Wenn ist muss man schneiden bauernregel

Wenn ist muss man schneiden bauernregel
"Schaltjahr ist Kaltjahr", "Nasser Siebenschläfertag und der gesamte Sommer wird verregnet sein" sind nur zwei von vielen Bauernregeln, die uns beim Gärtnern, wie auch im restlichen Leben das ganze Jahr hindurch im Kalender begleiten. Sie sagen heisse Tage und verregnete Sommer vorher, warnen vor den letzten Frühlingsfrösten (die unsere übereilt ins Freiland gesetzten Gemüsepflanzen den Garaus bereiten könnten) und wissen bereits viele Monate im Voraus von einem extrem kalten Winter. Dennoch steckt in jeder alten Bauernregel zum Wetter das Wissen vieler Generationen, von Menschen, die vor Jahrhunderten noch wirklich im Einklang mit der Natur gelebt haben. Und viele dieser historischen Bauernregeln haben bis heute kaum etwas von ihrer Faszination verloren und werden, wenn wir an die täglichen Wettervoraussagen im Fernsehen denken, selbst von den Meteorologen immer wieder zitiert, sobald wir uns den berühmt berüchtigten Hundstagen nähern oder die Eisheiligen beginnen. Niemand würde heutzutage auf die Idee kommen, seine im Luberashop gekauften Tomaten- und Paprikapflanzen vor dem Erscheinen der "Gestrengen Herren" ins Freiland zu setzen. Grund genug auch für uns, diesen Wettermythen der Urahnen auf den Grund zu gehen und ihnen eine Rubrik im Lubera-Gartenbuch zu widmen, in der wir die Bauernregeln des jeweiligen Monats revue passieren lassen. Wie gut und genau sind die alten Wettervorhersagen für die verschiedenen Regionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz? Was könnte damals die Idee für die sich oft reimenden Sprüche gewesen sein, woher kommen sie und auf Grund welcher Beobachtung sind sie eigentlich entstanden? Und warum ist vielfach doch etwas dran an den Bauernregeln? Wie funktionieren sie genau? Was ist ihre Logik? Und was hat es mit dem phänologischen Kalender auf sich? All diese Fragen sprechen wir in diesem Artikel an. Manchmal können wir sie sogar beantworten ;-)

Inhaltsverzeichnis

  • Wetterbeobachtungen sind so alt wie der Mensch selbst...
  • Die Bedeutung von Lostagen in den Bauernregeln 
  • Wo, wann und wofür? Die Grenzen der Bauernregeln 
  • Bauernregeln – Regeln und Sprüche der Bauern
  • Phänologie – wie Natur den Kalender zum Wetter schreibt
  • Der phänologische Kalender
  • Der Gärtner als Phänologe
  • Lostage und Schwendttage: dos and don‘ts des Landlebens
  • Alte Kalender neu entdeckt – alle Monate mit ihren Eigenarten
  • Wetter- und Bauernregeln mit ganzheitlicher Tierbeobachtung

Wetterbeobachtungen sind so alt wie der Mensch selbst...

...und die Frage, wie sich das Wetter in den nächsten Tagen entwickeln könnte, ebenfalls. Schon immer haben Menschen versucht, aus den gerade beobachteten Ereignissen am Himmel, dem Verhalten bestimmter Tierarten sowie der Entwicklung von Pflanzen möglichst präzise und realistische Wetterregeln abzuleiten. Das geschah längst nicht nur durch Bauern, die daraus recht kreative Bauernregeln für ihren Kalender verfassten, sondern auch Stammesfürsten, Priester und Medizinmänner beteiligten sich ausgesprochen rege an den meist sehr prosaisch formulierten Wetterweisheiten. Hinter jedem dieser Vorgänge vermutete man einen unmittelbaren Zusammenhang mit den verschiedensten Göttern, die mal Wind atmeten oder bei anderen Gelegenheiten Blitze herabschleuderten. Um diese gruseligen Vorhersagen zu entschärfen, wurde mit Besänftigungen gearbeitet oder der Versuch unternommen, die daran schuldigen Gottheiten durch Opfergaben milde zu stimmen. Viele der Wetterregeln, die bereits aus der Antike bekannt sind, wurden durch Bauern aber auch Seeleute immer wieder weitergegeben und fanden schliesslich Eingang in das Wetterwissen des Mittelalters und der Neuzeit. Ursprünglich als Handschriften veröffentlicht, entstanden später einseitige Drucke mit Bauernregeln zum Wetter und mit der Entwicklung des Buchdrucks auch erste Sammlungen meteorologischer Volksbücher und Kalender. Die Autoren bezogen ihr Wissen hauptsächlich aus den Aufzeichnungen der Griechen, die einfach mit selbst gesammelten Wetterregeln aus eigenen Beobachtungen und Erfahrungen ergänzt wurden. Ein Paradebeispiel dieser Sammlungen ist das 1505 erstmalig gedruckte Wetterbüchlein. "Wahre Erkenntnisse des Wetters" von Leonhard Reynman mit Bauernregeln wie dieser:  

"Wenn sich Kälte im Winter lindert,  
alsbald man Schnee empfindet. 
Es seien dunkle Wolken dabei, 
so sag, dass es ein Regen sei."

Die Bedeutung von Lostagen in den Bauernregeln 

Die oft nach Tagesheiligen benannten Termine (siehe weiter unten den Abschnitt über Los- und Schwendttage) spielten eine ganz wesentliche Rolle bei der Voraussage von Wettersituationen kommender Tage und Wochen. Die Regeln für diese speziellen Lostage waren allerdings oftmals recht widersprüchlich, wenn wir uns nur mal für den Januar einige der prägnantesten Kalendersprüche anschauen: 

  • Kommt der Frost im Januar nicht, zeigt im März er sein Gesicht. 
  • Wächst das Gras im Januar, ist's im Sommer in Gefahr. 
  • Wenn im Januar viel Nebel steigt, sich ein schönes Frühjahr zeigt. 
  • Anfang und Ende vom Januar zeigen das Wetter fürs ganze Jahr. 
  • Hat der Januar viel Regen, bringt's den Früchten keinen Segen. 
  • Im Januar viel Muckentanz, verdirbt die Futterernte ganz.

Darüber hinaus hat man über die Jahre – mal unbeabsichtigt aber manchmal auch sehr bewusst – Inhalte verändert, für einen bestimmten Zweck zurechtgebogen oder die Wirkung einzelner Bauernregeln nur auf eine ganz spezielle Region eines Landes bezogen. Heute für jede einzelne der unzähligen meteorologischen Bauernweisheiten im deutschsprachigen Raum nachträglich den Ort ihrer Entstehung zu bestimmen, hat sich als unmöglich herausgestellt, sodass nachträgliche Aussagen zum "Wahrheitsgehalt" zwischen schwierig bis unmöglich sind. 

Wo, wann und wofür? Die Grenzen der Bauernregeln 

Trotz des enormen Aufwands von Historikern und Forschern werden wir die ganze Wahrheit über Eisheilige, Hundstage und Siebenschläfer wohl niemals vollständig herausfinden können. Drei der wichtigsten Fragen lassen sich jedenfalls nicht restlos klären: 

  1. WO genau? Bauernregeln haben seit ihrer Entstehung einen weiten Weg hinter sich und weder der Ort noch die Region ihres Ursprungs lassen sich anhand der jahrhundertealten Überlieferungen heute noch nachvollziehen. Kurz gesagt: Eine Regel, die in Schleswig-Holstein kläglich versagt, könnte in einer anderen Klimazone wie dem Thüringer Wald eine ausgezeichnete Trefferquote haben. 
  2. WANN genau? Viele dieser alten Wetterregeln sind an bestimmte Lostage gebunden – denken wir nur an: “Wenn es am Siebenschläfertag regnet ...” oder “Wenn es an Ambrosius schneit ...”. Anzunehmen ist dabei allerdings, dass die Schöpfer dieser Bauernregeln die Termine der zugeordneten Lostage überhaupt nicht so eng gesehen haben. Schliesslich hatte man sich damals doch im Kalender weniger an längerfristigen Zeiträumen, sondern ausschliesslich an genau definierten Namenstagen der wichtigsten Heiligen und kirchliche Feiertage orientiert. Daher ist eher davon auszugehen, dass bestimmte meteorologische Beobachtungen lediglich dem zeitlich am nächsten liegenden Heiligen gewidmet waren und die Tage davor und danach völlig unberücksichtigt blieben. Darüber hinaus gab es infolge der gregorianischen Kalenderreform eine Änderung der astronomischen Gegebenheiten. Dabei wurden ganze zehn neue Tage in den Kalender eingefügt, die zu deutlichen Unterschieden des bisherigen Sonnenstands zu dieser Zeit führten, was bereits zur Verschiebung der Frühlings-Tagundnachtgleiche auf den 11. März (ursprünglich 21. März) gesorgt hatte. Es kommt somit vor, dass bestimmte Bauernregeln (wie Siebenbrüder und Siebenschläfer) zu einem einige Tage früheren oder späteren Termin meteorologisch gesehen durchaus besser passen könnten. 
  3. WOFÜR genau? Hinter den altbäuerlichen Wetterweisheiten stecken landwirtschaftliche Überlegungen dieser Zeit und nicht etwa Aussagen, ob wir uns an einem langen Wochenende mit Brückentag die Sonne auf den Bauch scheinen lassen dürfen. Bauernregeln mit Wetterprognosen wie "Ein schöner Sommer" oder "Der gute Herbst" sind also keineswegs auf unser körperliches und mentales Wohlbefinden fixiert, sondern auf die optimale Dosis von Sonne, Wärme und Regen zur landwirtschaftlich richtigen Zeit. Oder etwas brutaler ausgedrückt: Ein schöner Regen wird für den Hobbygärtner mit seinen schon fast im Trockenen stehenden Beerenobststräuchern durchaus eine willkommene Überraschung sein, während dem sonnenhungrigen Strandurlauber dieses Wetter schlichtweg ein Graus ist.

Bauernregeln – Regeln und Sprüche der Bauern

Bauernregeln ändern sich also scheinbar mit der Zeit, haben auch nicht unbedingt ausschliesslich mit dem Wetter zu tun und mein Nachbarbauer hier auf dem Dorf setzt aktuell gleich noch eine oben drauf, indem er sagt: "Drei Ernten braucht der Landwirt, eine auf der Bank, eine in der Scheune und eine auf dem Halm".

Diese Bauernregeln aus der Jetztzeit sind allerdings eher als kleiner Verzweiflungsakt der von der Politik oft arg gebeutelten Landwirte zu werten ist. Der Humor stirbt zuletzt. 2017 übegab der Deutsche Bauernverband solche Galgen-Humor-Regeln – sozusagen als "Denkzettel" – an die damalige SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks. Darin heisst es unter anderem:

  • Bauernregel Nr. 6: "Ist zu schwach das Argument, macht den Reim das Regiment"
  • Nr. 4: "Steht der Traktor, die Ernte vergeht, hat der politische Naturschutz den Bauern lahmgelegt"
  • Oder die Nr. 3: "Fressen Schädlinge Raps und Weizen, gab's keinen Pflanzenschutz mit beizen" und schliesslich
  • Bauernregel Nr. 2: "Schliesst der Bauer Hof und Stall, brachten Umweltauflagen ihn zu Fall."

Dennoch: Auch echte Bauernregeln haben weiterhin ihre Berechtigung, vor allem wenn sie im direkten Austausch mit der Natur entstanden sind. So spielen Los- und Schwendtage, überlieferte Tier- und Pflanzenphänomene und vor allem die sogenannte Phänologie bei den Bauernregeln und bei den Bauern noch immer eine nicht unerhebliche Rolle.

Phänologie – wie Natur den Kalender zum Wetter schreibt

Die Phänologie ist eine Erfahrungswissenschaft, zu deren Urvätern sechs Generationen der Familie Marsham aus Norwich (Virginia, USA) in Norfolk und später auf Rippon Hall gehören, die von 1736 bis 1925 phänologische Daten aufschrieben, sammelten und zu einem Kalendarium verarbeiteten. Grundlage hierfür bildeten bestimmte, auch im Lubera-Shop erhältliche Zeigerpflanzen wie die Silberdistel, Haselnusssträucher oder der Schwarze Holunder, aber auch 13 ausgewählte Laubgehölze, das erste Quaken der Frösche im Frühling und der Wanderungszyklus einiger Zugvogelarten. Aus diesem Sammelsurium entstanden Sprüche wie:

  • Sitzt im November fest das Laub, wird der Winter hart, das glaub.
  • Siehst du schon gelbe Blümlein im Freien, magst du getrost den Samen streuen.
  • Wenn das Feld arm ist, sind die Bienen reich.
  • Je stärker im Walde die Bäume knacken, je höher wird der Winter packen.
  • Je früher im April der Schlehdorn blüht, desto früher der Schnitter zur Ernte zieht.
  • Viele Eicheln im September, viel Schnee im Dezember.

Zu den Eicheln eine kleine Randbemerkung aus persönlicher Erfahrung: Ich habe vier riesige Eichen vor dem Grundstück, die in den beiden letzten Jahren so was von ertragreich waren, dass ich stundenlang beschäftigt war, vor und im Garten kiepenweise Eicheln zu entsorgen. In beiden Wintern blieb die jeweils 1 bis 2 mm hohe "Schneepracht" kaum länger als eine Stunde liegen. Aber wie heisst es so schön, wenn man auf jeden Fall recht behalten will: Ausnahmen bestätigen nur die Regel...

Wenn ist muss man schneiden bauernregel

Der phänologische Kalender

Damit war der phänologische Kalender, der Kalender der Natur selber entdeckt. Natürlich gab es Beobachtungen dieser Art auch schon Jahrtausende zuvor, aber ganz gewiss nie in dieser Komplexität, so dass man daraus Vorfrühlings-, Erstfrühlings-, Vollfrühlings- bis hin zu Winterkalendern ableiten konnte, die nicht ausschliesslich auf Daten zum Wetter beruhten. Und solch ein phänologischer Kalender ist durchaus imstande, sehr breit gefächerte und nützliche Informationen für Landwirte und Gärtner zu liefern, wie die folgende Übersicht zum Hochsommer veranschaulicht:

  Natur Landwirtschaft Obstgarten
Anfang Sommerlinde: Blüte   Weinrebe Blüte
      Weinrebe Vollblüte
  Madonnenlilie, Lavendel, Wegwarte, Wilde Möhre: blüte   Rote Johannisbeere, Stachelbeere: Fruchtreife
  Johanniskraut: Blüte   Weinrebe: Blütenende
    Wintergerste: Gelbreife  
Mitte Beifuss: Blüte Mais: Rispenschieben  
      Süsskirsche: Fruchtreife
  Winterlinde: Blüte Sonnenblume: Blüte Wintergerste: Ernte  
    Winterweizen, Hafer: Milchreife  
    Mais-Blüte, Winterraps: Vollreife  
Ende   Winterraps: Ernte, Winterroggen: Gelbreife Sauerkirsche: Fruchtreife

Phänologie als eine ganz besondere Spielart der Bauernregeln ist die Lehre von den periodischen Wachstums- und Entwicklungserscheinungen aller pflanzlichen und tierischen Lebewesen in ihrer Witterungsabhängigkeit und untersucht dazu die einzelnen Phasen im Jahresverlauf, indem sie die Eintrittszeiten besonders auffälliger Erscheinungen und ihre Gleichzeitigkeit mit andere Ereignissen berücksichtigt. Dabei ist die logische Struktur die gleiche wie bei vielen Bauernregeln: wenn X, dann Y. Nur werden bei der Phänologie tendenziell nicht ausserordentliche Ereignisse mehr oder weniger willkürlich miteinander in Bezug gesetzt, sondern eher die normalen, ordentlichen Erscheinungen.

Der Gärtner als Phänologe

Sie liegen richtig, wenn Sie jetzt denken, dass wir Hobbygärtner alle irgendwie kleine Phänologen sind und nicht nur die eigenen Blüte- und Erntezeiten aus den Vorjahren akribisch im Hirn gespeichert haben, sondern sogar die unserer lieben Nachbarn! Jeglicher Neid liegt uns dabei selbstverständlich völlig fern, da wir ja alle wissen, dass jedes Fleckchen Erde und somit auch unser Garten immer ein eigenes klimatisches Universum ist. Hinzu kommt – und das müssen wir uns selber bei jeder Bauernregel, aber vor allem bei jeder Aussaat- und Pflanzregel verinnerlichen – dass kein Jahr dem anderen gleicht, und das schon gar nicht in Zeiten des voranschreitenden Klimawandels. Soll heissen: Es kann zu fatalen Folgen führen, wenn wir uns bei den Aussaatzeiten lediglich nach den aufgedruckten Daten der Samentüten richten, ohne dabei die Natur mit im Auge zu haben. Die verschiedenen von den Phänologen benutzten Signalpflanzen kommen dagegen zuverlässig in fast allen Ländern im deutschsprachigen Raum und sogar in Zentraleuropa vor, sodass sie jederzeit und überall beobachtet werden können. In den Tabellen werden die genauen Wachstumsphasen in den 10 von den Phänologen definierten Jahreszeiten am Beispiel typischer Kenn- und Signalpflanzen aus Natur, Landwirtschaft und Obstgarten anhand langjähriger Mittelwerte vorgestellt und dürften uns damit wesentlich zuverlässiger als die meisten Bauernregeln bei der Gartenarbeit unterstützen. Wir werden in einem weiteren Artikel genauer auf die Phänologie und auf den phänologischen Gartenkalender eingehen.

Lostage und Schwendttage: dos and don‘ts des Landlebens

Während wir also der Struktur wenn X, dann Y bei Bauernregeln und noch mehr beim phänologischen Kalender Einiges abgewinnen können, ist eine andere Eigenheit der Bauernregeln nur mit der praktischen Realität des vorneuzeitlichen Landlebens zu erklären: Und diese Realität bedeutete Unsicherheit, und zwar eine Unsicherheit, die wir uns fast nicht mehr vorstellen können. Was kommt? Welches Unwetter müssen wir erwarten? Wann kommt die nächste Seuche (die nächste Covidwelle). Wer ist für all das Unglück verantwortlich? Wie stark werden die Steuern des Landvogts steigen? Wann kommt das nächste Hochwasser? 

Es wäre interessant drüber nachzudenken, warum die meisten Menschen im Westen und in den entwickelten Ländern diese existenzielle Unsicherheit nicht mehr kennen: Ist es die ubiquitäre Ablenkung, die uns gar nicht mehr daran denken lässt, dass unser Leben immer nur an einem seidenen Faden hängt? Ist es die im Vergleich zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit verdoppelte Lebenserwartung, die die Todesangst viel länger rausschieben kann. Oder ist es der schiere Luxus, dass wir für alles und jedes indirekte oder direkte Versicherungen haben? Dieser Luxusschleier wurde zuletzt durch die Corona-Epidemie zumindest kurzzeitig und teilweise weggezogen.

In der permanenten Stimmungslage der Unsicherheit möchte man vor allem eines: Sicherheit, Sicherheit vor allem für das einfache tägliche Leben. Was soll ich wann machen, was nicht? Dabei spielt die faktische Begründung nicht einmal eine entscheidende Rolle: Sicherheit ist vor allem ein subjektives Empfinden. Auch (und vor allem) Glauben bietet Halt.

Genau darauf, auf Sicherheit zielen die sogenannten Los- und Schwendttage ab. Schwendttage (auch verworfene Tage, Unglückstage, modern Chaostage, lateinisch dies incerti, dies critici) sind Tage, an denen mit Vorteil nichts Neues unternommen werden soll. Da kann man auch kaum fehlgehen: Wer nichts macht, kann ganz sicher nichts falsch machen ;-). Und weil das wiederum auf Dauer auch nicht funktioniert, sind es ja auch nur einzelne Schwendttage.

Lostage stellen dann das Gegenteil dar, die dos! Sie verweisen auf das zu erwartende Wetter der kommenden Wochen und die damit zusammenhängenden und möglich/notwendig werdenden landwirtschaftlichen Arbeiten. Auch hier ist in der Regel eine gewisse Fehlertoleranz eingebaut, da die meist mit Heiligennamen (nach den Tagesheiligen aus dem Kirchenkalender) bezeichneten Lostage erstens einen höheren Segen mit sich bringen (ja, man muss auch glauben!) und zweitens meist auf längere Perioden verweisen, in denen es wie erwartet schön, aber auch mal anders sein kann.

Alte Kalender neu entdeckt – alle Monate mit ihren Eigenarten

Wenn ist muss man schneiden bauernregel

Auch wenn solch ein jahrhundertealtes Kalendarium im Original für die meisten nicht verfügbar sein dürfte, findet sich in grösseren Bibliotheken oft eine Faksimile-Ausgabe, die sich lohnt, durchzublättern. In solchen Nachdrucken ist von monats- und jahreszeittypischen Wetterlagen aus der damaligen Zeit zu lesen, denen man bestimmte Singularitäten – ähnlich den bekannten Bauernregeln zu "Altweibersommer" und "Schafskälte" – eines Kalenderjahres zugeordnet hat. Auch hier wurde wieder mit Los- und Schwendtagen gearbeitet (für den jetzt aktuellen Juni waren das der 8., 10., 11., 13., 15., 19., 24., 27. und 29. als Lostage sowie der 1., 17. und 30. (für die Schwendtage), dazu bediente man sich aber auch der Sternzeichen sowie der zu erwartenden Windübersichten und einiger langjährig beobachteter Tierphänomene. Im Einzelnen verwendete man für diese Art der Bauernregeln die folgenden Besonderheiten bzw. Einzigartigkeiten des Jahresverlaufs:

Frühling 25. März: Kälteeinbruch
22. April: Warmluftphase (Mittfrühling)
25. bis 27 April: kühle Witterung bis Mitte Mai Kälterückfall nach einer Warmluftzufuhr (die sog. "Eisheiligen")
3. bis 10. Juni: Warmluftphase (Frühsommer)
11. bis 20 Juni: kühle Witterung ("Schafskälte")
Sommer Ende Juni: nach kurzer Erwärmung Abkühlung
9. bis 14. Juli: erste Hochsommerphase
22. und 23. Juli: kühlere Witterung Ende Juli / Anfang August: zweite Hochsommer-Phase
Anfang September: warmes Wetter (Spätsommerbeginn)
10. und 11. September: zweite Wärmephase
Mitte September: Abkühlung
Herbst Ab Ende September: "Altweibersommer"
Mitte Oktober: kühle Witterung
Anfang Dezember: Kältephase
Mitte Dezember: nach vorhergehender milder Witterung: Kältephase
Winter 24. bis 28. Dezember: milde Wetterphase ("Weihnachtstauwetter")
Ende Dezember: zum Jahreswechsel Kälteeinbruch (Neujahrskälte)
7. bis 9. Januar: Kälteeinbruch
17. bis 20 Januar: Kältephase (Hochwinter)
9. Februar: Warmluftphase
16. Februar: Kaltluftphase (Spätwinter)

Quelle: Bernhard Michels "Altes Wetterwissen wieder entdeckt" BLV Buchverlag, München 2011

Wetter- und Bauernregeln mit ganzheitlicher Tierbeobachtung

Zum Schluss unseres Ausflugs in die Welt der Bauernregeln kommen wir zu den Tieren, besser gesagt, zu den tierischen Phänomenen, die in die alten Wetterkalender und Bauernregeln mit eingeflossen sind.

Als Hundebesitzer wissen Sie sicher aus eigenem Erleben, dass der geliebte Vierbeiner bei anhaltend schlechter Witterung mit seinem Hundeleben oft nicht richtig klarkommt. Kurz mal "Gassi" gehen und das war’s dann auch für diesen Tag. Aber der tierische Instinkt ist noch um vieles gescheiter, wissen wir doch, dass Hunde oder Katzen sogar Naturkatastrophen wie Erdbeben voraussehen können. Etwas anders ist es bei den Tierphänomenen, die uns beispielsweise einige kluge Bauernregeln aus der Käferwelt für den Juni prophezeien: 

  • "Wenn Johanniswürmchen schön leuchten und glänzen, kommt Wetter zu Lust und im Freien zu Tänzen" oder
  • "Der Kuckuck kündet feuchte Zeit, wenn er nach Johanni (24.6.) schreit" und
  • "Stechen die Mücken und die Fliegen, wird’s Heu nicht lange trocken liegen"

Da unsere Vorfahren ihr Vieh, mit dem sie es täglich zu tun hatten, bestens kannten, erstaunt es kaum, dass praktisch erlebte Erkenntnisse über die Haustiere mit in die Wetterbeobachtungen eingeschlossen wurden. Viele dieser Verhaltensweisen von Tieren sind bis in unsere heutige Zeit aktuell. Wer selbst Hühner hält und vielleicht auch noch einen Hahn hat, wird schon oft beobachtet haben, dass sich Ihr künftiges Suppenhuhn bei herannahendem Regen nicht ganz uneigennützig einen günstigen Platz auf dem Misthaufen aussucht, um in einigen Minuten auf Regenwurmjagd zu gehen. Von daher hat die alten Bauernregeln nichts von ihrer Aktualität eingebüsst: "Kräht der Hahn auf dem Mist, das Wetter im Wechsel ist; kräht er auf dem Hühnerhaus, hält das Wetter die Woche aus." Natürlich sind Wetterregen und Bauernregeln auch auf den Hund gekommen, aber wir schliessen versöhnlich mit einer Eselsregel, die fast schon eine Eselsbrücke ist: "Wenn der Esel die Ohren schüttelt, so wird ihm der Kopf gewaschen (es regnet)". Wohl wahr!