Was passiert wenn wir 100% unseres Gehirns nutzen?

Die Komplexität unseres Gehirns stellt Forschende noch immer vor zahlreiche Rätsel. Mittlerweile gibt es einige Theorien, die davon ausgehen, dass der Mensch lediglich einen Bruchteil seiner Gehirnleistung nutzt. Stimmt das?

Seit einigen Jahrzehnten schon manifestiert sich zunehmend die Theorie, dass wir Menschen lediglich zehn Prozent unseres komplexesten Organs - des Gehirns - nutzen. Die restlichen 90 Prozent befänden sich demnach in einer Art Ruhezustand und nutzen uns im Alltag nicht.

Manche Theorien gehen sogar so weit, dass sie behaupten, würde man es schaffen, die ungenutzte Gehirnleistung zu aktiveren, würde man übernatürliche Kräfte entwickeln. Das ist allerdings nichts weiter als ein Mythos.

Mythos aufgeklärt

Wir alle nutzen die volle Kapazität unseres Gehirns und dafür verbraucht es einen beachtlichen Anteil unserer Energie. Mit rund 1,5 Kilogramm entspricht das Gehirn etwa zwei Prozent unserer Körpermasse und ist damit proportional im Vergleich zu anderen Lebewesen eines der größten.

Ein Blauwal kann beispielsweise bis zu 170 Tonnen wiegen, doch sein Gehirn kommt "gerade einmal" auf bis zu neun Kilogramm. Schätzungen zufolge beansprucht das Organ etwa 20 Prozent der täglichen Energie eines Erwachsenen. Bei Kindern sind es 50 Prozent und bei Babys ganze 60 Prozent.

Bei Nagetieren oder Hunden beansprucht das Gehirn nur fünf Prozent der Gesamtenergie, wie Neurologe Richard Cytowic in einem Video auf der Bildungswebseite TED-Ed erklärt.

Diese Energie wird genutzt, um die insgesamt 90 Milliarden Neuronen des Gehirns am Laufen zu halten. Für die Forschenden ist dies eines der Hauptargumente für die intensive Nutzung des Gehirns.

Was passiert wenn wir 100% unseres Gehirns nutzen?

© psdesign1 / stock.adobe.com (Ausschnitt)

Die Vorstellung, dass wir nur einen Bruchteil unseres Gehirns nutzen, inspirieren Sciencefiction-Filme wie "Lucy": Dort mutiert die gleichnamige Hauptperson zur Superheldin allein deshalb, weil sie auf 100 Prozent ihres Gehirns zugreifen kann. Alle anderen, das weiß man ja, nutzen nur zehn Prozent. Lucy aber kann mehr: Telepathie, Telekinese; für sie kein Problem. Schade, dass "Lucy" nur ein Film ist. Denn real nutzen wir alle unser Gehirn voll und ganz – und nicht nur zehn Prozent. Die übermenschlichen Fähigkeiten aber bleiben uns verwehrt.

Willkommen in der Wirklichkeit

Ein Organ herumzutragen und es nur teilweise zu nutzen – das würde aus evolutionärer Sicht ja auch wenig Sinn machen, wie Michael Pecka, Mitarbeiter des Neurobiologischen Instituts der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärt: "Das Gehirn ist bezogen auf seine Größe das Organ, welches bei Weitem den größten Anteil an Energie in unserem Körper verbraucht – nämlich etwa 20 Prozent. Wer Evolution nur ein bisschen verstanden hat, der weiß, dass wir es uns unter diesen Umständen nicht leisten können, es nur zu zehn Prozent zu nutzen." Das Gehirn hat viel zu tun: mit Atmung, Sinneswahrnehmungen, Filtern von Eindrücken. Es erhält uns am Leben und ermöglicht nebenbei noch das, was wir "Bewusstsein" nennen. Aber braucht es dafür zu jedem Zeitpunkt wirklich alle Nervenzellen?

Was macht ein Gehirn eigentlich so den ganzen Tag?

Nervenzellen – auch Neurone genannt – sind untereinander verbunden: Sie kommunizieren über Botenstoffe und elektrisch über Aktionspotenziale. Aber auch wenn Neurone gerade keine Signale "abfeuern", können sie viel beschäftigt sein: "Wenn eine Nervenzelle sich 'entscheidet', eine Information nicht weiterzuleiten, dann ist das auch eine wichtige Funktion und besitzt einen eigenen Informationsgehalt", erklärt Pecka. "Deswegen tun wir uns so schwer, nur anhand von Aktionspotenzialen von 'aktiven' Zellen zu sprechen."

Selbst wenn man nur diese Potenziale messen würde, würde man nach einigen Minuten überall im Gehirn Signale detektieren, ist Pecka sich sicher. "Es gibt sogar 'Spontanaktivität': Ein Gebiet, das scheinbar nichts macht, feuert einfach ohne erkennbare Reizeinwirkung", führt Pecka aus. Dieses spontane Feuern zeigen Neurone wohl unter anderem, um in Form zu bleiben. Denn hätten sie wirklich lange Zeit nichts zu tun, behielte das Gehirn sie nicht etwa als Reserve für schlechte Zeiten. Die Neurone würden abgebaut, selbst wenn sie theoretisch gesund sind. Das kann zum Beispiel bei Unfällen oder Hirnschäden geschehen. Sind die Neurone dann einmal weg, kommen selten welche nach. "Die Neubildung von Neuronen ist nur im Hippocampus nachgewiesen – einer Region, die hauptsächlich für das Ortsgedächtnis zuständig ist. Eine zweite Region ist der olfaktorische Bulbus, eine Riechregion im Gehirn, quasi die erste Station nach der Nase. Da entstehen zwar neue Neurone, aber dafür sterben auch welche ab. In anderen Hirnregionen geht man davon aus, dass keine Neubildung von Neuronen stattfindet", sagt Pecka.

Neurone brauchen eine Aufgabe

Nervenzellen wollen also beschäftigt werden, um am Leben zu bleiben. Nicht selten werden unterbeschäftigte Nervenzellen daher umgeschult: So ist es zum Beispiel nachgewiesen, dass Sehregionen bei erblindeten Menschen Aufgaben des Hörsinns übernehmen. Dabei werden nicht die Neurone selbst, sondern die Verbindungen zwischen ihnen ab- und aufgebaut. Die daraus entstehenden flexiblen Netzwerke unterscheiden das Gehirn in seiner Funktionsweise grundlegend von einer starren Computerfestplatte.

Gehirnjogging und andere "Trainings fürs Gehirn" zielen auf diesen Effekt ab: Indem wir lernen und bestimmte Fähigkeiten trainieren, bilden sich neue Verbindungen aus oder bestehende festigen sich. Die Gehirnkapazität selbst wird nicht "vergrößert" – ebenso wenig, wie Medikamente wie Ritalin oder Amphetamine das machen. Sie erhöhen stattdessen unsere Aufmerksamkeit, indem sie die Konzentration der Botenstoffe verändern, über die Neurone miteinander kommunizieren.

Die Wissenschaft ist schuld – ein bisschen

Gemessene Aktivitäten im gesamten Gehirn, die Bildung interaktiver Netzwerke, Abbau oder anderweitige Nutzung brachliegender Neurone – in der Wissenschaft besteht kein Zweifel daran, dass unser gesamtes Gehirn ständig im Einsatz ist. Wenn wir es aber längst besser wissen – woher stammt der Glaube, dass wir es nur zum Teil nutzen? Vielleicht trägt die anschaulichste Methode der Hirnforschung – bildgebende Scans wie die funktionelle Magnetresonanztomografie – zu seinem Bestehen bei. So leuchten auf einem Bildschirm immer nur begrenzte, klar definierte Bereiche des Gehirns auf, während ein Proband irgendeine Handlung ausführt. Dabei bedeuten die bunten Bereiche nicht, dass nirgendwo anders Aktivität zu finden ist. Pecka stellt klar: "Bei den Messungen wird die Grundaktivität einfach auf null gesetzt. Erst das, was signifikant über diese Aktivität geht, wird eingefärbt." Den Rest hinterlegt man einfach grau – obwohl auch dort Neurone fleißig am Arbeiten sind.

Was passiert wenn wir 100% unseres Gehirns nutzen?

Ist es möglich 100% seines Gehirns zu nutzen?

Die Aussage, dass der Mensch normalerweise nur einen kleinen Prozentsatz, beispielsweise 10 Prozent, seiner Gehirnkapazität oder seines Gehirnpotentials nutzt und die restlichen 90 Prozent brach liegen, ist ein weit verbreiteter Mythos.

Was passiert wenn man 100 Prozent seines Gehirns nutzen könnte Film?

Durch den Einfluss der geheimnisvollen Droge kann sie plötzlich auf 100 Prozent ihres Gehirns zugreifen – ganz anders als der Durchschnittsmensch, der angeblich nur einen kleinen Teil seiner Gehirnkapazitäten abrufen kann. Das behauptet zumindest der von Morgan Freeman gespielte Professor Norman.

Warum nutzen wir nur 10 Prozent unseres Gehirns?

Dass an den „10 Prozent“ nichts dran ist, kann man sich leicht klarmachen: Es gibt viele Patienten, bei denen – zum Beispiel durch einen Unfall oder einen Schlaganfall – Teile des Gehirns geschädigt sind. Würden wir wirklich nur 10 Prozent nutzen, dann würden die meisten Hirnschädigungen ohne Folgen bleiben.

Wie viel Prozent benutzen wir von unserem Gehirn?

Man kann allenfalls eine untere Grenze angeben, die sich vielleicht bei 1.000 Gigabyte bewegt. Aber auch diese Angabe ist im Grunde eine ziemlich willkürliche Schätzung. Das Problem ist, dass das Gehirn Information deutlich anders verarbeitet als ein Computer.