Wann muss man Sozialhilfe zurückzahlen Schweiz?

Kurzarbeitsentschädigung und Corona-Erwerbsersatz müssen nicht zurückerstattet werden. Es stellt sich daher die Frage, ob auch die in dieser besonderen und ausserordentlichen Lage bezogene Sozialhilfe von der Rückerstattungspflicht ausgenommen werden soll.

Dabei gilt es zu beachten, dass auch vor den Epidemie-Massnahmen häufig strukturelle Ursachen für den Sozialhilfebezug verantwortlich waren und nicht primär individuelles Verschulden.

Wann muss man Sozialhilfe zurückzahlen Schweiz?
Zur Verfügung stehendes Ermessen soll ausgeschöpft werden (Bild: Palma Fiacco)

Die bestehenden Empfehlungen der SKOS zur Rückerstattung sehen folgendes vor:

  • Rechtmässig bezogene Unterstützungsleistungen müssen rückerstattet werden, wenn eine ehemals unterstützte Person in günstige finanzielle Verhältnisse gelangt.
  • Bei günstigen Verhältnissen aufgrund Erwerbseinkommen ist auf eine Geltendmachung der Rückerstattung zu verzichten. Wo die gesetzlichen Grundlagen eine Rückerstattung aus Erwerbseinkommen vorsehen, ist eine grosszügige Einkommensgrenze zu gewähren und die zeitliche Dauer der Rückerstattung ist zu begrenzen.
  • Wenn jemand aufgrund der besonderen odern ausserordentlichen Lage innerhalb von kurzer Zeit auf Sozialhilfe angewiesen ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Person zuvor in günstigen finanziellen Verhältnisse befunden hat. Daher wird sich die Frage nach der Rückerstattungspflicht in vielen Fällen nicht konkret stellen. In Kantonen und Gemeinden mit strengeren Rückerstattungsregeln ist zu empfehlen, dass die Sozialhilfeorgane das ihnen zur Verfügung stehende Ermessen bei der Prüfung der Rückerstattungspflicht im Sinne der unterstützten Personen ausschöpfen.

Eine Viertelmillion bekommen Berner soll mit Erbe Sozialhilfe zurückzahlen

Bittere Pille für einen Mann aus dem Kanton Bern: Er erbte rund eine Viertelmillion Franken, darf sie aber nicht behalten. Denn er bezog jahrelang Sozialhilfe und muss diese nun zurückzahlen.

Ein Berner muss mit seinem Erbe Sozialhilfegelder zurückzahlen.

Während über 20 Jahren war ein Mann aus dem Berner Seeland auf Sozialhilfe angewiesen. Als er 2019 das Pensionsalter erreichte, erhielt er neben der AHV-Rente auch Ergänzungsleistungen. Viel zum Leben hatte er trotzdem nicht. Im Sommer 2020 wendete sich das Blatt für ihn, er erbte rund 261'000 Franken.

Korrekterweise informierte er den Sozialdienst über die Hinterlassenschaft. Und dieser forderte einen Teil der bezahlten Sozialhilfe zurück – rund 200'000 Franken!

Der Berner wehrte sich gegen den Entscheid. Wie das «Bieler Tagblatt» berichtet, wurde die Beschwerde aber nun beim Verwaltungsgericht abgelehnt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Fehlende Vermittlungsfähigkeit

Bei seiner Beschwerde erwähnte der Mann, dass er von 2010 bis 2019 einer selbstständigen Erwerbstätigkeit als Handwerker nachgegangen sei. Die Tätigkeit sei als «soziale Integration» anerkannt worden. Die Arbeit sei seiner Meinung nach bei der Rückzahlungspflicht zu berücksichtigen.

Doch laut dem Sozialdienst handelte es sich dabei nicht um eine eigentliche berufliche Wiedereingliederung. Vielmehr sei es ein Ausnahmefall gewesen, um seine soziale Integration wegen seiner fehlenden Vermittlungsfähigkeit sicherzustellen.

Auch das Gericht stellte sich in seinem Urteil hinter den Sozialdienst. Dieser habe nie eine Zusicherung gegeben, dass die Integrationsmassnahme als Erwerbstätigkeit zähle. Und: Der Sozialdienst habe auch nie gesagt, dass die während dieser Dauer bezahlte Sozialhilfe nicht der Rückerstattungspflicht unterliege.

Wollte Wohnung kaufen

In seiner Beschwerde wies der Berner zudem darauf hin, dass er weiterhin auf Ergänzungsleistungen angewiesen wäre, sofern er die Sozialhilfe zurückzahlen müsse. Dazu habe er auch noch Schulden in Höhe von über 50'000 Franken, die er ohne das Erbe nicht bezahlen könne.

In seinem Urteil stellte das Gericht aber klar, dass der Mann nie beabsichtigt hätte, mit einem Teil des Geldes seine Schulden zu begleichen. Im Gegenteil: Er habe sogar angegeben, dass er darüber nachdenke, die Erbschaft in Wohneigentum zu investieren. Zudem hätte der Mann in seiner Beschwerde auch nicht geltend gemacht, dass die Rückforderung ihn in eine Notlage bringen würde. (bra)

In verschiedenen Aargauer Gemeinden ist es Praxis, dass von Armut betroffene Menschen kurz vor der Pensionierung rechtmässig bezogene Sozialhilfeleistungen mit ihrem Altersguthaben zurückerstatten müssen. Das Bundesgericht erachtet die Vorgehensweise als zulässig. Die Aargauer Politik ist dem einen Schritt voraus und will die stossende Praxis abschaffen.

In einem Urteil vom 24. November 2021 kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass die ausbezahlten Freizügigkeitsguthaben der Pensionskasse verwendet werden können, um Sozialhilfeleistungen zurückzuzahlen. Die entsprechende Praxis in verschiedenen Aargauer Gemeinden verstosse nicht gegen Bundesrecht.

Die Beschwerdeführerin, eine heute 63-jährige Frau, bezog während mehreren Jahren wirtschaftliche Sozialhilfe von der Gemeinde Oberentfelden im Kanton Aargau. Aufgrund ihrer bevorstehenden Pensionierung verzichtete die Gemeinde im Jahr 2019 darauf, die Betroffene zur Stellensuche aufzufordern. Es wurde jedoch erwartet, dass sie einige Stunden Freiwilligenarbeit pro Tag leistet oder alternativ ihr Pensionskassenguthaben bezieht und damit einen Teil der bezogenen Sozialhilfe zurückerstattet. Nach einer rechtlichen Beratung versagte die Beschwerdeführerin die Zustimmung zur erarbeiteten Rückerstattungsvereinbarung. Gemäss eigener Aussagen hat sie ihre Bereitschaft zur Freiwilligenarbeit ausdrücklich bestätigt. Im Juli 2019 erhielt sie ihr Pensionskassenguthaben, 132‘142 Schweizer Franken, ausbezahlt. Im Oktober desselben Jahres forderte der Gemeinderat Oberentfelden die Beschwerdeführerin dazu auf, einen Teil ihrer bezogenen wirtschaftlichen Sozialhilfe – 66‘565 von insgesamt 162‘232 Schweizer Franken – zurückzuerstatten.

Die Betroffene wehrte sich mit Unterstützung der Unabhängigen Fachstelle für Sozialrecht (UFS) gegen diesen Entscheid und zog bis vor Bundesgericht. Dieses erachtet die Aargauer Praxis jedoch als zulässig: Zur Rückerstattung von Sozialhilfeleistungen bei verbesserten wirtschaftlichen Verhältnissen (Art. 20 SPG) könne das Freizügigkeitsguthaben herangezogen werden.

Im Widerspruch zur Verfassung

Nach Ansicht der Beschwerdeführerin widerspricht die Aargauer Praxis dem in Artikel 113 der Bundesverfassung festgehaltenen Zweck von Pensionskassenguthaben. Diese sollen – gemeinsam mit der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) – die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise sicherstellen, also dem Lebensunterhalt im Alter dienen. Wenn die Altersgelder jedoch der Gemeinde zurückerstattet werden müssten, um Sozialhilfebezüge zu begleichen, werde dieser Zweck vereitelt. Indem die kantonalen Bestimmungen nicht bundesrechtskonform ausgelegt wurden, sei der durch Artikel 49 Absatz 1 der Bundesverfassung garantierte Vorrang des Bundesrechts verletzt worden. Schliesslich würden auch die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) vorschreiben, dass aus Pensionskassenguthaben grundsätzlich keine Rückzahlung von Sozialhilfeleistungen erfolgen können.

Kein besonderer Schutz für Freizügigkeitsguthaben

Das Bundesgericht kommt in seinem Urteil zum Schluss, dass Artikel 113 der Bundesverfassung keinen individualrechtlichen Gehalt aufweist und deshalb nicht gerügt werden kann. Es sei zudem nicht ersichtlich, inwiefern die kantonalen Erlasse «gegen den Sinn und Geist des Bundesrechts verstossen und dessen Zweck beeinträchtigen oder vereiteln würden».

Personen mit Pensionskassenguthaben können bei ihrer Pensionierung entscheiden, ob sie sich das Guthaben ausbezahlen lassen oder eine monatliche Rente beziehen wollen. Indem die Beschwerdeführerin das Pensionskassenguthaben bezogen hat, steht ihr das Geld gemäss Bundesgericht frei zur Verfügung – wodurch auch Gläubiger*innen darauf zugreifen können. Dazu gehöre die Möglichkeit, das Guthaben für die Rückzahlung der Sozialhilfe heranzuziehen. Anderweitig bestünden keine berufsvorsorglichen Bestimmungen, die einem bezogenen Freizügigkeitsguthaben besonderen Schutz vermitteln würden.

Beschränkte Pfändbarkeit

Gemäss Bundesgericht haben die kantonalen Vorinstanzen die Rechtslage jedoch nicht in allen Teilen korrekt erfasst. Das Gericht stellt klar, dass Pensionskassenguthaben, die im Rahmen einer vorzeitigen Pensionierung ausgezahlt werden (Art. 16 FZV), auch nach ihrer Auszahlung nur beschränkt gepfändet werden können (Art. 93 SchKG). Eine Pfändung ist nur möglich bis zur Höhe der jährlichen Rente. Damit werde dem vorsorgerechtlichen Zweck, wonach diese Mittel dem Lebensunterhalt im Alter dienen sollen, bundesrechtlich Rechnung getragen.

In Zukunft dürfte das bundesgerichtliche Urteil dazu führen, dass auch im Kanton Aargau die Kapitalzahlung in eine Rente umgerechnet und anschliessend die pfändbare Quote berechnet wird. So werden in den meisten Fällen keine oder nur sehr bescheidene Rückzahlungen von Sozialhilfeleistungen mit Pensionskassenguthaben nötig sein, was die betroffenen älteren Sozialhilfebeziehenden entlastet.

Die Politik reagiert

Die Unabhängige Fachstelle für Sozialhilferecht begrüsst, dass das Bundesgericht die Aargauer Praxis mit der beschränkten Pfändbarkeit von ausbezahlten Freizügigkeitsguthaben zumindest teilweise korrigiert. Gleichzeitig bedauert sie, dass das Gericht die Rückerstattung von rechtmässig bezogenen Sozialhilfeleistungen mit Geldern aus der Altersvorsorge grundsätzlich als zulässig erachtet. Nach Meinung der Fachstelle widerspricht dies dem vorgesehenen Zweck der Altersvorsorge.

Auch bei anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen stiess die Praxis der Gemeinden auf wenig Verständnis. Die Allianz «Austausch Armut» kritisierte die Vorgehensweise der Behörden in einem Positionspapier vom März 2021 aufs schärfste. Die Sozialhilfe entspeche dem Bedarfs- und nicht einem Schuldprinzip. Es stelle damit auch keine Schuld dar, wenn keine Hilfe mehr benötigt werde. Vielmehr brauche eine tatsächliche Chance zu einem Neustart ohne Schulden.

Die vom kantonalen Verwaltungsgericht und vom Bundesgericht geduldete Praxis einzelner Gemeinden führt zu stossenden Ergebnissen: Während Betroffene eines Gemeinwesens fast ihr gesamtes Freizügigkeitsguthaben abgeben müssen, bleiben die Pensionär*innen der Nachbargemeinde verschont. Darüber hinaus verletzt ein Zwang, das Vorsorgeguthaben für die Rückzahlungen von Sozialhilfeschulden zu verwenden, die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS. Danach gehören «ausgelöste Guthaben der Altersvorsorge (…) zum anrechenbaren Vermögen und sind für den aktuellen und zukünftigen Lebensunterhalt zu verwenden» (D.3.3. Altersvorsorge). Diese Meinung vertritt nicht zuletzt auch der Bundesrat, was er in einer Stellungnahme zur Motion «Keine Zweckentfremdung von Altersguthaben» vom Februar 2021 darlegte. Ein gesetzliches Verbot für Rückerstattungen von Sozialhilfe durch angesparte obligatorische Vorsorgeguthaben lehnt er jedoch ab: Den Vorsorge- und Freizügigkeitseinrichtungen würden die Mittel fehlen, entsprechende Zahlungen an die Sozialhilfebehörden zu verhindern.

Die Aargauer Regierung ist der Debatte einen Schritt voraus: Der Regierungsrat hat den Gemeinden vorgeschlagen, in Zukunft auf die Rückzahlung der bezogenen Sozialhilfeleistungen mit Pensionskassenguthaben zu verzichten. Damit kommt er den Forderungen aus dem Kantonsparlament nach. Der Grosse Rat überwies bereits im Mai 2021 ein Postulat, wonach Freizügigkeitsleistungen als Altersvorsorge zu definieren seien und für die Rückerstattung der Sozialhilfe nicht mehr zur Verfügung stehen sollen.

Weitere Informationen

  • Ein ambivalenter Entscheid des Bundesgerichts
    Unabhängige Fachstelle für Sozialrecht (UFS), 17. Dezember 2021
  • Mit PK Sozialhilfe zurückzahlen – Bundesgericht stützt umstrittene Aargauer Praxis
    watson, 17. Dezember 2021

Wann muss ich Sozialhilfe zurückzahlen?

Wenn ein Vermögen realisiert werden kann Personen, welche Sozialhilfe bei vorhandenem, aber nicht verwertbarem Vermögen (z.B. unverteilte Erbschaft) beziehen, sind verpflichtet, die bezogene Sozialhilfe zurückzuerstatten, sobald das Vermögen realisiert bzw. verwertet werden kann.

In welchem Kanton muss man Sozialhilfe zurückzahlen?

Die Kantone St. Gallen, Thurgau und Aargau fordern Leistungen zurück, wenn sich die finanzielle Lage der ehemals unterstützten Person gebessert hat und die Rückerstattung wirtschaftlich zumutbar ist. Sozialleistungen müssen also auch aus späteren Lohneinkünften zurückbezahlt werden.

Wie lange kann das Sozialamt Geld zurückfordern?

Für den Anspruch des Sozialamtes, die Kosten von den Erben zurück zu fordern gilt eine Verjährungsfrist von 3 Jahren ab dem Tod der hilfebedürftigen Person.

Wann wird Sozialhilfe gestrichen?

Der Bundesrat hat am 10.6.2022 das elftes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch gebilligt. Damit erfolgt eine Aussetzung von Hartz IV-Sanktionen bis Mitte 2023.