schritte. Wie reich und sch�n ist das Leben in Nordikas Freiheit, wie licht und leicht. Sogar die Wissenschaft, die Gesteinskunde . . .

Ein Trupp M�dchen geht an ihm vor�ber, plaudernd, unbefangen. Von einem Altan sieht ein Mann herab. Auf einer stattlichen Birke sch�ttelt sich ein Vogel das Wasser aus dem Gefieder. Ein Hahn sitzt auf dem Zaun und dreht den Kopf so, da� ihm die pl�tzlich hervorleuchtende Sonne gerade durch den rothen Kamm scheint.

Dort ist das Rathhaus.

Ein Geb�ude wie ein anderes, nur gr��er, nur reicher bemalt in Braun und Gr�n, und mit Sinnbildern und Schildereien auf den wei�en Wandfl�chen zwischen den Balken des oberen Stocks. Der untere Stock ist Steinbau.

Das Thor steht offen, Grege steigt eine Treppe hinauf. Er schl�gt den Mantel auseinander und nimmt den Hut ab. Es ist ihm fast ein wenig zu warm geworden. Er betritt den Raum, wo offenbar Versammlungen abgehalten werden. Keinerlei Einrichtungsgegenst�nde. Nur umlaufende B�nke an den W�nden, diese licht get�felt, die Decke blau gemalt.

Grege wendet sich einem breiten Wandelgang zu, an dessen Ende eine Th�r einladend offen steht.

Ein alter Herr tritt ihm entgegen, ein Herr, eine wirkliche „Hoheit“ (o Teuta!), kein gew�hnlicher Durchschnittsmann. Er ist wohl achtzig- oder neunzigj�hrig, seine hohe Gestalt ein wenig gebeugt, sein dunkelblauer, mantelartiger Anzug sitzt lose auf ihm, langes, wei�es, lockiges Haar wallt auf seine Schultern. Grege erinnerte sich nicht, je in ein w�rdevolleres und zugleich freundlicheres und g�tigeres Greisenantlitz geblickt zu haben. Seine Wangen sind zwar gefurcht, aber von lebendiger F�rbung, aus seinen blaugrauen Augen, von m�chtigen wei�en Brauen �berbuscht, leuchtet M�nnlichkeit und Wohlwollen zugleich. Ein patriarchalischer Herr. Klarheit und Entschiedenheit thronen auf seiner Stirn.

Mit h�flicher Handbewegung gr��t er Grege und ladet ihn zum N�hertreten ein.

Nun sitzen sie in einem dunkelget�felten, behaglichen Gemach auf Lederpolsterst�hlen einander gegen�ber. Durch die beiden m��ig gro�en Fenster sieht Grege auf gr�ne Baumwipfel, beregnet und besonnt, die Wassertropfen wie gl�nzende Kugelperlen an den Blattr�ndern.

Der Patriarch l�chelt: — Ich bin der Aelteste dieses Landschafts-Bezirks und hei�e Dich willkommen. Du bist Grege?

— Grege aus Teuta.

— Du bist uns vom Himmel gefallen, Maikka hat mir’s erz�hlt, unsere brave Meisterin.

— Ja, ich danke ihr viel.

Grege f�hlt sein Herz st�rker klopfen. Also hat sie schon von ihm berichtet?

— Du hast Seltsames erlebt. Du kannst Dich in Nordika vom Ungemach Deiner Reise erholen. Es ist uns interessant, einen jungen Mann aus Teuta zu sehen. Das ereignet sich nicht oft. Ich habe mir die Leute dort nicht so stattlich gedacht. Du bist der Erste aus Teuta, den ich sehe und spreche, und bin kein J�ngling mehr. Bl�ht Dein Land?

Grege l�chelte ein wenig zweifelhaft.

— Euer Wesen hat viel Merkw�rdiges und Abgeschlossenes. Aus den Berichten habe ich Mancherlei gelesen, das mir unverst�ndlich geblieben. Von ganz fremdartigen Ansichten und Einrichtungen.

— Das wird wohl sein. Die gro�en N�the und Wechself�lle unserer fr�heren Geschichte . . .

— Nun, wir in Nordika haben auch nicht immer Bl�thenzeiten gehabt. Kannst Du mir sagen, wie Euer gro�es Gemeinwesen verwaltet wird?

Grege kratzte sich hinter den Ohren und f�hlte, da� er jetzt ein feierlich verlegenes, fast dummes Gesicht mache.

— Wie kann ich das wissen? Das ist eigentlich ein Geheimni�. Wie das Meiste, was unseren Staat und seine Einrichtungen betrifft.

— Sogar f�r Euch Teutaleute selbst?

— Wir haben viele und verwickelte Traditionen. Es ist ein Mechanismus, in welchem nur Diejenigen Bescheid wissen, die durch Wahl zugelassen werden und sich dann eingehend damit besch�ftigen. Wir Anderen nehmen es auf Treu und Glauben.

— Und freut Euch der Ordnung. Und seid stolz auf Euer friedliches Gl�ck.

— O, nicht immer. Von meinen Altersgenossen wei� ich manche unzufrieden, und ich vermuthe, da� auch unter dem �lteren Volk Viele mit Vielem nicht einverstanden sind. Aber die Tradition, die Gewohnheit, der Glaube an die Nothwendigkeit, da�, wie es ist, f�r Teuta vern�nftig und n�tzlich ist, l��t nichts aufkommen. Dann die Eigenth�mlichkeit des Verkehrs untereinander, der eben kein Verkehr, sondern eine stetige Absonderung von Mann zu Mann, von Geschlecht zu Geschlecht, von Altersstufe zu Altersstufe ist und zur Grundlage die Sp�herschaft hat, so da� Keiner dem Andern so recht von Herzen traut. Wer an die Majest�t des Staates r�hrt, ist ein verlorener Mann, er ist vollkommen isolirt und f�llt aus dem Schutze der ehrbaren Meinung.

— Habt Ihr viele Gesetze?

— O, o, ein ganzes Netzwerk von Gesetzen, darein wir uns seit Jahrhunderten verstrickt haben. Da ist gar nicht mehr herauszukommen. Alles ist bei uns Gesetz und Regel. Unser Volk wei� gar nicht anders. Es steckt blind darin, wie in einer zweiten Natur. Und unsere Obersten sind die H�ter, da� an dieser zweiten Natur ja sich nichts ver�ndere, da� sie wie eine Kruste uns umkleide, ohne Ritzen und Spr�nge.

— Seltsames Volk seid Ihr. Da� Ihr so weiterlebt in dieser Haft, ist erstaunlich, blo� naturgeschichtlich angesehen. In der Wissenschaft von der Regierung galt seit alten Zeiten, seit den R�mern der Satz: „Das Verderben des Staates sind die Gesetze.“ Besonders jene Gesetze, welche neben einem ausgesprochenen Zwecke noch unausgesprochene Absichten verfolgen. Aber da mu� jedes Volk selbst zusehen. Selbst ist das Volk.

— Wie ist das hier in Nordika geschehen, da� es sich so frei und sch�n entwickelte?

— Unsere Vorfahren der letzten Jahrhunderte haben flei�ig probirt, in jeder Landschaft anders. Bis sie das Zweckm��ige gefunden. Als Fertiges ist ihnen nichts in den Schoo� gefallen. Da will ich Dir ein Beispiel erz�hlen. Nicht von dieser Landschaft, sondern einer weiter nach Norden gelegenen. Da hat vor ungef�hr hundert Jahren ein gewisser Holger die Gegend gesellschaftlich organisirt, als der Anarchismus anfing, den Leuten alle Freude zu nehmen. Grundsatz war sittsames Leben, warme Herzlichkeit, einfache Kost, schlichte Gewandung. Wer sich dazu verpflichten wollte, konnte mitarbeiten, wer nicht, mochte sehen, wie er sich weiter br�chte. Es war eine winzig kleine, bald verschwindende Zahl, die nicht mitthun mochte. Aller Besitz war selbstverst�ndlich gemeinsam. Jeder mu�te seine individuellen W�nsche dem Gemeinwohle unterordnen. Das war nicht schwierig, unter Gemeinwohl verstand man nichts Hinterlistiges. Um ihre Geisteskr�fte zu st�rken, gaben die Volksgenossen das Eheleben auch in der bescheidensten Form auf. Alles war gemeinsam, aber mit Ausschlu� jeden Zwangs auf die Gef�hle, kein Mann konnte ein Weib, kein Weib einen Mann zu seiner Lust zwingen. Die gemeinsame Verwaltung der Bed�rfnisse wurde mit Klugheit und Sparsamkeit geordnet. Die gemeinsame Regierung trat nur in au�erordentlichen F�llen in Gestalt einer allgemeinen Versammlung zusammen, der Aelteste war der Vorstand, jedes Mitglied der Versammlung hatte Stimme, die besten K�pfe gaben den Ton, die Dummen wurden niedergelacht. Als die Genossenschaft in ihrer Bl�thezeit stand, machte Einer, vielleicht ein Witzbold, den Vorschlag, dem Volke vorzuschreiben, was ein Jeder essen, anziehen, wann er zu Bett gehen und aufstehen, wie er gr��en sollte und dergleichen Kindereien. Es m�gen wohl kleine Unzweckm��igkeiten vorgekommen sein, aber dieser Vorschlag war doch nicht gut. Er wurde jedoch nicht niedergelacht, wie sich’s geziemt h�tte, sondern angenommen. Und von da ab war die Freude nur noch von kurzer Dauer. Man brauchte Aufpasser, die feststellten, ob Einer Schlag neun Uhr zu Bett gegangen und Schlag sechs aufgestanden, ob in der Nacht die Th�ren vorschriftsm��ig geschlossen, ob keiner bei der Arbeit ein Werkzeug muthwillig verdorben. Kurz, in Holgersland war die Freude weg. Es gab Vorhalte, Strafpredigten, Verstimmungen, Feindschaften. Da kam einmal harte Wintersnoth in’s Land, die Schutz- und N�hrmittel reichten nicht. Die Leute mu�ten bei den s�dlichen Nachbarn Hilfe ansprechen. Unter denen war ein starker Mann, der sagte nein, wir geben ihnen nichts, bis sie ihre Dummheit abthun. Was geschah nun? Die Nachbar-Genossenschaften tauschten erst ihre Meinungen und dann erst dauernde Hilfe aus, und so entstand schlie�lich ein Bund zwischen ihnen mit einem verbesserten Verwaltungs- und Regierungssystem. So ging’s weiter. Eine Landschaft borgte von der andern und lernte von der andern, sie verb�ndeten sich und bekamen immer zweckm��igere Ordnung. In dem Maa�e wie sie gesicherter und st�rker wurden, wuchs ihre Freiheit und Freude. Was die Einen probirten und ihnen einschlug, nahmen die Andern an, was fehlschlug, lie�en auch die Andern bleiben. Auf diesem Wege sind wir zu unserm heutigen Nordika mit den guten Zust�nden gekommen.

Der Patriarch bat um Entschuldigung, da� er so lange gesprochen, das Alter mache nun einmal redselig.

Grege dankte f�r das Geh�rte. In Teuta sei die Sache freilich nicht so gegangen. Und jetzt sei sie wohl auch nicht mehr so zu machen. Grund und Boden sei von anderer Art und die Menschen auch. Ein Ungl�ck geradezu sei es, da� sie in so dichten Massen beisammen hockten und sich nicht von einander loszul�sen und sich weit herum im Lande auszubreiten wagten. Alles Land weit um Teuta herum sei W�stenei, die W�lder verschwunden, die Fl�sse versumpft, von Garten- und Feldbau nicht im Traum zu reden. Die Teutaleute h�tten keinen Muth und keine F�higkeit dazu, obwohl sie von den vor tausend Jahren st�rksten deutschen V�lkerschaften stammten, die im einstigen Reich, das von der Nordsee bis an die Alpen ging, die oberste F�hrung hatten in allen Dingen. Die Teutaleute h�tten aus dem Zusammenbruche der sogenannten europ�ischen Kulturstaaten nur Tr�mmer gerettet und diese allerdings zu einer eigenartigen Kultur ausgebaut, aber seines Lebens werde man dabei nicht froh.

— In welchen K�nsten und Wissenschaften liegt Eure St�rke jetzt?

Grege antwortete mit Ueberzeugung:

— In der Feinmechanik und in der Chemie. Wir haben die winzigsten und feinsten Werkzeuge und unsere Handwerker haben Finger wie einst die geschicktesten Chinesen. Wir k�nnen Alles nachmachen auf k�nstlichem Wege. Wir sind selbst schon fast Automaten geworden. In der Chemie der Nahrungsmittel sind wir gleichfalls kaum zu �bertreffen.

Der Patriarch nickte mit einem L�cheln, das Grege erschreckte und dem�thigte.

— Ich h�rte Wunderbares. Man sagt, Ihr k�nntet die Menschen, zumal die Kinder, hundertweis verschwinden lassen und die Leichname der �ltesten Leute chemisch verfl�chtigen.

Grege senkte den Kopf und murmelte: — Ja, das k�nnen wir auch.

Er mu�te an die zornige Rede Maikkas �ber den Tauschhandel mit den Slavakos denken, und wie er jetzt von unten herauf durch’s Fenster schielte, vermeinte er ihr strafendes Gesicht durch die Scheiben zu sehen. Nichtsw�rdig war dieser Zustand in Teutaland, mit so bohrendem Schmerz und so ehrlicher Scham hatte er’s nie gef�hlt. Wenn ihm Jala ein Kind in Teuta geboren, er, Grege selbst, w�re nicht verm�gend gewesen, zu verhindern, wenn es das Loos slovakischer Tauschwaare getroffen, da� man es von der Brust der Mutter weg den Fremden zugeworfen. Im barbarischsten Alterthum h�tte man nichts Naturwidrigeres ersinnen k�nnen.

Mit flammendrothem Gesicht hob Grege den Kopf und sah den Blick des hoheitsvollen Aeltesten streng auf sich gerichtet.

Der Greis l�chelte wieder: — Euere Chemiker sollten das Ueberlebte nicht erst verfl�chtigen, wenn es zum stinkenden Leichnam geworden. Bei Euch sollten einmal die Jungen statt der Alten am R�derwerke des Staates sitzen.

— Wenn das ginge, sagte Grege tonlos.

— Wenn’s nicht geht, freilich, dann geht’s nicht. Das m��t Ihr wissen.

Der Greis erhob sich, r�ckte den Stuhl, lie� sich aber nach einem Blick durch’s Fenster wieder auf dem Sitze nieder.

— Wir vers�umen nichts, Grege. Der Regen setzt frisch ein. Ich mag jetzt nicht gehen. Vielleicht magst Du noch Eins mit mir plaudern. Zum Beispiel von dem �u�eren Bilde Teutas. Davon kann ich mir keine rechte Vorstellung machen. Wie sieht das aus? Ganz verschieden von unserem Land nat�rlich. Keine Wiesen, G�rten, Felder, rothe H�user, Weidepl�tze mit Thieren, Fluten mit Ackerleuten — das Alles nicht. Aber was denn und wie denn? Euere Stra�en sind G�nge und Schl�uche in der Erde, Euere Seen liegen tausend Klafter tief unter dem Boden, nicht ganz so tief Euere Versammlungss�le, Euere Spielpl�tze, Euere Werkst�tten und Wohnungen — und Alles von unten herauf beleuchtet, von oben herunter schweigend belebt. Ist das so? Hat Euch Euere Gem�thsart so nach unten gew�hnt? So eine Art Nibelheim, ja?

— Ja, so eine Art Nibelheim.

Grege st�tzte die Arme auf die Knie, legte das Gesicht in beide H�nde und murmelte: Nibelheim, Nibelheim.

— Nicht sehr heiter und so weiter, he? Aber es ist Deine Heimath. Sie ist Dir so heilig, wie uns die unserige. Ihre Seele ist Deine Seele. Du tr�gst sie in Deinem Blut mit Dir. Sie ist in Deinen Tr�umen bei Nacht . . . Hab’ ich recht, Grege? Es giebt kein nat�rlicheres Gef�hl als Heimathgef�hl. Meine V�ter wohnten schon vor f�nfhundert Jahren auf diesem Boden.

Grege nickte traurig.

— Und aus sich heraus formen sich die Menschen ihre Heimath wieder, aus dem Gesunden und Jugendlichen stammen die Ver�nderungen und Verbesserungen. Mit unserem Wissen w�chst unser Wesen, und wir gestalten es weiter in’s Breite und Gro�e, in unserer Umgebung. Maikka . . .

Grege hob den Kopf, seine Augen leuchteten in blauem Feuer.

— Maikka sagte mir, da� Du noch l�nger bei uns bleiben und lernen willst. Es ist so sch�n, jung zu sein und zu lernen und zu leben, nicht wahr? Man soll die Augen nicht verschlie�en vor dem Fremden, denn es lehrt uns das Eigene tiefer erkennen. Und man soll sich selbst seine Zweifel sagen und sich nicht autorit�tsf�rchtig vor sich selber ducken, so wenig wie vor den Anderen. Hast Du strebsame Freunde daheim, die treu zu Dir stehen?

— Die mu� ich mir noch schaffen.

— Schaffe sie Dir.

Grege h�tte dem Patriarchen mit dem wei�en Lockenhaar und den g�tigen Augen und dem beredten Munde um den Hals fallen — und Vater! rufen m�gen. Vater! Wem h�tte er in Teuta diesen Namen geben k�nnen, geben m�gen? Das ganze junge Volk dort, war’s nicht eine vaterlose Waisenbrut, im Dunkel erzeugt, im Dunkel verloren, trotz aller k�nstlichen Helle und Hilfe?

— Ich hoffe Dich wieder zu sehen, Grege. Du bist mir stets willkommen. Heute Abend machen unsere jungen Leute Musik im gro�en Versammlungssaal und f�hren T�nze auf. Du bist eingeladen.

Grege sagte zu.

Er wu�te nicht, da� Maikka bereits �ber seinen Abend verf�gt hatte.

Und er war ihr zu Willen und verbrachte die Nacht in Ingeborgs Gartenhaus und „gr��te das Gl�ck“.


Kapitel 18

Da war nichts zu machen: Maikka hatte heute wieder ihren lachhaften Tag. Nichts Ernsthaftes verfing bei ihr, Grege mochte sich anstellen, wie er wollte. Auf seine tiefsinnigsten Fragen nach den letzten Dingen im Leben und Denken, im Schaffen und Schalten hatte sie nur die eine Antwort: Du bist ein Narr — Alles kommt von den Sinnen, und der letzte Grund aller Dinge ist die Freude an sich selber. Was aus der Freudlosigkeit gewalzt wird, ist Blech. Grege, noch einmal, wenn Du mich anmoralisirst und anphilosophirst, so nehme ich all’ meinen Muth zusammen und verachte Dich, Amen.

Und dann brach das Lachen los. Eine ganze Symphonie, ein ganzes Konzert, eine ganze Oper, ein ganzes Musikdrama, eine ganze Weltdichtung in lauter Lacht�nen. Und wie sie ein anderes Register zog, da klang’s bald wie ein Choral, bald wie ein Schelmenlied, bald wie Lerchentriller, bald wie Amselruf, bald wie Nachtigallenschluchzen. Und immer neu und immer sch�n bei aller Tollheit.

Gestern, allerdings, da hatte auch sie mit des Lebens harter Pflicht wacker gek�mpft. Zun�chst in aller Fr�he geschwommen und geturnt mit einigen Schulsch�tzlingen unterschiedlicher Art, die sie erst zugewiesen erhalten, dann einer Konferenz mit Berufsgenossinnen beigewohnt zur Festsetzung des Arbeitsplanes f�r die n�chste Woche, in der sie sich zum Ausflug an den Fjord mit Grege etwas mehr Freizeit herausschlagen mu�te, dann am Nachmittag in der Volkshochschule ihren gro�en Vortrag �ber die Betheiligung der Pflanzenwelt an der Gesteinsbildung gehalten mit darauffolgender Demonstration und Besprechung, dann noch Dieses und Jenes, wobei sie ihren ganzen Kopf einzusetzen hatte.

Aber heute blieb ihr der volle Nachmittag und Abend frei. Und f�r sie gab’s nichts Inhaltsreicheres als das Nichtsthun in der Freiheit. Gast Grege wu�te davon zu sagen.

— Du bist jetzt meine Welt- und Selbstschau, rief sie und schleppte ihn auf den Thurm und auf die Fohlenwiese und in den Todtenhain (genannt „Liebesgarten der Abgeschiedenen“, wo die Asche der Abgeschiedenen auf die Beete gestreut wird und ein herrlicher Rosenflor weithin seine D�fte sendet, gleich letzten s��en Liebesgr��en) und in die unterirdischen Werkst�tten (denn alle Hantirungen, die mit st�rendem L�rm, Gepoche und Geh�mmer verbunden waren, mu�ten abseits von den H�usern in kellerartigen R�umen verrichtet werden, in ganz Nordika) und auf das Rathhaus und in eine Haushaltungsschule, wo es nur so von wei�besch�rzten, rothwangigen M�dchen schwirrte.

— Hast Du die M�dchen gern, Grege? Lieber als die Buben? Wie viele k�nntest Du einmal lieben von ganzer Seele, sag’? Wie gro� ist Euer Herz in Teuta?

Oft fand er auch ein schalkhaftes Wort zur Entgegnung, oft wu�te er dem Ansturm des Kobolds gar nicht Stand zu halten.

Merkw�rdig war es f�r ihn, zu beobachten, mit welcher Gewandtheit dieser Neckgeist die Ueberg�nge in die verschiedensten Gef�hls- und Aeu�erungsweisen fand, je nach der Umgebung und dem zuf�llig mehr oder weniger freiwilligen Zuh�rerkreis. Ohne Kom�die oder erzwungene Heuchelei, v�llig aus einem �berreichen Anpassungsverm�gen heraus und aus lebendigster Schulung. Alles Schroffe und Verletzende war �berwunden wie alle l�hmende Absichtlichkeit. Diese Nordika-Leute unter sich waren wie ein reingestimmtes Instrument, wo sich Alles zu Akkorden f�gt, je nach dem angeschlagenen Grundton, je nach der durchklingenden Tonart. Und wo ja einmal ein Mi�ton aufzitterte, da antwortete eine kluge Pause, bis es wieder stimmte.

Nur im Umgang mit ihm, dem ausgearteten Teutamann, in welchem so viel Dogmatisches, Verbohrtes, Pathetisches verschl�pft steckte, das nicht auszutreiben war, griff Maikka zuweilen fehl und traf nicht den gesuchten Ton. Da konnte sie dann herrisch aufbrausen und zu Gewaltsamkeiten des Ausdrucks sich fortrei�en lassen, da� Grege verbl�fft war.

Dankbar f�hlte er, wie unendlich viel er von dieser urw�chsigen und doch so verfeinerten Frauennatur lernte. Neue Horizonte er�ffnete sie ihm, neue Erkenntni�quellen, davon er in seiner Teuta-Beschr�nktheit seither keine Ahnung hatte. Es war ihm ein Geistes- und Herzensfr�hling, und wenn er �ber sich und seine frischaufgeschossenen Pl�ne und Zukunftshoffnungen nachdachte, stieg er in sich selbst herum wie in einem bl�henden Wunder. Jetzt erst glaubte er an sich, an seinen besonderen Beruf, in der F�lle der Klarheit, die in Nordika �ber ihn gekommen war. In seinen Gedanken f�gte sich Lichtpunkt an Lichtpunkt, bis sie sich zu einem hellen Ganzen verbanden, nicht mehr zerrissen, nicht mehr verschwimmend, sondern zusammengehalten wie von einem festen Kern, dessen innere Kraft durchgriff bis zum �u�ersten Kreis.

Aber lachen, lachen wie Maikka — nein, das w�rde ihm und seinen Teutaleuten wohl nimmer gelingen. Das setzte Siege �ber so wesentliche Teuta-Thorheiten voraus, da� noch Generationen daran sich die Z�hne ausbei�en mu�ten. Nur das stand ihm unverr�ckbar fest, da� der Kampf jetzt begonnen werden mu�te, mit einem wuchtigen Schlag. Noch wirbelte Alles g�hrend durcheinander in seinem Gef�hle, wenn er sich all’ die Widerst�nde und Verwicklungen ohne Ende ausmalte. Doch auch hier wird Rath werden, je n�her die Zeit der That r�ckt. Erst im Angesicht der Ereignisse selbst fallen die besten Entscheidungen. Hinein — und durch!

— Sag’ mir, Maikka, wer sitzt in Nordika �ber Euch zu Gericht, ich meine, wer entscheidet zum Beispiel �ber die Bedeutung eines Lehrers oder einer Lehrerin?

— Nun aber die Frage! Dar�ber kann doch vern�nftigerweise nur ein Gericht und kein anderes entscheiden, und das sind die Sch�ler. Wo in aller Welt k�nnte es anders sein? Wer entscheidet denn bei Euch �ber die Bef�higung eines Schneiders? Doch nicht ein Kollegium von Schneidern? Doch nur Diejenigen, welche sich das Maa� nehmen lassen und das Schneiderwerk an ihrem Leibe tragen? Ein Jeder kann doch nur von Denjenigen gerichtet werden, an denen er sein Werk aus�bt, nicht von Denjenigen, die mit ihm das gleiche Werk aus�ben, denn die m�chten aus irgend einem begreiflichen Hintergedanken heraus an dem Werke ihres Mitbewerbers immer Etwas zu m�keln haben. Hast Du noch mehr solche Fragen? Geht meine Antwort Euern Teuta-Idealen und Staatsweisth�mern wider den Strich? Wer entscheidet in Teuta �ber die Lehrer?

— Der hohe Oberlehrer, der H�ter des heiligen Wortschatzes.

— Da kommt ein Graben, gieb Acht, da� Du nicht auf den Bauch f�llst und Dir dabei das Genick brichst.

Und sie lachte �ber diese „Teuta-M�glichkeit“, da� sich ihre H�ften bogen. Es war auf dem Wege zur Fohlenwiese.

— Schau’ dort das M�del, Grege, roth wie eine Rose. Wer sitzt �ber die Rose zu Gericht? Eine andere Rose?

Grege, komisch angeregt, antwortete im parodirenden gelehrigen Sch�lerton: — Die Nase, die daran riecht, das Auge, das sich an der Farbe entz�ckt, die Finger, die schmeichelnd daran tasten . . .

— Und sich am Dorn stechen, vollendete Maikka im gleichen Ton, und sie fand den Spa� sehr gut. So viel Laune h�tte sie heute dem ernsten Staatsdenker Grege wahrhaftig nicht zugetraut.

Die Fragen in bunter Reihe, sprunghaft �ber die verschiedensten Gebiete, freuten Grege. Und wie die M�ckenschw�rme in der sonnigen Luft, so tanzten die Gedanken in seinem Kopf.

— Du, Maikka, wie ist’s in Nordika mit dem Kinderzeugen?

— Frage die M�tter auf der Fohlenwiese. Wir werden gleich dort sein.

— Halten’s die Menschen hier wirklich auch so? Wer hat, der giebt, und wer empf�ngt, der richtet sich darauf ein?

Grege nahm einen Anlauf, immer lustiger zu werden. Maikka hingegen zog es vor, jetzt ernst zu bleiben. Das hei�t, sie zog es eigentlich nicht vor, es kam ihr so.

— Bei einem nat�rlich gebildeten Volk, das auf sich h�lt, besteht die freie Wahl-Liebe, nicht wahr? Das Kinderhaben und die Ehe, die sich auf l�ngere oder k�rzere Zeit oder auf Lebensdauer darankn�pfen mag, ist Sache des Gef�hls und der wirthschaftlichen Erw�gungen. Leuchtet Dir das ein, Grege?

Grege eilte, mit einer neuen Frage zu kommen, denn pl�tzlich f�hlte er, als Teutamann, bei dem verha�ten Zustand in seinem Lande, br�chigen Boden unter den F��en. Er wollte die Szene von neulich nicht noch einmal heraufbeschw�ren.

— Geschichtlich ist die Ehe doch ein widerspruchsvolles Gew�chs.

— Sicherlich, Grege.

— Bei unseren germanischen Vorfahren, so vor ein und zwei tausend Jahren, wie es die Geschichte ausweist, ging’s ein wenig kraus zu.

Maikka brauste auf:

— Ein wenig kraus nur? Unsinnig ging’s zu, unsinnig bis zum Ekelhaften. Mit der damaligen Auffassung von Liebe und Ehe waren doch alle Naturbegriffe gef�lscht und alle Moralbegriffe obendrein. Sie hatten’s auch daf�r. Wenn man an ihre Ehe-Dramen denkt, fragt man sich, in welchem Tollhaus die Vern�nftigen und in welchem Schweinestall die Sittlichen gelebt haben. Und darauf hatten sie noch ein kirchliches und ein staatliches Patent. Neunzehntel aller Sorgen, Qu�lereien und Lumpereien einerseits, aller Poetastereien und Gef�hlsquaseleien andererseits drehten sich um ihr „Ewigweibliches“, was in ihrer Lebenspraxis doch nur ein Ewigabgeschmacktes war. Dazu hatten sie ihre „Frauenfragen“ jahrhundertelang, und nichts vom Standpunkt der Natur aus in direkter Frage, sondern immer aus der verdrehten Kampfperspektive und aus dem Gegensatz der Geschlechter und ihrer Dekadenz. Sich gegenseitig die Kette abzunehmen und der Natur ihren Lauf zu lassen, auf diese L�sung kamen sie nicht.

— Konnten sie nicht kommen, Maikka, eben weil sie ihre Natur verloren hatten. In Nordika habt Ihr gut reden. Ihr wi�t nicht, wie schwer man sich mit der Natur zusammenfindet, wenn man seit Jahrhunderten in allen St�cken mit ihr auseinander ist.

Plumps! Und diesmal lag Grege richtig auf der Nase. Er strauchelte �ber einen ersten und fiel �ber einen zweiten Draht, der am Boden gezogen war.

Maikka wu�te nicht, wo hinaus vor Vergn�gen.

— Siehst Du, wie schnell man die Natur findet, wenn man die Kultur �bersieht!

— Wie man nur so �ber Alles lachen kann, Maikka! Ich habe mir wirklich am Schienbein weh gethan.

— Kr�nkt sich das Schienbein, wackelt die Wade vor Schadenfreude. Warum soll ich nicht lachen? Lacht nicht auch der Himmel �ber uns?

— Er hat auch schon �ber uns geweint, f�rchte ich.

— Und wird’s hoffentlich noch �fter thun, auch wenn wir ihm keine Veranlassung bieten, aus freien St�cken.

Hinter einer m�chtigen Dornhecke lag die Fohlenwiese. Es waren nur einige �ltliche Stuten in der N�he, die faul am Boden lagen, w�hrend sich die Sonne in ihrem glatten, brandrothen R�cken spiegelte. Weiter dr�ben tummelte sich das j�ngere Pferdevolk.

Maikka fand schnell den Eingang. Mit H�ndegeklatsch und Zuruf jagte sie die Thiere auf. Bevor ihr Grege in den umhegten Raum folgen konnte, hatte sie sich bereits auf den R�cken des ihr zun�chst stehenden Pferdes geschwungen.

Sie sa� rittlings, knotete sich mit der rechten Hand in die wei�e M�hne und wendete sich nach Grege um.

— Mir nach, Grege!

Und sie flog dahin, die Haare im Wind. Ihr braunes R�ckchen flatterte. Ihre nackten Arme und Beine leuchteten.

Wie sollte er nun das wieder verstehen? Wollte sie ihn v�llig verr�ckt machen? Das Schauspiel war ja an sich ganz lustig anzusehen, diese galoppirende Amazone war ihm eine nagelneue Erscheinung. Er w�rde sich jedoch h�ten, ihr nachzumachen und den Hals zu riskiren. Die anderen Stuten betrachteten ihn sinnend, mit vorgelegten Ohren, dann trabten sie fort, Maikka nach.

Maikka ritt dr�ben mitten in die weidende Heerde, sprang ab und schwang sich auf ein anderes Pferd, das sie als das Leitro� erkannte. Ihr Lieblingspferd war heute nicht da, vermuthlich wegen anderweitiger Berufserf�llung. Das war n�mlich der Zuchthengst, ein herrlich edler und intelligenter Kumpan, unter dessen ritterlicher Obhut die gesammte Fohlenwiese stand. In seiner Abwesenheit f�hrte das Leitro�, gleichfalls ein tadelloses Thier, das Regiment.

— Wohin Du mit mir willst, vorw�rts! Hipphipp!

Das Thier griff aus und jagte rund um die Umz�unung, und der ganze Trupp hintendrein mit Gewieher und Gepruste, bis die Reiterin vor Grege hielt, der erschreckt zur�ckwich.

— Siehst Du, Teutamann, das ist gerittene Mythologie. Magst Du Dich zu mir aufsetzen? Willst Du’s griechisch oder altnordisch?

Grege mu�te ihr nun doch Beifall klatschen. Sie sah prachtvoll aus. Verkl�rt animalisch. Wie ein h�heres Thier. Und er h�tte wahrhaftig etwas darum gegeben, wenn er sich f�hig gef�hlt h�tte, sich zu ihr aufzuschwingen und mit ihr einen Ritt zu wagen.

Mit j�hem Gedankensprung warf ihm Maikka die Frage zu: — H�r’, Grege, kannst Du Dir Deinen Nationalheiligen Zarathustra hoch zu Ro� denken? Nein? Er war kein Reitersmann? Er hat nie vom R�cken eines edlen Rosses auf die Welt hinabgesehen, wie ich auf Dich jetzt hinabsehe? Er ist nie der aufgehenden Sonne entgegen, der untergehenden Sonne nachgeritten? Er hat nur Phantasiefl�ge gemacht, ohne Schlu� und Schenkeldruck? Das Pferd geh�rte nicht zu seinen heiligen Thieren?

— Was Du f�r Einf�lle hast, Maikka. Zarathustra hoch zu Ro�, die Umwerthung der Werthe zu Pferd!

— Dann werthe schleunigst seine Umwerthung um. Alle weltbewegenden Offenbarungen wurden der Menschheit vorgeritten, das Christenthum auf einem geduldigen Eselein, der Mohamedanismus auf einem feurigen Araber. Und Dein Zarathustraismus kommt zu Fu�?

Grege war gedankenvoll herangetreten und reichte ihr die Hand. Sie glitt vom Pferde in seine Arme.

— Das viele Lachen hat mich dumm gemacht, wahrhaftig. Pl�tzlich f�hle ich meinen Kopf so leer. La� uns den Heimweg suchen.

Sie hing sich an seinen Arm und folgte ihm schweigend im heraufziehenden Abendfrieden.

Sie war wie verwandelt.

— Ueber Zarathustra, fing sie sp�ter leise an, aber es war doch, als klinge wieder ein verhaltenes Lachen durch, — �ber Zarathustra mu� ich mit Dir noch besonders reden. Es sind die letzten Mucken, die ich aus Deinem Kopf vertreiben mu�. Kennst Du den vollst�ndigen Zarathustra?

— Die haupts�chlichsten seiner Reden, ja. Alle zu lesen wird in Teuta nicht f�r gut gehalten. Auch von den Kommentaren sind uns nur wenige erlaubt.

— Daran liegt nichts. In meiner Bibliothek kannst Du Alles finden. Aber sag’ mir, was wei�t Du von seinem Leben?

— Nicht mehr, als unsere Autorit�ten verk�ndigen. Er lebte um die Wende des zweiten Jahrtausends. Er war ein Heiliger und ein M�rtyrer. Erst f�nfhundert Jahre nach seinem Tode wurde er anerkannt. Bei Lebzeiten mu�te er sich wahnsinnig stellen, um seinen Henkern zu entgehen. Nachdem er gestorben war, h�rte man noch f�nfzig Jahre seine Stimme aus dem Sarge murmeln, und �ber seinem Grab sah man bei Tag seinen dunklen Schatten und bei Nacht seinen lichten Schein als Abbild der entschwundenen Gestalt.

— Das glaubst Du Alles buchst�blich?

— Es war jedenfalls ein wunderbarer Mann.

— Welcherlei Wunder hat er verrichtet, nachweislich? Da� er Euch Teutaleuten die K�pfe verdreht hat und da� Ihr, als Gegenleistung, ihm seine Lehre, soweit sie vern�nftig ist, verdreht habt, ist eigentlich so wunderbar nicht. Welcherlei andere Wunder also?

— Er hat den damals m�chtigsten Papst der Welt, einen Musikzauberer, der in Bayreuth einen Tempel errichtet hatte, als modernen Minotaurus entlarvt, in einer mit Blut und Galle geschriebenen Schrift „Der Fall Wagner“, die seitdem verschollen ist, weil die Verb�ndeten des Zauberers alle vorhandenen Exemplare an sich gebracht und vernichtet haben. So stark wirkte die Schrift, da� der Zauberer seinen Tempel verlie� und nach Italien floh. Dort trat ihm Zarathustra pers�nlich entgegen und setzte ihm so stark zu, da� der in die Enge Getriebene keinen Ausweg mehr wu�te, als sich aus einem Palast in Venezia in das Meer zu st�rzen. Aber selbst im Meere lie� ihm Zarathustra keine Ruhe. Sein Athem trieb den Leichnam durch alle Meere, um die ganze Halbinsel Italia herum, bis er an der Sirenen-Insel angeschwemmt und neben den Gebeinen eines anderen Zauberers aus dem Alterthum, Vergilius, bestattet wurde. Sp�ter gruben ihn die Gl�ubigen wieder aus und bestatteten ihn heimlich in seinem Tempel in Bayreuth.

— So lehrt Euere historische Wissenschaft in Teuta? Das l�uft Dir wie Auswendiggelerntes �ber die Lippen. Hast Du dar�ber auch nachgedacht?

— Man braucht wohl nicht Alles buchst�blich zu glauben. Aber das ist die Lehre unserer ersten Autorit�ten.

— Das l��t sich h�ren. Erz�hl’ weiter. In diesem Ton. Er sei ein Heiliger und ein M�rtyrer gewesen, lehrt Ihr. Wie begr�ndet Ihr das?

— Zum Heiligen macht ihn nicht blo� sein beispielloser Wahrheitsmuth, sondern auch sein enthaltsames Leben. Damals schwelgte die ganze Welt in einem braunen Taumeltrank, Bayerisch-Bier genannt, und die Gelehrten und Ungelehrten vertilgten t�glich und die N�chte hindurch unmenschliche Mengen dieser giftigen Fl�ssigkeit. Zarathustra predigte dagegen, zum allgemeinen Aergerni�. Namentlich die Leute waren w�thend auf ihn, die diesen Trank in riesigen Fabriken oder Apotheken, Brauereien genannt, herstellten und damit fabelhafte Summen gewannen, denn sie hatten besondere Bierbahnen um die ganze Erde gebaut, so da� fortw�hrend ein ungeheurer Bierstrom mit tausend Nebenfl�ssen und Kan�len den Planeten �berschwemmte. Diese Leute verfolgten den bierfeindlichen Zarathustra bis auf’s Blut und hetzten ihn von Land zu Land. Endlich entfloh er ihnen in’s Hochgebirg, in die Eisw�sten der Alpen. Er f�hrte stets einen Becher bei sich, aus den Quellen oder von der Milch der Gletscher zu sch�pfen oder den Regen des Himmels aufzufangen. Die �brige Nahrung brachten ihm die wilden Thiere zu, Adler und Schlangen. Geha�t und verfolgt wurde er auch von den Frauen, die nur um der physischen Wollust willen stets die M�nner um sich haben und sie als Werkzeugsthiere f�r ihre sinnliche Befriedigung unterjochen wollten. Denn in jenen Zeiten kannte man die freie, nat�rliche Liebe nicht. Man kannte nur die Zwangsehe und die Prostitution. Diesen Einrichtungen trat der heilige Zarathustra entgegen, wie einem giftigen Gew�rm setzte er ihren Anh�ngern den zermalmenden Fu� auf den Nacken. Ueber die Frauen jener Zeit hing er die Tafel auf: „Es ist besser in die H�nde der R�uber, als in die Tr�ume eines br�nstigen Weibes zu fallen.“ Einige alte Jungfrauen, die seine Lehre billigten, folgten ihm nach und verlie�en ihn nicht, so lang er in der Ebene und in den gro�en St�dten weilte, unter den gef�hrlichen, ausschweifenden Bestien. Sie bildeten seine Leibgarde und Schutzwacht.

— Auch das l��t sich h�ren, Grege. Du hast Deine historischen Autorit�ten gut inne. Und welches war das Ende Deines heiligen M�rtyrers nach der Lehre der Teutaleute? Sag’ Dein Spr�chlein zu Ende!

— Als er seinen Tod nahen f�hlte, floh sein Geist in den Leib eines mystischen Mechanikers und tadellosen Gelehrten, der viele Geheimnisse der griechischen G�tter ergr�ndet hatte, und wirkte hier noch lange in schrecklichen Schriften. Die Jugend war Feuer und Flamme f�r ihn. Die Alten versuchten ihn Anfangs zu widerlegen. Als sie aber sahen, da� sie von den Jungen nur verlacht wurden, lie�en sie’s und sch�ttelten betr�bt die K�pfe. Von Staatswegen, im Interesse von „Thron und Altar“, wie damals die Formel lautete, versuchte man ihn durch Todtschweigen umzubringen. Allein das gelang auch nicht. K�rperlich konnte man seiner nicht habhaft werden, weil er die Gabe besa�, nach Belieben die Gestalt zu wechseln.

— Wie nennt sich bei Euch jener tadellose Gelehrte?

— Nietzischki, denn er stammte von dem inzwischen von der Erde verschwundenen Volksstamme der Polen. Und hier beginnt schon unser Mysterium. Der Name Nietzischki darf in Teuta nur einmal im Jahre �ffentlich ausgesprochen werden, am Zarathustra-Feste, und zwar nur von mir . . . das hei�t, wenn ich dabei bin . . . wenn ich wiedererscheine . . .

— Ach, Grege, mir wird von alledem so dumm. Ich f�rchte, ich f�rchte . . .

— Was f�rchtet meine Maikka? fragte Grege z�rtlich, in kindlicher Sprechweise, wie sich selbst unbewu�t.

— Ich f�rchte, da� auch etwas von einem fremden Geiste, der sein Ende nahen f�hlt, in mich gefahren. Wenn ich ihn beherberge, werde ich gleichfalls Schrecken wirken m�ssen. Sag’ mir noch eins: Welche Zarathustra-Lehre stellt Ihr an die Spitze des mysteri�sen Systems?

— Die geheimni�vollen Gegens�tze: „Man soll die lieben, die Gewalt haben.“ „Man soll alles �berwinden, was Gewalt hat . . .“

— Nun wohl, Teutamann, schaff’ Dir Gewalt an, und ich werde Dich lieben. Versuche Gewalt �ber mich zu haben, und ich werde Dich �berwinden. Gut Nacht.

Und sie ri� sich von ihm los und eilte davon, wie von Gespenstern gejagt.

Und Grege stand allein im Felde, und vor ihm senkte sich die Finsterni� des Himmels herab auf die purpurne Erde. Er stand wie in einem Traum, mit schmerzlichem, allm�hlichem Erwachen, als w�re der Leib von der Seele verlassen gewesen und m��te sich erst Alles wieder ineinander finden. Was hatte er vorhin erz�hlt? . . . War das Ertr�umtes, Erdachtes, Erinnerung an einst Erlebtes, mit sp�teren Lehren und Phantasien und zugeflogenen Irrth�mern Vermischtes?

Noch eine Minute, und Nordika begann zu leuchten.

Grege wu�te lange nicht, wohin sich wenden. Es war ihm, als h�rte er ein gellendes Lachen in den leuchtenden L�ften, wie an jenem Abend, da ihn Maikka auf das Drachenschiff beschied.


Kapitel 19

Der Wind hat sich gedreht und setzt den Laubkronen im Schulhain lebhaft zu. Er bringt den Duft von den Bergen am gro�en Fjord und weht die Haare um Grege’s Ohren und jagt manchmal eine Locke �ber die Nase hinweg — und mit den Gedanken im Hirn macht er’s noch schlimmer, die jagt er bald wie Spreu, bald wie eine Schaar �ngstlicher V�gel vor sich her, und Grege greift nach der Locke und streicht sie hinter’s Ohr, wo sie nicht halten will, und er dr�ckt die flache Hand �ber die Augen und an die Stirn, aber es n�tzt nichts, die Gedanken bleiben nicht fest und nicht einmal die Sinne halten Stand.

Was soll denn all’ die Unruhe? Wer schafft denn all’ den Unbestand? Ist’s nur der Wind? Oder die Frau, die da droben steht, im verschleierten Licht, und vom Schlagschatten eines vorspringenden Balkens in eine schwarze und eine wei�e H�lfte getheilt wird? Es ist nicht Maikka. Maikka h�tet das Haus. Es ist ihr nicht just. Die da droben steht, Grege wei� nicht einmal ihren Namen, giebt ihr an Beredtsamkeit nichts nach, und ihre Gedanken lassen an Sch�rfe nichts zu w�nschen �brig. Ihre Stimme hat nicht Maikka’s Klang und Glanz; ihre Bewegungen sind nicht so eindringlich, ihre ganze seelisch-k�rperliche Art erinnert an eine Andere. An wen denn? Warum findet er’s nicht? Warum formt sich �berhaupt kein Bild in seinem Kopf? Warum dieses Gewirr von Linien und Lichtern?

Sind’s die Zuh�rer, die ihm all’ die Unruhe und den Unbestand schaffen?

Es sind dieselben Leute, die er schon oft an dieser Stelle gesehen, und wenn es nicht dieselben sind, so sind es �hnliche. Einfache, schlichte, aufmerksam lauschende Gesichter, reinliche Seelen in reinen Gew�ndern, geweihte Gef��e ehrlicher Wissenschaft. Dieselbe Gruppirung wie sonst, nur die Reihen dichter, und mehr J�nglinge und M�nner als M�dchen und Frauen. Das ist’s nicht, was Grege so zerstreut macht.

Der Wind bringt den Duft von den Bergen und von den fernen Wassern . . . Das fl�sternde, raschelnde Birkenlaub . . . Warum warst Du noch nicht am Fjord? Warum schwingst Du Dich nicht �ber’s Meer, die Gestade abzusuchen? . . . Was sprechen die in Teuta von Dir, von ihr? Wie feiern sie das gro�e Fest? Was f�r Possen ver�ben sie da? Wer tr�gt diesmal Krone und Mantel und gaukelt mit dem Szepter? . . . Wie lange noch? . . . Wie . . .

Den Zuh�rern entschl�pften Beifallsrufe. Die Aufmerksamkeit wird erregter, leidenschaftlicher.

Was spricht sie denn, die beredte Frau mit den strengen Mienen und der ernstgehaltenen Gestalt? Ihre Haare sind dunkler, als die der Meisten hier. Alles hat eine dunklere F�rbung, auch ihre Gedanken, und die Weltbilder, die sie entrollt . . .

Von Katastrophen, von Umst�rzen, von Zusammenbr�chen.

Grege strengte sich an, mehr zu h�ren und festzuhalten, als einzelne Worte und S�tze. Er will seiner Unruhe Herr werden, er will seine Nerven z�umen und z�geln mit festem Willen, er will sich selbst �berwinden . . . Wie Alles �berwunden werden mu�, was nur Fl�chtigkeit, St�rni�, Wesensfremdes, damit der Kern der Pers�nlichkeit rein und stark wachse, keine Zerstreuung die Triebkraft mindere . . . Eine gro�e Aufgabe schafft gro�e Verantwortung, Selbstverantwortung . . . Hier unter fremden Leuten, fremden Dingen, fremden Gewohnheiten, fremden Anschauungen, fremden Begriffen, warum findet er sich nicht selbst geschlossener, warum f�hlt er sich nicht selbst gesammelter, gerade heute, wo er dem Banne Maikkas, der Wirkung ihrer m�chtigen Natur entr�ckt ist? Wo er wieder einmal, ganz er selbst, sich in eigenem Vollbesitz haben k�nnte?

Der Wind bringt den Duft von den Bergen am gro�en Fjord — warum l�uft er nicht dem Wind entgegen, hinaus an’s Meer? Warum z�gert er hier? Was fesselt ihn? Weit von hier liegt sein Ziel, warum r�hrt er sich nicht von der Stelle? Sch�pft er hier seine volle Freude, ein Spielball wechselnder Eindr�cke, fluthender Suggestionen, �berraschender Begl�ckungen, denen das Gef�hl seiner eigenen pers�nlichen Herabw�rdigung folgt wie der Schatten dem Licht? Mit welchen Augen m��ten ihn die H�rer hier, in deren Mitte er, seiner selbst nicht m�chtig, den Lauschenden spielt, mit welchen Augen m��ten sie ihn betrachten, wenn sie Augen f�r ihn h�tten? Bedeutet er f�r sie etwas Ernsthaftes, f�r das man mehr haben mu�, als gastliche Zuvorkommenheit und menschliche Duldung? Und an der Seite Maikkas, ist er da mehr als der Planet, der die Sonne umkreist, damit sie ihm von ihrem Ueberschwange spende, damit sie ihrer Ueberf�lle ledig werde und ihres Uebergewichtes stolz bewu�t, da sie ihn in ihre Bahnen rei�t? Wenn ihn seine Volksgenossen von Teuta jetzt so s�hen, w�rden sie nicht mit Fingern auf ihn zeigen und h�hnen: Seht, ist dieser da der eigenwillige, stolze Grege, der gro�e Unbefriedigte, dem Teutas Herrlichkeiten zu gering? Nun zehrt er von fremder Kost und ist des Dankes voll! Seht seine Ergebenheits-Miene! Wie er in Bewunderung kniet, wie er auf fremden Wink l�uft — und wahrhaftig, tr�gt er nicht auch fremde Kleider auf dem Leibe und vielleicht fremde Verpflichtungen in der Seele, er, der daheim Niemand verpflichtet sein wollte?

Und wie er dieser inneren Stimme aus der Heimath lauschte, brachen die Zuh�rer rings um ihn in hellen Beifall aus, also da� er erschreckt auffuhr und beinahe laut rief: Was geht das Euch an? Und er versuchte, aus der dichten Gruppe herauszukommen und fortzueilen, da er doch nicht vermochte, dem Vortrage der Meisterin mit Nutzen zu folgen aus innerer Zerstreutheit und Flucht der Gedanken. Aber immer neue Zuh�rer waren beigestr�mt, und r�ckw�rts standen sie Kopf an Kopf, weit in den Garten hinein. So konnte er nicht entweichen.

Wieder m�hte er sich, gleich den Anderen, der Rednerin ein williges Ohr zu leihen und sein Interesse an den Faden ihres Vortrags zu kn�pfen. Allein es gelang ihm nicht. Was er zu h�ren w�hnte, d�nkte ihm nur ein Spiel mit geistreichen Worten, ein gl�nzendes Gewebe von Behauptungen, deren Richtigkeit er nicht zu pr�fen vermochte. Und f�r oratorische Musik allein war er diesmal nicht empf�nglich. Was die Anderen elektrisirte, lie� ihn unbewegt. Die Anderen? Was gingen ihn die Anderen an?

Gestern — seine Gedanken vagabundirten schon wieder in Erinnerungs-Bildern — gestern war er in ihrem Laboratorium gewesen. Er wurde freundlich zugelassen und erhielt was er w�nschte. Es wurde ihm einger�umt, selbst zu arbeiten und Versuche anzustellen. Als er alle Stoffe und Werkzeuge an der Hand hatte, bereitete er sich seine Surros. L�ngst hatte ihn danach gehungert, denn er fing an, den naturalistischen Leckerbissen Nordikas abgeneigt zu werden. Seine Surros, heimlich bereitet nach seiner eigenen Erfindung, mundeten ihm zwar nicht so k�stlich wie daheim, aber sie d�nkten ihm doch �ber alle Vergleiche gut. Er bot sie den Anderen zum Kosten an, sie lehnten dankend ab. Einige probirten zwar ein wenig davon, fanden sie aber nicht nach ihrem Geschmack. Ob das Arzeneimittel f�r Kranke w�ren? fragten sie. Maikka selbst, der er einige Kugeln �berreichte, leckte mit der Zungenspitze daran, um dann l�chelnd zu erwidern, sie wolle sie doch lieber „zum ewigen Andenken“ aufbewahren, als sie von ihrem Magen verarbeiten lassen. Dann pre�te sie schnell ihre Lippen zwischen seine Lippen und z�ngelte von einem Mundwinkel zum andern wie ein verliebtes Schl�nglein und schwor hoch und heilig, die Natur sei doch so viel s��er und nahrhafter, als alle chemischen K�nsteleien — und je mehr man von ihr genie�e, desto heftiger wecke sie die Begierde und aus sch�ner S�ttigung wachse immer sch�nerer Hunger . . . Die Uners�ttliche! Und das Ende war, wie immer, da� ihr bl�hender Wille ihn bis zur Trunkenheit bet�ubte und unterjochte. Und mochte er sich zehnmal als m�nnlichster Mann f�hlen, Siegerin blieb das Weib in n�rrischer Unverw�stlichkeit, und ihr Geist frohlockte und wurde des Jubels in ihrem Blute nicht m�de.

Wieder ging zustimmendes Murmeln durch die Reihen. Die Sprecherin wiederholte den vom Beifall unterbrochenen Satz, so da� auch Grege die Worte vernahm: „Krakehler und Kritiker waren sie, unbotm��ige Naturen, sch�pferischer Ordnung abhold, all’ ihren Gel�sten lie�en sie die Z�gel schie�en, bis sich aus dem sozialistischen Chaos die zweite Revolution gebar, die mit einer neuen Milit�r-Diktatur endigte. So wurde am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts mit den letzten Tr�mmern einer dekadenten ideologischen Weltreformkom�die blutigster Sorte aufger�umt“.

Zwanzigstes Jahrhundert! Die uralten Geschichten, was sollten sie ihm heute? Er konnte die Begier der Nordika-Leute nicht begreifen, mit der sie diese schimmeligen Historien verschlangen. Und dieselben Leute konnten seinen Surros keinen Geschmack abgewinnen!

W�hrend der Strom der gro�en Geschichtsrede an seinen Ohren weiterrauschte, gedachte er seines zweiten Besuchs bei dem Landschafts�ltesten. In seiner Bewunderung des g�tigen und klugen Patriarchen war ihm bei der Begr��ung die Anrede „Hoheit“ entschl�pft, wie sie in Teuta vor den Staatspersonen �blich. Und wie Abendwetterleuchten zuckte es aus des Patriarchen Augen, w�hrend sein Mund geschlossen blieb. Dann sprach er: „Hoheit! Soll das ein auszeichnender Titel sein, so merk Dir dieses, Grege: In Nordika darf sich Jeder jeden beliebigen Titel beilegen. Nun, was meinst Du, was geschieht? Keiner betitelt sich, selbstverst�ndlich. Also erspare mir die Scham, Dir f�r den Titel danken zu m�ssen. Steck ihn wieder ein. Du bist unter den Menschen von Nordika. Uns in’s Auge zu sehen und den Mund aufzuthun, gen�gt. Wir kennen uns von einander und zu einander. Mehr bedarf’s nicht. Sei gegr��t, Grege!“

Wahrhaftig, er m�chte jetzt aus seiner Haut fahren. Alles rappelt und zappelt in ihm. Wie ihn die Leute umdr�ngen, ihm auf den Leib r�cken mit ihrem hei�en Dunst. Sie schwitzen vor Aufmerksamkeit. Kein Wort, keinen Ton, keinen Schnaufer wollen sie sich entwischen lassen. Sie h�ren mit dem Munde, mit den Augen, mit dem ganzen Leibe. Sie sind so bei der Sache, als w�ren sie selbst nur Theile von der Rednerin, mit ihr verwachsen, ein Herz und eine Seele, ein einziger Geist mit ihr, als spr�chen sie Alle aus ihrem Munde, als h�rten sie sich selbst und gen�ssen sich selbst. Er allein ein Abgesonderter. Einer, der seine eigene Atmosph�re mit sich trug, undurchdringlich. Und sie dr�ckten auf ihn, sie pre�ten ihn. Sie schn�rten ihn in seine Atmosph�re ein, da� ihm die Knochen krachten, die Seele erstickte . . . Es wurde ihm schwarz vor den Augen . . . Er sank in den Boden, er war verschwunden . . . Die Seele verflogen . . .

Wohin? Wie lange?

Ein Anfall wie tiefe Ohnmacht.

Als er wieder zu sich kam, sa� er in einer bequemen Ecke, auf einem niedrigen Stuhl, und er gewahrte, da� einige Frauen in seiner N�he sich um ihn bem�ht haben mu�ten. Sie betrachteten ihn mit m�tterlich zufriedenen Augen. Und er fand Lust und Sicherheit in diesem Blick. Er athmete breit auf, wie aus einem guten Schlaf. Gesammelt und gekr�ftigt. Und wie er sich umsah, war Alles so bestimmt und wie er lauschte, war Alles so deutlich.

Die Schaar der Zuh�rer stand noch wie vorhin, nur die Spannung war gewichen. Frei und fr�hlich leuchteten die Gesichter. Und eine andere Stimme klang von der Rednertrib�ne. Eine helle, jugendstarke Stimme. Eines Mannes Stimme. Wie eine Glocke, die hoch h�ngt und doch wie aus froher Brust t�nt und Widerklang in allen Seelen weckt.

Grege erhob sich, um besser zu sehen. Richtig, ein pr�chtiges Bild von einem Mann. Grege staunte, freudig �berrascht.

— Die Besprechungen haben begonnen, belehrte ihn sein Nachbar. Es w�rden sich heute noch Viele zum Worte melden. Das Thema sei auch fesselnd wie kein anderes, und Jeder habe da etwas Besonderes aus eigener Auffassung beizutragen.

Und Grege folgte dem Sprecher mit wachsendem Genu�. Kein Satz entging ihm. Er glaubte niemals eine �ffentliche Rede so leicht verstanden zu haben.

Manches kam drollig heraus in urw�chsiger Derbheit und wurde belacht wie ein guter Witz.

Jetzt wieder, und Grege lachte mit.

Das beirrte den Sprecher nicht, da� er in so ernster Sache Heiterkeit entfesselte. Die Heiterkeit befruchtete ihn. Sie jagte ihm die verstecktesten Gedanken heraus.

— „Und da� ich noch dieses sage. Der Krach in Europa hat, wie die Hauptrednerin schon angedeutet, viele Ursachen gehabt. So viele, da� man sie so wenig z�hlen kann, wie Rattenschw�nze in einem dunklen Kellerloch. Darf ich noch bei einigen verweilen? Also gut. Von den auff�lligsten haben wir zwar genug geh�rt: Machtpolitik, die sich die ganze Welt unterthan machen wollte, weil die ganze Welt ein einziger Marktplatz geworden war, wo Alles schacherte und schwindelte, und kolossale G�ter, damals werthvoll, den sp�teren Geschlechtern gleichgiltig, wie faules Fallobst zu Haufen lagen, trotzdem gleichzeitig �berall Noth herrschte. Je mehr ein Staat hatte, desto mehr wollte er, und je mehr er r�uberte, desto armseliger wurde er. Was sie an erbeuteten Reichth�mern heimbrachten, schuf ihnen neue Armuth, was ihre Macht zu vermehren schien, saugte ihnen die Kr�fte aus. Die Magazine starrten von kostbaren Gew�ndern — und das Volk lief in Lumpen; die Speicher platzend voll von Nahrungsmitteln — und das Volk verhungerte; die Gew�lbe vermochten das Gold nicht zu fassen — und das Volk bettelte um elende Pfennige; die Fluren wurden gepeitscht Fr�chte hervorzubringen, wie die Arbeiter gehetzt wurden, Waaren zu fabriziren — und f�r Produkte und Fabrikate waren keine Abnehmer da, denn die Spekulanten gaben nichts her, es war ihr Besitz, von dem sie sich nur gegen hohe Gegengabe trennen wollten. Und diesen Widersinn belegten sie mit den gro�artigsten Rechtstiteln. Das Alles sa� ihnen im Kopf so fest, da� sie erst in langwierigen Revolutionen und Kriegen sich die K�pfe zerschmei�en mu�ten, um ein wenig heller zu werden. Das ging so zwei, drei Jahrhunderte fort. Die sozialistischen und kommunistischen Experimente zwischen einer Milit�rdiktatur und der anderen f�hrten nicht zum Ziele. Die Menschen waren zu tief herabgekommen, und vom autorit�ren Staat konnten sie sich nicht trennen, und der Heeresdienst und der Gottesdienst fra�en weiter, denn Alles war von der Furcht durchseucht, und in ganz Europa traute sich Niemand �ber die Stra�e. Vor allen sch�pferischen Phantasiemenschen hatte man eine Heidenangst. Die freien K�nstler, Dichter, Zeitungsschreiber waren verha�t. Man verfolgte sie, und wo es anging, jagte man sie fort. Strolche und Genies fanden nur Schutz, wenn sie sich einsperren lie�en, das nannte man in der Rechtssprache „Nummero Sicher“. Den Strolchen bekam das gut, den Genies weniger. Philosophen wurden dem Hungertodt preisgegeben, Poeten, Maler, Musiker bei der geringsten Veranlassung wegen „groben Unfugs“ oder „L�sterung“ in harte Strafe genommen. Nur wer mit todten Stoffen zu thun hatte, wie Mechaniker und Chemiker, blieb unbehelligt. Der sozialistische Staat war wie der alte Klassenstaat gezwungen, von den schlechten Gewohnheiten der Menschen zu leben. Die Kassen blieben leer, wenn die Menschen nicht in Lasterhaftigkeiten schwelgten. Die Lebensmittelsteuer warf wenig ab, weil die Mehrzahl wenig und schlecht a�. Aber das Laster des Trunkes, des Tabakrauchens, der Ausschweifung und anderer Giftgen�sse brachte Geld in die Kasse. Dabei wurde das Volk immer nervenelender, gehirntoller, �berreizter, den wahnwitzigsten Revolutionsideen geneigter und allen geistigen und leiblichen Krankheitsstoffen zug�nglicher. Revolution war der Dauerzustand Europa’s geworden, Revolution in der erb�rmlichsten, feigsten Form. Zuchth�user, Irrenh�user, Spit�ler bedeckten ganz Europa. Nun kam noch das Sch�nste. Nachdem Amerika Ostasien sich unterworfen, dr�ngte sich das Chinesenvolk in Millionen-Horden gegen Westen. Keine Grenzsperre half. Die Schlitzaugen und Schlenkerbeine �berflutheten zun�chst das s�dliche und mittlere Europa und pflanzten einen Riesenkaktus mitten in den schon arg verwilderten Garten der abendl�ndischen Kultur . . . In Rom war es dem getauften Judenthum gelungen, in Nathaniel Rothschild I. einen Papst seiner Rasse auf den Stuhl Petri zu bringen. Dem klugen Pontifex gl�ckte es, auch das Chinesenthum zur Taufe zu bewegen, und pl�tzlich schien der vatikanische Katholizismus eine neue Heilsmacht zu begr�nden, die s�nftigend auf die wahnsinnig aufgeregten Geister zu wirken vermochte, wie Oel auf st�rmische Wogen. Um die Gelehrten und Denker, die trotzig bei Seite standen in dem gro�en Zersetzungsschauspiel des europ�ischen Geistes, f�r die kirchliche Propaganda zu gewinnen, widerrief der judenchristliche Papst kraft seiner Unfehlbarkeit alle die aufr�hrerischen Dogmen seiner Vorg�nger in der Statthalterei Christi und zuletzt seine eigene Unfehlbarkeit. Um das Maa� seines vizeg�ttlichen Edelmuthes ger�ttelt voll zu machen, bekleidete er die ber�hmtesten Abk�mmlinge der einst wegen arger Ketzerei verfolgten Familien mit dem Purpur, ernannte die F�hrer der Freigeisterei zu Ehrenkardin�len, machte einen Panizza zu seinem Geheimk�mmerer und versetzte die einst ber�chtigsten H�uptlinge des Antisemitismus unter die Heiligen. Doch auch das brachte keine Dauerwirkung mehr hervor. Die zw�lf Judenchristenp�pste, die noch folgten, boten ihr �bermenschliches Beherrschungstalent umsonst auf, der Kirche zu neuem Leben zu verhelfen und ihr einen durchgreifenden Einflu� auf das zerr�ttete Europa zu verschaffen. Sie hatte ihre Rolle ausgespielt. Die Theilung der Macht mit Nebenp�psten schw�chte sie in ihrem Mittelpunkt bis zur Bewu�tlosigkeit. Es gab keinerlei Halt mehr f�r die europ�ischen V�lker. Der ideologische Verzweiflungstraum des letzten F�rsten des gr��ten europ�ischen Mittelreichs gab das Signal zum gro�en Vernichtungskampf, der die neue Weltwende einleitete. F�rst Willibald XXXIII. zerbrach sein Schwert und erkl�rte in seinen Staaten Milit�rgewalt und Heeresdienst f�r abgeschafft und den Gottesfrieden aufgerichtet mit allen V�lkern, die an den Grenzen wohnten. Ganze St�mme, die das gro�e Verderben witterten, wanderten schleunig aus und suchten neue Wohnsitze in fernen Welttheilen, so die Bavaren, die Alemannen, die Franken vom Main und Rhein bis zur Elbe. Wie Meeresfluth in rasendem Sturm brachen von Ost und West zugleich die V�lker in das Mittelreich ein, und es entspann sich ein Kampf wie die Menschheitsgeschichte keinen je gesehen hat und hoffentlich keinen mehr sehen wird . . . Schlie�lich waren s�mmtliche V�lkerschaften Europas in diesen ungeheuren Kampf verwickelt. Es war kein Kampf von Riesen, es war ein Kampf von bestialischen Zwergen, bewaffnet mit den furchtbarsten Zerst�rungs-Werkzeugen des Maschinen-Weltalters. Die religi�se Drillung der Kirche, welche durch lange Jahrhunderte den Geist der V�lker sich unterworfen w�hnte, erwies sich nach der ethischen Seite vollst�ndig wirkungslos. Sie hatte die Raubthier-Instinkte der Menschen nicht hinausgetrieben, sondern nur krank gemacht. Nirgends tauchte ein gro�er Feldherr auf, der die Massen, ineinander verbissen wie w�thende Thiere, geb�ndigt und zu einem festen Ziel geleitet h�tte. Es folgten Schlachten ohne Entscheid, ohne Ende, bis Neunzehntel aller K�mpfenden aufgerieben waren und unter den Uebriggebliebenen das gro�e Sterben, die „chinesische Pest“ begann. Das war Europas Untergang als einer geordneten Kulturstaatengruppe. W�hrend inzwischen Angelland und Amerika in listiger Weise die �brigen Erdtheile unseres Planeten ihrer Herrschaft unterwarfen, verendete die herrschaftstolle alte Welt, und der grauenhafte, durch Generationen und Generationen sich hinziehende Selbstmord der europ�ischen Zivilisation hatte mit dem letzten Todesr�cheln der V�lker sein Ende erreicht. Die gro�e Trag�die, die gr��te der Weltgeschichte, war ausgespielt. Mit gebrochenem Auge und zerfetzten Gliedern und ausgerissenen Eingeweiden und versch�ttetem Blute starrte der Riesenleichnam zum mitleidlosen Himmel empor . . . Was auf dem europ�ischen Festlande an Kulturvolk noch �brig blieb, war winzig an Zahl, sammelte sich in den n�chsten Jahrhunderten an den K�sten, an den Flu�l�ufen, an den Abh�ngen der Gebirge und hob sich allm�hlich wieder unter dem Sammelnamen der Slavakos, der Frankos, der Teutaleute und so weiter aus Verwesung, Schutt und Tr�mmer der alten Kulturwelt zu neuem, bescheidenem Genossenschaftsdasein. Am gl�cklichsten war bei dieser furchtbaren Auslese im europ�ischen Zusammenbruch das Nordland weggekommen. Es wurde nur an den Grenzen gegen S�den von der Verheerung gestreift, und im Innern blieb es friedlich auf seine ruhige Kraft gestellt . . .“

Das war, was Grege im Verlaufe des Vortrags zu verstehen glaubte. In Teutaland hatte er die Geschichte anders geh�rt. Aber diese Darstellung des jungen Nordika-Sprechers ergriff ihn m�chtig. Er folgte auch den �brigen Rednern, die noch das Wort nahmen, um einige Punkte in abweichender Auffassung und Beleuchtung zu zeigen. Besonders reizvoll war es ihm, wie eine frische, rothwangige Frau von niedlicher Gestalt als scharfe Kritikerin auftrat und dem Schilderer des Zusammenbruchs der europ�ischen Staatenwelt einige Verst��e gegen die „historisch festgelegte Wahrheit“ nachzuweisen versuchte. Doch wollte sie sich nicht weiter in jene „schauerliche Jammer-Ecke“ verkriechen, sondern aufzeigen, wie aus dem Meere von Herzeleid, in welchem die alten V�lker versunken waren, gleich begr�nten Inseln der neue Lebensmuth emporwuchs und die kleinen �berlebenden V�lker zu zweckm��iger Ordnung ihres Daseins trieb. Gewi�, sie waren welthellsichtig geworden. Sie hatten aus der grauenvollen Katastrophe, die so ungeheuerliche Elendswurzeln wie Kapitalismus, Geldwirthschaft, Weltmarktspekulation, Konkurrenztollheit, Herrscherwahn gl�cklicherweise mitvernichtete, verfeinerte Organisations-Instinkte gerettet. Mit dem Verschwinden der erdr�ckenden Ueberv�lkerung war in der gro�en europ�ischen W�ste den winzigen V�lkern der ruhigen Jahrhunderte der Kampf um’s Dasein zwar nicht erspart, doch hatte er viel ertr�glichere Formen angenommen. Und die besten Kultur-Errungenschaften lebten in vergeistigter Art als stille Erbschaft weiter. Von nun an konnten die kleinen, gesonderten V�lker ihre angestammten Wesensz�ge ungest�rt pflegen und in fester Gemeinarbeit aus dem eigenen Boden ihren Unterhalt ziehen. Aus der Bed�rfni�losigkeit erwuchs ihnen immer st�rker die innere Unabh�ngigkeit. Sie hatten scharf Acht geben gelernt, da� die Menschenvernunft keine Spr�nge wider die Natur mache. Die Herrschaftslosigkeit lie� sie selbst die wohlth�tigen Regeln finden, unter welchen die Freiheit, Gleichheit, Br�derlichkeit, Gesundheit und Sch�nheit am besten gedeihen und das Wohlbefinden des Einzelnen mit dem Wohlbefinden der Gesammtheit sich vereinige. Alle die alten sozialistischen, kommunistischen, anarchistischen Utopien, aus der hartk�pfigen Prinzipienreiterei oder der phantastischen Schw�rmerei des zweiten Jahrtausends geboren, waren f�r die Menschen des dritten Jahrtausends nur noch bel�chelte Erinnerungen, wie der reife Mensch in der F�lle seiner Lebenserfahrungen die bald heiteren, bald schlimmen Verirrungen seiner brausenden Jugendzeit bel�chelt. Ein stilles Hausgl�ck ist �ber Europa gekommen, und auf dem Festlande hat kein Nachbar den andern zu f�rchten und kein Volk sich des anderen zu sch�men. Man unterh�lt keinen aufdringlichen, bel�stigenden Verkehr von Volk zu Volk, man ist sich selbst genug und wohnt doppelt vergn�gt auf seinem Boden, weil man f�hlt, wie von allen Seiten gesunde L�fte hereinwehen und keine b�se Gewohnheit an der Grenze siedelt.

Und dann lie� sie ihre Rede in einem munteren Loblied auf Nordika ausklingen, dem Lande des Lichts und der Lust. Damit aber Niemand sie f�r allzu eigenliebig halte, wolle sie die Erkl�rung nicht unterdr�cken, da� sie auch von den ferner wohnenden V�lkern, sogar vor dem Teuta-Volke, herzliche Hochachtung empfinde.

Sogar vor dem Teuta-Volke! Und mit dieser sp�ttischen Betonung — sogar!

Grege zuckte auf. Er empfand den Beifall, den die Zuh�rer der Schlu�wendung spendeten, wie einen Schlag in’s Gesicht.

„Ein schlechter Mann, der nicht der Erste sein will!“

„Ein schlechtes Volk, das nicht das Erste sein will!“

Alles was sich seit Wochen an Emp�rung, Verzweiflung, Sehnsucht, Hoffnung, Gl�cksempfinden, beleidigtem Stolz, wildem Heldentrotz in Greges Seele aufgestaut, das brach jetzt mit Ungest�m hervor und ri� ihn selbst, wie von der Fluth des blutig gekr�nkten, �bergewaltigen Ich- und Heimathsgef�hles fortgewirbelt, auf die Trib�ne.

Wie ein ekstatischer Seher stand er da, im heiligen Zorn ergl�ht, das Haupt zur�ckgebeugt, die Augen weit und gro�, ganz Pupille, die vollen Lippen halbge�ffnet, bebend vom zur�ckgehaltenen Wort. Unter den z�rnenden Gesten seiner nach oben ausgreifenden Arme wuchs seine Gestalt.

Es war ein Ereigni�, niemals war ein Fremder da oben gestanden, niemals hatte ein Einheimischer das Schauspiel einer solchen Erregung geboten.

Die ersten S�tze kamen sto�weise, wie aus einer stockenden Maschine, rauh und zerrissen im Ton, von einer Wucht, die sich selbst im Wege steht und �ber sich selbst hinaus Bahn sucht.

— Ich mu� hier mitreden, liebe Leute. Ich mu�. Kein Mensch in der Welt soll sagen, da� ein Teutamann geschwiegen, wenn Teuta Ungeb�hr geschehen. Ich bin ein Teutamann, ganz einfach, ohne Verdienst und W�rdigkeit. Ich kenne mein Land, ich wei� um sein Volk so viel, als man zu wissen braucht, um keine Verachtung zu dulden. Ich sage nicht, da� das hier geschehen, ich klage Niemand an, ich empfinde nur, da� ich selbst ver�chtlich w�re, wenn ich nicht laut und �ffentlich f�r mein armes Land Zeugni� ablegte. Ja, mein armes Land, weil Niemand in der Fremde die Schmerzen kennt, die wir aus Liebe zu ihm im Herzen tragen. Aus hilfloser Liebe und stummer Sehnsucht. Seltsam ist unsere Seele, und nicht immer von uns selbst begriffen. Gedr�ckt kam sie aus alter Weltordnung und fl�chtete sich zwischen Berge und in H�hlen, und keine Neuordnung wollte ihr gelingen, also da� sie ihre Fl�gel zum Schwunge �ffnen k�nnte, rauschend und jauchzend in freier Luft, Sonnenaufg�ngen und Heldentagen und Heldengl�ck entgegen. Wer den Himmel offen gefunden, segne sein Schicksal, aber er werfe keinen kr�nkenden Vorwurfsblick auf den, der noch, aus eigener oder fremder Schuld, am R�cken der Erde klebt . . . Hab ich genug gesagt, oder duldet Ihr noch ein Wort? Ich wei�, ich spreche Eure liebe Sprache, o meine Br�der, nur nothd�rftig, und vielleicht bereite ich Euren Ohren Qual. Aber Ihr seht, da� wir uns in Teuta bem�hen, im Geiste unseren Volksverwandten nahe zu bleiben. Alle aufgekl�rteren M�nner lernen die germanischen Hauptsprachen. Duldet Ihr noch ein Wort? Oder ist’s genug?

— Wer ist er? Ein Gast? Maikkas Freund? Weiter reden! Das Herz ist ihm voll, er spreche! t�nten die Stimmen der Zuh�rer durcheinander.

— Herrliches hab’ ich bei Euch geschaut, Leute von Nordika, und hohen Gl�ckes die F�lle genossen, nach peinvoller Irrfahrt. Ihr habt mich Wege gelehrt, die mein Fu� allein nicht gefunden. Ihr habt mit Worte gesagt gleich R�thsell�sungen, auf die mein eigener Verstand allein wohl noch lange nicht gekommen. Mit Blitzen habt Ihr mein Dunkel erleuchtet, mit Sch�nheit meine vergrabene Lust wie vom Tode erweckt. Es ist mir, als h�ttet Ihr mir eine neue Seele gegeben, als h�tten mir die brausenden Winde, die hier �ber das Land wehen, aus geheimni�vollen Vorzeiten Gr��e gehaucht . . . und der V�ter Geist . . . ist �ber mich gekommen . . . Das soll nicht verschwendet sein von heut auf morgen, das will ich als kostbaren Schatz meinem Volke bringen, als Euer Gastgeschenk bei meiner Heimkehr. Nimmer sollt Ihr gering von meinem Lande denken, denn es hat keinen Undankbaren zu Euch geschickt. Unausl�schlich wird mein Dank sein und zum Segen wachsen wie ein guter Same, der tausendf�ltige Frucht bringt . . .

— Er ist ein Dichter! Er spricht entz�ckend! Er ist sch�n, ein S�nger und Held zugleich! Da� aus Teutaland Solches kommt? riefen die H�rerinnen.

— Nicht wei� ich, was ich Euch als Gegengabe bieten soll, denn Ihr seid reich an jeglichem Gut, und ein Mehrer Eurer Erkenntni� und Freudigkeit zu sein, das kann Keinem gelingen, der von anderen V�lkern kommt, am wenigsten mir oder meinen Volksgenossen. Aber wie ich unbescheiden genug bin, hier unsere Armuth zu bezeugen, so will ich stolz genug sein, daheim Eure Ueberlegenheit zu r�hmen und Eure Kraft als ein Beispiel aufrichten, daran die verborgenen Kr�fte meines Volkes in’s Licht wachsen sollen, damit Eure Achtung vor dem fremden Wesen den bitteren Geschmack verliere, wenn Ihr von Teuta sprecht. Wir sind verwandten Blutes, und in verwischten Z�gen lebt ein alter Zusammenhang. Wir haben heute geh�rt, wie wunderbar die Schicksale der V�lker, wie aus den verderblichsten Heimsuchungen und schaudervollsten Niederg�ngen die Menschheit sich auf Zukunftspfade rettet, die ihr ein geheimni�voller Lenker weist. Wer wei�, ob nicht auch Teutaland seinen Blutsverwandten wieder n�herr�ckt, gereinigt von Irrth�mern, gewachsen in seinen Vorz�gen, ein treuer Bundesgenosse in Zeiten neuer Bedr�ngni�, oder, noch lieber, ein fr�hlicher Theilnehmer an gemeinsam bereitetem Gl�ck. Wenn Ihr heute an Teuta denkt, freilich, da ist’s als blicktet Ihr in eine gro�e Finsterni�, aber ich sehe, von dieser Stelle aus, mit meinem inneren Auge, mit dem Auge der feurig und hoffnungsvoll ergl�henden Seele, wie ein stiller, hei�er Purpurglanz �ber die Finsterni� sich breitet gleich zeugender Liebe, und wie die Finsterni� unter dem Kusse liebenden Lichtes in g�ttlicher Umarmung empfangende Mutter wird und aus ihrem Schoo�e den Geist der Helle gebiert, der, eine Sonne der Zukunft, die tr�be Teuta-Nacht in seligen Tag verwandelt. O, da� nichts uns st�re, wenn die br�nstige Liebe ihr himmlisches Zeugungswerk verrichtet, damit der Wonne des Empfangens die selige Frucht entsprie�e. Ich gr��e mein Teuta unter Nordikas Himmel, der mein Herz der Freude und Hoffnung erschlossen hat und meine Seele stark gemacht, das K�hnste zu wagen. Ich gr��e die herrliche Welt!

So endete Greges Rede, die als d�ster z�rnende Abwehr begonnen, wie eine Apotheose, in deren Strahlenglanz sich Alles an die Brust fliegt, �berw�ltigt vom Gef�hl, und der Vorhang sich senkt unter Umarmung und Ku�. In seiner dichterischen Phantasie hat sich das Zeitliche zum Ewigen erhoben, der Einzelfall zum typischen Ereigni�, das Pers�nlichkeits-Lustgef�hl zum jauchzenden Lustschrei der lebens- und gl�ckeshungrigen Gattung.

Jubelnd umringten ihn die Zuh�rer. Allen hatte er aus der Seele gesprochen, Jungen und Alten, M�nnern und Weibern.

Den ganzen Abend sprach man von nichts Anderem. Die Improvisation des Teutamannes galt Allen f�r wichtiger, als der historische Probe-Vortrag der neuen Meisterin.

Maikka bedauerte, Grege nicht geh�rt zu haben.

In jener Mischung von Herzlichkeit und Spott, von Sympathie und Hohn, wie sie ihr in den letzten Tagen gegen ihren Gastfreund meist �ber die Lippe flo�, sagte sie zu ihm: — Du sprichst wie ein Gott, das wei� ich. Aber um in Teuta gr�ndliche Politik zu machen, braucht man einen Teufel.

— Einen . . .?

— Ja, Grege. Einen Teufel. Etwa in der Art Eures wackeren . . . nein, das ist Staatsgeheimni�. Mach’ Dich gefa�t. Jetzt aber dies: Geh’ in die Bibliothek und studire den ganzen Zarathustra. Sein Kapitel vom Staate wollen wir zusammen lesen, wenn Du Geduld hast. Dann wollen wir auch den bl�den Legendenkram, den Ihr Euch in Teuta um Zarathustra-Nietzischki habt wachsen lassen, in alle Winde jagen. Dergleichen Fabeleien sind wahrhaftig f�r eine Kinderstube zu dumm. Ein Volk mit solcher g�ttlich kritiklosen Leichtgl�ubigkeit ist �brigens f�r jeden Umsturz reif — wenn der rechte Umst�rzer kommt.

— Der rechte Teufel, in Deiner Lesart.

— Jawohl, Grege. Oder der rechte Zarathustra. Das ist das N�mliche.

— Zarathustras Wiedergeburt also, oder Wiederkehr.

Grege meinte das doppelsinnig. Unwillk�rlich, ohne Ueberlegung. Und ein Schauder flackerte hei� �ber sein Gehirn. Und vor seinen Augen brannte eine j�he R�the.

— Zarathustras Wiederkehr! kam es noch einmal wie lallend von seinen Lippen.

Pl�tzlich schrie er Maikka an: — Dein Staatsgeheimni�, ich will Dein Staatsgeheimni� wissen! Wie lange foppst Du mich noch, Weib?

Maikka, nach einem langen, bohrenden Blick, vor dem Grege schier erbla�te und das Feuer seiner Augen zur�ckwich, wie vor dem Druck einer st�rkeren Flamme: — Frag’ mir’s ab, Teufel! Kannst Du nur Blinde bannen? Zwinge die Sehenden! Thu’ mir Gewalt an!


Kapitel 20

Inzwischen hatten in Teuta die Vorbereitungen zum gro�en Nationalfeste und was damit zusammenhing — und was hing bei den herrschenden Einrichtungen nicht damit zusammen? — ihren Fortgang genommen.

Ihren Fortgang!

Ihren Fortgang so, wie seit Generationen und mit besonderem Glanze unter dem glorreichen Regimente Aos und seiner Hoheits-Genossen alle Staatsangelegenheiten ihn zu nehmen pflegten. Hinten herum. In Schlangenlinien. Im Zickzack. Im pl�tzlichen Schu� mit pl�tzlichem Zur�ckweichen und Stehenbleiben: Was war’s — was nun? In Auf- und Abschw�ngen. Im Taumelgang. Rechter Hand, linker Hand, Alles vertauscht. Im Arabeskenstil. Kurz: urteutahaft.

Der kleine, geschmeidige, z�he Soundso nannte das boshaft „Die Politik des altneuen Kurses.“

Das Gaukelspiel mit dem todten und wieder lebendig gewordenen Minus hat ihn �brigens im hohen Rath zum ber�hmtesten, einflu�reichsten und gef�rchtetsten Mann gemacht. Es war sein gelungenster Meisterstreich.

Sein eigener Meister Titschi ist dar�ber vor Neid todtkrank geworden.

Bim war nahe daran, seinen Verstand zu verlieren, f�r den genialen Entdecker ein starkes St�ck.

Ao entschlo� sich im ersten Schreck zu einer Entfettungskur, und zwar zu einer radikalen, mit heimlicher Auslandsreise, nach dem damals in der bewohnten Welt ber�hmtesten Entfettungskurort Isaria auf den Ruinen und zwischen den Scherbenbergen einer uralten Kunst- und Wunderstadt im S�den. Die Ruinen stammten von dreihundertf�nfundsechzig Tempeln und einem Nothtempel f�r den dreihundertsechsundsechzigsten Tag in den Schaltjahren, und die hohen und weitl�ufigen, von amerikanischen Alterthumsforschern bereits labyrinthartig durchschnittenen Scherbenberge entstammten den unzerst�rbaren Resten von Milliarden von litergro�en Gef��en, in welchen in der deutsch-christlichen Vorzeit die Trankopfer dargebracht wurden. Dargebracht einer Gottheit, die seit der Zerst�rung ihrer Heiligth�mer nur noch ein sagenhaftes Dasein in einigen wenig beachteten Literatur-Fragmenten, genannt das „Kommersbuch“, Abtheilung „Kneiplieder“, fristete. Die H�ter des heiligen Wortschatzes in Teuta lie�en jedoch diese Literatur-Fragmente um ihrer aufr�hrerischen Tendenz willen niemals in die H�nde der Jugend gelangen. Hoheit Minus las in seinen schlaflosen N�chten manchmal in diesen bedenklichen Bl�ttern und mu�te diesen gelehrten Genu� regelm��ig mit einem argen Kopfweh am n�chsten Morgen b��en. Auch wenn ihn unerwiderte Liebe gepeinigt, fl�chtete er, um Schlimmes mit Schlimmerem zu kuriren, gern zu seinem „Kommersbuch“. Einige sprachliche Formen, die keine Philologie mehr zu erkl�ren vermochte, wie „Krambambuli“, „Jupeidi, jupeida“, und die wohl vor anderthalbtausend Jahren der heiligen Tempel-Liturgie der Oberpriester angeh�rten, fesselten ihn oft derma�en, da� er Herz- und H�ftweh dar�ber verga�.

Der gro�e Minus! Nun war er wirklich todt, und nur dem au�erordentlichen Diplomaten-Geist des Soundso war’s gelungen, ihn als sprechende Spukgestalt im hohen Rath vorzuf�hren und damit das ganze Kollegium zu revolutioniren.

Die gro�e Noth der Regierenden in ihrer unzul�nglichen Weisheit und der d�monische Ehrgeiz des Strebers hatten Soundso auf einen Gedanken gebracht, der zuvor von keinem regierenden Teuta-Gehirn gedacht worden war. Und wie jeder geniale Gedanke, war er so naheliegend und so verbl�ffend einfach: Man ersetzt die abg�ngigen Kapazit�ten durch elektromagnetische Automaten — und der Staat ist gerettet.

Und in einem Staate, wo die Feinmechanik und alle technischen T�uschungs-Fertigkeiten auf der h�chsten Bl�thenstufe angelangt sind, ist es doch f�rwahr keine Hexerei, einen Automaten zu hexen, der zu Allem zu gebrauchen ist, zum Staatsmann wie zum Kom�dianten?

Zuerst f�hrte Soundso seinen leichenblassen, Geistergr��e fl�sternden Minus-Automaten vor. Die Wirkung lie�, wie erkl�rlich, nichts zu w�nschen �brig. Hierauf lie� er den Mann in der Kraft und W�rde seines Oberlehrerthums fabriziren, wie ihn das Volk verehrte, und mit jenen Redensarten im Leibe, vor denen sich das Volk stumm verneigt wie vor Orakeln. Der Phonograph hatte eine Menge solcher Staatsspr�che aufbewahrt, zu beliebigem Gebrauche, je nach der augenblicklichen Nothdurft: „Wissen ist Macht, Bildung macht frei“, oder „Dem Volke mu� die Religion erhalten bleiben“, oder „Ich bin m�de, �ber Sklaven zu herrschen, der Geringste im Lande steht meinem Herzen so hoch und so nahe, wie mein leiblicher Bruder“, oder „Wer dem Interesse des Staates zuwiderhandelt, der verdient zerschmettert zu werden“, oder „Wem’s im Teutareiche nicht behagt, der blase den Staub von seinen Pantoffeln, und es wird ihm wohler werden“.

Gewi�, die Hoheiten, nachdem sie sich von der ersten Verbl�ffung erholt hatten, fanden am Werke Soundsos Allerlei auszusetzen. Kaspe, der Oberrichter, f�hlte ein Fr�steln von der Brustwarze bis in den kleinen Zehennagel: Bestand nicht die Gefahr, da� man mit dieser f�rchterlichen Technik schlie�lich die gesammte Jurisprudenz und Rechtspflege automatisire, so da� der ganze Richterstand, soweit er sich noch auf lebendiges Blut, Haut und Knochen berufen kann, um seine Existenz gebracht w�re? Lauter billige, unbestechliche, unfehlbare Automaten auf den Richterst�hlen, w�re das nicht das Ende aller Herrlichkeit?

Der kluge Kaspe piepste nat�rlich diese intellektuellen Angstprodukte nicht heraus, sondern bemerkte blo� fachm�nnisch: — Das will Alles noch wohlerwogen und an unserem �berlieferten Rechtsbestande gemessen sein. Jedenfalls w�rde diese Neuerung die Erlassung von bez�glichen Verordnungen und Schutzma�regeln erheischen.

— Wirklich erheischen, Hoheit Oberrichter? fragte Hoheit Oberpriester Ao, der von der Idee der Entfettungskur rasch zur�ckgekommen war. Wir halten doch die ganze Geschichte vor dem Volke geheim, absolut geheim. Wir sagen nicht: Das ist der Automat Minus, das ist — gestatte das Beispiel — der Automat Oberrichter. Bewahre! F�r das Volk giebt’s �berhaupt keine Automaten. Das Volk mu� glauben oder sich geberden und verhalten, als glaube es: Der Minus ist der Minus, der Oberrichter ist der Oberrichter, Hoheit ist Hoheit! Amen. Was dahinter steckt, das behalten wir f�r uns allein, meine hohen Freunde.

Soundso h�rte zu und l�chelte, bescheiden in seiner Gr��e, gro� in seiner Bescheidenheit. Alle Finessen der Schauspielerei waren in seiner Gewalt.

Titschi abschlie�end: — Den Minus also h�tten wir, unser hohes Kollegium ist vollz�hlig, und unserem gemeinsamen Auftreten bei der Nationalfeierlichkeit steht nichts im Wege. Automat Minus wird beim Zarathustrafest seine Schuldigkeit thun, ohne jede St�rung, wir k�nnen uns auf seine amtsgem��e Haltung verlassen?

—  Ja, Hoheiten, daf�r verb�rge ich mich! sprach Soundso sich verneigend.

Titschi: — Fehlt uns nur Grege. Der unmenschliche Uebermensch, der uns den Streich gespielt, sich nicht erwischen zu lassen.

Soundso: — Den schaffe ich zur Stelle, den fabrizire ich auch. Ich habe ihn bereits in Arbeit gegeben. Der Original-Grege mag uns gewogen bleiben. Die Kopie �bertrifft ihn.

Allen Hoheiten entrang sich ein Ausruf des Entz�ckens. Doch nahmen Kaspe und Bim den ihrigen wieder zur�ck. Das sei zu viel des Gl�ckes auf einmal. Ob man dem Volke wirklich eine solche umfangreiche T�uschung bieten k�nne, ohne Gefahr der Entdeckung?

Soundso tippte auf eine Feder im Minus-Mechanismus und sofort �ffnete der Automat den Mund: — Volk? Sprecht mir nicht vom Volke! Heerdenvieh l��t sich Alles bieten. Dixi.

Alle waren bla� vor Schreck. Dar�ber, da� Minus unerwartet sprach mit geisterhafter Pl�tzlichkeit. Und noch mehr dar�ber, was er sprach. Wenn bei der �ffentlichen Feierlichkeit die Maschine die Bosheit beginge, etwas Ungeh�riges zu sagen, etwas zu verlautbaren, was nicht f�r die Ohren des Volkes w�re?

Soundso beruhigte die Aengstlichen. Er tippte den Kunstmenschen leise an.

Automat Minus nickte: — Alles f�r das Volk und durch das Volk, es giebt nichts Selbstherrliches au�er dem Volke, die Herrschenden sind nichts ohne seinen Willen, und mit seinem Willen nicht mehr als des Staates erste Diener.

— Das l��t, sich h�ren, Hoheit Minus. Brav gesprochen, Maschine Oberlehrer. Das ist ein Automat, der seinem Herrschberufe Ehre macht, spottete vergn�gt der Oberdiplomat.

Ao und Bim betrachteten das k�nstliche Ding immerhin noch mit geheimem Grauen.

Der Oberpriester machte kein Hehl daraus: — Hoheiten, wenn ich nicht meinen weichen, warmen Bauch mit den Verdauungsbewegungen unter mir f�hlte, ich w��te nicht, bin ich ein Automat oder ein Mensch. Die T�uschung ist unheimlich. Man mu� sich zusammennehmen, den Glauben an seine eigene Lebendigkeit nicht zu verlieren. Soundso k�nnte ein furchtbares Spiel mit uns treiben, wenn er bei unsern Lebzeiten unsere automatischen Doppelg�nger anfertigen lie�e und gegen uns selbst in’s Feld f�hrte.

Bim warf sich in die Brust: — Ich entdecke, also bin ich. Die mechanische Puppe wird das niemals von sich sagen k�nnen. Damit ist meine Priorit�t und Identit�t festgestellt.

Soundso l�chelte verschmitzt: — Vielleicht gelingt es uns auch noch, Automaten mit Bim’schem Entdeckergenie anzufertigen.

Der Oberphysikus empfand nach einigem Besinnen diese Aeu�erung als dreiste Ueberhebung. Aber er wollte nicht weiter darauf eingehen. Er addirte sie einstweilen zu den �brigen Frechheiten, die sich dieser Junge mit dem listigen Armens�ndergesicht schon gegen ihn herausgenommen.

Ao: — Du sagst „uns“, Soundso, „vielleicht gelingt es uns“. Wer sind diese „uns“? Hast Du sie sicher in Deiner klugen Macht, da� sie uns nicht verrathen?

— Sehr zeitgem��e Frage, piepste der Oberrichter. Soeben habe ich sie im Stillen bei mir selbst erwogen.

Soundso kam diese Frage gelegen, er hatte sie l�ngst erwartet.

— Meine Hoheiten werden erstaunt sein, wenn ich bekenne, da� meine Automatenfabrik vollkommen meinem Willen unterthan ist, obwohl sie in der Frauenstadt liegt.

Alle wie aus einem Munde: — In der Frauenstadt?

— Auf mein Wort. Und hierin ist auch der Grund, warum ich von den Sp�hern selbst in „geschlossener Zeit“ und ohne „amtlichen Auftrag“ �fters in der Frauenstadt beobachtet worden bin. Ich habe zu der Denunziation geschwiegen. Ich wei�, da� man geneigt war, meinen heimlichen Aufenthalt in der Frauenstadt zu meinen Ungunsten zu deuten und meine F�hrungsliste damit zu belasten. Ich wu�te, da� die Zeit meine Rechtfertigung bringen wird.

— Mit m�nnlicher Kunstfertigkeit war das nicht zu machen? inquirirte Kaspe.

— Nicht mit dieser Vollkommenheit. Da geh�ren die ge�btesten und feinsten Frauenfinger dazu, solche Automaten herzustellen. Ich habe lange gesucht und geprobt. Und ich konnte mich nur mit den f�higsten und verschwiegensten Frauen einlassen.

Titschi fand, da� ihn sein Sch�ler in allen Listen �bertreffe.

— Wir k�nnen uns darauf verlassen, begann Ao wieder, wenn wir die Zarathustrafeier um weitere vierzehn Tage verschieben, da� Du uns den Automaten Grege zur Stelle bringst?

— Unfehlbar. Meine Frauen haben Grege schon in Arbeit. Er reist sichtlich seiner Brauchbarkeit entgegen.

— Herrlich! Nie f�hlte ich mich einem Manne mehr verpflichtet.

Soundso schlo� die Augen, besch�mt von so viel Anerkennung. Im Innern sah er sich in einem unaufhaltsamen Siegeszug, umjubelt von ganz Teuta, durch den einm�thigen Willen des dankbaren Volkes mit dem Purpur des ersten Vertreters des Staates geschm�ckt. O dieser impotente hohe Rath, er wird zermalmt werden von den Rossen seines Triumphes, zu Brei zerquetscht von den R�dern seines Siegeswagens. Ja . . . ja, gleich jetzt den Augenblick gen�tzt und den Hoheiten eine neue Stichkarte in’s Gesicht geworfen. Das Unternehmen kann nicht mi�lingen, und selbst wenn’s mi�l�nge . . . Es soweit gef�rdert zu haben, war eine unvergleichliche That. Los!

— Noch eine Kleinigkeit, die ich im Interesse unseres staatlichen Ansehens in die Hand zu nehmen mir erlaubte, w�nsche ich vor den Hoheiten nicht l�nger geheim zu halten. Ich bin der T�nzerin Jala auf der Spur. Ja, ich darf sagen, ich habe die Person bereits, wenn auch erst sozusagen am Ende eines langen Fangseiles. Bis zum Zarathustrafest hoffe ich sie dem Festordner abliefern zu k�nnen.

Kaspe kniff die Lippen zusammen: Er und seine Sp�her �bertrumpft! Wie war das m�glich? Was vermag denn dieser junge Mensch noch Alles? Mit welchen M�chten steht er im geheimen Bunde? Seine Verdienste fangen an verd�chtig zu werden.

Die reine Teufelei!

Aber der Oberrichter stimmte mit den Anderen laut in die Bewunderung ein und w�nschte dem Handstreich des jungen Diplomaten gl�nzendes Gelingen.

Ao dachte f�r sich: Gut, da� Minus hin�ber ist. Mit Jalas R�ckkehr h�tte der s�ndhafte Tanz auf’s Neue begonnen.

— Bevor wir, meine Freunde vom hohen Rath, in unseren heutigen Berathungen weiterschreiten, er�brigt uns noch, unserem ausgezeichneten Soundso f�r seine sinnreichen Leistungen den Dank im Namen Teutas auszudr�cken.

Die Hoheiten stimmen zu, mehr oder weniger gequ�lt von allerlei „Erw�gungen“.

Automat Minus legt die Hand auf die Brust und nickt gleichfalls, w�hrend sich seine Augenlider gef�hlvoll senken.

— Die Aeltesten vom Festbund haben die Inspektionsreise durch die Feststra�en ausgef�hrt und haben sich zum Bericht angemeldet. Wir haben vorher noch Anderes zu erledigen. Die Leute k�nnen warten. Da� wir sie in unser Automaten-Geheimni� nicht einweihen, erachte ich f�r selbstverst�ndlich. Ist einer von Euch, Hoheiten, anderer Meinung?

Automat Minus, Hoheit, �ffnete den Mund: — Je Weniger um das Heil des Staates wissen, desto besser wird es beh�tet.

Der Ton klang ein wenig sarkastisch.

Die hohen R�the l�chelten. Einfach zauberhaft, wie Soundso sein Gesch�pf dirigirte.

Ao legte nun verschiedene Fragen nach der Ausstattung des Festprogramms vor. Er w�nsche, da� es diesmal besonders reich und gl�nzend gestaltet werde. Nachdem f�r den hohen Rath all’ die Schrecknisse und Aengste der j�ngsten Zeit so gl�cklich �berwunden sind, soll das Volk f�r die Verschiebung durch um so belustigendere Spenden entsch�digt werden.

Oberrichter Kaspe, Hoheit, nahm das Wort.

Er pries sich, in der angenehmen Lage zu sein, eine Abtheilung des Festzuges, worin die „politisch-sozial verd�chtigen Schattirungen“ vorgef�hrt und der Verh�hnung preisgegeben w�rden, diesmal gro�artig ausstatten zu k�nnen. Zahlreiche Verd�chtige seien ihm von seinen Sp�hern notirt. Ein gewisser Geist der Emp�rung schien im letzten Jahre lebhafter um sich gegriffen und mehr Opfer als sonst gefordert zu haben: — Das kommt uns nat�rlich sehr erw�nscht. Wir werden ein Exempel statuiren, des hohen Festes w�rdig.

— Ja, aber . . . fragte Ao �ngstlich, ein wirklicher „Geist der Emp�rung“?

— Bei der Jugend, allerdings, Hoheit Oberpriester. Nat�rlich in jenen Schranken, der zwar keine Ersch�tterung des Staates bef�rchten, aber immerhin eine Erweiterung unserer Machtbefugnisse und eine Verst�rkung unseres Druckes auf die K�pfe zweckm��ig erscheinen l��t.

— Ach so. Ich dachte schon . . .

— Nein, Ao, davon ist keine Rede. Aber ich werde mir eine gr��ere Anzahl Burschen herausfangen, die ihre Zunge in politischen Diskussionen allzu frei spazieren lie�en.

— Was? Man diskutirt in Teuta? Die Jungen diskutiren?

— Hoheit Oberpriester, beruhige Dich. An sich ist die Sache ja furchtbar harmlos. Aber um ein Exempel zu statuiren . . . Man wei� ja, wie wohlth�tig das wirkt. Ernster ist folgender Fall: Im neunundneunzigsten Bezirk haben Etliche die Werkzeuge zerst�rt, also sich am Gemeineigenthum vergriffen. Eigenthum verdient unter allen Umst�nden h�heren Schutz, als die pers�nliche Freiheit, denn es ist todte Sache und kann sich nicht wehren, erstens, und zweitens, das Eigenthum dr�ckt die Macht des Staates aus. Wer sich im Geringsten am Eigenthum vergreift, vergreift sich am Staate.

— Sehr richtig, Oberrichter Kaspe.

— Sodann lasse ich eine Anzahl Individuen vorf�hren, welche die Heiligkeit unserer sittlichen Ordnung verletzt haben. Man hat sie zu unangemessener Zeit an den Thoren gesehen, welche zur Frauenstadt f�hren. Die Thore waren zwar verschlossen, allein die Absicht war nicht zu leugnen, unserer staatlich patentirten Sittlichkeit ein Bein zu stellen oder auch zwei.

— Strafe mu� sein, l�chelte Soundso.

Ao, begl�ckt: — Es ist mit angenehm, in so schwierigen Fragen, die Menschenkenntni� erfordern, unsern Freund Soundso unsere Ueberzeugung theilen zu sehen.

Kaspe fuhr mit wichtiger Stimme fort: — Nachdem unser gelehrter Minus als Automat den Tod �berwunden hat und in den Augen des Volkes w�rdig weiterlebt, mu� daf�r gesorgt werden, da� sich seinem Rufe keine Kr�nkung nahe. Es sind mir einige Leute bezeichnet worden, die ihm Ehrenr�hriges hinsichtlich seiner z�rtlichen Neigungen nachzusagen wagten. Das ist schwere Beamtenbeleidigung. Wir k�nnen die Frevler mit um so ruhigerem Gewissen in Strafe nehmen, als ein . . . Automat gewi� von exemplarischer Keuschheit ist. Ich werde also eine Anzahl solcher Verleumder in den Zug einstellen lassen.

Ao: — Von Rechtswegen. Ich bewundere Deine feinsinnige Gesetzesanwendung, Oberrichter Kaspe. Was man unserem Minus bei seiner ersten Lebenszeit mit einigem Schein von Berechtigung in Bezug auf seine erotischen Bed�rfnisse nachsagen konnte, braucht er sich als Automat nicht gefallen zu lassen.

Nach einer kleinen Pause, die er mit Dr�cken und Streichen seines glucksenden Kehlkopfes ausf�llte, begann er wieder: — Noch eine ziemlich heikle Sache w�nschte ich bei dieser Gelegenheit von den Hoheiten entschieden, es geht jetzt in Einem hin. Unsere Staatsreligion ist ja, unter uns gesagt, Religionslosigkeit und unser Gottesglaube Gottlosigkeit. Ist es nun weise, frage ich, und liegt es im Interesse des Staates . . . hm, hm . . . eine milde Praxis gegen diejenigen zu beobachten, welche vom „hohen Mysterium“, vom „gro�en Unbekannten“, von der Formel „Gott und sein Volk“ nicht mit dem herk�mmlichen Respekte reden? Den Purpur der Gl�ubigkeit vielleicht gar besudeln?

— Bewahre! Keine milde Praxis! Nur das nicht! Streng bis zum Aeu�ersten! Religion, Mysterium, hoho, die Fundamente aller Autorit�t, nur daran nicht r�hren lassen bei den heutigen Zeitl�uften.

— Gut, Hoheiten, ich verstehe. Ich werde in Eurem Sinne das Weitere veranlassen.

Oberrichter Kaspe lehnte sich befriedigt zur�ck. Er hat seines verantwortungsvollen Amtes mit Eifer gewaltet. Er hat sich um Teutas Rechtspflege verdient gemacht und den Glanz des Nationalfestes durch seine juridische Strenge erh�hen helfen.

Nun beugte sich der Oberdiplomat Titschi vor.

— Es sei mir gestattet, unsern Minus in seiner automatischen Amtsf�hrung zu unterst�tzen. Es ist mir bekannt geworden, da� in einigen Bezirken verbotene Worte ausgesprochen worden sind. Man wird keine Beweise von mir verlangen, wenn ich mich auf die Zeugschaft unseres ausgezeichneten Soundso berufe. „Probleme“, „Entwicklung“ und �hnliche vom heiligen Wortschatze verp�nte Begriffe sind von jungen Leuten, zweifellos in agitatorischer Absicht, wiederholt auf �ffentlichen Pl�tzen, wo mindestens zwei Personen versammelt waren, ausgesprochen worden. Unbetheiligte H�rer haben Aergerni� daran genommen. Es liegt also ein qualifizirtes Verbrechen am heiligen Wortschatze vor. Ich werde die Verbrecher unserem Oberrichter zur Abwandlung �berweisen.

Auch Bim konnte mit einigen interessanten Misseth�tern aufwarten. Im physikalischen Institut ist er hinter Schreckliches gekommen. Gut bef�higte Sch�ler haben statt Bims wissenschaftliche Entdeckungen auszubauen und ihm mit eigenen Entdeckungen unter die Arme zu greifen, sich mit der Muse in ekstatische Umarmungen gest�rzt, die nicht ohne strafw�rdige Folgen geblieben sind. Drei Hefte, frisch mit Liedern beschrieben, zum Theil sogar selbst illustrirt, wurden bereits konfiszirt. Eins enthielt ein aufreizendes Liebeslied mit dem verr�ckten Titel „An eine blinde Seherin“, ein anderes eine hochverr�therische Spott-Hymne an den Teuta-Staat und eine Ode „Auf einen sprossenden Bart“. Mit dem vorschriftsm��igen Rasiren schienen es diese „Dichter“, die mit ihren Schmierereien sich �ber die offizielle Staats-Weisheit erhaben d�nken, nichts weniger als genau zu nehmen. Hierin ist eine Herabw�rdigung staatlicher Einrichtungen zu erkennen. Wenn die Hoheiten es verlangen, w�rde er gern eine Anzahl straff�lliger Barthaare als Beweisst�cke vorlegen. Also bitte er wegen Bartwuchses und Dichterei die von ihm Bezeichneten als Rebellen zu bestrafen.

Kaspe und Titschi nickten beif�llig. Soundso rieb sich schmunzelnd sein glattgeschabtes Kinn.

Ein ungew�hnlicher Straf-Wetteifer hatte die Hoheiten ergriffen.

— Je mehr, desto besser! g�hnte Ao. Die schwarzen Festzugs-Abtheilungen werden dem Teutavolke mehr Vergn�gen bereiten, als die purpurnen. Das liegt in der menschlichen Natur.

Hierauf wurde die Liste der Auszuzeichnenden durchgesprochen.

Soundso bef�rwortete namentlich weibliche Verdienste. Alle seine Freundinnen hatten sich um den Staat verdient gemacht. Seine Vorschl�ge wurden mit Begeisterung angenommen.

— Ob wir nicht doch des Guten zuviel gethan? fragte am Schlusse Oberphysikus Bim zweifelnd.

Ao, der langen Verhandlung m�de, versprach noch einmal eine Revisions-Sitzung anzuberaumen.

Die Aeltesten des Festbundes wurden zur Berichterstattung vorgerufen. Sie traten mit verdrossenen Gesichtern ein, vom langen Warten.

Automat Minus wurde zur Begr��ung auf sie losgelassen.

Die guten Leute merkten nichts. Die Maschine arbeitete tadellos.

Soundso versicherte dem Oberpriester noch einmal in’s Ohr, da� der Automat Grege wom�glich noch besser ausfallen werde . . . Und Jala werde das Fest versch�nen . . . leibhaftig!


Kapitel 21

Maikka lud Grege ein, mit ihr in’s Vorrathshaus zu kommen, damit sie sich ausr�steten f�r die Reise.

Grege betrachtete seine Gef�hrtin mit ruhig ernstem Blick und lie� sie schalten.

— Wir wandern in rauheres Land, zu kernfesten, wetterharten Leuten, da m�ssen wir uns entsprechend kleiden, da� wir der Natur trotzen und den Menschen gefallen. Wir wollen nicht als unerfahrene Fremdlinge erscheinen.

Sie legte Grege eine kurze lederne Kniehose vor, einen langen hellen Rock, dazu eine rothe, pelzbesetzte M�tze und einen Tuchmantel von grauer Farbe.

— Da� ich’s nicht vergesse, auch ein gro�es G�rtelmesser mu�t Du Dir an die Seite stecken. Von Gestalt wie ein alter Nordlandsk�nig, darfst Du in der Kleidung schon ein wenig wie ein heutiger Bauer aus dem Gebirge aussehen.

F�r sich w�hlte sie gleichfalls einen grauen Tuchmantel. Ihre �brige Tracht sollte aus einem weit�rmeligen wei�en Hemd, einem rothen Mieder und einem kurzen schwarzen Rock bestehen.

Den Kopf behielt sie unbedeckt, die dicken blonden Flechten ringsum wie einen schimmernden Rahmen mit goldenen Nadeln festgesteckt.

Grege hatte sich Surros bereitet und eine volle Tasche davon bereit gelegt. Maikka hingegen versah sich mit derberer Landkost, mit einer Schichte d�nner Fladbrode und einem gro�en St�ck gep�kelten und ged�rrten Rindfleisches, dazu nahm sie noch ged�rrte Birnschnitze und Konserven.

— Soll das Alles verzehrt werden? fragte Grege.

— Je nachdem. Mit Schaugerichten wollen wir uns nicht belasten. Aber wir m�ssen f�r alle F�lle mit Nahrung versehen sein. Deine Surros fl��en mir, wie Du wei�t, wenig Vertrauen ein. Du hast nur Hunger, ich jedoch Appetit wie ein Wolf. Wir kommen in Meer- und Gletscherluft. Du hast die Eisprobe zu bestehen, Grege.

— Ich bin auf Alles gefa�t. Nichts schreckt mich mehr. F�hre mich nur bald in das bewu�te Asyl. Ich habe lange genug Gl�ckliche gesehen. Nun will ich auch wieder das Ungl�ck gr��en.

— Nur nicht pathetisch, Grege!

— Deine Warnung ist gut gemeint, aber �berfl�ssig. Ich werde Niemand mehr mit zu viel Worten zur Last sein.

— Nun thust Du gekr�nkt, Grege!

— Nein, Maikka. Du wirst mich nicht mehr schwach finden. Ich bin Dir tief verpflichtet.

— Ich bin ja zufrieden mit Dir. Sei doch gut. Du hast die Feuerprobe bestanden, nun werden wir zusammen doch auch die Eisprobe bestehen, wie?

Sie sagte das mit einem nixenhaften L�cheln auf den Lippen.

Und sie strich ihm z�rtlich �ber den Bart, dessen dichter Wuchs �ber die Wangen herab, an der Oberlippe und am Kinn seidenweich und von gleichm��ig sch�ner goldblonder Farbe war. Eine woll�stige K�hle entstr�mte ihrer Hand.

— Dein Vollbart wird pr�chtig. Ich w�nschte mir ihn nur ein wenig rauher und struppiger. So ein recht zottiger Knebelbart, da� ich d’ran baumeln k�nnte, wird Dir wohl nicht wachsen. Gieb’ mal Acht, was wir im Gebirge f�r Zottelb�ren-M�nner entdecken werden. F�r mich. F�r Dich nat�rlich die entsprechende Weiblichkeit, gem�thstief, harmlos, still zutraulich . . .

— Du willst mich reizen, Maikka. Wann fahren wir ab?

— In einer Stunde.

— Und wir kutschiren?

— Bis zur n�chsten G�odrom-Station. Dort besteigen wir ein Luftschiff bis in die Berge. Und das Uebrige machen wir zu Fu�, bis uns das Meer entgegenrauscht, oder auch nicht. Wir werden stilles Wetter haben, frisches Wetter. So freue Dich doch, da� ich Dir Bef�rderung in allen Farben biete! Wahrhaftig, ich streiche Dir das Leben wie Honig um den Mund.

In aller Heimlichkeit packte sie auch Greges alten Pilgermantel mit ein, denn es k�nnte sie die Lust anwandeln, ihren Gast zu abenteuerlichen Bergbesteigungen zu verf�hren, und wer wei�, wie da das Wetter wird, und wieviel Kleider es kostet. Sie lachte spitzb�bisch in sich hinein. Grege wird Augen machen, wenn er den alten verschlissenen Freund, den sturmerprobten, wieder entdeckt. Und in den Mantel wickelte sie das in Teuta verbotene Zarathustra-Fragment: „Der Purpur-Staat oder vom neuen G�tzen“, ein d�nnes Heftchen. Das wollte sie, falls Unwetter sie in eine Bergh�hle bannte, mit Grege lesen, umrauscht vom Fl�gelschlag der Steinadler. Und noch ein schm�chtiges uraltes B�chlein packte sie dazu, die „Spr�che von Jesus Sirach“, darin sie die Stelle mit einem dicken rothen Strich umrahmte: „Errette den, dem Gewalt geschieht, von dem, der ihm Unrecht thut und sei unerschrocken, wenn Du urtheilen sollst. Bekenne das Recht frei! Diene einem Narren nicht in seiner Sache und sieh seine Gewalt nicht an, sondern vertheidige die Wahrheit bis in den Tod!“

Die Stunde war um. Und nun sausten sie auf einem hochr�derigen Zweisitz dahin. Maikka sprach zun�chst mehr mit ihrem Pferd, als mit ihrem Reisegenossen. Es hatte einen zierlichen, doch kr�ftigen Leib von gelber Farbe, einen gro�en, klugen Kopf, eine aufrechtstehende, kurzgehaltene wei�e M�hne.

— Vorw�rts, Tema, mach’ Deinem Stammbaum Ehre! Du kannst Dir so viel auf Deinen Stammbaum einbilden, wie der stumme Mann, der hier bei mir sitzt. Du bist aus edlem Hause.

Grege �berh�rte die Anspielung. Er sa� in Gedanken versunken. Vergangene Nacht l�pfte Maikka ihr Staatsgeheimni�, ohne ihm das letzte Wort zu sagen. Es gen�gte auch so, ihm wichtige Zusammenh�nge aufzudecken und seinem R�ckkehrsplan nach Teuta neue Grundlagen zu geben und st�rkere Ziele seinen n�chsten Unternehmungen in der Heimath. Bestimmte Pers�nlichkeiten tauchten jetzt aus dem Dunkel des Teutastaates auf und r�ckten ihm drohend in’s Gesichtsfeld: Minus, Titschi, Soundso. Alle drei hatte er seither nur als Oberfl�che genommen und ihre starren Wurzeln und Triebe in der Tiefe �bersehen. Mit allen Dreien w�rde er zun�chst den Kampf aufzunehmen haben. Minus ist der Gef�hrlichste, als der b�se Geist von Teuta, unter dessen Fuchtel die Entwicklung der Jugend sich schmerzlich windet. Minus, den er f�r einen pessimistischen Querkopf mit allerlei verkehrten Launen gehalten, ist ein wilder Egoist, dem im Staate nichts heilig ist, als seine Herrschlust, ein ironischer Volksver�chter. Titschi fischt im Tr�ben und hat sich den Soundso herangezogen zum Handlanger, der Alles wagt. Alle spielen nur mit dem Staate und n�tzen die ihnen vom verblendeten Volke einger�umte Machtstellung f�r ihre Sonderzwecke. Sie spucken ganz Teuta auf den Kopf. Soundso hat �berdies ein Netz von Verr�thereien um sich gesponnen. Er mu� mit eiserner Hand gefa�t und zerdr�ckt werden. Ohne R�cksicht. Alles was in Nordika und bei den Angelos �ber die inneren Zust�nde des Teutastaates ausgestreut worden ist, weist auf ihn zur�ck. Maikka hat ihm das geradeheraus best�tigt. Soundso unterh�lt mit Nachbarstaaten Nachrichtendienst. Sein Ehrgeiz ist ungemessen. Er will eine gro�e Rolle spielen um jeden Preis. Er arbeitet mit den anfechtbarsten Mitteln auf eine erste Stellung im Staate los. Er h�lt’s mit den Alten und mit den Jungen. Die Frauen hat er aufr�hrerisch gemacht. Hier gilt’s den ersten Streich, um ihn aus dem �ffentlichen Vertrauen heraus zu werfen . . . Bei den Angelos soll er pers�nlich eine Zeitlang gewesen sein, auch bei den Frankos, in geheimer Kundschaft seines Meisters Titschi . . . Maikkas Aussage klang in diesem Punkte ziemlich bestimmt . . . Und der Werthvolle Hinweis Maikkas: Dieses ganze lichtscheue politische Gesindel, das im hohen Rathe von Teuta nistet, k�nne durch einen einzigen eisernen Charakter von k�hner Offenheit hinweggefegt werden. Das ist ein Fingerzeig des Schicksals, der jedes Programm aufwiegt. Wie eine Windsbraut hineinfahren, zur rechten Stunde. Aber welches ist die rechte Stunde? Jede Stunde, die sich die Windsbraut selbst schafft . . .

— Grege, bist Du taub? Wie oft mu� ich Dich anrufen? Unser Pferdchen Tema m�chte wissen, wie’s bei Euch um die Vaterschaft steht, in Teuta?

— Wie das? fuhr Grege aus seinem Gr�beln auf. Ich bitte um Entschuldigung, Maikka. Ich dachte gerade . . .

— Das thun wir auch, Tema und ich. Drum fragen wir Dich. Auf wen lauten bei Euch die Geschlechtsregister?

— Auf die Mutter selbstverst�ndlich. Der Vater ist gleichgiltig.

— Das will sagen?

— Genau das, da� der Vater gleichgiltig ist. Kinder stehen auf Mutterecht. Zur bestimmten Zeit ziehen bestimmte Jahrg�nge von M�nnern durch bestimmte Thore — und kehren wieder zur�ck. Alles Uebrige bleibt den M�ttern, wieder bis zu einer bestimmten Zeit.

— Genug, Grege. Tema sch�ttelt die Ohren und wehrt mit dem Schwanze ab, mag nichts weiter h�ren. Schau’ Dir die Gegend an. Ehemaliges Sumpfland. Und jetzt! Die bl�henden G�rten sind uns nicht �ber die Grenze geflogen. Schau’ Dir auch die Leute an. Siehst Du einen einzigen h��lichen Menschen?

— Keinen.

— Alles ist, wie’s gemacht wird, Land und Leute. Ich gestatte Dir die Nutzanwendung dieses Satzes. Hott, Tema!

Dann fuhr Maikka fort: — Deine Bemerkung neulich �ber die schwebende Bev�lkerungszahl war zutreffend und gut formulirt. Jedes gesunde Volk mu� sein Wachsthum in der Hand behalten. Seine Vermehrung an Ort und Stelle darf �ber die bestimmte Zahl nicht hinaus. Die Tollheit der verkrachten Staaten des Maschinen-Weltalters war, da� sie sich in’s Blaue hinein vermehrten. Da� sie sich eine Ueberv�lkerung schufen. Als ob sich mit den �bersch�ssigen Massen auf dem heimischen Boden etwas anderes erzeugen lie�e, als Bedr�ngni�, Elend, Unsinn, Katastrophen. Und dann kamen ihre verdrehten Sozialpolitiker mit ihren einseitigen Systemen und wollten da das rabiat gewordene Leben hineinpressen. Wie diese durch die milit�rische Drillwuth verdummten Menschen durch ihre ewig fehlgeschlagenen Experimente sich nicht belehren lie�en, da� man mit Massen wohl Kriege f�hren, aber keine sozialen Probleme l�sen k�nne, ist zum Lachen. Was die ungl�cklichen Volksmassen, die Vielzuvielen, noch mehr durcheinander brachte, war die sogenannte Presse oder die Zeitungen, von denen t�glich ungeheure Ballen verschluckt wurden. Der Aermste las t�glich seine Zeitung, sie geh�rte zu seiner Mahlzeit, und den Aller�rmsten ersetzte sie oft die Mahlzeit. Das war eine ungeheure Verirrung, ein Unsegen, der nicht wenig den Krach der europ�ischen Zivilisation beschleunigen half. Die Presse nannte sich selbst eine Gro�macht, auch wenn nichts gro� an ihr war, als ihr Format und ihr gemeiner Unsinn und ihre L�genhaftigkeit. Sie wirkte wie ein schleichendes Gift. Die wahnbeth�rten Massen glaubten an die Zeitungen wie an eine Gottheit, obwohl sie sich alle untereinander widersprachen, sich stets in den Haaren lagen und sich der schimpflichsten Dinge bezichtigten. Von diesen Zust�nden k�nnen wir uns heute kaum eine Vorstellung machen. Die politische Presse ist auch in Europa in dem gro�en Massengrab der Kulturkadaver mitverscharrt worden. Aber so lange sie da war, sorgte sie daf�r, da� sie den Massen unentbehrlich blieb. Die Massen, die Volksmassen! Es ist unheimlich daran zu denken. Millionenweise hockten sie auf dem engsten Raum beieinander . . . F�nf bis zehn Millionen oft in einer einzigen Stadt. Gr��lich. Dazu hatten sie noch die zwei Grundthorheiten: Humanit�t und Internationalismus. Ihre Humanit�t bestand darin, da� sie alles Unsinnige, Kranke, Verdorbene, Gef�hrliche mit ausgesuchter Schonung und einem fabelhaften Aufwand von Mitteln behandelten, w�hrend sie den ehrlichen, gesunden Leuten Luft und Licht und Freiheit nahmen. Und was hatten sie von ihrem Internationalismus? Da� sie sich gegenseitig in die T�pfe guckten, gegenseitig beargw�hnten, gegenseitig belogen, betrogen, bekriegten, sich gegenseitig neue Bed�rfnisse und Verlegenheiten anz�chteten, statt da� sie sich in Ruhe lie�en, in vornehmer Entfernung blieben und jedes Volk f�r sich daheim auf eigenem Grund sich begn�gte und sein Leben nach seiner eigenen Art organisirte. Durch den Internationalismus ist das �rtlich Dumme und Verfehlte �ber die ganze Erde verbreitet worden, und was als �rtlicher Seuchenheerd h�tte isolirt bleiben sollen, ist als Weltgift zu allen V�lkern geflossen. So mu�te aus der Menschheit, die nur in einzelnen reingehaltenen V�lkern und V�lkergruppen mit genau regulirtem Wachsthum gedeihen kann, ein w�ster Mischmasch werden, ein w�hlender Krater — der dann in der bekannten Weise eruptiren und Alles zum Bersten bringen mu�te. Ist das Alles richtig betont worden in dem neulichen Probevortrag meiner Mitarbeiterin?

— Ich glaube wohl, Maikka. Doch h�ttest Du die Sache noch besser gemacht.

— Nun setze ich den Fall, Ihr w�rdet in Teuta den bekannten Skandal abstellen und Eure Menschenproduktion, die mir jetzt schon zu �ppig scheint, lie�e sich nicht gleich in der w�nschenswerthen Weise eind�mmen, was w�rdest Du thun, um den Ueberschu� an Nachwuchs zweckm��ig zu verwenden?

— Ich w�rde eine Auswanderung nach Jahrg�ngen vorschlagen und die ver�deten Theile des alten Deutschreiches besiedeln. Wo einst die Alamanen und Bavaren wohnten, g�be es gewi� gro�e St�cke Landes zu kolonisiren.

— Und wie w�rdest Du diese Jahrg�nge Deines verhockten H�hlenvolkes fortbringen? Wenn sie nicht freiwillig gingen?

— Ich w�rde eine Bundesgenossin erwarten, die sie hinaustriebe.

— Die w�re?

— Die Noth, die bittere, unbezwingliche Noth, Maikka, die leibliche und vielleicht noch mehr die geistige Noth.

Windschnell flog Tema mit dem leichten Gef�hrt auf der musterhaft gepflegten Fahrstra�e dahin. Links und rechts Geh�fte mit th�tigen Menschen. Keinerlei Neugier schien sie zu plagen. Kaum, da� einmal ein �lteres Weib auf die Stra�e trat, dem Gef�hrt nachzublicken.

Die Luft war leicht bewegt, der Himmel verschleiert.

Nun ging es eine l�ngere Strecke sanft bergan. Tema w�hlte sich die gem�chlichste Gangart.

— Es f�llt mir auf, Maikka, da� die Hausth�ren nicht gegen die Stra�e gehen, alle gegen den Hof- oder Gartenraum.

Sie antwortete mit ihrer alten Munterkeit: — Weil die Menschen sonst zu viel schwatzen, und die Weisheit liegt nicht auf der Stra�e.

— Aber sie kutschirt zuweilen vor�ber, versuchte Grege mit Spott.

Maikka dr�ckte ihm rasch die Z�gel in die Hand: — Flink, kutschire Du, dann stimmt’s.

Grege stellte sich ungeschickt, Tema merkte sofort den Regierungswechsel und machte keinen Schritt mehr.

Maikka lachte �ber seine Unbeholfenheit: — Wo hast Du seither Deine Augen gehabt? Solche Dinge sieht man sich doch im Nu ab. Achtung, so, zwischen dem vierten und kleinen Finger den Riemen durchziehen — der kleine ist zu schwach? — also zwischen dem dritten und vierten, und den Daumen so legen, so. Und nun die Ellbogen einw�rts an den Leib, die Beine nicht auseinander, Alles in F�hlung, Alles in festem Schlu�, ein einziger Kraftkomplex, keine Zerstreuung. Arme ruhig, im Handgelenk sitzt der Witz . . . Und das will ein Staatenlenker sein, ein geborener. Halt, halt, mach’ mir das Thier nicht kopfscheu, Z�gel jetzt ganz locker, Du greifst ja zu, als h�ttest Du eine abgetriebene Schindm�hre vorgespannt, nicht ein edles Ro�, das eine edle Leitung gewohnt ist. H�r’ mal, Grege, Tema verbittet sich dergleichen robuste Eingriffe in ihre eigene Intelligenz. Sie ist nur willf�hrig in der Illusion, da� der Mensch auf dem Bock in seinen F�higkeiten wenigstens nicht unter ihr stehe. Raubst Du ihr diese Illusion, dann macht sie in ihrem Jugendfeuer mit dem Fuhrwerk und seinem Beherrscher kurzen Proze�.

— Die Noth lehrt kutschiren, Maikka.

— Umgekehrt ist auch gefahren, Grege. Die Noth zwingt das Thier, sich einen Kutscher gefallen zu lassen, der das Kutschiren nicht gelernt hat. Bis es �ber die Noth Herr wird und den Kutscher mitsammt seiner Kutsche �ber den Haufen wirft. Die Geschichte hat schon Manchem nicht blo� den Kutscherthron, sondern das Leben gekostet.

— Ist’s so recht, Maikka?

— Betrachte Temas Verhalten, und Du wirst die Antwort wissen. Das gute, vern�nftige Thier! Es nimmt einen Teutamann an, in der Hoffnung noch einen ertr�glichen Kutscher aus ihm zu machen, damit er ein besseres Fortkommen in der Welt finde! Alles wendet sich zu Deinem Heil!

— Die Noth, die Noth, wie ich vorhin sagte, Maikka. Der die Noth erleidet und der sie beobachtet und dem sie zu Herzen geht, Alle ziehen schlie�lich am gleichen Strang und m�ssen sich verst�ndigen.

— Das ist sehr staatsm�nnisch gesprochen. In der alten Zeit nannte man das, wei�t Du wie? Opportunit�ts-Politik. Der Karren gerieth trotzdem immer tiefer in den Dreck.

Grege runzelte die Stirn. Sein Blick hatte etwas eigenth�mlich Starres, Fanatisches.

— Dreck freilich, wo der �berlegene Geist fehlt, den nur das Schicksal sendet oder vorenth�lt. Die Noth zwingt auch das Schicksal, Maikka.

— Das ist mir zu mystisch, Grege. Es giebt eine Form der Noth, da lacht sich auch das Schicksal in’s F�ustchen. Hunger! Gemeiner Hunger! Das Schicksal hat unter der alten Weltordnung j�hrlich Millionen Menschen verhungern lassen, kein Geist hat die armen Hungertodes-Kandidaten errettet. Freilich, damals kannte man Deine Surros noch nicht, das Surrogat aller Surrogate.

— Dein Hohn, Maikka, ist schlechte Kost. Ich f�rchte, er bleibt mir im Magen liegen.

— La� ihn liegen und schaff’ Dir einen neuen Magen an.

— Ich will mir’s merken, Maikka.

— Und merk’ Dir gleich noch dies dazu: Ihr Teutaleute habt Euch an Surrogaten verdorben. In Allem. Nehmt wieder nat�rliche, starke Kost, so w�chst Euch ein nat�rlicher, starker Geist. Schafft Euch eine neue K�che und neue K�che an. Dann habt Ihr das Schicksal in Eurer Gewalt. Braucht keine slovakische Surrogat-Politik mehr. Das Geheimni� aller Umw�lzungen und Neuordnungen liegt in der K�che. Nun, ich w�rde Euch Surrogat-Menschen einen K�chenzettel schreiben, der sich gewaschen hat: Rohes essen, Quellwasser trinken, und an den hohen Festtagen Blut! . . . Gieb mir die Z�gel, Grege, die arme Tema dauert mich . . .

Die Landschaft jenseits der H�he wurde einf�rmiger. Der Pflanzenwuchs k�mmerlicher. Von B�umen waren nur noch Birken, Eschen, Erlen und Ebereschen zu sehen. Die Stra�e f�hrte �ber moorigen Grund. Selten war ein Geh�ft zu entdecken. Hie und da ein Mensch in eigenth�mlich langem, grauem Gewand, das den Leib sackartig umh�llte, kaum zu unterscheiden, ob Mann oder Weib.

— Du fragst nicht, Grege?

— Was soll ich fragen? Frage Du f�r mich. Du hast mich verw�hnt . . . oder verdorben. Du nimmst mir Alles ab. Teufelsweib!

Maikka lachte: — So nimm doch wieder Alles zur�ck! Du bist die Macht, die durch Herkommen herrschende Macht, mu�t mich also bek�mpfen. Als Opposition bin ich von Haus aus der schw�chere Theil, ich will die Herrschaft erst erringen. Wo hast Du jemals eine Macht gesehen, die sich schwach macht, sich selbst schwach macht . . . h�, Tema! . . . um die Opposition mit gleichen Waffen zu bek�mpfen? Du mu�t mit Deiner altererbten Gewalt die Opposition aufreiben! . . . H�bsch auf dem gebahnten Wege bleiben, Tema, sonst f�hrst Du die Opposition in den Morast! Frage, Grege, frag’!

Greges Stirnfalte grub sich tiefer. Der fanatische Zug verst�rkte sich.

— In Teufelsnamen, Weib, in welche schlimme Gegend f�hrst Du mich?

— Recht so, Grege, die Frage hat wenigstens Lokalfarbe. Das ist die christliche Gegend. Und die wollte ich Dir mit Absicht zeigen. Sie ist interessant genug. Hier haust die letzte christliche Sekte von Nordika, vielleicht von Europa. Und da� wir hier �berhaupt fahren und athmen k�nnen, ohne Gefahr f�r unsere Gesundheit, ist ihr Verdienst. Bevor sich die Christen hier niederlie�en, war das ein t�dtliches Fiebersumpfland. Ihre Aufopferung, ihr Flei� brachten es auf den heutigen Stand. In hundert Jahren werden wohl hier auch G�rten bl�hen und Kornfelder wogen und Fruchthaine die Landschaft beleben. Diese Christen nehmen ihren Beruf mit jenem himmlischen Ernst, der an jeden Buchstaben des Evangeliums glaubt. Sie glauben an das Jenseits und bereiten sich darauf vor, wie auf ihre wahre Heimath. Von der Erde und den Menschen begehren sie nichts, als Duldung und die Erlaubni�, sich ihnen n�tzlich zu erweisen. Sie pflegen die kranke Erde und die kranken Menschen und tr�sten die M�hseligen und Beladenen, die hilfesuchend zu ihnen kommen. Sie selbst dr�ngen sich Niemand auf.

— Die M�hseligen und Beladenen in Nordika? fragte Grege erstaunt, mit warmer Antheilnahme.

— Du vergi�t doch nicht das Ziel unserer Reise, Grege? Gerade die M�hseligen und Beladenen sind es, zu denen wir wollen, nicht wahr? Zu den armen Blinden, Taubstummen, Bl�den, drau�en im Asyl am Fjord. Nun ja, das Asyl ist Christenwerk. Sie haben es erbaut und bestreiten seine Unterhaltung. Das ist die einzige �ffentliche Th�tigkeit dieser letzten christlichen Sekte in unserer Volksgemeinschaft. In ganz Europa giebt es meines Wissens kein offizielles, kirchlich organisirtes Christenthum mehr. Diese letzten Christen leben unter uns vollkommen frei, ohne jede andere Organisation als ihre unerm�dliche Arbeit. Au�er durch ihr Leben der N�chstenliebe versuchen sie keinerlei Propaganda. Nur den M�hseligen und Beladenen verk�ndigen sie das Evangelium, nur den ohne Verschulden Armen. Und wenn diese das Evangelium annehmen und wieder zur Gesundheit kommen, so setzen sie das christliche Leben und die Arbeit der Barmherzigkeit an Anderen fort — oder auch nicht, ganz wie es ihnen das Herz eingiebt.

Grege fragte nachdenklich: — Sind das nun geborene Ungl�ckliche oder erst ungl�cklich Gewordene, die wir im Asyle finden werden?

Maikka erkl�rte sich die seltsame Frage aus dem �berraschenden Eindruck, den die christianisirte Gegend auf Grege’s Gem�th machte, und antwortete treuherzig: — Nein, das sind keine geborenen Ungl�cklichen. Nordika ist so wenig grausam wie irgend ein anderes zivilisirtes freies Land. Wem die Natur gleich bei der Geburt das Ungl�ck angethan hat, dem wird die traurige Last des Weiterlebens nicht auferlegt. Sobald die Unabwendbarkeit des Ungl�cks feststeht, wird Vorsorge getroffen, da� die Natur ihr mi�gl�cktes Gesch�pf wieder zur�cknimmt. Kein Mensch kann wollen, da� einem anderen Menschen die Erde ein Jammerthal sei, von der Geburt an, ein langes Leben hindurch. Wenn sich die Starken mit den Schwachen, die Gesunden mit den Kranken, die Vollsinnigen mit den Bl�dsinnigen, die Sehenden mit den Blinden ihr Leben lang herumschleppen wollten, w�rde da nicht jeder h�here Zweck der Menschheit vereitelt?

— Die Sehenden mit den Blinden ihr Leben lang . . . gewi�, Maikka. Aber das Christenwerk, wahrhaftig, da mu� man Ehrfurcht haben. Es liegt wie ein unverl�schlicher Himmelsglanz . . .

— Ich verstehe Dich, Grege. Wie sp�te Abendr�the liegt’s auf dieser jahrtausendalten christlichen Tradition. Wie wehm�thige Poesie. Man kann es manchmal nachf�hlen in gewissen seltenen Stimmungen. Dann begreift man auch die einstigen Massenwirkungen der Gl�ubigkeit, wie ganze V�lker sich mit der Poesie des Verscheidens ges�ttigt, wie sie die evangelische Tradition, selbst in dogmatischer Verunstaltung, in das innerste Mark eingesogen, wie sie mit weltfremder Sehnsucht ihre Nerven, mit Jenseits-Visionen ihre Tr�ume erf�llt haben. Es war erhaben und schauerlich zugleich, wie jede Massenwirkung. Aber w�re die Welt jemals licht, froh und sinnvoll geworden, wenn der kirchliche Bann nicht von ihr gewichen w�re? Grabes-Poesie, Jenseits-Poesie, Menschenopfer ohne Zahl wurden ihr gebracht, da� sie gespenstisch bl�he. Und siehe, die Gespenster sind doch �berwunden.

— Poesie, ja . . . Poesie, lallte Grege, wie mit schwerem Kopf.

— Brr! rief Maikka. Nein, nichts mehr davon. Das Leben selbst Poesie, das volle, hei�e, gegenw�rtige Leben! Grege, Grege, was sinnst Du? . . . Es giebt keinen Gespenster-Gott und Grege ist sein Prophet! H�, Tema!

— Du spottest schon wieder, unverw�stlicher Spottvogel!

— Sprich, Grege, geht Dir in Nordika an lebendig gelebter Poesie etwas ab? Ist Nordika nicht ein Idyll zwischen Erd’ und Himmel?

— Ja, ja, wie man’s nimmt . . . ein Idyll . . .

— Nun ja, bei uns ist das Leben ein Idyll, bei den Angelos ein Epos, bei den Teutaleuten, na, Grege?

— Ein Drama.

— Richtig, Teutamann, ein d�steres Drama mit Satyrspiel wie bei den klassischen Alten. Sieh nur zu, da� das Satyrspiel nicht am Anfang kommt . . . Tema, h�! Nun werden wir’s ja bald haben, jenseits des H�gels ist die G�odrom-Station. Dann hinein in alle L�fte!

Grege hob den Kopf hoch mit suchendem, erinnerungsvollem Blick.

— Sing mir ein Lied! Ein lustig Lied, Mann! Tema h�rt das Singen gern, es trabt sich leichter beim Singen. Im Namen Tema’s bitt’ ich Dich. Tirilire uns eine fidele Teuta-Weise! Pfeife!

Ein finsteres Seitw�rtsblicken war die Antwort.

— Verzeih’, Grege, ich hab Dich �bersch�tzt. So juble wenigstens. Schrei Hojoho! Wir sind aus dem christlichen Armes�nderland heraus, aus der Niederung der evangelischen Barmherzigkeit. Bergan, H�henluft, H�henlicht, die Herzen auf, die Welt ist so sch�n!

Grege jubelte nicht und schrie nicht. Starr und kalt sa� er da.

Maikka hingegen schrie und jubelte und sang und pfiff durcheinander und fand dabei noch Zeit zu dem Gedanken, da� der Mann an ihrer Seite doch eigentlich ein unheilbar pessimistisch durchseuchtes Individuum, ein waschechtes Teuta-Subjekt sei. Ein Mondkalb. Ein unausgetragener Stier. Ein Wasserkopf. Ein dreifacher Uhu. Am besten, man sperrte ihn in den Asyl-K�fig am Fjord. Zur Erheiterung der Ungl�cklichen. H�! Den Gl�cklichen bereitet er doch nur Mi�behagen. Dieser schwarze Teutaklex in der goldenen Nordika-Sonne . . . Diese moderige Mumie im Garten der Lust . . .

Und sie lachte und sang in den h�chsten T�nen und stie� den Takt mit dem Ellbogen in Grege’s Seite . . . Und um ihn recht empfindlich zu treffen, improvisirte sie ein Spottlied auf den Hunger.

Eben wollte ihr Grege den Mund zuhalten, und wenn das zu ihrer Beschwichtigung nicht gen�gte, sie vom Sitze herunterwerfen, als der Wagen um die Ecke eines jungen W�ldchens bog und vor dem Stationshause hielt. Das ist ja kein Weib, das ist ein Berserker . . .

— Angekommen! rief sie, warf dem Pferde die Z�gel auf den R�cken und sprang herab. Sie reckte und dehnte sich und sah pl�tzlich wieder ganz manierlich aus.

Ein h�bsch gewachsener J�ngling kam ihr gr��end entgegen.

— Mein Sohn Ole, Gast Grege . . . Wie lebst Du hier? . . . Ist ein G�odrom bereit? . . . In einer halben Stunde? . . . Das pa�t uns. Packe unseren Reisekram ein, ich will mein Pferd versorgen . . . Du kommst nicht mit, Ole? . . . Schade. Uebermorgen sind wir wieder hier . . . Du giebst uns wenigstens einen verl�ssigen Fahrer mit? . . . Abgemacht . . . Das Wetter ist nicht sonderlich, ich wei�, Ole . . . Aber warum ist mein Gast nicht einen Monat fr�her gekommen, zu den „wei�en N�chten“? . . . Ach, Ole, Du glaubst nicht, diese Teutaleute kommen �berall zu sp�t . . . Es ist mir eine gro�e Freude, da� Du so stramm geworden bist, ich bin stolz auf Dich, Ole . . . Der Alte l��t Dich auch gr��en. Auf Wiedersehen! . . . Gro�mutter Ingeborg? . . . Nat�rlich, sie ist lustig wie immer. Auf Wiedersehen! Gef�llt Dir mein Gast? Er ist ein drollig lieber Mensch . . . Wiedersehen!

Die Fahrt begann mit einem kr�ftigen Imbi�. Maikka hieb mit blitzenden Z�hnen in ihre Fladbrote ein, die sie mit duftigen Konserven belegt hatte. Grege fand gleichfalls Geschmack an diesen Broten. Die Luftgondel strich nicht hoch. Zu sehen war vorerst nichts sonderlich Bemerkenswerthes. Die fernen Berge waren wolkenverh�llt. In der n�chsten Landschaft reihten sich Geh�fte, Blockh�user und Sommerbauten zu niedlichen Ortschaften. Viehherden mit gl�nzenden Kugeln an den H�rnerspitzen, gleich Leuchtk�ferchen im dunklen Gr�n, sandten ab und zu einen Laut von der Erde herauf. Die Luft hielt sich feierlich still.

Der Imbi� war zu Ende. Maikka sch�ttelte die Brotkrumen auf die Erde hinab. Einem Flug Elstern, der in der N�he des G�odroms unten vor�bersauste, warf sie Reste von ged�rrtem Fleische zu.

— Kennst Du diese V�gel, Grege? Man hei�t sie hier Gertrudsv�gel. In einigen Gegenden stehen sie in hoher Verehrung. Magst Du die Geschichte h�ren, die man sich von ihrer Erschaffung erz�hlt?

Gern mochte er sie h�ren. Die Erz�hlung wird ihm wie Musik die Ohren schlie�en, da� seine Gedanken desto ungest�rter in die eigene Seele tauchen k�nnen wie in einen Ozean wildwogendender Empfindungen und dann wieder ordnend dar�ber schweben wie der Sch�pfergeist �ber dem Chaos.

Und es beliebte Maikka, recht wie eine M�rchentante zu erz�hlen, w�hrend die Gondel ruhigen Kurs hielt.

— Die Elster war in uralter Zeit ein Weib, welches einmal von Odin beim Teigkneten �berrascht wurde. Sie erkannte aber den Gott nicht, da er wie ein armer, sterblicher Wanderer gekleidet war. Um Odins willen, gieb mir ein wenig zu essen, ich komme weit her �ber die Felder, redete der Gott sie an. Gertrud, so hie� das Weib, kniff ein St�ckchen von dem Teige ab. Und als sie es formend im Backtroge hin- und herrollte, wuchs es zusehends und ward bald so gro�, da� es den ganzen Trog f�llte. Nein, rief sie, das ist zuviel f�r Dich. Und sie legte das so wunderbar gro� gewordene St�ckchen bei Seite und kniff ein noch kleineres St�ckchen ab, als das erste war. Aber auch dieses wuchs und f�llte den Trog. Und so ein drittes und viertes. Je mehr St�cke sie bei Seite schaffte, desto mehr wuchs ihre Habgier und ihres Herzens H�rtigkeit. Im Stillen dachte sie: Wenn der Bettler erst fort ist, so theile ich meinen ganzen �brigen Teig in lauter winzige St�ckchen und knete die gr��ten Brode daraus. Ein solches Wunder kehrt nicht leicht wieder. Und laut sagte sie zu dem Wanderer: Mach’ nur, da� Du fortkommst, ich kann Dir nichts geben, mein Haus ist selber arm, m�ge Dir Odin gn�dig sein. Nun geh’! Da erz�rnte der Gott und �ffnete ihr die Augen. Und als sie erkannte, wem sie das Brod verweigert hatte, fiel sie auf die Kniee und flehte um Vergebung. Aber der Gott sprach: Der Ueberflu� hat Dein Herz verh�rtet und ist Dir zum Unsegen geworden. Jetzt sollst Du arm werden, auf da� Dir die Armuth zur Besserung gereiche. Zwischen Baum und Borke sollst Du Deine Nahrung suchen und im Troge wird Dir kein Brod mehr wachsen. Da umklammerte das Weib die F��e des Gottes und netzte sie mit Thr�nen. Und der Gott sprach: Wenn Deine Reue aufrichtig ist, will ich die Strafe von Dir nehmen, sobald Dein ganzer Leib sich in Trauer kleidet. Dann wirst Du auch gelernt haben, hinfort die Gottesgabe recht zu brauchen. Gertrud floh vor dem Angesichte Gottes und ward in eine Elster verwandelt, und alsobald bedeckte sich ihr Leib mit schwarzem Gefieder, da ihre Trauer schon begonnen hatte. Nur die Federn am Bauche und an den Fl�geln waren noch wei�. Wie sie aber �lter wurde, wurden auch sie dunkler, bis sie von schw�rzlicher Farbe waren. Wenn sie dereinst ganz schwarz sind, dann hat Gertrud genug geb��t und ihre Strafe wird aufgehoben. Bis dahin steht der Gertrudsvogel unter dem Schutze des strafenden und verzeihenden Gottes, und Niemand thut ihm ein Leid an. Das ist die sch�ne Geschichte von der Erschaffung der Elster, und wer sie richtig h�rt, dem r�hrt sie das Herz und bewahrt seine Seele vor Habsucht . . . Ist Dein Herz ger�hrt, Grege?

Er nickte mit stummem L�cheln.

— Nun ist die Reihe an Dir. Erz�hl’ uns ein M�rchen. Sieh, wie sich der Himmel umschattet!

Grege blickte lauschend auf. Eine feine R�the stieg ihm in die Stirn.

— Wohlan, an jenem unverge�lichen Tage war’s. Das j�ngste Gericht war vor�ber. Ein schweres St�ck Arbeit. Es hatte vom ersten Hahnenschrei in der Fr�he bis zum Abend und tief in die Nacht gedauert. Mit starren Sternen stand die Mitternacht �ber dem Thal Josaphat, und der Weltenrichter sa� noch auf seinem Stuhle, unbeweglich, mit den schweren H�nden auf den Knieen, den Blick geradeaus in die Unendlichkeit. Von unten kam kein Laut, die Erde war wie ausgestorben. Alles war vollbracht. Die Seligen im Himmel und die Verdammten in der H�lle. Au�er ihnen nirgends mehr eine lebendige Menschenseele. Der Weltenrichter erwog, ob er wirklich Alles recht gemacht, ob er kein Versehen begangen und Alles nun in Ewigkeit so bleiben solle, wie er’s entschieden. Er lauschte seinen eigenen Gedanken und sp�hte, ob sie kein Echo weckten. So scharf er auch seine Ohren spannte, er vernahm nichts als den verhallenden Jubel im Himmel, denn die Seligen schliefen nach Mitternacht allm�hlich ein, erm�det von dem �bergro�en Gl�ck, und mit dem verhallenden Jubel vernahm er zugleich das Jammergeheul aus der H�lle, das von Stunde zu Stunde markersch�tternder und gr��licher anschwoll und den Himmel umbr�llte und den ganzen Weltraum erf�llte, denn die Verdammten konnten sich in ihr entsetzliches Schicksal nicht finden und nie mehr ein Auge schlie�en. Der Weltenrichter vermochte sich von seinem Stuhl nicht zu erheben, aus Angst, durch seine Bewegung die Einen in ihrem Schlafe zu st�ren, die Anderen in ihrem wachenden Elend noch rasender zu machen. Und er sehnte den Morgen herbei und den ersten Hahnenschrei und dachte nicht daran, da� es hinfort keinen Morgen und keinen Hahnenschrei mehr geben k�nne und die Mitternacht mit starren Sternen stillstehen m�sse �ber dem Thal Josaphat. Denn das Ende war ja da und Alles entschieden, unwiderruflich, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Da der Himmel mit seinem Gl�ck, dort die H�lle mit ihrem Ungl�ck — und dazwischen das leere Nichts, unab�nderlich. Wie also kein Morgen d�mmerte und kein Hahnenschrei das Fr�hroth ank�ndigte, so lange der Weltenrichter auch wartete, erkannte er pl�tzlich, da� er selbst sich um jeden Wechsel gebracht und ihm nichts mehr zu schauen und zu h�ren bliebe, als das Himmelreich mit seinem Jubelschwall und das H�llenreich mit seinem Jammergeheul; Engelsreigen und Teufelst�nze. Und er seufzte und beklagte seinen Eifer, der diese strenge Ordnung geschaffen und alle Ueberraschungen und alle Phantasie auf ewig vernichtet hatte. Und wenn er’s nun recht bedachte, so war er ein einsamer Gott geworden, dem nichts Neues mehr passiren konnte, und mit dem Gef�hl des Ewign�mlichen, Phantasielosen kam ihm das Bewu�tsein, da� seine eigene Jugend verschwunden sei und er sich nun auf ein stilles thatenloses Alter einrichten m�sse. Und da schauderte der Gott vor sich als seinem eigenen Weltenrichter, sein pedantisch peinliches Gesetz hatte ihm diesen Streich gespielt. Dieser Stuhl mu�te nun sein Thron bleiben immerdar. Und in schwere Trauer versank der Gott und seine alte Erdensehnsucht ergriff ihn immer br�nstiger, also da� seine Wimpern zuckten und Thr�nen seinem Auge entquollen. Unbeweglich stand �ber ihm die Mitternacht mit starren Sternen und unter ihm die entv�lkerte Erde mit dem Thale Josaphat, wie Vorwurf und Gewissensbi� . . . Siehe da, in freier Luft, nicht vom entschlummerten Himmel und nicht von der ruhelos tobenden H�lle her, nahte sich sanft schwebend eine Gondel aus weiter Ferne, n�her und n�her, bis sie fast sein Angesicht ber�hrte, und sie lie� sich zu seinen F��en nieder. Zwei Menschen entstiegen dem lustigen Fahrzeug: ein lichtes, lachend s��es Weib und ein Mann . . . Sprachlos war der Gott bei ihrem Anblick, er mu�te sich erst fassen, so �berraschend war das Ereigni�. In frohem Erstaunen rief er: Wie seid Ihr denn entkommen? Wi�t Ihr nicht, das schreckliche j�ngste Gericht, sagt doch, sagt doch! . . . Wir haben uns auf einer Lustfahrt versp�tet, vergieb uns! lautete ihre Antwort. Ja, Menschen, Menschen! rief er gl�ckselig, und immer wieder: Menschen, Menschen! . . . Wahrhaftig, keine Engel und keine Teufel, keine Heiligen und keine Verdammten, nur Menschen! Und Entz�cken erfa�te den Ewigen und er rief: Ach, Menschen, wie lebte der Gott ohne Euch! Schafft mir mein Menschenreich auf Erden wieder! . . . Und er fand kein Wort zu sagen, wie ergriffen er war und wie sehr ihm das lichte, lachend s��e Weib gefiel. Da erschien an der Seite des Mannes pl�tzlich ein zweites Weib, wie ein Schemen, geisterhaft d�ster, da� selbst der Gott erschrak. Mit geschlossenen Augen stand es da, die Lippen d�nn und farblos, gramvoll die Z�ge . . . Was willst Du? fragte der Gott. Da blieb es stumm und auch die Augen �ffneten sich nicht . . . Mann, welches von den Zweien ist Dein Weib? fragte der Gott. Da blickte der Mann mit Augen, ganz Seele und verzehrende Kraft der Sehnsucht, auf das lichte, lachend s��e Weib — und reichte der stummen, bleichen Gestalt die Hand, erst z�gernd, dann fest, da� es wie erwachendes Leben sie durchstr�mte und ihre Augen weit sich �ffneten wie Sterne, die aus dem Dunkel tauchen, und er schritt mit ihr aus der Mitternacht dem neuen Erdenmorgen entgegen. Das andere Weib aber zog der Gott zu sich empor und nahm es an seine Brust: Du sollst bei mir bleiben und mit Deinem s��en Lachen, Deinem wundervollen Menschenlachen Alles �bert�nen, den feierlichen Jubel des Himmels und den Jammerl�rm der H�lle, da� ich mich doppelt der Erde erfreue, ich, Dein seliger Gott, und Heil erbl�he dem neuen Geschlecht . . . Und also entschwand lachend der Gott mit dem lachend s��en Weib in die purpurne Finsterni� der Unendlichkeit. Wie Rosenzauber wob sich das Fr�hroth �ber die Erde.

— Grege, Grege! rief Maikka in tiefer Bewegung.

Unaussprechliches klang aus diesem Ruf. Und mehr als der Ruf, sagten ihre Thr�nen, die ihr in gro�en Tropfen �ber die Wange rollten.

Der Erz�hler sa� starr und stark, wie Einer, dem die schwerste Ueberwindung gelungen, ohne Siegerfreude. Das schied den Menschen vom Gott.

Maikka streckte ihm ihre Hand hin: — Bitte Deinen Gott, da� er zuvor mein Herz von Dir wende. Sonst k�nnte er meines Lachens niemals froh werden, in alle Ewigkeit nicht. Sein j�ngster Tag w�re nicht sein letzter Irrthum gewesen . . . Bitte ihn . . . warne ihn . . .


Kapitel 22

Runaug, die liebliche Tochter des Wirths am Fjord, hatte in aller Fr�he Grege geweckt, wie er gew�nscht. Harmlos, wie ein kleines Kind, stand sie an seinem Lager und tippte nach seiner Hand. Aber als Grege sie lange und tief ansah und sie �bersch�ttete mit stummen Seelenfragen, da kam es wie ehrfurchtsvolle Scheu �ber sie vor dem fremden Manne. Wo hatte er diese lichte, liebliche Gestalt schon gesehen? In welchen Gefilden, in welchen Weltzeiten war er schon Hand in Hand mit ihr gewandelt und hat mit ihr die s��en Bl�thentr�ume der ersten Liebe getr�umt? Wo hatte er diese knospenden Muttergottesbr�stchen schon gek��t? . . . Angstvoll zitterte ihre Stimme, als sie im Zur�ckweichen ihm mittheilte, da� Alles bereit und geordnet sei, seine Reisesachen und Kleidungsst�cke, und der Bootsmann ihn in einer Stunde erwarte . . .

Grege hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. War’s der ungewohnte Meergeruch? Einmal war er aufgestanden, hatte den Holzriegel zur�ckgesto�en und durch die Luke auf das Wasser geblickt. Das Meer hatte vorher gest�rmt und seine Wogen an den klippenreichen Strand geworfen, donnernd, in verzweifelter Brandung . . . Jetzt lag es ruhiger, die hellgr�nen Wellen schienen nur noch ein lustiges Spiel zu treiben, die Morgenlichter spiegelten sich in den feuchten Stellen der Felsen, und weiter hinaus leuchtete der Aether in tiefem Blau �ber die beruhigte Welt. Das blitzschnelle Unterwasserboot w�rde leichte Arbeit haben . . .

Er streckte sich wieder auf das Lager, aus Fellen bereitet. Bild um Bild, in wilder Jagd, zogen die letzten Erlebnisse vor seinem in Ruhelosigkeit fiebernden Geiste vor�ber. Die hei�e Thalsonne �ber der mittagsm�den Atmosph�re der Bergschlucht, darein das Asyl gebettet war. Eine Sammlung von niedrigen, schlichten H�uschen zwischen steinigen Landst�cken in der verbreiterten Schluchtm�ndung. Und Alles so wei� und reinlich und himmelsstill. Fern dar�ber die Gletscher, die mit gigantischen Armen diese menschenentr�ckte Welt zu umfassen und gegen das Meer zu sch�tzen und dem Himmel entgegenzutragen schienen.

Aber er selbst, Grege, auf einem Felsblock vor dem H�uschen der Blinden, den Blick auf die offene Th�r, auf deren Schwelle eine singende Frau sa�, die H�nde im Schoo� gefaltet, den Kopf mit den geschlossenen Augen zur�ckgelehnt, an den Th�rpfosten, Alles �bergossen von dem zarten Licht, das durch eine alte, wetterzerzauste F�hrenkrone sich den Weg bahnte. Dann aus dem H�uschen Choralmusik wie von einem orgelartigen Instrument, ged�mpft, zaghaft, bis die Akkorde sich zu einer breiten, ruhigen Melodie fanden. Die singende Frau, wie von dieser Melodie k�rperlich ber�hrt, um die H�fte gefa�t und aufgehoben, setzt einen Fu� vor den andern und beginnt zu wandeln, voll Zuversicht in ihrer Blindheit, von einer Seite des G�rtchens zur andern, die gefalteten H�nde l�send, so oft sie an der alten F�hre vor�berkam, um deren Stamm mit welker Hand zu streicheln. Ein Ameisen-Wanderzug kreuzte den Weg in dem�thiger Eile, und jedesmal, wenn die Blinde dar�ber schritt, schwer, t�ppisch schlurfend, zertrat ihre breite Sohle was von dieser stillen Karawane gerade darunter kam. Ihr Gesicht hatte einen verkl�rt stupiden Ausdruck . . . Ein uraltes Lied, eine uralte Weise, und immer voll seliger Inbrunst die n�mliche Strophe wiederholend, also da� sie Wort f�r Wort Grege’s Ged�chtni� sich einpr�gte, sang die wandernde und ameisenmordende Blinde zu der begleitenden Musik:

Befiehl Du Deine Wege

Und was Dein Herze kr�nkt,

Der allertreusten Pflege

Dess’, der den Himmel lenkt.

Der Wolken, Luft und Winden

Giebt Wege, Lauf und Bahn,

Der wird auch Wege finden,

Da Dein Fu� gehen kann.

— Und keine Hoffnung auf Heilung? fragte Grege die m�tterliche Christin, die als Aufseherin waltete.

— Mein Pflegling ist zu alt und begehrt sie kaum mehr. Sie ist vor zehn Jahren erblindet, an einer Krankheit im Wochenbett. Ihre Kinder sind todt. Sie steht allein in der Welt. Sie ist nicht ungl�cklich, glaube das ja nicht, sie ist wahrhaftig nicht ungl�cklich.

— Hat man keine F�lle wunderbarer Heilung?

— Doch, man hat solche F�lle beobachtet. Einmal eine junge Frau, durch eine gro�e Gem�thsersch�tterung erblindet, ist ebenso durch eine andere Gem�thsersch�tterung wieder zum Licht gekommen.

— Gem�thsersch�tterung? Wie verstehst Du das, christliche Frau?

— Ein pl�tzliches gro�es Gl�ck zum Beispiel . . .

— Es giebt auch Aerzte! warf er leicht hin, nur um noch etwas zu sagen.

— Liebe ist der beste Arzt, antwortete die Christin. Die Wunder der Liebe und des Glaubens. Hast Du das Lied geh�rt? Es hat in zweitausend Jahren seine Kraft nicht verloren . . .

Aber Grege achtete nicht mehr auf die Lobpreisungen der Christin. Er eilte davon, und wie Nachhall der Orgelmusik t�nte es in seiner Brust: Ein pl�tzliches gro�es Gl�ck, ein Wunder der Liebe . . .

Am Abend. In der Sennh�tte, halbwegs zwischen dem Asyl und dem Fjord, war ein wandernder Spielmann eingekehrt. Der gro�e Raum f�r K�sbereitung verwandelte sich in einen Tanzplatz. Die Sennen und Bauern entledigten sich ihrer Oberkleider. Erst sanfte Reigen mit Gesang, gleich wehm�thigen Nachtigallenliedern, dann immer wildere Spielmannsweisen und ausgelassenere T�nze. Alle Anwesenden schwangen die Beine in dem zum Ersticken hei�en Raum. Und wer Allen voran, im leidenschaftlichen Wirbel des Augenblicks jedes Gl�ck mit gierigen Sinnen an sich saugend, wer? Ja, sch�n war sie, d�monisch, und ihre Blicke und Bewegungen schleuderten Feuerbr�nde in die Herzen der M�nner, der „Zottelb�ren“ . . .

Unbemerkt im Trubel der Lust entkam Grege.

In der Herberge am Strand erfuhr er, da� sich das Blitzboot f�r den Morgen nach Angela r�ste und noch Raum f�r einen Fahrgast sei. Zwei Nordika-M�nner fuhren mit, die Grege an jenem Probevortrag-Abend mit Dank und H�ndedruck begegnet waren und ihm starke Freundschaft bewahrten. Sie hatten auch Greges Vertrauen gewonnen und waren erfreut �ber das Wiedersehen am Meer. Ein Auftrag vom Aeltesten trieb sie zu eiliger Fahrt nach Angela. Raschen Entschlusses schlo� sich ihnen Grege an. Sie versprachen ihm jede erw�nschte F�rsorge, da sie aller Verh�ltnisse kundig waren.

Nun trat Runaug zum zweiten Mal an Greges Lager mit der Meldung, da� es h�chste Zeit sei, sich in die Bootshalle zu begeben, sein Mantelsack sei bereits fortgeschafft.

— Sofort! rief er und sprang auf. Noch eine Frage: Ist die . . . Frau, Du wei�t, mit der ich angekommen, zur�ckgekehrt vom Berge?

— Nein. Niemand hat sie wieder gesehen. Sie wird wohl auf dem Berge gen�chtigt haben.

Jetzt erschien auch Runaugs Vater unter der Th�r und spornte zur Eile.

— Lebt Alle wohl und nehmt meinen besten Dank. Gr��t mir Euer gastliches Land . . . und die Frau, wenn sie vom Berge wiederkehrt.

— Das soll geschehen, sagte der Wirth und reichte dem Scheidenden die Hand. Und nimm, nach alter Schiffersitte, noch einen R�thselspruch zum Geleite mit, der Deine Gedanken im Unwetter festh�lt: Was wir gefangen, warfen wir weg; was wir nicht gefangen, tragen wir bei uns!

Runaug l�chelte dem Fremdling nach, mit leisem Herzklopfen.

So verlie� Grege Nordika, um nach gl�cklicher Fahrt in Angela zu landen.


Kapitel 23

Die Reisegenossen aus Nordika bew�hrten sich Grege als treue Freunde. Mit klugem Rathe wiesen sie ihm die Wege im fremden Lande.

Am ersten Tage blieben sie noch bei ihm und unterrichteten ihn in allen wissenswerthen Dingen, damit er das Wichtigste sehen und seine R�ckkehr an den Strand oder vielleicht gleich bis hart an die Grenze des Teutastaates bewirken k�nne.

Auf einer elektrischen Schwingbahn merkw�rdiger Bauart geleiteten sie ihn in einen Vorort der Hauptstadt und brachten ihn in eine Herberge, genannt „Zum tollen Junker Heinz“. Grege, der sentimentalen Auffassung der irdischen Dinge entw�hnt, nahm das Neue mit ruhigem Gleichmuthe hin. Das Ueberraschendste traf ihn nur als eine Sehensw�rdigkeit, die man als objektive Erkenntni� aufspeichert, in der Erwartung, sie dereinst in wirkende Kraft umzusetzen, im Zentrum des eigenen sch�pferischen Wesens, das berufen ist, sich seine Welt zu gestalten.

Es r�hrte ihn wenig, da� hinter seinem R�cken eine ungeheuere Stadt mit Millionen Menschen g�hrte und brodelte. Sobald sich das Wetter aufgehellt, wird er sich in die Metropole der Angelos begeben, mit der stillen Sicherheit des Forschers, den keine feindliche Macht erschreckt.

Jetzt st�rmt es drau�en und sintfluthartige Regeng�sse st�rzen auf das Dach, so da� sich sein kleines Gemach mit trommelndem und pl�tscherndem Ger�usch erf�llt. Das w�rde nicht lange anhalten, hatte man ihm gesagt, hierzuland sei schroffer Wechsel. Die Dunkelheit nimmt zu, Grege sorgt mit einem Fingerdruck auf den Lichttr�ger f�r k�nstliche Helle.

Er ist just in der Stimmung, das Zarathustra-Fragment zu entrollen. Auf dem Bauche liegend — das Lager ist raffiniert elastisch gebaut — und den Kopf auf den aufgest�tzten Armen, mit den gespreitzten Fingern die vorn�ber wallenden Haare zur�ckhaltend, beginnt er laut in das Ger�usch des Unwetters die lapidaren S�tze Zarathustras hineinzusprechen, als handle sich’s um den Genu� einer Dichtung, zu welcher die Elemente selbst die Begleitmusik machen.

Seine Stimme hebt und senkt sich, psalmodirend, den Sinn �bertragend in Klang und Rhythmik:

„Irgendwo giebt es noch V�lker und Heerden, doch nicht bei uns, meine Br�der: da giebt es Staaten.

Staat? Was ist das? Wohlan! Jetzt thut mir die Ohren auf, denn jetzt sage ich Euch mein Wort vom Tode der V�lker.

Staat hei�t das k�lteste aller kalten Ungeheuer. Kalt l�gt es auch; und diese L�ge kriecht aus seinem Munde: Ich, der Staat, bin das Volk.

L�ge ist’s! Schaffende waren es, die schufen die V�lker und h�ngten einen Glauben und eine Liebe �ber sie hin: also dienten sie dem Leben.

Vernichter sind es, die stellen Fallen auf f�r Viele und hei�en sie Staat: sie h�ngen ein Schwert und hundert Begierden �ber sie hin.

Wo es noch Volk giebt, da versteht es den Staat nicht und ha�t ihn als b�sen Blick und S�nde an Sitten und Rechten.

Dieses Zeichen gebe ich Euch: jedes Volk spricht seine Zunge des Guten und B�sen: die versteht der Nachbar nicht. Seine Sprache erfand es sich in Sitten und Rechten.

Aber der Staat l�gt in allen Zungen des Guten und B�sen; und was er auch redet, er l�gt — und was er auch hat, gestohlen hat er’s.

Falsch ist Alles an ihm; mit gestohlenen Z�hnen bei�t er, der Bissige. Falsch sind selbst seine Eingeweide.

Sprachverwirrung des Guten und B�sen: dieses Zeichen gebe ich Euch als Zeichen des Staates. Wahrlich, den Willen zum Tode deutet dieses Zeichen! Wahrlich, es winkt den Predigern des Todes!

Viel zu Viele werden geboren: f�r die Ueberfl�ssigen ward der Staat erfunden!

Seht mir doch, wie er sie an sich lockt, die Vielzuvielen! Wie er sie schlingt und kaut und wiederk�ut!

Auf der Erde ist nichts Gr��eres als ich: der ordnende Finger bin ich Gottes — also br�llt das Unthier. Und nicht nur Langgeohrte und Kurzge�ugte sinken auf die Kniee!

Ach, auch in Euch, Ihr gro�en Seelen, raunt er seine d�steren L�gen! Ach, er err�th die reichen Herzen, die gerne sich verschwenden!

Ja, auch Euch err�th er, Ihr Besieger des alten Gottes! M�de werdet Ihr vom Kampfe, und nun dient Eure M�digkeit noch dem neuen G�tzen!

Helden und Ehrenhafte m�chte er um sich aufstellen, der neue G�tze! Gerne sonnt er sich im Sonnenschein guter Gewissen, — das kalte Unthier!

Alles will er Euch geben, wenn Ihr ihn anbetet, der neue G�tze: also kauft er sich den Glanz Eurer Tugend und den Blick eurer stolzen Augen.

K�dern will er mit Euch die Vielzuvielen! Ja, sein H�llenkunstst�ck ward da erfunden, ein Pferd des Todes, klirrend im Putz g�ttlicher Ehren!

Ja, ein Sterben f�r Viele ward da erfunden, das sich selber als Leben preist: wahrlich, ein Herzensdienst allen Predigern des Todes!

Staat nenne ich’s, wo Alle Gifttrinker sind, Gute und Schlimme: Staat, wo Alle sich selber verlieren, Gute und Schlimme: Staat, wo der langsame Selbstmord Aller — das Leben hei�t.

Seht mir doch diese Ueberfl�ssigen! Sie stehlen sich die Werke der Erfinder und die Sch�tze der Weisen: Bildung nennen sie ihren Diebstahl — und Alles wird ihnen zu Krankheit und Ungemach!

Seht mir doch diese Ueberfl�ssigen! Krank sind sie immer, sie erbrechen ihre Galle und nennen es Zeitung. Sie verschlingen einander und k�nnen sich nicht einmal verdauen.

Seht mir doch diese Ueberfl�ssigen! Reichth�mer erwerben sie und werden �rmer damit. Macht wollen sie und zuerst das Brecheisen der Macht, viel Geld, — diese Unverm�genden!

Seht sie klettern, diese geschwinden Affen! Sie klettern �ber einander hinweg und zerren sich also in den Schlamm und die Tiefe.

Hin zum Throne wollen sie Alle: ihr Wahnsinn ist es, — als ob das Gl�ck auf dem Thron s��e! Oft sitzt der Schlamm auf dem Thron — und oft auch der Thron auf dem Schlamme.

Wahnsinnige sind sie mir Alle und kletternde Affen und Ueberhei�e. Uebel riecht mir ihr G�tze, das kalte Unthier: �bel riechen sie mir alle zusammen, diese G�tzendiener.

Meine Br�der, wollt Ihr denn ersticken im Dunste ihrer M�uler und Begierden? Lieber zerbrecht doch die Fenster und springt in’s Freie!

Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von der G�tzendienerei der Ueberfl�ssigen!

Geht doch dem schlechten Geruche aus dem Wege! Geht fort von dem Dampfe dieser Menschenopfer!

Frei steht gro�en Seelen auch jetzt noch die Erde. Leer sind noch viele Sitze f�r Einsame und Zweisame, um die der Geruch stiller Meere weht.

Frei steht noch gro�en Seelen ein freies Leben. Wahrlich, wer wenig besitzt, wird um so weniger besessen: gelobt sei die kleine Armuth!

Dort, wo der Staat aufh�rt, da beginnt erst der Mensch, der nicht �berfl�ssig ist: da beginnt das Lied des Nothwendigen, die einmalige und unersetzliche Weise.

Dort, wo der Staat aufh�rt, — so seht mir doch hin, meine Br�der! Seht ihr ihn nicht, den Regenbogen und die Br�cken des Uebermenschen? —

Also sprach Zarathustra.“ — — —

Mit verz�cktem Gesicht starrte Grege lange auf die Bl�tter, vision�r, wie entr�ckt in ferne Vergangenheit, w�hrend er im Tone Zarathustra’s weiter sprach, improvisirend, wie sein Doppelg�nger. Doppelg�nger? War er’s nicht selbst gewesen, der die n�mliche Rede schon gehalten, damals . . . damals, Wort f�r Wort . . . als das neunzehnte Jahrhundert seinen tollen Kehraus tanzte . . . in der gro�en Einsamkeit zwischen den dunklen Bergen, in die er geklettert, weltm�de, aus dem S�den herauf, dessen Sonne sich in seinen Kopf gesenkt, also da� das Hirn in wildem Feuer stand . . . Eisberge unverm�gend, den Brand zu l�schen . . .

Unsinn, Unsinn!

Dann sprang er auf und lachte so grimmig und grell . . . wie einst jene Frau, als sie ihn auf das Drachenschiff entbot.

Jawohl, das w�rde er, bei allen G�ttern und Uebermenschen, selbst Alles noch so gefunden haben, wie es Zarathustra vor tausend Jahren herausgearbeitet . . .

Besser so, jetzt geht es desto schneller . . . Krystallhart schossen seine Gedanken in einander zu unzerrei�barem Gef�ge . . .

Es klopfte an der Th�r. Grege �berh�rte es. Da trat ein �ltlicher, schwarz gekleideter Mann herein, mit humoristischer Verbeugung. Ein langer Kauz, ein schlotteriges Knochengestell.

— Ich bin der Wirth zum tollen Junker, begann er, wie ein Schauspieler, der eine komische Rolle hersagt, — ich bin der Wirth zum tollen Junker Heinz, und wei� derowegen nicht, ob die Meinung, �ber deren Vorhandensein bei mir keinerlei pers�nliche Verantwortlichkeit mich trifft, das Gl�ck hat, dadurch an Bedeutung zu gewinnen, da� sie mit den Absichten meines Gastes �bereinstimmt.

— Was sollen die Umschweife? Schnell, was giebt’s? Ich habe keine Zeit, Mann!

— N�mlich, ich �be das vortreffliche Gesch�ft eines Herbergvaters in Ihrer Majest�t der Kaiserin von Indien und K�nigin von Jerusalem und anderer Weltgegenden Landen erst seit geschlagenen acht Tagen. Wessenma�en ich mir in aller Unerfahrenheit allerlei Gesindel, so ich f�r Gentlemen gehalten, benebst der hohen Polizei, mit Respekt zu sagen, auf den Hals gezogen. Derohalben giebt’s erstens kund zu thun, da� Ihr keine Gastfreundschaft auf Staatskosten bei mir zu erwarten habt, sondern alles Genossene und etwa noch zu Genie�ende entweder baar berappen oder in geordneter Arbeit ersetzen oder andere Unterkunft als beim tollen Junker Heinz suchen m��t; zweitens giebt’s von Polizeiwegen zu ergr�nden, welcherlei Arbeit Ihr zu leisten verm�gt, welches Euer Nam’ und Art und mit welcherlei staatsn�tzlichen Absichten Ihr Euch in Angelland aufzuhalten gedenkt.

— Narrenspossen! Sagt mir rund heraus, was Euer Begehr!

— In aller Rundung, gut. Gentleman, seid Ihr ein Gentleman oder etwas Anderes?

— Ich bin’s.

— Gut. Woher kommt Ihr und auf welchem Wege?

— Aus Nordika, durch Wasser und Luft.

— Aus Nordika? Nun, da k�nnt Ihr Euch r�hmen. Eine lustige Gegend. Hat uns manchen leichten Gesellen an’s Land und manches gel�stige Dirnlein in’s Bett geworfen. Gut. Ihr seid ein Gentleman aus Nordika. Sehr gut. Habt Ihr kuranten Tauschwerth bei Euch oder verm�gt Ihr Euch durchzuarbeiten, wenn unsere hohe Polizei, mit Respekt zu sagen, Euch den Brotkorb der Gastfreundschaft zu hoch h�ngt aus obrigkeitlichen Erw�gungen? Ihr habt das Gl�ck, Euch in einem weise und streng geordneten Staate Eueres Aufenthaltes zu freuen, Gentleman.

— Ich mu� sagen, wenn das Euer Ernst ist, so �berrascht Ihr mich. Von all’ diesen Dingen haben mir meine Reisegenossen nichts mitgetheilt.

— Darf ich lachen, Gentleman? Euere Reisegenossen kannten vermuthlich den neuen Wirth zum tollen Junker Heinz und den neuen ehrenwerthen Polizeipr�sidenten nicht. Das Alte ist vergangen, Gentleman, siehe, es ist Alles neu geworden, und bedenkliche Dinge bereiten sich vor in unserem Weltreich beider Hemisph�ren. Derowegen bin ich gehalten, Euch so zu fragen, wie ich’s thue, selbst auf die Gefahr hin, den Beifall eines so gro�en Weltreisenden, Gentleman, zu verscherzen.

— Je nun, Mann, was soll ich da sagen?

— Was man so die Wahrheit nennt, wenn’s Euch beliebt. Zu welcher Gilde geh�rt Ihr? Zu Nummero Eins der Reichen oder zu Nummero Zwei der armen Schlucker? Im tollen Junker Heinz haben vor Jahrtausenden schon die reichsten Leute der Welt gewohnt, Ihr braucht Euch nicht zu geniren. Kennt Ihr zum Beispiel Sir John Falstaff, Gentleman?

— Nein.

— Der ist hier die gr��ten Summen schuldig geblieben. Seine Rechnung k�nnt Ihr heute noch im Schlot sehen, im Originalschlot, er wurde beim Umbau des Hauses sorgf�ltig verpackt und mit Brief und Siegel in’s British Museum abgeliefert. Dort steht er noch. Die gr��ten Gelehrten aller Rassen machen dort seit tausend Jahren die umf�nglichsten Studien. Ah, Sir John Falstaffs Rechnung, notabene mit doppelter Kreide, im Schlot des Wirthshauses zum tollen Junker Heinz, Gentleman, verge�t nicht, das ist eine der ber�hmtesten Sehensw�rdigkeiten im British Museum, da ist unser k�niglich kaiserlicher Menschengarten ein Hundestall dagegen.

— Ah das, richtig. Wo ist . . . dieser Hundestall zu sehen? Zuverl�ssig?

— In Kensington. Das ist eine ganze Stadt, keine kleine Anlage. Ihr k�nnt, gedenkt Ihr die Eintrittsgeb�hr von f�nf Guineas zu sparen, Euch selbst dort ausstellen und fortpflanzen lassen, ich sch�tze Euch, nach verl��licher Erfahrung, als einen der wohlgestaltetsten M�nner in musterhafter Kondition, echte Nordika-Rasse. Ihr werdet Furore machen, mein Wort, Gentleman.

— Ich bitte Euch, ’meine Person aus dem Spiele zu lassen. Durch ernsthafte Belehrung �ber diesen Menschengarten w�rdet Ihr mich zu Dank verbinden. Setzt Euch, erz�hlt. Wir sind Gentlemen, nicht? Und vor einander sicher? Also erz�hlt!

Der Wirth strich sich mit der breiten Hand �ber das ganze Gesicht, schnitt eine l�cherlich komische Fratze, setzte sich Grege gegen�ber und begann:

— Gentleman, das ist mal so, Alles was bei uns Mensch hei�t, die Polizei eingeschlossen, mit Respekt zu sagen, hat seinen Narren an diesem k�niglich-kaiserlichen Menschengarten gefressen, zum Ersten, weil er am�sant ist — lacht Ihr gern, Gentleman? es ist zum W�lzen, mein Wort darauf! — zum Zweiten, weil die Welt nicht seines Gleichen hat. Angelos-Idee, kein amerikanischer Humbug, Yankee-Doodle, Gott verdamm’ mich!

— Zur Sache!

Der Wirth schlug die klapperd�rren Beine �ber einander und spuckte seitw�rts an die Wand: — Gott verdamm’ mich, wenn ich nicht mitten drin bin in der Sache. Bevor ich Wirth wurde, war ich Leichenschauer, bevor ich Leichenschauer wurde, war ich . . . ich wei� nicht was, aber vorher, Gentleman, war ich einer der respektabelsten Aufseher im K�niglich-Kaiserlichen, also in eben diesem Menschengarten. Das verliert sich nicht. Derohalben bleibt ein Mann meiner Kondition mittendrunterdrin, Gentleman. O, ich habe Sachen gesehen, Thatsachen . . .

— Ist das Alles? Ich danke.

— Nein, das ist noch nichts. Ich verschnaufe nur, die Erinnerung �berw�ltigt mich. Geduld, Gentleman. Wer nicht drin war, wei� sich das nicht zusammen zu reimen. Da sind nun Gegenden in Europa mit mangelhaftem Menschenwuchs. Sehr interessante Rassen, aber sie werden schlechter und schlechter, wegen Unzul�nglicher Behandlung, und endlich sterben sie aus, wie der Auerochs, wie das Einhorn, das wir noch im Wappen haben, oder wie der gr��te Dichter Shakespeare, der bekanntlich niemals gelebt hat. Andere Rassen kreuzen sich aus Verzweiflung oder sonst einer schlechten Laune — nicht alle V�lker haben den Humor, wie wir Angelos, oder wie Ihr dr�ben in Nordika! — Und aus diesen Kreuzungen kommt nichts Feines. Wie also, damit wir die Rassen rein und vollz�hlig erhalten, in guten Exemplaren, kapabel zur Fortpflanzung, am�sant zum Ansehen und n�tzlich f�r den Staat und das Gesch�ft? Wir sind in Angelland, Gentleman. Wir besitzen ganz Afrika, Asien haben die verdammten Amerikanos in die hohlen Backenz�hne gesteckt. Wir besitzen ganz Afrika, und n�chstens, wenn wir daheim keine Revolution bekommen oder nachher, nehmen wir ganz Europa, ohne Nordika, selbstverst�ndlich, wasma�en die Nordikaner unsere besten Freunde sind. Aber das �brige Europa ganz, wir werden’s ausputzen, auflackiren, poliren, pr�sentabel machen, ertragsf�hig. Ein gro�es Gesch�ft, w�rdig unserer Firma. Verstanden, Gentleman? Wir besitzen ganz Afrika, gut. Die schwarze Rasse ist, ehe wir dazu gekommen, ausgetilgt worden. Es giebt keinen Hottentotten mehr, leider.

— Das bezweifle ich.

— Nein, mein Wort darauf, es giebt keinen mehr, Gentleman. Nicht eine Nasespitze von einem Hottentotten, nicht soviel, da� es zu einem Beefsteak langt. Nicht einmal in unserem Menschengarten. Da sind nun in Europa noch einige brauchbare Italianos, Spaniolen, Hungaren, Bavaren, Juden — und was wei� ich.

— Teutaleute, nicht?

— Auch. Gut, Gentleman. Auch Teutaleute, sehr gut. O, das ist eine Historie, da komm’ ich sofort darauf zur�ck. Also wir verschaffen uns von diesen interessanten V�lkerschaften auserlesene Exemplare — kein leichtes Gesch�ft, Gentleman, eine Tigerjagd ist nicht so schwierig und gef�hrlich, als einen gesunden Rassenmenschen auszusp�hen und ger�uschlos einzufangen, mein Wort darauf. Es giebt verdammte Hunde. Mein leiblicher Bruder ist dabei umgekommen, neulich erst . . .

Grege r�ckte einen Schritt zur�ck: — Keine Familienszenen, das w�re indiskret. Also Ihr habt die reinen Exemplare in Eurem Menschengarten, paart sie — was dann?

— Zur Fortpflanzung werden nur die Gelungensten zugelassen, und von deren Nachzucht wieder nur die Gelungensten, nach strenger Pr�fung. Die mi�lungenen Nachwuchsexemplare werden kastrirt.

— Das leuchtet mir ein. Und mit den Brauchbaren, die sich immer weiter vermehren, was geschieht da?

— Gut gefragt, Gentleman. Diese kommen als Setzlinge in unsere Kolonien, nach Afrika, und sp�ter, wenn wir ganz Europa haben, in ihre Originall�nder, unter Aufsicht, da� sich die Geschichte nicht wieder kreuzt und verunreinigt. Bis die Menschheit vollst�ndig umgepflanzt ist.

— Und wenn sich im Garten ein zu starker Ueberschu� ergiebt, oder wenn einzelne Paare durch Krankheit oder Tod zerrissen werden?

— Da giebt’s zu lachen, gro�artig, Gentleman. Reiche, vornehme Herrschaften, Damen und Herren, erlegen dem Staate hohe Werthe, daf�r d�rfen sie sich �berz�hlige oder paarlose Individuen ausw�hlen, zu sich nehmen, versteht Ihr, Gentleman? Auf bestimmte Zeit, nur so, damit es nicht wie Sklavenhandel aussieht. Wenn Wahlzeit ist, Gentleman, hui hui . . . und bei Prinzen und dergleichen Leuten auch wenn keine Wahlzeit ist, hui hui! Zu sich nehmen, auf Zeit, versteht Ihr den Humor von der Sache? Das Vergn�gen an rasse-echtem Zeitvertreib? Versteht Ihr unseren Sport und seinen Witz, seinen sehr feinen Witz, Gentleman? Hui hui . . . Wir lieben die Welt, weil wir sie haben.

— Hm.

— Sehr gut, hm. Das mu� man gesehen haben. Das ist eine Handvoll Guineas werth.

— Brechen zuweilen auch die Eingefangenen aus?

— Sehr selten. Liebevollste Behandlung, Komfort, nicht wahr, die Wenigsten finden’s so gut daheim. L�stig vielleicht manche Experimente, medizinische Aufsicht, Training . . . hm . . .

— Und was geschieht mit den Ausbrechern, wenn man sie erwischt?

— Nicht sehr viel, mehrmalige Auspeitschung, Tretm�hle, je nach Befund. Wir Angelos sind die humanste Nation der Welt.

— Was ist sonst noch da?

— Spezialit�ten f�r die Menschen- und Sittenforschung gelehrter Professoren und solcher Kerls. Spielarten, wie sie durch Berufs-Entartung entstehen, Agrarier aus Ostelbien, das hei�t deren Nachkommen aus dem f�nfundzwanzigsten Jahrhundert mit vererbten Abnormit�ten, Hofprediger und als Gegensatz Hungerk�nstler, aus Schullehrer-Dynastien mit einem halben Hundert Ahnen, Spiritisten, Juristen . . . seht’s Euch selbst an, Gentleman. Ueberhaupt viel zu sehen bei uns, nicht wahr? Habt Ihr unsere Schatzkammern gesehen? Unsere Lagerh�user? Wir Angelos leben auf allen Seiten der Welt, wenn Europa auch nur unsere R�ckenfront sieht. Die Leute in Europa, pflegen wir Angelos zu sagen, sehen von der ganzen Welt nur, was sie auch vom Mond sehen, stets die n�mliche Seite. Wir nehmen sie von allen Seiten, wir drehen auch den Mond noch herum, mein Wort darauf, Gentleman . . . Verdammtes Regenwetter heute, man kann keinen Hund vor die Th�r jagen. Ihr verliert Zeit, wenn Ihr hier hockt. Habt Ihr unsere Schiffe gesehen? Ihr glaubt wohl, wir h�tten nur Blitzboote? Wir haben neben den allerneuesten Fahrzeugen auch die guten alten, offene und gedeckte Schiffe, mit Segeln und mit Panzerth�rmen . . . Jetzt eilt mir’s, Gentleman.

— Noch einen Augenblick . . . Der Regen platscht f�rchterlich . . .

— Die hohe Polizei, mit Respekt zu sagen, erwartet die Erkl�rungen, Gentleman. Wor�ber wir vorhin noch im Zweifel, ob Gilde eins oder zwei . . .

— Setzt Euch noch eine Minute. Ihr spieltet auf eine Historie von Teuta an, dem wunderlichen Land, vorhin. Erz�hlt mit das, bitte! Ich bin ein Freund komischer Geschichten, wie Ihr seht.

— Gott verdamm’ mich, Gentleman, das h�tte ich wahrhaftig vergessen. Wurde da vor Wochen vom K�niglich-Kaiserlichen ein sehr famoses Teutaweib erworben, von vornehmem Wesen, mit den vollkommensten Merkmalen echter Rasse, jung, intelligent, aber . . . aber . . .

— Stumpfsinnig. Ein Teutaweib! Weiter!

— Nicht stumpfsinnig, aber auch nicht vollsinnig.

— Also verr�ckt!

— Nein, Gentleman, Ihr rathet schlecht. Blind.

— Blind?

— Wie ich sage. Eine Blindschleiche kann nicht blinder sein.

Grege fixirte den Erz�hler, ohne sich zu r�hren, mit kalter Sachlichkeit.

— Ihr denkt, ich binde Euch einen B�ren auf, Gentleman. Ich kann’s nicht so nobel geben. Ich diene Euch mit Wahrheit, die ist billiger.

— Nicht so. Ich lege mir nur die Frage vor: Was wollen die guten Leute mit einem blinden Weibe?

— Gentleman, ich lege Euch die Frage vor: Was wollen die Menschen mit blinder Liebe? Ist Blindheit immer ein Nachtheil? Die blinde Person war sehr werthvoll. Unerachtet ihrer Blindheit konnte sie in die Tinte blicken.

— Was konnte sie?

— In die Tinte blicken, die Zukunft errathen. Sie war eine Seherin . . . Ich mache mir meine Gedanken, vielleicht lie� man sie gerade darum laufen. Sie wird unheimliche Dinge gesehen haben, vom Sturz der Welt. Es ist nicht immer gut, Alles vorher zu wissen. Lieber selbst Alles �ber den Haufen werfen, heute, als zu wissen, da� es morgen Andere thun und man kann’s nicht hindern. Blind drauflos ist eine gute Sache, Gentleman. Es ist eine kritische Zeit. Derohalben, es ist so mein Gedanke, lie� man das Frauenzimmer wieder auf Teuta los. Dort kann sie Schlimmes prophezeien, so viel sie will, und Unheil anrichten. Wir pfeifen auf fremdes Ungl�ck, wenn wir nicht damit spekuliren. Die Teutaleute verstellen sich, wi�t Ihr, Gentleman, das sind verfluchte Halunken. Schlie�lich verrathen sie sich gegenseitig, wie dieser rundk�pfige Kretin. Was meint Ihr, Gentleman?

— Alles ist Gesch�ft . . . Bitte, fahrt fort. Vom rundk�pfigen Kretin.

— Sehr gut, Gentleman, Ihr seid ein gro�er Gelehrter, Ihr kennt die Welt. Die ganze Weltgeschichte ist ein Gesch�ft. Ihr versteht mich, Ihr seid ein geriebener Kopf, Ihr verdientet ein Angelo zu sein. Ich seh’s an Euren Augen, Ihr habt viel erlebt.

— Keine Anz�glichkeiten, bitte. Uebrigens k�nnt Ihr Recht haben.

— Hab’ ich, Gentleman. Euer Wille geschehe. Was wollt’ ich sagen? Das Komische an der Historie ist etwas Anderes. Erstens, da� das Weib von ihrem eigenen Liebhaber, einem rundk�pfigen Kretin, dem K�niglich-Kaiserlichen in die Hand gespielt worden ist. Ein starkes St�ck, nicht wahr, Gentleman? Zweitens, da� die K�niglich-Kaiserliche das Gesch�ft nicht aufrecht erhalten konnte, sie mu�te die Waare wieder herausgeben.

— An den schuftigen Liebhaber? In der That ein komischer Fall.

— Wieder schlecht gerathen, Gentleman. An Teuta selbst. Auf diplomatische Einmischung. Die Diplomatie von Teuta kam dem Liebhaber auf die Schliche. Das Weib war eine Staatsperson und stand offenbar auch mit einem jungen Diplomaten des Landes in zarten Beziehungen. Der Rundkopf, der sich weniger beg�nstigt glaubte, suchte sich mit einem guten Gesch�ft zu revanchiren. So mag’s wenigstens sein. Der junge Diplomat zerschlug den Handel und brachte seinen Schatz wieder heim. Versprach daf�r dem K�niglich-Kaiserlichen gelegentlich zur Entsch�digung selbst etwas Geeigneteres zu liefern. Aber die lachhafteste Seite der Sache, Gentleman, die errathet Ihr auch nicht. Ganz Angelland w�lzte sich acht Tage lang in diesem Spa�, trotz der ernsten Zeiten. Wahrhaftig, die Zeiten sind ernst, auch ohne den neuen Polizeipr�sidenten. Wir werden n�chstens nun doch mit den Amerikanos zusammen ein H�hnchen pfl�cken und ihnen ein Pflaster in die Visage kleben m�ssen, Gentleman.

— Nun, die lachhafteste Seite? Kommt zu Ende!

— Ja so. Gut. Der junge Diplomat erkl�rte, Teuta werde den Angelos den Krieg erkl�ren, wenn sich die R�ckgabe des Teutaweibes nicht schleunigst abwickelt. Krieg mit Teuta, Gentleman, seht Ihr das Bild? Teuta gegen Angelland! Ja, die Zeiten sind lachhaft in ihrem Ernst. Wie gef�llt Euch die Historie?

— Sie ist k�stlich. Wi�t Ihr nicht den Namen des Weibes? fragte Grege etwas dringender.

— Nat�rlich. Alles hat Spottlieder darauf gesungen. Zala hie� es, Gentleman.

— Jala, vielleicht Jala, besinnt Euch.

— Diesmal m�gt Ihr Recht haben, Gentleman. Uebrigens Zala oder Jala, das �ndert nichts am Spa�.

— Wahrhaftig nicht.

Grege erhob sich, rieb sich mit etwas krampfhafter Lustigkeit die H�nde: — Ich dank’ Euch f�r die feine Geschichte. Man kann daraus lernen. Sie hat mir ordentlich Appetit gemacht.

— Wonach, Gentleman? Die K�che steht Euch zu Diensten. Oder ein Glas Punsch oder . . .

— So nicht, nein. Appetit nach dem kriegerischen Teuta. Das m�cht’ ich mir nun doch einmal besehen, so schnell als m�glich.

— Gut, Gentleman. Doch vers�umt nicht, Euch zuvor unser Land gut anzusehen, dann findet Ihr in Teuta noch mehr zu Eurer Heiterkeit. Ihr bed�rft der Aufheiterung, glaubt mir, fehlt Euch etwas? Leidet Ihr an kalten F��en? Ich meine nur, Gentleman, Ihr habt einen erregbaren Kopf. Oder an Nachtschwei�? Ich bitte um Vergebung. Gewi�, Gentleman, Ihr bed�rft meiner medizinischen Kenntnisse nicht, ich bin zwar Leichenschauer gewesen und mein letztes Weib selig Leichenfrau, aber Ihr seid gesund wie ein Lachs. Unsere sozialen Einrichtungen sind sehenswerth. Wir haben auch eine sehr interessante k�niglich-kaiserliche Familie, zahlreich wie s�mtliche Patriarchen des Orients, und mit einem Hof, wo die ur�ltesten Zeremonien gemacht werden. Ich empfehle Euch das, Ihr werdet’s mir danken, es ist ungeheuer sehenswerth. Wir salben K�nige, die nichts zu thun brauchen, als sich salben zu lassen, um dann in Majest�t und Ruhe eine unglaubliche Zivilliste zu verzehren und uns mit ihrem Anblick zu erfreuen. Alles Uebrige besorgen wir selbst. Die Einrichtung ist bew�hrt. Eine Sache ist gut, so lange man dran glaubt oder Andere zu unserem Nutzen dran glauben. Wir haben viele V�lkerschaften, die dran glauben. Also sind unsere K�nige so n�tzlich wie unsere oberste Kaiserin. Und es ist immer ein sch�nes Bild.

— K�nnt Ihr mir nicht behilflich sein, da� ich Fahrgelegenheit nach Teuta finde?

— Sehr wohl, Gentleman. Aber erst unsere Sache mit der hohen Polizei, mit Respekt zu sagen. Zu welcher Gilde geh�rig soll ich Euch melden?

— Gilde? Zunft? Zur Schelmen-Zunft!

— Ausgezeichnet, Gentleman. Ihr seid ein Witzbold.

— Und Euer Name?

— Drachenschiff!

— Hui! Ihr versteht die Polizei zu bedienen, mit Respekt zu sagen. Und tragt Ihr Werthe bei Euch, Legitimationen? Wi�t, die Weltlage ist kritisch, und der Polizeipr�sident ist neu und der m�chtigste Mann im Rath.

Grege hob die beiden Schriften auf und warf sie auf den Tisch, Zarathustra und Jesus Sirach: — Hier, Wirth von der Schelmenzunft der tollen Junker, meine Familienpapiere!

— Sehr gut, Gentleman, das gen�gt. Gen�gt’s nicht, kann’s Euch den Hals kosten. Aber was geht mich Euer Hals an? Ich eile, die Polizei zu befriedigen, mit Respekt zu sagen.

— Und verge�t mir die Fahrgelegenheit nicht!

— Bei Sir John Falstaffs Andenken, hier wird nichts vergessen, Gentleman. Gottbei!

Der Wirth entfernte sich, sein hohes, schlotteriges Knochengestell in dem schwarzen Futteral mit der komischen Fratze geb�ckt durch die niedrige Th�r schiebend.

Grege warf sich auf’s Lager und wand sich in Kr�mpfen wie ein Epileptiker. Es ging vor�ber. Der letzte Gram war abgesch�ttelt.

Er sah in den Spiegel und gr��te ein fremdes Gesicht. Teufel!

Tage lang lie� die Fahrgelegenheit auf sich warten. Das zwang ihn, zu wandern, die Kreuz und Quer, in Unrast seine kritischen Speere schleudernd auf Alles, was ihm begegnete. Da� hier Alles in’s Titanenhafte, Kolossale getrieben war, selbst das Niedrige, Gemeine, Widersinnige, Tyrannische war das Besondere, was ihm neu und sympathisch erschien. Und in Alles hinein schlug die See, das Weltmeer. In den Augen der unbeirrte Blick auf fernste Horizonte, Nacht und Nebel durchbohrend. Aus jeder Tasse Thee h�rt man die Brandung aus der Weltweite ferner, reicher Inseln. Die Menschen wie verk�rzte Mastb�ume. Ein Seevolk! Wer die See hat, h�lt die Welt, h�lt das gewaltige Leben in seiner Faust. Grege ging dieser Gedanke auf Schritt und Tritt nach. Der Stempel des Weltbeherrscher-Bewu�tseins schlug ihm �berall prahlerisch entgegen, selbst in der Verzerrung ein an sich wundervoller Trieb zur Gr��e. Die Wuth auf die Amerikaner, die sogar in deren Nach�ffung Orgien feierte, erquickte ihn. Hasseskraft, das war das Ehrf�rchtigste, was er an den Angelos zu r�hmen lernte, und ein d�monischer Humor, der jeder Verzweiflung Herr wird, sch�pferischer Ha�, welt�berwindender Humor des Alleinherrschenwollenden, dem der Eroberungsfanatismus zum sechsten Sinn geworden.

Das Allermerkw�rdigste d�nkte ihm — und das war vielleicht der Schl�ssel, sich Angellands r�thselhafte Macht zu erkl�ren: Alles Alte war lebendig erhalten und in lenzfrischem Saftgang mit dem Neuen. Alles Gegenw�rtige schien gewachsen wie aus einem einzigen Wurzelkomplex, der bis in den tiefsten Boden der Vergangenheit reichte, mit vielen j�ngeren, �ppig gen�hrten Seitenwurzeln. Der kleine Erdzipfel Europa war den Angelos nur ein Nebending, das sie nur als einer ihrer k�nftigen St�tzpunkte k�mmerte. Ihr Reich war die Welt, nicht das Bischen europ�ische Scholle. Wo ein Angelo lebte, zu Wasser und zu Land, da pflanzte er seine wuchtige Eigenart auf und formte es r�cksichtslos zu seiner Heimath. So ward er �berall der Herrscher, und sa� �berall auf seinem Eigenen, und pfl�ckte �berall die Freuden der Heimath . . .

Was es an �ffentlichen Einrichtungen zu besehen gab, die ganze F�lle der Gesichte eines in’s Riesige entwickelten Volkslebens, nahm Grege mit, dem k�niglich kaiserlichen Menschengarten allein ging er aus dem Wege. Er wu�te genug davon. Und er wollte keine Gef�hle zwecklos verpuffen . . .

Alles zusammengerafft zu einem Vorsto�, nach einem Ziel: Teuta! Kalte Ueberlegung. Keine Vergeudung der Thatkraft durch Exzesse des Temperaments . . .

In Teuta — klingt’s nicht wie ein M�rchen? — hat bereits Einer den Kopf zu erheben und den Angelos mit Fehde zu drohen gewagt? Um Jalas willen? Und dieser Eine . . . war nicht Grege?

Teufel!

Und hie� der Teufel Soundso, was ging ihn das Weib an?

Zweifellos, den ganzen Vorgang diplomatisch angesehen, handelte sich’s um mehr, als um das Weib. Das Weib war nur Deckblatt, um die Leidenschaft zu entflammen. Aus dem entfachten Brand waren dann ganz andere Dinge zu holen.

Grege gr�belte sich allerlei neue Zusammenh�nge in das Jala-Abenteuer. Wer war der rundk�pfige Kretin, dessen Namen der Wirth nicht wu�te oder nicht sagen wollte?

Aber die letzte gro�e That war allein entscheidend. Die wartete auf ihn. Das f�hlte er. Welche That? Festzustellen in’s Einzelne vermochte er sie nicht. Er sah sie vor sich wie einen rothen Kern, der immer gl�hender wurde, eingeh�llt in einen dicht geballten schwarzen Nebel. Wenn die Stunde gekommen, mu�te der gl�hende Kern die Nebelh�lle sprengen, und Alles stand im gro�en, freien Licht, sonnenklar. Das war die leuchtende That, aus dem Dunkel geboren. Die Offenbarung des Geheimnisses, das sein Leben in sich trug, die Wiederbelebung einer gro�en Vergangenheit, die Neugeburt der k�niglichen Seele . . .

Er sch�ttelte den Kopf. In der ungeheuren Wirklichkeit Angellands verflog pl�tzlich alle Mystik. Grege knirschte: — Ganz Teuta auf Schiffe packen und hinaus! Es zwingen, auf Seeschlangen durch das Weltmeer zu reiten, wie die urgermanischen Vorfahren im Norden . . .

Wer lacht so grell?

Teufel!


Kapitel 24

Ao war halbtodt. Er war, um seine Glieder ein wenig an die Bewegung in freier Luft zu gew�hnen und auf die M�hsal des Festzuges vorzubereiten, ein St�ndchen in der Oberwelt gewesen, gegen Abend, und hatte eine ganz kleine Strecke der unendlichen Feststra�e in Begleitung der Aeltesten vom Festbund abgeschritten, richtiger, abgewatschelt. Das hohe Amt verlangte dieses Opfer. Nach Aos Gef�hl war’s ja einfach menschenunw�rdig, �berhaupt sich in der Oberwelt zu bewegen. Er ha�te die freie Luft. Er konnte sie nicht riechen. Und erst das freie Licht! Giebt’s etwas Brutaleres als freie Luft und freies Licht, etwas Undisziplinirteres? Was nahm sich das nat�rliche Licht nicht f�r Frechheiten heraus, trotz der Abendstunde, trotz der sp�ten, herbstk�ndenden Jahreszeit! Der Wolkenhimmel gegen Westen ein lodernder Feuerberg, der letzte Sonnenstrahl noch ein brennender Stachel mit Widerhaken, einem das Auge aus dem Kopf zu rei�en!

Dieser feurige Unfug konnte nichts Gutes bedeuten.

Freilich, die Aeltesten vom Festbunde jubelten, das Wetter werde nach einer solchen Abendr�the prachtvoll werden und das Fest und sein feierliches Gepr�nge in nie gesehenem Glanze erstrahlen lassen.

— Nein, rief Ao, diese sp�te Hitze wird uns b�s zusetzen. Der halbe Zug wird auf dem Wege liegen bleiben, Weiber und Kinder wird man nicht mehr vom Flecke bringen, die Springer und T�nzer werden toll werden oder wie Fliegen umfallen, die heiligen Stationen am Gotteshaus, am Museum, an der Kaserne werden mit kranken Nachz�glern und Invaliden sich f�llen, kurz, es wird ein unertr�glicher Skandal sein.

Und das Alles komme davon, da� man das Fest zum dritten Mal verschoben, diesem �berspannten Soundso zu lieb, statt es f�r dieses Jahr ausfallen zu lassen. Dem Volk von Teuta h�tte man diese Probe auf seine Geduld und Ergebung in den Willen des hohen Rathes ganz gut auferlegen d�rfen. Es habe an seinem stillen Gl�ck ohnehin Vergn�gen genug und bed�rfe eigentlich nicht des festlichen L�rmes, wenigstens nicht jedes Jahr. Und bis zum n�chsten Jahre h�tte der sinnreiche Soundso Zeit gehabt, noch mehr Ueberraschungen auszuhecken. Uebrigens, im Vertrauen gesagt, sei es nicht einmal der Beruf des jungen Diplomaten, sich in diese Dinge zu mischen und dem Volk von Teuta mit Ueberraschungen zu imponiren. Das sei auch ein Zeichen der Zeit, da� sich der Geist der Jugend �berhebe und auf allerlei ungew�hnliche „Effekte“ sinne. Ein gediegenes Staatsleben, wie das unseres Teutavolkes, k�nne wohl auf diesen Luxus verzichten. Und im Sinne des g�ttlichen Uebermenschen Zarathustra und des gro�en Mysteriums unserer Nationalgottheit lie�en sich diese Dinge kaum rechtfertigen.

Diese weihevollen Klagen und Anklagen k�mmerten leider die Aeltesten vom Festbunde wenig. Ao mu�te, nachdem er die kurze Strecke gegangen, sich in einer S�nfte noch in’s Gotteshaus und in’s Museum schleppen lassen, um sich durch den Augenschein von den Erneuerungen zu �berzeugen und oberpriesterlich zu best�tigen, da� Alles in sch�nster Ordnung. Das Gotteshaus und das Museum lagen an entgegengesetzten Punkten der bald zickzack-, bald schlangenf�rmigen Feststra�e an den Abh�ngen der uralten grauen Schuttberge, mit breiten Freitreppen, und da, wo die Feststra�e in einer gro�en Spirale endigte, stand auf einem, die anderen um Weniges �berragenden Schuttberge das K�nigsschlo�, auf dessen Terrasse der Schlu�aktus der Feier mit einer grotesken Parodie auf das antike Herrscherthum gespielt wurde. Das festlich erregte Volk lagerte sich dann in weitem Umkreise auf die Abh�nge der Schuttberge, auf Freitreppen und Terrassen und erlabte sich unter Gejohle an der von dem Festk�nige Grege improvisirten Verspottungs-Kom�die, die in Reden, Geberden und T�nzen bestand, parodirend nachgeahmt den alten Hof-Zeremonien der Majest�tsperiode fr�herer Jahrtausende.

So war es immer, und so sollte es auch diesmal sein, nur mit dem geheimgehaltenen Unterschied, da� jetzt Soundso’sche Automaten die lebendigen Figuren ersetzten. Nur die Schlu�nummer mu�te wegfallen, weil sie f�r einen Automaten zu gef�hrlich war und leicht zu seiner Entlarvung f�hren k�nnte. Sie bestand in der Hauptsache darin, da� der Festk�nig sich die Krone vom Haupte nehmen und in dieselbe, die Reihen der in der Spirale stehenden Festgenossen abschreitend, die Trinkgelder — alten M�nzen nachgeahmte Spielmarken — einsammeln mu�te f�r seine gelungene Arbeit, und mit den Trinkgeldern bekam er zugleich die tollsten Stichelreden . . . Statt dieser Scene hatte Soundso eine groteske Tanznummer zugebilligt erhalten, f�r welche er die grandioseste Ueberraschung versprach, wenn man ihm Zeit zu deren Durchf�hrung lasse und das Fest noch um eine Woche verschiebe. Soundso setzte seinen Willen im hohen Rathe durch, nachdem er die Aeltesten vom Festbunde f�r seinen Plan gewonnen hatte. Was setzte er nicht durch? Die Hauptrolle bei diesem Tanze sollte eine der merkw�rdigsten Tanzk�nstlerinnen spielen, deren Namen er noch geheimhalte, und das Volk w�rde dabei das Schauspiel einer bis — zur Nacktheit verh�llten wundersch�nen Frau haben, einer Frau, die nicht einmal mit eigenen Augen sehe, was sie dem begeisterten Teutavolke biete, so da� auch die naivste Keuschheit keinerlei Ansto� nehmen k�nne . . .

Ao sch�ttelte �chzend den Kopf, als ihm die Aeltesten vom Festbunde diesen Plan Soundsos mit beredtem Munde priesen, w�hrend die S�nftentr�ger die oberpriesterliche Leibeslast im Schwei�e des Angesichtes zum Gotteshause emporschleppten. Das Gotteshaus war, wie die �brigen Baudenkm�ler der versunkenen Kulturepochen, wie das Museum, die Kaserne, das Zuchthaus u. s. w., in verj�ngtem Ma�stabe nach ber�hmten antiken Mustern erbaut. Jedes Jahr waren Reparaturen n�thig, von deren G�te sich der Oberpriester oder ein Anderer vom hohen Rath pers�nlich �berzeugen mu�te.

Als Ao das Gotteshaus betrat, war gerade die heilige Kommission damit besch�ftigt, die Reliquien Zarathustras auf ihre Unversehrtheit zu pr�fen und die Orgel spielen zu lassen. Die heilige Kommission begr��te den Oberpriester ehrfurchtsvoll und lud ihn ein, die Pr�fung mit seiner pers�nlichen Theilnahme zu beehren. Nachdem der Heiligthumsschrein mit sieben Schl�sseln ge�ffnet war, stellte die Kommission fest, da� die Siegel, welche der seidenen Umh�llung der Reliquien im vorigen Jahr von Staatswegen aufgedr�ckt worden waren, unverletzt seien. Dann wurden die Heiligth�mer einzeln der Umh�llung entnommen und dem Oberpriester gezeigt: zuerst das Gewand der Mutter Zarathustras, hernach der ungen�hte Rock des Vaters Zarathustras, endlich die Windeln und das Lendentuch Zarathustra’s selbst. Ao fand, da� die Sachen in Anbetracht ihres hohen Alters einen merkw�rdig frischen Geruch bewahrt h�tten, und gar nicht moderig dufteten. Worauf ihm die heilige Kommission l�chelnd erwiderte, das k�me erstens vom spezifischen Heiligkeitscharakter der Gegenst�nde, zweitens von der vorz�glichen irdischen Qualit�t der in jenen Zeiten verarbeiteten Rohstoffe, drittens von einem patentirten, diskret verwendeten Reliquien-Mottenpulver, dessen man selbst bei dem wirkungsvollsten Mysterium dieser Art nicht ganz entrathen k�nne.

Hierauf wurden die Heiligth�mer auf die Galerie des Thurmes getragen, um von dort herab beim Zarathustrafeste dem gl�ubigen Teutavolke gezeigt zu werden. Wunder haben sich dabei niemals ereignet. Das Volk erwartete auch keine, es hatte an seiner objektiven Gl�ubigkeit vollkommen genug. Die religi�sen Gef�hle waren Privatsache, wie schlie�lich auch Glaube oder Nichtglaube.

Diese und andere Vor�bungen f�r das Gelingen des Festes waren beendigt . . . und Ao war halbtodt vor Anstrengung.

Wenn ihn nur heute noch die Welt in Ruhe lie�e, damit er sich bis morgen von den Strapazen erholen k�nnte.

Aber die Welt lie� ihn nicht in Ruhe. Und die Welt hie� Soundso.

Athemlos flog der Diplomat herein: — Hoheit, sie will nicht.

— Wer will nicht?

— Jala.

— Der Automat Jala?

— Jala in Person, Hoheit.

— Hast Du sie denn?

— Seit vorgestern! Tiefstes Staatsgeheimni�!

— Schweig, mich trifft der Schlag . . .

Ao versank zu einem runden Klumpen in die seidenen Polster.

Der hohe Rath wurde herbeigerufen.

Soundso erlebte nicht die erwartete Genugthuung. Die Hoheiten nahmen sich heraus, seine Eigenm�chtigkeit zu tadeln. Er erbot sich, Jala sofort pers�nlich vorzustellen, damit sie den Hergang ihrer Befreiung aus fremden Tyrannenh�nden schildere. Das fehle noch, da� ihm seine That im Interesse des Staates zum Vorwurfe gemacht werde, Undank habe seither nicht zu den Fehlern des Teutavolkes und seiner Regierenden geh�rt.

Darauf wurde erwidert, da� das ganze Jala-Abenteuer den hohen Rath �berhaupt nicht k�mmere. Ja, h�tte Soundso statt der �belberathenen Frauensperson den Verf�hrer Grege eingeliefert, das w�re etwas Anderes gewesen. Jala besitze nicht die Qualit�t, den hohen Rath zu interessiren, best�tigte Bim.

Der Automat des galanten Minus tr�umte schweigend hinter einem Schirm in der Ecke. Der Fall Jala war in seinem Maschinen-Herzen nicht vorgesehen. In seinem Sprechapparat hatte der s��e Name keine Stelle.

Soundso lie� sich nicht aus der Fassung bringen. Abgesehen davon, da� sie in der Schlu�nummer des Festes hervorragend besch�ftigt sei und zum Theil den Grege — diesen jetzt geradezu staatsgef�hrlichen Menschen — ersetzen m�sse, da man dem Automaten gewisse Verrichtungen nicht anvertrauen k�nne, gebe Jala wichtige Anhaltspunkte, die schlie�lich doch noch auf die Spur des ehrlosen Fl�chtlings leiten m��ten.

— Wichtige Anhaltspunkte! h�hnte Kaspe. Grege hat das verliebte Frauenzimmer aus den heiligen Bezirken der Frauenstadt fortgelockt, um die Th�rin unterwegs sitzen zu lassen. Gro�artiger Aufschlu�!

Daran den Fl�chtling Grege fassen zu wollen, komme ihm vor, als wolle man nach dem Schweif eines verschwundenen Kometen greifen.

Worauf Soundso k�hl erwiderte, wenn es ihm gel�ste, diesen Griff zu thun, werde er nicht mit leeren H�nden vor dem hohen Rath erscheinen. Er wolle sich �brigens gern verpflichten, zu einer kleinen intimen Nachfeier des unter so au�erordentlichen Umst�nden erm�glichten Nationalfestes den biederen Onkel Grege herbeizuschaffen, in Ketten und Banden, wenn der hohe Rath seinen Einflu� aufbiete, die widersp�nstige Jala willf�hrig zu machen. Es sei dies ganz einfach eine Frage der staatlichen Autorit�t. Soll diese von der Halsstarrigkeit der T�nzerin mit F��en getreten werden? Er, Soundso, wasche seine H�nde in Unschuld.

Das wirkte.

— Gut, piepste Kaspe. Ich ersuche Hoheit Ao zu befehlen, da� uns die T�nzerin sofort vorgef�hrt werde.

Ao ertheilte den Befehl. Jala war im Museum in sicherem Gewahrsam.

Soundso flog ab, um zuvor noch den Grege-Automaten herzubringen. Es sollte eine kleine Seelenfolter angewendet werden. Automat Grege, das war Soundsos pl�tzliche Idee, m�sse auf Befragen bejahen, da� er soeben eingefangen und hierher geschleppt worden sei, um schwere Strafe zu erleiden, wenn Jala sich nicht dem Willen des hohen Rathes unterwerfe.

Inzwischen lie� sich der Vertreter des Slavakos, zur Nationalfeier eingeladen, bei dem Oberpriester zur Begr��ung melden.

Ao erkl�rte, da� wichtige Staatsgesch�fte ihn verhinderten, den Mann zu empfangen, er lie�e f�r den Gru� danken und erwidere ihn.

So lie� sich jedoch der Mann nicht abspeisen. Er schickte die mi�muthige Antwort herein, da� es dem obersten Beamten des Teutastaates erw�nscht sein m�sse, ihn unter allen Umst�nden zu sehen, da es sich nicht blo� um eine f�rmliche Begr��ung, sondern zugleich um eine wichtige diplomatische Unterredung in Staatsangelegenheiten, wenigstens aber um eine kl�rende Vorbesprechung handle, an deren gutem Erfolg die Teutaleute ein st�rkeres Interesse zu nehmen h�tten, als die Slavakos.

— Ich wei�, belehrte Titschi den Oberpriester, da� die Ernte mager ausgefallen ist und die Slavakos uns h�rtere Bedingungen stellen wollen.

— Ich kann und mag nicht, kreischte der Oberpriester. Ich wette, das hat uns auch wieder dieser . . . vortreffliche Soundso angezettelt. Wir k�nnen jetzt keine fremden Zeugen im hohen Rathe brauchen. Der Mann mu� sich gedulden bis nach dem Feste. Ich mu� mich auch gedulden.

— Ueberdies hab’ ich jetzt die Register nicht zur Hand, f�gte Bim mit selbstbewu�ter Miene bei.

Titschi l�chelte wie Einer, dem’s Spa� macht, wenn eine Geschichte verkehrt angefa�t wird oder ein Hungriger einen versalzten Brei vorgesetzt erh�lt.

Erhitzt fuhr Soundso herein, mit seinem schwarzverh�llten Grege-Wundermechanismus, und stellte ihn neben den Minus-Automaten in die Ecke, Gesicht gegen Gesicht.

Der Vorhang ging zur�ck. Eine hohe Frauengestalt trat einen Schritt vor und blieb im Halblicht vor dem versammelten hohen Rathe stehen, hinter ihr verhuschten zwei F�hrer. Nie hatte ein Frauenfu� diesen der obersten Staatsleitung geweihten Raum betreten.

Es war ein Ereigni�.

Alle schwiegen. Soundso dr�ckte einen Knopf. Der gro�e, zeltartige Saal erschimmerte in goldenem Licht.

— Sie ist f�rwahr sehr sch�n, fl�sterte Titschi dem Oberpriester zu.

Die hohen R�the verst�ndigten sich durch Mienenspiel, da� der Oberrichter Kaspe das Wort f�hren solle. Soundso nahm zwischen seinen Automaten Minus und Grege Platz, in gespannter Erwartung.

Kaspe begann zu piepsen: — Wir wollen’s kurz machen, Hoheiten. Du bist Jala?

Aller Blicke hingen am Gesicht der Gefragten. Mit geschlossenen Augen stand sie da, im vollen Licht, hoch aufgerichtet in edler Schlankheit, unbewegt wie eine Statue, stolz und bescheiden, herb und ergeben, �ber ihre Z�ge ein Geist ergossen, der aus einer h�heren Sph�re stammte, aus dem Jenseits des All-Wissens aus Leid und Liebe und Gl�ckesverzicht.

Bim machte in selbstgef�lligem Entdeckerdrang f�r sich die Beobachtung, da� eine gewisse Linie des Leibes und ein gewisser Zug im Gesicht Jalas geheime Mutterschaft verrathe.

— Du bist Jala? wiederholte der Oberrichter.

— Ihr wi�t es.

Die Stimme klang wie tiefer zitternder Geigenton.

— Du sollst am Zarathustratage tanzen und willst nicht?

— Ihr wi�t es.

Der Ton klang fester.

— Was bestimmt Dich dazu, Dich der Zarathustrafeier zu verweigern? Hat Dich Grege das gehei�en?

Jala schwieg. Der Name Grege schien sie zu erregen, da� es wie leises Beben �ber ihren Leib lief. Ihr linker Fu� rutschte ein wenig vor, also da� die Sandalenspitze unter dem Saum des lichtgrauen Gewandes hervorkam.

— Was sagt Grege dazu? rief Kaspe.

Soundso fuhr mit dem Kopfe auf und nickte dem Frager aufmunternd zu.

— Wenn Grege Dich Deiner Pflicht gemahnte, w�rdest Du die Antwort finden, Schweigsame?

Pause.

— Grege ist nicht ferne, Jala! Warum sprichst Du nicht?

Da �ffnete Jala z�gernd die Lippen und sprach leise: — Was in ihm ist, ist zugleich au�er ihm.

— Das ist uns keine Antwort. Wirst Du tanzen, wenn Grege beim Feste erscheint und gewissenhaft seine Schuldigkeit thut, wie er sie sonst gethan?

Jala durchzuckte es schmerzlich. Fest pre�te sie die Lippen aufeinander, da� kein Laut der Klage ihre Seele verrathe.

Der Oberrichter fuhr fort: — Wenn Du seine Stimme vernimmst und seine Hand die Deinige ber�hrt, vor allem Volk? Wenn der Uebermensch in des Wiedersehens Seligkeit Dich an seine Brust zieht?

Soundsos Finger erzitterte �ber der Klaviatur in seines Grege-Automaten Brust. Ein Wort von Grege jetzt — und Alles war gewonnen . . . oder verloren. Soundso zog schnell die Hand zur�ck und f�hlte nach der Brust des Automaten Minus, indem er den Finger durch eine handgro�e Oeffnung im R�cken auf die Sprechmaschine des Oberlehrers legte. Mit der andern Hand winkte er dem Oberrichter ab, um selbst das Wort zu nehmen:

— Hoheiten, ersucht unseren Freund Minus, da� er zun�chst selbst f�r Grege, seinen einstigen Sch�ler, eine Bitte an Jala richte!

— Hoheit Minus, sprich in Greges Namen!

Der Automat sprach sofort mit t�uschender Eindringlichkeit: — Was Du thust, bedenke des Volkes Wohl, das Dein eigenes ist.

Jala wendete den Kopf ein wenig nach der Seite, woher die Stimme kam, pr�fend. Sie hob langsam die Hand und legte sie an die Stirn.

— Hast Du geh�rt, Jala? fragte Kaspe.

Nach einem Augenblicke des Sinnens antwortete Jala: — Ich habe eine Stimme geh�rt, aber ich f�hle sie nicht.

Soundso erbleichte, aber er rief sofort, mit gewohnter Schlagfertigkeit:

— Ihr habt’s vernommen, Hoheiten, Jala hat kein Gef�hl f�r des Volkes Wohl, also auch kein Gef�hl f�r ihr eigenes. So wird dem hohen Rathe nichts �brig bleiben, als zu beschlie�en, da� Grege dem Feste ferngehalten werde, und als Fl�chtling seine Strafe erleide. Grege werde der Abtheilung der Verbrecher gegen die Staatsgesetze eingereiht, da� er auf der Schwelle des Zuchthauses dem festlichen Volke schimpfliche Abbitte leiste. Dies mein Antrag!

Und sofort f�gte Soundso das �u�erste Wagni� bei. Er �ffnete seinem Grege-Automaten den Mund, da� die weich und vollt�nenden Worte unter der H�lle wie aus geheimni�voller Ferne und doch in der N�he erklangen: — Meine Br�der, seht, ich lehrte Euch den Uebermenschen, was fordert Ihr noch?

Titschi begriff die Gefahr des Augenblicks und rief mit starker spitziger Stimme: — Schweig! Ich verwahre mich dagegen, da� Grege hier zum Worte zugelassen wird. Er soll seine Beschw�rungsformeln bis morgen versparen, wo er dem Volke Rechenschaft zu geben hat. Ihr seht, da� es selbst Jalas, seiner Mitschuldigen, Verlangen ist, da� die Gerechtigkeit gegen Beide ihren Lauf nehme.

Und wie erl�st aus peinlicher Lage, rief der gesammte hohe Rath einm�thig: — Ja, so geschehe es! Die Gerechtigkeit nehme ihren Lauf!

Jala empfand den L�rm der Stimmen, die Greges Worte verschlangen wie ein tr�ber Strudel den vom Himmel gefallenen Regentropfen, mit verzehnfachter St�rke. Es war ihr wie ein Br�llen, Sausen, Zischen, Tosen, Sto�en, wie der spukartig sich ank�ndigende Groll des ganzen Volles, der morgen in immer w�ster anwachsendem Geschrei und Zornausbr�chen ihr Schweigen wie Greges m�nnlich sch�nes Wort in den Staub treten wird. Grege . . . und w�r’s ein Wahnbild, eine Halluzination gewesen . . . Grege lebt und sein Athem . . . sein Athem? . . . Nein, seinen Athem f�hlte sie nicht, mit dem Klang der Stimme ist seine Seele verweht . . . Aber seine Stimme war’s, seine lang entbehrte herrliche Stimme . . . Wie soll sie seine Seele zur�ckrufen, da� sie auch seinen Athem sp�re, was soll sie beginnen, da� er ihr nahekomme mit seinem vollen, warmen Leben . . . Ihre Kniee halten sie nicht mehr . . . Aber nein, Niemand soll sie schwach sehen, Niemand, auch Grege nicht . . . Grege? Grege? War das Grege wirklich, war’s nicht ein Gaukelspiel? Wie w�re Grege hier, ohne sie an seine Brust zu rei�en, sie zu vertheidigen vor dieser machttollen Sippe, vor aller Welt, wie ein L�we sein Eigenthum an sich rei�t und mit seinem Leben vertheidigt? . . . Bei der ewigen Liebe . . .

— Man f�hre Grege ab! gebot Kaspe.

Und Jala bedeckte ihr Gesicht mit beiden H�nden, dann streckte sie die Arme geradeaus nach vorn, wie beschw�rend, und lie� sie schlaff an den Leib zur�ckfallen.

— Ich werde tanzen.

Soundso r�hrte sich nicht von der Stelle, sein Triumph schnellte ihn nicht empor, als ihn die Hoheiten begl�ckw�nschend umringten. Bim selbst konnte sich nicht verhehlen, da� es ein wahres Wunder gewesen, ein solches Weib zu t�uschen und unter fremden Willen zu zwingen.

Ao hatte die ganze Zeit kein pers�nliches Wort zur Sache gefunden. Die Geschichte ging ihm �ber den Horizont. — Mechanik und Mystik! murmelte er endlich und bat, das Licht zu vermindern, es sei zuviel der Helle f�r seine Augen.


Kapitel 25

Die Abendwolken, die Ao wie lodernde Feuerberge erschienen, sah Grege mit anderen Augen und anderen Gedanken.

— Eine Armee von Titanen, mit gez�ckten Schwertern, Reiterschaaren, anst�rmend auf feurigen Rossen, in wildem Schnauben hinein in den Kampf! In schm�hlicher Flucht die Feinde vor sich her jagend! Wem eine solche Heimkehr beschieden w�re an der Spitze eines kampfbegeisterten Kriegsvolks!

Aber er wu�te, das sind Wolkenbilder am Himmel, heroische Phantasien. Auf europ�ischer Erde findet sich diese Wirklichkeit in Wehr und Waffen mit blitzender Entscheidungskraft nicht mehr. Und sein Gru� an den heimathlichen Boden, den jetzt sein Fu� wieder betreten, war ein Seufzer, jenen sch�nen Zeiten nachgesandt, wo der Kampf zwischen M�nnern nicht mit Worten, sondern mit Blut gef�hrt wurde, wo das H�chste vom Gegner gefordert wurde als Einsatz, sein lebendiges Leben, seine lebendige Freiheit. Sieg oder Tod!

Grege trug wieder sein Pilgerkleid und seinen Stab wie damals, als er ausgezogen . . . Als Fremden zeigte ihn jetzt nur sein wallendes Haar, sein mit vollem Barte umrahmtes, luftgebr�untes Gesicht, sein ungew�hnlich straffer Gang, sein raubthierk�hner, harter Blick.

Wenn er jetzt die Nacht durchwanderte, k�nnte er bis zum Morgengrauen in Teuta sein und den hohen Rath allarmiren.

Er beschlo� jedoch, einige Stunden unmittelbar vor der verschlafenen Stadt zu rasten, und dann, wenn das offizielle Leben gegen Mittag erwachte, aus n�chster N�he in den heiligen Bezirk einzubrechen.

In der D�mmerleuchte des abnehmenden Mondes fand er eine geeignete Lagerst�tte an der hinteren B�schung des Schuttberges, der das K�nigsschlo� trug. Keinerlei Empfindungen dr�ngten sich vor, er legte sich mit wunderbarer Gelassenheit auf den bedeutungsvollen Boden nieder. Rasten wollte er in Sicherheit, nichts weiter, kein Gedanke vor- oder r�ckw�rts sollte ihn st�ren, keine Empfindsamkeit des Eindrucksverm�gens seinen Gleichmuth ersch�ttern. Seine Seele war ein stilles, ehernes Meer, die St�rme lagen gefesselt auf dem Grund . . . Er schlief ein, und schlief lange, fest, traumlos.

Die Sonne ging hoch am bla�blauen, wolkenlosen Himmel. Sie ward seine Weckerin. Und er l�chelte ihr entgegen. Wer verschl�ft in Teuta den Morgen nicht, in diesem Reiche der Murmelthiere und Faulpelze? fragte er sich mit gem�thlicher Selbstironie.

Aber pl�tzlich wurde er ernst und zeigte sein strenggefa�tes Gesicht. Was bedeutet das eigenth�mliche Get�se, Gesumme, Gefl�te von k�nstlichen Instrumenten, Gepolter von Trommeln, das heisere Gewirr von M�nner-, Weiber-, Kinderstimmen, von taktm��ig herausbrechenden Zurufen? Und jetzt gar dieser monotone Prozessionsschrei: Zara — thuuu — stra, Zara — thuuu — stra, Zara — thuuu — stra?

In welcher Zeit stand er denn? Die Nationalfeier ist doch l�ngst vor�ber? Aber das festliche Get�se w�lzt sich n�her und n�her, es steigt auf von den Zickzack- und Schlangenlinien und Spiralen der Feststra�e, pflanzt sich verst�rkt �ber die Freitreppen und Terrassen der Kulturdenkbauten fort und erf�llt die Luft �ber ganz Teuta! Es setzt einige Minuten aus, das sind die Haltepunkte an den Stationen, dreimal drei B�llersch�sse werden gel�st, die Pauken und Trommeln w�thend bearbeitet — da defilirt der hohe Rath vor dem Gotteshaus und die Reliquien werden von Jungfrauen zum Thurm hinausgehalten . . . Das ist Alles so sicher und richtig, da� es kein Traum sein kann. Und Hochmittag naht, da erreicht die Feier ihren H�hepunkt vor dem K�nigsschlo� mit der widerlichen Verspottungsposse und dem greulichen Taumel der P�belwonne . . . Und Zarathustra, Uebermensch und K�nig, Gott und Affe zugleich, spottet seiner selbst zur Erheiterung des gro�en, freien, gebildeten Teutavolkes und giebt ein Schauspiel tiefster sittlicher Erniedrigung zur St�rkung der Staatsautorit�t . . . Ist’s nicht so? Ist’s nicht immer so gewesen, so lange er selbst, Grege, aus bl�der Tradition an diesem Verbrechen an allem wahrhaft Heiligen und Hohen sich betheiligte . . . als gezwungener Kom�diant?

Und Grege kletterte an der R�ckenb�schung, die ihm die hei�en Strahlenreflexe der Sonne in’s Gesicht schl�gt, h�her und h�her, den Stab krampfhaft in der Faust . . . Wenn das Alles so ist, wie es sein mu�, weil es gar nicht anders sein kann . . . beim ewigen Zarathustra, wer ist heute sein Hanswurst, da Grege es nicht ist? Grege nie und nimmer es sein wird?

Hat er einen Doppelg�nger?

Und wie Grege am Hinterbau des K�nigsschlosses sich aufrichtete und hart an der Mauer sich vorsichtig nach vorn tastete, da durchschauerte es ihn mit einem Male: Die Stunde ist da! Pl�tzlich, unentrinnbar! Was sich da unten vor ihm abspielt, ist die gro�e Nationalfeier seines Teutavolkes, was sich da gegen ihn heraufbewegt, ist die Spitze des Zuges, der hohe Rath mit den Tr�gern der G�tterbilder, Alles im Prunkglanze des offiziellen Purpurs. Unter einem Baldachin, getragen von J�nglingen, flankirt von Jungfrauen . . . wer denn? Grege’s leibhaftige Gestalt! Sein Kopf, sein Gang, seine Art die Arme zu halten, seine Art durch Kopfnicken zu gr��en, seine Stimme! Seine Stimme, wahrlich und gewi�, sein Tonfall und die liturgische Betonung, wie sie ihm zu eigen, wenn er anstimmte, wie jetzt sein Doppelg�nger anstimmt: — Meine Br�der, seht, ich lehrte Euch den Uebermenschen, was fordert Ihr noch? und das Volk in gewaltigem Unisono erwiderte, wie es jetzt erwidert: — Wir fordern Deinen Schutz, auf da� wir lange und herrlich leben im Lande der V�ter, darein Du uns gesetzt, ein Beispiel den V�lkern . . . und der hohe Rath schlendert bedeutsam gem�chlich und wundert sich �ber nichts, hier der w�rdevolle Oberpriester, geleitet von Kaspe und Bim, dort der querk�pfige Oberlehrer und H�ter des heiligen Wortschatzes Minus, geleitet von Titschi und Soundso — Alles echt und dennoch eine L�ge, ein satanisches Gaukelspiel! Ist er selbst Grege, oder ist er’s nicht? Er zupft sich am Bart, er kneift sich in den Arm, er st��t mit seinem Stock auf, und da zeichnet die Sonne seinen langen Schatten an die Wand des K�nigsschlosses, und wenn er noch einen Schritt vorw�rts macht, l�uft sein Schatten �ber die K�nigsterrasse und schl�gt die Freitreppe hinab und den hohen Rath mitten in’s Gesicht. Er ist er selbst, Grege! Und wie er einen Schritt zur�ckweicht, Deckung an der Mauer suchend, f�llt sein Blick auf den weiten, unabsehbaren Zug kreischenden, l�rmenden, dunkelgekleideten Volkes, gleich einer zuckenden schwarzen Schlange sich dahinw�lzend zwischen den grauen, sonnig bestrahlten Schuttbergen, und nur zwei lichte Gruppen fallen aus der schwarzen Linie: die kleine Gruppe der wei�verschleierten T�nzerinnen, die sich an den H�nden f�hren, und die unverh�ltni�m��ig gro�e Gruppe der B��er in wei�en Hemden, die Arme �ber die Brust gekreuzt. Und unwillk�hrlich gehen seine Augen von einer lichten Gruppe zur andern: Woher die vielen, vielen S�nder an Teutas Staatsherrlichkeit, und woher die edle Gestalt, die zwischen den niedlichen T�nzerinnen hervorragt wie eine hohe Lilie zwischen G�nsebl�mchen? Aber immer lauter und bet�ubender umbraust sein hohes Versteck der Prozessionsl�rm, wie Schnauben und Keuchen kommt’s die Freitreppe herauf . . . Der hohe Rath, umwallt von den Flatterw�lkchen der Weihrauchf�sserschwinger . . . Der schwarzb�rtige Vertreter der Slavakos . . . o Scheu�lichkeit! . . . der Baldachin mit den Pfauenwedeln . . . o Gaukelspiel und Sinnentrug . . . die heiligen G�tterbilder und Symbole auf hohen Tragstangen, die wehenden rothen Banner des Festbundes . . . „Meine Br�der, seht, ich lehrte Euch den . . .

Grege fl�chtet durch eine Seitenpforte in das K�nigsschlo� und nimmt hinter dem geschlossenen Hauptportal, das auf die Terrasse geht, Stellung, den Mantel fest um den Leib gezogen, den Stab in der Hand wie ein Herold . . . Die Stunde ist da! Die Stunde ist da! . . . Au�en Bewegung und Schlurfen der Schritte, wachsendes Get�se, Kommando zur Gruppirung, B�llersch�sse, Trommelwirbel, das Volk ordnet sich die Freitreppe herauf und staut sich unten in den weiten Spiralen . . . in wenigen Minuten geht das hohe Portal auf, Zarathustra-K�nig tritt unter dem Baldachin hervor und hinauf auf die Portalschwelle die T�nzerinnen schlie�en einen Reigen auf der Terrasse . . . der hohe Rath und die hohen Abgeordneten nehmen auf den Polsterst�hlen Platz, die Weihrauchw�lkchen verschwimmen in der sonnigen Luft . . . Minus erhebt m�chtig die Stimme . . . der Aktus beginnt in lautlosem Lauschen des Volkes . . . Minus, der H�ter des heiligen Wortschatzes von Teuta, begr��t das heilige Symbol des gro�en Mysteriums in wohlgesetzter Rede, verneigt sich und ersucht den Uebermenschen, seines Amtes zu walten, sich dem Volke als K�nig vorzustellen und seinen Jahresspruch herzusagen.

Unter donnerndem Beifall beginnt der Uebermensch:

Aufw�rts fliegt unser Sinn,

Achtet der Stunde,

Teuta’s erhabenes Volk — —

Da kreischt das Portal im R�cken des k�nigsherrlichen Automaten auf und Grege der Pilger schreitet leibhaft hervor.

Todtenstille. Die Aeltesten vom Festbund und der hohe Rath blicken entsetzt auf Soundso. Der ist so verbl�fft wie sie. Wer �nderte den Festplan? Der Automat deklamirt unersch�tterlich weiter mit wundervollen Armbewegungen. Was will der Fremde? ruft Soundso in die Deklamation hinein und eilt herzu . . . Grege setzt ihn mit einem kr�ftigen Druck auf den Boden . . . Schl�gt mit dem Stab dem Automaten die Krone vom Kopf, da� sie �ber die Terrasse hinweg und die Freitreppe hinabklirrt, rei�t ihm den Hermelin von der Schulter und das goldene Scepter aus der Hand — und der Automat deklamirt, eine entlarvte Puppe, unersch�tterlich weiter . . . Ebenso unersch�tterlich schreitet Grege unter dem bleichen Entsetzen des Volkes in seinem Zerst�rungswerke weiter . . .

Will Euer Wille befehlen,

Wohlan, ich bin sein Symbol — —

Das Symbol lag im Nu klappernd am Boden, die Maschine rasselte noch einmal, dann war sie stille.

Automat Minus, blitzschnell in seiner Natur von Grege erkannt, theilt dasselbe Loos. Sein feingearbeiteter Kopf rollt ihm von der Schulter, der Purpurmantel entsinkt der Puppe . . .

Die blinde Jala f�hlt, da� sich Ungeheures ereignet: — Sprich, wer bist Du, der so Entsetzliches schafft? ruft sie mit hellgebietender Stimme in das stumme Schauspiel hinein.

Der Bann ist gebrochen, tausendstimmiges Echo ruft von allen Seiten, von oben bis unten, von Spirale zu Spirale und pflanzt sich auf der Feststra�e fort: Wer bist Du? Wer bist Du? Wer bist Du, der so Entsetzliches schafft?

Die zahlreiche Gruppe der M�nner und J�nglinge im B��erhemde durchbricht die Reihen und st�rmt, von einem gemeinsamen Gef�hl gejagt, von einer gemeinsamen Vision magnetisch angezogen, die Treppen hinauf, auf die Terrasse, mit dem Kampfrufe: Zu ihm! Zu ihm! Er ist der Befreier!

Und wieder ruft das tausendstimmige Echo von unten: — Er ist der Befreier! Er ist der Befreier!

Und eine furchtbare Naturgewalt r�ttelt und sch�ttelt die Massen, und wie Donnerstimme hallt’s: Heil dem Befreier! Heil dem Befreier!

Jala, ihrer nicht mehr m�chtig, sie hat den Befreier erkannt, taumelt einen Schritt vorw�rts, die ganze ungeheure Bewegung ist ihr durch die Seele gegangen — die hehre, lichte Gestalt sinkt an Grege’s Brust.

Es bildet sich ein dichter Kreis um Mann und Weib, alle Blicke sind starr, jeder Mund ist stumm, Grege erhebt den Stab und schwingt ihn �ber seinem Haupte, w�hrend er mit dem andern Arme Jala an sich pre�t: Volk von Teuta, Zarathustras j�ngste Stunde ist gekommen, Zarathustras des Richters und Erl�sers! Heil dem Volke! Heil dem Erl�ser!

So war das Zeichen zum neuen Leben, zur Wiedergeburt im Kampfe gegeben, und das wei�e Banner des heiligen Aufruhrs weht von der K�nigsburg, bis der Sieg erfochten.

Als am Abend die Terrasse von den Tr�mmern des Automaten-Gaukelfestes ges�ubert wurde, ber�hrte ein Arbeiter die Sprechmaschine in der Brust des eisernen H�ters des heiligen Wortschatzes, und pl�tzlich begann die kopflose Puppe der entlarvten Hoheit zu rasseln: — Ao ist ein Idiot — Bim ist ein altes Grauthier — Titschi ist ein entlaufener Strandr�uber — Kinder sind heilig �berall, wir sch�tteln sie wie Wanzen ab. — Man mu� dem Volk in’s Gesicht schlagen, das muntert seinen Verehrungstrieb auf — Man mu� Possen mit ihm treiben, dann f�hlt es sich der Gottheit nahe . . .

In derselbigen Nacht wurde Grege durch einm�thigen Beschlu� des Volkes zum obersten Leiter der gemeinsamen Angelegenheiten ausgerufen, der Vertreter der Slavakos mit Soundso �ber die Grenze gejagt.

— Da habt Ihr Euren Tribut.

Ao und seine Hoheiten erhielten einstweilen freies Quartier im Museum.

Grege lie� eine Luftgondel ausr�sten, um bis zum Anbruch des n�chsten Tages Botschaft nach Nordika zu schicken. Der schimpfliche Vertrag mit den Slavakos wurde durch ein Freundschaftsb�ndni� mit dem Brudervolke von Nordika ersetzt.

Dann fielen die ersten Hammerschl�ge zur Zertr�mmerung der Mauer, welche die Stadt der M�nner von der Stadt der Frauen trennte.

Dem Oberrichter Ex-Hoheit Kaspe war es gelungen durchzubrennen und bei Willem Mom am Strande Unterschlupf zu finden. Dort zirpte und piepste er bis an sein Ende �ber des Teutareiches Untergang . . .

Und noch weht das Banner des heiligen Aufruhrs von der K�nigsburg in Teuta, bis der volle Sieg �ber die alte Elendsordnung erstritten ist und Keiner mehr unter der Erde vegetirt, der berufen ist zu einem gl�cklichen Leben im Lichte der Sonne.

Wenn scharfer Nord das Fahnentuch bewegt, t�nt es aus den klatschenden Falten des Banners wie Maikkas Lachen.

Ende.

Druck von C. G. R�der in Leipzig.

Anmerkungen zur Transkription

Die folgenden Korrekturen am Originaltext wurden vorgenommen:

  • ... krausen Abtreviaturen vollgekritzelt war. ...
    ... krausen Abbreviaturen vollgekritzelt war. ...
  • ... an Allem — — so werwandelt — — — ...
    ... an Allem — — so verwandelt — — — ...
  • ... — Die Anwort eilt mir nicht, entgegnete der ...
    ... — Die Antwort eilt mir nicht, entgegnete der ...
  • ... hieher. Das ist Deine pers�nliche K�mmerni�, Minus. ...
    ... hierher. Das ist Deine pers�nliche K�mmerni�, Minus. ...
  • ... die von seinen Mit�ltesten als �u�erste diesem Augenblick ...
    ... die von seinen Mit�ltesten als �u�erste in diesem Augenblick ...
  • ... erlaubte in Grenze des Aussprechbaren empfunden ...
    ... erlaubte Grenze des Aussprechbaren empfunden ...
  • ... Sch�sseln allerlei Labung, dazu Obst, Backwerck, s��e ...
    ... Sch�sseln allerlei Labung, dazu Obst, Backwerk, s��e ...
  • ... Leib hinab hinab: Er war er, kein Zweifel. ...
    ... Leib hinab: Er war er, kein Zweifel. ...
  • ... Aengsten der j�ngsten Zeit so gl�cklich �berwunden ...
    ... Aengste der j�ngsten Zeit so gl�cklich �berwunden ...
  • ... und stie� den Takt mit dem Elbogen in Grege’s ...
    ... und stie� den Takt mit dem Ellbogen in Grege’s ...
  • ... — Gott verdamm’ mich, Gentlemann, das h�tte ich ...
    ... — Gott verdamm’ mich, Gentleman, das h�tte ich ...
  • ... der Polzeipr�sident ist neu und der m�chtigste Mann ...
    ... der Polizeipr�sident ist neu und der m�chtigste Mann ...
  • ... — Bei Sir John Fallstaffs Andenken, hier wird ...
    ... — Bei Sir John Falstaffs Andenken, hier wird ...
  • ... Teutaleute ein st�rkens Interesse zu nehmen h�tten, als ...
    ... Teutaleute ein st�rkeres Interesse zu nehmen h�tten, als ...

End of Project Gutenberg's In Purpurner Finsterni�, by Michael Georg Conrad

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK IN PURPURNER FINSTERNI� ***

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