Warum das selbe nicht das gleiche ist

6. März 2015 22,449 Besucher

Warum das selbe nicht das gleiche ist
Kömödien-Klassiker »Und täglich grüßt das Murmeltier« (USA 1993) : Wieder und wieder der gleiche Tag, aber nie derselbe.

Viele Menschen gebrauchen dasselbe und das Gleiche als Synonyme, das heißt als Wörter mit gleicher Bedeutung. Einige andere Menschen aber sind sich sicher, dass dasselbe und das Gleiche nicht dasselbe sind. Doch worin besteht der Unterschied genau? Ein Kapitel zu einer ewig gleichen Frage, die doch nie dieselbe ist.

Meine Freundin Sibylle wollte von mir wissen, ob man eigentlich jedes Jahr am selben Tag Geburtstag habe – oder am gleichen Tag? Das Datum bleibe ja immer gleich, jedenfalls der Kalendertag; der Wochentag hingegen sei selten an zwei Jahren in Folge derselbe. Sei es falsch zu behaupten, man habe jedes Jahr am selben Tag Geburtstag? Oder sei das Jacke wie Hose?

Ich überlegte kurz und erwiderte: »Kennst du den Film ›Und täglich grüßt das Murmeltier‹? Darin durchlebt der in einer Zeitschleife gefangene Protagonist – dargestellt von Bill Murray – wieder und wieder den gleichen Tag. Es ist aber nie derselbe. Denn jedes Mal verläuft der Tag anders. Dein Geburtstag findet jedes Jahr am gleichen Tag statt, immer im gleichen Monat. Doch jeder Geburtstag ist anders, daher ist es nie derselbe Tag. Derselbe Tag kann sich nicht wiederholen.« Sibylle dachte nach. »Und wie ist das mit dir und der Kanzlerin?«, fragte sie dann. »Ihr habt doch am selben Tag Geburtstag, seid aber nicht gleich alt. Ist es dann falsch zu sagen, ihr wurdet am selben Tag geboren?« – »Streng genommen ja«, erwiderte ich. »Wir wurden zwar beide an einem 17. Juli geboren, feiern also jedes Jahr am selben Tag Geburtstag, wurden aber nicht am selben Tag geboren. Sonst wären wir gleich alt – oder genauso alt wie die italienische Sängerin Milva, die ebenfalls am 17.7. Geburtstag hat. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob man behaupten kann, wir seien am gleichen Tag geboren worden. Denn an meinem 17.7. war es sonnig und heiß, und an Angela Merkels 17.7. war es um einige Grade kühler, und es goss wie aus Kübeln.«

Niemand nimmt es mit der Unterscheidung zwischen »dasselbe« oder »das Gleiche« genauer als mein Freund Henry. Er pflegt es so zu erklären:

»Ob in einem bestimmten Zusammenhang ›dasselbe‹ oder ›das Gleiche‹ gefragt ist, kannst du dir am besten mit dem Zahnbürsten-Vergleich verdeutlichen: Du und ich benutzen seit Jahren die gleiche Zahnbürste. Aber selbstverständlich niemals dieselbe! Unsere Zahnbürsten gleichen sich, weil sie vom selben Hersteller stammen, es sind aber zwei unterschiedliche. Wenn von ›derselben‹ Zahnbürste die Rede ist, dann ist nur eine einzige Zahnbürste im Spiel. Bei ›der gleichen Zahnbürste‹ sind es zwei. Um es auf eine einfache Formel zu bringen: Zwei Dinge, die das Gleiche sind, sind einander zum Verwechseln ähnlich. Zwei Dinge, die dasselbe sind, sind identisch und somit in Wahrheit ein Ding. Daher heißt es auch oft: Das ist ein und dasselbe!«

»Das mit der Zahnbürste leuchtet mir ein«, sagte Sibylle. »Aber ist es auch falsch zu sagen, ihr benutzt dasselbe Modell?« Eine verzwickte Frage! Auf die Suche nach einer eindeutigen Definition des Unterschieds zwischen demselben und dem Gleichen – sofern es eine solche überhaupt gibt – zogen Henry und ich verschiedene Wörterbücher zu Rat. Im Wörterbuch von Lutz Mackensen (1991) stießen wir auf folgenden knappen Eintrag: »dasselbe: kein anderes«

Die Erklärung mithilfe des Gegenteils war sehr geschickt und erschien mir plausibel. Schwieriger wurde es mit dem daneben stehenden Beispielsatz: »Er hat dasselbe Einkommen wie du.« Henry war damit nicht einverstanden. »Ich hätte hier eher vom ›gleichen Einkommen‹ gesprochen«, sagte er, »weil es gleich groß ist. ›Dasselbe‹ Einkommen kann nicht zweimal ausgezahlt werden. Das wäre Betrug – oder Zauberei!«

Im Synonymwörterbuch aus dem Bertelsmann-Verlag von 1998 fand sich unter dem Stichwort »gleich«: »übereinstimmend, identisch, eins, einerlei, äquivalent«, was Henry erst recht missfiel. »Zwei gleiche Schuhe können niemals identisch sein«, widersprach er. »Identisch bezeichnet immer nur eine Sache oder ein Wesen, niemals zwei gleiche. Jede Identität gibt es nur einmal, selbst eineiige Zwillinge haben verschiedene Identitäten.«

Unter dem Stichwort »dasselbe« erklärte dasselbe Wörterbuch, dass dafür umgangssprachlich auch »das Gleiche« verwendet werden könne. Diese Feststellung empfand Henry freilich als ungenügend, denn »umgangssprachlich« könne man schließlich alles sagen. Das Prädikat »umgangssprachlich« sage noch lange nichts über den Standard aus.

Als Nächstes nahmen wir uns den »Wahrig« (8. Auflage, 2006) vor. Dort heißt es unter »der, die, das Gleiche«: »Gegenstand, der ebenso aussieht (wie ein anderer), aber nicht ein u. derselbe ist«. Und unter »dasselbe«: »1. genau das, eben das 2. <umg. oft fälschl. für> das Gleiche«.

»Umgangssprachlich oft fälschlich«, wiederholte Henry und folgerte: »Der Wahrig nimmt die Gleichsetzung von »dasselbe« und »das Gleiche« offenbar nicht so gelassen hin wie der Bertelsmann.« – »Dann lass uns schauen, was Herr Konrad dazu schreibt«, sagte ich und griff nach dem 10. Band aus der Duden-Reihe, dem »Bedeutungswörterbuch«. Dort erfuhren wir zunächst: »Das Demonstrativpronomen derselbe, dieselbe, dasselbe kennzeichnet ebenso wie der/die/das gleiche eine Übereinstimmung, eine Gleichheit, die Identität.« Henry kräuselte die Stirn: »Für den Duden ist natürlich mal wieder alles ein Quark.« – »Nicht so schnell, junger Mann«, unterbrach ich, »es geht noch weiter!« Und ich las: »Es gibt aber nicht nur eine Identität des Wesens oder Dings, sondern auch eine Identität der Art oder Gattung.« – »Aha«, machte Henry, »jetzt wird die Sache richtig spannend, um nicht zu sagen: kompliziert.« Es folgten drei Beispielsätze:

Ich möchte denselben/den gleichen Wein wie der Herr am Fenster.
Er hat denselben/den gleichen Vornamen wie sein Vater.
Sie trafen sich heute um dieselbe/die gleiche Uhrzeit wie gestern.

In diesen Fällen ist es nach Auskunft des Dudens offenbar ebenso richtig, »der-, die-, dasselbe« zu gebrauchen wie »der/die/das gleiche«. Ein  Bedeutungsunterschied scheint hier nicht zu bestehen.

»Die Beispiele mit dem Vornamen und der Uhrzeit sehe ich ja noch ein«, sagte Henry, »aber bei dem Wein dreht sich mir der Magen um. Denselben Wein kann man nur einmal trinken!« – »Das siehst du zu eng«, widersprach ich, »mit Wein ist hier die Sorte gemeint, nicht nur das bisschen, was der Herr am Fenster in seinem Glas hat. Das ist es, was der Duden mit ›Identität der Art‹ meint.« – » Und woher soll man wissen, welche jeweils gemeint ist – die Identität der Art oder die des Dings… bums?«, fragte Henry. »Der Duden schreibt, das ergebe sich im Allgemeinen aus dem Zusammenhang.« – »Womit wir so schlau wären als wie zuvor«, schloss Henry, »denn bekanntlich ergeben sich auch Missverständnisse immer aus irgendeinem Zusammenhang.«

Fazit: Es kommt nicht nur darauf an, was man unter „demselben“ und „dem Gleichen“ versteht, sondern auch, wie man die Sache, um die es dabei geht, definiert: als Einzelstück oder als Oberbegriff. Und da sind wir wieder bei den Zahnbürsten und Sibylles Frage, ob wir dasselbe Modell benutzen: Wenn man unter »Modell« ein Einzelstück versteht, dann benutzen wir lediglich das gleiche. Wenn mit »Modell« aber die Vorlage gemeint ist, nach der all die vielen gleichen Zahnbürsten angefertigt wurden – dann kann man sehr wohl vom »selben« Modell sprechen.

Während ich die Wörterbücher zurück ins Regal stellte, sagte Henry: »Dazu fällt mir gerade ein Witz ein! Sagt der Gast im Restaurant: Herr Ober, ich möchte bitte denselben Wein wie der Herr am Fenster.

Ober: Meinen Sie die Identität des Dings oder die Identität der Art?

Gast: Äh … wie bitte?

Ober: Wenn Sie die Identität der Art meinen, bringe ich Ihnen eine Flasche vom gleichen Wein. Von mir aus auch vom selben, das ist in diesem Falle egal. Wenn Sie allerdings die Identität des Dings meinen, muss ich den Herrn am Fenster fragen, ob er bereit ist, sich für Sie den Magen auspumpen zu lassen.

Gast: Ich glaube, ich hätte doch lieber nur einfach ein Wasser.«


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Ist es das selbe?

Bei der Form dasselbe handelt es sich um eine Zusammensetzung des neutralen Artikels das und der Form selb. Neben dasselbe gibt es die maskuline Form derselbe sowie die feminine Form dieselbe.

Wie schreibt man die selbe oder dieselbe?

Im Gegensatz zu der / die / das gleiche werden die Demonstrativpronomen (hinweisenden Fürworter) derselbe / dieselbe / dasselbe stets zusammengeschrieben.