Welche bedeutung hat die landtagspräsedentin arras

Muhterem Aras ist als Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg in vielerlei Hinsicht die Erste. Das versteht die Politikerin als Verpflichtung.

Welche bedeutung hat die landtagspräsedentin arras

Stuttgart - Landtagspräsidenten stehen gemeinhin nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Als Muhterem Aras am 11. Mai 2016 zur Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg gewählt wurde, machte das Schlagzeilen in ganz Deutschland – und darüber hinaus. Die Abgeordnete der Grünen wurde als „erste muslimische Parlamentspräsidentin in Deutschland“ gefeiert, und sie selbst unterstrich die Bedeutung noch. „Sie haben heute Geschichte geschrieben“, sagte Aras nach ihrer Wahl an die Adresse der Parlamentarier.

Wieder einmal war sie die Erste. Diesmal gleich dreifach – als erste Frau, erste Migrantin, erste Muslima an der Spitze des baden-württembergischen Landtags.

Massiver Einsatz für die Quote

Das macht die inzwischen 56 Jahre alte Steuerberaterin zum Vorbild. Muhterem Aras nimmt diese Rolle an, und sie nimmt sie ernst. „Ich werde oft als Vorbild angesehen“, sagt die Politikerin im siebten Jahr ihrer Präsidentschaft. Es hat sich gezeigt, dass ihre Einwanderungsgeschichte dabei meist weniger wichtiger ist als ihre Rolle als Frau. Die Mutter von zwei Kindern ist „gerne Vorbild“. „Ich will anderen Mut machen, sie inspirieren und anspornen“, und zwar so lange bis es keine Rollenvorbilder mehr braucht und die Gleichberechtigung selbstverständliche Wirklichkeit geworden ist.

Bis dahin ist noch viel zu tun. „Ich plädiere massiv für die Quote“, sagt sie entschlossen. „Das werde ich voranbringen, egal ob in Parteien, in Kirchen oder in Unternehmen.“

Mühsame Arbeit an der Gleichberechtigung

Nach wie vor ist die Gleichberechtigung mühsam, hat die Grüne erfahren. Sie hat die Geschäftsordnung des Landtags umformulieren lassen, weil sie nur in männlicher Sprache gehalten war, die Kinderbroschüre über den Landtag hat sie gleich folgen lassen.

Die Präsidentin hat die Säle im neuen Bürger- und Medienzentrum des Landtags nach Frauen benennen lassen – nach Bertha Benz, nach Margarete Steiff und nach Anna Blos – und sie achtet darauf, dass ihre Podien paritätisch besetzt sind. Dabei hat sich gezeigt: „Wenn man will, dann geht es.“ Sie lässt sich bei ihrem Streben von Marie de Gournay, der französischen Schriftstellerin und Vordenkerin des Feminismus aus dem 16. Jahrhundert, leiten und wandelt deren Devise „Der Geist hat kein Geschlecht“ um in ihre eigene These: „Die Macht hat kein Geschlecht“.

Gespräche über Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenhalts

Gleichberechtigung ist ein Großthema der in Anatolien geborenen Stuttgarterin. Doch sie beschäftigt auch die Frage, wie die Gesellschaft in Zukunft aussehen soll. Die Debatte über „Wertsachen“ hat Aras schon in ihrer ersten Amtszeit angestoßen- Diese Reihe wird sie weiterführen. Die Grundrechte waren in vielen Begegnungen Thema. Künftig soll es ins Konkrete gehen. „Was ist uns Pflege wert“, nennt Aras als eine mögliche Frage für den künftigen Austausch mit unterschiedlichen Gesprächspartnern, und schon ist sie bei der Gerechtigkeit und dem Sozialstaat. Als einem Zukunftsthema von vielen, die sie noch besprechen wird.

Zum ersten Mal steht eine Frau mit Migrationshintergrund einem deutschen Landtag vor. Die DW sprach mit der baden-württembergischen Grünen Muhterem Aras über ihre Integrationsgeschichte und den jüngsten Karriereschritt.

DW: Frau Aras, Sie sind in Baden-Württemberg zur Landtagspräsidentin gewählt worden. Wie fühlen Sie sich jetzt nach der Wahl?

Muhterem Aras: Ich bin sehr glücklich und froh, dass ich dieses hohe Staatsamt ausführen darf. Das erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. Das ist auch Deutschland - und nicht in vielen Ländern möglich, auch das muss man sagen.

DW: Sie haben nach der Wahl gesagt: "Wir haben heute Geschichte geschrieben". Warum ist das so selten in Deutschland, dass eine Frau mit Migrationshintergrund ein politisches Spitzenamt innehat?

Muhterem Aras: Wir haben sogar gleich zwei Mal Geschichte geschrieben: Zum einen bin ich die erste Frau in Baden-Württemberg in diesem Amt. Zum zweiten bin ich auch noch die erste Landtagspräsidentin mit Migrationshintergrund. Es ist leider immer noch so, dass der Frauenanteil beispielsweise im Landtag von Baden-Württemberg nicht sehr hoch ist. Bei den Grünen liegt der Anteil dieses Mal deutlich höher, aber in unserer Partei haben wir insgesamt knapp 25 Prozent Frauen. Ich bin jetzt die erste Frau, die dieses Spitzenamt bekleidet.

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Blumen für den Ministerpräsidenten: Muhterem Aras gratuliert Winfried Kretschmann

Sie gelten als gelungenes Beispiel für die Integration. Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, damit die Integration besser gelingt?

Ich glaube, entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration ist, dass beide Seiten offen und ohne Vorurteile aufeinander zugehen. Dass Eingewanderte neugierig sind auf das Neue, dass sie auch bereit sind sich einzubringen, dass sie Verantwortung übernehmen. Und natürlich muss auf der anderen Seite auch die Mehrheitsgesellschaft für die Zugewanderten Möglichkeiten schaffen. Wenn beide Seiten offen und vorurteilsfrei aufeinander zugehen, dann sehe ich überhaupt keine Probleme. Ich komme aus ganz einfachen Verhältnissen, aus einem kleinen anatolischen Dorf. Bei mir hätte man damals nicht die Prognose gewagt, dass ich einmal Landtagspräsidentin von Baden-Württemberg werde. Aber daran sieht man: Wenn man diese Möglichkeiten bekommt und wenn sich Menschen engagieren, dann ist sehr viel möglich. Ich bin diesem Landtag und den Baden-Württembergern sehr dankbar. Das zeigt, wie weltoffen dieses Bundesland ist. Es zeigt auch, dass wir angekommen sind, dass die Gesellschaft nicht gespalten ist, sondern dass der Zusammenhalt der Gesellschaft wichtig ist. Das ist auch ein Zeichen in diese Richtung.

In der deutschen Presse wird gelegentlich betont, dass sie die erste Muslimin in dieser Position sind. Wie empfinden Sie es, wenn ihre religiöse Identität in den Vordergrund gerückt wird?

Muhterem Aras: Das finde ich ehrlich gesagt sehr schade. Denn Religion ist eine private Angelegenheit. Ich definiere mich nicht über meine Religion. Neben den Fähigkeiten und Kompetenzen, die ich mitbringe, finde ich sehr viel wichtiger, dass zum ersten Mal eine Frau und zum zweiten auch jemand mit Migrationshintergrund in dieses Amt kommt. Alles andere hat hier eigentlich nichts zu suchen. Religion ist absolut nebensächlich.

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Aus AfD-Kreisen verlautete: Dass Sie zur Landtagspräsidentin gewählt worden sind, sei ein Zeichen der Islamisierung in Deutschland. Wie bewerten Sie eine derartige Kritik?

Ich kenne diese Kritik nicht, und ich mache ungern Ferndiagnosen. Grundsätzlich ist meine Wahl zur Landtagspräsidentin ein Signal, das weit über die Grenzen Baden-Württembergs hinausgeht in die ganze Republik: dass wir ein Teil dieser Gesellschaft sind und dass man, wenn man sich mit den Grundwerten dieser Gesellschaft identifiziert und Verantwortung übernimmt, sehr wohl weiterkommen kann. Und das ist auch ein Zeichen dafür, dass wir angekommen und tatsächlich ein Teil dieser Gesellschaft sind. Ich habe mich zwar seit vielen Jahren schon als Teil dieser Gesellschaft gesehen, aber es ist nochmal etwas Anderes, wenn man in so ein hohes Staatsamt gewählt wird. Insofern ist es ein gutes Zeichen, das letzte i-Tüpfelchen, das belegt: Ja, wir sind eine sehr vielfältige, gute Gesellschaft, die zusammenhält und weltoffen ist.

Die AfD ist drittstärkste Partei im baden-württembergischen Landtag. Ihre Partei, die Grünen, stehen an der Spitze der Regierung. Wie werden Sie im Parlament mit AfD umgehen?

Ich bin Landtagspräsidentin, das heißt, ich vertrete das ganze Parlament, also auch die AfD. Ich werde mit allen Abgeordneten sehr korrekt, fair und respektvoll umgehen. Auf der anderen Seite erwarte ich von allen Abgeordneten, dass sich an die Gepflogenheiten des parlamentarischen Ablaufs halten. Davon gehe ich auch bei der AfD aus. Insofern habe ich keine Angst, dass da Turbulenzen entstehen.

Muhterem Aras ist seit 1992 Mitglied der Grünen. Von 1999 bis 2011 saß sie für die Partei im Stuttgarter Gemeinderat, ab 2007 als Fraktionsvorsitzende. Seit 2011 ist sie Mitglied des baden-württembergischen Landtags. Das Interview führte Başak Özay.