Wer bei mir jude ist bestimme ich

Wer Jude ist, ist nicht nur eine der ältesten Fragen des Judentums, sondern definiert es gleichermaßen. Die Diskussion darum ist wichtig und notwendig. Bild: VISUM

Warum hat er nicht einfach die Wahrheit gesagt? Die Debatte um den Publizisten Max Czollek berührt eine offene Frage der jüdischen Tradition. Ein Gastbeitrag.

Ich erinnere mich sehr gut daran, wie ich den Schriftsteller Maxim Biller zum ersten Mal traf. Es war ein besonders schöner Berliner Sommertag im Jahr 2007. Wir hatten uns kurz zuvor über MySpace kennengelernt, das Soziale Netzwerk, das den Beginn der Nullerjahre geprägt hatte, und uns zum Mittagessen im 103 am Zionskirchplatz verabredet. Wir saßen am Fenster auf einer Bank. Wie bei allen Gesprächen unter Juden stiegen wir nach maximal zwei Minuten irrelevantem Small Talk tief in unsere Familienbiografien. Biller interessierte sich sehr für meine. Das lag vor allem an der ungewöhnlichen Konstellation, in der DDR geboren und aufgewachsen zu sein. Denn DDR-Juden gab es nur eine Handvoll. Man munkelt, beim Fall der Mauer sollen es weniger als 5000 gewesen sein. Ich erzählte von meinem Vater, der Jude ist, und von meiner Mutter, die keine Jüdin ist, und sofort sagte Biller: „Dann bist du nach der Halacha auch keine Jüdin!“

Das Wort Halacha hörte ich zu diesem Zeitpunkt zum allerersten Mal in meinem Leben. Ich war 26 Jahre alt, wusste nicht, wie man die Schabbatkerzen anzündet oder eine Bracha, einen jüdischen Segen, spricht. Ich konnte Vodka Red Bull auf Hebräisch bestellen, „Ani rotzah Vodka Red Bull bevakasha“, aber das war’s dann auch schon. Dass ich mich selbst als Jüdin definierte, lag vor allem an meiner Kindheit und Jugend. Solange ich denken kann, trug mein Vater einen Davidstern um den Hals. Nur anderthalb Jahre nach dem Mauerfall, da war ich zehn Jahre alt, war er mit mir in den erstbesten ELAL-Flieger gestiegen und nach Israel gereist, um mir meine Wurzeln zu zeigen und mich unserer Familie vorzustellen, von denen Teile seit dem Zweiten Weltkrieg in Tel Aviv lebten. Ich wurde in Israel sozialisiert. Meine jüdische Identität gab mir meine Familie. Aber nie hatte mir jemand von ihnen erklärt, ich könne wegen der Halacha, des jüdischen Gesetzbuchs, keine Jüdin sein.

Cover des Buches "Wer Jude ist, bestimme ich" (ISBN: 9783412222161)

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Inhaltsangabe zu ""Wer Jude ist, bestimme ich""

In den 'Nürnberger Rassegesetzen' hatten die Nationalsozialisten ihre rassistischen Wahnideen festgeschrieben. Immer wieder aber machte Hitler von seinem 'Gnadenrecht' Gebrauch, Juden zu 'Ehrenariern' zu erklären oder jüdische 'Mischlinge' aufzuwerten. Zu 'Ehrenariern' wurden Weggefährten erklärt, die sich um die 'Bewegung' verdient gemacht hatten. Soldaten, die sich im Ersten Weltkrieg bewährt hatten, konnten in der Wehrmacht weiterdienen. Bei wirtschaftlichem oder persönlichem Interesse zögerte das NS-Regime nicht, 'Ehrenarier' zu ernennen oder 'Deutschblütigkeit' zu bescheinigen. Besonders häufig erhielten Publikumslieblinge von Film und Theater Sondergenehmigungen, auch wenn sie Juden waren oder jüdische Familienangehörige hatten.
Einer der bekanntesten 'Ehrenarier' war Generalfeldmarschall Erhard Milch, der eine herausragende Stellung im Reichsluftfahrtministerium einnahm und die menschenverachtenden, oft tödlichen 'Humanexperimente' der Luftwaffe in den Konzentrationslagern verantwortete. Unter Hitlers persönlichem Schutz stand der Linzer Eduard Bloch, der jüdische Hausarzt seiner Mutter. Die besondere Aufmerksamkeit Himmlers richtete sich auf den österreichischen 'Halbjuden' Robert Feix, einen Lebensmitteltechniker, der u.a. das Geliermittel Opekta erfand

Buchdetails

Aktuelle Ausgabe

ISBN:9783412222161

Sprache:Deutsch

Ausgabe:Gebundenes Buch

Umfang:354 Seiten

Verlag:Böhlau Köln

Erscheinungsdatum:01.03.2014

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    Erscheinungsdatum:01.03.2014