Neue Überlegungen zu Zeittheorien und zum Zeitempfinden Show
Von Volkart Wildermuth · 04.10.2018 Newtons Physik macht keinen Unterschied zwischen Zukunft und Vergangenheit. Und laut Einstein kennt das Universum kein Jetzt. Der Mensch lebt dagegen im Augenblick, wird vom Fluss der Zeit mitgerissen. Wie passt beides zusammen? Richard Muller: "Meine Frau und ich sahen im Fernsehen eine Serie, in der jemand zurück in die Zeit reist. Meine Frau fragte mich, ist das denn möglich? Und ich sagte: Also, so richtig wissen wir das nicht." Im französischen Marseille erforscht Carlo Rovelli die Quantengravitation, versucht also die Relativitätstheorie mit der Quantentheorie zu vereinen. Der Gral der Physik sozusagen, an dem sich die Forscher seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen. Gerade hat der gebürtige Italiener ein Buch vorgelegt.
"Die Ordnung der Zeit" heißt es. Darin zerlegt Rovelli erst naive Zeitvorstellungen, um sie dann auf elegante Weise wieder zu retten. Isaac Newton versuchte als erster, die Zeit festzuzurren in ein mathematisches Gerüst. Der Physiker Carlo Rovelli forscht zur Quantengravitation.© picture alliance / Leemage Die Unordnung im Universum steigt ständigWas Rovelli an dieser Stelle unterschlägt: Newton beschreibt ein Universum, in dem nichts kaputt geht. Ein Glas fällt zu Boden und springt gleich wieder hoch. Die Realität sieht anders aus. Das Glas fällt und liegt dann in Scherben. Niemand hat je gesehen, dass Scherben auf den Tisch hüpfen und ein Glas bilden. Es sei denn das Ganze ist ein Film und der läuft rückwärts. Diese Beobachtung haben Physiker zu einer Regel erhoben: tendenziell nimmt die Unordnung im Lauf der Zeit zu. Ein Glas ist eine geordnete Sache und kann sich in einen ungeordneten Haufen Scherben verwandeln. Umgekehrt geht das nicht, es sei denn, man hat einen Glasbläser zur Hand. Zusammengefasst lautet die Theorie: die Unordnung im Universum steigt ständig an und das zwingt der Zeit dann doch eine Richtung auf. Ein beruhigender Befund. Heute aber kann man Unordnung oder im Physiker Sprech Entropie messen. Muller: "Wir wissen so viel mehr über die Entropie als früher. Wir wissen zum Beispiel, dass die Entropie des Universums ziemlich konstant bleibt. Der Großteil steckt in der kosmischen Hintergrundstrahlung und die ändert sich nicht. Es entsteht Entropie im schwarzen Loch, im Zentrum der Milchstraße, aber die Vorstellung, dass diese Entropie über tausende von Lichtjahren die Zeit auf der Erde beeinfluss, ergibt wenig Sinn." Friedrich Rückert, "Die Weisheit des Brahmanen" Die Zeit des Albert Einstein. Für Newton war die Zeit ein Gefäß, in dem sich die Welt abspielt. In Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie gehört die Zeit selbst zum Gewebe der Welt. Sie ist untrennbar mit dem Raum verknüpft. Diese Raumzeit wird von der Materie verzerrt und beeinflusst umgekehrt deren Bewegung. Für Physiker ist die Raumzeit genauso real, wie etwa Elementarteilchen. Aber diese Einstein-Zeit ist nichts Absolutes. Sie reagiert auf die Welt und fließt dabei schneller oder langsamer. Die Masse der Erde verformt
Raum und Zeit. Das spüren wir als Erdanziehung, als Gravitation. Diese Verzerrung der Zeit sorgt aber auch dafür, dass Uhren in den Bergen schneller ticken. Im Vergleich zum Urlaub an der See hat man auf den Alpen mehr Zeit zum Spielen, zum Nachdenken, ist aber auch entsprechend älter geworden – all das kann man messen. Bei Albert Einstein ist die Zeit untrennbar mit dem Raum verknüpft.© picture-alliance / dpa / Akg Gibt es den gemeinsamen Augenblick eines "Jetzt"?Und damit nicht genug. Wenn die Zeit flexibel ist, dann gibt es keinen gemeinsamen Augenblick eines "Jetzt". Zugegeben, Sie und ich werden uns auf ein Jetzt einigen können, aber es ist trotzdem eine Illusion. Denn wenn ich wie jetzt ins Mikrophon spreche, brauchen die Radiowellen einige Zeit, um bis zu Ihnen zu gelangen. Also wenn Sie mein "Jetzt" hören, ist es bei mir schon Vergangenheit. Bei einem Gespräch mit künftigen
Mars-Astronauten wird das schon zum Problem. Vergangenheit und Zukunft sind gleich real, mein Leben steht also schon irgendwie fest. Ich bin an dieser Position der Raumzeit nur noch nicht vorbeigekommen. So lautete die Konsequenz aus Einsteins Ideen, auch wenn das ihm selbst vielleicht nicht gefallen hat."
Wilhelm Busch, "Julchen" Die zweite große Theorie des 20. Jahrhunderts beschäftigt sich nicht mit dem ganz Großen, sondern mit dem ganz Kleinen. In der Quantentheorie sind Strahlung und Teilchen zwei Seiten einer Medaille, ist alles ein wenig unscharf und voller unterschiedlicher, aber gleich realer Möglichkeiten. Zumindest bis jemand nachguckt. Die Relativitätstheorie mit ihrem verwirrenden ZeitkonzeptDie Quantentheorie beansprucht aber, die ganze
Realität zu beschreiben. Also besteht auch die Uhr selbst aus Quanten und kann deshalb gar nicht exakt ticken. Dafür sorgt die allgegenwärtige Unschärfe. Die Zeiger deuten nie auf Mitternacht, sie zeigen nur wahrscheinlich auf die Zwölf, und manchmal zittern sie eben auch auf die Elf oder die Eins. Der Weg voran ist für Physiker klar vorgezeichnet: Es gibt die Relativitätstheorie mit ihrem verwirrenden Zeitkonzept und die Quantentheorie mit ihren Zeitwidersprüchen. Die Lösung kann da nur in
einer Vereinigung der beiden liegen! Carlo Rovelli. Gottfried Keller, "Schein und Wirklichkeit" Die Fundamente der Zeit sind untergraben, die Zeiger der Uhren liegen zerbrochen herum, zucken vielleicht
noch in Folge der Unschärferelation. Doch irgendwie steigt aus dieser kalten Welt dann doch wieder eine Zeit hervor. Zumindest für Menschen, vielleicht nur für sie. Muss es da nicht Ideen geben, die über die zeitlosen Quanten hinweg, eine Vorstellung von Zeit sichern können? Zahlreiche Physiker haben das in jüngster Zeit versucht. Etwa die Australische Quantenphysikerin Joan Vaccaro. An der Griffith Universität in Brisbane beschäftigt sie sich mit Mesonen, das sind kleinen Teilchen, die etwa
durch kosmische Strahlung entstehen. Oder, unter Aufsicht, in einem Teilchenbeschleuniger. Mesonen sind extrem instabil: kaum sind sie da, sind sie auch schon wieder weg. Und das wiederum passt zum menschlichen Zeitempfinden: Menschen sind träge Wesen, für uns braucht selbst ein Augenblick seine Zeit. Das Gehirn benötigt ein bis drei Sekunden allein, um die Wahrnehmung sinnvoll zu organisieren. Um etwa schnelle Lichtsignale mit langsamen Schallsignalen desselben Objektes zu kombinieren.
Beobachtung mit dem Hubble-Teleskop in der Andromeda-Galaxie.© NASA/ESA Emanuel Geibel, "Sprüche" "Mehr Raum bedeutet auch mehr Zeit"Joan Vaccaro sucht die Zeit im Kleinen, in den Elementarteilchen. Der Experimentalphysiker Richard Muller wiederum denkt ans Große, an den Urknall. Den darf man sich nicht wie eine Explosion auf der Erde vorstellen, bei der alles im Raum auseinander fliegt. Tatsächlich ist es der Raum selbst, der sich ausdehnt. Im Grund bleiben die Galaxien immer am selben Ort und der neu entstandene Raum sorgt dafür, dass die Abstände zwischen den Galaxien immer größer werden. Klingt verwirrend, ist aber nach Einstein logisch. Muller: "Eine Sache, die wir von Einstein gelernt haben, ist die enge Verbindung von Raum und Zeit. Ich hatte einen aha-Moment: mehr Raum bedeutet auch mehr Zeit. Seit dem Urknall wird dem Universum immer weiter Zeit hinzugefügt. Und diese neue Zeit nennen wir Jetzt. Wir bekommen jede Sekunde eine neue Sekunde dazu, weil mehr Raum im Universum entsteht und damit mehr Zeit. Der neue Raum bildet sich zwischen den Galaxien und die neue Zeit ist unser Jetzt, Jetzt, Jetzt, Jetzt, Jetzt. Die Zeit nimmt also immer weiter zu." Die Zeit des Richard Muller. Die
meisten Modelle der Raumzeit betrachten alle Momente in der Zeit als gleichwertig, egal ob sie in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegen. Richard Muller sagt aber: es gibt einen besonderen Moment, das Jetzt. Die Zukunft dahinter, ist noch nicht da, sie entsteht, Tick, Tack, Tick, Tack…mit jedem Jetzt-Moment neu. Weil der Urknall gar nicht anders kann, als immer weiter neuen Raum und damit neue Zeit zu produzieren. Im Grunde surfen wir auf dieser Welle frisch geprägter Zeit einer
unbekannten Zukunft entgegen. US-Wissenschaftler Richard Muller: "Ich hatte einen aha-Moment: mehr Raum bedeutet auch mehr Zeit."© imago/ZUMA Press Christian Morgenstern, "Schicksals-Spruch" Richard Muller und Joan Vaccaro suchen beide nach
Wegen, eine menschliche Zeitvorstellung wieder in der Physik zu etablieren. Der theoretische Physiker Lee Smolin von der amerikanischen Harvard Universität geht einen Schritt weiter: Wenn es einen Widerspruch gibt, dann sollte sich die Physik dem Menschen anpassen und nicht der Mensch der Physik! Zeit ist ein zutiefest menschliches PhänomenDie Physik hat das naive Zeit-Verständis über Bord geworfen, um die Welt besser erklären zu können. Das ist auch in Ordnung, wenn es etwa um Galaxien geht oder um Quantenphänomene. Aber es wäre ein Fehler, so Smolin, dieselben Methoden, einfach auf das Universum als Ganzes anzuwenden. Paul Fleming, "Gedanken über die Zeit" Carlo Rovelli arbeitete genauso wie Lee Smolin an der Quantengravitation. In Sachen Zeitforschung aber geht er ganz andere Wege. Der Widerspruch zwischen einer Welt ohne Zeit und der Zeit des Menschen scheint ihm eine Illusion zu sein. Das ist keine große Sache. Katzen existieren und doch gibt es ganz sicher
keine Katzenatome. Eine Katze ist eine komplizierte Anordnung von Atomen. Was wir Zeit nennen ist eine komplexe Struktur, die zum Teil auf Physik zurückgeht, zum Teil aber auch auf die Art und Weise, wie unser Gehirn arbeitet. "Zeit ist Unwissen"Rovelli" Dieses Nichtwissen erzeugt einen Blickwinkel, in dem sich die Vergangenheit von der Zukunft unterscheidet. Gerade weil wir die Natur nur sehr eingeschränkt wahrnehmen, entsteht das Gefühl des Verstreichens der Zeit. Kurz gesagt: Zeit ist Unwissen." Gottfried Keller, "Die Zeit geht nicht" Smolin: "Wenn der Wandel im
Kosmos eine Illusion ist, wenn Handeln eine Illusion ist, dann ist das demoralisierend. Das entfremdet uns von unseren Zielen. Wenn sie aber ein Universum sehen, in dem sich alles entwickelt, in dem Neues entsteht, in dem die menschliche Vorstellungskraft etwas bewirken kann, dann beflügelt das und wir entdecken Möglichkeiten, uns aus unseren Problemen heraus zu erfinden." Entscheidend ist der Moment des JetztDamit ist nun wiederum Richard Muller nicht einverstanden. Er entdeckt in der Physik neue Zeit und damit neue Möglichkeiten. Entscheidend ist der Moment des Jetzt. "Wir verlieren Dinge in der Zeit, wir sterben, wir haben Erwartungen, Wünsche, Ängste. All das geschieht in der Zeit. Es geht um die Zukunft, um die Vergangenheit. Deshalb ist es so schwer, ohne Gefühle über die Zeit nachzudenken. Es ist sogar andersherum. Wenn wir verstehen wollen, was die Zeit ist, müssen wir unsere Emotionen verstehen. Denn die Gefühle, die die Zeit wachruft, machen die Zeit für uns aus. Wenn wir über die Zeit nachdenken, dann denken wir an unsere Gefühle und nicht nur an die Zeiger eine Uhr. Nur wenn wir die Emotionen mit einbeziehen, können wir wirklich verstehen, was Zeit für uns ist. Das vermittelt Gelassenheit und hilft mir, das Verstreichen der Zeit und letztlich den Tod zu akzeptieren." Andreas Gryphius, "Betrachtung der Zeit" Was versteht man unter einem Phänomen?Bei einem Phänomen handelt es sich im Allgemeinen um eine Erscheinung. Diese Erscheinung kann womöglich selten, bemerkenswert oder auffällig sein. „Erscheinung“, „Vorkommnis“, „Begebenheit“ oder „Kuriosität“ sind synonym zu Phänomen.
Was ist ein Phänomen in der Wissenschaft?Ein Phänomen (bildungssprachlich auch Phänomenon, Plural Phänomene oder Phänomena; von altgriechisch φαινόμενον fainómenon, deutsch ‚ein sich Zeigendes, ein Erscheinendes') ist in der Erkenntnistheorie eine mit den Sinnen wahrnehmbare, abgrenzbare Einheit des Erlebens, beispielsweise ein Ereignis, ein Gegenstand oder ...
Ist ja eine interjektion?Im Satzinneren fungiert ja als Modalpartikel und drückt dabei vielfältige Beziehungen des Gesagten aus. Weiters kann ja in gegebenen Fällen als Interjektion interpretiert werden und ist dann in der gesprochenen Sprache oft ein Füllwort.
Wie wird phänomenal geschrieben?Worttrennung: phä·no·me·nal, Komparativ: phä·no·me·na·ler, Superlativ: am phä·no·me·nals·ten. Aussprache: IPA: [fɛnomeˈnaːl]
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