Was bedeutet es wenn sich Träume real anfühlen?

Wir wirklich ist die Möglichkeit?

von Henri »Hukhi« Quelcun

WENN WIR unsere nächtlichen Träume überhaupt ernst nehmen, dann deuten wir sie. Esoterisch Gestimmte nehmen vielleicht ein »altes« Traumbuch zur Hand, die Aufgeklärten schlagen bei Freud nach. Wer beide Neigungen in sich verspürt, sucht bei C.G. Jung nach einer archetypischen Interpretation. Mich dagegen interessiert – seit ich weiß, wie man das Wort »Träume« im Wachzustand gebraucht – noch viel mehr ihre Form. Und die vielen Brücken zwischen den Wirklichkeiten, die wir vereinzelt des Nachts, und der einen, die wir gemeinsam am Tag träumen.

Wittgenstein behauptet, wenn ich träume, »dann rede und denke ich jetzt nicht wirklich. Ich kann nicht im Ernst annehmen, ich träume jetzt. Wer träumend sagt ›Ich träume‹, auch wenn er dabei hörbar redete, hat sowenig recht, wie wenn er im Traum sagt ›Es regnet‹, während es tatsächlich regnet. Auch wenn sein Traum wirklich mit dem Geräusch des Regens zusammenhängt« (Über Gewißheit).

Hier irrt der große Sprachphilosoph. Woher ich das weiß? Aus meiner eigenen Traumbiographie. Es gab da Erlebnisse, die sich noch heute so anfühlen, als wäre ich in andere Wirklichkeiten eingetreten. In der Rückblende zeigen sich vier Kategorien von Träumen, welche sich klar vom Umherirren im allnächtlichen Spiegelkabinett abheben. Aber kann mich nicht meine Erinnerung nach so vielen Jahren täuschen? Die folgenden Beispiele beziehen sich auf Erlebnisse, die ich damals so zeitnah wie möglich anderen Personen geschildert habe. Die bestätigen noch heute meine einstigen Schilderungen. Da waren also:

a) Der Folgetraum

Als Volksschüler, noch bevor ein Fernseher unsere familiäre Nahsicht einschränkte, träumte ich in Fortsetzungen. Das heißt, gleich nach dem Einschlafen begann ein Traum, der unmittelbar an den der Vornacht anschloß. Wurde ich mitten in einem »illusionären« Gespräch geweckt, dann setzte sich die »fiktive« Unterhaltung in der nächsten Nacht haargenau an der Bruchstelle fort. Und ich wußte tagsüber alles, »was bisher geschah«. Keine spektakuläre Abenteuergeschichte, eher ein ganz allnächtliches Leben, in einer anderen Gegend in Gesellschaft anderer, aber keineswegs fremder Mitmenschen. Als Bürger zweier Welten ließ ich die Probleme der einen jedesmal an der Grenze zurück, wenn ich in die andere eintrat. Das fortgesetzte Traumleben vollzog sich sozusagen in Echtzeit, unermesslich präziser und detaillierter als in jeder TV-Serie. Ich war gleichsam Regisseur, Zuschauer und Mitspieler in einem. Aber das trifft’s alles nicht. Hätte ich Regie geführt, dann wäre nicht die ganze Wachzeit hindurch diese gespannte Erwartung gewesen, wie es wohl in der Nacht weiterginge. Als Zuschauer hätte ich mir nicht von früh bis spät den Kopf zerbrochen, was ich in der nächsten »Folge« sagen und tun sollte. Und von Schauspiel keine Spur; es wirkte bald authentischer, als der angebliche Ernst des Wachlebens. Meine Mutter hat sich etwas gewundert und gefreut, dass ich jeden Abend noch vor jeder Ermahnung zu Bett gegangen bin.

Weniger erfreulich war für sie die Vorladung in die Schule. Zu einem Gespräch mit der Lehrerin und der Religionspädagogin. Ich wirke im Unterricht seit längerem so abwesend, hat es geheißen. Und meine Augen zuckten so komisch hin und her. Das ging über Wochen, Monate, wahrscheinlich Jahre so. Noch in der ersten Klasse der nächsten Schule trug ich den Spitz namen »Traummännlein«.

b) Der »Babuschka«-Traum

Eineinhalb Jahre vor der Matura begannen diese allmorgendlichen Traumsequenzen. So banal ihr Inhalt war – die Art und Weise ihrer Verschachtelung verblüffte mich am Anfang, um mich dann zunehmend zu ärgern. Sie erinnert mich heute an die russischen Puppen, welche in Folge immer kleinere Kopien ihrer selbst enthalten. Nur dass bei meinem allmorgendlichen inneren Aufwachritual quasi die kleinste Puppe zuerst erschien.

Also: Ich träumte, daß der WECKER KLINGELT: schon viel zu spät! Eile ins Bad, Waschen & Zähneputzen; hastig anziehen; Kaffee runterstürzen; zum Bus rennen … DA KLINGELT DER WECKER – gottseidank, es war alles nur ein Traum – aber es ist wirklich schon viel zu spät! Ins Bad rasen … Gwand über … Kaffee runter … SCHON WIEDER DER WECKER – also ein Traum im Traum – und noch später als geträumt … Instantkatzenwäsche … in die Hose springen … Schulsachen zusammenzeitraffen … Kaffee wegschütten … Bus nachhecheln … SCHON WIEDER KLINGELT’s. WIEDER … noch so ein unnötiges Pseudoerwachen? … egal, diesmal bin ich definitiv zu spät dran … schnell die Zähne mit Kaffee putzen … die Schulsachen ins Gewand … da war doch noch was zum nachlaufen … Jeden Morgen kam dann der Moment, da der Wecker klingelte und ich wirklich aufwachte … vermute ich. Es war dann zwar tatsächlich ein wenig knapp, aber ich befand mich bereits in der Hektik von mindestens vier ineinander verpuppten Aufwachalbträumen und begann den Morgen im Endspurtmodus, um dann immer langsamer zu werden und quälend lange an der Haltestelle zu warten. Erst als ich im Bus saß, hab ich gewagt, zu wissen: »Ich hab’ es heute wieder geschafft. Wirklich!« (Ein halbes Jahr vor der Endprüfung ist das zermürbende Traum-im-Traum-im-Traum–Erwachen verschwunden; zusammen mit dem Wecker-Stellen.)

c) Der Klartraum

Viele Menschen erleben sogenannte luzide Träume. Manche machen sogar eine Kunst daraus, denn zu wissen, dass man träumt, lässt sich einüben. Der luzide Zustand ist gleichsam die Umkehrung des gerade geschilderten illusionären Aufwachens: das Durchschauen der Illusion, ohne gleich in die Wachheit hinaufzutauchen; eine ausgezeichnete Chance, sich selbst kennenzulernen, im Sinn von: Was tät’ ich, wenn …

Mein Traum versetzte mich in ein Dorf, ein bißchen von Gottfried Kumpf inspiriert, dem Schöpfer vordergründig putziger Gestalten und Mini-Architekturen. Die Ortschaft bestand aus Lebkuchenhäusern. Alle männlichen Einwohner waren Zuckerbäcker, verheiratet mit hyperherzigen Damen, aber graziler als »Kumpfinnen«. Mir wurde schnell klar, dass ich das alles träumen musste. (Das Dorf befand sich auf einer Bergkuppe ohne Zufahrtswege, wo sollte also der Zucker herkommen; Lebkuchen ist nicht regenfest; die Gestalten glichen realen Menschenwesen mit deutlich »kumpfigen« Zügen usw.) Aber, so mein Beschluß, ich wollte nicht gleich aufwachen, sondern die Situation auskosten. Wenn das alles nicht real war, konnte ich nach Belieben schalten und walten.

Was ich dann »gemacht« habe, erstaunt mich noch jetzt. Zwischen den Häusern waren Stöße meterlanger und astdicker Schaumrollen geschlichtet. Die begann ich zu vertilgen. Eine pro Sekunde. Dann wandte ich mich den ebenso süßen Dorfschönheiten zu. Alle waren mir äußerst zugetan.

Doch schlußendlich, in der Dämmerung, kam eine Prozession zorniger Männer auf mich zu: hunderte Konditoren, jeder eine Fackel in der Rechten, an ihrer Spitze der Bürgermeister. Das Dorfoberhaupt hielt Gericht über mich. Ich habe, so der Herr Bürgermeisterbäcker, die mir gewährte Gastfreundschaft übel missbraucht, was ich denn zu meiner Verteidigung zu sagen hätte? Ich schob mir die letzte Riesenschaumrolle in den Schlund und – jetzt kommt erst der interessante Teil! Meine Antwort war nämlich: »Ich kann hier tun und lassen, was ich will, ohne mich gäbe es euch nämlich alle nicht.« Daraufhin ein Riesentumult. »Der ist ja größenwahnsinnig!«, »Er hält sich für Gott!« und die Aufforderung des Bürgermeisters: »Beweis uns das.« »Ja gern, ich lass euch alle gleich verschwinden«, so mein letztes Wort.

Aber so leicht war das gar nicht. Ich brachte es einfach nicht über’s Herz. Ein ungeheures Mitgefühl gegenüber meinen Phantasiegeschöpfen blockierte mich. »Na, wo bleibt denn das Wunder?«, klang es triumphierend aus dem Haufen. »Seht ihr, er kann gar nichts.« Das hat mich provoziert und mit einem Ruck weckte ich mich zornig auf. So habe ich Recht behalten – und dennoch niemand was bewiesen! Noch heute tun mir die armen Leute leid, auch wenn sie nie existiert haben …

Übrigens habe ich viele Jahre nach diesem luziden Traum eine Frau getroffen, welche einer dieser Zuckerbäckersgattinnen unheimlich ähnlich sah. »Du musst mich einmal in meiner Gemeinde besuchen kommen«, meinte sie. »Da ist alles so idyllisch. Ich sag immer Kumpfdorf dazu.«

d) Der Wahrtraum

Vor vielen Jahrzehnten riß mich ein einziger Traum aus einer Illusion. Zu dieser Zeit war ich geneigt, die Materie für die einzig substanzielle Realität zu halten und die Physik für die Methode, welche alle Phänomene erschöpfend erklärt. Ein traumhaft einfaches Weltbild …

Es suchte mich zwischen Mitternacht und den Morgenstunden heim. Ich befand mich im Schwarzwald, in Waldkirch im Breisgau, tausend Kilometer entfernt, vor dem Haus meiner (damals) künftigen Schwiegereltern und sah sie einen gewaltigen Brand beobachten. Das ältere Paar stand vor der Haustüre auf den Stufenabsatz und blickte in die Flammen, die ein paar hundert Meter entfernt in den Nachthimmel loderten. Früh am Morgen hab ich meiner Freundin von dem Traum erzählt. Eine halbe Stunde später ruft ihre Mutter aus dem Schwarzwald an: »Du, der Felsenkeller ist abgebrannt …«. Mein erster Entschluss: Ich wollte bis auf weiteres nichts über die Einzelheiten hören. Bis zum Sommerurlaub im Schwarzwald. Habe mich mit beiden Augen- und Ohrenzeugen auf den Stufenabsatz des Hauses in Waldkirch gestellt und erklärt: »Dort habt Ihr den Brand gesehen« – ich wusste vorher nicht, in welcher Richtung sich der »Felsenkeller« befand – »die Flammen haben so hoch geschlagen, es gab starken Funkenflug und das Prasseln war deutlich zu hören. Du bist hier gestanden und du dort.« Das haben sie alles eifrig bejaht, und gemeint, wie gut ich das erraten hätte. Dass ich selbst »Traumzeuge« gewesen war, verschwieg ich. Auch das vergebliche Anstupsen in jener Nacht. Es war ihnen nicht möglich gewesen, mich zu bemerken. Kein Wunder: Ich hatte ja nur geträumt.

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Artikel-Bild: Mystic pizza. A slice of Heaven (© panoramio / wikimedia commons)


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Können sich Träume real anfühlen?

In der REM-Schlafphase entwickeln wir starke Gefühle Deshalb entwickeln wir währenddessen starke Gefühle und Träume können uns sehr real vorkommen. Wir träumen übrigens immer. Ob wir uns daran erinnern, hängt unter anderem davon ab, in welcher Schlafphase wir aufwachen.

Was haben Träume mit der Realität zu tun?

Fritz Lackinger: Während des Träumens erleben wir den Traum als äußere Wirklichkeit und nach dem Erwachen als innere Realität. Das hängt mit der Funktionsweise des Gehirns während des Träumens zusammen.

Ist es normal in Träumen Schmerzen zu fühlen?

Schmerzen im Traum Das spiegelt die Einstellung wider, dass im Traum keine Schmerzen auftreten können. Tatsächlich zeigt sich jedoch, dass Schmerzen in Träumen auftreten können, allerdings sehr selten (siehe Tabelle 1).

Was sagen Träume über unsere Psyche aus?

Dabei sind sich viele Experten für Schlaf- und Traumforschung einig: Träume spiegeln Erfahrungen aus dem Alltag wider. Die Dinge, die uns wichtig seien, kämen auch im Traum vor, erklärt der Psychologe Michael Schredl vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.