Was kann man von Pippi lernen?

'Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune, ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt.' Die Titelmusik von Pippi Langstrumpf gehört weltweit zu den populärsten Kinderliedern. Das Lied beschreibt nicht nur die Handlungsmaxime und das Lebensmotto von Pippi Langstrumpf, sondern auch eine populäre Unternehmensstrategie: das Pippi-Langstrumpf-Prinzip oder auch 'Pippilangstrumpfistische Programmierung', kurz PLP.

Anders als bei den meisten Unternehmensstrategien geht es beim Pippi-Langstrumpf-Prinzip nicht darum, neue Zielgruppen zu erreichen, innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln oder die Kunden zu begeistern. Im Gegenteil: PLP ist das aktive Unterbinden dieser Dinge.

Man sollte PLP nicht nur als Strategie verstehen. PLP ist eine Denkweise. Ähnlich wie beim NLP geht es beim PLP darum, Denkmuster zu verändern. Man erschafft sich eine eigene Welt, in der alle Entwicklungen dem eigenen Denken folgen ('Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt'). Kern des PLP ist im Prinzip die völlige Missachtung aller, vor allem disruptiver, Entwicklungen.

Nahezu jeder Mensch hat die Sehnsucht, einfach so sein zu dürfen, wie er oder sie wirklich ist. Woher kommt dann die viele Nicht-Authentizität im Berufsleben? Und was können wir von einer Mädchen-Ikone lernen, um es besser zu machen?

Gebt mal „authentisch“ bei Google ein – fast 13 Millionen Treffer poppen auf. Ob es genauso viele Bundesbürger·innen im Berufsleben auch sind? Ich habe da meine Zweifel. Spielen nicht die meisten von uns täglich irgendwelche Rollen, um Erwartungen zu erfüllen? Im Zeitalter von immer mehr Fake-News im Netz hat auch die Frage „wer ist eigentlich noch echt im Job“ durchaus ihre Berechtigung. Dabei hat nahezu jede und jeder von uns die tiefe Sehnsucht, mehr Sein statt Schein zu leben, einfach so sein zu dürfen, wie sie oder er wirklich ist. Die Nicht-Authentizität ist schließlich anstrengend, zumal die wenigsten Berufstätigen in unseren Gefilden eine professionelle Schauspielausbildung vorzuweisen haben.

Authentische Menschen sind oft anstrengend

Ich erinnere mich, dass mir meine Eltern immer vor allen Vorstellungsgesprächen den Satz: „Sei du selbst und präsentiere dich genauso, wie du bist“ mit auf den Weg gegeben haben. Wohl wissend, dass ich damit durchaus polarisieren würde, denn meine Geschwister und ich wurden dazu erzogen, das zu sagen, was wir denken, uns nicht zu verstellen und immer „echt“ zu sein. Damit eckt man naturgemäß an, denn nicht alle Vorgesetzten schätzen selbstbewusste Mitarbeiter·innen mit klarer Meinung und Haltung, viele empfinden sie eher als anstrengend. Auf meinen Einwand hin argumentierten meine klugen Eltern: „Wenn sie dich so nicht wollen, wie du bist, dann passt ihr sowieso nicht zusammen, dann suchst du besser weiter.“ Habe ich gemacht und wurde trotzdem fündig.

Eine meiner Lieblingsheldinnen der Kindheit war Pippi Langstrumpf, der Inbegriff des Nicht-Angepasstseins. Ich verehre sie immer noch. Authentizität könnte neben ihren ganzen anderen Vornamen locker ein stimmiger weiterer sein. Sie passte in kein Raster, Ordnungsinstanzen wie die legendäre „Fräulein Prysselius“ – „Prusseliese“ wie Pippi sie nannte – verzweifelten regelmäßig. In der Schule sorgte die Teilnahme der frechen rothaarigen Göre am Unterricht für Chaos. Ob sie trotzdem eine Mitarbeiterin wäre, die ich einstellen würde, hat mich mal ein Personalchef gefragt. „Auf jeden Fall“, war meine Antwort, denn als kreative Impulsgeberin, Rakete für Disruption, unbequemes aber hilfreiches Korrektiv wäre so eine Type Gold wert. Ich habe den Job seinerzeit bekommen, vielleicht auch deshalb, weil ich oft so ticke wie Pippi.

Wer keine Rolle spielen muss, hat Raum für Kreativität

Eine echte Challenge ist dieser Typus Mitarbeiter·in natürlich dennoch für die verantwortlichen Führungskräfte, denn mit DIN-Norm-Vorgaben kann man sie nicht steuern. Da braucht es schon einen erheblichen Schuß Flexibilität und Gelassenheit. Aber dafür liefern Menschen, die ihre Authentizität ausleben (dürfen), oft auch einen überdurchschnittlichen Mehrwert. Kein Wunder: Wer nicht ständig damit beschäftigt ist, eine Rolle zu spielen, zu überlegen, was wie bei wem ankommt, hat den Kopf viel freier für neue Ideen. Und die brauchen wir in Anbetracht der vor uns liegenden Herausforderungen dringender denn je! Lasst uns jetzt mal den Fokus vom Unternehmen auf eine vergleichbare kleinere Struktur legen, die Familie. Dort beginnt in frühen Jahren wahlweise die Entwicklung – oder die Zerstörung – der Authentizität. „Betrunkene und Kinder sagen immer die Wahrheit“, hat meine Oma gerne voller Überzeugung verkündet und sich anschließend noch ein Eierlikörchen genehmigt.

Ehrliches Feedback darf auch mal laut sein

Wahrheit ist ein gutes Stichwort, denn sie ist nicht immer bequem. Die „schonungslose Wahrheit“ ist ein Begriff, der es gut trifft. Wenn man sie ausspricht, wird niemand geschont. Weder man selbst, noch die Gegenseite. Wahrheit sorgt für Klarheit und die hilft weiter, allerdings nicht immer zum Wohlgefallen aller Beteiligten. Wie oft haben viele von uns sich schon gedacht: Heute sage ich meiner Chefin oder meinem Chef mal richtig die Meinung. In seltenen Fällen kam es dazu, die Furcht vor Repressalien war größer. Ich erinnere mich an einen Schulfreund, der immer erst dann seine Meinung drastisch gegenüber seinem Noch-Arbeitgeber kundtat, als er schon einen neuen Job in der Tasche hatte. Wer nichts mehr zu verlieren hat, traut sich mehr. Angezählte Boxer, die nach Punkten hoffnungslos zurückliegen, wissen das. Dabei raten zahlreiche ExpertenInnen dazu, dass in einer optimalen Feedbackkultur das regelmäßige gegenseitige Aussprechen von persönlichen Empfindungen – natürlich in einer angemessenen Art und Weise – essentiell wichtig ist, um das perfekte Match von Erwartungshaltung und bestmöglicher Leistungserbringung hinzukriegen.

Dazu gehört allerdings einiges – vor allem Kritikfähigkeit. Die zu lernen ist oft ein langwieriger und zum Teil auch schmerzhafter Prozess. Idealerweise beginnt die Lernkurve schon in jungen Jahren. Wenn Kinder frühzeitig ungefiltert das aussprechen dürfen, was sie denken und wollen, dann ist das aus meiner Sicht ein vorzügliches Fundament, um später authentisch agierende Mitarbeiter·innen und Führungskräfte zu erhalten. Auch wenn sie auf Eltern, Kita-Betreuer·innen, Lehrer·innen etc. sauer sind, sollten Kinder es unverblümt sagen und die Gründe ihrer anderen Sichtweise darlegen dürfen. Und wenn es dabei mal lauter wird – that's life und sehr authentisch.

Warum Kinder sich nicht verbiegen sollten

„Leise ärgern verursacht Magengeschwüre“, war ein weiterer Spruch meiner Großmutter. Ich erinnere mich, dass ich als rebellischer Teenager voller Wut über meinen Vater mal schreiend die Zimmertür so laut zuknallte, dass sie aus dem Rahmen fiel. Mein Vater hat sie ohne zu schimpfen repariert: „Dein Ärger musste raus, Junge“, war sein einziger Kommentar, bevor wir später einen konstruktiven Dialog führten. Ich habe ihn dafür bewundert. Jetzt, wo ich selbst Vater bin, gehe ich keiner Auseinandersetzung aus dem Wege. Unsere Kinder werden regelrecht ermutigt, ihren Charakter nicht zu verbiegen, immer so zu sein wie sie wirklich sind. Da meine jüngste Tochter Holly große Ähnlichkeiten mit den Verhaltensmustern von erwähnter Kinderbuch-Ikone Pippi Langstrumpf hat, könnt ihr euch ausmalen, dass Diskussionen oft sehr intensiv sind und wir als Eltern gute Nerven brauchen. Da wir aber kreativen Lösungen sehr aufgeschlossen gegenüberstehen, finden wir am Ende immer Wege, mit denen alle involvierten Familienmitglieder leben können. Auch die Kinder haben jederzeit die Möglichkeit, Dinge in Frage zu stellen, Sachen auszudiskutieren, eingefahrene Prozesse zu optimieren und neue Ideen in unser gemeinsames Set-up einzubringen. Das führt dazu, dass wir oft die Zimmer umräumen, Abläufe umstellen, neue Essensgewohnheiten einführen.

Authentisch – in guten wie in schlechten Zeiten...

Aber hey, das ist Change-Management und Teil vom Weiterbildungs-Mantra der Zukunft: Lebenslanges Lernen. „Nichts ist beständiger als der Wandel“, hat schon der weise Heraklit gesagt. Er hat immer noch Recht. Den Kindern ihre Authentizität zu lassen und ihnen die Angst zu nehmen, sie anderswo auszuleben, ist die eine Seite der Medaille. Selbst ein Vorbild diesbezüglich zu sein ist die andere Seite. Und die ist durchaus herausfordernd. Authentisch zu sein, heißt schließlich im privaten Umfeld auch Schmerz, Trauer und Wut genauso selbstverständlich auszuleben, wie die Glücks- und Erfolgsmomente. Gerade gegenüber Kindern ist das eine Attitüde, die früher alles andere als opportun war. Eltern hatten die unerschütterlichen Felsen in der Brandung zu sein, Schwäche zeigen galt nicht, Männer weinten sowieso nicht. Kürzlich hörte ich in einer Talkshow einen Prominenten über seinen Vater sprechen: „Ich habe ihn nie schwach gesehen, nie hat er eine Träne vergossen. Er hat seinen Kummer stets mit sich selbst ausgemacht.“ Bewundernd klang das nicht, eher mitleidig.

Niederlagen, Trauer, Wut, Weinen gehören zum Leben – und zwar nicht nur zum Privatleben. Die Frage ist allerdings, ob nachwachsende Genrationen künftig offener mit ihren Gefühlen und dem Thema Authentizität umgehen werden. Ich würde es mir wünschen, habe aber meine Zweifel. Denn die digitale Welt, mit der die heutigen Jugendlichen groß werden, ist alles andere als authentisch. Die sozialen Medien sind oft große Fake-Showbühnen. Es gibt für alles Filter, das Bild der Schönen, Perfekten, vermeintlich Erfolgreichen prägt die Timelines in aller Welt. Wenn jemand mal abseits des Schneller-Höher-Weiter-Kosmos die Kehrseite der Medaille nach vorne dreht und seine wahre Gefühlslage zeigt oder erklärt, ist das Mitgefühl groß. Viele sind dann regelrecht schockiert, dass hinter der glänzenden digitalen Fassade am Ende doch ein Mensch steckt, der analoge Schwächen hat.

Pippi wäre ein Social-Star

Stellt euch mal vor, Pippi Langstrumpf würde es heute wirklich geben. Und sie würde die Attitüde, die sie in den von Astrid Lindgren erdachten Geschichten an den Tag legt, auf der digitalen und realen Bühne des Lebens ausleben. Ich bin sicher, sie würde ein Social-Star und eine Bestseller-Autorin – weil ihre Art sich so markant von der üblichen Norm im heutigen (Arbeits)Leben abheben würde. Einer der typischen Aussprüche meiner Tochter, wenn es darum geht, was andere über sie denken könnten, ist: „Mir doch egal.“ Ich finde das großartig, denn es zeigt mir, dass sie auf dem richtigen Weg ist, ein authentischer Mensch zu bleiben.

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Was kann man von Pippi lernen?

Frank Behrendt

Serviceplan Public Relations & Content GmbH & Co. KG, Serviceplan Gruppe für innovative Kommunikation GmbH & Co. KG

Insider für Gesundheit & Soziales, Job & Karriere, Wirtschaft & Management, Personalwesen

Menschen liegen mir am Herzen. Ich arbeite gerne mit Ihnen zusammen, höre Ihnen zu und gebe gerne etwas zurück. Mit meinen Büchern „Liebe dein Leben und NICHT deinen Job“ und „Die Winnetou Strategie“ habe ich meine Haltung dokumentiert. Mir geht es um Freude im (Arbeits)Leben, dazu gebe ich Impulse.

Was verkörpert Pippi Langstrumpf?

Pippi verkörpert alles, was Kinder sich für ihr eigenes Leben wünschen: Selbstbestimmung, Abenteuer, Superkräfte. Warum Pippi auch sonst wichtig ist, wissen Kinderpsychologen. „Kinder brauchen Helden wie Pippi Langstrumpf. Sie richten sich an ihnen auf“, sagt Svenja Lüthge.

Was kann Pippi Langstrumpf gut?

Pippi ist Sachensucherin und geht immer mit offenen Augen durch die Welt. Sie ist neugierig und fragt nach. Und sie kann in allen Dingen etwas besonderes entdecken. Selbst in einer verrosteten Blechdose.

Warum ist Pippi eine Heldin?

Pippi Langstrumpf kämpft nicht gegen fiese Bösewichte oder muss die Welt vor dem Untergang retten. Sie ist eine Heldin der anderen Art: Im Jahre 1945 wird sie zur ersten weiblichen Hauptfigur in einem Buch, die nicht brav und angepasst ist.

Was sagt Pippi Langstrumpf immer?

„Am besten, ihr geht jetzt nach Hause, damit ihr morgen wiederkommen könnt. Denn wenn ihr nicht nach Hause geht, könnt ihr ja nicht wiederkommen.