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  • Elsevier Public Health Emergency Collection
  • PMC7152394

Innere Medizin. 2008 : 571–745.

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Guest Editor (s): M. Classen, V. Diehl, and K. Kochsiek

Zur Orientierung

Infektionskrankheiten werden durch Pathogene verursacht, die sich im Wirt vermehren: Ektoparasiten, Helminthen, Protozoen, Pilze, Bakterien, Viren, Prionen. Infektionskrankheiten können alle Organe bzw. Organsysteme befallen. Entstehung und Verlauf werden durch Faktoren beeinflusst, die sich grob einteilen lassen in Erreger- und Wirtsfaktoren. Die Kenntnis und richtige Einschätzung dieser Faktoren sind entscheidend für Diagnostik und Therapie dieser Erkrankungen.

13.1. Allgemeine klinische Infektiologie

13.1.1. Einführung

Bedeutung von Infektionskrankheiten Infektionskrankheiten sind weltweit die häufigste Todesursache. An Malaria erkranken 200–300 Mio. Menschen und 1–2 Mio. sterben jährlich daran. Die Zahl der mit Mycobacterium tuberculosis Infizierten beträgt ca. 2 Mrd., jährlich sterben davon nahezu 2 Millionen. Infektionen sind vor allem im Zusammenhang mit Armut eine häufige Krankheitsursache, aber auch in den Industrieländern keineswegs bedeutungslos. So hat die Mortalität an Infektionen in USA in den letzten Jahren um etwa 60% zugenommen. Dies ist durch einen Wandel der Patientenkollektive bedingt: Die Zahl der immunsupprimierten Patienten hat sich u. a. durch neue Therapieformen in Onkologie, Immunologie und Transplantationsmedizin rasch erhöht.

Neue Infektionen Neue Infektionserreger (z. B. HIV, SARS, Hantaviren mit bisher unbekanntem Krankheitsspektrum und Prionen) haben sich ausgebreitet oder sind entdeckt worden. Hierfür werden Ausdehnung der Siedlungsräume, Änderungen der Nahrungsmittelproduktion, Reisebewegungen und Klimaveränderungen verantwortlich gemacht. Diese Entwicklung wurde mit dem Schlagwort der „emerging infections“ belegt.

Entwicklung von Antibiotikaresistenzen Die breite Anwendung antimikrobieller Substanzen hat auch die Entwicklung von Resistenzen gegen diese Medikamente zur Folge. Viele Erreger, z. B. Pneumo- oder Staphylokokken, haben in den letzten Jahren eine rasche Zunahme an Resistenzen gezeigt. Insbesondere nosokomiale Infektionen sind deshalb oft schwer zu behandeln.

13.1.2. Diagnostik bei Infektionskrankheiten

Vorrangig sind:

  • 1.

    Bewertung des klinischen Zustands

  • 2.

    zeitgerechte Intervention

  • 3.

    rasche Identifizierung des Erregers.

Die Diagnose einer Infektionskrankheit beruht auf Anamnese, klinischer Untersuchung und speziellen Untersuchungen (laborchemisch, kulturell, serologisch oder histologisch).

Klinische Symptome

Kein Symptom ist spezifisch, allerdings ist eine Reihe von Symptomen und klinischen Zeichen hinweisend. Dazu gehören:

  • systemische Symptome einer Entzündungsreaktion: Fieber, Granulozytose, erhöhte Akute-Phase-Proteine

  • lokale Symptome einer Entzündungsreaktion: z. B. Pollakisurie bei Infektionen der ableitenden Harnwege (Tab. 13.1 ).

    Tab. 13.1

    Befunde, die auf eine Infektionskrankheit hinweisen

    Fieber/Schüttelfrost
    Blutbildveränderungen
    • Leukozytose oder -penie, Linksverschiebung

    • Lymphozytose oder -penie

    • Thrombopenie

    Lymphadenopathie
    Hautveränderungen
    • Fokale Läsionen

    • Exantheme

    • Schleimhautveränderungen

    Hepatosplenomegalie
    Erhöhung der Akute-Phase-Proteine

Oft ist die Unterscheidung zwischen infektiösen und nichtinfektiösen Erkrankungen mit einer entzündlichen Komponente schwer. Andererseits können z. B. bei Patienten mit Immundefekten Symptome oder Zeichen trotz bestehender Infektion fehlen.

Hautveränderungen als Symptom Viele Infektionskrankheiten zeigen eine Mitbeteiligung der Haut, mit fokalen Läsionen bei bakterieller Endokarditis oder als Exanthem bzw. Enanthem bei Viruserkrankungen. Hautveränderungen können pathognomonisch sein, so bei Meningokokkensepsis und den damit verbundenen petechialen Blutungen und später großflächigen Ekchymosen. Hautveränderungen, auch im zeitlichen Verlauf, können wichtige differentialdiagnostische Hinweise liefern.

Diagnostisches Vorgehen

Der erste Schritt ist die Beurteilung des klinischen Zustandes (Abb. 13.1 ). Bei kritisch kranken Patienten muss zunächst parallel zu supportiven Maßnahmen eine rasche empirische antiinfektive Therapie erwogen und ggf. begonnen werden. Die Diagnostik kann aber meist ohne Zeitverlust in den Ablauf integriert werden. Infektionskrankheiten, die einen kritischen Zustand eines nicht immundefizienten Patienten verursachen, sind vor allem bakterielle Sepsis, Meningitis und bakterielle Pneumonie, aber auch Malaria tropica.

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Diagnostisches Vorgehen bei Verdacht auf eine Infektionskrankheit.

Anamnese Hier sind mögliche Erregerexpositionen, der zeitliche Ablauf der Erkrankung und die Prädisposition des Wirts zu beachten.

  • Nicht für alle Infektionen ist eine besondere Exposition eruierbar (Tab. 13.2 ). Kontakte zu anderen Erkrankten, Reiseanamnese, Nahrungsaufnahme, Berufsanamnese, Freizeitbeschäftigungen, Tierkontakte inklusive Insektenstiche, vorherige Erkrankungen und deren Therapie, Medikamenten-, Drogen- sowie Sexualanamnese müssen berücksichtigt werden.

    Tab. 13.2

    Infektionswege

    InfektionswegBeispiele
    Direkte Übertragung

    • Tröpfcheninfektion

    Respiratorische Virusinfektionen, Tuberkulose
    • Haut- oder Schleimhautkontakt

    Infektiöse Mononukleose, Syphilis
    • Transkutan

    Tollwut
    • Transplazentare Infektion

    Röteln, Toxoplasmose, Zytomegalievirus

    Indirekte Übertragung

    • Vehikelassoziiert

    Salmonellen-Enteritis, Übertragung von Hepatitis durch Blutprodukte, Übertragung von Pathogenen durch i.v. Drogen
    • Vektorassoziiert

    Malaria, Gelbfieber, Leishmaniosen
    • Aerosol

    Legionellose, Q-Fieber

  • Der zeitliche Ablauf der Krankheitsentwicklung muss geklärt werden. Nahezu alle Infektionserreger haben charakteristische Zeitintervalle zwischen Exposition und Erkrankung (Inkubationszeiten). So sind bakterielle Erreger durch Inkubationszeiten von einigen Tagen gekennzeichnet, während Viruserkrankungen meist Inkubationszeiten von einigen Wochen haben (viele Ausnahmen!). Zusätzlich treten bei vielen Erregern saisonale Häufungen auf.

  • Die Prädisposition des Wirts als dritte Komponente umfasst die frühere Anamnese (speziell Infektionen, vorgenommene Impfungen), andere Erkrankungen oder Organschädigungen und die Beurteilung des klinischen Status, z. B. die Integrität von Haut und Schleimhäuten.

Spezifische Untersuchungen Blutkulturen müssen bei allen kritisch kranken, bei allen systemisch kranken und/oder fiebernden Patienten entnommen werden. Hierbei sind eine rasche und frühe Entnahme (vor Antibiotikagabe), ausreichende Blutmenge pro Flasche (mind. 5–8 ml je nach System), eine ausreichende Zahl von Blutkulturen (mindestens zwei, je als aerob-anaerobes Paar von Blutkulturen) und sterile Abnahme wichtig.

Die weitere Diagnostik richtet sich nach den Symptomen oder Befunden, z. B. Sputum-, Urin-, Abstrichuntersuchungen Untersuchungen von Organpunktaten.

Bei allen Untersuchungen ist auf Entnahmetechnik, Aufbewahrung und richtigen Transport zu achten. Sputum z. B. muss vor der ersten Gabe von Antibiotika entnommen und innerhalb weniger Stunden aufgearbeitet werden, ansonsten sind Pathogene nicht mehr nachweisbar.

Der rationale Einsatz von serologischen Untersuchungen wie auch die Aufbewahrung von Serumproben zur späteren Untersuchung von Initial- und Rekonvaleszentenserum kann zur Diagnostik sinnvoll sein wie auch spezielle Verfahren z. B. Polymerasekettenreaktion-Untersuchung einer Biopsie.

13.1.3. Wirts- und Pathogenitätsfaktoren

Wirts- und Pathogenitätsfaktoren beeinflussen Entstehung und Ablauf von Infektionskrankheiten.

Wirtsfaktoren lassen sich einteilen in unspezifische (angeborene) und spezifische (erworbene, Tab. 13.3 ). Zu den unspezifischen Faktoren gehören Barrieremechanismen von Haut und Schleimhäuten, aber auch Mechanismen, mit denen Erreger aktiv bekämpft werden können. Spezifische Funktionen des Immunsystems sind gegen einzelne Erreger gerichtet. Beide Systeme weisen eine Vielzahl von Interaktionen auf.

Tab. 13.3

Abwehrmechanismen gegen Infektionen

Unspezifische Mechanismen
  • Chemische Barrieren

  • Epithelien

  • Monozyten/Makrophagen

  • Granulozyten

  • Natural-Killer(NK)-Zellen

  • Komplementsystem

  • Akute-Phase-Reaktion


Spezifische Mechanismen

  • Antikörper

  • T-zelluläres Immunsystem

Mit Pathogenität wird die Eigenschaft eines Mikroorganismus bezeichnet, eine Erkrankung auslösen zu können. Virulenz ist der Grad der Pathogenität innerhalb einer Spezies. Notwendige Bedingungen für die Pathogenität eines Erregers sind:

  • 1.

    in Gewebe oder Zellen anhaften oder eindringen zu können,

  • 2.

    im Körper zur Replikation fähig zu sein.

Unspezifische Immunitätsmechanismen

Synonym: angeborene Immunitätsmechanismen

Epithelbarrieren und -läsionen

Haut und Schleimhaut haben mehrere Barrieren, um ein Eindringen von Pathogenen zu erschweren oder vermeiden. Dazu gehören neben den anatomischen auch chemische Barrieren, z. B. die Fettschicht der Epidermis, aber auch antibakterielle Substanzen, wie das in mukosalen Sekreten vorhandene Lysozym.

Unspezifische zelluläre Immunität

Monozyten und Makrophagen, Granulozyten und Natural-Killer(NK)-Zellen sind die wichtigsten Zellpopulationen dieses Systems. Die Zellen des Monozyten-Makrophagen-Systems und Granulozyten weisen Moleküle auf, mit denen erregerspezifische Strukturen (z. B. Lipopolysaccharide, bestimmte DNA-Sequenzen oder doppelsträngige RNA) erkannt werden können. Diese Strukturen werden als Pathogen-assoziierte molekulare Pattern (PAMP) bezeichnet. Ein Beispiel für solche Rezeptoren sind die nach einer Homologie mit einem Rezeptor der Drosophila-Fliege bezeichneten TLR (Toll-like-Rezeptoren). Die Bindung von erregerspezifischen Strukturen an diese Moleküle führt zur raschen Aktivierung einer Entzündungskaskade.

Natural-Killer-Zellen sind Lymphozyten, die durch Antigen-Antikörper-Komplexe oder durch Zellen, die keine MHC-(Major-Histocompatibility-Complex)-Moleküle auf der Oberfläche exprimieren, aktiviert werden können.

Unspezifische humorale Immunität

Die Proteine des Komplementsystems können nach Aktivierung im Blut zirkulierende Erreger lysieren. Störungen des Komplementsystems führen zu Infektionen mit polysaccharidbekapselten Erregern, z. B. Pneumokokken und Meningokokken.

Als Akute-Phase-Reaktion wird die Produktion von Proteinen und Peptiden bezeichnet, die nach einer Infektion oder Entzündungsreaktion abläuft. Involviert sind Makrophagen, die vor allem Interleukin (IL-1), TNF-α, Interferon-α, IL-6 und eine Reihe von Prostaglandinen und Arachidonsäuremetaboliten produzieren.

Eine Kooperation dieser beiden Systeme findet bei jeder lokalen Entzündungsreaktion statt. Aktivierte Granulozyten und Makrophagen produzieren chemotaktische Substanzen, aktivieren Adhäsionsmoleküle in den lokalen Endothelien und sorgen so für eine verstärke Einwanderung von Entzündungszellen (Abb. 13.2 )

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Folgen einer lokalen Invasion von Erregern. Phagozytose durch gewebsständige Makrophagen ↔ Produktion von Zytokinen ↔ intravasale Expression von Leukozytenadhäsionsmolekülen und Migration von Granulozyten gegen den Gradienten der Mediatoren an den Ort der Entzündung.

Defekte des unspezifischen Immunsystems
  • Verletzungen von Epithelien begünstigen die Invasion von Erregern, z. B. nach zytostatischer Therapie mit Abschilferung der intestinalen Schleimhaut. Der aktive Partikeltransport des Flimmerepithels des Respirationstraktes ist bei Rauchern und bei Patienten mit zystischer Fibrose gestört. In beiden Fällen ist die Rate von Infektionen des Respirationstraktes deutlich erhöht.

  • Neutropenie oder Funktionsstörungen der Granulozyten führen zu häufigen bakteriellen Erkrankungen und invasiven Mykosen.

  • Das Fehlen von Natural-Killer-Zellen führt u. a. zu schweren Infektionen mit Herpesviren.

Spezifische Immunitätsmechanismen

Synonym: erworbene Immunitätsmechanismen

Die wesentlichen Mechanismen sind die Bildung von Antikörpern durch B-Zellen sowie spezifischer T-Effektorzellen. Beide Zellsysteme haben eine hohe genetische Plastizität und können eine hohe Zahl spezifischer Antigene erkennen.

Spezifische zelluläre Immunitätsmechanismen

T-Lymphozyten repräsentieren die spezifische zelluläre Immunität. Die wichtigsten funktionellen Gruppen sind T-Helferzellen und zytotoxische T-Zellen. Damit Antigene durch die Effektorzellen erkannt werden können, sind eine Prozessierung und Präsentierung durch zelluläre Mechanismen notwendig.

Präsentation von Antigen Bakterielle oder virale Proteine werden intrazellulär in Oligopeptide zerlegt, und über MHC-(Major-Histocompatibility-Complex)-Moleküle auf der Zelloberfläche präsentiert. „Professionelle“ antigenpräsentierende Zellen nutzen MHC-Klasse-II-, alle anderen Zellen MHC-Klasse-I-Moleküle.

T-Lymphozyten Der Kontakt von „naiven“ T-Helferzellen mit präsentiertem Antigen führt zur Aktivierung, Reifung und klonalen Expansion der betreffenden T-Helferzellen. Diese stimulieren die Bildung von spezifischen zytotoxischen T-Zellen und immunglobulinproduzierenden B-Zellen. Die zentrale Rolle in der Stimulierung der Effektorzellen der spezifischen Abwehr hat dieser Zellgruppe ihren Namen gegeben.

Die eigentlichen Effektorzellen sind die zytotoxischen T-Zellen. Sie erkennen infizierte Zellen durch die Kombination der MHC-Klasse-I-Moleküle mit den Erregerpeptiden und töten sie ab.

Die initale Phagozytose von Erregern und nachfolgende Antigenpräsentation durch Makrophagen mit der Ausbildung einer spezifischen zellulären Immunität durch T-Lymphozyten ist ein Beispiel für das Zusammenwirken unspezifischer und spezifischer Immunmechanismen.

Spezifische humorale Immunitätsmechanismen

Der Kontakt des passenden Antigens mit dem noch unreifen Oberflächenimmunglobulin auf B-Lymphoyzten führt zur Ausbildung und Selektion von Plasmazellen, die entweder IgA, IgE oder IgG mit höherer Spezifität und Avidität produzieren. Immunglobuline können Erreger (z. B. Viren) und Toxine neutralisieren und die Phagozytose und Lyse von Erregern erleichtern.

Immunologisches Gedächtnis

Das spezifische Immunsystem bildet außerdem ein Gedächtnis für vorangegangene Infektionen und reagiert mit einer besseren Abwehr oder sogar Immunität bei Reexposition. Beim Erstkontakt mit dem Erreger kommt es nach rascher Aktivierung, Reifung und Expansion von T- und B-Lymphozyten auch zur Bildung von Gedächtniszellen beider Gruppen.

Defekte des spezifischen Immunsystems

Defekte des spezifischen Immunsystems können angeboren (Agammaglobulinämie, kombiniertes Immundefektsyndrom) und erworben (AIDS) sein. Bei Immunglobulinmangel kommt es vor allem zu Infektionen mit polysaccharidbekapselten Erregern, bei Störungen des T-zellulären Systems zu schweren Infektionen z. B. mit intrazellulären Erregern (z. B. Toxoplasma gondii und Herpesviren).

Pathogenität von Erregern

Synonym: Virulenz

Pathogenitätsfaktoren bei Viren

Viren sind obligat intrazelluläre Erreger, die keinen eigenen Stoffwechsel besitzen. Zur Replikation sind sie auf zelleigene Enzyme angewiesen. Zwei Bedingungen müssen für virale Pathogenität erfüllt sein:

  • 1.

    Das Virus muss eine Oberflächenstruktur besitzen, mit der es an eine Zielzelle binden und dann eindringen kann.

  • 2.

    Durch die Replikation in der Zelle muss entweder eine Störung der Zellfunktion oder eine Immunreaktion auf die Infektion erfolgen.

Ein Pathogenitätsmechanismus ist die Möglichkeit, eine latente Infektion zu erzeugen. So besitzen z. B. humane Herpesviren die Fähigkeit, das Genom in einer inaktiven, aber reaktivierbaren Form in Zellen einzubauen. Die Mechanismen, die das Gleichgewicht zwischen Latenz und produktiver Infektion steuern, sind nur unvollständig bekannt.

Pathogenitätsfaktoren bei Bakterien

Die einfache Kultivierung klonaler Populationen und die Manipulation von Umgebungsbedingungen ermöglichen die Untersuchung bakterieller Pathogenitätsfaktoren. Zusätzlich haben Sequenzierung von bakteriellen Genen und deren gezielte Manipulation das Wissen über Pathogenitätsmechanismen entscheidend vermehrt.

Genetische Regulation von Pathogenitätsfaktoren Neben der chromosomalen Form kann DNA als Plasmid oder Phage vorliegen. Diese „mobilen“ genetischen Elemente erlauben eine genetische Diversifizierung. Chromosomale Gene und externe Gene können für Pathogenitätsfaktoren kodieren, deren Expression einer komplizierten Regelung unterliegen kann.

Adhäsion, Toxinbildung und Immunevasion von Bakterien Wichtige pathogene Mechanismen von Bakterien sind Adhäsion an Epithelien oder die Bildung von Toxinen und Immunevasion:

  • Pili oder Fimbrien bei Escherichia coli werden nach dem identifizierten Gen-P(ap)-Pili genannt. Die Expression dieser Pili wird durch Umgebungsbedingungen (pH-Wert und Temperatur) so moduliert, dass sie vor allem in den ableitenden Harnwegen produziert werden, wo sie zur besseren Adhäsion führen.

  • Häufig ist die Produktion von Toxinen – ebenso wie die von Adhäsionsmechanismen – an Plasmide oder Phagen gebunden. Zur Produktion des Diphtherietoxins muss der betreffende Stamm mit einem Phagen infiziert sein. Andere pathogene Toxine sind Exotoxine von Staphylococcus aureus und der Gruppe-A-Streptokokken, die z. B. für die Toxic-Shock-Syndrome verantwortlich sind.

  • Immunevasionsstrategien richten sich gegen Abwehrmechanismen. Beispiele: Neisseria gonorrhoeae und Haemophilus influenzae entziehen sich durch IgA-spezifische Proteasen der Vernichtung auf der Schleimhaut. Legionella pneumophila kann nach Beladung durch Komplementproteine leichter in Zellen eindringen. Vor allem Keime mit intrazellulärem Vermehrungszyklus haben oft die Fähigkeit, der Phagozytose durch Makrophagen zu entgehen.

LITERATUR

  • Mandell G.L., Bennett J.E., Dolin R. 6th edn. Churchill Livingstone; New York: 2005. Principles and Practice of Infectious Diseases. [Google Scholar]
  • Roitt I.M., Delves P.J. Blackwell; Oxford: 2001. Roitt's Essential Immunology,10th. [Google Scholar]

KEYWORDS

antibiotic resistance ♦ emerging infections ♦ infectious diseases ♦ innate immunity ♦ innate (nonspecific) host defense mechanisms ♦ microbial virulence factors ♦ specific (acquired) host defense mechanisms

13.2. Antimikrobielle Chemotherapie

13.2.1. Antibakterielle Chemotherapie

G. Peters

Antibakterielle Chemotherapeutika sind Substanzen, die im menschlichen Organismus vorhandene bakterielle Krankheitserreger abtöten oder zumindest in ihrem Wachstum hemmen sollen. Dies soll nach dem Ehrlich-Prinzip der selektiven Toxizität geschehen, d.h., der Makroorganismus darf nicht nennenswert geschädigt werden. Es kommt dabei zur komplexen Interaktion zwischen Makroorganismus, Mikroorganismus und Chemotherapeutikum mit wechselseitig möglicher Beeinflussung. Eine medizinisch und auch ökonomisch sinnvolle antibakterielle Chemotherapie wird heute zunehmend durch 3 Faktoren erschwert:

  • Das Patientengut ändert sich mit einem ständig steigenden Anteil an Intensivpflegepatienten und abwehrgeschwächten Patienten.

  • Das Repertoire an zur Verfügung stehenden Chemotherapeutika wird immer größer.

  • Die Resistenz von Bakterien gegen antibakterielle Chemotherapeutika nimmt sowohl quantitativ als auch qualitativ zu.

Jeder Arzt, der eine antibakterielle Chemotherapie durchführen will, muss wichtige Grundprinzipien beherrschen wie auch in wesentlichen Zügen das Spektrum der antibakteriellen Substanzen kennen.

Grundprinzipien der antibakteriellen Chemotherapie

Indikationsstellung

Antibakterielle Chemotherapeutika sind ursächlich wirksame Medikamente und nicht primär gegen Symptome, wie z. B. Fieber, gerichtet. Die Gabe solcher Substanzen setzt also eine exakte Indikationsstellung voraus, es muss mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine durch Bakterien verursachte Infektionskrankheit vorliegen. Die Indikation wird naturgemäß zunächst klinisch gestellt. Hierfür genügen in aller Regel Anamnese, Befunde der klinischen Untersuchung sowie einige klinisch-chemische und radiologische Zusatzbefunde. Gleichzeitig erfolgt die Materialentnahme zur mikrobiologischen Erregerdiagnose, um dadurch die Indikation abzusichern. Die Therapie wird meist vor Erhalt der endgültigen Erregerdiagnose und des Antibiogramms begonnen. Man spricht dann von einer kalkulierten Chemotherapie, d.h., es wird eine empirische Therapie nur auf Basis der klinischen Befunde eingeleitet. Hieraus sollte es in vielen Fällen schon möglich sein, die zu erwartenden Erreger einzugrenzen, aber auch die zu erwartende Resistenzsituation sowohl generell als auch lokal zu kalkulieren. Wenn dann mikrobiologische Befunde – Erregerdiagnose und Antibiogramm – vorliegen, die mit der Klinik korrelierbar sind, kann eine gezielte Chemotherapie durchgeführt werden. Das heißt, die kalkulierte Chemotherapie muss überprüft und evtl. geändert werden.

Auswahl der Chemotherapeutika

Für die Auswahl der Chemotherapeutika müssen klinische, mikrobiologische und pharmakokinetische Kriterien herangezogen werden.

Von Seiten der Klinik sind eventuelle Grundkrankheiten zu berücksichtigen, ferner die Infektionslokalisation und die Tatsache, ob es sich um eine außerhalb (ambulant) oder innerhalb des Krankenhauses (nosokomial) erworbene Infektionskrankheit handelt.

Fallbeispiele

  • Bei immunsupprimierten Patienten mit Aplasie, die durch die Knochenmarkdepression infolge z. B. einer zytostatischen Therapie nur noch wenige funktionsfähige Granulozyten (Leukopenie!) besitzen, ist die Gabe von nur bakteriostatisch wirksamen Chemotherapeutika wie z. B. Tetrazyklinen oder Makroliden sinnlos, da diese nur zu einer Proliferationshemmung und nicht zur Abtötung der Bakterien führen. Die endgültige Keimeliminierung muss durch ein funktionsfähiges Phagozytosesystem (Opsonine, Granulozyten, Makrophagen) erfolgen.

  • Bei einer Infektion im Liquorraum, z. B. Meningitis, ist die parenterale, intravenöse Gabe von Aminoglykosiden nicht indiziert, da diese auch bei entzündeten Meningen die Blut-Liquor-Schranke nicht penetrieren.

  • Die kalkulierte Chemotherapie von innerhalb des Krankenhauses (nosokomial) erworbenen Pneumonien erfordert ein anderes Antibiotikaregime als die der ambulant erworbenen, da hier andere und überwiegend resistentere Bakterien als Erreger zu erwarten sind.

Andere Erkrankungen können die Penetration, Metabolisierung und Elimination von Chemotherapeutika entscheidend beeinflussen.

Fallbeispiele

  • Bei Patienten mit schwerer Funktionsstörung der Leber sind solche Antibiotika kontraindiziert, die überwiegend hepatobiliär metabolisiert bzw. ausgeschieden werden.

  • Aber auch physiologische Gründe, z. B. Schwangerschaft, Still- und Neonatalperiode, können die Gabe verschiedener Antibiotika ausschließen. So können in der Schwangerschaft nur β-Lactam-Antibiotika und Makrolide gegeben werden (Ausnahme: vitale Gefährdung der Mutter!).

Die zu beachtenden bakteriologischen Kriterien betreffen das Wirkspektrum der jeweiligen Antibiotika und deren Aktivität innerhalb dieses Spektrums. Entscheidend ist auch, ob der Wirkeffekt bakterizid (keimabtötend) oder nur bakteriostatisch (proliferationshemmend) ist. Eine ganze Reihe von pharmakokinetischen Eigenschaften der jeweiligen Substanzen wie Säurestabilität, enterale Resorption, Art der Metabolisierung bzw. Elimination, Penetration in Körperkompartimente und -gewebe beeinflusst ebenfalls in der individuellen klinischen Situation die Festlegung des Chemotherapeutikaregimes. Nicht zuletzt spielen toxikologische Gesichtspunkte (s. u.) eine wichtige Rolle.

Durchführung der Chemotherapie

Die Durchführung der Chemotherapie folgt im Prinzip den allgemeinen Grundsätzen der internistischen Pharmakotherapie (Kap. 3), hier nur die zusätzlich besonderen Aspekte der Antibiotikatherapie.

Dosierung Die Dosis des Chemotherapeutikums muss ausreichend hoch sein, um den gewünschten Wirkeffekt sicher zu erreichen.

Dauer Es lassen sich keine allgemein gültigen Regeln aufstellen. So können unkomplizierte Harnwegsinfektionen mit einer Einmalgabe eines potenten Antibiotikums behandelt werden, während für die Therapie einer Osteomyelitis eine mehrmonatige Therapiedauer erforderlich sein kann.

Applikationsart Die parenterale Applikation stellt grundsätzlich den sichersten Applikationsweg dar. Bei schweren und schwersten Infektionsverläufen ist daher dieser Weg zumindest bei Beginn der Therapie immer zu wählen.

Bei einer Umstellung von einer parenteralen auf eine orale Therapie (= Sequentialtherapie) ist darauf zu achten, ob dies mit der parenteral begonnenen Substanz überhaupt möglich ist, d.h., ob sie enteral resorbierbar ist. Eine orale Folgetherapie mit einem anderen Antibiotikum kann nur dann erfolgen, wenn es das gleiche Spektrum wie das zuvor verwandte parenterale Antibiotikum hat.

Für die orale Chemotherapie ist die Compliance des Patienten entscheidend.

Applikationsintervall Die pharmakodynamischen Eigenschaften (= Beziehung von Serumspiegel, Halbwertszeit und Wirkaktivität gemäß minimaler Hemmkonzentration) eines Antibiotikums entscheiden über Einmalgabe, Mehrfachgabe oder Dauergabe.

Die Kombinationstherapie mit zwei oder mehreren Substanzen hat in der kalkulierten Chemotherapie zum Ziel, ein breiteres Spektrum möglicher Erreger abzudecken. In der gezielten Chemotherapie kann eine synergistische Wirkung angestrebt werden, erwiesenermaßen sinnvoll nur für die Gabe von β-Lactam-Antibiotika bzw. Glykopeptidantibiotika mit Aminoglykosiden bei grampositiven Kokken als häufigste angewandte Kombination. Weitere Gründe für die Gabe einer Kombination liegen vor, wenn die Dosiserhöhung einer Substanz aus toxikologischen Gründen nicht mehr möglich ist oder bei einer Mischinfektion mehrere Erreger therapiert werden müssen. Für die Kombinierbarkeit verschiedener Antibiotika gibt es keine verbindlichen Regeln.

„Drug-Monitoring“ Antibiotika, die bei Nierenfunktionsstörungen schnell kumulieren können, wie Aminoglykoside und Vancomycin, müssen dann gemäß Serumspiegelkontrolle dosiert werden.

Nebenwirkungen

Bezüglich allergischer und toxischer Nebenwirkungen unterscheiden sich Antibiotika nicht von anderen Substanzen. Je nach Spektrum der potenziellen Nebenwirkungen, das für die einzelnen Chemotherapeutika sehr unterschiedlich sein kann, müssen entsprechende klinische bzw. laborchemische oder auch funktionelle Kontrollen erfolgen.

Die Besonderheiten einer antibakteriellen Chemotherapie liegen darin, dass sog. biologische Nebenwirkungen (Folge der Hauptwirkung) auftreten können:

  • Beeinträchtigung bzw. Elimination der ortsständigen Normalflora, Wegfall der Barrierefunktion mit Folge von Sekundärinfektionen durch z. B. Viren oder Pilze

  • antibiotikaassoziierte Diarrhö bis zur pseudomembranösen Kolitis durch Schädigung der Darmflora und nachfolgend Clostridium-difficile-Toxin-Wirkung

  • Herxheimer-Reaktion (= Verstärkung proinflammatorischer Zustände durch bakterielle Antigene) (oder ähnliche)

  • Selektion resistenter Bakterien.

Versagen der Chemotherapie

Das Versagen einer antibakteriellen Chemotherapie kann mehrere Gründe haben. Die häufigste Ursache ist die primäre oder sekundäre Resistenz der verursachenden Bakterien.

Primäre Resistenz bedeutet, dass alle Bakterien z. B. einer Spezies oder Gattung gegenüber einem bestimmten Antibiotikum von Natur aus resistent sind.

Sekundäre Resistenz beinhaltet, dass ein Klon einer primär empfindlichen Spezies durch Mutation oder Akquirierung eines Resistenzgens (z. B. auf einem Plasmid) resistent wird.

Unter der Persistenz eines Erregers versteht man das Überleben des Erregers am Infektionsort während einer Antibiotikatherapie. Hierzu kommt es, wenn der Erreger vorübergehend von der Wachstumsphase in eine Ruhephase übertritt, z. B. bedingt durch verschiedene physikalisch-chemische Ursachen am Infektionsort. Da die meisten gebräuchlichen Chemotherapeutika nur auf proliferierende Keime wirken, werden sie nicht eliminiert und können daher nach Absetzen der Antibiotikatherapie zum Rezidiv führen.

Die Ineffektivität einer Antibiotikatherapie kann natürlich auch durch einen Wechsel des ätiologisch bedeutsamen Erregers während der Therapie bedingt sein, aber ebenso durch Fehler in der Durchführung der Chemotherapie (s. o.).

Prophylaxe

Die prophylaktische Gabe von antibakteriellen Chemotherapeutika hat nur wenige, eingeschränkte Indikationsgebiete! Hierzu gehört z. B. die perioperative Antibiotikagabe zur Verhinderung von postoperativen Wundinfektionen und Septikämien, deren Sinn bei bestimmten operativen Eingriffen erwiesen ist.

In seltenen Fällen kann eine Expositionsprophylaxe mit Antibiotika durchgeführt werden, akzeptiert sind hier die Pertussis- und die Meningokokkenmeningitis-Prophylaxe bei besonders gefährdeten Personen, wenn in deren Umgebung ein Erkrankungsfall aufgetreten ist.

Antibakterielle Chemotherapeutika

Heute steht eine große Anzahl von antibakteriellen Chemotherapeutika aus verschiedensten Substanzgruppen zur klinisch-praktischen Anwendung zur Verfügung. Tabelle 13.4 gibt einen orientierenden Überblick über die unterschiedlichen Substanzgruppen mit Beispielen von Einzelsubstanzen. Hieraus lassen sich in geraffter Form das antibakterielle Wirkspektrum, wichtige pharmakologische Eigenschaften und bedeutende potenzielle Nebenwirkungen ablesen. Diese Klassifizierung folgt klinischen Anwendungsgesichtspunkten und nur z. T. der exakten chemischen Einteilung. Wegen der großen Anzahl der zur Verfügung stehenden Chemotherapeutika musste dabei eine Auswahl erfolgen, die sich an deren praktischer Bedeutung orientiert.

Tab. 13.4

Orientierende Antibiotikaklassifizierung

Substanzgruppe
Hauptsächliches Wirkspektrum/Indikation
Wichtige pharmakologische Parameter
Wichtige Nebenwirkungen
1. β-Lactame
Penicilline (bc)
Benzylpenicilline/Oralpenicilline (z. B. Benzylpenicillin, Clemizolpenicillin, Penicillin V, Propicillin) Streptokokken (inkl. Pneumokokken, exkl. Enterokokken), Staphylokokken (nicht Penicillinase bildende), Meningokokken, Gonokokken, Corynebakterien, Peptococcaceae, Propionibakterien, Clostridien, Bacillus sp. (nicht B. cereus), Treponemen (z. B. Lues), Leptospiren Renale Elimination (evtl. Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz); sichere Liquorspiegel nur bei entzündeten Meningen (Schrankenstörung); Gabe in SS und SP möglich Allergische Reaktionen; Neurotoxizität (Überdosierung); interstitielle Nephritis; gastrointestinale Beschwerden bei oraler Gabe
Isoxazolylpenicilline (z. B. Oxacillin, Flucloxacillin) Penicillinasebildende Staphylokokken Wie Benzylpenicilline; nicht ausreichende Bioverfügbarkeit von Oxacillin bei oraler Gabe Allergische Reaktionen; gastrointestinale Beschwerden bei oraler Gabe; Cholestasesymptomatik; Leukopenie
Aminopenicilline (z. B. Ampicillin, Amoxicillin) Wie Benzylpenicilline; zusätzlich H. influenzae, Enterokokken, Listerien, Enterobacteriaceae (z. B. E. coli, P. mirabilis, Klebsiella sp., aber z. T. hohe Resistenzquoten) Wie Benzylpenicilline; bei oraler Gabe von Ampicillin: nicht ausreichende Bioverfügbarkeit und erhöhtes Risiko für antibiotikaassoziierte Kolitis (= biologische Nebenwirkung) Allergische Reaktionen (insbesondere Exantheme); gastrointestinale Beschwerden bei oraler Gabe
In Kombination mit β-Lactamase-Inhibitoren (z. B. mit Clavulansäure oder Sulbactam) Wie Aminopenicilline; zusätzlich wirksam gegen β-Lactamase-positive Stämme von: H. influenzae, Gonokokken, Staphylokokken, Klebsiella sp., Bacteroides sp., Nokardien Bisher noch unzureichende Daten für die β-Lactamase-Inhibitoren bezüglich Liquorgängigkeit und Anwendung in SS und SP Wie Aminopenicilline
Breitspektrumpenicilline (z. B. Mezlocillin, Peracillin), Piperacillin auch in fixer Kombination mit dem β-Lactamase-Inhibitor Tazobactam ↔ entsprechende Spektrumserweiterung (s. o.) Wie Aminopenicilline; breiteres Spektrum gegen Enterobacteriaceae, teilweise zusätzlich wirksam Pseudomonas Wie Benzylpenicilline, aber durchweg längere Halbwertszeiten Allergische Reaktionen; Granulozyto- und Thrombozytopenie; Hemmung der Thrombozytenaggregation
Cephalosporine (bc)
Orale Cephalosporine (z. B. Cefaclor, Cefuroxim-Axetil) Staphylokokken, Streptokokken, teilweise H. influenzae, Enterobacteriaceae (unterschiedlich hoher Anteil resistenter Stämme) Renale Elimination; unterschiedlich lange Halbwertszeiten; Gabe in SS und SP möglich Allergische Reaktionen (seltener als bei Penicillinen); Granulozytopenie/Thrombopenie (selten); reversibler Anstieg von Transaminasen und alkalischer Phosphatase; potenzielle Nephrotoxizität; gastrointestinale Beschwerden
„Basis“-Cephalosporine (z. B. Cefazolin, Cefuroxim, Cefamandol, Cefotiam) Staphylokokken, Streptokokken, H. influenzae, Enterobacteriacae (unterschiedlich hoher Anteil resistenter Stämme) Renale Elimination (evtl. Dosis-/Applikationsintervall-Anpassung bei Niereninsuffizienz); Gabe in SS und SP möglich Wie orale Cephalosporine; teilweise Antabus-Effekt (= Verstärkung einer Alkoholwirkung bei gleichzeitiger Einnahme)
„Reserve“-Cephalosporine (z. B. Cefotaxim, Ceftizoxim, Cefmenoxim, Ceftriaxon, Ceftazidim [auch Pseudomonaswirkung]) Neisserien, Streptokokken, Staphylokokken (Wirksamkeit aber schwächer als Cefazolin), H. influenzae, Enterobacteriaceae (resistente Stämme selten) Wie „Basis“-Cephalosporine; generell höhere Liquorspiegel als „Basis“-Cephalosporine; z. T. deutlich längere Halbwertszeiten (Ceftriaxon!) Wie „Basis“-Cephalosporine
Monobactame (Aztreonam) (bc) Enterobacteriaceae, Pseudomonas aeruginosa (resistente Stämme möglich), H. influenzae Renale Elimination; keine Kreuzallergie mit anderen β-Lactamen; Gabe in SS und SP möglich Exantheme; gastrointestinale Störungen; Hypotonie
Carbapeneme (bc) (Imipenem, Meropenem, Ertapenem) Staphylokokken, Streptokokken, H. influenzae, Enterobacteriaceae, Pseudomonas aeruginosa, Nonfermenter, Neisserien, Anaerobier, Bacillus sp., Nocardia sp. (Ertapenem wirkt nicht gegen Pseudomonaden und Nonfermenter) Keine Kreuzallergie mit anderen β-Lactamen; Gabe in SS und SP möglich; gute Liquorgängigkeit (vor allem bei entzündeten Meningen); renale Elimination Gastrointestinale Störungen; Thrombophlebitis; Exantheme; Eosinophilie; Krämpfe; Myoklonus; Verwirrtheitszustände; z. T. massiver Eingriff in die Normalflora (Gefahr sekundärer Mykosen)

2. Aminoglykoside (bc)

Z. B. Gentamicin, Tobramycin, Amikacin Staphylokokken, Enterobacteriaceae, Pseudomonas, Nonfermenter Renale Elimination (Gefahr der Kumulation schon bei gering eingeschränkter Nierenfunktion; Serumspiegelbestimmung!); Höhe der kumulativen Gesamtdosis entscheidend für Ototoxizität (nicht Serumspitzenspiegel!); nicht liquorgängig; grundsätzlich in der SS kontraindiziert Otovestibulotoxizität; Nephrotoxizität

3. Makrolide (bs)

Z. B. Erythromycin, Roxithromycin, Clarithromycin, Azithromycin Staphylokokken, Streptokokken (inkl. Pneumokokken), H. influenzae, Legionellen, Mykoplasmen, Chlamydien Hepatobiliäre Elimination (keine Kumulation bei Niereninsuffizienz); unterschiedliche Bioverfügbarkeit nach oraler Gabe, z. T. in Abhängigkeit von Nahrungsaufnahme; Gabe in SS und SP grundsätzlich möglich; intrazelluläre Anreicherung in Eukaryontenzellen, Azithromycin hat sehr lange terminale Halbwertszeit (68 h) Potenzielle Hepatotoxizität; gastrointestinale Beschwerden bei oraler Gabe; Cave: bei Q-T-Verlängerung Gefahr ventrikulärer Arrhythmien (Torsade de pointes)!

4. Glycylcycline (bs)

Tigecyclin Breites Spektrum grampositiver und gramnegativer Bakterien inkl. Anaerobier, MRSA, VRE und ESBL-Bildner, keine oder nur geringe Wirksamkeit gegen Pseudomonaden und andere Nonfermenter Hepatobiliäre Elimination, Dosisanpassung nur bei schwerer Leberfunktionsstörung, kontraindiziert bei Kindern und in SS und SP Ähnliche potenzielle Nebenwirkungen wie Tetrazykline, reduziert Wirksamkeit von oralen Kontrazeptiva

5. Lincosamine (bs)

Clindamycin Staphylokokken, Streptokokken (exkl. Enterokokken), Anaerobier Hepatobiliäre Elimination; hohe Spiegel in Bindegewebe, Knochen und Abszessen Selten Leukopenie; Allergie und Diarrhö; Kreislaufsensationen (zu rasche i.v. Gabe)

6. Tetrazykline (bs)

Z. B. Tetracyclin, Doxycyclin, Minocyclin Mykoplasmen, Rickettsien, Chlamydien, Bruzellen (Staphylokokken, Streptokokken, Enterobacteriaceae z. T. schon hohe Anteile resistenter Stämme!) Hepatobiliäre Elimination; bei Schwangeren und Kleinkindern kontraindiziert; möglichst nicht vor dem 8. Lj. (s. Nebenwirkungen); Gebrauchslösungen teilweise sulfithaltig; bei zu schneller i.v. Gabe Mg2+-haltiger Lösungen Gefahr von Herzrhythmusstörungen Gastrointestinale Beschwerden; allergische Reaktionen (selten); Photodermatosen (selten), Leberschädigungen;Serum-Harnstoff-Erhöhung; Anreicherung im Knochen mit Ossifikationsstörungen am wachsenden Knochen; Anreicherung im Zahnschmelz (Gelbfärbung, Hypoplasie); Erhöhung des intrakraniellen Drucks (selten, dosisunabhängig); vestibuläre Störungen (ca. 1–2 Tage nach Therapiebeginn)

7. Glykopeptide (bc)

Vancomycin, Teicoplanin Staphylokokken (methicillinresistente Stämme!), Enterokokken, weitere grampositive Bakterien Renale Elimination (bei Vancomycin schnelle Kumulationsgefahr! Serumspiegelkontrolle!), keine sichere Liquorgängigkeit (daher evtl. zusätzlich intrathekale Gabe), Untersuchungen zur Dosisfindung bei Teicoplanin noch nicht abgeschlossen Nephrotoxizität und Neurotoxizität nur bei Überdosierung; Red-Neck-Syndrom (bei zu schneller i.v. Gabe, nur Vancomycin!); Leukopenie (bei längerer Gabe, v. a. bei Teicoplanin)

8. Lipopeptide (bc)

Daptomycin Grampositive Bakterien, insbesonders auch MRSA und glykopeptidresistente Staphylokokken und Enterokokken Renale Elimination; Halbwertzeit 9 h; keine Wirksamkeit in der Lunge (wird durch Surfactant inaktiviert) Erhöhung der Kreatinin-Phosphokinase; keine parallele Medikation mit HMG-CoA-Inhibitoren

9. Nitroimidazole (bs)

Z. B. Metronidazol, Tinidazol Anaerobier Überwiegend renale Elimination, rot-braune Harnverfärbung (Metronidazol), kontraindiziert in der SS, längerdauernde Gaben vermeiden (Kanzerogenität im Tierversuch) Periphere Nervenstörungen (selten); Leukopenie (selten); gastrointestinale Beschwerden

10. Chinolone (bs)

Z. B. Ciprofloxacin, Ofloxacin, Sparfloxacin, Fleroxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin Staphylokokken (schon z. T. höhere Resistenzquoten), Streptokokken (nicht Pneumokokken und Enterokokken), Clostridien, Mycobacterium avium/intracellulare, Neisserien, H. influenzae, Enterobacteriaceae (inkl. Salmonellen, Shigellen, Yersinien), Pseudomonas (hoher Anteil resistenter Stämme), Nonfermenter, Bruzellen, Legionellen, Chlamydien, Mykoplasmen Renale, hepatobiliäre und z. T. mukosale (Dickdarm) Elimination, z. T. unterschiedliche Interaktionen mit anderen Substanzen (z. B. Fenbufen: Krampfanfälle; Koffein/Theophyllin: Wirkungsverstärkung), kontraindiziert in SS und SP, im Kindesalter nur in Ausnahmefällen (z. B. Pseudomonasinfektionen bei Mukoviszidose, Salmonellenosteomyelitis); Levofloxacin und Moxifloxacin wirken auch gegen Pneumokokken und teilweise gegen Anaerobier Leukopenie; Vaskulitis; Photodermatose; Psychosyndrome; neurologische Ausfälle; Transaminasenerhöhung; Kristallurie; Verstärkung der Koffein-/Theophyllinwirkung (treten bei den einzelnen Chinolonen mit unterschiedlicher Häufigkeit auf!)

11. Oxazolidinone (bs)

Linezolid Staphylokokken (inkl. methicillinresistente Stämme), Enterokokken (inkl. glykopeptidresistente Stämme), weitere grampositive Bakterien Z. T. Metabolisierung (nicht enzymatisch), z. T. unverändert renale Elimination; reversible, nichtselektive MAO-Hemmung; keine Interaktion mit Cytochrom P450 Hypertonie (bei gleichzeitiger Zufuhr anderer MA0-Hemmer); selten: Thrombopenie, Leukopenie

Der infektiologisch nicht spezialisierte Arzt sollte sich auf ein Standardrepertoire von wenigen Substanzen beschränken, bei deren therapeutischem Einsatz er dann eigene Erfahrungen gewinnt.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Es steht außer Zweifel, dass eine antivirale Chemotherapie möglich und die Gabe mancher Substanzen in bestimmten klinischen Situationen bereits absolut indiziert ist.

  • Eine Vielzahl von Substanzen wird schon seit Jahrzehnten regelmäßig in vielen Laboratorien auf antivirale Wirkung geprüft. AIDS hat zur verstärkten Suche und für erheblich mehr Publizität gesorgt. Die Wirkprinzipien werden im Labor und z. T. bereits in klinischen Studien anhand vieler Substanzen unterschiedlicher chemischer Natur untersucht. In der Tat stößt z. B. die Planung ausreichend kontrollierter Studien zur antiviralen Therapie bei AIDS selbst in den USA bereits auf das Problem des Mangels an studienfähigen Patienten.

13.2.2. Antivirale Chemotherapie

Th. Mertens

Probleme der antiviralen Chemotherapie

Die künftigen Entwicklungen in der antiviralen Chemotherapie betreffen sowohl die Charakterisierung neuer Ziele (engl.: Targets) für antivirale Interventionen und die Entwicklung antiviral wirksamer Substanzen als auch die durch Studien begründbaren Empfehlungen für die Anwendung vorhandener Therapeutika.

Der obligat intrazelluläre Parasitismus der Viren

Viren unterscheiden sich hinsichtlich Struktur und Vermehrungsweise grundsätzlich von allen anderen Infektionserregern. Sie sind für ihre Vermehrung vollständig auf die Energiegewinnung und Syntheseleistung ihrer Wirtszelle angewiesen. Voraussetzung für eine antivirale Chemotherapie ist somit, dass Moleküle und biochemische Prozesse identifiziert werden, die nur in virusinfizierten Zellen vorkommen. Der Begriff Virusselektivität beschreibt die Fähigkeit einer Substanz, die Virusvermehrung zu hemmen, ohne die Wirtszelle zu schädigen.

Infektionszustände ohne Virusvermehrung

Viele Viren haben Strategien entwickelt, um im einmal infizierten Organismus zu persistieren. In diesen Fällen kann es zu Infektionszuständen ohne Virusvermehrung kommen (z. B. Latenz der Herpesviren). Da alle bislang verfügbaren antiviralen Substanzen im Vermehrungszyklus angreifen, entziehen sich persistierende Infektionen ohne Virusvermehrung derzeit einer antiviralen Therapie.

Begrenztes Wirkspektrum

Die verfügbaren Therapeutika haben ein begrenztes Wirkspektrum, und es gibt bislang keine „Breitbandmedikamente“. Antivirale Therapie setzt somit eine Virustypdiagnose voraus. Bei akuten Viruserkrankungen entscheidet darüber hinaus ein frühzeitiger Therapiebeginn über den Erfolg, was eine rasche Diagnosestellung notwendig macht.

Virusinfektionen bei Immunsupprimierten

Bei Patienten mit schwerster angeborener (SCID), erworbener (AIDS) oder iatrogener (Transplantation) Immundefizienz ist es häufig trotz adäquater antiviraler Therapie nicht möglich, die Virusvermehrung zu beenden, solange es nicht zu einer Verbesserung der Immunsituation kommt.

Therapieindikation, -beginn und -dauer

Allgemeine Regeln zur Therapie sollten nur auf der Grundlage klinischer Studien festlegt werden (evidence-based). Wesentliche allgemeine Kriterien, die berücksichtigt werden müssen, sind die Immunsituation des Patienten, das Risiko schwerer Erkrankung, Folgeerkrankung oder Chronifizierung, die Vermeidung unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW) und die Vermeidung von Resistenzentwicklung.

Die Probleme mögen folgende Fragen verdeutlichen, deren Antworten z. T. in letzter Zeit gegeben wurden (s. u.): Muss eine akute Hepatitis B oder C therapiert werden? Welches ist der optimale Zeitpunkt zum Beginn einer antiretroviralen Therapie bei HIV-Infektion? Wie soll man HIV-infizierte Schwangere behandeln? Müssen Windpockenerkrankungen oder eine Gingivostomatitis herpetica behandelt werden? Bei schwerst Immunsupprimierten wird zur Verhinderung lebensbedrohlicher Virusinfektionen vielfach eine antivirale Prophylaxe durchgeführt. Diese Medikamentengabe vor Beginn einer aktiven Infektion führt natürlich bei etlichen Patienten zur unnötigen Gabe teils toxischer Substanzen. Der Begriff der präemptiven Therapie bezeichnet eine antivirale Behandlung nach virologischer Diagnose einer aktiven Infektion ohne Vorliegen von Symptomen und ist abzugrenzen von der Therapie einer Infektionskrankheit. Die Therapieentscheidung erfordert den Nachweis des Vorteils einer Vorgehensweise für die jeweilige Patientengruppe. Die optimale Dauer der Therapie ist in vielen Fällen noch nicht durch Studien bestimmt worden.

Resistenzentwicklung

Resistenzvermittelnde Mutationen treten bei jeder Virusvermehrung spontan auf. Bei längerfristiger Anwendung antiviraler Chemotherapeutika und damit vor allem bei den erheblich immunsupprimierten Patienten mit langdauernder massiver Virusvermehrung kann es dann relativ rasch zur Selektion resistenter Viruspopulationen kommen.

Diese Virusvarianten besitzen Mutationen in der viralen Polymerase (RT bei HIV), der viralen Kinase (Herpesviren) oder anderen viralen Genen, welche für Zielstrukturen der antiviralen Substanzen kodieren. Voraussetzung für die Selektion der spontan auftretenden resistenten Virusvarianten ist somit Virusvermehrung unter dem Selektionsdruck einer antiviralen Substanz.

Klinisch relevante Virusresistenzen gegen Nukleosidanaloga treten nach bisherigen Erfahrungen bei kurzzeitiger Therapie bzw. Therapie immungesunder Patienten nicht auf. Vielmehr ist Resistenz meist ein Problem der Langzeittherapie (> 1–2 Monate), wenn es nicht gelingt, die produktive Virusinfektion durch die Therapie zu stoppen (HSV, CMV, HIV). Resistenz-vermittelnde Mutationen bedingen manchmal einen Vermehrungsnachteil für das mutierte Virus gegenüber dem Wildtyp, wenn der Selektionsdruck entfällt. In einigen Fällen sind resistente Virusvarianten (Herpesviren, HIV) weniger pathogen als die Wildviren. Dies ist aber leider keinesfalls die Regel.

Aufgabe der Kliniker ist es, Therapieversagen anhand klarer Kriterien zu definieren, und den Virologen obliegt es, standardisierte Tests zur raschen phänotypischen oder genotypischen Resistenztestung von Viren bereitzustellen.

Folgeerkrankungen nach Virusinfektionen

Manche zunächst wenig gravierende oder asymptomatische Virusinfektionen können Folgeerkrankungen auslösen (z. B. Immunpathogenese), bei denen die Viren dann keine entscheidende Rolle mehr spielen und somit eine antivirale Therapie zu spät kommt.

Ansatzpunkte für antivirale Substanzen

Tabelle 13.5 zeigt, dass die Hemmung der Virusvermehrung doch an vielen Stellen möglich ist.

Tab. 13.5

Ansatzpunkte für antivirale Therapie im Vermehrungszyklus von Viren

VirusvermehrungsschrittSubstanz (Beispiel)VirenEinsatz
Adsorption/Fusion
Penetration (?)
Oligopeptide

T20 und ähnliche Peptide Polyanionen (Heparin)

Myxo-, Paramyxoviren
HIV
HSV
(E)
(E/M)
(M)
(E)
Adsorption/Uncoating Pleconaril, „Win-Substanzen“1

Amantadin

ECHO-, Polio-, Rhinoviren
Influenza-A-Viren
(T/M)

(M)

Transkription/Replikation:
mRNA
RNA – RNA

DNA – DNA

RNA – DNA (RT)

Integration (Provirus)


NA Ribavirin, Interferon

2-(α-Hydroxybenzyl)-benzimidazol
Enviroxime
NA Aciclovir (ACV), Ganciclovir (GCV)
Pyrophosphat-Analogon Phosphonoameisensäure (PFA)
Nukleosidanaloge RT-Hemmer
NNRTI Nevirapin
Integrasehemmer (?)


Lassavirus, RSV, HCV
Picornaviren
Rhinoviren
HSV, VZV, CMV, EBV (?)
HSV, VZV, CMV,

HIV
HIV
HIV


(M)
(M)
(E)
(M)
(M)
(M)
(M)

(M)
(M)

Translation (?):
mRNA-Degradation/Initiationshemmung
Falsche Proteine
Antisense-Oligodesoxynukleotide(?)
Interferone
Idoxuridin
CMV
HPV, HBV, HCV
HSV (topisch)
(E)
(M)
(M)
Virusreifung:
Vorläuferproteinbildung
Spaltung
Glykosylierung

Rifampicin
Proteaseinhibitoren
2'-Desoxy-D-Glukose

Vacciniavirus
HIV
Influenzaviren

(E/M)
(M)
(E)
Ausschleusung (?) Neuraminidasehemer Influenzaviren (M)
Immunmodulation (?) Interferon HBV, HCV (M)

Adsorption, Fusion und Penetration

Diese frühesten Vorgänge bei jeder Virusinfektion, die Bindung der Viren an ihre Wirtszelle und bei umhüllten Viren die Fusion mit der äußeren Wirtszellmembran, lassen sich experimentell durch Blockade der verantwortlichen Rezeptorstrukturen auf Seiten der Viren oder der Zellen hemmen. Auch spezifische Antikörper wirken auf dieser Stufe der Infektion. Die molekularen Vorgänge bei diesen frühen Prozessen der Infektion sind äußerst komplex und erfordern z. B. bei HIV etliche regulierte strukturelle Veränderungen des viralen Rezeptors. Die Hemmung der Fusion ist bei HIV durch peptidische Fusionsinhibitoren (T20), die an Rezeptorstrukturen des Virus binden, bereits möglich. Auch die Hemmung der Korezeptorbindung ist denkbar.

Uncoating

Der nächste Schnitt bei der Vermehrung ist das sog. „Uncoating“, also die Freisetzung der viralen Nukleinsäure in der infizierten Zelle. Dieser Prozess lässt sich bei einigen Viren hemmen.

Kapsidbindende Inhibitoren (sog. Canyon-Blocker)

Der Wirkmechanismus dieser Gruppe von Uncoating-Hemmern beruht darauf, dass sie sich passgenau in eine Höhle am Grund eines durch die Strukturproteine gebildeten tiefen Oberflächeneinschnittes (Canyon) einlagern. Dadurch wird die Bindung an den Zellrezeptor behindert und die zur Freigabe der Nukleinsäure notwendige, bei einigen Virustypen pH-abhängige endosomale, intrazelluläre Desintegration der viralen Proteinhülle verhindert. Bei einigen Picornaviren wird die Rezeptorbindung wenig behindert, aber das Viruskapsid doch so stabilisiert, dass kein Uncoating stattfinden kann. Es gibt Resistenz gegen diese Substanzen, aber erstaunlicherweise sogar Virusmutanten, die nur noch in Anwesenheit dieser Substanzen vermehrungsfähig sind. Die Faszination dieser Entdeckung bestand auch darin, dass es plötzlich möglich wurde, aufgrund der Kenntnis der molekularen Struktur-Wirkungs-Beziehung antiviral wirksame Moleküle sozusagen am Reißbrett zu entwerfen (Tab. 13.5 ).

Therapeutisch einsetzbare Substanzen Erstes und bislang einziges für die systemische Therapie verfügbares Medikament, das nach diesem Mechanismus die Picornavirus-Replikation hemmt, ist Pleconaril.

Hemmer der Penetration und des intrazellulären Uncoatings

Einer der beiden Wirkmechanismen von Adamantanderivaten gegen Influenza-A-Viren beruht ebenfalls auf einer Hemmung der Freisetzung des Ribonukleoproteins aus intrazytoplasmatischen Vesikeln und des Uncoatings durch Blockade eines M2-Virusprotein-abhängigen Ionenkanals.

Therapeutisch einsetzbare Substanzen Amantadin und Rimantadin stehen seit vielen Jahren für die systemische Therapie von Influenza-A-Virus-Infektionen zur Verfügung.

Reverse Transkription und Genomintegration bei Retroviren

Die biologische Besonderheit der Retroviren besteht darin, dass, beginnend mit dem Eindringen des Viruscores (Nukleokapsid) in die Zelle und weiter nach der Freisetzung des diploiden einzelsträngigen viralen RNA-Genoms, zuerst eine doppelsträngige DNA hergestellt werden muss. Dies geschieht in einem komplexen Syntheseprozess über den Zwischenzustand eines RNA-DNA-Hybridmoleküls. Zwei Moleküle der hierfür notwendigen reversen Transkriptase (RT) werden bei HIV im Viruspartikel mitgebracht. Neben der Polymerasefunktion besitzt die RT in einer zweiten Domäne noch eine enzymatische RNAse-H-Aktivität, die für die Entfernung des RNA-Stranges vom RNA-DNA-Hybridmolekül erforderlich ist. Diese doppelsträngige DNA-Kopie der viralen RNA wird danach als sog. provirales Genom kovalent in das Wirtszellgenom integriert. Hierfür ist ebenfalls ein viruspartikelassoziiertes Enzym, die Integrase, erforderlich. Substanzen zur Hemmung der Integration der proviralen DNA eines Retrovirus in das Wirtszellgenom (HIV) befinden sich in der klinischen Prüfung (Integrasehemmer) und werden künftig möglicherweise ein weiteres Standbein der antiretroviralen Therapie bilden.

Therapeutisch einsetzbare Substanzen Die reverse Transkriptase (RT) von HIV ist das Zielmolekül für die meisten antiretroviralen Medikamente. Diese werden nach ihrer chemischen Struktur unterteilt in nukleosidanaloge RT-Hemmer und nicht nukleosidanaloge RT-Hemmer (NNRTI).

Transkription

Eingriffsmöglichkeiten in virusspezifische Funktionen ergeben sich während der Transkription der viralen genetischen Information. Vorwiegend Typ-I-Interferone (IFN) hemmen die Replikation verschiedener Viren in unterschiedlichem Ausmaß, wobei einer der vielfältigen Mechanismen (s. u.) in der Degradation viraler mRNA besteht.

Einer der antiviralen Wirkmechanismen von Ribavirin beruht auf der Hemmung der mRNA einiger Viren.

Therapeutisch einsetzbare Substanzen Verschiedene humane α- und β-Interferone stehen für die systemische Therapie (chronische Hepatitis-B-Virus- und Hepatitis-C-Virus-Infektion) und auch topische Therapie (Papillomaviren) zur Verfügung. Das relativ breit wirksame Nukleosidanalogon Ribavirin wird als Kombinationstherapeutikum bei chronischer HCV-Infektion und zur Monotherapie bei RSV- und Parainfluenzavirusinfektionen schwer kranker Kinder, aber auch bei Lassavirusinfektionen eingesetzt.

Genomreplikation

Abhängig von der Art des vom Virus in die Wirtszelle eingeschleusten Genoms (Einzelstrang-RNA/DNA, Doppelstrang-RNA/DNA) und des zur Virusvermehrung erforderlichen genetischen Informationsflusses bedarf es besonderer Enzyme, die entweder vom Virus – im Partikel verpackt – mitgebracht (viruspartikelassoziiert, s. o. bei HIV) oder in der infizierten Zelle synthetisiert werden (viruskodiert). Beispiel für ein viruskodiertes Enzym, welches in uninfizierten Zellen nicht vorkommt, ist die RNA-abhängige RNA-Polymerase der Picornaviren, deren Hemmung die Wirkung mancher Substanzen erklärt (2-[α-Hydroxybenzyl]-benzimidazol, Enviroxime). Viele andere viruskodierte Polymerasen von DNA-Viren unterscheiden sich von zellulären Isoenzymen hinsichtlich der Akzeptanz und Bindung von Nukleosidanaloga so weit, dass virusselektive Nukleosidanaloga möglich sind.

Therapeutisch einsetzbare Substanzen Die vier derzeit gegen Herpesviren einsetzbaren Nukleosidanaloga, das NA-Phosphonat Cidofovir und auch das Pyrophosphatanalogon Foscarnet hemmen letztlich alle die viruskodierten Polymerasen.

Translation (Synthese viraler Proteine)

Die Blockierung viraler mRNA durch kurze synthetische „Antisense“-Oligonukleotide ist eine vom Konzept her sehr elegante und naturgemäß spezifische Möglichkeit der Hemmung der viruskodierten Proteinsynthese. Probleme bereiten die Auswahl der geeigneten Sequenzen und die chemische Modifikation der Oligonukleotide, die die Aufnahme in die Zelle ermöglichen müssen und die Stabilisierung in der Zelle bei erhaltener Wirksamkeit sicherstellen müssen. Interferone können die Translationsinitiation hemmen.

Therapeutisch einsetzbare Substanzen Eingang in die Therapie der Zytomegalievirusretinitis hat ein intraokulär zu applizierendes Antisense-Phosphothioat gefunden.

Zur topischen Therapie von Herpes-simplex-Virus-Infektionen stehen ältere Nukleosidanaloga zur Verfügung mit geringerer Virusselektivität.

Posttranslationale Modifikation viraler Proteine

Bekanntestes Beispiel sind die Proteasehemmer zur Kombinationstherapie der HIV-Infektion. Der Wirkmechanismus dieser Substanzen beruht auf der Hemmung der posttranslationalen Spaltung der retroviralen gag- (gruppenspezifisches Antigen) und gag-pro-pol-Polyproteine durch Hemmung der homodimeren „Aspartatprotease“ des Virus. Es werden unreife, nichtinfektiöse Viruspartikel gebildet. Auch andere posttranslational nötige Modifikationen viraler Proteine, z. B. Glykosylierung, könnten ein Ziel antiviraler Substanzen sein.

Ausschleusung neu gebildeter Viruspartikel

An dieser Stelle im Replikationszyklus greifen die neuen Neuraminidasehemmer ein, die in der Lage sind, die korrekte Ausschleusung von Influenzaviren zu inhibieren.

Antivirale Interferone

Die Entdeckung

Während ihrer Untersuchungen zur bereits bekannten Interferenz von Virusinfektionen entdeckten Alick Issacs und Jean Lindenmann 1957 einen übertragbaren virushemmenden Faktor, den sie Interferon nannten. In einem Schlüsselexperiment stellten sie fest, dass Zellen, die mit UV-inaktivierten Influenzaviren behandelt worden waren, etwas in das Gewebekulturmedium abgaben, das die Infektion weiterer Zellen verhinderte. In den folgenden 50 Jahren der Erforschung dieses Phänomens wurde ein gewaltiges Netzwerk von Interaktoren und Interaktionen aufgedeckt. Trotz vieler Erkenntnisse besteht auch heute noch längst kein vollständiges Bild aller Zusammenhänge und Wirkungen. Die antivirale Wirkung ist dabei nur eine von vielen, und sie ist eine Folge regulatorischer Funktionen der Interferone in der Zelle.

Einteilung der Interferone (IFN)

Als Folge des schrittweisen Erkenntniszuwachses ist auch die Nomenklatur schwierig und teilweise redundant. IFN gehören nach heutiger Nomenklatur zu den Zytokinen. Zur Unterscheidung der Interferone gibt Tabelle 13.6 eine Übersicht.

Tab. 13.6

Einteilung der Interferone

GruppeSynonyme
Typ-l-IFN (säurestabile IFN)
  • Humanes α-IFN (mindestens 15 Proteine)

  • Humanes β-IFN (glykolysiert, ω-IFN, τ-IFN

  • Leukozyten-, B-Zell-, Lymphoblasten-, Buffy-Coat-IFN

  • Fibroblasten-IFN, IFN-β1

Typ-ll-IFN γ-IFN (glykolysiert) Immun-IFN, T-Zell-IFN

Alle IFN sind relativ kleine Moleküle, die in ihrer reifen Form aus 165–172 Aminosäuren bestehen. Für die antivirale Therapie spielen derzeit nur die Typ-I-IFN, und hier die α-IFN, eine wesentliche Rolle.

Induktion und Funktionen der IFN

Induktion der IFN

Die Induktion kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Virusinfektionen, vor allem durch RNA-Viren, führen zur raschen Induktion der IFN, die nach wenigen Stunden wieder beendet wird. Die Induktion erfolgt über mehrere positiv regulatorische Domänen, aber auch durch negative Regulation, die zur Verminderung der Repressorproteine und einer gesteigerten IFN-Gen-Expression führt.

Die IFN werden von den Zellen, in denen sie gebildet wurden, freigesetzt. Natürliche α-IFN werden von Lymphozyten, Monozyten, Makrophagen und einigen Zelllinien gebildet. Quelle für β-IFN sind Fibroblasten und einige epitheliale Zellen. Mittlerweile werden die zur antiviralen Therapie eingesetzten IFN meist als rekombinante IFN gentechnisch hergestellt.

Rezeptorbindung

Die IFN binden über spezifische Zellrezeptoren an die Zellen, in denen sie ihre antivirale und andere Wirkungen entfalten. Diese IFN-Rezeptoren sind bekannt, und ihre Expression unterliegt wiederum regulatorischen Prozessen.

Antivirale Mechanismen der IFN

Viele (> 100) Proteine werden durch IFN in den Zellen reguliert, von denen etliche auch in die antivirale Wirkung eingebunden sind.

Degradation von mRNA durch RNAse IFN induzieren die Expression einer zellulären 2‘,5‘-Oligo-A-Synthetase. Die synthetisierten Oligoadenylate aktivieren eine latente RNAse L, welche virale und zelluläre mRNA zerstört.

Translationshemmung durch Proteinkinase R (PKR) IFN induziert PKR, welche in Gegenwart von dsRNA oder eines bestimmten zellulären Proteins aktiviert wird. Aktivierte PKR phosphoryliert einen Initiationsfaktor der Proteinsynthese (eIf-2α), wodurch die Translation inhibiert wird. Aktivierte PKR führt außerdem zur Apoptose der Zelle und greift in transkriptionelle Signalkaskaden ein. Drei weitere Wege führen ebenfalls vom IFN bis zur Translationshemmung bzw. Apoptose der Zelle:

Mx-Proteine Vorwiegend Typ-I-Interferone (IFN) induzieren die Expression sog. Mx-Proteine. Dies sind GTPasen, die zunächst bei Influenzavirusinfektionen gefunden wurden, welche die Replikation von RNA-Viren hemmen. So behindern diese den Kerntransport des viralen Nukleokapsids und die primäre Transkription.

Expression von MHC-Molekülen Typ-I-IFN führen zu einer gesteigerten Expression von MHC-I-Molekülen. Dies führt zu einer verbesserten Antigenpräsentation und einer gesteigerten antiviralen CD8-T-Zell-Antwort.

Die Stimulation der NO-Synthetase führt zur NO-Bildung und damit zu einer eher unspezifischen antiviralen Wirkung

Hemmung der Virusreifung IFN aktivieren eine Gykosyltransferase, wodurch einerseits die notwendige posttranslationale Modifikation mancher viraler Proteine gehemmt und andererseits der normale Ausschleusungsprozess (Budding) behindert wird.

Nebenwirkungen

Bei systemischer Anwendung gibt es z. T. erhebliche Nebenwirkungen:

  • Müdigkeit

  • Muskelschmerzen

  • Kopfschmerzen

  • Fieber, z. T. mit Schüttelfrost

  • Erbrechen

  • Blutdruckabfall

  • Blutbildveränderungen

  • Transaminasenanstieg

  • Blutungsneigung.

Weitere Ansatzpunkte

Neben den erwähnten Zielen antiviraler Therapeutika sind viele weitere denkbar. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit der Hemmung regulatorischer Proteine (z. B. tat oder rev bei HIV) oder auf die Hemmung der Genomreifung bei Herpesviren und die Genomverpackung bei im Kern replizierenden umhüllten Viren.

Klinisch eingesetzte Medikamente

Die verfügbaren Chemotherapeutika lassen sich einteilen in:

  • Fusionsinhibitoren

  • Nukleosidanaloga

  • nicht nukleosidanaloge Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI)

  • Pyrophosphatanaloga

  • Proteinaseinhibitoren

  • Integraseinhibitoren

  • Neuraminidaseinhibitoren

  • Adamantanderivate.

Die größte Entwicklung in der antiviralen Chemotherapie fand bislang auf dem Gebiet der Nukleosidanaloga statt. Es handelt sich um Purin- oder Pyrimidin-Nukleosidanaloga (NA) mit mehr oder minder ausgeprägter Virusselektivität. Ihre Wirkung beruht auf einer Störung der viralen Transkription (Ribavirin), reversen Transkription (Zidovudin), Genomreplikation (Aciclovir) und/oder Proteinsynthese (Idoxuridin). Um wirksam werden zu können, müssen NA („falsche Genombausteine“) wie Nukleoside zunächst intrazellulär zum Mono-, Di- und Triphosphat phosphoryliert werden. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal der Nukleosidanaloga stellt daher der Mechanismus ihrer Phosphorylierung dar. Eine Einteilung zeigt Tabelle 13.7 .

Tab. 13.7

Zur Therapie von Virusinfektionen verwendete Nukleosidanaloga (NA)

Substanzbezeichnung (INN)
Substanztyp
Phosph.
Indikation, Anwendung, Hauptnebenwirkung
Klinisch einsetzbar gegen humane Herpesviren
Idoxuridin (IDU) Pyrimidin-NA Z+V-K HSV, VZV nur top.!
Trifluridin (TFT) Pyrimidin-NA Z+V-K HSV, VZV nur top.!
Brivudin (BVDU) Pyrimidin-NA V-TK VZV, HSV-1 sys. (p.o.) Übelkeit
Vidarabin (Ara-A) Purin-NA Zelle HSV, VZV top.
Aciclovir (ACV) Azyklisches Purin-NA V-TK HSV, VZV, (CMV) top./sys. (i.v./p.o.) nephrotoxisch, Übelkeit
Valaciclovir (VaIACV) Valinester von ACV V-TK VZV, HSV, (CMV) sys. (p.o.) nephrotoxisch
Famciclovir (FCV)Wirksubstanz Penciclovir (PCV) Azyklisches Purin-NA V-TK VZV sys. (p.o.), Übelkeit, Kopfschmerzen
Ganciclovir (GCV) Azyklisches Purin-NA V-K CMV sys. (i.v./p.o.) hämatotoxisch
Valganciclovir (ValGCV) Valinester von GCV V-K CMV sys. (p.o.) hämatotoxisch
Cidofovir (CDV, HPMPC) NA Monophosphat Zelle CMV sys. (i.v./p.o.) stark nephrotoxisch

Klinisch einsetzbar gegen humane Immundefizienzviren/HBV (Adefovir, Entecavir, Lamivudin)

Abacavir Karbozyklisches Purinanalogon Zelle Kopfschmerz, Fieber, Exanthem, GI-Beschwerden
Adefovir Nukleosid-Phosphonat HBV (p.o.), Übelkeit, gut verträglich
Didanosin (DDI) Purin-Didesoxy-NA Zelle Sys. (p.o.), Pankreatitis, periph. Neuropathie, Diarrhö, allgem. Nebenwirkungen
Emtricitabin Pyrimidin-Didesoxy-NA Zelle Sys. (p.o.), allgem. Nebenwirkungen, gut verträglich
Entecavir Purin-Didesoxy-NA Zelle HBV Sys. (p.o.), gut verträglich
Lamivudin (3TC) Pyrimidin-Didesoxy-NA Zelle HBV sys. (p.o.) allgem. Nebenwirkungen, gut verträglich
Stavudin (D4T) Pyrimidin-Didesoxy-NA Zelle Sys. (p.o.) periph. Neuropathie, allgem. Nebenwirkungen
Tenofovir Azyklisches Nukleosid-Phosphonat GI-Beschwerden
Zalcitabin (DDC) Pyrimidin-Didesoxy-NA Zelle Sys. (p.o.) periph. Neuropathie, Stomatitis, allgem. Nebenwirkungen
Zidovudin (AZT) Pyrimidin-Didesoxy-NA Zelle Sys. (i.v./p.o.) hämatotoxisch, Exanthem, allgem. Nebenwirkungen

Klinisch einsetzbar gegen verschiedene Viren

Ribavirin Purinanalogon mit azyklischem Purinkörper Zelle Lassavirus sys. (i.v./p.o.) Anämie Respiratory Syncytial Virus (Aerosol/i.v.) HCV

Therapie einzelner Virusinfektionen

Herpesvirusinfektionen

Zielmolekül aller derzeit gegen Herpesviren einsetzbaren Substanzen ist die vom Virusgenom kodierte virale Polymerase, das für die Neusynthese viraler Nukleinsäure erforderliche Enzym.

Bei den Substanzen lassen sich 3 Stufen der Virusselektivität unterscheiden:

  • 1.

    Substanzen mit geringer Virusselektivität, die sich allein aus der Tatsache ergibt, dass die DNA-Syntheserate in Zellen, in denen sich ein Herpesvirus vermehrt, erheblich gesteigert ist, wodurch es bevorzugt zur Hemmung der viralen DNA-Polymerase kommt.

  • 2.

    Substanzen mit gesteigerter Virusselektivität, bei denen eine deutlich höhere Affinität zu viruskodierten Polymerasen als zu den zellulären Isoenzymen besteht.

  • 3.

    Substanzen mit hoher Virusselektivität, bei denen eine inaktive Vorstufe durch ein viruskodiertes Enzym (Kinase) phosphoryliert und damit aktiviert werden muss.

Herpes-simplex-Virus und Varicella-Zoster-Virus

Ältere Nukleosidanaloga Die beiden Nukleosidanaloga Idoxuridin (IDU) und Trifluridin (TFT; Abb. 13.3 ) besitzen eine geringe Virusselektivität und sind daher nur topisch einsetzbar. IDU ist die erste Substanz, die erfolgreich beim Menschen mit Herpeskeratitis eingesetzt worden ist. Die Wirksamkeit bei der Behandlung von Hautmanifestationen ist auch abhängig von Zusatzstoffen wie z. B. Dimethylsulfoxid (DMSO) als Lösungsmittel bei IDU. Beide Substanzen sind zur topischen Behandlung von HSV-Infektionen geeignet, IDU mit DMSO vor allem bei kutanem Herpes simplex. Für die Anwendung am Auge ist TFT wegen besserer Löslichkeit und Stromagängigkeit günstiger, ggf. in Kombination mit Interferon-α2. Beide Substanzen können erfolgreich bei aciclovirresistenten HSV eingesetzt werden, und auch die Kreuzresistenz zwischen IDU, TFT und Ara-A (s. u.) ist nicht vollständig.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Chemische Struktur antiviraler Substanzen (Beispiele).

Die Virusselektivität des Purinanalogons Ara-A (Adeninarabinosid; Abb. 13.3) ist höher als bei IDU und TFT aufgrund der höheren Affinität von Ara-A-Triphosphat zur viralen Polymerase im Vergleich zu zellulären Polymerasen. Bedeutung für die systemische Therapie besitzt Ara-A heute nicht mehr. Ara-A kann topisch gegen HSV eingesetzt werden.

Aciclovir (ACV) ACV wird klinisch breit eingesetzt gegen HSV-1-, HSV-2- und VZV-Infektionen. Die sehr gute Virusselektivität und geringe Toxizität beruhen auf mehreren Faktoren. ACV wird nach passiver und aktiver Aufnahme in die Zelle bevorzugt (ca. 100-fach) in infizierten Zellen durch die von HSV, VZV und anderen Herpesviren kodierten Thymidinkinasen/Phosphotransferasen zu ACV-Monophosphat umgesetzt. Das dann nach Phosphorylierung durch zelluläre Kinasen entstehende Triphosphat kann die Zelle nicht mehr verlassen und hat eine wesentlich höhere Affinität zur viruskodierten DNA-Polymerase als zu zellulären Isoenzymen (ca. 30-fach). ACV-Triphosphat als Analogon von dGTP wird in die neu gebildete virale DNA eingebaut. Dies führt zum Stopp der weiteren Elongation des DNA-Stranges, da dem Molekül die 3‘-Hydroxyl-Gruppe fehlt (Kettenabbruch). Der Fehler kann durch die virale Polymerase nicht repariert werden, vielmehr bleibt diese am neu gebildeten DNA-Strang gebunden und wird dadurch blockiert (Abb. 13.3).

Die Substanz wird parenteral und oral eingesetzt, auch prophylaktisch bei Immunsuppression. Die orale Bioverfügbarkeit von ACV ist allerdings nicht gut und unsicher, so dass bei schweren Erkrankungen immer eine i.v. Therapie angezeigt ist. Die therapeutisch wirksame Dosierung liegt bei dem wesentlich langsamer replizierenden VZV deutlich höher als bei HSV, was möglicherweise an der kurzen intrazellulären Halbwertszeit von ACV-Triphosphat liegt.

Valaciclovir (ValACV) ist ein Valinester des ACV. Die Substanz wird oral wesentlich besser resorbiert, so dass eine orale Bioverfügbarkeit von ca. 60% erreicht wird. ValACV wird bei der Resorption und bei der ersten Leberpassage praktisch vollständig in die wirksame Substanz ACV umgewandelt. Mit Einführung des ValACV ist es möglich geworden, ACV-Serumkonzentrationen durch orale ValACV-Gabe zu erhalten, die ansonsten nur durch i.v. Applikation von ACV erreicht werden können.

Resistenzentwicklung ACV-resistente HSV-Mutanten mit Mutationen/Deletionen im Thymidinkinase(TK)-Gen und/oder Polymerase-Gen können isoliert werden und sind bei Immunsupprimierten u.U. klinisch relevant. TK-minus-Mutanten sind nicht neuropathogen, allerdings sind resistente HSV durchaus nicht immer TK-minus-Mutanten.

In der Regel führen TK-Mutationen zu Kreuzresistenz gegenüber anderen Nukleosidanaloga, die durch die TK aktiviert werden müssen (s. u. und Ganciclovir).

Resistenz aufgrund von Polymerasemutationen ist seltener, führt aber meist zu breiter Kreuzresistenz gegenüber Nukleosidanaloga (s. u.).

Brivudin (BVDU) BVDU wird ebenfalls selektiv durch die viralen Thymidinkinasen von HSV-1 und VZV zu Monophosphat und Diphosphat phosphoryliert. Die Phosphorylierung zu Diphosphat kann von der HSV-2-TK nicht geleistet werden, da deren Thymidylatkinase-Aktivität wesentlich geringer ist, was die geringe Wirksamkeit von BVDU gegenüber HSV-2 erklärt. Die Wirksamkeit von BVDU bei VZV-Infektionen (Varizellen und Zoster) immunkompromittierter Patienten ist durchaus sehr gut und vergleichbar der von i.v. verabreichtem Aciclovir, jedoch fällt die Nutzen-Risiko-Betrachtung insgesamt auch bei VZV-Therapie zu Gunsten von Aciclovir aus, da BVDU eher mutagen zu sein scheint und nicht zusammen mit 5-Fluorouracil (Zytostatikum) gegeben werden darf.

Penciclovir (PCV) PCV ist strukturell dem Ganciclovir sehr ähnlich und ebenfalls oral sehr schlecht resorbierbar im Gegensatz zu Famciclovir (FCV), einer oral sehr gut resorbierbaren Substanz (Bioverfügbarkeit bis > 70%). Nach Resorption wird FCV rasch und vollständig in PCV, das wirksame Pro-Drug, umgewandelt. PCV wird ähnlich wie ACV durch die Thymidinkinasen von HSV und VZV phosphoryliert.

Wesentliche Indikationen Genitale HSV-Primärinfektionen sollten möglichst frühzeitig systemisch behandelt werden, auch mit dem Ziel, möglicherweise die spätere Rezidivhäufigkeit zu verringern. Ähnliches gilt auch für die primäre Gingivostomatitis herpetica.

Rekurrierende mukokutane HSV-Infektionen können je nach Beschwerden und Beeinträchtigung, vor allem bei genitalen Manifestationen (u.U. patientengesteuert), systemisch behandelt werden. In besonderen Fällen mit häufigen genitalen Rekurrenzen (6–10 pro Jahr) oder mit schwerer psychischer Beeinträchtigung kann eine Suppressionsbehandlung durchgeführt werden. Nach Absetzen der Therapie treten erneut Rekurrenzen auf. Topisch kann mit verschiedenen Nukleosidanaloga (s. o.) behandelt werden. Bei Hautmanifestationen ist zwischenzeitliches Betupfen der Läsionen mit Äther oder Alkohol sinnvoll.

Bei schweren systemischen Infektionen (Enzephalitis, Neugeborenensepsis) mit HSV oder VZV oder bei Infektionen erheblich Immunsupprimierter mit diesen Viren muss mit einer sofortigen i.v. ACV-Therapie begonnen werden. Das Behandlungsergebnis hängt entscheidend von einem frühzeitigen Behandlungsbeginn ab.

Liegt zum Zeitpunkt der Geburt eine HSV-Infektion im Geburtskanal der Mutter vor, so besteht die Gefahr einer konnatalen Infektion des Neugeborenen mit der Folge einer unbehandelt oft tödlich verlaufenden HSV-Sepsis (Kap. 13.5.1). In diesen Fällen kann nach heutiger Kenntnis eine Therapie der Schwangeren zur Vermeidung einer Schnittentbindung durchaus erwogen werden. Ebenso muss die Möglichkeit der antiviralen Therapie in das optimale Management der perinatalen VZV-Infektion einbezogen werden.

Bei VZV-Exposition eines seronegativen immunsupprimierten Patienten (meist Kinder) ist die sofortige Gabe eines Varizellen-Hyperimmunglobulins (0,2 ml/kg Körpergewicht) indiziert, ggf. in Kombination mit antiviraler Therapie. Bei VZV-Manifestationen bei immunsupprimierten Patienten (auch Zoster) ist eine antivirale Therapie indiziert.

Es gibt durchaus gute Argumente für eine generelle antivirale Therapie bei Varizellen, jedoch wird sie in der Praxis kaum durchgeführt.

Zytomegalievirus

In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass ACV bei CMV-Erkrankungen therapeutisch nicht einsetzbar ist, dass jedoch bei prophylaktischer Gabe an erheblich immunsupprimierte Transplantatempfänger auch eine gewisse prophylaktische Wirkung gegen CMV-Erkrankungen nach endogener Reaktivierung vorhanden ist.

Ganciclovir (GCV; 9-[1,3-dihydroxy-2-propoxy]-methylguanin [DHPG] GCV (Abb. 13.3) ist ebenfalls gut wirksam gegen HSV, aber vor allem therapeutisch wirksam gegen Zytomegalievirus (CMV). Die selektive CMV-Wirksamkeit wird erklärt durch die Tatsache, dass CMV ebenfalls für ein enzymatisch aktives Protein kodiert (pUL97), welches in der Lage ist, GCV deutlich effizienter als ACV und PCV zum Monophosphat umzusetzen. Dieses UL97-Protein ist allerdings keine Thymidinkinase, sondern eigentlich eine Proteinkinase, deren natürliche Funktion noch unbekannt ist. GCV wird oral kaum (ca. 3%) resorbiert und muss daher i.v. gegeben werden. Die Substanz hat eine Halbwertszeit von ca. 4 h, ist nur mäßig liquorgängig und eignet sich neben Phosphonoameisensäure und Cidofovir zur Therapie von CMV-Erkrankungen (Kap. 13.5).

Ähnlich wie bei ACV ist mittlerweile ein Valinester von Ganciclovir zugelassen worden, dessen orale Bioverfügbarkeit wesentlich besser ist.

Cidofovir (CDV) CDV ist ein gegen das Zytomegalievirus hochwirksames Analogon, das bereits als funktionelles Monophosphat gegeben wird und somit nicht durch ein virales Enzym phosphoryliert werden muss. Cidofovir ist damit auch wirksam gegen Zytomegalieviren, die aufgrund von Mutationen im UL97-Gen (Phosphotransferase) Ganciclovir (GCV) nicht mehr zu Monophosphat phosphorylieren können und deshalb resistent sind. Es konnte auch eine Wirksamkeit gegen andere humanpathogene Herpesviren (auch EBV) und Adenoviren vom Subgenus C sowie Papillomaviren gefunden werden. Die therapielimitierende Nebenwirkung ist eine eindeutig dosisabhängige Nephrotoxizität mit Proteinurie (bis ca. 50%), Glukosurie und Serumkreatininanstieg (15%). Durch gleichzeitige Gabe von Probenecid und vermehrte Flüssigkeitszufuhr lässt sich die Rate renaler Nebenwirkungen (Proteinurie, Glukosurie, Kreatininanstieg) senken.

Phosphonoameisensäure (PFA) Die antivirale Wirkung von Phosphonoameisensäure (PFA; Abb. 13.3) ist seit mehr als 20 Jahren bekannt. Die experimentelle Wirksamkeit erstreckt sich neben den humanen Herpesviren auch auf Hepatitis-B-Virus und Retroviren (auch HIV-1). Als Pyrophosphatanalogon bindet PFA präferentiell an die Pyrophosphatbindungsstelle der viralen Polymerasen bzw. die reversen Transkriptasen und hemmt die viralen Enzyme in Konzentrationen, welche die zellulären Polymerasen unbeeinträchtigt lassen.

Die Substanz kann nur i.v. und topisch angewendet werden.

PFA wird systemisch bei CMV-Erkrankungen Immunsupprimierter eingesetzt, wenn eine GCV-Resistenz vorliegt, und stellt dann eine Alternative zu Cidofovir dar. PFA kann topisch erfolgreich bei Herpes labialis und genitalis eingesetzt werden.

Andere humane Herpesviren

Bei den anderen humanen Herpesviren sind z. T. gute Effekte der oben genannten Substanzen in vitro beschrieben worden. In klinischen Studien konnte durch Anwendung von ACV bei EBV-Infektionen auch die Virusausscheidung deutlich vermindert werden, ein wesentlicher Einfluss auf den Krankheitsverlauf ließ sich nicht erreichen. Dies gilt ebenfalls für die übrigen humanen Herpesviren und hängt wohl auch mit der Pathogenese der jeweiligen Erkrankungen zusammen.

Hepatitis-B-Virus(HBV)-Infektionen

Das humane HBV ist ein sehr kleines DNA-Virus mit einer teilweise doppelsträngigen zirkulären DNA von ca. 3200 bp. Im Partikel ist eine Polymerase verpackt, die den während der Replikation notwendigen, für ein DNA-Virus sehr ungewöhnlichen Schritt einer reversen Transkription ermöglicht. Dies geschieht an einer prägenomischen RNA. Angesichts dieser biologischen Ähnlichkeiten mit einem Retrovirus und auch der Homologien der HBV-Polymerase mit der reversen Transkriptase von Retroviren ist es nicht erstaunlich, dass gegen Retroviren wirksame Substanzen in vitro und in vivo auch gegen HBV wirksam sind. Hauptindikation für die antivirale Therapie ist heute die chronische Hepatitis B wegen der Spätkomplikationen: Leberzirrhose und hepatozelluläres Karzinom.

Interferone Natürliche und auch rekombinant hergestellte humane α-Interferone inhibieren die HBV-Replikation sehr effektiv und waren für etliche Jahre einzige Standardtherapeutika bei der Behandlung der chronischen Hepatitis B. Dies war auch die erste Indikation, bei der Interferone in großem Umfang zur antiviralen Therapie eingesetzt wurden. Virologisch und histopathologisch findet sich bei etwa einem Drittel der Patienten, die 6 Monate lang dreimal wöchentlich 3 Mio. IE α-Interferone erhielten, eine deutliche Besserung der chronischen HBV-Infektion. Die HBV-DNA-Konzentrationen im Blut nehmen signifikant ab oder fallen – auch in Abhängigkeit von der Empfindlichkeit der eingesetzten Nachweismethodik – unter die Nachweisgrenze ab. Bei etwa 40% der Patienten kam es zur Normalisierung der Transaminasen und zum therapiebedingten Verlust von HBeAG. Leider persistiert dieser positive Effekt nach Beendigung der Interferontherapie nur bei wenigen der ursprünglich erfolgreich behandelten Patienten. Andererseits machen die bekannten Nebeneffekte der Therapie (s. o.) eine wirkliche Dauertherapie unmöglich.

Lamivudin (3TC) Das Nukleosidanalogon 3TC, welches zunächst in der HIV-Therapie eingesetzt wurde, hat sich auch bei der HBV-Therapie bewährt. Nach einjähriger Therapie mit täglich 100 mg zeigten in einer Studie 60% der Patienten eine histologisch nachweisbare Verbesserung der Hepatitis und sogar 70% eine anhaltende Normalisierung der Transaminasen (ALT). Nach fortgesetzter 2-jähriger Therapie fanden sich bei einem Drittel der Behandelten Antikörper gegen HBeAG. 3TC führt nach Lebertransplantation aufgrund einer HBV-induzierten Zirrhose zu einer Reduktion der Neuinfektionen des Transplantates, wobei die Standardprophylaxe die fortgesetzte Gabe von Anti-HBs-haltigen Hyperimmunglobulinpräparaten ist.

Verschiedene resistenzvermittelnde Mutationen treten in der HBV-Polymerase in sehr ähnlichen, konservierten Bereichen wie bei HIV in Abhängigkeit von der Therapiedauer auf. Die Auswirkungen auf den Grad der Resistenz einerseits und die verbleibende Vermehrungsfähigkeit der Mutanten andererseits sind wie bei HIV unterschiedlich. Neue Nukleosidanaloga (Entecavir) finden derzeit mit Erfolg Eingang in die Therapie der chronischen HBV-Infektion. Langzeittherapie scheint die Erfolge zu verbessern, solange keine Resistenzen auftreten.

Es liegt nahe, dass alle in der Erprobung befindlichen antiretroviralen Nukleosidanaloga auch hinsichtlich ihrer HBV-Wirksamkeit und Kreuzresistenzen geprüft werden.

Hepatitis-C-Virus (HCV)

Therapiebestimmende Faktoren

HCV-Infektionen stellen eine besondere therapeutische Herausforderung dar, weil ein sehr hoher Anteil (75–85%) der Infizierten eine chronische Infektion entwickelt, die dann nach Jahren eines relativ symptomarmen Verlaufs plötzlich in eine Leberzirrhose und auch ein Karzinom übergehen kann. Der zunächst klinisch eher milde Verlauf führt dazu, dass die Therapiebereitschaft der Patienten in den asymptomatischen Phasen häufig nicht allzu groß ist.

Bei HCV handelt es sich um ein völlig anderes Virus als bei HBV, um ein einzelsträngiges RNA-Virus mit Plusstrang-Polarität. Das Genom dieses Flavivirus umfasst ca. 9000 Nukleotide. Ähnlich wie bei Picornaviren ist das primäre Translationsprodukt ein Polyprotein, das bei HCV posttranslational in zehn Struktur- und Nicht-Struktur-Proteine gespalten wird. Eines der Nicht-Struktur-Proteine, das NS5A, ist offenbar für die Interferonempfindlichkeit des Virus verantwortlich.

Bei HCV unterscheidet man 6 Genotypen mit verschiedenen Subtypen. Diese Genotypen α sind geographisch unterschiedlich verteilt. Die Erfolgsrate einer α-Interferon-Therapie ist vom Genotyp abhängig. In Deutschland ist mit ca. 60% der Genotyp 1 (Subtypen a und b) am häufigsten vertreten, welcher leider die geringste Ansprechrate bei α-Interferon-Therapie aufweist. Ähnlich wie bei HIV ist die Viruspopulation in einem Patienten genetisch nicht einheitlich, sondern stellt ebenfalls eine Quasi-Spezies dar. Das Ausmaß der Heterogenität der Viruspopulation vor Therapie und die Veränderung unter Therapie scheinen prognostische Bedeutung zu besitzen.

α-Interferone Die zunächst angewendete 6-monatige Monotherapie mit dreimal 3 Mio. IE α-Interferon pro Woche erbrachte je nach Studie und bei Einschluss aller Genotypen nur bei etwas über 10% der Patienten einen anhaltenden Erfolg. Dieser war definiert als mindestens 6 Monate nach Therapieende anhaltende Normalisierung der Transaminasen und Verschwinden der HCV-RNA aus dem Blut. In den folgenden Jahren konnte durch Steigerung der α-Interferon-Dosis, durch tägliche Gaben und Verdoppelung der Therapiedauer der Erfolg verbessert werden.

PEG-gekoppelte Interferone und Kombinationstherapie mit Ribavirin Zwei weitere therapeutische Neuerungen, einerseits die Anwendung von polyethylengekoppeltem α-Interferon 2a (sog. PEGyliertes Interferon) und andererseits die Kombinationstherapie mit dem Nukleosidanalogon Ribavirin, konnten die Ergebnisse unabhängig voneinander nochmals deutlich verbessern. Durch Anwendung von PEG-α-IFN 2a wird bei nur einmal wöchentlicher Gabe (180 mg) ein wesentlich gleichmäßigerer IFN-Spiegel erreicht. Der Therapieerfolg liegt bei Anwendung von PEG-α-IFN 2a bei etwa 30% (Genotyp 1) und 40% (alle Genotypen) mit vergleichbaren Nebenwirkungen wie nach α-IFN-Therapie. Die Ergebnisse mit der Kombinationstherapie α-IFN + Ribavirin liegen in der gleichen Größenordnung. Auch hier lassen sich durch Dosissteigerungen und verlängerte Therapie Verbesserungen erreichen. Interessant ist die Tatsache, dass frühere Studien mit einer Ribavirin-Monotherapie zwar eine Verbesserung der Leberhistologie und der Transaminasen gezeigt haben, aber keine Verminderung der Viruslast im Blut. Die naheliegende Kombination von PEG-IFN und Ribavirin hat die Ergebnisse weiter verbessert. Eine Reihe weiterer Kombinationen befindet sich in der Erprobung.

Die Langzeitprognose der erfolgreich behandelten Patienten ist gut und mittlerweile scheint sogar klar zu sein, dass auch chronisch HCV-infizierte Patienten mit Leberzirrhose, abhängig vom HCV-Genotyp, gemessen an virologischen, klinischen und auch histologischen Parametern, von der antiviralen Therapie profitieren.

Retroviren (HIV)

Therapiebestimmende Faktoren Derzeit sind 3 Retroviren bekannt, die für die Pathogenese von Erkrankungen des Menschen bedeutsam sind:

  • beide Erreger von AIDS, HIV-1 und HIV-2

  • HTLV-1 als Erreger der adulten T-Zell-Leukämie und der tropischen spastischen Paraparese.

Zielmoleküle der meisten verfügbaren antiretroviralen Therapeutika sind 2 partikelgebundene viruskodierte Enzyme, die reverse Transkriptase (RT) und die Protease. Die Substanzen lassen sich einteilen in nukleosidanaloge Reverse-Transkriptase-Hemmer, nicht nukleosidanaloge Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI) und Proteasehemmer. Seit der Erstzulassung des ersten RT-Hemmers AZT in den USA im Jahr 1987 sind mehr als 20 Medikamente in Deutschland zugelassen worden.

Die antiretrovirale Therapie hat den Verlauf von AIDS erheblich verändert, die Lebenszeit der Patienten verlängert, stationäre Behandlungsbedürftigkeit vermindert und auch zu einer Teilrekonstitution der Immunfunktionen geführt. Die stetige, rasche Entwicklung und Einführung neuer Medikamente ist von entscheidender Bedeutung, um auch bei der immer auftretenden Resistenzentwicklung Therapieoptionen zu erhalten.

Nukleosidanaloge Reverse-Transkriptase-Hemmer Die zur HIV-Therapie eingesetzten Nukleosidanaloga Abacavir, Didanosin, Emtricitabin, Lamivudin, Stavudin, Tenofovir, Zalcitabin und Zidovudin müssen durch zelluläre Enzyme bis zum jeweiligen Triphosphat phosphoryliert werden, da HIV anders als Herpesviren nicht für eine Kinase kodiert. Der virustatische Effekt beruht auf der kompetitiven Hemmung der RT. Zidovudin, das erste antiretrovirale Nukleosidanalogon, besitzt eine 100-fach höhere Affinität zur RT als zu den zellulären Polymerasen α und β. Da die Phosphorylierung zum Diphosphat durch die Thymidylatkinase langsamer erfolgt, kommt es zur Anreicherung von Monophosphat, was auch zu einer Hemmung der RNAse-H-Funktion der RT führt. Ähnlich wie bei Aciclovir kommt es außerdem zu einem Kettenabbruch bei der Umschreibung des RNA-Genoms in DNA.

Die Evaluation von Nebenwirkungen ist wegen der Schwere der zugrunde liegenden Krankheit bei neuen Substanzen kompliziert. Bedeutsame Nebenwirkungen von DDC, DDI und D4T (Stavudin) sind periphere Neuropathien. Bei 5% der Patienten trat bei einer DDI-Behandlung eine Pankreatitis auf, die bei 0,35% fatal verlief.

Resistenzentwicklung Während der Therapie können resistente Viren selektiert werden. Die resistenzvermittelnden Mutationen sind weitgehend bekannt, und auch die dreidimensionale Struktur der RT ist durch Röntgenstrukturanalysen genau bekannt. Nach Einführung von phänotypischen und genotypischen Verfahren zur Bestimmung der HIV-Resistenz im Labor konnte der Zusammenhang zwischen virologisch bestimmter Resistenz und Therapieversagen sehr gut gesichert werden. Während die Wirkmechanismen der verschiedenen antiretroviralen Nukleosidanaloga ähnlich sind, bestehen bei den Resistenzmechanismen z. T. erhebliche Unterschiede.

Mutationen haben unterschiedliche Auswirkungen auf die qualitative und quantitative Aktivität der RT und wirken teils additiv, teils synergistisch, gelegentlich sogar antagonistisch. Problematisch ist die Entstehung von Kreuz- und Multiresistenzen. Die Vielzahl möglicher Kombinationen von Mutationen erschwert die Interpretation von Mutationsanalysen (genotypische Resistenzbestimmung). Erleichtert wird die Interpretation durch Datenbanken, in welche weltweit Laboratorien Ergebnisse phänotypischer und genotypischer Resistenzbestimmungen von HIV eingeben.

Nicht nukleosidanaloge Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI) Derzeit werden in Deutschland drei NNRTI zur Kombinationstherapie der HIV-Infektion eingesetzt (Delaviridin, Efavirenz, Nevirapin). Der Wirkmechanismus dieser chemisch heterogenen Substanzen beruht auf einer sehr spezifischen Bindung an eine außerhalb der aktiven Domäne gelegene hydrophobe Tasche in der p66-Untereinheit des RT-Moleküls. Durch diese Bindung wird das Enzym direkt inaktiviert ohne Kompetition mit den natürlichen dNTPs. Die prototypische Substanz ist Nevirapin, das reversibel an die Aminosäuren 181 und 188 der RT von HIV-1 bindet. Die verfügbaren NNRTI hemmen HIV-2 und andere Retroviren nicht. Als Monotherapeutika können diese Substanzen nicht eingesetzt werden, weil durch einzelne Punktmutationen der RT sehr rasch resistente HIV entstehen und selektioniert werden. Allerdings besteht keine generelle Kreuzresistenz zwischen den NNRTI. Durch die synergistische Kombination von Nukleosidanaloga mit NNRTI gelingt es sogar, HIV-infizierte Zellkulturen in vitro virusfrei zu bekommen.

Einzelne NNRTI können einen Selektionsdruck gegen Mutationen ausüben, die zu Resistenz gegen Nukleosidanaloga oder andere NNRTI führen. Insgesamt gehören die NNRTI zu den gut verträglichen antiretroviralen Substanzen, da sie einen guten therapeutischen Index besitzen und nicht in den Nukleotidstoffwechsel eingreifen. Die Metabolisierung erfolgt jedoch über Isoenzyme von Cytochrom P450, weshalb es teils erhebliche pharmakologische Interaktionen mit anderen in der HIV-Therapie verwendeten Medikamenten geben kann.

Proteaseinhibitoren Außer den viralen Polymerasen sind Proteasen bei vielen Viren weitere für die Vermehrung entscheidende viruskodierte Enzyme. Virusproteine werden häufig zunächst als größere Polyproteine an der viralen mRNA synthetisiert und erst danach (posttranslational) durch viruskodierte Proteinasen in die endgültigen (reifen) Virusproteine gespalten.

Die HIV-Protease gehört zur Familie der Aspartat-Proteasen, von denen einige auch Bedeutung im Stoffwechsel besitzen (ACE). Die genaue Röntgenstrukturanalyse des homodimeren Moleküls konnte ebenfalls erfolgreich durchgeführt werden. Dies hat ein genaues Verständnis des Wirkmechanismus der Inhibitoren und auch der Resistenzentstehung auf atomarer Ebene ermöglicht. Zurzeit sind in Deutschland 8 Proteasehemmer zur HIV-Therapie zugelassen (Amprenavir, Atazanavir, Indinavir, Lopinavir, Nelfinavir, Ritonavir, Saquinavir, Tipranavir).

Proteinaseinhibitoren hemmen die Virusreplikation im Gegensatz zu RT-Inhibitoren zu einem späten Zeitpunkt der Virusvermehrung, nach Integration der proviralen DNA in das zelluläre Genom. Diese Substanzen binden stark an Serumproteine und sind schlecht liquorgängig. Insgesamt sind Proteaseinhibitoren in vitro die effektivsten Substanzen gegen HIV, und sie haben einen erheblichen Fortschritt in der Therapie gebracht.

Die Metabolisierung erfolgt in der Leber durch das P450-System, insbesondere durch das Cytochrom P450 3A4 (CYP3A4). Daher sind Arzneimittelwechselwirkungen besonders mit Medikamenten zu beobachten, die ebenfalls über diesen Weg metabolisiert werden oder ihn aktivieren können (z. B. Rifampicin, Rifabutin, Ketoconazol, Terfenadin, Astemizol, Cisaprid u.v.m.). Proteinaseinhibitoren werden zur Vermeidung frühzeitiger Resistenzen ebenfalls nur in Kombinationen eingesetzt.

Verschiedene bekannte Mutationen in der Protease führen zur Resistenz und vielfach Kreuzresistenz. Ritonavir selektiert sehr effektiv HIV-Mutanten mit ausgeprägter Kreuzresistenz gegen alle Proteaseinhibitoren.

Eintrittsinhibitoren/Fusionshemmer Ein erster Prototyp dieser neuen Substanzklasse ist in die Therapie eingeführt worden. Es handelt sich um ein Oligopeptid aus 36 Aminosäuren (T20, Enfuvirtid), welches die für den Infektionsprozess notwendige Strukturänderung des viralen Rezeptors gp41 verhindert und damit die erforderliche Annäherung des Virus an die Zelle und an Korezeptoren inhibiert. Die Substanz ist für Patienten mit therapieresistenter HIV-Infektion zugelassen. Die Applikation muss 2-mal täglich subkutan erfolgen. Lokale und immunologisch bedingte UAW werden beobachtet.

Weitere Entwicklungen Als nächste Ziele für antivirale Intervention bei HIV gilt die Integration des proviralen Genoms durch Integrasehemmer. Hier gibt es bereits klinische Studien.

Influenza-A- und -B-Viren

Influenza-A- und -B-Viren sind weltweit sehr bedeutsame Krankheitserreger des Menschen. Dies betrifft sowohl die Erkrankungszahlen als auch die influenzaassoziierten Todesfälle. Die Influenzavirusinfektionen verursachen erhebliche Kosten, nicht nur in Form von Krankheitskosten, sondern auch durch den Arbeitsausfall. Wenngleich die Impfprophylaxe eine unverzichtbare Maßnahme zur Bekämpfung der Grippeerkrankungen darstellt, sind gute therapeutische Möglichkeiten weiterhin äußerst wichtig, vor allem auch bei neuen pandemischen Influenzastämmen (Stichwort: Vogelgrippe).

Amantadin und Rimantadin Bei epidemischem Auftreten von Influenza A sind eine Chemoprophylaxe und Frühtherapie (innerhalb von 48 h nach Symptombeginn) mit Amantadin und dem Analogon Rimantadin (Abb. 13.3) möglich, ohne dass die Antikörperproduktion beim therapeutischen Einsatz beeinträchtigt wird (zum Mechanismus s. o.). Die Erfolge der prophylaktischen Gabe sind besser belegt als die Therapieerfolge. Für Risikopatienten, bei denen eine aktive Influenza-Impfung versäumt wurde, oder bei neu aufgetretenen Virusvarianten sollte von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden (ggf. in Kombination mit einer nachgeholten Influenza-Impfung). Die Dosierung (100–200 mg/d) muss genau eingehalten und bei Niereninsuffizienz angepasst werden, da anderenfalls mit neuropsychiatrischen Nebenwirkungen zu rechnen ist.

Resistenzentwicklung Entsprechend dem Wirkmechanismus können Resistenzen durch Punktmutationen in der Transmembranregion des viralen M2-Proteins relativ leicht auftreten. Diese betreffen sowohl Amantadin als auch Rimantadin. Wenngleich resistente Virusstämme in vitro und im Patienten relativ leicht selektioniert werden können (30% nach 5-tägiger Therapie), spielen sie für den Therapieerfolg beim Immungesunden nur eine untergeordnete Rolle, da die Therapiedauer in aller Regel kurz ist. Problematisch könnte die Übertragung bereits resistenter Viren sein, worüber auch in einigen Fällen berichtet wurde. Die aviären hochpathogenen H5N1-Viren scheinen primär resistent zu sein.

Zanamivir und Oseltamivir (Neuraminidasehemmer) Das zweite virale Oberflächenprotein neben dem Hämagglutinin (HA) ist die Neuraminidase. Das Enzym spaltet Sialinsäurereste ab und zerstört zelluläre Rezeptoren, welche vom HA erkannt werden. Dies ermöglicht die Ausschleusung und Freisetzung neu gebildeter Viren, ohne dass Aggregate entstehen, und damit auch die Ausbreitung im Respirationstrakt. Da dieser Prozess sowohl für Influenza-A-Viren als auch für Influenza-B-Viren bedeutsam ist, sind die Neuraminidasehemmer auch gegen beide Viren wirksam. Beide Substanzen sind sehr effektive kompetitive Inhibitoren der viralen Neuraminidase. Bei prophylaktischer Anwendung ergaben sich mit beiden Substanzen Schutzwirkungen vor Erkrankung von 70–90%. Der therapeutische Effekt wurde gemessen an verminderter Virusausscheidung und Besserung der Symptome. Auch hier ist der Therapieerfolg am besten, wenn früh, innerhalb von 2 Tagen nach Symptombeginn, mit der Behandlung begonnen wird.

Zanamivir muss i.v. oder als Aerosol verabreicht werden, wohingegen das analoge „Pro-Drug“ Oseltamivir oral verabreicht werden kann. Da die beiden Substanzen an unterschiedlichen Stellen der funktionellen Domäne der Neuraminidase binden, besteht keine absolute Kreuzresistenz zwischen beiden Pharmaka. H5N1-infizierte Patienten sind teilweise mit Erfolg behandelt worden.

Andere Viren

Neben den etablierten antiviralen Therapeutika und Therapieindikationen gibt es andere Viren, bei denen die Therapie am Menschen erprobt wurde, aber noch eher experimentellen Charakter hat.

Picornaviren

Die Therapie von Enterovirus- und Rhinovirusinfektionen ist seit mehreren Jahrzehnten Gegenstand wissenschaftlicher Forschung und auch von Therapieversuchen mit chemischen Substanzen, Antikörpern und Interferonen. Eine Gruppe von sog. Win-Substanzen hemmt durch spezifische Bindung an das Viruskapsid die Adsorption des Virus an die Zielzelle und das intrazelluläre Uncoating. In den USA ist ein Vertreter dieser Substanzen, das Pleconaril, klinisch erprobt worden. Es ist gegen viele Picornaviren (95%) wirksam und hat sich bei der Behandlung der aseptischen Meningitis und respiratorischer Infektionen in kontrollierten Studien bewährt. Ob Pleconaril bei der Enterovirusmyokarditis eingesetzt werden kann, ist noch nicht klar. Derzeit laufen bei dieser Indikation Versuche mit Interferontherapie.

Adenoviren

Adenoviren sind weltweit verbreitet und besitzen ein erhebliches pathogenes Potenzial. Insbesondere bei systemischen Infektionen Immunsupprimierter stellen sie ein schwieriges the rapeutisches Problem dar. Zwei in vitro gegen verschiedene Adenovirustypen wirksame Substanzen, die für andere Indikationen zugelassen sind, werden zur experimentellen Therapie eingesetzt: Cidofovir und Ribavirin. Für beide Substanzen gibt es positive kasuistische Mitteilungen, aber der therapeutische Wert beider Substanzen ist derzeit noch nicht klar.

Paramyxoviren und Lassavirus

Wie bereits erwähnt, zeichnet sich das Nukleosidanalogon Ribavirin durch ein relativ breites Wirkungsspektrum aus. Bereits vor knapp 20 Jahren wurde es zur Behandlung von RSV-Infektionen der Lunge bei schwer kranken intensivpflichtigen Kindern zugelassen. In Studien konnte bei Aerosolanwendung eine Senkung der Letalität nachgewiesen werden. Auch die intravenöse Anwendung ist mit Erfolg möglich, und derzeit wird die Kombination von Ribavirin mit einer etwa gleich wirksamen Antikörpergabe evaluiert. Auch beim Masernvirus, einem weiteren Paramyxovirus, ist über einzelne Erfolge bei der Behandlung von Pneumonien Immunsupprimierter mit Ribavirin berichtet worden.

Interessanterweise ist Ribavirin auch mit gutem Erfolg bei schweren hämorrhagischen Lassavirusinfektionen eingesetzt worden und gilt als Therapie der Wahl. Auch bei dem verwandten, in Südamerika vorkommenden Junin-Virus konnte die Letalität von ca. 20 auf 2% gesenkt werden. Leider ist die Substanz nicht ausreichend liquorgängig, um einen therapeutischen Effekt bei ZNS-Manifestationen zu erreichen.

Papovaviren

Bei der durch JC-Virus hervorgerufenen progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie (PML) wurden bei Gabe von Cidofovir, aber auch α-Interferon klinische Besserungen beobachtet. Eine Reihe mehr oder weniger spezifisch wirksamer Substanzen (auch Interferone) ist für die topische Therapie von Papillomen erprobt worden. In jüngster Zeit konnte in einer ersten Studie gezeigt werden, dass auch hier eine topische Applikation von Cidofovir wirksam ist. Die zunächst mit großen Erwartungen durchgeführten Studien zur Behandlung der juvenilen Larynxpapillomatose mit Interferonen haben nicht zufrieden gestellt.

Immunstimulation

Das Konzept einer Immunstimulation zur Bekämpfung von Virusinfektionen ist alt und einleuchtend. Es fehlte leider an guten Daten, die den Erfolg des Konzeptes in der Praxis überzeugend belegen könnten. Auch erste Therapieversuche mit Diethyldithiocarbamat (Imuthiol) bei symptomatisch HIV-infizierten Patienten waren nicht überzeugend. Die Wirksamkeit des Immunstimulans Imiquimod gegen Papillomaviren ist relativ gut belegt und auch die molekularen Mechanismen der antiviralen Wirkung sind teilweise aufgeklärt. Es kommt einerseits zur Stimulation von Toll-like-Rezeptoren und zur Aktivierung von Nf kappa B und spezifischen T-Zellen, andererseits werden Signalwege der Apoptose aktiviert.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Es steht außer Zweifel, dass eine antivirale Chemotherapie möglich und die Gabe mancher Substanzen in bestimmten klinischen Situationen bereits absolut indiziert ist.

  • Eine Vielzahl von Substanzen wird schon seit Jahrzehnten regelmäßig in vielen Laboratorien auf antivirale Wirkung geprüft. AIDS hat zur verstärkten Suche und für erheblich mehr Publizität gesorgt. Die in Tabelle 13.5 angegebenen Wirkprinzipien werden im Labor und z. T. bereits in klinischen Studien anhand vieler Substanzen unterschiedlicher chemischer Natur untersucht. In der Tat stößt z. B. die Planung ausreichend kontrollierter Studien zur antiviralen Therapie bei AIDS selbst in den USA bereits auf das Problem des Mangels an studienfähigen Patienten.

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www.dvv-ev.de Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten e.V. Jena

www.g-f-v.de Gesellschaft für Virologie Hamburg

www.rki.de Robert-Koch-Institut, Berlin

13.3. Syndrome und spezifische Probleme

13.3.1. Infektiöse Syndrome

In diesem Kapitel wird eine Reihe von Erkrankungen und Syndromen aufgeführt, die nicht in den betreffenden Organkapiteln behandelt werden. Zu diesen Erkrankungen gehören:

  • tiefe Haut- und Weichteilinfektionen

  • Myositiden

  • sexuell übertragene Erkrankungen.

Tiefe Hautinfektionen und nekrotisierende Weichteilerkrankungen

Synonym: nekrotisierende Fasziitis

Praxisfall

Ein 52-jähriger allein lebender Mann (170 cm, 95 kg) stellt sich beim Hausarzt mit progredienter schmerzhafter Schwellung des rechten Oberschenkels vor. Bei der Untersuchung finden sich eine lokale Schwellung und Rötung mit Blasenbildung (Abb. 13.4 a), ein infiziertes Ulkus des rechten Vorderfußes (Abb. 13.4 b) und eine Körpertemperatur von 39,5 °C. Der Hausarzt veranlasst die sofortige Einweisung. Kurz nach der stationären Aufnahme entwickelt sich ein septisches Krankheitsbild mit Abfall des Blutdrucks auf 90/60 mmHg und einer Tachykardie von 130/min. Durch Flüssigkeitsgabe gelingt eine Stabilisierung des Kreislaufs, allerdings entwickelt sich konsekutiv ein prärenales Nierenversagen. Die Röntgenuntersuchung (MR des Oberschenkels) zeigt eine tiefe Haut-WeichteilInfektion mit Einbeziehung des Fettgewebes und der Faszie. In der Blutkultur und in Abstrichen aus der spontan eröffneten Bulla finden sich β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A. Der Blutzucker beträgt nüchtern 240 mg/dl. Nach antibiotischer Behandlung, supportiver und lokaler Therapie mit Débridement der infizierten und nekrotischen Anteile der Weichteile des Oberschenkels wird eine Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 mit Diät und Metformin eingeleitet. Der Weichteildefekt heilt sekundär zu und der Patient kann nach 42 Tagen entlassen werden.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Diabetes mellitus Typ 2. 52-jähriger Patient mit tiefer Haut-Weicheil-Infektion am Oberschenkel (a) und diabetischem Fussulkus (b) am gleichen Bein.

Definition Zu den die tieferen Hautschichten betreffenden Weichteilinfektionen gehören vor allem das Erysipel und die Cellulitis (nicht zu verwechseln mit der harmlosen „Peau d'Orange“) sowie die nekrotisierende Fasziitis. Während bei dem nur die oberflächlichen Hautschichten einbeziehenden Erysipel der entzündete von dem nicht befallenen Bereich scharf abgegrenzt und der Rand erhaben ist, entfällt diese scharfe Demarkation, wenn tiefere Schichten mitbetroffen sind. Erysipel und nekrotisierende Fasziitis befallen beide das subkutane Gewebe, und manchmal sind diese Formen in der Anfangsphase klinisch nicht einfach zu unterscheiden.

Epidemiologie Erysipele und Infektionen der Kutis mit Einbeziehung des Fettgewebes sind relativ häufige Erkrankungen. Tiefe nekrotisierende Haut- und Weichteilerkrankungen haben in den letzten Jahren an Häufigkeit zugenommen, vor allem mit Streptokokken mit hoher Pathogenität.

Ätiologie und Pathogenese Prädisponierend sind Störungen des Lymphabflusses (z. B. Lymphödem nach Radiatio), Diabetes mellitus und Immundefekte. Verletzungen, chirurgische Eingriffe und lokale Infektionen (z. B. Impetigo, kutane Mykosen) können Eintrittspforten darstellen. Die häufigsten Erreger sind Streptokokken der Gruppe A, bei Einbeziehung des Fettgewebes häufig auch S. aureus, bei tiefen Infektionen finden sich Streptokokken der Gruppe A, seltener B und G, Staphylokokken, Mischinfektionen oder Clostridien bzw. andere Gasbildner.

Symptome

  • Erysipel und Cellulitis: vor allem lokale flächenhafte oder Extremität betreffende Rötung, meist mit scharfer Abgrenzung, Schwellung und Überwärmung

  • nekrotisierende Fasziitiden: initial oft schwer abzugrenzen, nehmen allerdings einen rasch progredienten Verlauf, entwickeln kutane Bullae, breiten sich entlang von Faszien meist zentripetal aus und führen zur tiefen Gangrän.

Diagnostik

Sie wird meist klinisch gestellt. Parallel zu den klinischen Entzündungszeichen bestehen Laborveränderungen, z. B. Leukozytose und Anstieg des CRP. Bei Einbeziehung der Muskulatur ist die Kreatinkinase (CK) erhöht. Als bildgebende Verfahren stehen Sonographie, CT und Kernspintomographie zur Verfügung. Die Kernspintomographie ist die sensitivste Methode bei der Frage nach einer Beteiligung der Faszie, allerdings wird die Tiefe der Infektion manchmal überschätzt. Diagnose und Isolierung des Erregers können durch Aspiration oder Biopsie – am besten aus der Randzone der Entzündung – oder chirurgisch erfolgen.

Therapie

Eine gezielte empirische Therapie ist notwendig. Beim Erysipel sind in allererster Linie Streptokokken die Erreger, hier wird eine Therapie mit Penicillin G begonnen. Bei Beteiligung tieferer Schichten sind Staphylokokken als Erreger häufiger, entsprechend muss die Therapie erweitert werden. Bei nekrotisierender Fasziitis muss eine breite Therapie gegen grampositive und gramnegative Keime erfolgen, hier liegen häufig Mischinfektionen vor. Zusätzlich ist die Gabe von Clindamycin sinnvoll, um die bakterielle Toxinbildung zu hemmen. Die nekrotisierende Fasziitis muss zusätzlich dringend chirurgisch behandelt werden, hier ist ein gründliches Débridement fast immer unabdingbar.

Verlauf und Prognose Die Prognose der Hautinfektionen ohne Beteiligung der tieferen Schichten ist sehr gut, sie heilen meist rasch nach Beginn der Therapie ab. Dagegen ist die Komplikationsrate der nekrotisierenden Fasziitis hoch, in einigen Serien liegt die Letalität bei bis 50%, die oft ausgedehnten Débridements führen zu langen und komplizierten Krankenhausaufenthalten.

Komplikationen Komplikationen der oberflächlichen Hautinfektionen beinhalten die Progression in tiefere Schichten mit Beteiligung der Muskulatur. Bei der nekrotisierenden Fasziitis sind die Komplikationen vor allem durch die oft notwendigen chirurgischen Interventionen bis hin zur Amputation von Gliedmaßen gegeben.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache bei Infektionen der oberen Hautschichten: Streptokokken der Gruppe A, bei Beteiligung des Fettgewebes auch S. aureus, bei nekrotisierenden Infektionen breites Erregerspektrum (Cave: Gasbildner)

  • Wichtigste Symptome: lokale Rötung, Schwellung, Überwärmung

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Klinik, Entzündungsparameter, Bildgebung Erregernachweis

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: Antibiotikatherapie und Débridement

Infektiöse Myositiden

Synonym: Pyomyositis

Definition Infektiöse Myositiden sind erregerbedingte Entzündungen im Muskelgewebe. Unterschieden werden primäre Myositiden von Begleitreaktionen der Muskulatur, die bei einer Reihe von Infektionskrankheiten auftreten können.

Epidemiologie Infektiöse Myositiden sind in den klimatisch gemäßigten Regionen eine Seltenheit und treten dort vor allem in Begleitung anderer Weichteil- oder Knocheninfektionen auf. Gehäuft kommen sie in den Tropen sowie bei HIV-infizierten Patienten vor.

Ätiologie und Pathogenese Pyomyositiden werden vor allem durch lokale Invasion von Staphylococcus aureus verursacht, seltener kommt es im Rahmen anderer Infektionen zur Myositis bzw. Begleitmyolyse (z. B. bei Leptospirose, Legionellose, Influenza u. a.).

Symptome

Lokalisierter Schmerz, Schwellung und Überwärmung.

Diagnostik

Die Diagnose wird durch bildgebende Verfahren (Sonographie, ggf. CT) gesichert; Erregerisolierung kann durch Punktion (ggf. ultraschallgesteuert) erfolgen.

Therapie

Eventuelle Abszesshöhlen sollten drainiert oder chirurgisch saniert werden. Zur empirischen Antibiotikatherapie empfiehlt sich zunächst ein penicillinasefestes Penicillin, je nach Erregerisolierung muss die Therapie dann angepasst werden.

Verlauf und Prognose Bei chirurgischer Sanierung und Therapie von primären Pyomyositiden ist die Prognose gut. Verlauf und Prognose von multiplen metastatischen Staphylokokkenabszessen hängen dagegen vor allem von der Sanierung des Primärherdes ab.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: lokale oder metastatische Invasion von Staphylococcus aureus

  • Wichtigste Symptome: lokalisierter Schmerz, Schwellung, Überwärmung

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Sonographie, Erregerisolierung durch Punktion

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: Antibiotikatherapie, ggf. lokale Abszesssanierung

13.3.2. Sexuell übertragbare Infektionen

Die Bedeutung sexuell übertragbarer Erkrankungen geht weit über die klassischen Geschlechtskrankheiten hinaus. Eine Vielzahl von Pathogenen kann durch Sexualkontakt übertragen werden (Tab. 13.8 ). Die Gesamtzahl der jährlichen Fälle von behandelbaren sexuell übertragbaren Infektionen wird auf ca. 350 Mio. geschätzt. Sexuell übertragbare Erkrankungen sind z. T. mit Vorurteilen und Tabus belegt, so dass sie in Anamnese, Untersuchung und Beratung häufig vernachlässigt werden. Ein syndromatischer Zugang ist für viele dieser Erkrankungen sinnvoll. Die wesentlichen klinischen Manifestationen sind genitale Ulzerationen, Urethritiden und pelvine Infektionen.

Tab. 13.8

Sexuell übertragbare Erreger

Viren
  • Human Immunodeficiency Virus (HIV-1 und -2)

  • Human T-Cell Leukemia Virus (HTLV-1 und -2)

  • Herpes-simplex-Virus (HSV-1 und -2)

  • Epstein-Barr-Virus (EBV)

  • Humanes Papillomavirus (HPV) (diverse Typen)

  • Hepatitis-A-, -B-, -C-, -D-Virus

  • Zytomegalievirus (CMV)

  • Molluscum-contagiosum-Virus


Bakterien

  • Neisseria gonorrhoeae

  • Treponema pallidum

  • Haemophilus ducreyi

  • Calymmatobacterium granulomatis

  • Ureaplasma urealyticum

  • Chlamydia trachomatis

  • Streptokokken der Gruppe B

  • Gardnerella vaginalis

  • Shigella spp.

  • Campylobacter spp.


Pilze

  • Candida albicans


Parasiten und Ektoparasiten

  • Trichomonas vaginalis

  • Entamoeba histolytica

  • Giardia lamblia

  • Phthirus pubis

  • Sarcoptes scabiei

Genitale Ulzerationen

Synonym: Schanker

Praxisfall

Ein 35-jähriger Mann stellt sich nach einer Reise nach Kenia mit einer schmerzhaften polyzyklischen Ulzeration auf dem Penis (Abb. 13.5 ) vor. Die Läsion besteht seit 20 Tagen, in Kenia hat ihm ein Arzt zunächst ein Antibiotikum verschrieben, das aber nicht geholfen habe. Schmerzen beim Wasserlassen oder sonstige Beschwerden bestehen nicht. Die Dunkelfeldmikroskopie eines Abstrichs ist negativ, ebenso die Lues-Serologie. Im Abstrich findet sich in der Viruskultur HSV-2. Unter einer Therapie mit Aciclovir 5 × 800 mg heilt das Ulkus innerhalb von 10 Tagen ab. Aufgrund des schweren Verlaufs wird ein Immundefekt vermutet, der durchgeführte HIV-Test zeigt eine HIV-Infektion auf.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Polyzyklisches schmerzhaftes Ulkus mit Nachweis von HSV-2 bei einem HIV-positiven Patient.

Definition Nichtmechanische Ulzerationen der Haut an den Genitalien können durch eine Vielzahl von Erregern bedingt sein. Durch sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung können sie klinisch mit relativ hoher Sicherheit unterschieden werden.

Epidemiologie Genitale Ulzerationen sind neben der Urethritis die häufigste Manifestation sexuell übertragbarer Erkrankungen.

Ätiologie und Pathogenese Die wichtigsten Erreger genitaler Ulzerationen sind:

  • Herpes-simplex-Virus Typ 2

  • Treponema pallidum

  • Chlamydia trachomatis

  • Haemophilus ducreyi

  • Calymmatobacterium granulomatis.

Die letzten drei Erreger spielen in Deutschland eine deutlich untergeordnete Rolle.

Symptome

Ein schmerzloses Ulkus mit induriertem Rand lässt klinisch einen syphilitischen Primäraffekt vermuten, Lymphknotenschwellungen sind meist schmerzlos.

Herpesvirusinfektionen manifestieren sich meist als kleinere gruppierte Bläschen und können durch Kultur oder rascher durch direkte Immunfluoreszenz aus Bläschenmaterial diagnostiziert werden. Großflächigere und ulzerierende Formen sind bei immunsupprimierten Patienten möglich. Vor allem bei der ersten Manifestation sind Lymphknotenschwellungen häufig.

Infektionen mit Haemophilus ducreyi (weicher Schanker) manifestieren sich als schmerzhafte Ulzera, oft konfluierend, purulent mit weichem Randwall und sind begleitet von lokalisierten schmerzhaften Lymphknotenschwellungen, die auch nekrotisieren können.

Lymphogranuloma venereum (verursacht durch Chlamydia trachomatis) verläuft meist zweizeitig: Initial zeigt sich eine Papel oder ein Ulkus (schmerzlos), das in der Folge abheilt. Nach einigen Wochen kommt es dann zur schmerzhaften, manchmal abszedierenden lokalen Lymphknotenschwellung.

Diagnostik

Die mikroskopische Dunkelfeld- und die serologische Untersuchung sichern die Diagnose bei der Syphilis. Spezielle Diagnostik und Therapie der Syphilis werden in Kapitel 13.9.21 besprochen.

Herpesläsionen können durch Abstrich und direkten Nachweis mittels Antigennachweis oder andere Tests (Kap. 13.4.1) diagnostiziert werden.

Als Basisdiagnostik sind die Untersuchungen auf diese beiden Pathogene am wichtigsten. Bei unklarer klinischer Symptomatik sowie bei sexuellen Kontakten in Dritte-Welt-Ländern oder Endemieorten sollte eine kulturelle bzw. PCR-Untersuchung auf Haemophilus ducreyi stattfinden, ggf. auch Biopsien auf seltenere Pathogene (z. B. Donovanosis).

Der Nachweis von Chlamydieninfektionen kann durch Abstrich aus der Harnröhre, durch PCR aus dem Urin oder serologisch erfolgen.

Sexuell übertragene Infektionen sind häufig miteinander vergesellschaftet, genitale Ulzerationen begünstigen Infektionen mit anderen Erregern, z. B. Hepatitis B und HIV. Bei Auftreten von sexuell übertragbaren Erkrankungen muss deshalb auch an weitere Infektionen gedacht und müssen die Prävention und Prophylaxe solcher Infektionen angesprochen werden.

Therapie

Siehe hierzu Kapitel 13.4.1.

Verlauf und Prognose Abheilung von genitalen Ulzera erfolgt bei der Mehrzahl der Erkrankungen meist spontan. Während dies im Fall von Herpesläsionen folgenlos bleibt, ist die Therapie der anderen Erkrankungen zur Vermeidung von Spätschäden (z. B. Entwicklung einer tertiären Lues mit multiplen Organmanifestationen oder Infertilität durch Chlamydia trachomatis) erforderlich.

Vulvovaginitis, Zervizitis, Infektionen des kleinen Beckens

Definition Häufigste genitale Infektionen bei Frauen. Sie werden in aller Regel durch den Gynäkologen diagnostiziert und behandelt. Grundkenntnisse dieser Syndrome sind vor allem für den hausärztlich orientierten Internisten von Bedeutung.

Epidemiologie Die Infektionen sind sämtlich vor allem bei jüngeren, sexuell aktiven Frauen häufig.

Ätiologie und Pathogenese Die häufigsten Erreger von Vulvovaginitiden sind Trichomonas vaginalis, Candida albicans und Gardnerella vaginalis.

Bei der Sonderform der bakteriellen Vaginose liegt häufig eine Mischinfektion vor; meist ist Gardnerella vaginalis beteiligt, und die normale Laktobazillenflora ist verändert.

Das Erregerspektrum der mukopurulenten Zervizitis bei Frauen ist dem der Urethritis des Mannes vergleichbar. In etwa der Hälfte der Fälle lässt sich kein Erreger nachweisen.

Entzündliche Erkrankungen des kleinen Beckens, die mit ausgeprägten Verwachsungen einhergehen, aber auch asymptomatisch sein können, werden vor allem durch Neisseria gonorrhoeae, Chlamydia trachomatis, Mycobacterium tuberculosis und seltener sekundär durch die bakterielle Vaginose verursacht.

Symptome

  • Trichomonadeninfektionen: evtl. asymptomatisch, typisch sind aber homogener gelblicher Ausfluss und ausgeprägter Juckreiz

  • Candida-Vaginitis: ebenfalls oft Juckreiz, gehäuft nach Antibiotikatherapie und bei Immunsupprimierten

  • bakterielle Vaginose: ebenfalls Ausfluss, meist lokale Schmerzen.

Diagnostik

Sie erfolgt durch die klinische Untersuchung und mikroskopische bzw. kulturelle Untersuchung von Vaginal- bzw. Zervixsekret. Chlamydieninfektionen können hier oft nur serologisch oder durch die Polymerasekettenreaktion (PCR) nachgewiesen werden.

Therapie

Die spezifische Therapie der einzelnen Erkrankungen findet sich in den entsprechenden Kapiteln. Bei der bakteriellen Vaginose sind Metronidazol oder Clindamycin (oral oder lokal) wirksam.

13.3.3. Nosokomiale Infektionen

Definition Infektionen, die im Krankenhaus erworben werden, bezeichnet man als nosokomiale Infektionen. Nicht alle der Erreger, die nosokomiale Infektionen auslösen, sind im Krankenhaus übertragen worden – häufig ist der Patient mit ihnen bei Aufnahme kolonisiert. Um eine grobe Zuordnung treffen zu können, werden alle Infektionen, die 72 h oder später nach Krankenhausaufnahme diagnostiziert werden, als nosokomial bezeichnet. Nosokomiale Infektionen sind häufig (ca. 5% aller stationären Patienten), sie führen zu Komplikationen und erhöhen die Behandlungskosten. Ursache sind häufig gegen eine Vielzahl von Antibiotika resistente (multiresistent) Erreger.

Das neue Infektionsschutzgesetz widmet nosokomialen Infektionen besondere Aufmerksamkeit und verpflichtet Ärzte und Krankenhäuser zu einer genauen Dokumentation dieser Infektionen.

Nosokomiale Harnwegsinfektionen

Ätiologie und Pathogenese Harnwegsinfektionen sind die häufigsten nosokomialen Infektionen. Mehr als 80% werden durch Blasenkatheter ausgelöst. Die Liegedauer ist der wichtigste Risikofaktor für das Auftreten einer Harnwegsinfektion: Katheter, die länger als 30 Tage liegen, führen fast immer zur Infektion.

Therapie

Solange es sich um eine asymptomatische Bakteriurie handelt, ist eine Behandlung nicht notwendig. Treten Komplikationen wie Fieber, Schmerzen oder eine Bakteriämie auf, muss eine antibiotische Therapie erfolgen.

Die wichtigste Maßnahme zur Prävention von Harnwegsinfektionen besteht darin, eine Katheterisierung zu vermeiden und Katheter so bald wie möglich zu entfernen.

Nosokomiale Pneumonien

Synonym: im Krankenhaus erworbene Pneumonie (in Abgrenzung zur ambulant erworbenen Pneumonie)

Epidemiologie Pneumonien stehen hinsichtlich Häufigkeit an zweiter Stelle der nosokomialen Infektionen. Ihre besondere Bedeutung liegt in der hohen Letalität, die in der Literatur mit bis zu 50% angegeben wird.

Ätiologie und Pathogenese Hauptsächliche Risikofaktoren für das Auftreten einer nosokomialen Pneumonie sind Behandlung auf einer Intensivstation, künstliche Beatmung, Tracheotomie, Antibiotikagabe, große abdominal- oder thoraxchirurgische Eingriffe, fortgeschrittenes Alter und Immunsuppression.

Nosokomiale Bakteriämie bzw. Fungämie

Synonym: nosokomiale intravasale Infektion

Ätiologie und Pathogenese Diese Infektionen können entstehen:

  • bei Eindringen von Erregern durch die Darmschleimhaut (sog. endogene Sepsis, vor allem bei Neutropenie)

  • sekundär nach Infektionen anderer Organe

  • katheterassoziiert

  • durch direktes Einbringen von Erregern in die Blutbahn.

Bakteriämien können primär oder sekundär bei Infektionen anderer Organe (z. B. Pneumonie, Pyelonephritis) auftreten.

Fungämien kommen als endogene Infektionen vor, aber gehäuft durch Einbringen in die Blutbahn bei lang dauernder intravenöser Ernährung. Durch die optimalen Wachstumsbedingungen für Candida bei einer Kontamination der Infusionslösung oder des Infusionssystems sind Fungämien hier nicht selten.

Ein besonderes Problem bereiten Infektionen, die durch Blut oder Blutprodukte übertragen werden: vor allem Hepatitiden B, C sowie HIV. Bakterien werden selten übertragen, z. B. Yersinia enterocolitica oder Pseudomonas-Spezies wegen ihrer Unempfindlichkeit gegen Lagerung bei tiefen Temperaturen. Die Gefährdung für Patienten, die Blutprodukte erhalten, konnte durch den Einsatz zuverlässiger Testverfahren für diese Erkrankungen in den letzten Jahren stark vermindert, aber nicht vollständig eliminiert werden. Deshalb sollte die Indikation für den Einsatz von Blutprodukten besonders streng gestellt werden.

Katheterassoziierte Infektionen

Praxisfall

Ein 76-jähriger Patient wird mit einer schweren Pneumonie stationär aufgenommen. Kurz nach der Aufnahme verschlechtert sich sein Zustand, aufgrund einer respiratorischen Insuffizienz muss er beatmet werden. Zur intravenösen Therapie und zur besseren Steuerung der Flüssigkeitsgabe wird ein zentralvenöser Katheter (ZVK) implantiert. Unter einer antibiotischen Therapie entfiebert der Patient rasch, nach 4 Tagen kann er extubiert werden. Am 6. Tag entwickelt der Patient morgens erneut hohes Fieber, bei der Inspektion findet sich die Einstichstelle des ZVK leicht gerötet. Der Katheter wird entfernt, die Spitze zur mikrobiologischen Diagnostik eingesandt und eine Blutkultur abgenommen. Nach der Entfernung des ZVK entfiebert der Patient rasch, in der Blutkultur und an der Katheterspitze finden sich S. epidermidis (koagulasenegative Staphylokokken).

Ätiologie und Pathogenese Intravaskuläre Verweilkatheter begünstigen das Auftreten von Bakteriämien. Das Risiko ist bei pulmonalarteriellen und bei arteriellen Kathetern am größten und bei peripher-venösen Verweilkanülen am geringsten. Die Platzierung eines Plastikkatheters an den unteren Extremitäten (z. B. Vena femoralis) birgt ein erhöhtes Infektionsrisiko.

Verschiedene pathogenetische Mechanismen können zur Katheterinfektion führen: Am bedeutsamsten ist die Ausbreitung von Keimen von der Haut entlang des Katheters in die Blutbahn. Dies erklärt auch das anzutreffende Keimspektrum: Mehr als die Hälfte aller Katheterinfektionen wird durch Staphylokokken, insbesondere koagulasenegative Staphylokokken verursacht. Neben gramnegativen Erregern spielen außerdem Candida spp. eine Rolle.

Diagnostik

Die Diagnose einer katheterassoziierten Infektion ist häufig schwierig. Zur definitiven Diagnose einer katheterassoziierten Infektion ist der Nachweis desselben Erregers von der Katheterspitze und aus der Blutkultur notwendig. Bei liegendem Katheter kann die Diagnose mit der sogenannten „differential time to positivity“ (DTTP) gestellt werden: Im Falle einer katheterassoziierten Infektion wird eine aus dem Katheter entnommene Blutkultur mindestens 2 h früher positiv als eine gleichzeitig aus einer peripheren Vene entnommene Probe. Als klinische Hinweise können eine Entzündung an der Einstichstelle, fehlende andere Ausgangsherde für eine Bakteriämie sowie der Nachweis typischer Erreger, z. B. Staphylokokken, angesehen werden.

Therapie

Es werden Antibiotika verabreicht und der Katheter entfernt. Bei implantierten Verweilkathetern ist vor der Entfernung je nach vorliegendem Pathogen ein antibiotischer Behandlungsversuch gerechtfertigt.

Verhütung nosokomialer Infektionen

Die wichtigste allgemeine Maßnahme zur Verhinderung nosokomialer Infektionen ist das Händewaschen. Besonders in Bereichen mit erhöhtem Risiko, wie z. B. in Infektions-, Intensiv- und hämatologisch-onkologischen Stationen, müssen vor und nach jedem Patientenkontakt die Hände gewaschen werden, um eine nosokomiale Ausbreitung von Erregern zu vermeiden. Daneben sind bei einigen Erkrankungen spezielle Maßnahmen erforderlich (s. o.).

Desinfektionen von medizinischen Geräten sind heute durch gesetzliche Bestimmungen und Hygienevorschriften so geregelt, dass bei richtiger Anwendung hierdurch keine Erreger übertragen werden können.

Die Liegedauer von intravasalen oder Urinkathetern sollte möglichst kurz sein, d.h., jeder Katheter, der nicht unbedingt benötigt wird, sollte entfernt werden. Wo immer möglich, sollten Therapieregime bevorzugt werden, bei denen Medikamente oral statt intravenös gegeben werden.

13.3.4. Infektionen bei immunsupprimierten Patienten

Infektionen bei immunsupprimierten Patienten sind häufig, verlaufen atypisch und können zu schweren Komplikationen führen. Art der Immunsuppression und Ausprägung und Qualität der Immunitätsfaktoren bestimmen Spektrum und Verlauf von Infektionen wesentlich und sind für diagnostisches und therapeutisches Vorgehen entscheidend.

Infektionen bei neutropenischen Patienten

Synonym: Fieber bei Neutropenie

Praxisfall

Eine 41-jährige Frau wird wegen einer akuten myeloischen Leukämie mit einer Hochdosischemotherapie behandelt. Am Tag 10 nach Beginn der Chemotherapie sind die Leukozyten auf < 500/μl gefallen, sie klagt über Kopfschmerzen und wirkt apathisch. Nach einer halben Stunde steigt die Temperatur auf 39,7 °C an, Blutkulturen werden abgenommen und eine empirische Antibiotikatherapie begonnen. Der klinische Zustand bessert sich rasch, die Patientin ist 24 h nach deren Beginn fieberfrei. Zu diesem Zeitpunkt ist E. coli als Erreger in der Blutkultur isoliert und identifziert worden. Die empirische Therapie ist adäquat und wird für weitere 8 Tage fortgesetzt.

Definition Es handelt sich um alle Fieberepisoden, die während einer Neutropenie auftreten. Als kritische Werte für die Neutropenie gelten 500 neutrophile Granulozyten/μl oder 1000 Leukozyten/μl. Infektionen können fulminant verlaufen. Deshalb müssen bereits bei Verdacht auf eine solche schwere Infektion sofortige Diagnostik und Therapie erfolgen.

Epidemiologie Fieberepisoden sind ein häufiges Phänomen, vor allem bei therapieinduzierter Neutropenie. Häufigkeit und Schwere sind mit Schwere und Dauer der Neutropenie klar korreliert. Besonders betroffen sind Patienten, die aufgrund einer akuten Leukämie oder maligner Lymphome mit einer aggressiven Chemotherapie behandelt werden. Bei diesen Patienten tritt bei mehr als 70% Fieber während der Neutropenie auf.

Ätiologie und Pathogenese Klinisch sind vor allem Bakteriämien (endogen oder durch intravenöse Katheter verursacht), Pneumonien und Hautinfektionen sowie intraabdominelle Infektionen (neutropenische Kolitis) von Bedeutung. Eine Vielzahl von Erregern kann hierfür verantwortlich sein, führend sind Bakterien. In den meisten Fällen gelingt es jedoch nicht, eine Ursache zu identifizieren. Man spricht dann von „neutropenic fever of unknown origin“ (Neutropenic FUO).

  • bakterielle Infektionen: Das Erregerspektrum wird dominiert durch endogene Erreger, die durch eine chemotherapeutische Schädigung der Darmmukosa eindringen können. Das Spektrum der Keime ist nicht zuletzt abhängig von prophylaktischen Maßnahmen (z. B. prophylaktische orale Antibiotikagabe, s. u.). Die häufigsten isolierten Erreger bei Bakteriämien sind grampositive Bakterien, vor allem koagulasenegative Staphylokokken und vergrünende Streptokokken. Gramnegative Bakterien sind aufgrund des Risikos eines septischen Schocks besonders gefürchtet.

  • Pilzinfektionen: Mit zunehmender Dauer einer Neutropenie nimmt das Risiko, an einer Pilzinfektion zu erkranken, zu. Als Erreger stehen Candida spp. und Aspergillus spp. im Vordergrund. Aspergillus verursacht vor allem Pneumonien und Candida in erster Linie Fungämien. Da Pilzinfektionen bei diesen Patienten eine besonders hohe Letalität aufweisen, müssen sie frühzeitig in die diagnostischen und therapeutischen Überlegungen mit einbezogen werden.

  • Virusinfektionen: Reaktivierungen von Herpesviren und respiratorische Virusinfektionen (Influenza u. a.) sind vor allem bei Patienten mit zusätzlicher immunsuppressiver Medikation (z. B. Kortikosteroide) häufig und können atypische, schwere Verläufe aufweisen.

Symptome

Jeder Temperaturanstieg über 38,5 °C muss als Warnzeichen gewertet werden, sofern nicht ein eindeutiger Zusammenhang mit einer anderen Ursache (z. B. Medikamentenapplikation, Gabe von Blutbestandteilen) vorhanden ist. Ein Infektionsverdacht besteht auch bei einer Temperatur unter 36 °C, wenn plötzliche Hypotonie, Tachypnoe oder Bewusstseinsstörungen auftreten. Haut- und Weichteilinfektionen sowie Pneumonien manifestieren sich durch lokale Zeichen.

Häufig fehlen bei diesen Patienten jedoch auch typische Infektionszeichen (Tab. 13.1). Abdominelle Schmerzen und Diarrhöen sind Hinweise auf eine neutropenische Kolitis.

Diagnostik

Bei Verdacht auf eine Infektion muss sofort eine Basisdiagnostik erfolgen. Hierzu zählen klinische Untersuchung (besonders Inspektion der Mundhöhle und der Haut auf Zeichen einer Infektion, Auskultation der Lunge, Untersuchung des Abdomens sowie der Analregion), die Abnahme von mindestens zwei Blutkulturen (jeweils aerob und anaerob), die Bestimmung des Laktats im Serum zur frühen Erkennung einer Sepsis und die Anfertigung einer Röntgenaufnahme des Thorax. Mit diesen Maßnahmen ist eine Einteilung der Infektionen in 3 Kategorien möglich:

  • prognostisch günstigste Kategorie: Fieber ohne erkennbare Ursache

  • intermediäre Kategorie: dokumentierte Infektionen (z. B. Patienten mit positiver Blutkultur, Katheterinfektionen)

  • prognostisch ungünstigste Kategorie: Patienten mit Lungeninfiltraten.

Nur bei 20–30% aller Patienten finden sich positive Blutkulturen, die eine gezielte antibiotische Therapie ermöglichen.

Pilzinfektionen sind oft schwer zu diagnostizieren, da kulturelle Verfahren wenig sensitiv sind. Als Nachweismethoden dienen heute in erster Linie Blutkulturen für Candida- und die hochauflösende Computertomografie des Thorax sowie der Galactomannan-Test im Serum für Aspergillus-Infektionen.

Therapie

Die Behandlung eines neutropenischen Patienten mit Fieber muss unmittelbar nach Auftreten der klinischen Symptome, vor dem Eintreffen mikrobiologischer Befunde erfolgen. Sie ist deshalb empirisch und kann später, bei erfolgter Erregeridentifizierung, modifiziert werden.

  • Initialtherapie und frühe Eskalation: Als primäre Therapie kommen eine Kombination aus einem Breitspektrum-(Ureido-)Penicillin mit einem β-Lactamase-Hemmer, ein Pseudomonas-wirksames Cephalosporin oder ein Carbapenem in Frage. Tritt nach 3–4 Tagen keine Entfieberung auf, sollte eine erneute Diagnostik insbesondere mit Hinblick auf Pilzinfektionen erfolgen.

  • antimykotische Therapie: Wegen der Gefahr von invasiven Pilzinfektionen wird bei Neutropenie (insbesondere bei Patienten mit pulmonalen Infiltraten) frühzeitig, spätestens jedoch nach 6–7 Fiebertagen eine antimykotische Therapie eingesetzt. Zur empirischen Therapie eignen sich Caspofungin oder liposomales Amphotericin B, beim Nachweis von Lungeninfiltraten ist Voriconazol Mittel der Wahl.

  • Fokussanierung: Sie ist in der Regel nur bei lokalisierten Hautinfektionen möglich oder auch sinnvoll. Die chirurgische Therapie einer neutropenischen Kolitis ist nur bei Bildung von intraabdominellen Abszessen oder einer offenen Perforation sinnvoll, ansonsten erfolgt die Therapie konservativ.

Prophylaxe Wegen der hohen Inzidenz von Infektionen bei neutropenischen Patienten werden verschiedene Maßnahmen zur Infektionsprophylaxe angewandt. Diese Maßnahmen zielen auf eine Verminderung der endogenen Keimflora und Vermeidung der Exposition gegenüber pathogenen Organismen.

  • antibakterielle Prophylaxe: Mit der selektiven Darmdekontamination (z. B. mit Co-trimoxazol) wird die Reduktion der aeroben Darmflora angestrebt, während die anaerobe erhalten bleiben soll. Daneben werden nicht resorbierbare Antibiotika (Polymyxin B, Colistin) zur Darmdekontamination sowie Chinolone als systemische Prophylaxe angewandt.

  • antimykotische Prophylaxe: Bei zu erwartender lang anhaltender, schwerer Neutropenie werden Antimykotika als Prophylaxe eingesetzt, Mittel der Wahl ist Posaconazol. Co-trimoxazol ist wirksam zur Vermeidung von Pneumocystis-Pneumonien. Diese treten vor allem bei Patienten mit akuten lymphatischen Leukämien und lang dauernder Steroidtherapie auf.

  • Expositionsprophylaxe: Hier sind die allgemeinen Schutzmaßnahmen entscheidend, an erster Stelle steht das Händewaschen. Die sog. Umkehrisolation wird dagegen als unwirksam und deshalb obsolet betrachtet.

Verlauf und Prognose Etwa 80–90% der neutropenischen Episoden werden erfolgreich behandelt. Schwere Verläufe finden sich bei der Pneumonie und bei der neutropenischen Kolitis mit einer Letalität von ca. 30–50%.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Bakteriämien durch endogene Keime

  • Wichtigstes Symptom: Temperaturanstieg über 38,5 °C, nicht obligat

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Blutkultur

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: rasche, empirische, breite Antibiotikatherapie, evtl. auch antimykotische Therapie, wenn möglich Fokussanierung

Infektionen bei organ- und knochenmarktransplantierten Patienten

Synonym: transplantationsassoziierte Infektionen

Definition Alle Infektionen, die bei organ- oder knochenmarktransplantierten Patienten auftreten, werden als transplantationsassoziiert bezeichnet. Obwohl diese Definition sicher ungenau ist, trägt sie dem veränderten Spektrum von Infektionen wie auch dem unterschiedlichen klinischen Verlauf bei diesen Patienten am besten Rechnung.

Epidemiologie Infektionen bei transplantierten Patienten gewinnen aufgrund der ständig zunehmenden Zahl von Organ- und Knochenmarktransplantationen an Bedeutung. Sie folgen einem ungefähren zeitlichen Muster (Abb. 13.6 ).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Zeitmuster der wichtigsten Infektionen bei organ- und knochenmarktransplantierten Patienten.

Ätiologie und Pathogenese Die Immunsuppression bei organtransplantierten Patienten verhindert die Abstoßung des neuen Organs, die bei knochenmarktransplantierten Patienten schwächt die Immunreaktion des neuen Immunsystems gegen die initial fremden Körperzellen ab (Graft-versus-Host-Disease, GvHD). Beide Reaktionen werden vor allem durch den Grad der Gewebekompatibilität auf den HLA-Loci beeinflusst: je größer die Übereinstimmung, desto geringer das Risiko von Abstoßung bzw. GvHD und Infektionen durch Immunsuppressiva.

Das Erregerspektrum umfasst vor allem Erreger, bei denen die zelluläre Abwehr eine besondere Rolle spielt: Viren der Herpesgruppe, Pneumocystis jirovecii, Toxoplasma gondii. Die in Abbildung 13.6 aufgeführten Infektionen sind nicht vollständig. Während der gesamten Zeitdauer besteht außerdem ein erhöhtes Risiko von Bakteriämien (u. a. durch intravasale Verweilkatheter), Pneumonien und Harnwegsinfektionen.

Initial stehen bei organtransplantierten Patienten die postoperativen Komplikationen, vor allem Wundinfektionen im Vordergrund, bei knochenmarktransplantierten Patienten die Komplikationen der Neutropenie nach der Konditionierung durch Chemotherapie und/oder Bestrahlung.

Symptome

Ebenso wie bei neutropenischen Patienten können Infektionen oligo- oder gar nahezu asymptomatisch ablaufen, mit Fieber oder gering ausgeprägter Organsymptomatik. Das Charakteristische ist gerade die larvierte und geringe Symptomatik.

Diagnostik

Als Immunsuppressiva werden vor allem Calcineurin-Inhibitoren (Ciclosporin u. a.) und Steroide eingesetzt, beide beeinflussen in erster Linie die zelluläre Abwehr. Durch diese immunsuppressive Therapie haben transplantierte Patienten ein erhöhtes Risiko von Infektionen, die Art oder gar spezifische Medikamente modulieren dabei deren Spektrum. Das Zeitmuster (Abb. 13.6) bietet vor allem eine Möglichkeit, sich bezüglich routinemäßig durchzuführender Untersuchungen zur Früherkennung von Infektionen, ihrer Differentialdiagnosen sowie prophylaktischen und therapeutischen Maßnahmen zu orientieren (Tab. 13.9 ). Eine umfangreiche und rasche diagnostische Aufarbeitung ist in jedem Fall notwendig.

Tab. 13.9

Prophylaktische Strategien bei organ- und knochenmarktransplantierten Patienten


Organtransplantierte Patienten
Knochenmarktransplantierte Patienten
Bakterielle Erkrankungen
Therapie Primär keine Prophylaktische Antibiotikatherapie bei Neutropenie < 500/ml
Diagnostik Erhöhte Wachsamkeit unter Steroiden, Ciclosporinen und Tacrolimus Regelmäßige Blutkulturen auch ohne Fieber bei akuter GvHD

Virale Erkrankungen

Therapie Aciclovir-Prophylaxe (wirksam gegen HSV, VZV und teilweise CMV) Aciclovir-Prophylaxe für CMV-seropositive Patienten oder Spender
Diagnostik Bei CMV-seropositiven Patienten oder Organspendern wöchentliche Bestimmung von CMV-Antigenämie oder DNA-PCR, ggf. antivirale Therapie Wöchentliche Bestimmung von CMV-Antigenämie oder DNA-PCR, falls positiv, erfolgt eine antivirale Therapie
Organtransplantierte Patienten Knochenmarktransplantierte Patienten

Mykosen

Therapie Prophylaxe gegen Pneumocystis (Co-trimoxazol) Systemische antimykotische Prophylaxe Prophylaxe gegen Pneumocystis (Co-trimoxazol)
Diagnostik Erhöhte Wachsamkeit unter Steroiden, Ciclosporinen und Tacrolimus Erhöhte Wachsamkeit bei akuter oder chronischer GvHD, Blutkulturen, CT-Thorax, Galatomannan-Test im Serum

Parasitäre Erkrankungen

Therapie Prophylaxe gegen Pneumocystis in der Regel auch wirksam gegen Toxoplasma gondii Prophylaxe gegen Pneumocystis in der Regel auch wirksam gegen Toxoplasma gondii

Therapie

Sämtliche Infektionen oder auch der Verdacht auf eine solche müssen rasch und sicher diagnostisch und therapeutisch angegangen werden (Tab. 13.9). Das Zeitraster ist nur als Anhalt zu sehen. Bei einer chronischen Graft-versus-Host-Disease oder einer weiter notwendigen stärkeren Immunsuppression bestehen die aufgeführten Risiken weit über den Tag 100 nach der Knochenmarktransplantation hinaus.

Besonderer Wert muss bei knochenmarktransplantierten Patienten auf die rasche Therapie einer Zytomegalievirus-(CMV-)Infektion oder -Replikation gelegt werden, ebenso auf möglichst rasche Therapie von Pilzinfektionen.

Prognose und Verlauf Als Faustregel gilt, dass Infektionen bei knochenmarktransplantierten Patienten deutlich schwerer verlaufen als bei organtransplantierten Patienten. Dies gilt insbesondere für CMV-Infektionen, die nach Knochenmarktransplantationen häufiger und vor allem als schwer behandelbare interstitielle Pneumonie mit hoher Letalität auftreten. Ferner verlaufen viele Infektionen atypisch, z. B. Legionellosen mit fokalen pulmonalen Läsionen oder Influenza und respiratorische Virusinfektionen, die nach einer Knochenmarktransplantation rasch tödlich verlaufen können.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Immunsuppression bei Abstoßung bzw. GvHD

  • Wichtigstes Symptom: geringe Symptomatik

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: rasche Erregerisolierung, CMV-DNA-PCR, klinischer oder mikrobiologischer Nachweis von Aspergillose

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: rasche Therapie

13.3.5. Prävention von Infektionen

Obwohl die Pathogenese vieler Infektionskrankheiten unbekannt war, bis man Bedeutung und Verbreitungsmechanismus bakterieller Erreger entdeckt hatte, wurden bereits zu Zeiten der Pest präventive Maßnahmen ergriffen: Krankheitsverdächtige wurden isoliert (Quarantäne). Mit Kenntnis der Übertragungsmechanismen spezifischer Erreger konnten wirksame und rationale Präventionsstrategien entwickelt werden. Hier soll der Schwerpunkt auf den präventiven Maßnahmen im medizinischen Bereich liegen.

Allgemeine Schutzmaßnahmen

Grundlagen Die Zahl der durch Blutbestandteile übertragbaren Erkrankungen ist hoch und es ist unnötig. Patienten auf alle diese möglichen Erreger zu untersuchen. Daher sollten Blut, mit Blut kontaminierte, potenziell blut- und zellhaltige Körperflüssigkeiten (Samen, Vaginalflüssigkeit, Liquor cerebrospinalis, Pleura-, Perikard-, Peritonealpunktat und Amnionflüssigkeit) als potenziell infektiös behandelt und Haut- und Schleimhautkontakt mit diesen vermieden werden.

Barrieremaßnahmen Bei allen Tätigkeiten, bei denen ein Kontakt mit Körperflüssigkeiten möglich ist (u. a. Blutabnahme), müssen flüssigkeitsdichte Handschuhe getragen werden. Bei Prozeduren, bei denen sich Spritzer oder Aerosole von Körperflüssigkeiten bilden können (z. B. Endoskopie), sind Schutzkleidung, Masken und Schutzbrillen notwendig.

Händewaschen oder -desinfektion Die Hände sollten nach Kontamination mit einer dieser Flüssigkeiten gründlich gewaschen und desinfiziert werden. Handschuhe sollten nach dem Gebrauch entsorgt und nicht weiterverwendet werden; Händewaschen nach Ablegen der Handschuhe ist obligatorisch. Nicht genug zu unterstreichen ist die Notwendigkeit des regelmäßigen Händewaschens nach jedem körperlichen Kontakt mit Patienten oder potenziell infektiösen Materialien.

Vermeidung von Nadelstichverletzungen Um perkutane Verletzungen mit kontaminierten medizinischen Materialien zu vermeiden, sind spitze oder scharfe Einmalmaterialien sofort nach Gebrauch in durchstichsicheren Behältern zu entsorgen. Das Wiedereinführen von gebrauchten Nadeln in die Kappen ist riskant und sollte unterbleiben. Die Einhaltung dieser Maßnahmen schützt vor allem das medizinische Personal, natürlich sekundär auch andere Patienten. Sie erfordert eine regelmäßige Schulung aller Beteiligten.

Erkrankungsspezifische Maßnahmen

Strikte Isolation Bei allen virulenten Erkrankungen, die durch direkten Kontakt oder durch Tröpfcheninfektion übertragen werden können (z. B. Diphtherie, primäre Varizellen- und Zoster-Erkrankungen), sollten folgende Maßnahmen eingehalten werden:

  • strikte Isolation im Einzelzimmer

  • Tragen von Maske und Schutzkittel bei Betreten des Zimmers

  • anschließendes Händewaschen.

Isolation von Patienten mit respiratorisch übertragbaren Infektionen oder Problemkeimen Im Einzelzimmer isoliert werden sollten auch Patienten mit Infektionen, die respiratorisch übertragbar sind, oder Patienten, die mit Problemkeimen (methicillinresistenter Staphylococcus aureus, vancomycinresistente Enterokokken, toxinbildender Chlostridium difficile) infiziert oder besiedelt sind. Die Benutzung von Kitteln, Handschuhen und Masken richtet sich nach der möglichen Exposition. Bei Tuberkulose wird zusätzlich die Erzeugung von Unterdruck im Behandlungszimmer empfohlen, um die Ausbreitung der Erreger beim Öffnen der Tür zu verhindern. Patienten mit Wund- oder Drainagesekreten benötigen kein Einzelzimmer, ebenso wenig Patienten mit enteralen Pathogenen und guter persönlicher Hygiene.

Isolation von Patienten mit erhöhtem Infektionsrisiko (Umkehrisolation) Die Isolation von Patienten mit erhöhtem Infektionsrisiko wurde vor allem bei iatrogener Immunsuppression durch zytostatische Therapie eingeführt. Die möglichen Maßnahmen reichen vom routinemäßigen Gebrauch von Masken, um die respiratorische Übertragung von Keimen zu vermeiden, bis hin zur Herstellung einer keimfreien Umgebung durch Laminar-Flow-Räume. Die zugrunde liegende Idee dabei ist eine Protektion vor exogenen Keimen.

Allerdings hat sich gezeigt, dass das größte Risiko dieser Patienten durch endogene Keime besteht. Wahrscheinlich sind deshalb die Maßnahmen der sog. Umkehrisolation (= Isolation zum Schutz vor Infektion im Gegensatz zur klassischen Isolation von infektiösen Patienten) nicht wirksamer als das strikte Einhalten von allgemeinen Schutzmaßnahmen und regelmäßiges Händewaschen vor und nach jedem Patientenkontakt. Die Umkehrisolation ist mittlerweile bei der Behandlung neutropenischer und anderer immunsupprimierter Patienten obsolet. Eine protektive Wirkung einer vollständig geschützten Umgebung wird nur noch für besondere Hochrisikopatienten nach allogener Knochenmarktransplantation diskutiert.

Immunprophylaxe von Infektionen: Eine spezifische Prophylaxe von Infektionen ist durch natürliche Immunität oder aktive bzw. passive Immunisierung möglich. Impfungen, aktiv wie passiv, können für Mitarbeiter im Gesundheitswesen und Patienten von großer Bedeutung sein. Die aktive Impfung, z. B. gegen Hepatitis B bei Ärzten und Pflegepersonal, schützt wirksam vor einer Infektion und Folgekomplikationen (chronische Hepatitis und Einschränkungen der Berufstätigkeit für chirurgisch oder invasiv Tätige). Eine aktive Influenza-Impfung von Ärzten und Pflegepersonal schützt Patienten und Mitarbeiter gleichzeitig. Passive Immunisierungen sind vor allem als Postexpositionsprophylaxe von Bedeutung, z. B. nach einer Stichverletzung eines nicht gegen Hepatitis B immunen Arztes mit einer Kanüle mit Blut eines Hepatitis-B-Patienten oder einer nicht gegen Varizellen immunen Schwangeren mit einem Varizellen-Patienten. Eine passive Immunisierung benötigt im Gegensatz zu einer aktiven Immunisierung kein funktionierendes Immunsystem, deshalb wirken passive Immunisierungen auch bei immunkompromittierten Patienten. Die regelhafte Anwendung von Impfungen nach Vorschlägen und Vorgabe der Ständigen Impfkommission der Deutschen Ärzteschaft bei Patienten wie Mitarbeitern in Praxen und im Krankenhaus ist ein wichtiges Instrument zur Prävention von Infektionen, ob ambulant erworben oder nosokomial.

LITERATUR

  • Mandell G.L., Bennett J.E., Dolin R. 6th edn. Churchill Livingstone; New York: 2005. Principles and Practice of Infectious Diseases. [Google Scholar]
  • Wenzel R.P., editor. Prevention and control of nosocomial infections. Lippincott, Williams & Wilkins; 2002. [Google Scholar]

KEYWORDS

cervicitis ♦ device-associated Bloodstream infections ♦ genital ulcers ♦ infection control and prevention ♦ infections in the immunocompromised host ♦ infections in solid organ transplant recipients/in bone marrow transplant patients ♦ necrotizing fasciitis ♦ neutropenic infections ♦ nosocomial bloodstream infections ♦ nosocomial infections ♦ nosocomial pneumonia ♦ nosocomial urinary tract infections ♦ pelvic infections ♦ pyomyositis ♦ soft tissue infections ♦ sexuallly transmitted diseases ♦ streptococcal gangrene ♦ vulvovaginitis

13.4. HIV-Infektion und AIDS

13.4.1. HIV-Infektion

Synonym: erworbene Immunschwäche

Die erworbene Immunschwäche AIDS wurde erstmals 1981in den USA als Syndrom klinisch beschrieben. 1983 wurde ein Virus (HIV) als Ursache entdeckt. In der Zwischenzeit breitete sich die Erkrankung als Pandemie über die ganze Welt aus und ist heute eine der wichtigsten Infektionskrankheiten. Obwohl durch Erkenntnisse in der Grundlagenforschung und durch Entwicklung von Medikamenten in den letzten Jahren große Fortschritte in der Behandlung erzielt wurden, liegt eine vollständige Beherrschung dieser Infektion in weiter Ferne.

Praxisfall

Ein 45-Jähriger wird vom Hausarzt überwiesen. Seit 5 Jahren ist eine HIV-Infektion bekannt, der Patient ist homosexuell und verlor einen Partner durch AIDS. Vorgeschichte: vor 3 Jahren Herpes zoster am Thorax, vor 10 Jahren Behandlung wegen einer Lues, sonst keine Erkrankungen. Zurzeit bestehen Wohlbefinden und Arbeitsfähigkeit, die Vorstellung erfolgt zur Entscheidung über eine mögliche antiretrovirale Therapie. Bisher wurde keine Therapie durchgeführt. Die CD4+-Lymphozyten seien bisher immer hoch gewesen.

Befund: 70 kg, guter Allgemeinzustand. Zervikal und inguinal tastet man indolente, bis zu 2 cm große Lymphknoten. Am Zungenrand findet sich eine diskrete orale Haarleukoplakie; sonst keine Auffälligkeiten.

Labor: CD4+-Zellen 180/μl, CD8+-Zellen 920/μl; HIV-RNA im Plasma 58 000 Kopien/ml; sonst Normalwerte.

Diagnose: HIV-Infektion, Stadium CDC B2 mit oraler Haarleukoplakie.

Therapie: Es besteht Indikation zur antiretroviralen Behandlung mit Tenofovir, FTC und Efavirenz.

Verlauf: Bei der Kontrolluntersuchung 2 Monate später ist die Haarleukoplakie nicht mehr nachweisbar. Die CD4+-Zellen sind auf 280/μl angestiegen, die HIV-RNA liegt unterhalb der Nachweisgrenze.

Definition

Unter AIDS versteht man das Auftreten ungewöhnlicher (opportunistischer) Infektionen oder Tumoren bei sonst gesunden Personen, ausgelöst durch schweren zellulären Immundefekt. Ursache für AIDS ist die Infektion mit dem humanen Immundefizienzvirus (HIV).

Epidemiologie

Übertragungswege Es gibt 4 epidemiologisch relevante Übertragungswege des HIV:

  • sexuelle Übertragung: am häufigsten. Prinzipiell ist die Übertragung durch homo- oder heterosexuellen Geschlechtsverkehr möglich. In Europa und Nordamerika sind sehr oft homosexuelle Männer betroffen. In Afrika und anderen Regionen der Dritten Welt findet die HIV-Übertragung v. a. durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr statt. Die Übertragung wird durch gleichzeitig bestehende Geschlechtskrankheiten und möglicherweise andere genitale Infektionen begünstigt.

  • intravenöse Drogenabhängigkeit: zweithäufigster Übertragungsweg in den meisten europäischen Ländern und in Nordamerika. Die HIV-Übertragung erfolgt hier über mit infiziertem Blut kontaminierte Nadeln („needle sharing”). Drogenabhängige machen in manchen südeuropäischen Ländern (Spanien, Italien) sogar den größten Anteil der HIV-Infizierten aus. Ein besonderes großes Problem ist die Übertragung durch Drogenabhängige in Ländern der ehemaligen Sowjetunion, wo sich HIV sehr rasch ausbreitet.

  • Blut und Blutbestandteile: durch Transfusion HIV-kontaminierter Blutkonserven oder durch kontaminierte Blutprodukte (besonders die Gerinnungspräparate Faktor VIII und PPSB). Dies ist heute in hoch entwickelten Ländern durch Screening-Untersuchungen sehr selten geworden.

  • vertikale (konnatale) Übertragung: weltweit häufig. Eine Infektion von Kindern HIV-positiver Mütter ist diaplazentar, im Geburtskanal und durch Stillen möglich.

Verbreitung von HIV Seit Bekanntwerden der ersten AIDS-Fälle hat sich die HIV-Infektion weltweit dramatisch ausgebreitet. Ende 2005 wurde die Zahl HIV-infizierter Personen von der WHO weltweit auf > 40 Mio. geschätzt. Die höchste Prävalenz findet sich im tropischen Afrika. Besonders rasch breitet sich die Infektion derzeit in Südostasien, China, auf dem indischen Subkontinent und in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion aus. Während die Ausbreitung in vielen Ländern der Dritten Welt ungebremst ist, wurde in Europa und Nordamerika die Dynamik durch präventive Maßnahmen deutlich abgeschwächt. Die Zahl der HIV-Infizierten wird auf 40 000 geschätzt. Pro Jahr infizieren sich ca. 2000 neu. Homosexuelle Männer stellen zurzeit mit ca. 50% die größte Gruppe der HIV-Infizierten dar, gefolgt von heterosexuell Infizierten, Menschen aus Endemiegebieten (Afrika, Asien) (ca. 20%) und intravenös Drogenabhängigen (ca. 12%).

Infektionsrisiko Das Risiko für Neugeborene infizierter Mütter liegt in Afrika bei ca. 30–40%. Der Anteil von perinatal infizierten Kindern liegt in Deutschland < 2%.

Das Risiko, sich durch sexuellen Kontakt mit HIV zu infizieren, hängt von der Art des Sexualkontaktes ab. Am größten ist es bei vaginalem oder analem Sexualverkehr. Bei oro-genitalem Verkehr ist das Risiko deutlich geringer, obwohl HIV auch im Speichel in geringeren Konzentrationen nachgewiesen werden kann. Entscheidenden Einfluss hat die Infektiosität des infizierten Partners. Diese ist besonders hoch bei frischer HIV-Infektion oder im fortgeschrittenen Stadium. Das Risiko ist geringer, wenn der infizierte Partner mit einer antiretroviralen Therapie effektiv behandelt wird.

Pathogenese

Biologie der HI-Viren HIV ist ein einzelsträngiges RNA-Virus aus der Familie der humanen Retroviren (Kap. 13.5). Nach Infektion infizierbarer Zellen wird das Virusgenom freigesetzt und durch die viruspartikelassoziierte reverse Transkriptase in eine doppelsträngige DNA umgeschrieben. Diese provirale DNA wird dann in das Genom der Wirtszelle integriert. Über die Transkription der viralen Messenger-RNA und die Translation viraler Proteine erfolgt der Aufbau neuer Virionen. Diese werden aus der Zelle ausgeschleust und in einem letzten Schritt mit Hilfe von Proteasen zu reifen infektiösen Viren (Abb.13.7).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

HIV im elektronenmikroskopischen Bild. Gut erkennbar ist die Virushülle (Pfeil) mit den knopfartig erscheinenden Oberflächenantigenen, die an den CD4-Rezeptor anbinden können, ferner das zylinderförmige Viruskapsid (Doppelpfeil), das aus dem Hauptcoreprotein p24 aufgebaut ist.

(Aufnahme: H. Gelderblom, Berlin)

Zwei verschiedene HI-Viren können den Menschen infizieren: HIV-1 und HIV-2. HIV-2 wurde 1986 entdeckt und unterscheidet sich in seiner Hülle und damit in seiner Antigenität von HIV-1. Es ist offenbar weniger pathogen als HIV-1 und bisher nur in Westafrika verbreitet. Der weit überwiegende Teil aller HIV-Infektionen ist weltweit durch HIV-1 verursacht. Aufgrund von Sequenzanalysen des HIV-1-Genoms unterscheidet man verschiedene Subtypen, die in verschiedenen geographischen Regionen unterschiedlich verbreitet sind.

Interaktionen zwischen Virus und Zelle Die Infektion menschlicher Zellen erfolgt über Bindung von Hüllproteinen des Virus (gp120) an den sog. CD4 + -Rezeptor (Abb. 13.7 ). Dieser findet sich v. a. auf einer Subpopulation von T-Lymphozyten (T-Helferzellen), aber auch auf Makrophagen, Langerhans-Zellen der Haut und des Darms und auf Gliazellen des ZNS. Ferner sind zur Infektion von CD4+-Zellen zusätzliche Kofaktoren notwendig. Eine große Rolle spielen dabei die Chemokin-Rezeptoren CCR5 und CXCR4. Menschen mit homozygotem Defekt für CCR5 (Δ32-Deletion) werden nicht mit HIV infiziert und Menschen mit einer heterozygoten Δ32-Deletion sind zwar infizierbar, weisen aber eine langsamere Krankheitsprogression auf.

Auswirkungen auf das Immunsystem Nach der primären Infektion mit HIV kommt es zur Ausbreitung des Virus im lymphatischen Gewebe. In dieser ersten Phase besteht eine sehr hohe Virämie (Viruslast) und so auch eine sehr hohe Infektiosität.

Innerhalb einiger Wochen erfolgt offenbar durch die Immunantwort eine partielle Kontrolle der HIV-Replikation. Die Virämie nimmt ab und stellt sich auf ein individuell unterschiedlich hohes Niveau ein. Die Höhe der Virämie in dieser Phase (messbar durch die quantitative Bestimmung der HIV-RNA) ist maßgeblicher Parameter der weiteren Prognose. Patienten mit niedriger HIV-RNA (< 10 000 Genomkopien/ml Blut), haben eine deutlich längere Überlebenszeit als solche mit höheren Werten. Obwohl in dieser Phase (klinische Latenzphase) meist keine Beschwerden vorhanden sind, besteht eine ungeheure Dynamik der HIV-Replikation, die schließlich zur Erschöpfung des Immunsystems führt. Pro Tag werden ca. 1010 Virionen produziert. Über 99% werden dabei in den CD4+-Lymphozyten gebildet, die infolge der Infektion zerstört werden. Es kommt so zum stetigen Abfall der T-Helferzell-Zahl im Blut, der sich meist über viele Jahre hinzieht. Das Verhältnis von CD4+-Zellen zu CD8+-Zellen (Suppressor- und zytotoxische T-Zellen) kehrt sich um (normalerweise CD4+: CD8+ > 1). Wenn die Zahl der CD4+-Zellen unter eine kritische Schwelle von 200/μl Blut sinkt, kommt es zum Auftreten von AIDS-typischen opportunistischen Infektionen. Bereits vorher können die Patienten Symptome aufweisen (z. B. oraler Soor), die auf einen nahen Zusammenbruch des Immunsystems hindeuten. Die HIV-Infektion führt zur unspezifischen Stimulation des humoralen Immunsystems. Dies äußert sich in einer vermehrten Bildung von Immunglobulinen. Neben der Infektion lymphatischer Zellen werden auch frühzeitig langlebige Makrophagen und Gliazellen des ZNS befallen. Diese Zellen spielen für die Dynamik der HIV-Infektion keine so große Rolle wie die CD4+-Lymphozyten, sind aber therapeutisch schwerer erreichbar und bereiten daher Probleme.

Symptome

Je nach Stadium der Erkrankung treten unterschiedliche Symptome auf.

  • akutes retrovirales Syndrom: Bei bis zu 50% der Infizierten kommt es wenige Wochen nach der Ansteckung zum akuten Krankheitsbild, dem sog. akuten retroviralen Syndrom. Wegen der klinischen Ähnlichkeit mit der Mononukleose wird das Krankheitsbild auch als „Mononukleose-ähnliches Syndrom” bezeichnet. Typische Symptome sind Fieber, Nachtschweiß, allgemeines Krankheitsgefühl, Lymphknotenschwellungen, Pharyngitis und Exantheme. Vereinzelt treten auch schwere neurologische Erkrankungen auf (z. B. Guillain-Barré-Syndrom). Während dieses akuten Stadiums kommt es zum deutlichen Abfall der T-Helferzell-Zahl, die HIV-RNA im Blut und damit auch die Infektiosität ist sehr hoch. Nach einigen Tagen bis Wochen bilden sich diese klinischen Veränderungen wieder zurück.

  • asymptomatisches Stadium (klinische Latenz): Die meisten HIV-Infizierten haben über mehrere Jahre keine Beschwerden, die HIV-Infektion wird in diesem Stadium oft nur durch Zufall entdeckt. Als klinisches Symptom können generalisierte Lymphknotenschwellungen vorhanden sein (daher die frühere Bezeichnung „Lymphadenopathiesyndrom”). Bei relativ konstantem Wert der HIV-RNA im Plasma findet sich ein unterschiedlich rascher Abfall der CD4+-ZeIlen.

  • symptomatisches Stadium: Kennzeichnend ist die zunehmende Immunschwäche, die sich im Auftreten von opportunistischen Infektionen äußert (CDC-Kategorien B und C). Die Zahl der CD4+-Zellen ist stark abgefallen, es findet sich meist ein hoher Wert der HIV-RNA im Plasma. Die schweren AIDS-definierenden Erkrankungen treten meist dann auf, wenn die CD4+-Zell-Zahlen < 200/μl gesunken sind (Kap. 13.4.2).

Klassifikation Die derzeitig gültige Klassifikation kommt von den amerikanischen Centers for Disease Control (CDC-Klassifikation) und wurde zuletzt 1993 revidiert (Tab. 13.10 ). Sie führt die AIDS-definierenden Erkrankungen auf. Ferner gibt sie eine Stadieneinteilung der HIV-Infektion an, die sich an klinischen und immunologischen Parametern orientiert. Alle Patienten, die eine klinische AIDS-Definition erfüllen, werden in die Kategorie C eingestuft (Tab. 13.11 ).

Tab. 13.10

CDC-Klassifikation der HIV-Infektion (1993)

Zahl der CD4-positiven T-Lymphozyten
Klinische Kategorien
(A)
• Akute HIV-Krankheit
• Asymptomatisch
• Persistierende, general. Lymphadenopathie
(B) Symptomatisch (weder A noch C)(C)∗ AIDS-definierende Erkrankung
(1) ≥ 500/μl oder ≥ 29% A1 B1 C1
(2) 200–499/μl oder 14–28% A2 B2 C2
(3) < 200/μl oder 14% A3 B3 C3

Tab. 13.11

Indikatorkrankheiten, die bei bekannter HIV-Infektion zur Diagnose AIDS führen (CDC 1993)

Infektionen durch Protozoen und Parasiten
  • Pneumocystis-carinii-Pneumonie

  • Toxoplasmose des Gehirns

  • Kryptosporidiose, intestinal (> 1 Monat)

  • Isosporidiasis

Infektionen durch Pilze
  • Candidiasis in Ösophagus, Trachea, Bronchien, Lunge

  • Kryptokokkose, extrapulmonal

  • Histoplasmose, extrapulmonal oder disseminiert

  • Kokzidioidomykose, extrapulmonal oder disseminiert

Infektionen durch Viren
  • Zytomegalieinfektion (anderer Organe als Leber, Milz oder LK)

  • Herpes-simplex-Infektion (chronische Ulzera > 1 Monat, Bronchitis, Pneumonie, Ösophagitis)

  • Progressive multifokale Leukenzephalopathie

Infektionen durch Bakterien
  • Salmonellensepsis, wiederholt auftretend

  • Lungentuberkulose und andere Infektionen durch Mycobacterium tuberculosis

  • Infektionen durch atypische Mykobakterien, extrapulmonal oder disseminiert

  • Pneumonien, wiederholt auftretend (> 1-mal pro Jahr)

Tumorerkrankungen
  • Kaposi-Sarkom

  • Non-Hodgkin-Lymphome

  • Invasives Zervixkarzinom

Sonstige Erkrankungen
  • HIV-Enzephalopathie

  • HIV-bedingte Kachexie (sog. Wasting-Syndrom)

Diagnostik

Virologische Diagnostik Die Diagnostik der HIV-Infektion erfolgt meist durch Nachweis virusspezifischer Antikörper. Als Screening-Test bei Verdacht auf HIV-Infektion dient ein ELISA mit sehr hoher Sensitivität und Spezifität je > 99%. Bei positivem ELISA muss ein Bestätigungstest erfolgen. Meist ist dies ein Westernblot, ggf. auch ein Immunfluoreszenztest. Jeder HIV-Test muss nach Aufklärung und mit dem Einverständnis des Patienten erfolgen und bei positivem Ausfall durch eine 2. Blutentnahme und erneute Untersuchung bestätigt werden.

Zwischen Infektion und Bildung messbarer Antikörper vergehen einige Wochen (diagnostisches Fenster). 3–6 Monate nach Infektion weisen fast alle Infizierten Antikörper auf. In der frühen Phase vor Einsetzen der Antikörperbildung ist also bei negativem HIV-Antikörpertest eine Übertragung der Infektion möglich. In besonderen Fällen, wenn eine sichere frühzeitige Entdeckung der Infektion notwendig ist, kann ein direkter Nachweis der viralen RNA oder proviralen DNA durch PCR erfolgen. Diese wird z. B. bei Kindern HIV-infizierter Mütter eingesetzt. Mit dieser oder anderen diagnostischen Verfahren (NASBA = „nucleic acid squence-based amplification"; bDNS = „branch-chain DNS) kann ferner ein quantitativer Nachweis der HIV-RNA (Viruslast) im Blut erfolgen. Dieser Test spielt heute eine sehr große Rolle für die Beurteilung der Prognose und als Kontrolle der antiretroviralen Therapie.

Immunologische Diagnostik Die Zahl der CD4-Lymphozyten im Blut stellt den entscheidenden immunologischen Parameter für die Verlaufsbeurteilung der HIV-Infektion dar. Die Bestimmung erfolgt mittels der FACS-Methode.

Begleitende Diagnostik Durch die HIV-Infektion können einige sekundäre Laborveränderungen hervorgerufen werden. Häufig finden sich Anämie, Leukozytopenie, Thrombozytopenie und erhöhte Immunglobuline. Viele Infizierte haben zusätzliche Infektionen. Besonders nach Hepatitis B und C, Lues, Toxoplasmose und Zytomegalievirus-Infektion muss gesucht werden.

Differentialdiagnose Differenzierungsmaßnahme

Akute HIV-Infektion:
  • Mononukleose

  • Unspezifischer viraler Infekt

  • EBV-Serologie

  • HIV-PCR


Lymphadenopathiesyndrom:
  • Tuberkulose

  • Toxoplasmose

  • Maligne Lymphome

  • Lymphknotenbiopsie

  • Lymphknotenbiopsie, Serologie

  • Lymphknotenbiopsie


Opportunistische Infektionen:
  • Angeborene Immundefekte

  • Sekundäre Immundefekte (bei hämatologischen Neoplasien oder immunsuppressiver Therapie)

  • Anamnese, Immunglobuline

  • Anamnese, Ausschluss einer zugrunde liegenden Erkrankung

Therapie

Prinzipien der antiretroviralen Therapie Bisher können 4 Prinzipien für die Therapie genutzt werden (Abb. 13.8 ):

  • Hemmung des Zelleintritts

  • Hemmung der reversen Transkriptase: Man unterscheidet 2 Substanzgruppen: nukleosidale (NRTI) und nichtnukleosidale Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI)

  • Hemmung der Protease

  • Hemmung der Integration.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Schritte der Virusreplikation, an denen Medikamente angreifen (im klinischen Einsatz bzw. in der Erprobung). Rot = Schritte der Virusreplikation, blau = virale Enzyme.

Mittlerweile stehen mehr als 20 Substanzen aus verschiedenen Klassen für die Therapie zur Verfügung (Tab. 13.12 ), Medikamente mit weiteren neuen Therapieprinzipien (CCR5- Antagonisten, Integrasehemmer, Maturationshemmer) werden derzeit klinisch erforscht.

Tab. 13.12

Antiretrovirale Substanzen

SubstanzNebenwirkungen, Probleme, Besonderheiten
Nukleosidale Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI)

Zidovudin (AZT) Anämie, Leukopenie, Übelkeit, Exantheme, Kopfschmerzen
Didanosin (DDI) Pankreatitis, Polyneuropahthie, Diarrhö
Stavudin (D4T) Polyneuropathie, Pankreatitis
Lamivudin (3TC) Selten: Blutbildstörungen
Emtricitabin (FTC) Selten: Blutbildstörungen
Abacavir (ABC) Fieber, Exanthem (Hypersensitivitätssyndrom)
Tenofovir Selten: Nierenfunktionsstörung, Fanconisyndrom

Proteinase-Inhibitoren (PI)

Saquinavir Diarrhö, Übelkeit
Ritonavir Diarrhö, Übelkeit, metallischer Geschmack, Transaminasenanstieg, Anstieg von Triglyzeriden und Cholesterin, ausgeprägte Interaktionen mit anderen Arzneimitteln
Indinavir Bilirubinanstieg, Bildung von Nierensteinen, Kreatininerhöhung
Fosamprenavir Gastrointestinale Störungen, allergische Reaktionen
Lopinavir/r∗ Gastrointestinale Störungen
Atazanavir Erhöhung des indirekten Bilirubins
Tipranavir Gastrointestinale Störungen
Darunavir Selten gastrointestinale Störungen

Nichtnukleosidale Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI)

Nevirapin Allergische Hautreaktionen, Hepatitis
Efavirenz Schlafstörungen, Müdigkeit, Alpträume, Exanthem

Fusionshemmer

Enfuvirtid (T20) Subkutane Injektion notwendig; Schmerzen und Knoten an den Einstichstellen
Korezeptorantagonisten (CCR5-Antagonisten)

Maraviroc Nachweis des CCR5-Tropismus notwendig

Integrasehammer

Raltegravir sehr gut verträglich

Die Therapie der HIV-Infektion erfolgt heute immer als Kombinationstherapie. Diese wird auch als „hochaktive antiretrovirale Therapie" (HAART) bezeichnet. Typischerweise besteht sie aus der Kombination von 2 NRTI mit einem Proteasehemmer (PI) oder einem NNRTI.

Durch keine bisher bekannte Therapie wird die vollständige Elimination von HIV erreicht. Daher muss eine einmal begonnene und effektive antiretrovirale Therapie unbegrenzt fortgeführt werden, da es sonst erneut zur ungehemmten Virusvermehrung kommt. Aus unterschiedlicher Motivation ist in den letzten Jahren die Auswirkung von Therapiepausen untersucht worden. Die erhofften positiven Effekte (Verbesserung der Immunantwort gegen HIV) traten hierunter nicht ein, dagegen konnte ein vermehrtes Risiko für schwerwiegende Komplikationen gezeigt werden. Therapiepausen sind daher nicht zu empfehlen.

Indikationen zur antiretroviralen Therapie Über den optimalen Zeitpunkt für den Beginn der Therapie herrscht keine Klarheit. Bei zu spätem Einsetzen der Therapie ist ein schwerer Immundefekt evtl. nicht mehr reversibel. Als unterste Grenze für den Beginn einer HAART wird eine CD4+-Zahl von 200/μl angesehen. Bei einer CD4+-Zahl von 200–350/μl ist ein Therapiebeginn zu empfehlen. Dagegen können bei sehr früher Therapie die Nachteile (Nebenwirkungen, hohe Kosten) über wiegen. Bei einer CD4+-Zahl von > 500/μl wird deshalb meist zunächst abgewartet.

Eine gesicherte Behandlungsindikation besteht für alle Patienten mit einer symptomatischen HIV-Infektion unabhängig von der Zahl der CD4+-Zellen und der HIV-RNA.

HIV-Therapie in der Schwangerschaft Eine besondere Herausforderung ist die Behandlung HIV-infizierter schwangerer Frauen. Im ersten Trimenon sollte wegen des möglichen teratogenen Potenzials keine antiretrovirale Therapie erfolgen bzw. eine begonnene Therapie ausgesetzt werden. Für eine antiretrovirale Therapie mit Zidovudin ab der 14. Schwangerschaftswoche bis zur Entbindung mit anschließender 6-wöchiger Nachbehandlung des Kindes ist eine Verringerung der vertikalen HIV-Übertragung nachgewiesen. Viele Frauen werden heute auch in der Schwangerschaft mit einer Kombinationstherapie behandelt, wobei bisher kaum Daten zur Fruchtschädigung durch einzelne Medikamente vorliegen. Wegen seiner Teratogenität ist Efavirenz auf jeden Fall kontraindiziert.

Therapieziele Ziele einer antiretroviralen Therapie sind die Lebensverlängerung und eine Besserung vorhandener Symptome und der Lebensqualität. Bei asymptomatischen Patienten können nur die Viruslast und der Immunstatus als Parameter für die Wirksamkeit einer Therapie herangezogen werden. Es sollte heute eine Absenkung der HIV-RNA unter die Nachweisgrenze ultrasensitiver Tests (< 50 Kopien/ml) angestrebt werden. Je nach Höhe der Ausgangsviruslast wird dieses Ziel meist nach 3–6 Monaten erreicht. Durch eine effektive antiretrovirale Therapie steigt die Zahl der CD4+-Zellen an. Normalwerte werden jedoch meist nur von Patienten mit relativ guten Ausgangswerten erreicht.

Probleme der antiretroviralen Therapie Diese Therapie war zunächst mit erheblichen Einschränkungen und Belastungen behaftet (z. B. Einnahme großer Medikamentenmengen). Moderne Kombinationstherapien sind dagegen deutlich patientenfreundlicher (Einnahmezeiten ein- oder zweimal/Tag, geringe Menge an Tabletten). Von besonderer Bedeutung ist die konsequente Einnahme der Medikamente, da mangelnde Compliance einen Hauptfaktor für ein suboptimales Ansprechen der Therapie und für die Entwicklung von Resistenzen darstellt

Nebenwirkungen Antiretrovirale Substanzen können viele Nebenwirkungen auslösen (Tab. 13.12). Eine immer größere Rolle spielen langfristige Nebenwirkungen der HAART. Mit zunehmender Therapiedauer finden sich Störungen der Fettverteilung (Lipodystrophiesyndrom), die sich sowohl als Fettatrophie (Gesicht, Extremitäten) als auch als Fetteinlagerungen (Abdomen, Brust, Nacken) äußern können. Zum Teil können diese Veränderungen auf bestimmte Medikamente zurückgeführt werden (Lipatrophie: NRT, besonders Stavudin; Lipohypertrophie: Proteasehemmer, z. B. Indinavir). Als pathogenetischer Faktor für die Lipatrophie wird eine mitochondriale Toxizität insbesondere einiger NRTI angesehen, während die Lipohypertrophie bisher nicht gut geklärt ist. Eine Therapie ist nicht bekannt, der Prophylaxe durch Vermeidung von Substanzen mit einem Risiko für eine Lipodystrophie kommt daher entscheidende Bedeutung zu. Weitere Nebenwirkungen sind metabolische Störungen: Erhöhungen der Triglyzeride und des Cholesterins im Serum, erhöhte Insulinresistenz und Diabetes mellitus. Auch Veränderungen des Knochenstoffwechsels (Osteoporose, Osteonekrosen) wurden beschrieben. Als Folgen dieser Veränderungen wird in Zukunft eine Zunahme kardiovaskulärer Erkrankungen befürchtet. Typischerweise treten diese Veränderungen bei Patienten auf, die virologisch gut auf die Therapie ansprechen. Ein Wechsel der Medikamente führt nur in einem Teil der Fälle zur Rückbildung der Fettverteilungsstörungen.

Resistenz Wegen der hohen Mutationsrate von HIV führt eine ungenügende Virussuppression rasch zur Resistenzentwicklung gegen die eingesetzten Medikamente. Die einzelnen Substanzen sind dabei unterschiedlich anfällig. Am schnellsten erfolgt sie bei den NNRTI, da hier nur einzelne Punktmutationen notwendig sind. Resistenzbildung gegen eine Substanz führt meist zur Kreuzresistenz gegen alle anderen NNRTI. Auch bei den Proteasehemmern bestehen ausgeprägte Kreuzresistenzen, so dass eine Resistenzbildung meistens zu einer drastischen Einschränkung der therapeutischen Möglichkeiten führt. Zwei Typen von Resistenztests sind zu unterscheiden:

  • genotypische Resistenzbestimmung: Man sucht nach Resistenzmutationen innerhalb der verschiedenen HIV-Gene. Aufgrund der Mutationen ist dann ein Rückschluss auf die Wirksamkeit der unterschiedlichen Substanzen möglich.

  • phänotypische Resistenzbestimmung: Das Virus wird (im Prinzip) direkt den verschiedenen Substanzen ausgesetzt und die Wachstumshemmung bestimmt.

Die Interpretation dieser Tests erfordert besondere Kenntnisse.

Verlauf und Prognose

Von der akuten HIV-Infektion bis zum Auftreten von AIDS vergehen bei Unbehandelten im Durchschnitt ca. 10 Jahre. Die mittlere Zeitspanne von der Diagnose AIDS bis zum Tod beträgt dann knapp 2 Jahre. Ein geringer Anteil aller HIV-Infizierten (< 5%) zeigt auch nach mehr als 10-jähriger Dauer der Infektion keine Anzeichen eines Immundefektes (Long-term non-Progressor). Es ist bisher nicht bekannt, ob diese Personen jemals an AIDS erkranken werden. Bei allen anderen führt die HIV-Infektion unbehandelt unweigerlich zur Ausbildung von AIDS und zum Tod.

Durch die antiretrovirale Kombinationstherapie hat sich die Prognose der HIV-Infektion dramatisch verbessert. Die meisten können damit ein normales Leben führen, und die Prognose ist günstig. Die mittlere Lebenserwartung eines Patienten unter antiretroviraler Therpaie lässt sich heute noch nicht sicher angeben, dürfte sich aber der normalen Lebenserwartung annähern.

Prävention

Da die HIV-Infektion zur unheilbaren, tödlichen Erkrankung führt und eine Schutzimpfung nicht zur Verfügung steht, kommt der Prävention eine zentrale Rolle zu. Das Risiko einer sexuellen Übertragung der HIV-Infektion kann durch Vermeidung riskanter Sexualpraktiken vermindert werden. Die konsequente Benutzung von Kondomen ist eine entscheidende Maßnahme zur Verminderung des Übertragungsrisikos. Bei Drogenabhängigen konzentrieren sich präventive Strategien auf die Suchttherapie sowie auf die kontrollierte Verabreichung von Ersatzdrogen („Methadon-Programm“). Eine weitere präventive Maßnahme ist die Ausgabe steriler Spritzen an Drogenabhängige.

Berufliche HIV-Exposition

Allgemeine Vorsichtsmaßnahmen Angehörige medizinischer Berufe sind beim Umgang mit HIV-Patienten einer Infektionsgefahr ausgesetzt. Ein relevantes Infektionsrisiko existiert allerdings nur beim Kontakt mit infiziertem Blut. Die höchste Gefahr besteht bei Stichverletzungen mit Hohlnadeln, die Blut enthalten: In 0,2–0,5% kommt es zur Übertragung von HIV. Daher müssen unbedingt Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden. Am wichtigsten ist die Vermeidung von Prozeduren, die ein hohes Verletzungsrisiko beinhalten („Re-capping“ von Kanülen!). Scharfe Gegenstände müssen immer aus dem unmittelbaren Arbeitsbereich entfernt und sofort in spezielle Container entsorgt werden.

Da eine Infektion prinzipiell auch über Schleimhäute und verletzte Haut erfolgen kann, müssen in allen Situationen, in denen Blutkontakt möglich ist, Schutzhandschuhe getragen werden.

Vorgehen bei Nadelstichverletzung Ist es trotz Vorsichtsmaßnahmen zur Nadelstichverletzung gekommen, müssen sofort folgende Maßnahmen ergriffen werden: Blutung anregen und die möglichst gespreizte Wunde mit einem Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis gründlich desinfizieren (ca. 4 min). Bei Hautkontakt ebenfalls desinfizieren oder gründlich mit Seife und viel Wasser waschen. Handelt es sich um eine Verletzung mit hohem Risiko (Injektion von größeren Mengen Blut, intramuskuläre Verletzung mit großlumiger Nadel), sollte eine antiretrovirale Kombinationstherapie rasch begonnen (optimal innerhalb von 1–2 h nach Verletzung) und für 28 Tage durchgeführt werden. Bei Verletzungen mit geringerem Risiko (z. B. subkutane Verletzung) sollte eine individuelle Beurteilung und Beratung durch jemanden mit spezieller Erfahrung in diesem Bereich erfolgen. Wichtig sind in allen Situationen, in denen ein Infektionsrisiko aufgetreten ist, eine psychologische Betreuung der betroffenen Personen und die exakte Dokumentation des Unfallhergangs einschließlich der HIV-Tests (Zeitpunkte 0, 6 Wochen, 3 und 6 Monate), damit Ansprüche des Betroffenen im Falle einer Infektion gewahrt bleiben.

Aus Patientensicht: HIV-Infektion und AIDS

Erste Reaktionen Für viele ist die Mitteilung der HIV-Infektion zunächst ein schwerer Schicksalsschlag. Sie fürchten, bald zu sterben, bangen um ihre Arbeitsfähigkeit und um den Fortbestand ihrer Partnerschaft. Hinzu kommt die Sorge, eventuell selbst andere Menschen mit der Erkrankung angesteckt zu haben. Ein normales Leben weiterführen zu können ist für die meisten nicht vorstellbar. Sie fühlen sich geächtet von ihrer Umgebung und glauben, ihre Erkrankung selbst vor engen Freunden und Verwandten verstecken zu müssen. Viele Menschen mit HIV-Infektion haben vorbestehende Erkrankungen (z. B. Drogenabhängigkeit, Depression), welche die Auseinandersetzung mit der Infektion erschweren. Für Patienten, die bereits an opportunistischen Infektionen leiden, kommen eventuell spezifische Behinderungen hinzu.

Die Frage, in welcher Form Sexualität möglich ist, spielt für viele Infizierte eine große Rolle. Auch HIV-Patienten können unter entsprechenden Schutzmaßnahmen (Kondombenutzung) sexuelle Kontakte haben. Häufig kommt es jedoch als Folge der HIV-Infektion zu sexuellen Funktionsstörungen.

Auseinandersetzung mit der Therapie Medikamente zu nehmen erfordert nicht nur eine große Disziplin, sondern erinnert auch täglich an die Erkrankung. Viele haben deshalb Vorbehalte gegen eine antiretrovirale Therapie, sie möchten lieber ihre Infektion verdrängen. Manche Therapieformen erfordern das Einhalten zusätzlicher Regeln (z. B. Einnahme von Medikamenten 1 h vor dem Essen). Das Auftreten von Nebenwirkungen bedeutet ein weiteres Hindernis für eine konsequente Durchführung der Therapie. Häufig fühlen sich die Patienten abgeschlagen und müde, obwohl die Therapie virologisch und immunologisch gut wirksam ist.

Viele fühlen sich aber auch sehr viel besser unter antiretroviraler Therapie. Sie nehmen wieder an Gewicht zu und können normalen Aktivitäten nachgehen. Dies gilt v. a. für die, bei denen die Behandlung bereits in einem fortgeschrittenen Stadium begonnen wird.

Auseinandersetzung mit dem Tod Auch heute noch ist AIDS eine potenziell tödliche Erkrankung, manche sterben trotz Einsatz aller verfügbaren therapeutischen Möglichkeiten. Deshalb ist die psychosoziale Betreuung sehr wichtig, und es werden weiterhin Einrichtungen benötigt, die eine intensive Pflege und Betreuung neben der medizinischen Versorgung gewährleisten. Dies kann entweder durch Hospize, Pflegeheime oder durch ambulante Pflege erfolgen. Eine große Rolle spielt in dieser Phase der Erkrankung die Zuwendung von Verwandten und Freunden. Von ärztlicher Seite ist es in dieser Situation wichtig, alle palliativen Hilfsmittel anzubieten und gegebenenfalls unwirksame Medikamente abzusetzen. Eine besondere Rolle spielt eine ausreichende Schmerztherapie, da AIDS-Patienten im finalen Stadium häufig unter starken Schmerzen leiden.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Infektion mit humanem Immundefizienzvirus (HIV)

  • Wichtigstes Symptom: phasenhafter Verlauf: akute retrovirale Infektion wie Mononukleose, Latenzphase meist ohne Symptome, in der Folge opportunistische Erkrankungen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: serologischer Virusnachweis (ELISA, PCR); Bestimmung der CD4+-Lymphozyten, Nachweis der Virusreplikation durch Bestimmung der HIV-RNA im Plasma

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: antiretrovirale Kombinationstherapie (HAART)

13.4.2. Opportunistische Erkrankungen

Als Folge der durch HIV ausgelösten Immunschwäche kommt es zum Auftreten so genannter opportunistischer Infektionen. Typisch für viele opportunistische Erreger ist, dass sie weit verbreitet sind und nach einer Primärinfektion, die bereits vor der HIV-Infektion stattfindet, zu latenten Infektionen führen. Diese Erreger werden erst durch die Immunschwäche zu Pathogenen (daher die Bezeichnung opportunistisch).

Alle Organe können von diesen Infektionen betroffen werden. Am häufigsten treten Erkrankungen der Haut, der Mundhöhle, des Gastrointestinaltraktes, der Lunge, des Auges und des Nervensystems auf. Einige der opportunistischen Infektionen kommen bereits vor, wenn die CD4+-Zellen noch nicht maximal erniedrigt sind (zwischen 100 und 200/μl). Beispiele hierfür sind die Candida-Ösophagitis und die Pneumocystis-carinii-Pneumonie. Andere Erkrankungen sind charakteristisch für das Endstadium der Immundefizienz (CD4+-ZelIen < 50/μl).

Neben Infektionen treten auch verschiedene Tumoren gehäuft auf (Kaposi-Sarkom, Non-Hodgkin-Lymphome).

Praxisfall

Ein 30-Jähriger, der bis dahin nie krank war, stellt sich in der Notaufnahme vor. Seit 3 Wochen bemerkt er Fieber, das in den letzten Wochen täglich 39 °C überschreitet. Er klagt über quälenden Reizhusten mit wenig Auswurf, der auch nachts sehr heftig sei. In den letzten Wochen habe er 7 kg Gewicht abgenommen (von 60 auf 53 kg). Bis zum Vortag habe er gearbeitet, was ihm in den letzten Tagen sehr schwer gefallen sei. Bei Nachfrage gibt er an, homosexuelle Kontakte zu haben, ein HIV-Test sei nie durchgeführt worden.

Bei der Untersuchung fallen eine Tachypnoe (30/min) und eine ausgeprägte periphere Zyanose auf. Auskultation und Perkussion sind unauffällig. Im Mund besteht ein Soor. Zervikal, inguinal und axillär lassen sich vergrößerte Lymphknoten (bis 1,5 cm) tasten. Ansonsten keine Auffälligkeiten.

Labor: Hb 10,5 g/dl; Leukozyten 2800/μl; LDH 680 U/l; in der arteriellen Blutgasanalyse pO2 52 mmHg, pCO2 20 mmHg, pH 7,41; sonst keine weiteren Auffälligkeiten.

Röntgen-Thorax: ausgeprägte interstitielle Infiltrationen in beiden Lungenflügeln, z. T. auch alveoläre Verschattungen.

Klinische Diagnose: interstitielle Pneumonie, dringender Verdacht auf Pneumocystis-carinii-Pneumonie.

Therapie: sofortige Behandlung mit hochdosiertem Co- trimoxazol und mit Ceftriaxon; ferner Gabe von Prednison. Symptomatisch Verabreichung von O2 per Nasensonde, Behandlung des Soors mit Amphotericin-B-Suspension.

Weiterführende Diagnostik: HIV-Serologie im ELISA und Westernblot positiv; HIV-RNA im Plasma 820 000 copies/ml; CD4+-Lymphozyten 10/μl, CD8+-Lymphozyten 400/μl; in der bronchoalveolären Lavage Nachweis von Pneumocystis carinii.

Verlauf: allmählicher Rückgang der klinischen Symptomatik; nach Diagnosesicherung der PCP Absetzen von Ceftriaxon und Behandlung mit Co-trimoxazol über 3 Wochen. Danach Einleitung einer antiretroviralen Therapie, Fortführung der Co-trimoxazol-Gabe in prophylaktischer Dosierung und Entlassung in deutlich gebessertem Zustand.

Erkrankungen der Haut

Das Spektrum der Hautveränderungen im Rahmen der HIV-Infektion umfasst:

  • infektiöse Veränderungen

  • allergische Reaktionen

  • sog. idiopathische Hauterkrankungen.

Infektiöse Veränderungen

Häufig sind Herpes-simplex-Virus-Infektionen, die als harmlose Infektionen, aber auch als schwere, chronische Ulzerationen imponieren können. Varicella-Zoster-Virus-Reaktivierungen (Gürtelrose) treten typischerweise schon in frühen Stadien der HIV-Infektion auf und erstrecken sich häufig über mehrere Dermatome. Die Behandlung der Herpesvirusinfektionen kann mit Aciclovir, Valaciclovir, Famciclovir oder Brivudin erfolgen.

Eine andere häufige Virusinfektion sind die Dellwarzen (Mollusca contagiosa), die sehr charakteristisch sind und oft ausgedehnte Körperareale befallen (Kap. 13.5). Im Analbereich kommen gehäuft Feigwarzen (Condylomata acuminata) vor.

Die Infektionen mit Herpes-simplex- und Varicella-Zoster-Virus werden mit Aciclovir behandelt. Bei Dellwarzen und Feigwarzen müssen Kürettagen angewendet werden.

Bakterielle Infektionskrankheiten, die bei HIV-Infizierten vermehrt diagnostiziert werden, umfassen Pyodermien, Lues und bazilläre Angiomatose. Letztere wird durch die erst kürzlich entdeckten Erreger Bartonella henselae und quintana verursacht und äußert sich in Form rötlicher, papulöser Hautveränderungen. Es kann ferner ein disseminierter Organbefall vorkommen.

Die Therapie erfolgt mit Penicillin (Lues), mit Staphylokokken-wirksamen Antibiotika (Pyodermie) und mit Makroliden (bazilläre Angiomatose).

Allergische Reaktionen und andere Hauterkrankungen Neben allergischen Reaktionen treten gehäuft Psoriasis vulgaris, seborrhoisches Ekzem, Xerodermie und papulöse Dermatitiden auf. Außer durch dermatologische Lokalbehandlung bessern sich diese Erkrankungen oft durch Verbesserung der Immunsituation im Rahmen einer erfolgreichen antiretroviralen Therapie.

Kaposi-Sarkom

Epidemiologie Der 1872 von Moriz Kaposi beschriebene Tumor tritt in der klassischen Form v. a. bei älteren Männern bestimmter Ethnien an den unteren Extremitäten auf. Daneben waren bereits vor der HIV-Epidemie eine afrikanische Form des Kaposi-Sarkoms und das gelegentliche Auftreten bei immunsupprimierten Patienten bekannt. Durch die HIV-Infektion ist es zur drastischen Zunahme der Kaposi-Sarkom-Fälle gekommen und das Erscheinungsbild der Erkrankung hat sich gewandelt. Das Kaposi-Sarkom tritt bei homosexuellen Männern häufiger auf als bei Patienten, die sich auf anderem Wege mit HIV infiziert haben. Mittlerweile wurde das humane Herpesvirus 8 (HHV8) als Ursache für das Kaposi-Sarkom identifiziert. In den letzten Jahren ging die Inzidenz des Kaposi-Sarkoms zurück.

Symptome

Typischerweise befällt das Kaposi-Sarkom bei HIV-Infizierten multifokal die Haut und die Schleimhäute als rötliche bis livide papulöse Läsionen (Abb. 13.9 ). Daneben kommt auch eine flächenhafte Ausbreitung, z. B. an den Beinen, vor. Ein Befall innerer Organe (Lunge, Magen-Darm- Trakt) ist prognostisch ungünstig.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Multiple Kaposi-Sarkome der Haut.

Diagnostik

Durch das charakteristische Erscheinungsbild oder im Zweifel histologisch.

Therapie

Die Behandlung der HIV-Infektion ist von entscheidender Bedeutung. Häufig kommt es unter erfolgreicher antiretroviraler Therapie zur Rückbildung des Kaposi-Sarkoms. Bei schwerem disseminiertem oder pulmonalem Befall wird die Chemotherapie mit liposomal verkapseltem Doxorubicin bzw. Daunorubicin durchgeführt. Einzelne Herde können auch bestrahlt werden.

Erkrankungen der Mundhöhle

Die häufigste Erkrankung der Mundhöhle ist die Candida-Infektion (oraler Soor). Es finden sich weißliche Beläge der Mundschleimhaut auf gerötetem Untergrund. Ein oraler Soor tritt umso häufiger auf, je niedriger die CD4+-Zell-Zahl ist. Azol-Antimykotika (Fluconazol) sind meist rasch wirksam.

Die orale Haarleukoplakie ist gekennzeichnet durch charakteristische weiße Beläge am Zungenrand und kommt nur bei der HIV-Infektion vor. Die Veränderung wird wahrscheinlich durch EBV verursacht. Eine Therapie ist nicht bekannt. Meist führt eine wirksame antiretrovirale Therapie zur Besserung.

Weitere häufige orale Komplikationen sind Gingivitis und Parodontitis. Die schwerste Form dieser Veränderungen ist die akute nekrotisierende ulzerierende Gingivitis (ANUG). Zur Therapie sind lokale zahnärztliche Maßnahmen erforderlich. Ferner treten oft Aphthen auf, die meist sehr schmerzhaft sind und mit antiseptischen Spülungen behandelt werden. Das Kaposi-Sarkom (s. o.) kann ebenso die Mundhöhle befallen.

Die Symptomatik reicht von asymptomatischen Veränderungen bis zu schmerzhaften Läsionen, die eine Nahrungsaufnahme fast unmöglich machen (Therapie siehe oben).

Infektionen des Gastrointestinaltraktes

Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes sind häufig bei fortgeschrittener HIV-Infektion. Im Folgenden sind die häufigsten opportunistischen Erkrankungen aufgeführt. Hinzu kommen einige seltene Infektionen und andere Erkrankungen, die nicht spezifisch für die HIV-Infektion sind.

Candida-Ösophagitis

Häufigste AIDS-definierende opportunistische Infektion des Gastrointestinaltraktes.

Symptome

Dysphagie und retrosternale Schmerzen, meist auch Candida-Beläge in der Mundhöhle.

Diagnostik

Ösophagoskopie mit dem makroskopischen Bild weißer Schleimhautbeläge und mikrobiologischer oder histologischer Nachweis von Candida.

Therapie

Fluconazol. Nach erfolgreicher Behandlung treten häufig Rezidive auf. Dann ist eine prophylaktische Behandlung mit Fluconazol indiziert. Bei den seltenen Fällen einer Fluconazol-Resistenz wird Voriconazol eingesetzt.

Zytomegalievirus(CMV)-Infektionen

Diese Infektionen treten meist bei sehr weit fortgeschrittenem Immundefekt (CD4+-Zellen < 50/μl) auf und betreffen v. a. Gastrointestinaltrakt und Auge.

Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes durch CMV können in allen Abschnitten vorkommen: als Ösophagitis, Gastritis, Enteritis, Kolitis und als Proktitis.

Symptome

Die Ösophagitis verursacht eine Dysphagie. Bei der CMV-Gastritis stehen Oberbauchschmerzen im Vordergrund. Die CMV-Enterokolitis manifestiert sich mit Durchfällen und Bauchschmerzen. Bei der CMV-Proktitis sind Defäkationsschmerzen und Blutbeimengungen im Stuhl die führenden Symptome.

Diagnostik

Endoskopische Untersuchung mit Biopsie. Makroskopisch sieht man eine Entzündung der Schleimhaut und Ulzerationen, die wie ausgestanzt wirken. Histologisch ist der Nachweis von intranukleären Einschlusskörperchen in vergrößerten Zellen (Eulenaugen-Zellen) typisch. Die Abgrenzung von anderen viralen Infektionen ist durch die Immunhistologie (Nachweis viraler Antigene) möglich. Der Nachweis des CMV-pp65-Antigens im Blut und die CMV-PCR aus dem Blut geben Hinweise auf die Diagnose.

Therapie

Zurzeit sind 3 Substanzen verfügbar: Ganciclovir, Cidofovir und Foscarnet. Sie müssen intravenös verabreicht werden und sind in ihrer Wirksamkeit vergleichbar. Unterschiede bestehen in den Nebenwirkungen: Ganciclovir ist hämatotoxisch (Leukopenie, Anämie), während bei Foscarnet und Cidofovir die Nephrotoxizität im Vordergrund steht. In schweren Fällen können Ganciclovir und Foscarnet kombiniert gegeben werden

Kryptosporidien-Infektionen

Kryptosporidien sind Protozoen, die bei Tieren und bei Menschen Durchfallerkrankungen auslösen können. Sie werden vor allem durch kontaminiertes Wasser übertragen. Bei Immunkompetenten kommt es zu einer milden, selbstlimitierten Diarrhö.

Symptome

HIV-Patienten mit ausgeprägter Immunschwäche erkranken an schwersten wässrigen Durchfällen, die den Patienten häufig Tag und Nacht quälen. Infolgedessen kommt es zur Auszehrung („Wasting Syndrom“).

Diagnostik

Die Kryptosporidien finden sich an der Oberfläche des Darmepithels und können dort histologisch nachgewiesen werden. Nachweis von Oozysten im Stuhl, darstellbar mit Spezialfärbungen.

Therapie

Nicht bekannt. Besserung erfolgt meist mit der Einleitung einer antiretroviralen Therapie. Symptomatische Maßnahmen (Loperamid, Opiumtinktur) müssen häufig angewandt werden.

Mikrosporidien-Infektionen

Mikrosporidien sind obligat intrazelluläre, sporenbildende Protozoen. Von den mehr als 1000 Spezies sind bisher 5 als menschenpathogen bekannt. 2 Spezies stehen bei HIV-Infektion im Vordergrund: Enterocytozoon bieneusi infiziert Darm und Gallengänge. Die Symptome sind von denen bei der Kryptosporidien-Infektion nicht unterscheidbar. Encephalitozoon verursacht eine Allgemeininfektion.

Die Diagnose einer Mikrosporidiose erfordert spezielle Techniken (Fluoreszenztest) und ist aus Stuhl oder Abstrichen und Sekreten möglich. Die Speziesdifferenzierung ist durch Elektronenmikroskopie oder PCR möglich und von therapeutischer Bedeutung: Während Encephalitozoon auf eine Therapie mit Albendazol anspricht, ist für Enterocytozoon bieneusi keine wirksame Therapie bekannt.

Wasting-Syndrom

Synonym: Slim Disease, AIDS-Kachexie

Das Wasting-Syndrom ist definiert durch eine Gewichtsabnahme von mehr als 10% des Ausgangsgewichtes, verbunden mit anhaltendem Fieber oder chronischer Diarrhö ohne Erregernachweis.

Diagnostik

Behandelbare opportunistische Infektionen müssen ausgeschlossen werden.

Therapie

Die antiretrovirale Therapie führt meist zur Besserung.

Erkrankungen der Lunge

Wie alle opportunistischen Infektionen sind Lungenmanifestationen in den letzten Jahren seltener geworden. Nach wie vor stellt die Pneumocystis-Pneumonie als akut lebensbedrohliche Infektion häufig die Erstmanifestation von AIDS dar. Die Tuberkulose ist weltweit die häufigste Todesursache HIV-infizierter Menschen.

Tuberkulose

Epidemiologie Weltweit ist die Tuberkulose mit Abstand die häufigste opportunistische Infektion im Rahmen der HIV-Infektion. Ihre größte Verbreitung hat sie in den unterentwickelten Ländern. Aber auch in Südeuropa kommt sie sehr häufig vor. An Tuberkulose ist besonders zu denken bei Drogenabhängigen und bei Patienten aus Ländern der Dritten Welt. Die Lunge ist meist betroffen, doch handelt es sich bei der Tuberkulose HIV-Infizierter oft um ein disseminiertes Krankheitsbild mit Befall unterschiedlichster Organe.

Symptome

Unspezifisch mit Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsabnahme und Husten. Röntgenologisch finden sich an der Lunge typische Verläufe im Sinne einer Reaktivierung mit kavernösen Veränderungen und atypische Verläufe mit flächenhaften Infiltraten und mediastinalen Lymphknotenschwellungen.

Diagnostik

Eine Tuberkulose muss bei allen pulmonalen Infiltraten bei HIV-infizierten Patienten ausgeschlossen werden. Die definitive Diagnose wird mit der Sputumuntersuchung durch den Nachweis säurefester Stäbchen gestellt, evtl. ferner Untersuchung des Magensekrets oder Bronchoskopie. Zur Unterscheidung von ubiquitären Mykobakteriosen (Mycobacterium-avium-Komplex) ist eine mikrobiologische Differenzierung nötig.

Therapie

Dieselben Substanzen wie bei nicht-HIV-infizierten Patienten (Kap. 10.5) meist über insgesamt 6 Monate, bei komplizierten Fällen auch länger. Das Ansprechen auf die Therapie ist allgemein gut. Multiresistente Tuberkuloseerreger kamen in einigen amerikanischen Großstädten bei HIV-Infizierten gehäuft und mit sehr hoher Letalität vor. In Deutschland sind solche Infektionen bisher nicht aufgetreten. Wichtigste Maßnahme zur Verhütung von Resistenzbildungen ist eine konsequente und effektive Therapie.

Pneumocystis-Pneumonie (PCP)

Synonym: Pneumocystis-jiroveci- Pneumonie

Hervorgerufen durch den ubiquitär vorkommenden Pilz (früher als Protozoon klassifiziert) Pneumocystis jiroveci (früher Pneumocystis carinii, daher die Abkürzung PCP). Bereits im Kindesalter besteht fast hundertprozentige Durchseuchung, so dass das Risiko einer Erkrankung nur vom Ausmaß des Immundefektes abhängt. Ohne prophylaktische Maßnahmen beträgt die Inzidenz für Patienten mit CD4+-Zellen < 100/μl ca. 60% pro Personenjahr. Oberhalb von 200 CD4+-Zellen/μl kommt es nur sehr selten zur PCP.

Symptome

PCP führt zur interstitiellen Entzündung der Lunge, im späteren Verlauf zu alveolären Exsudaten. Klassisch ist die Symptomentrias von Fieber, unproduktivem Husten und zunehmender Dyspnoe. Die Beschwerden beginnen häufig schleichend und werden oft wochenlang verkannt.

Diagnostik

Ein klinischer Verdacht auf PCP muss sofort weiter abgeklärt werden. Bei der körperlichen Untersuchung finden sich häufig Zyanose und Tachypnoe. Der Auskultationsbefund ist aber typischerweise normal. Im Röntgenbild des Thorax sieht man eine interstitielle Zeichnungsvermehrung, in schweren Fällen können auch alveoläre Verschattungen auftreten (Abb. 13.10 ).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Thorax-Röntgenaufnahme. Typisches Bild einer Pneumocystis-carinii-Pneumonie mit ausgeprägten beidseitigen interstitiellen Infiltrationen.

(Aufnahme: Prof. Dr. K. Lackner, Köln)

Obligate Blutuntersuchungen sind die Bestimmung der LDH (erhöht) und eine arterielle Blutgasanalyse (Erniedrigung des pO2), da beide Parameter prognostische Aussagekraft haben. Die Leukozyten sind meist nicht vermehrt. Bei Patienten mit den aufgeführten diagnostischen Kriterien kann die klinische

Diagnose einer PCP gestellt werden. Die definitive Diagnose wird durch den Erregernachweis (Immunfluoreszenz oder andere Färbetechniken) aus der bronchoalveolären Lavage (BAL) gestellt.

Therapie

Bei Verdacht auf PCP muss sofort eine Therapie eingeleitet werden. Dies steht einer späteren Diagnosesicherung nach wenigen Tagen nicht im Wege. Mittel der Wahl ist Co-trimoxazol in hoher Dosierung (20 mg Trimethoprim, 100 mg Sulfamethoxazol/kg KG und pro Tag). Die Therapiedauer beträgt normalerweise 3 Wochen. Bei schweren Unverträglichkeitserscheinungen (Allergie) muss auf intravenös verabreichtes Pentamidin ausgewichen werden. Eine PCP mit arteriellem Ausgangs-pO2 von 70 mmHg oder weniger muss zusätzlich mit Prednison (2-mal 50 mg/d) behandelt werden, da so die Letalität vermindert wird. Unbehandelt ist eine PCP immer letal. Auch bei optimaler Behandlung handelt es sich um eine ernste Erkrankung. Ungünstige prognostische Parameter sind eine ausgeprägte Erniedrigung des pO2 und eine starke Erhöhung der LDH. Patienten mit beatmungspflichtiger respiratorischer Insuffizienz haben eine schlechte Prognose.

Bakterielle Pneumonien

Synonym: ambulant erworbene Pneumonie

Bakterielle Pneumonien treten schon bei einer Helferzellzahl über 200/μl auf, werden aber mit zunehmendem Immundefekt häufiger. Drogenabhängige sind öfter betroffen als homosexuelle Patienten.

Häufigste Erreger sind Pneumokokken, Haemophilus influenzae, Staphylokokken und gramnegative Erreger.

Symptome

Wie bei Pneumonien bei immunkompetenten Personen (Kap. 10.4.1).

Diagnostik

Von der PCP ist die bakterielle Pneumonie bei typischem Verlauf durch raschen Beginn, purulentes Sputum, positiven Auskultationsbefund und durch die Röntgenuntersuchung abzugrenzen. Es gibt aber häufig atypische Verläufe, die eine klinische Unterscheidung unmöglich machen.

Therapie

Bei leichtem Verlauf mit Cephalosporin der 2. Generation bzw. Ampicillin plus Lactamasehemmer, bei schwerem Verlauf Kombinationstherapie mit Cephalosporinen der 3. Generation und einem Makrolid oder mit einem Chinolon mit Pneumokokken-Wirksamkeit (Moxifloxacin, Levofloxacin). Bis zum Ausschluss einer PCP sollte bei schweren Pneumonien auch Co-trimoxazol gegeben werden.

Andere Pneumonien

Pneumonien durch Pilze kommen insgesamt selten bei HIV-Infizierten vor. Aspergillus-Pneumonien treten im Endstadium des Immundefektes auf und haben eine schlechte Prognose. Infektionen mit Kryptokokken manifestieren sich gelegentlich an der Lunge, meist jedoch erst bei weiterer Disseminierung als Fungämie oder Meningitis. Andere pulmonale Pilzinfektionen sind in Europa sehr selten. Candida-Pneumonien werden bei HIV-Infizierten nicht beobachtet. Virale Pneumonien sind ebenso sehr selten. Zytomegalievirus wird zwar häufig in der Lunge nachgewiesen, es handelt sich aber fast immer um eine Infektion ohne Krankheitswert.

Erkrankungen des Nervensystems

Symptome des zentralen und des peripheren Nervensystems treten im Rahmen der HIV-Infektion sehr häufig mit sehr vielgestaltigen Ursachen auf. Neurologische Symptome können durch HIV selbst, durch opportunistische Erkrankungen oder als unerwünschte Wirkungen therapeutischer Maßnahmen auftreten. Die Differentialdiagnose ist daher sehr schwierig.

Toxoplasmose

Ca. 50% der Bevölkerung sind mit dem Protozoon Toxoplasma gondii infiziert. Als opportunistische Infektion im Rahmen der HIV-Infektion tritt die Toxoxplasmose aber nur bei schwer eingeschränktem Immunstatus auf (CD4+-Zellen < 100/μl). Als Zeichen der früher erfolgten Infektion finden sich Antikörper im Serum. Bei fehlenden IGG-Antikörpern ist eine Toxoplasmose sehr unwahrscheinlich.

Symptome

Die zerebrale Toxoplasmose äußert sich in Fieber, Kopfschmerzen, neurologischen Ausfällen und epileptischen Anfällen.

Diagnostik

Nachweis von typischen Veränderungen in der Kernspintomografie oder Computertomografie des Schädels möglich (Abb. 13.11).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Computertomogramm des Schädels eines Patienten mit zerebraler Toxoplasmose nach Kontrastmittelgabe (doppelte Menge an KM, späte Aufnahme). Linksseitig zentral findet sich eine ovale Kontrastmittelanreicherung (Ring-Enhancement; Doppelpfeil) mit umgebendem Ödem (Pfeile) und zentraler Nekrose.

(Aufnahme: Prof. Lackner, Köln)

Therapie

Pyrimethamin und Sulfadiazin. Bilden sich die Veränderungen hierunter zurück, ist die Diagnose bestätigt. Eine Prophylaxe mit verminderter Dosis ist wegen hoher Rezidivgefahr anzuschließen. Wenn sich die Erkrankung unter der Therapie nicht bessert, sollte eine stereotaktisch gewonnene Biopsie erfolgen zum Ausschluss anderer Erkrankungen (z. B. Lymphom).

Kryptokokken-Meningitis

Durch den Hefepilz Cryptococcus neoformans kann eine Meningitis ausgelöst werden. Diese Infektion kommt v. a. in Afrika und den USA häufig vor, bei uns ist sie seltener.

Symptome

Kopfschmerzen und Fieber, oft über Wochen progredient.

Diagnostik

Bestimmung des Kryptokokken-Antigens im Serum mit sehr hoher Sensitivität. Zum Ausschluss einer anderen Meningitisform muss eine Punktion des Liquor cerebrospinalis durchgeführt werden, in dem sich die Kryptokokken durch ein Tuschepräparat nachweisen und kulturell anzüchten lassen.

Therapie

Amphotericin B und Flucytosin und zusätzlich evtl. Fluconazol.

HIV-Enzephalopathie

Synonym: AIDS-Demenz

Ca. 1/3 der erwachsenen Patienten und 2/3 der Kinder weisen Symptome einer HIV-Enzephalopathie auf. Sie wird vermutlich durch direkte Infektion des ZNS mit HIV verursacht und führt zu psychomotorischen Störungen unterschiedlichen Schweregrades.

Symptome

Das klinische Bild ist sehr variabel. Meist stehen Konzentrations- und Gedächtnisstörungen bis hin zur ausgeprägten Demenz im Vordergrund, aber auch epileptische Anfälle und Wesensveränderungen kommen vor.

Diagnostik

Nur durch den Ausschluss anderer ZNS-Manifestationen möglich. Im Liquor finden sich nur unspezifische Veränderungen, in der Kernspintomografie kann eine Hirnatrophie erkennbar sein.

Therapie

Antiretrovirale Behandlung. Dabei gibt es verschiedenartige Verläufe von der vollständigen Rückbildung bis hin zur weiteren Progredienz der Veränderungen.

Sonstige Erkrankungen des Nervensystems

Die progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) ist eine meist innerhalb von Wochen bis Monaten zum Tode führende Erkrankung des ZNS, die durch Polyoma-Viren (JC-Virus) ausgelöst wird. Charakteristisch sind zunehmende neurologische Störungen bei meist erhaltenem Bewusstsein und ausgedehnte Läsionen im Marklager, die sich am besten in der Kernspintomographie darstellen. Die Diagnose kann durch PCR aus dem Liquor oder durch Hirnbiopsie gestellt werden. Unter hochaktiver antiretroviraler Therapie kommt es bei einem Teil der Patienten zur Besserung.

Die CMV-Enzephalitis ist eine meist rasch progredient verlaufende zerebrale Infektion, die klinisch nicht von anderen Enzephalitiden zu unterscheiden ist. Die Diagnose kann durch eine PCR aus dem Liquor untermauert werden, die Therapie erfolgt mit Foscarnet oder Ganciclovir.

Das zerebrale Lymphom ist eine opportunistische Erkrankung im Endstadium der HIV-Infektion. Die Diagnose kann heute mit hoher Wahrscheinlichkeit durch den Nachweis von EBV-DNA im Liquor cerebrospinalis mittels PCR erfolgen. Eine definitive Sicherung ist nur durch Hirnbiopsie möglich. Kurzfristige Therapieerfolge können mit Dexamethason erzielt werden. Eine systemische Chemotherapie ist nicht wirksam, und auch eine Bestrahlung führt meist nur zur sehr kurzfristigen Remission.

Bei der Polyneuropathie handelt es sich um eine Erkrankung, die sehr häufig in späten Stadien der HIV-Infektion auftritt. Neben einer direkten neuropathischen Wirkung des HIV kommen toxische Wirkungen von Medikamenten ursächlich in Frage. Die Diagnose wird meist klinisch gestellt, elektroneurografische Untersuchungen können ggf. zusätzlich erfolgen, Ist die Polyneuropathie medikamentös ausgelöst, kommt es nach Absetzen zur Besserung. Andernfalls bestehen die Beschwerden meist fort.

Die Therapie ist symptomatisch (Gabapentin, Amitriptylin, Carbamazepin). Neurotoxische Substanzen (D4T, DDI) müssen abgesetzt werden.

Erkrankungen des Auges

Die Zytomegalievirus(CMV)-Retinitis tritt bei Patienten mit sehr schwerem Immundefekt auf (CD4+-Zell-Zahlen unter 50/μl).

Symptome

Verschwommenes Sehen und Sehminderung. Unbehandelt führt die Erkrankung zur Erblindung.

Diagnostik

Spiegelung des Augenhintergrundes mit charakteristischem Befund.

Therapie

Intravenöse Infusionen von Ganciclovir, Foscarnet oder Cidofovir werden eingesetzt.

Disseminierte Infektionen

Viele der Infektionen, die bei AIDS-Patienten auftreten, verlaufen als disseminierte Infektionen. Dies gilt auch für einen Teil der oben beschriebenen Erkrankungen (z. B. CMV-Infektion, Tuberkulose). Im Folgenden werden diejenigen Infektionen vorgestellt, die primär als generalisierte Erkrankung durch den Erregernachweis im Blut diagnostiziert werden. In der Regel manifestieren sich diese Infektionen als Sepsis, d.h mit klinischen Symptomen (Fieber, Tachykardie, Tachypnoe) und Nachweis von Bakterien im Blut (Bakteriämie).

Sepsis

Synonym: Bakteriämie

Oftmals treten Bakteriämien im Zusammenhang mit intravenös platzierten Kathetern auf. Hier spielen vor allem Staphylokokken, aber auch gramnegative Keime wie Pseudomonas aeruginosa eine Rolle. Pneumokokken-Bakteriämien kommen im Zusammenhang mit Pneumonien vor. Eine AIDS-definierende, selten auftretende Komplikation ist die rezidivierende Salmonellen-Sepsis.

Diagnostik

Die Blutkultur ist entscheidende Maßnahme.

Therapie

Die Behandlung erfolgt jeweils mit wirksamen Antibiotika (Antibiogramm).

Prognose Neben der rechtzeitigen Diagnose und der Antibiotika-Sensitivität des Erregers ist der Allgemeinzustand des Patienten ausschlaggebend.

Mycobacterium-avium-Komplex (MAC)

Synonym: Mycobacterium avium intracellulare (MAI)

Mycobacterium avium und intracellulare bilden den Mycobacterium-avium-Komplex und kommen ubiquitär in der Umwelt vor. Bei Immunkompetenten verursachen sie nur ganz selten Infektionen. Dagegen ist die disseminierte MAC-Infektion eine der schwersten Infektionen bei HIV-Patienten mit hochgradigem Immundefekt (CD4+-Zellen < 50/μl).

Die Aufnahme des Erregers erfolgt entweder über den Magen-Darm-Trakt oder über die Lunge. Hier kommt es zunächst zur Kolonisierung und im weiteren Verlauf zur Disseminierung. Der Nachweis des Erregers aus Sputum oder Stuhl beweist noch keine disseminierte Infektion.

Symptome

Die disseminierte Infektion äußert sich durch Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsabnahme, Durchfälle, Lymphknotenschwellungen, Bauchschmerzen und eine Hepatosplenomegalie.

Diagnostik

Die Laborwerte zeigen meist eine Anämie und eine Erhöhung der alkalischen Phosphatase. Die Diagnose lässt sich durch die Anzüchtung des Erregers aus der Blutkultur oder anderen sterilen Materialien (Knochenmark, Lymphknoten, Leber) sichern. Im Gegensatz zur Tuberkulose sind Lungeninfiltrate durch MAC selten.

Therapie

Auf die herkömmlichen Antituberkulotika kann man nicht zurückgreifen, da der Erreger gegen die meisten dieser Mittel primär resistent ist. Am wirksamsten ist eine Kombination aus Clarithromycin und Ethambutol (eventuell zusätzlich mit Rifabutin).

Maligne Tumoren

Als HIV-assoziierte Tumoren (Kategorie CDC C) werden das Kaposi-Sarkom (s. o.), das Non-Hodgkin-Lymphom und das invasive Zervixkarzinom gezählt.

Non-Hodgkin-Lymphome

Synonym: malignes Lymphom

Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) treten bei ca. 5–10% aller AIDS-Patienten auf. Histologisch handelt es sich meist um hochmaligne B-Zell-Lymphome. Ein disseminierter und extranodaler Befall liegt häufig vor.

Symptome

Entsprechend dem Befallsmuster: Lymphknotenschwellungen und Allgemeinbeschwerden (Fieber, Nachtschweiß) sind häufig; bei Knochenmarkbefall kommt es zur Panzytopenie, bei Befall des Magen-Darm-Traktes zu Bauchschmerzen und Gewichtsabnahme. Im Labor findet sich oft eine Erhöhung der LDH. Bei ZNS-Befall kommt es zum Auftreten neurologischer Herdsymptome (Anfälle, Lähmungen). Eine Besonderheit ist das Auftreten primärer zerebraler Lymphome, die immer durch Ebstein-Barr-Virus (EBV) ausgelöst sind (Diagnostik durch Nachweis von EBV-DNA mittels PCR im Liquor).

Therapie

Durchführung einer Standard-Chemotherapie (CHOP-Schema: Cyclophosphamid, Adriamycin, Vincristin, Prednison). Ziel ist heute die komplette Remission und Heilung auch in fortgeschrittenen Stadien und bei fortgeschrittenem Immundefekt. Hierzu werden zunehmend auch aggressive Therapieschemata eingesetzt.

Prognose Nicht gut (Heilung in < 50%).

Andere Tumoren

Maligne Tumoren, die durch humane Papillomaviren (HPV) induziert werden, wurden bei HIV-Patienten gehäuft beobachtet. Hierzu zählen das Zervixkarzinom der Frau und Plattenepithelkarzinome der Analregion. Außerdem wurde über vermehrtes Auftreten von Hodgkin-Lymphomen berichtet.

Prophylaxe von Infektionen

Die Prophylaxe von Infektionen bereits vor deren erstem Auftreten (Primärprophylaxe) oder nach der ersten Episode (Sekundärprophylaxe) ist weiterhin eine wichtige Aufgabe bei der Betreuung HIV-positiver Patienten, auch wenn opportunistische Infektionen durch die antiretrovirale Therapie insgesamt seltener geworden sind. Klinisch von Bedeutung ist die Prophylaxe der PCP bei einer CD4+-Zell-Zahl von < 200/μl mit Cotrimoxazol.

Antiretrovirale Therapie und opportunistische Infektionen

Die beste Vorbeugung aller opportunistischen Infektionen ist eine wirksame antiretrovirale Kombinationstherapie (HAART). Durch die verbesserte Funktion des Immunsystems ist ein Schutz gegen opportunistische Infektionen vorhanden. In vielen Studien wurde nachgewiesen, dass Patienten mit supprimierter Viruslast ein sehr niedriges Risiko für opportunistische Infektionen aufweisen. Steigen die CD4-Zellen dauerhaft auf > 200/μl an, können meist Primär- und Sekundärprophylaxen abgesetzt werden. Patienten, die trotz antiretroviraler Therapie deutlich unter 200 Helferzellen/μl bleiben, müssen dagegen weiter prophylaktisch behandelt werden.

LITERATUR

  • Benson C.A., Kaplan J.E., Masur H., Pau A., Holmes K.K. Treating Opportunistic Infections among HIV-Infected Adults and Adolescents: Recommendations from CDC, the National Institutes of Health and the HIV Medicine Association/Infectious Diseases Society of America. Clin Infect Dis. 2005;40:S131–S235. [Google Scholar]
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  • Hoffmann C., Rockstroh J., Kamps B. Steinhäuser Verlag; 2005. HIV. Net 2005. [Google Scholar]
  • Mandell G., Bennett J.E., Dolin R. 6. Aufl. Churchill Livingstone; 2004. Principles and Practice of infectious Diseases. [Google Scholar]

KEYWORDS

acquired immune deficiency syndrome ♦ AIDS ♦ AIDS-related dementia complex ♦ antiretrovirale therapie ♦ bacterial pneumonia community acquired pneumonia (CAP) ♦ bloodstream infection ♦ candida esophagitis cytomegalovirus ♦ cryptococcosis ♦ cryptosporidiosis ♦ encephalopathy ♦ HAART ♦ HIV-Infektion ♦ human immunodeficiency virus ♦ Kaposi's Sarcoma ♦ microsporidiosis ♦ mycobacterium avium complex ♦ non-hodgkin's lymphoma ♦ opportunistische infektionen ♦ Pneumocystis pneumonia ♦ Proteasehemmer ♦ Reverse-Transkriptase-Hemmer ♦ Sepsis ♦ toxoplasmosis ♦ tuberculosis ♦ wasting syndrome

13.5. Infektionskrankheiten durch Viren

Viren und andere Infektionserreger verursachen die meisten der ätiologisch klärbaren Erkrankungen des Menschen.

Einige Viren verursachen typische Krankheitsmanifestationen bestimmter Organe („klinischer Organtropismus“), auch dann, wenn sie nicht nur Zellen des erkrankten Organs infizieren können. Viele andere rufen sehr verschiedene, teils wenig charakteristische Krankheitsbilder hervor. Andererseits können gleichartige klinische Manifestationen von ganz unterschiedlichen Viren hervorgerufen werden. Dies macht die konsequente Abhandlung der Viren nach Organen oder Krankheitsbildern ohne ständige Wiederholungen schwierig. Daher werden vor der erregerbezogenen Abhandlung die Virusinfektionen, eingeteilt nach betroffenen Organen, Erkrankungen und Syndromen/Symptomen, in tabellarischer Form dargestellt.

Viren, die Erkrankungen des Menschen hervorrufen können, finden sich in knapp einem Drittel der derzeit 69 taxonomisch definierten Virusfamilien.

Grundbegriffe, allgemeine Pathogenese und Epidemiologie

Definitionen, Biologie und Einteilung der Viren

Viren sind hochkomplexe Aggregate aus Makromolekülen und weder lebende Organismen noch Mikroorganismen. Sie unterscheiden sich in Aufbau und Biologie von pro- und eukaryonten Zellen. Merkmale sind:

  • Sie enthalten nur einen Typ von genomischer Nukleinsäure (RNA oder DNA).

  • Sie besitzen keine Organellen, keine Enzyme zur Energiegewinnung und keine Proteinsynthese-Maschinerie.

  • Sie besitzen Oberflächenstrukturen zur spezifischen Wechselwirkung mit der Wirtszelle.

  • Sie vermehren sich nicht durch Wachstum und Teilung. Die infizierte Zelle produziert die einzelnen Virusbestandteile, ggf. in verschiedenen Zellkompartimenten, die sich anschließend zu Viruspartikeln (Virionen) zusammenlagern.

Aus den Eigenschaften der Viren folgt ihr obligat intrazellulärer Parasitismus. Daher spricht man von Virus und Wirtszelle bzw. Wirtsorganismus.

Virusklassifikation

Die Einteilung erfolgt nach physikalisch-morphologischen, biochemischen und biologisch-medizinischen Gesichtspunkten:

  • Struktur der Virionen (nackt oder membranumhüllt)

  • Struktur der Nukleokapside (isometrisch oder helikal)

  • Nukleinsäure (DNA, RNA, Einzelstrang/Polarität, Doppelstrang, linear, zirkulär, segmentiert)

  • Genomorganisation

  • Anzahl und Funktion viraler Proteine

  • Strategie der Vermehrung.

Viele virale Nukleinsäuremoleküle sind sequenziert, d.h. in ihrer Nukleotidfolge und so auch Nukleotidanzahl bekannt.

MERKE

Viren, deren Nukleokapsid zusätzlich von einer äußeren proteinhaltigen Lipiddoppelmembran umgeben ist, die von Wirtszellmembranen abgeleitet ist (z. B. Herpesviren, humane Immundefizienzviren), sind weniger umweltresistent und damit leichter zu inaktivieren (Desinfektion, organische Lösungsmittel, Tenside) als nackte Viren (z. B. Hepatitis-A-Virus, Adenoviren).

Allgemeine Pathogenese von Virusinfektionen

Zur Virusvermehrung siehe Kapitel 13.2.2, Tabelle 13.5.

Man unterscheidet akute, nicht persistierende und persistierende Virusinfektionen (Tab. 13.13 ). Erstere stellen für Diagnostik und Prävention das geringere Problem dar. Viele Viren (z. B. Herpesviren, HIV, Hepatitis-C-Virus) vermögen im infizierten Menschen zu persistieren. Diese Unterscheidung hat erhebliche Bedeutung für Diagnostik, Impfmöglichkeiten, Expositionsprophylaxe und Therapieversuche. Während eine überstandene nicht persistierende Infektion oft solide (teils lebenslange) Immunität hinterlässt, die zwar nicht unbedingt vor Zweitinfektion, aber doch vor Zweiterkrankung schützt (z. B. Rötelnvirus), ist die Immunität bei den persistierenden Infektionen a priori nur relativ. Eine jahrzehntelang klinisch und virologisch inapparente, latente Infektion kann z. B. bei Immunsuppression über eine endogene Reaktivierung zu erneuter klinischer Manifestation führen.

Tab. 13.13

Beziehungen zwischen Virus und Wirtszelle/Wirtsorganismus

VirusinfektionenBeispiele
Nicht persistierende (akute) Virusinfektionen
  • Mit zytozidalem Vermehrungszyklus

  • Ohne zytozidalen Vermehrungszyklus


Polioviren
Rötelnvirus
Persistierende Virusinfektionen
  • Mit ständiger Produktion infektiöser Viren

  • Mit Etablierung einer latenten Infektion

    • Mit Integration des viralen Genoms in das Wirtszellchromosom und zytozidaler Vermehrung und Transformation (Onkogenese)

  • Slow-Virus-Infektionen durch konventionelle Viren durch unkonventionelle Agenzien (Prionen)


Hepatitis-B-Virus (bestimmte chronische Infektionen)
Herpes-simplex-Virus (HSV)
Humane Immundefizienzviren (HIV)
Humane T-Zell-Leukämie-Viren (HTLV)

Masernvirus (subakute sklerosierende Panenzephalitis [SSPE])
Creutzfeldt-Jakob-Agens, Kuru-Agens

Mechanismen der Viruspersistenz

Viren erreichen den Zustand der persistierenden Infektion durch unterschiedliche Strategien. Beim Herpes-simplex-Virus (humanes α-Herpesvirus) kommt es z. B. nach Primärinfektion an Haut oder Schleimhäuten mit lokaler Virusvermehrung (produktive Infektion) zur zunächst ebenso produktiven Infektion zugehöriger sensibler Ganglienzellen. Im Ganglion geschieht dann die „Umschaltung“ in eine latente Infektion, die durch fehlende Virusproduktion und jegliches Fehlen von Viruspartikeln gekennzeichnet ist. Das virale DNA-Genom bleibt extrachromosomal bei minimaler Expression einzelner Gene in den Ganglien. Durch bestimmte Triggermechanismen (Sonnenbestrahlung, chirurgische Manipulationen etc.) kann es zur endogenen Reaktivierung mit erneuter Virusreplikation im Ganglion, dann zu axonalem Transport in die Peripherie und dort Vermehrung und Virusausscheidung kommen. Zur Abgrenzung von einer asymptomatischen Virusausscheidung (Rekurrenz) spricht man bei symptomatischer Rekurrenz auch von Rekrudeszenz. Retroviren (HIV, HTLV) erreichen die Persistenz über reverse Transkription ihres RNA-Genoms in DNA und anschließende Integration in die chromosomale DNA der Wirtszelle als sog. provirales Genom.

MERKE

Kennzeichen aller persistierenden Infektionen ist, dass es dem Organismus nicht gelingt, das Virus nach exogener Primärinfektion durch das Immunsystems oder unspezifische Abwehrmechanismen zu eliminieren.

Folgen für Wirtszelle und Wirtsorganismus

Eine Zelle, die durch spezifische Rezeptoren die Infektion durch ein bestimmtes Virus ermöglicht (Zelltropismus) und einen vollständigen viralen Vermehrungszyklus zulässt, heißt permissiv für dieses Virus. Infizierbare Zellen, die keinen vollständigen Vermehrungszyklus zulassen, heißen abortiv infizierbar oder semipermissiv.

Bei zytozidaler Virusinfektion kommt es am Ende des Virusvermehrungszyklus zum Tod der Wirtszelle. Es gibt persistierende und nicht persistierende Viren, bei denen aus der weiterhin vitalen Wirtszelle Nachkommen-Viruspartikel ausgeschleust werden. Während die Folgen einer zytozidalen Infektion für den Organismus entsprechend dem „Alles-oder-nichts-Prinzip“ wesentlich von Art und Anzahl der direkt zerstörten Zellen abhängen, kommt es bei nichtzytozidalen Virusinfektionen eher zu Störungen der Wirtszellregulation (z. B. Embryopathie oder Onkogenese) oder auch sekundär zur Immunpathogenese.

Viele Viren sind in der Lage, durch gezielte Modulation der Wirtszell-Genexpression Abwehrmechanismen der Zelle und des Organismus (Immunsystem, Apoptose) zu unterlaufen (sog. Immunevasion).

Offene pathogenetische Fragen

Warum erkrankt nur ca. jeder 1000. Poliovirusinfizierte an paralytischer Poliomyelitis und ca. jeder 20. Hepatitis-B-Virus-infizierte Erwachsene an chronischer Hepatitis, und warum sind es gerade die jeweiligen Individuen? Was bestimmt die variablen Inkubationszeiten? Welche Virusfaktoren und welche Wirtsfaktoren sind bedeutsam? Trotz noch sehr unvollständiger Antworten kennt man einige mögliche Gründe:

  • Es gibt innerhalb eines serologischen Typs Virusvarianten unterschiedlicher Pathogenität (Beispiel: Pathogenität der Poliovirus-Impfstämme für die Lebendimpfung im Vergleich zum Wildtyp). Solche intraserotypischen Varianten sind durch routinemäßige Diagnostik nicht erfassbar.

  • Es gibt genetische Wirtsfaktoren, die den Infektionsverlauf beeinflussen (Beispiel: schwere Masernverläufe bei bestimmten afrikanischen Volksstämmen).

  • Es gibt wahrscheinlich infektiöse Kofaktoren, d.h., der Verlauf einer Infektion wird durch zeitgleiche Infektion mit einem 2. Erreger moduliert (Beispiel: Influenzavirus + bakterielle Infektionen, HIV + Herpesviren).

Infektionsverlauf

Siehe Abbildung 13.12 .

  • Inkubationszeit: Zeitraum zwischen Infektionsereignis und Auftreten erster Symptome bei klinisch manifesten Infektionen

  • Infektiosität: Beginn der Virusausscheidung; liegt oft deutlich vor Symptombeginn. Diese Virusinfektionen können durch klinisch Gesunde in der Inkubationszeit übertragen werden. Der Erfolg von Quarantänemaßnahmen hängt entscheidend von der Häufigkeit asymptomatischer Überträger (z. B. wenige bei SARS) ab.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Schema eines Infektionsverlaufs.

Allgemeine Epidemiologie

Epidemiologie von Virusinfektionen

Zur Verdeutlichung der Begriffe Letalität und Mortalität dient folgendes Beispiel: Die Tollwutvirus-Erkrankung führt zwar immer zum Tod (Letalität 100%), aber die Infektion eines Menschen kommt in Deutschland zurzeit nur sehr selten vor (Mortalität sehr gering). Der Unterschied zwischen Inzidenz und Prävalenz wird am deutlichsten bei persistierenden Infektionen (z. B. der chronischen Hepatitis B): Inzidenz erfasst nur die im gewählten Zeitraum neu Erkrankten, während Prävalenz alle chronisch Hepatitis-B-Kranken in einer Population beschreibt.

Die Begriffe kann man in der Virologie auf Erkrankungsfälle oder Infektionsereignisse anwenden, was zu verschiedenen Zahlen führt. Ein einheitlicher Terminus zur Angabe, wie viele der durch ein Virus Infizierten auch wirklich erkranken, existiert nicht. Im Folgenden wird hierfür der Begriff Manifestationsrate eingesetzt.

Der Begriff Antikörper- oder Seroprävalenz wird oft verwendet, um anzugeben, wie viele Menschen einer definierten Population zum Untersuchungszeitpunkt bestimmte erregerspezifische Antikörper im Blut aufweisen. Er beschreibt bei manchen Viren – unabhängig vom Stattfinden der Erkrankung – den Anteil Immuner in einer Bevölkerung. Bei denjenigen Viren, die nach Erstinfektion eine persistierende Infektion etablieren, umfasst Seroprävalenz den Anteil persistierend Infizierter und damit u.U. infektiöser Menschen (z. B. HIV, Herpesviren etc.).

Die epidemiologisch relevanten Subpopulationen für Infektionen lassen sich schematisch darstellen (Tab. 13.14 und Abb. 13.13 ). Die Größe der einzelnen Gruppen ist je nach Erreger, prophylaktischen Maßnahmen (z. B. Impfungen) und Therapiemöglichkeiten sehr verschieden. Vereinzelt können persistierend mit Hepatitis-B-Virus infizierte Patienten noch nach Jahren die Infektion beenden (serokonvertieren) und so aus der Gruppe der persistierend Infizierten in die Gruppe der Immunen wechseln.

Tab. 13.14

Virusinfektionen mit unterschiedlichen Manifestationsraten, Letalitäten und Seroprävalenzen

VirusinfektionManifestationsrate (%)Letalität (%)Mortalität (Fälle)Seroprävalenz (%)
Polio (Serotypen 1–3) 0,1–1 5 0 70–90∗
Herpes simplex: postnatale orale Primärinfektion 5 << 1 1–10 40 bis > 95∗∗
Röteln 50 << 1 < 1 70–80∗
Masern > 95 < 1 1–10 > 95∗
Tollwut ? 100 < 1 << 1∗

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Infektionsepidemiologisch relevante Gruppen in der Gesamtpopulation. Die schwarzen Punkte stellen die an Infektionen Verstorbenen dar.

Aus der Gesamtpopulation (gelb) treten Individuen nach Infektion in die Gruppe der akut Infizierten (rosa). Der weitere Verlauf hängt davon ab, ob Viren Persistenzmechanismen entwickelt haben, und von der Fähigkeit des Wirts, eine protektive Immunantwort zu bilden. Die Manifestationsrate bestimmt den Anteil der Erkrankten und die Letalität den der Verstorbenen. Bei Verlust der spezifischen Immunität aufgrund einer Immunsuppression können zuvor Immune in die erneut infizierbare Gesamtpopulation oder selten sogar bei einigen Viren (z. B. Hepatitis-B-Virus) in die Gruppe der persistent Infizierten zurückkehren.

Effizienz der Virusübertragung

Epidemiologisch bedeutsam sind v. a. die Faktoren, die die Übertragbarkeit des Virus determinieren. Diese hängt abgesehen von Wirtsfaktoren (Resistenz) vom Übertragungsmodus, von Art und Dauer der Virusausscheidung, der erforderlichen Infektionsdosis, der Umweltresistenz (Inaktivierbarkeit) eines Virus und weiteren unbekannten Faktoren ab (Tab. 13.15 ).

Tab. 13.15

Übertragbarkeit verschiedener Virusinfektionen

VirenÜbertragungsmodusVirusausscheidungUmweltresistenz
Varizellen Aerogen sehr leicht∗, diaplazentar Rachen (wenige Tage, auch prodromal), Bläscheninhalt∗ (Zoster) Sehr gering
Zytomegalie Tröpfchen, Transfusion∗∗∗, diaplazentar Intermittierend (lebenslang) Sehr gering
Rhino Tröpfcheninfektion/Hände Nase (14 Tage), Rachen (kurz) Mittel
Polio Fäkal-oral, Tröpfcheninfektion∗∗ Stuhl (einige Wochen), Rachen (wenige Tage) Hoch
Hepatitis A Fäkal-oral/Nahrungsmittel Stuhl, 4 Wochen (vorw. prodromal) Hoch
Hepatitis B Parenteral∗∗∗, sexuell, perinatal Blut, Genitalsekret (je nach Verlauf: Wochen bis lebenslang) Mittel bis hoch
HI Parenteral∗∗∗, sexuell, diaplazentar Blut, Genitalsekret (intermittierend, lebenslang) Gering
Tollwut Parenteral∗∗∗ (Tierbiss), aerogen∗∗ Speichel (ca. 10 Tage: 3 Tage vor Erkrankung bis zum Tod) Mittel
Gelbfieber Vektoren (Stechmücken) Mensch: Blut (3–4 Tage) Übertragung innerhalb der Mückenpopulation Gering

Der Begriff vertikale Infektion bezeichnet eine intrauterine Infektion. Er wird nicht ganz einheitlich verwendet, sondern vereinzelt auch bei Übertragung eines in die Keimbahn integrierten proviralen Genoms gebraucht.

In der Tropenmedizin und bei der europäischen Frühsommer-Meningoenzephalitis spielen Arthropoden als Vektoren eine große Rolle.

Tab. 13.17

Respiratorische Manifestationen bei europäischen Virusinfektionen

Erkrankung Syndrom/SymptomVirusfamilieViren
Genera
Vorkommen BedeutungAntivirale TherapieProphylaxe
Rhinitis Picorna
Corona
Paramyxo
Rhino, Entero
Corona
Parainfluenza/ RSV
U, H
U, H
U, H
(Nein)
Nein
(Ja)
Nein
Nein
Nein
Pharyngitis/Tonsillitis Adeno
Herpes
Adeno Typen 1, 2, 3, 5, 6, 7, 14
EBV
U, H
U, H
Nein
(Nein)
(Nein)
Nein
Laryngitis (Krupp)/Tracheitis Paramyxo
Orthomyxo
Herpes
Parainfluenza/RSV
Influenza
HSV-1
U, H
U, H
U, S
(Ja)
Ja
Ja
Nein
A
Nein
Bronchitis/Bronchiolitis Picorna
Paramyxo
Rhino/ Entero
Parainfluenza/RSV
U, S
U, H
(Ja)
(Ja)
Nein
Nein
Pneumonie Paramyxo
Orthomyxo
Adeno
Herpes
Corona
Parainfluenza 3/RSV/Masern
Influenza
Adeno Typen 1, 2, 3, 4, 5, 7
HSV/VZV
SARSCoV
U, H
U, H
U, S
U, S
U, S
(Ja)/Nein
Ja
Nein
Ja
Nein
Nein/A, P
A
(Nein)
Nein/A, P
Nein

Tab. 13.18

Gastrointestinale Manifestationen bei europäischen Virusinfektionen

Erkrankung Syndrom/SymptomVirusfamilieViren
Genera
Vorkommen
Bedeutung
Antivirale TherapieProphylaxe
Ösophagitis Herpes Zytomegalie/HSV/EBV U, SH (Ja)/ja/nein Nein
Enteritis/Diarrhö Picorna
Calici
Reo
Adeno
Entero
Norwalk
Rota
Adeno Typen 41, 42
U, H
U, H
U, H
U, ?
(Ja)
Nein
Nein
Nein
Nein
Nein
(A, P)
Nein
Kolitis Herpes Zytomegalie, HSV U, SH (Ja)/ja Nein
Invaginationsileus Adeno Adeno U, S Nein Nein

Tab. 13.19

Haut- und Schleimhautmanifestationen bei europäischen Virusinfektionen

Erkrankung Syndrom/SymptomVirusfamilieViren
Genera
Vorkommen BedeutungAntivirale TherapieProphylaxe
Haut
Exantheme Vesikulär Picorna
Herpes
Pox
Coxsackie A
HSV/VZV
Kuhpocken
U, S
U, H
U, S
(Nein)
Ja
(Nein)
Nein
Nein/A, P
(A)
Exantheme Makulös/papulös Picorna
Toga
Paramyxo
Parvo
Herpes
Entero (versch.
Typen)
Röteln
Masern
Parvo B19/
EBV/HHV-6
U, H
U, H
(U, H)
U, H
U, H
Nein
Nein
Nein
Nein
(Nein)
Nein
A, P
A, P
(P)
Nein
Exantheme knotig Pox Mollscum contagiosum U, H Nein Nein
Warzen/Kondylome Papilloma Papillom U, H (Ja) Nein
Blutungen viele Familien und Genera
Schleimhaut
Enantheme Picorna
Paramyxo
Coxsackie A
Masern
U, S
(U, H)
(Nein)
Nein
Nein
A, P
Gingivostomatitis Herpes HSV-1 U, H Ja Nein
Blutungen viele Familien und Genera

Tab. 13.20

Sonstige Organmanifestationen/Krankheitsbilder bei europäischen Virusinfektionen

Organsystem
Erkrankung
Syndrom/Symptom
VirusfamilieViren
Genera
Vorkommen
Bedeutung
Antivirale TherapieProphylaxe
Auge/Ohr

Konjunktivitis
Hämorrhg. Kanjunktivitis
Picorna
Adeno
Paramyxo/Myxo
Picorna
Entero
Adeno Typen 3, 7, 8, 11, 14, 19, 37
Masern/Mumps/Influenza
Entero
U, H
U, H
(U, H)
U, H
(Nein)
Nein
Nein
(Nein)
Nein
(Nein)
A, P/A/A
Nein
Hornhautschäden Adeno
Herpes
Adeno
HSV/VZV
U, H
U, H
Nein
Ja
(Nein)
Nein/A
Netzhautschäden/Erblindung Herpes
Toga
Zytomegalie
HSV
Zytomegalie (Embryo-, Fetopathie)
Röteln (Embryopathie)
U, SH
U, S
U, H
U, S
Ja
Ja
(Nein)
Nein
Nein
Nein
Nein
A, P
Otitis externa Orthomyxo
Herpes
Influenza
VZV
U, H
U, S
Ja
Ja
A
A, P
Taubheit Paramyxo
Toga
Herpes
Mumps
Röteln (Embryopathie)
Zytomegalie (Embryopathie)
U, H
U, S
U, H
Nein
Nein
Nein
A
A, P
Nein

Herz, Gefäße

Perikarditis/
Myokarditis
Picorna
Orthomyxo
Herpes
Entero
Influenza
EBV
U, H
U, H
U, S
(Nein)
(Ja)
(Nein)
Nein
A
Nein
Kardiomyopathie? Picorna Entero U, ? Nein Nein
Vaskulitis Herpes Zytomegalie U, ? (Ja) Nein

Blut/Lymphknoten/Immunsuppression

Panzytopenie
Thrombozytopenie
Herpes
Herpes
Toga
EBV
Zytomegalie
Röteln (Embryopathie)
U, S
U, H
U, S
(Nein)
Ja
Nein
Nein
Nein
Nein
Anämie Parvo Parvo B19 U,? Nein (Nein)
Hämolyse Parvo
Bunya
Parvo B19
Hantaan
U, ?
E, ?
Nein
Nein
(Nein)
Nein
B-Zell-Proliferation/Burkitt-Lymphom Herpes EBV E, S Nein Nein
Blutungen/
hämorrh. Fieber
Bunya Hantaan
KKHF
E, ?
E, ?
Nein
Nein
Nein
Nein
Lymphadenopathie Retro
Toga
Herpes
HIV-1/2
Röteln
HSV/EBV/CMV
E, SH
(U, H)
U, H
(Ja)
Nein
Ja/nein/(Ja)
Nein
A, P
Nein
Immunsuppression Retro
Paramyxo
Herpes
HIV-1/2
Masern
EBV
E, SH
(U, H)
U, H
Ja
Nein
(Nein)
Nein
A, P
Nein
Leukämie Retro HTLV-1/2 SE, ? Nein Nein

Oropharynx

Haarleukoplakie
Nasopharynxkarzinom
Herpes EBV
EBV
E, SH
E, S
(Nein) HAART
Nein
Nein
Nein

Niere, ableitende Harnwege

Nephritis
Nierenversagen
Hämorrhagische Zystitis
Urethritis
Adeno
Herpes
Bunya
Adeno
Herpes
Adeno Typen 11, 21
EBV
Hantaan
Adeno Typen 11, 21
HSV-2
U, S
U, S
E, ?
E, S
U, H
Nein
(Nein)
Nein
Nein
Ja
Nein
Nein
Nein
Nein
Nein

Geschlechtsorgane

Adnexitis
Zervizitis
Dysplasie (Tumor)
Vaginitis
Herpes progenitalis
Orchitis/Hodenatrophie
Paramyxo
Herpes
Papova
Herpes
Herpes
Paramyxo
Mumps
HSV-2 (1)
Papillom
HSV-2 (1)
HSV-2 (1)
Mumps
U, SH
U, H
U, H
U, H
U, H
U, SH
Nein
Ja
(Nein)
Ja
Ja
Nein
A
Nein
Nein
Nein
Nein
A

Exokrine/endokrine Organe

Speicheldrüsen:
Parotitis
Paramyxo
Herpes
Mumps
EBV/Zytomegalie
U, SH
U, (H)
Nein
(Nein)/ja
A
Nein
Leber:
Hepatitis

Hepatom

Hepadna
Picorna
Hepe
Flavi
?
Herpes
Hepadna
Hepatitis B
Hepatitis A
Hepatitis E
Hepatitis C
Hepatitis D
EBV/Zytomegalie/VZV
Hepatitis B
U, H
U, H
E, S
U, H
E, S
U, H
U, H
Ja
(Nein)
Nein
Ja
(Nein)
(Nein)/(ja)/ja
(Nein)
A, P
A, P
Nein
Nein
Ja (HBV)
Nein/nein/
A, P
A, P
Pankreas
Pankreatitis/Diabetes/
Pankreaspseudozysten
Paramyxo Mumps U, SH Nein A

Bewegungsapparat

Myalgien/Pleurodynie Entero
Myxo
Coxsackie B
Influenza
U, H
U, H
Nein
(Ja)
Nein
A
Arthralgien/Arthritis Toga
Paramyxo
Röteln
Mumps
U, H
U, SH
Nein
Nein
A, P
A
(häufiges Begleitsymptom vieler Infektionen!) Hepadna
Herpes
Parvo
Hepatitis B
EBV/Zytomegalie/VZV
B19
U, H
U, H
U, S
Ja
(Nein)
Nein
Nein/nein/A, P
Nein/nein/A, P
(Nein)

Tab. 13.21

Viren mit besonderer Bedeutung in der Schwangerschaft (Europa)

Folgen der InfektionVirusfamilieViren
Genera
Vorkommen
Bedeutung
Antivirale Therapie (Schwangerschaft!)Prophylaxe
Gefährdung der Mutter Hepadna
Hepe
Herpes
Hepatitis B
Hepatitis E
VZV (Pneumonie)
U, SH
SH
U, S
(Nein)
Nein
(Ja)
A, P
Nein
A/P
Gefährdung des Kindes
Intrauterine Infektion:
Teratogen
Nicht teratogen (schädigend)
Toga
Herpes
Parvo
Retro
Röteln
VZV
Zytomegalie
Parvovirus B19
HIV-1,2
(U, H)
U, S
U, H
U, ?
U, SH
Nein
(Nein)
(Ja)
Nein
Ja
A, P
A, P
Nein
(Nein)
Nein
Perinatale Infektion Herpes
Retro
Hepadna
Papova
HSV/VZV
HIV-1,2
Hepatitis B
Papillom
U, H
U, SH
U, H
N, ?
Ja
Ja
Nein
Nein
Nein/A,P
Nein
A,P
Nein

Geographische und zeitliche Verbreitung

Die Art der Infektionsausbreitung von Erregern in einer Population wird durch erreger- und wirtsspezifische Faktoren und durch Umweltbedingungen bestimmt. Beschrieben wird sie durch folgende Begriffe:

  • endemisch: zeitlich nicht begrenztes Auftreten eines Erregers in einer bestimmten Population (räumlich begrenzt)

  • epidemisch: räumlich und zeitlich begrenztes Auftreten eines bestimmten Erregers

  • pandemisch: räumlich unbegrenztes Auftreten eines bestimmten Erregers mit oder ohne zeitliche Begrenzung.

Tabellen zur Differentialdiagnose der Viruserkrankungen

13.5.1. Herpesviren

Beschreibung und Einteilung Es handelt sich um sphärische, membranumhüllte Partikel mit Durchmessern von 150 bis 200 nm (Abb. 13.14 ).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Herpesviridae (Vergrößerung × 100 000).

Die lipidhaltige, mit vielen viral kodierten, teils glykosylierten Proteinen durchsetzte Hülle stammt von den Membranen der Wirtszelle ab. Biologische Kriterien (Zelltropismus, Latenzort, enger oder weiter Wirtsbereich, kurze oder lange Reproduktionszeit, schnelle oder langsame Ausbreitung in Zellkulturen und die Pathogenese) bilden die Grundlage der Definition von 3 Unterfamilien: alpha, beta und gamma.

Viren der Herpesgruppe gehören nach den Pockenviren zu den größten Viren.

Die Herpesviren des Menschen Zurzeit sind 8 Herpesviren des Menschen (HHV) bekannt (Tab. 13.22 ).

Tab. 13.22

Übersicht über die Herpesviren des Menschen

VirusSynonym/AbkürzungSubfamilie/GenusErkrankungen
HHV-1 Herpes-simplex-Virus 1 (HSV-1) Simplexvirus Kutane, mukokutane, korneale Manifestationen (vorw. oral), Enzephalitis, generalisierter Herpes
HHV-2 Herpes-simplex-Virus 2 (HSV-2) Simplexvirus Kutane, mukokutane, korneale Manifestationen (vorw. genital), Enzephalitis, Herpes neonatorum
HHV-3 Varicella-Zoster-Virus (VZV) Varicellavirus Varizellen, Zoster, korneale Manifestationen, Enzephalitis, generalisierter Zoster, Pneumonie, konnatale Varizellen
HHV-4 Epstein-Barr-Virus (EBV) Lymphocryptovirus Mononukleose, lymphoproliferative Erkrankungen, Lymphome, Tumor (NPC)
HHV-5 Zytomegalievirus (CMV) Zytomegalovirus EBV-negative Mononukleose, Pneumonie, Retinitis, Hepatitis, Enzephalitis, konnatale Schäden
HHV-6a Roseolovirus Exanthema subitum, mononukleoseähnliche Erkrankung (seltener)
HHV-6b Roseolovirus Exanthema subitum, mononukleoseähnliche Erkrankung
HHV-7 Roseolovirus Exanthema subitum, mononukleoseähnliche Erkrankung
HHV-8 Kaposi-Sarkom-assoziiertes Herpesvirus (KSHV) Rhadinovirus Kaposi-Sarkom bei HIV-Infektion

Epidemiologie Humane Herpesviren werden nur von Mensch zu Mensch übertragen. Die Prävalenz (Seropositivität, Zustand nach Primärinfektion) ist, bis auf HHV-8, weltweit hoch. Die Inzidenz der Primärinfektionen hängt von der Kontagiosität der Viren und der Häufigkeit von Virusausscheidern ab. Beim Varicella-Zoster-Virus (VZV) erfolgt die Übertragung sehr leicht, v. a. aerogen über die Schleimhäute des Rachens von Windpockenerkrankten, etwa 3 Tage vor bis 3 Tage nach dem Exanthemausbruch. Bei den übrigen findet die Übertragung durch Tröpfcheninfektion bzw. Schleimhautkontakt (oral, genital) statt. Vor allem beim Zytomegalievirus (CMV) sind auch Blutzellen (Transfusionen) und Transplantate eine Infektionsquelle. Asymptomatische Reaktivierungen mit Virusausscheidung und möglicher Übertragung sind bei CMV, EBV und HSV häufig, während dies bei VZV wahrscheinlich kaum vorkommt. Die Raten klinisch manifester Infektionen sind, abhängig vom Alter und Immunstatus des Betroffenen, sehr unterschiedlich (Tab. 13.23 ).

Tab. 13.23

Epidemiologische und pathogenetische Daten humaner Herpesviren

HSV-1HSV-2VZVEBVCMVHHV-6HHV-7HHV-8
Wirtsspektrum Breit Breit Mensch Mensch Mensch Mensch Mensch Mensch
Manifestationsrate Primärinfektion < 10% ? 100% 0–65%7 10% > 80% ? ?
Seroprävalenz 40–95%1 95% 60–100%1 50–100%1 95% 95% 2–3%8
Asymptomatische Virusausscheidung 2–20%2 Ja Nein Alle? 1–30% Ja Ja ?
Symptomatische Rekurrenzen 20–40% Ja 20–40%5 Selten6 Selten6 ?6 ? ?6
Exogene Reinfektionen Ja3 Ja3 Nein? Ja? Ja ? ? ?
Diaplazentare Übertragung Nein Nein4 Ja Nein? Ja ? ? ?
Teratogenität Nein4 Nein4 1% Nein Ja ? ? Nein
Perinatale Infektion Selten Ja Ja Ja? Ja Nein Nein Nein

Allgemeine Pathogenese HHV verursachen lebenslang persistierende Infektionen (Tab. 13.13). Die Orte der Persistenz sind aber nur zum Teil bekannt. Einzelne Gengruppen haben spezifische Bedeutungen für verschiedene biologische Situationen, so sind ca. 50% aller Gene von HSV nicht essentiell für die Virusvermehrung in der Zellkultur, aber für die Etablierung der Latenz im natürlichen Wirt sind mehr Gene erforderlich. Über die molekularen Mechanismen, die zur Reaktivierung führen, besteht noch Unklarheit. Sicher spielen hier Wirtsfaktoren und exogene Faktoren eine Rolle (Immunstatus, Zeitpunkt der Primärinfektion, Ort der Primärinfektion, Ausmaß der Virusvermehrung bei der Primärinfektion, physikalische und chemische Noxen). Ob Pathogenitätsvarianten eine Rolle spielen, ist weitgehend unklar. Neben den exogenen Primärinfektionen und den endogenen Reaktivierungen wurden bei den meisten humanen Herpesviren auch exogene Zweitinfektionen nachgewiesen (z. B. bei CMV in der Transplantationsmedizin).

Durch Herpesviren verursachte pathologische Veränderungen:

  • direkte zytozidale Effekte (z. B. Enzephalitis)

  • indirekte, immunologisch vermittelte Effekte (z. B. Erythema exsudativum multiforme)

  • Transformation (z. B. Burkitt-Lymphom, Kaposi-Sarkom).

Viele Infektionen verlaufen beim Immungesunden subklinisch. Primärinfektionen und Rekrudeszenzen können aber auch vielfältige Erkrankungen hervorrufen.

Patienten mit Immundefekten sind durch diese Viren besonders bedroht. Erstaunlicherweise sind die Krankheitsbilder bei Primärinfektion und Reaktivierung nicht nur abhängig vom Ausmaß, sondern auch von der Art der Immunsuppression. Als Beispiel sei die CMV-Infektion genannt, die beim Immunkompetenten meist asymptomatisch verläuft. Bei HIV-infizierten Patienten tritt CMV dagegen in erster Linie als Retinitis und Gastroenteritis, beim knochenmarktransplantierten Patienten als interstitielle Pneumonie und beim Nierentransplantierten als Nephritis mit Gefahr der Abstoßung auf.

Herpesvirusinfektionen sind mit Ausnahme von Epstein-Barr-Virus (EBV) und HHV-6 bis HHV-8 der Therapie durch verschiedene verfügbare antivirale Substanzen gut zugänglich.

Das Herpes-B-Virus des Rhesusaffen ist auch hochpathogen für den Menschen (Enzephalitis).

Herpes-simplex-Virus Typ 1 und 2 (HSV-1, HSV-2)

Beschreibung und Einteilung Es handelt sich eigentlich eher um Varianten eines Serotyps, da serologisch erhebliche Kreuzreaktionen bestehen. Virusisolate sind relativ leicht typisierbar und inzwischen kann man auch zwischen HSV-1- und HSV-2-Antikörpern unterscheiden.

Epidemiologie Die Primärinfektion mit HSV-1 findet mit 2 Gipfeln in der frühen Kindheit und im jungen Erwachsenenalter meist oral statt. Die Durchseuchung Erwachsener mit HSV liegt weltweit je nach sozioökonomischer Situation bei 40–95%. Die Primärinfektion (erster Kontakt eines Organismus mit HSV) kann auch durch Sexualkontakt, dann meist mit HSV-2, erfolgen. Bei bestehender oraler HSV-1-Infektion mit Latenz in kranialen Ganglien ist die erste Infektion im Genitale mit HSV-2 keine Primärinfektion, sondern eine klinisch milder verlaufende exogene Zweitinfektion (initiale Infektion). Die Prävalenz von HSV-2-Antikörpern ist bei Erwachsenen in verschiedenen Kollektiven sehr unterschiedlich, aber stets geringer als bei HSV-1.

Die Virusvermehrung auf der Schleimhaut (Infektiosität) beginnt vor dem Auftreten der Symptome, und die Virusausscheidung erfolgt durchschnittlich 7–10 Tage lang (max. bis 23 Tage). Im Gegensatz zur HSV-1-Primärinfektion kommt es bei HSV-2 offenbar auch zur Virämie.

Ätiologie und Pathogenese Während der Virusvermehrung auf der Schleimhaut werden bereits frühzeitig auch Nervenendigungen infiziert. Über axonalen Transport (10 mm/h) in sensiblen und autonomen Nerven kommt es zur Infektion der zugehörigen Ganglienzelle mit anschließender Virusvermehrung im Ganglion. Es resultieren Zerstörung von Nervenzellen und sogar Infektion benachbarter Nervenzellen. Durch das Immunsystem wird das Virus von der Schleimhaut, aber nicht im Ganglion eliminiert. Eine latente Infektion (s. o.) wird etabliert. Aus der Latenz kann es zur endogenen Reaktivierung mit erneuter Virusvermehrung im Ganglion und zum axonalen Auswandern des Virus in die Peripherie mit altersabhängig Rekurrenz (< 3 Jahre ca. 20%, 3–14 Jahre 18%, >15 Jahre 2–5%) oder Rekrudeszenz kommen.

Eine Primärinfektion ist auch an anderer Stelle (Augen, Nase, Hände, Glutealregion) bei entsprechender Inokulation mit nachfolgender Latenz und Rekrudeszenz möglich, ferner auch eine exogene Zweitinfektion mit gleichem (selten) oder anderem HSV-Typ. Von Autoinokulation spricht man, wenn z. B. ein Kind mit Gingivostomatitis herpetica das Virus mit den Fingern in den Genitalbereich überträgt.

Die Prädilektionsstellen von HSV-1 (oral) und HSV-2 (genital) ergeben sich aus der besseren Adaptation der beiden Viren an die entsprechenden Ganglienzellen. So rezidiviert eine HSV-1-Infektion im Genitale ca. 10-mal seltener als eine HSV-2-Infektion.

Es wird diskutiert, ob HSV als Kokarzinogen bei Humanen-Papillomaviren(HPV)-Infektionen eine Rolle spielt.

Symptome, Verlauf und Prognose

Asymptomatische Infektionen Die orale Primärinfektion im Kindesalter verläuft bei 70–90% immunkompetenter Infizierter asymptomatisch. Genitale Primärinfektionen sind, v. a. bei Frauen, meist mit schwerer Erkrankung verbunden.

Haut- und Schleimhauterkrankungen Die Primärinfektion kann nach einer Inkubationszeit von 3–6 (2–12) Tagen zum fieberhaften Krankheitsbild mit Schmerzen und Bildung gruppierter Bläschen an der Eintrittspforte führen. Oral kommt es bei wenigen der primär Infizierten zur schweren, fieberhaften Gingivostomatitis mit generalisiertem, vesikulärem Enanthem, massiver Zahnfleischschwellung („Mundfäule“, Abb. 13.15 ) und lokaler Lymphadenopathie. Die Krankheit dauert ohne Behandlung 2–3 Wochen. Die Kinder verweigern die Nahrungsaufnahme. Pharynx und Larynx sind meist nicht beteiligt.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Stomatitis herpetica („Mundfäule“) als seltene Manifestation einer HSV-1-Primärinfektion beim Kind..

(Mit freundlicher Genehmigung der Firma Wellcome)

Die Reaktivierung führt zu den typischen Bildern des Herpes labialis oder des Herpes genitalis (Abb. 13.16 ) oder seltener entsprechend der Lokalisation der Primärinfektion an anderen Stellen. Bei HSV-Manifestationen an atypischer Stelle (z. B. Glutealregion) kann die Abgrenzung von einem Zoster (VZV!) schwierig sein. Allgemeinsymptome, Fieber, Schmerzen und Dauer der Erregerausscheidung sind beim rezidivierenden Herpes geringer ausgeprägt als bei der symptomatischen Primärinfektion.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Herpes progenitalis beim Mann (Rekrudeszenz).

(Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von H. Rasokat, Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie, Universität zu Köln).

Augenerkrankungen HSV-Infektionen an den Augen sind meist Folge konnataler oder frühkindlicher ein- oder beidseitiger HSV-Keratokonjunktivitis (Primärinfektionen). Der seltenere rezidivierende, typische ulzerative korneale Herpes ist eine wichtige Ursache bleibender Hornhautschäden mit Visusverlust. Es gibt viele distinkte ophthalmologische Zustandsbilder, je nach Mitbeteiligung der tieferen Hornhautschichten. Die Heilung dauert auch bei adäquater antiviraler Therapie u.U. 1 Monat.

HSV kann sehr selten auch die hinteren Augenabschnitte betreffen und zu schwersten Retinanekrosen führen.

HNO-Erkrankungen Bei älteren mit HSV-1 primär Infizierten kann es zum mononukleoseähnlichen Krankheitsbild mit Pharyngitis und sogar ulzerativer Tonsillitis und ausgeprägter Lymphadenopathie kommen.

ZNS-Erkrankungen Die Herpesenzephalitis ist häufigste Ursache der sporadischen, akuten Enzephalitis (Inzidenz: 5/1 Mio. Einwohner/Jahr). Über 90% werden durch HSV-1 verursacht. Sie ist in ca. 50% Folge einer Primärinfektion, in den übrigen Fällen entsteht sie nach endogener Reaktivierung. Typischerweise handelt es sich um eine fokal nekrotisierende, hämorrhagische Temporallappenenzephalitis (Abb. 13.17 ).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Herpesenzephalitis mit hämorrhagischen Nekrosen der Rinde, von temporomedial bis zur Inselgegend reichend (40-jähriger Mann).

(Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von R. Schröder, Institut für Pathologie, Universität zu Köln).

Die Erkrankung beginnt plötzlich mit Kopfschmerzen, praktisch immer mit Fieber, Sprachstörungen und evtl. Krampfanfällen und ist immer lebensbedrohlich. Unbehandelt kommt es bald zu Krämpfen und Koma (Letalität ca. 80%). Die Differentialdiagnose umfasst die lymphozytären Meningoenzephalitiden (u. a. LCM, FSME, Picornaviren, Tab. 13.16) und alle Formen der zerebralen Raumforderung (Hirntumoren, Abszesse). Für die Diagnostik ist die PCR hilfreich (s. u.). Eine andere neurologische Komplikation der HSV-Infektion ist die Mononeuritis simplex (z. B. Fazialisparese).

Tab. 13.16

Neurologische Manifestationen bei europäischen Virusinfektionen

Erkrankung
Syndrom
Symptom
VirusfamilieViren/GeneraVorkommen BedeutungAntivirale TherapieProphylaxe
ZNS
Meningitis (M)/ Enzephalitis (En)/ Enzephalopathie (EP)/ (psych. Störungen)
Picorna
Paramyxo/Myxo
Toga
Flavi
Rhabdo
Bunya
Arena
Retro
Adeno
Herpes
Entero (verschiedene) M (En)
Mumps/Masern M (En)/Influenza (En)
Röteln (En, EP)
FSME M (En)
Tollwut (En)
Tahynia
LCM
HIV EP
Adeno
HSV-1 En/HSV-2 M (En)
VZV/Zytomegalie/EBV
U, H
U, H
U, S
E, H
E, S
E, ?
E, ?
E, SH
U, S
U, H
U, S
(Ja)
Nein//Ja
Nein
Nein
Nein
Nein
Nein
Ja
Nein
Ja
Ja/(ja)/nein
A, Polio, P
A/A, P
A, P
A, P
A, P
Nein
Nein
Nein
(Nein)
Nein
A,P/P
Progr. Panenzephalitis/ Degeneration/Demenz Paramyxo
Toga
Polyoma
Prion (kein Virus)
Masern (SSPE)
Röteln
Polyoma
Creutzfeldt-Jakob
U, S
U, S
U, SH
U, S
Nein
Nein
Nein
Nein
A, P
A, P
Nein
Nein
Myelitis
Periphere Lähmungen/Hirnnerven
Picorna
Herpes
Enteroviren
HSV-1, VZV
U, S
U, S
U, H
(Nein)
(Ja)
(Ja)
A Polio, P
Nein
A, P

Ca. 25% der Frauen mit einer symptomatischen genitalen HSV-Primärinfektion entwickeln eine prognostisch günstige aseptische Meningitis.

Respiratorische Erkrankungen Sehr selten kann bei meist Älteren und/oder Immunsupprimierten mit akuter respiratorischer Insuffizienz (ARDS), Bronchospasmen und Lungeninfektionen HSV aus respiratorischen Sekreten isoliert werden. Die Prognose ist dabei ungünstig.

Gastrointestinale Erkrankungen Ulzerative HSV-Ösophagitiden kommen selten, meist bei Immunsupprimierten, vor und müssen differentialdiagnostisch von den häufigeren CMV-Manifestationen abgegrenzt werden.

Erkrankungen der Geschlechtsorgane Die echten genitalen Primärinfektionen führen bei Frauen zur fieberhaften, sehr schmerzhaften generalisierten Vulvovaginitis (30%), ggf. mit Beteiligung der Portio vaginalis uteri, inguinaler Lymphadenopathie und Miktionsstörungen (10–15%) auf der Basis einer sakralen Radikulomyelitis. Krankheitsdauer und Virusausscheidung können 3 Wochen betragen, nicht selten mit stationärer Behandlung (s. o., aseptische Meningitis). Primärinfektionen bei Männern verlaufen klinisch meist weniger dramatisch. Genitale Rekurrenzen verlaufen auch sehr viel milder und meist asymptomatisch oder zumindest unbemerkt.

Intrauterine und perinatale Infektionen Die neonatale HSV-Infektion (meist HSV-2, ca. 1 : 4000 Geburten) wird meist im Geburtskanal übertragen und kann beim Kind zum Herpes generalisatus neonatorum führen, einer septischen Erkrankung mit Befall aller Organe. Die Letalität der konnatalen Infektion liegt unbehandelt je nach Ausprägung bei 0–60%. Eine prognostisch sehr ungünstige Enzephalitis kann mit oder ohne kutane Beteiligung vorkommen. Überlebende Kinder leiden dann meist unter schweren ZNS-Schäden.

Eine diaplazentare Infektion ist extrem selten wohl auch möglich und führt meist zu schwerer Erkrankung. Möglich sind aszendierende Infektionen bei eröffneter Fruchtblase.

Das Infektionsrisiko des Kindes beträgt bei Primärinfektion der Mutter am Geburtstermin ca. 50%, bei genitaler Rekrudeszenz sind Infektions- und Manifestationsrisiko, wahrscheinlich wegen der geringeren Virusproduktion bei der Mutter und diaplazentar übertragener Antikörper, deutlich geringer. Die genitale Virusausscheidung dauert bei Primärinfektion der Mutter ab Tag 2 nach Infektion 10–14 Tage (bis 3 Wochen), bei der Rekrudeszenz 2–5 Tage. Die Primärinfektion der Mutter am Geburtstermin stellt eine Indikation zur primären Sectio dar; eine Aciclovir-Therapie bei genitalen Rekrudeszenzen in den letzten 10–14 Tagen vor der Entbindung zur Vermeidung einer Sectio wird zunehmend befürwortet.

MERKE

Jede symptomatische Primärinfektion ist eine Indikation zur antiviralen Therapie, auch um möglicherweise Schwere und Häufigkeit späterer Rekrudeszenzen zu vermindern.

MERKE

Bereits beim Verdacht auf Herpesenzephalitis muss – nach Liquorentnahme für die Diagnostik – sofort hoch dosiert mit Aciclovir behandelt werden.

Diagnostik

  • Virusnachweis: Virusisolierung in Zellkultur (24 h Untersuchungsdauer) und bei gutem, zellhaltigem Abstrichmaterial (auf Objektträgern) Antigendirektnachweis mit monoklonalen Antikörpern (2 h Untersuchungsdauer), die zugleich die Differenzierung zwischen HSV-1, HSV-2 und VZV erlauben

  • Nachweis viraler Genome: Nachweis von HSV-DNA im Liquor bei HSV-Enzephalitis oder aus verschiedenen Materialien bei Verdacht auf konnatale Infektion

  • Antikörpernachweis: IgM-Nachweis und Serokonversion sind nur bei Primärinfektionen aussagekräftig. Versuche einer verfeinerten Serodiagnostik (differenzierte Virushüll-Antigene und Bestimmung der Ig-Subklassen) zum Einsatz bei Rekurrenzen sind bisher noch nicht praxisrelevant. Eine Unterscheidung zwischen HSV-1- und -2-Antikörpern ist mittlerweile möglich.

MERKE

Bei Verdacht auf HSV-Enzephalitis ist die schnelle differentialdiagnostische Abgrenzung von bakteriellen Infektionen essentiell wegen der therapeutischen Konsequenzen.

Therapie und Prophylaxe

Die lokale Therapie mit verschiedenen Nukleosidanaloga ist möglich, am Auge ggf. kombiniert mit Interferon. Eine systemische Therapie primär mit Aciclovir ist bei allen schweren HSV-Manifestationen angezeigt, bei bedrohlichen Erkrankungen ist die intravenöse Behandlung notwendig. Absolute Indikationen bestehen:

  • bereits bei klinischem Verdacht auf Enzephalitis

  • bei Keratitis

  • bei disseminierten Verläufen bei Neugeborenen und Immunsupprimierten.

Eine symptomatische Primärinfektion bei Immungesunden sollte behandelt werden.

Die Therapie muss möglichst frühzeitig beginnen. Bei sekundärer Resistenz gegen Aciclovir ist u.U. die parenterale Therapie mit Foscarnet angezeigt; auch Ganciclovir zeigt gute Wirksamkeit gegen HSV. Famciclovir und Brivudin sind auch wirksam gegen HSV, Brivudin aber nur gegen HSV-1. Bei häufig rekurrierendem Herpes genitalis kann eine Langzeit-Suppressionsbehandlung mit Aciclovir indiziert sein. Bei Immunsupprimierten ist gelegentlich eine primäre oder sekundäre Prophylaxe sinnvoll. Eine passive Immunisierung ist bei Erkrankung nicht wirksam, ein wirksamer aktiver Impfstoff steht nicht zur Verfügung.

Komplikationen Patienten mit chronischen Ekzemen sind prädisponiert für primär kutan disseminierte HSV-Manifestationen, das sog. Eczema herpeticatum. Ferner sind Patienten mit Verbrennungen durch HSV gefährdet. HSV-Rekurrenzen können bei disponierten Patienten wiederholt ein Exanthema exsudativum multiforme triggern, wobei auch in Gewebeproben des Exanthems in 80% HSV-DNA nachweisbar ist.

Die HSV-Rekrudeszenz bei immunkompromittierten Patienten (Tumorbehandlung, Knochenmarktransplantation, HIV-Infektion) ist wie beim neonatalen Herpes durch eine Tendenz zur lebensbedrohlichen Disseminierung gekennzeichnet, unter Einbeziehung von Haut, Schleimhäuten und viszeralen Organen (Lunge, Leber, Gastrointestinaltrakt).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000
107 Abbildung: Herpes-simplex-Ösophagitis

MERKE

Disseminierter Herpes simplex bei Immunsupprimierten bedarf schnellstmöglich einer Maximaltherapie.

Der chronische, lokal destruierende mukokutane Herpes simplex ist eine AIDS-Manifestation; es entstehen z. B. größere perianale Ulzera, die in der Differentialdiagnose der klassischen venerischen Infektionen durch ihre Schmerzhaftigkeit von der Lues abzugrenzen sind und einen belegten, weichen Ulkusgrund aufweisen.

ZUSAMMENFASSUNG

Die weitaus häufigste HSV-Erkrankung ist der rekurrierende orale oder genitale Herpes. Beide haben beim Immungesunden eine gute Prognose, können aber zu erheblichen psychischen Belastungen, bis hin zum Suizid, führen. Orale und genitale Primärinfektionen können zu schweren Erkrankungen führen, die frühzeitig und intensiv systemisch behandelt werden sollten. Die rekurrierende ulzerative Herpeskeratitis führt häufig zum Visusverlust – ggf. mit der Notwendigkeit einer Hornhauttransplantation. Enzephalitis, konnatale Infektion und Infektionen Immunsupprimierter können sehr rasch zu lebensbedrohlichen Erkrankungen führen und müssen daher schnellstmöglich intensiv behandelt werden. Die virologische Diagnose kann sehr schnell gestellt werden, wenn das geeignete Material mit geeigneten Methoden untersucht wird.

Varicella-Zoster-Virus

Einteilung Vom Varicella-Zoster-Virus (VZV) existiert nur 1 Serotyp. Abgesehen von Impfstämmen (z. B. Oka) wurden auch keine pathogenetischen Varianten charakterisiert.

Epidemiologie Die Durchseuchung mit VZV ist weltweit hoch, jedoch abhängig von Klima und Bevölkerungsdichte. In tropischen Ländern erreicht die Rate der Primärinfizierten bei Erwachsenen ca. 50%, während in kühleren Regionen (Deutschland) über 90% der Erwachsenen die Windpocken durchgemacht haben. Der Inhalt frischer Bläschen ist klar und infektiös, die Infektiosität der Vesikelflüssigkeit spielt aber epidemiologisch (Tab. 13.16), im Vergleich zur Tröpfcheninfektion aus dem Oropharynx in der Prodromalphase der Varizellen, keine Rolle. Die Infektiosität des Zosters für die Umgebung (Windpocken nach Zoster-Kontakt) kann als gering angesehen werden.

Ätiologie und Pathogenese Die Primärinfektion mit VZV wird im Gegensatz zu HSV praktisch immer klinisch manifest als Windpocken (Varizellen) durchgemacht. Selten kann es zu ernster ZNS-Beteiligung kommen. Nach der Primärinfektion kommt es zur Latenz im Trigeminusganglion und in den Spinalganglien der Thorakalsegmente, aus der heraus es, meist bei älteren Menschen, zum segmentalen Zoster kommen kann. Derzeit werden vermehrt Zoster-Fälle bei Kindern registriert.

Sehr selten treten „schleichende“ Enzephalitiden auf, meist bei älteren Patienten. Bei Immunsupprimierten können Varizellen (Letalität unbehandelt bei Leukämiekindern 10–30%) und Zoster sehr viel schwerer verlaufen. Auch der Zoster kann dann kutan disseminiert oder „septisch“ auftreten.

Symptome, Verlauf und Prognose

Asymptomatische Infektionen VZV-Reaktivierungen ohne Bläschen (Zoster sine herpete) treten auf.

Haut- und Schleimhauterkrankungen Windpocken beginnen als vesikuläres Exanthem nach einer Inkubationszeit von meist 14–16 (10–21) Tagen an der Stirn, im Gesicht oder am Stamm und breiten sich, begleitet von niedrigem Fieber, zentrifugal aus. Etwa 50% der Infizierten haben an beiden Tagen vor Exanthemausbruch Prodromi mit Fieber, Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen und Abdominalschmerzen. Die Bläschen sind genabelt, verschiedene Reifungsstufen sind nebeneinander zu beobachten („Sternenhimmel“, Abb. 13.18 ), die Schleimhäute sind häufig mit befallen. Neue Bläschen treten meist bis zum 6. Tag nach Exanthembeginn auf.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Varizellenexanthem am Stamm mit Bläschen in ganz verschiedenen Entwicklungsstadien („Sternenhimmel“).

(Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von H. Rasokat, Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie, Universität zu Köln).

Der Zoster, der nach einer durch Schmerzen charakterisierten Prodromalphase (48–72 h) im Rahmen der Rekrudeszenz des VZV auftritt, ist entsprechend dem befallenen Hinterstrangganglion (Latenzort) durch segmentalen kutanen Befall charakterisiert.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000
108 Abbildung: Thorakaler Zoster.

Augenerkrankungen Eine Beteiligung des Ramus ophthalmicus des N. trigeminus führt zum Zoster ophthalmicus mit Lidschwellung. Im Rahmen eines Zoster ophthalmicus kann es zur Hornhautbeteiligung und nachfolgender Hornhauttrübung kommen. Auch Beteiligungen der tiefen Strukturen des Auges sind ausnahmsweise möglich bis hin zur Panophthalmitis.

HNO-Erkrankungen Ein Befall des N. facialis führt zum Zoster oticus mit Ohrenschmerzen und Effloreszenzen auf der Ohrmuschel oder im Gehörgang. Allerdings kann ein Zoster oticus auch ohne erkennbare Bläschen bzw. mit nur minimalen Bläschen im äußeren Gehörgang einhergehen. Unabhängig von der Bläschenmanifestation kann es zur Fazialisparese kommen.

ZNS-Erkrankungen Eine Varizellen-Meningoenzephalitis mit guter Prognose kommt vereinzelt vor, selten auch eine transverse Myelitis und ein postinfektiöses Guillain-Barré-Syndrom. Im Rahmen des Zosters wurden entzündliche Veränderungen im Liquor häufig nachgewiesen. Die postzosterische Neuralgie ist eine häufige und schwer zu therapierende Komplikation nach Zoster, v. a. bei älteren Patienten, die einem Schmerzzentrum zugeführt werden sollten.

Respiratorische Erkrankungen Die Varizellenpneumonie tritt aus ungeklärten Gründen besonders bei 5–10% der Schwangeren im 3. Trimenon mit Varizellen auf. Die Lungenfunktion ist häufig wesentlich stärker eingeschränkt, als es die Röntgenaufnahme der Lunge vermuten lässt. Das Röntgenbild (Abb. 13.19 ) zeigt diffuse bilaterale Infiltrate mit kleinen nodulären Verdichtungen, welche auch nach Genesung lange persistieren können. Die Prognose ist in der Regel gut und die Pneumonie nach 2–3 Tagen überwunden. Allerdings kann es auch zum raschen Fortschreiten bis zum Lungenversagen kommen.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Varizellenpneumonie bei einem 26-jährigen Patienten.

Gastrointestinale Erkrankungen Neben den prodromalen gastrointestinalen Beschwerden haben die meisten Patienten mit Windpocken vorübergehend leicht bis mäßig erhöhte Transaminasen als Ausdruck einer häufigen, aber gutartigen Leberbeteiligung.

Weitere Erkrankungen Die seltene Varizellennephritis wird häufig zunächst an einer Hämaturie erkennbar. Eine passagere, teils lang anhaltende Thrombozytopenie mit hämorrhagischen Varizellen bis hin zu späten Blutungskomplikationen kann auftreten. Auch vorübergehende, prognostisch günstige Arthritiden bei Varizellen kommen vor.

Intrauterine und perinatale Infektionen Im Gegensatz zu HSV geht VZV regelmäßig bei Primärinfektion der Mutter diaplazentar aufs Kind über. Bei Windpocken sind nur Erkrankungen im 1. Trimenon gefährlich im Hinblick auf eine Embryopathie (Mikrozephalie, Gliedmaßenhypoplasie, Hautdefekte, Chorioretinitis; Schädigungsrisiko ca. 1%). Bei Varizellen während der Schwangerschaft (2. und 3. Trimenon) machen die Kinder intrauterin Varizellen durch, was nach der Geburt erkennbar wird, gelegentlich auch als Zoster-Manifestation. Die Prognose ist insgesamt gut. Bei Primärinfektion (Varizellen) der Mutter 4 Tage vor bis 4 Tage nach Entbindung treten bei ca. 30% der Kinder konnatale Varizellen auf. Diese konnatalen Windpocken (Letalität unbehandelt ca. 30%) machen neben der postexpositionellen Hyperimmunglobulingabe die Aciclovir-Therapie beim Neugeborenen notwendig.

Diagnostik

Bei Verdacht auf Varizellenpneumonie ist die Thorax-Röntgenuntersuchung angezeigt und bei Verdacht auf ZNS-Manifestation ein CT. Bei allen anderen Erkrankungen erfolgt die Diagnose klinisch und virologisch.

  • Antikörpernachweis: Die Primärinfektion ist serologisch leicht durch Serokonversion und spezifische IgM-Antikörper zu bestätigen. Der Zoster führt manchmal zur erneuten Bildung von IgM-Antikörpern und stets zum deutlichen Anstieg der zuvor nicht mehr nachweisbaren „KBR-Antikörper“. Varizellenimmunität ist beim Nachweis spezifischer IgG-Antikörper (ELISA) gegeben.

  • Virusnachweis: Das Varizellenvirus ist in der Zellkultur nicht ganz leicht zu isolieren, die Isolierung dauert länger als bei HSV. Virusantigene lassen sich in zellhaltigen Abstrichen durch VZV-spezifische Antikörper mittels Immunfluoreszenz nachweisen.

  • Nachweis viraler Genome: Die PCR ist wertvoll bei Diagnose der zentralnervösen Komplikationen und bei Verdacht konnataler Infektion. Auch die Virämie lässt sich so erfassen.

Differentialdiagnose Differenzierungsmaßnahmen

Generalisierte Herpes-simplex-Virus-Infektion Virologische Diagnostik

Lyell-Syndrom

Stevens-Johnson-Syndrom

Hand-Fuß-Mund-Krankheit (Coxsackie A16)
Exanthemmorphologie und Lokalisation
Tierpocken

Therapie und Prophylaxe

Die Windpocken beim Kind werden aus Gewohnheit meist nicht als Indikation zur Chemotherapie mit Aciclovir, Brivudin oder Famciclovir gesehen, jedoch besteht die Indikation bei immunkompromittierten Patienten immer. Beim Zoster besteht eine Therapieindikation in der Vermeidung der Post-Zoster-Neuralgie, die jedoch nicht immer verhindert werden kann. Ferner sollen Zoster ophthalmicus, Zoster oticus und disseminierter Zoster bei Immundefekten entsprechend therapiert werden.

Die Gabe von Acetylsalicylsäure ist bei Kindern kontraindiziert, da sie das Auftreten des Reye-Syndroms triggert, einer fettigen Leberdegeneration mit Enzephalopathie.

Prä- und rasche postexpositionelle passive Immunisierung (bis 72 h) sind möglich und indiziert beim Windpockenkontakt einer seronegativen (VZV-IgG-ELISA) Frau im 1. Schwangerschaftstrimenon, bei der perinatalen Infektion und bei Immunsupprimierten (v. a. Aplasie, und Knochenmarktransplantierte). Ein aktiver Lebendimpfstoff steht zur Verfügung. Die generelle VZV-Impfung wird mittlerweile empfohlen.

Komplikationen Komplikationen der Windpocken sind besonders die bakterielle Superinfektion der vesikulären Effloreszenzen bis hin zu schweren gangränösen Varizellen, nekrotisierender Fasziitis (S. pyogenes) und bakterieller Sepsis, ferner die seltene, meist interstitielle Pneumonie (Abb. 13.19) und zentralnervöse Komplikationen (zerebelläre Ataxie, Enzephalitis). Einige Fälle von hämolytisch-urämischem Syndrom sind ebenso wie Peri-/Myokarditiden in Zusammenhang mit Varizellen beschrieben worden. Insgesamt verläuft die Infektion bei Erwachsenen schwerer als bei gesunden Kindern.

Bei Patienten mit Tumorleiden ist ein Zoster als ein Hinweis auf ein eventuelles Rezidiv anzusehen. Die Verhinderung der Post-Zoster-Neuralgien, die vorwiegend bei älteren Patienten in bis zu 20% auftreten können, ist ein weiterer Grund für die frühzeitige Therapie des Zosters mit Aciclovir.

Bei immunsupprimierten Patienten weisen Windpocken und Zoster einen disseminierten und schweren Verlauf auf. Bei den Windpocken ist der viszerale Befall (Lunge) das größte Problem (vor allem akute Leukämien, knochenmarktransplantierte Patienten), beim Zoster der disseminierte kutane Befall (z. B. HIV-Infektion).

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Primärinfektion mit oder Rekrudeszenz des Varicella-Zoster-Virus

  • Wichtigste Symptome: typische Hauterscheinungen mit Bläschen aller Reifestadien („Sternenhimmel“) bei Windpocken; bei Zoster segmentaler Befall entsprechend den betroffenen Dermatomen (Zoster sine herpete ist möglich)

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: klinisches Bild und virologische Untersuchung

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: bei Immunkomprimierten sowie bei Zoster zur Vermeidung der Post-Zoster-Neuralgie Aciclovir, Brivudin oder Famciclovir

Epstein-Barr-Virus

Epidemiologie, Ausscheidung und Übertragung Epstein-Barr-Virus (EBV) wurde bei der Suche nach dem Erreger des Burkitt-Lymphoms gefunden. Die Primärinfektion des Menschen erfolgt meist bei engem Kontakt durch Speichel („Kissing Disease“). Nach einer Inkubationszeit von 30–50 Tagen kommt es in den epithelialen Zellen des Rachens, v. a. am Zungenrand, und in den Speicheldrüsen zur produktiven Virusvermehrung mit Virusausscheidung über den Speichel. Eine geringgradige Virusausscheidung ist danach lebenslang bei den meisten EBV-Infizierten intermittierend nachweisbar und Quelle für die Weitergabe der Infektion. Parallel erfolgt die nichtproduktive Infektion der B-Zellen mit dem Resultat einer gewaltigen passageren Lymphozytenproliferation.

Pathogenese EBV kann Zellen infizieren, die einen bestimmten Glykoproteinrezeptor (CD21) tragen. Die höchste Dichte an CD21 besitzen ruhende B-Zellen. Bereits die Virusbindung bewirkt eine Aktivierung der B-Zellen, die frühzeitig nach Auftreten der ersten viralen Antigene in den Zellen (EBNA-2) und anschließendem Beginn der viralen und zellulären DNA-Synthese immortalisiert werden. Dabei kommt es zur Sekretion von B-Zell-Wachstumsfaktoren. Der typische Infektionszustand sowohl in vitro transformierter Zellen als auch infizierter Lymphom-Zelllinien ist die Latenz, mit episomalem Vorliegen viraler DNA. Durch verschiedene Induktionsmechanismen, aber auch spontan kann es in solchen Zellen zur produktiven Infektion mit Bildung infektiöser Viruspartikel kommen. Bei EBV gibt es viele Virusvarianten, die sich auch im Hinblick auf Transformation bzw. lytische Vermehrung unterscheiden, deren pathogenetische Bedeutung aber noch unklar ist.

In der akuten Phase der Mononukleose können 5–20% der zirkulierenden B-Zellen EBV-infiziert sein (polyklonale Transformation). Es treten teils heterophile Autoantikörper auf, was diagnostisch genutzt wird (Paul-Bunnell-Test). Im Regelfall werden die EBV-infizierten B-Zellen durch das intakte Immunsystem (T-Zellen) eliminiert, dies gelingt aber nicht vollständig, sondern es verbleiben einige latent infizierte B-Zellen mit der Möglichkeit der Reaktivierung im späteren Leben (s. u.).

Eine Assoziation des Burkitt-Lymphoms mit EBV ist aufgrund molekularbiologischer und seroepidemiologischer Daten gesichert. Ebenso eindeutig ist der Zusammenhang zwischen EBV und dem Nasopharynxkarzinom (NPC), das endemisch in einigen Gegenden Afrikas und v. a. in Südchina vorkommt.

Symptome, Verlauf und Prognose

Die Primärinfektion geht in frühen Lebensjahren oft asymptomatisch vorüber.

Mit zunehmendem Alter wird das Bild der infektiösen Mononukleose (IM) häufiger beobachtet: Sie geht einher mit Fieber, Pharyngitis und Tonsillitis mit gräulichen Belägen, generalisierter oder zervikookzipital betonter Lymphadenopathie, Exanthem (selten Enanthem), Hepatitis und Splenomegalie. Das Fieber dauert ca. 7–10 Tage an und fällt wieder ab. Es besteht eine kutane Anergie wie beim Morbus Boeck, bei fortgeschrittener HIV-Infektion und anderen schweren Krankheitsbildern (disseminierte Tuberkulose). Eine Restsymptomatik (subfebrile Temperaturen, Müdigkeit) kann monatelang anhalten.

Eine produktive EBV-Infektion ist häufig als orale Haarleukoplakie am seitlichen Zungenrand bei AIDS und anderen schweren Immundefekten nachweisbar.

Chronisch aktive EBV-Infektionen mit lang anhaltenden, rezidivierenden Organsymptomen wurden mit familiärer Häufung beschrieben. Es ist bislang unklar, ob in diesen Fällen ein genetischer Defekt oder eine besondere Virusvariante verantwortlich ist.

Erkrankungen der Blutzellen und Immunorgane Eine massive B-Zell-Proliferation mit nachfolgender Kontrolle durch induzierte spezifische T-Zellen gehört zum Krankheitsbild der IM. Beim „Duncan-Syndrom“ sind die Patienten aufgrund eines genetischen Defektes nicht in der Lage, diese Proliferation zu kontrollieren. Die latente EBV-Infektion wird durch nicht produktiv infizierte B-Lymphozyten aufrechterhalten, die durch den Nachweis von EBNA-2 (EBV-nukleäres Antigen) charakterisiert sind. Proteine, die von latent infizierten

Zellen gebildet werden können, sind für die Rolle des EBV in der Entstehung von Tumoren verantwortlich. Sehr gefürchtet ist das Lymphozyten-Proliferationssyndrom bei Immunsupprimierten nach Transplantation. EBV ist in B-Zell-Lymphomen bei HIV-Infektion, nach Organtransplantation und beim Morbus Hodgkin nachzuweisen. Vor allem in Asien kommt es gelegentlich zu einer EBV-induzierten überschießenden T-Zell-Aktivierung, die letztlich zum hämophagozytotischen Syndrom führt.

Weitere Organbeteiligungen Eine Beteiligung von EBV an Erkrankungen, die von Infektionen des Lungenepithels im Rahmen einer chronisch aktiven EBV-Infektion ausgehen, bis hin zur Beteiligung an der idiopathischen Lungenfibrose ist vielfach diskutiert worden.

Myokarditiden können bei IM auftreten und die bestimmenden Beschwerden während der Rekonvaleszenz sein. Die Prognose ist insgesamt gut.

Die benigne Hepatitis mit mäßig erhöhten Transaminasen ist typisch bei der primären EBV-Infektion. Vielfach werden chronische EBV-Reaktivierungen als Ursache von anhaltenden gastrointestinalen Beschwerden und gelegentlich auch Hepatopathien angenommen. Inwieweit ein kausaler Zusammenhang besteht, ist aber meist unklar und auch schwer zu klären, da EBV-Reaktivierungen auch bei anderen Grunderkrankungen vorkommen.

Diagnostik

Im Blutausstrich zeigt sich eine deutliche Lymphozytose mit lymphomonozytären Reizformen (Pfeiffer-Zellen, Abb. 13.20 ):

  • Antikörpernachweis: Während der EBV-Infektion kommt es zur Bildung von Antikörpern gegen einige viruskodierte Antigene:

    • virales Kapsidantigen (VCA)

    • Early Antigen Diffuse (EA-D)

    • Early Antigen Restricted (EA-R)

    • EBV-nukleäres Antigen (EBNA).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Typische Pfeiffer-Zelle mit Vakuolen im peripheren Blutausstrich.

Das Antikörpermuster lässt Rückschlüsse auf den Infektionszustand zu (Tab. 13.24 ).

  • Virusnachweis: EBV ist auch bei Gesunden in Speichel und B-Lymphozyten vereinzelt nachweisbar. Der regelmäßige quantitative Nachweis von EBV-DNA aus Blutleukozyten bei Risikopatienten ist Methode der Wahl, um EBV-Reaktivierungen möglichst frühzeitig, vor Auftreten eines lymphoproliferativen Syndroms, zu erkennen.

Tab. 13.24

Serologie bei EBV (vereinfachte Darstellung)

Nachweisbare Antikörper VCA-IgMVCA-IgAVCA-IgGEA-IgGEBNAHeterophile AK
Infektiöse Mononukleose + (+) + + - +1
Z.n. EBV-Primärinfektion - - + - +2 -
Burkitt-Lymphom - (-) + - + -
NPC - + + - + -

Differentialdiagnose Differenzierungsmaßnahmen

Primäre CMV-Infektion Blutbild, virologische Diagnostik

Akutes retrovirales Syndrom bei HIV-Infektion HIV-Diagnostik

Toxoplasmose Bakteriologische Diagnostik

Tonsillitis (Streptokokkenangina, Diphtherie, Plaut-Vincent-Angina, luetische Angina, Listeriose) Bakteriologische Diagnostik

Tonsillitis bei sekundärer Agranulozytose im Rahmen einer AML Blutbild

Therapie

Obwohl in vitro die antivirale Wirksamkeit von Aciclovir und anderen Substanzen gezeigt und auch die Virusausscheidung durch Gabe von Aciclovir bei IM verkürzt und vermindert wurde, gelang es bislang nicht überzeugend, den Krankheitsverlauf zu beeinflussen.

Die Behandlung erfolgt symptomatisch.

Bei EBV-induzierten lymphoproliferativen Erkrankungen bei Immunkompromittierten wird zur Therapie ein monoklonaler Antikörper eingesetzt, der in vivo B-Zellen zerstört und damit die relevanten Wirtszellen beseitigt

Komplikation Häufigkeit

Thrombopenie Selten

Hämolyse

Milzruptur

Pneumonie

Nephritis

Perimyokarditis

Meningoenzephalitis

Makulopapulöses Exanthem Fast immer nach Gabe von Ampicillin

Ungehemmte B-Zell-Proliferation mit tödlichem Ausgang Sehr selten, vorwiegend beim X-chromosomal gebundenem lymphoproliferativem Syndrom

Panzytopenie Sehr selten

Agammaglobulinämie

Fulminante EBV-assoziierte B-Zell-Lymphome Bei erworbener Immundefizienz (Transplantationsempfänger, AIDS-Patienten 10%)

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Infektion mit EBV über Speichelkontakt

  • Wichtigste Symptome: infektiöse Mononukleose mit Fieber, Pharyngitis, Tonsillitis, Problemvirus nach Transplantation.

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Blutausstrich mit typischen Pfeiffer-Zellen, Nachweis heterologer Antikörper und EBV-VCA-Antikörper

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: symptomatisch

Zytomegalievirus

Beschreibung und Einteilung Histopathologische Veränderungen einer Zytomegalievirus(CMV)-Infektion wurden bereits 1881 ohne Kenntnis des Erregers beobachtet, 1904 beschrieben und später „Eulenaugenzellen“ genannt. Die infizierten Riesenzellen (zytomegale Zellen) haben charakteristische intranukleäre und intrazytoplasmatische Einschlusskörper. CMV als Erreger der als „zytomegale Einschlusskörperchenkrankheit“ (cytomegalic inclusion disease, CID) bezeichneten schwersten symptomatischen Form der kongenitalen Infektion wurde 1955 erstmals isoliert.

Es existiert nur ein Serotyp von CMV mit erheblicher Variation auf Ebene der DNA (CMV-Stämme mit 95% DNA-Homologie). Dies ermöglicht auch die Identifikation patientenspezifischer Isolate. Das Tegument (Matrix) zwischen Envelope und Kapsid enthält u. a. das Matrixprotein pp65, das nach Infektion sofort in den Kern transportiert wird (s.a. Diagnostik). Epitope des pp65 stellen Zielmoleküle für zytotoxische T-Zellen dar.

Der Glykoprotein-B(gB)-Komplex ist häufigster Bestandteil der Virushülle (> 50%), ein stark immunogenes Protein, das die Synthese von virusneutralisierenden Antikörpern induziert. Das gB gilt als geeigneter Kandidat für eine Subunit-Vakzine. Unterschiedliche CMV-Genotypen, auch hinsichtlich neutralisationsrelevanter Epitope, können in einem Individuum nachweisbar sein. Dies belegt die Möglichkeit exogener Reinfektionen (z. B. Transplantationen). Auch Antikörperanalysen ergaben, dass bei ca. 20% der Bevölkerung eine Exposition gegenüber mehreren CMV-Stämmen stattgefunden hat.

Epidemiologie Zytomegalievirus (CMV) ist weltweit verbreitet; der Mensch ist einziger Wirt. Die postnatale Infektion erfolgt bei engen Kontakten mit CMV-seropositiven Personen überwiegend durch Muttermilch, Speichel, Urin und genitale Sekrete. Je nach epidemiologischer Situation werden 0,3–2,5% aller Kinder bereits intrauterin mit CMV infiziert. Bei Primärinfektion einer Schwangeren (1–4% der Schwangerschaften) liegt die Rate der diaplazentaren fetalen Infektionen bei 35 bis 50%. CMV-Reaktivierungen seropositiver Schwangerer sind vergleichsweise häufig (3–40%), aber die Infektion des Fetus ist deutlich seltener und Schäden sind sehr selten. Infektionen können auch unter der Geburt (Vaginalsekret) oder postnatal durch engen Kontakt mit der Mutter (Speichel, Muttermilch) erfolgen. CMV reaktiviert bei ca. 90% der CMV-seropositiven Mütter lokal in der Brustdrüse mit einer Transmissionsrate von 40% bei Muttermilchgabe.

Intermittierende Virusausscheidung kann man lebenslang altersabhängig bei 1–30% der latent infizierten Menschen (Kinder > Schwangere > übrige Erwachsene) und materialabhängig (Muttermilch > Zervikalsekret > Urin > Speichel) nachweisen. Später erfolgt die Virusübertragung auch sexuell.

Die Durchseuchung beginnt also frühzeitig und steigt je nach geographischem Gebiet und soziohygienischem Status mit der Zeit unterschiedlich steil an. In Ländern mit hoher Durchseuchung wird das Maximum oft schon im Kindesalter erreicht. Die Durchseuchungsraten liegen weltweit bei 40 bis 100%.

Zunehmend bedeutsam werden bei Risikopatienten auch die iatrogenen Übertragungen durch transfundiertes Blut oder transplantierte Organe von CMV-seropositiven Spendern.

Pathogenese Schwere Schädigungen bei Kindern sind meist Folge einer CMV-Primärinfektion der Mutter während der Schwangerschaft, während die Infektion des Kindes als Folge einer endogenen CMV-Reaktivierung bei der Mutter einen günstigen Verlauf zeigt. Die relevanten Orte der CMV-Latenz sind noch nicht genau bekannt, Monozyten und Endothelzellen gelten als Latenzorte.

Besondere klinische Bedeutung hat CMV für alle Immuninkompetenten (untergewichtige Frühgeborene, Transplantatempfänger, Tumorpatienten, AIDS-Patienten). Es existieren Befunde, wonach CMV evtl. auch bei Immungesunden in Zellen der Gefäßwände durch Modulation der zellulären Genexpression Veränderungen hervorruft, die zur Entstehung der Atherosklerose und zur Entwicklung der Restenose beitragen.

Bei Immundefizienten und Immunsupprimierten hängt die Schwere der Erkrankung vom Ausmaß der Beeinträchtigung des Immunsystems ab. Mit zunehmender Dysfunktion der T-Zellen nehmen CMV-Reaktivierungen und persistierende aktive CMV-Infektionen zu. Diese kündigen sich noch vor der klinischen Manifestation einer CMV-Erkrankung durch lang anhaltende intermittierende oder kontinuierliche CMV-Ausscheidung meist im Urin an.

Symptome, Verlauf und Prognose

Asymptomatische Infektionen Die Primärinfektion verläuft bei immungesunden älteren Kindern und Erwachsenen in ca. 90% asymptomatisch. Symptomatische Infektionen sind klinisch von einer infektiösen Mononukleose nicht zu unterscheiden. Endogene Reaktivierungen mit Virusausscheidung, die von Zeit zu Zeit in Abhängigkeit von der aktuellen Immunkontrolle der Infektion durch den Organismus ablaufen, werden im Allgemeinen nicht bemerkt. Die Infektion verläuft bei reifen Neugeborenen auch asymptomatisch, ist aber von einer u.U. langen CMV-Ausscheidung begleitet.

HNO-Erkrankungen Ca. 8% aller klinisch diagnostizierten Mononukleosen sind CMV-bedingt. Die klinischen Zeichen treten nach einer Inkubationszeit von 20–60 Tagen auf. Der Verlauf ist gutartig; neben Fieber, Lymphadenopathie, Pharyngitis bzw. Tonsillitis, Hepatitis, Splenomegalie und Exanthem treten selten Blutbildveränderungen (Leukopenie, relative Lymphozytose mit lymphomonozytären Reizformen, Thrombopenie) und gelegentlich eine Parotitis (DD Mumps) auf.

CMV bei Immunsuppression und AIDS Bei AIDS-Patienten war die Infektion vor der intensiven antiretroviralen Therapie (HAART) am häufigsten mit einer CMV-Retinitis (Abb. 13.21 ) assoziiert, gefolgt von gastrointestinalen Erkrankungen und Enzephalitis. Die aktiven CMV-Infektionen bei 25–90% der AIDS-Patienten sind meist Folge einer CMV-Reaktivierung. Die in anderen klinischen Situationen bedeutsame diagnostische Unterscheidung zwischen Primärinfektion und Reaktivierung spielt daher bei AIDS-Patienten keine Rolle.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Augenhintergrund bei CMV-Retinitis mit typischen „Cotton Wool“-Herden und peripheren Exsudaten.

(Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Chr. Hartmann, Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde, Universität zu Köln).

CMV-Enzephalitiden wurden v. a. bei AIDS-Patienten vor Einführung von HAART häufiger beobachtet. Auch die interstitielle Pneumonie ist eine der typischen CMV-Erkrankungen, die meist bei erheblich immunsupprimierten Transplantatempfängern auftritt.

CMV-bedingte Hepatitis ist häufig bei konnataler Infektion, aber auch möglich bei Virusreaktivierungen bei Immunsupprimierten. Gastrointestinale Infektionen mit typischen, teils blutenden Schleimhautulzera waren vor Einführung der intensiven antiretroviralen Therapie eine häufige Erkrankung bei AIDS-Patienten und werden gelegentlich bei anderen Risikopatienten gefunden. Ulzerationen können in allen Abschnitten des Gastrointestinaltraktes auftreten, vom Ösophagus bis zum Enddarm (Abb. 13.22 ).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

CMV-Ulkus im Bereich der Ileozäkalklappe bei einem HIV-infizierten Patienten.

CMV spielt eine wesentliche Rolle bei Nierentransplantierten. Neben lang anhaltenden asymptomatischen Virusausscheidungen mit dem Urin kommt es zu Nephritiden und Transplantatabstoßungen.

Eine primäre und sekundäre Thrombozytopenie, aber auch Trizytopenie ist typisches Symptom bei konnataler Infektion und häufig erstes Symptom einer CMV-Reaktivierung bei knochenmarktransplantierten Patienten.

Intrauterine und perinatale Infektionen Das Krankheitsbild der konnatalen Zytomegalie umfasst die in Tabelle 13.25 angegebenen Symptome. Hinzu kommen können weitere Symptome, so auch Zahnbildungsschäden.

CMV ist heute Hauptursache einer intrauterinen Infektion des Fetus (0,2–2,2%). Etwa 5% der intrauterin infizierten Kinder zeigen das typische Bild einer konnatalen Zytomegalie (CID mit Einschluss des ZNS: Letalität bis 20% und häufig bleibende Schäden). Die Prognose dieser Kinder ist schlecht (Gesamtletalität 11%). Spätschäden (neurologische Defizite, Hörverlust) sind zu erwarten.

Weitere 5% der intrauterin Infizierten haben geringfügige Symptome bei der Geburt, die Prognose ist sehr viel besser, in 10% ist auch hier mit Spätschäden zu rechnen (Tab. 13.25 ).

Tab. 13.25

Klinisches Bild der konnatalen Zytomegalie

NeugeborenenperiodeHäufigkeit (%)
Petechiale Blutungen 80
Hepatosplenomegalie 70
Ikterus 65
Purpura 60
Mikrozephalie 50
Frühgeburt 36
Krampfanfälle 7

(Weitere) Spätschäden

Sensoneuraler Hörschaden 60
IQ < 70 55
Beidseitiger Hörverlust 37
Chorioretinitis 12

Fetale Infektionen nach reaktivierter Infektion bei der Mutter führen sehr selten zu klinischen Manifestationen, und wenn, dann mit deutlich schwächer ausgeprägter Symptomatik als bei Primärinfektionen und ohne Spätfolgen. Bei untergewichtigen Frühgeborenen besteht auch nach postnataler Infektion (z. B. durch Muttermilch) ein hohes Risiko, an einer schweren systemischen CMV-Infektion zu erkranken.

Diagnostik

Bei Verdacht auf eine CMV-Pneumonie ist die röntgenologische Untersuchung wichtig.

Für die Diagnose einer aktiven CMV-Infektion, aber auch für die Bestimmung der Prognose und für Therapieindikation und -kontrolle stehen heute quantitative Nachweismethoden für virale Antigene und DNA zur Verfügung.

  • Virusnachweis: Die CMV-Isolierung aus Urin, Bronchiallavage, Speichel u.Ä. ist in humanen Fibroblasten möglich, sie braucht im Gegensatz zu HSV aber viel länger. Hier kann der Nachweis von Early-Virus-Antigen – bereits vor dem Erscheinen des zytopathischen Effekts in der infizierten Zellkultur – die Diagnostik beschleunigen (shell vial culture). Eine typische histopathologische Veränderung sind die Eulenaugenzellen, deren Nachweis zwar sehr spezifisch, aber wenig sensitiv ist (Abb. 13.23 ).

    Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

    Zytomegalievirus-Infektion der Lunge bei AIDS. Multiple zytomegale Zellen mit homogenen Kerneinschlüssen, HE (Vergrößerung × 40).

    (Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von R. Fischer, Institut für Pathologie, Universität zu Köln).

  • Nachweis viraler Antigene: Der quantitative Nachweis von CMV-pp65-Antigen in polymorphkernigen Leukozyten eignet sich zur Früherkennung einer systemischen CMV-Reaktivierung. Das pp65-Antigen (s. o.) ist v. a. bei systemischen Infektionen Immunsupprimierter während der Phase der Antigenämie überwiegend in polymorphkernigen Leukozyten (PMNL) und zirkulierenden Endothelzellen zu finden und damit von großer diagnostischer Bedeutung.

  • Nachweis viraler Genome: Der quantitative Nachweis von CMV-DNA ist mit Hilfe der PCR auch alternativ möglich und besonders indiziert bei Enzephalitisverdacht (Liquor), bei Pneumonieverdacht (bronchoalveoläre Lavage), und zum Nachweis einer Primärinfektion bei Kindern mit schwerem kombiniertem Immundefekt (SCID).

  • Antikörpernachweis: Das Screening auf CMV-IgG-Antikörper (Serostatus) ist in verschiedenen Situationen hilfreich: Blut- und Organspender werden getestet, um CMV-Übertragungen auf seronegative Empfänger zu vermeiden. Bei Frauen im gebärfähigen Alter ist die Kenntnis des CMV-Serostatus entscheidend für die Risikobewertung einer aktiven CMV-Infektion in der Schwangerschaft. IgG-Antikörper zeigen eine durchgemachte Primärinfektion an. Antikörper bedeuten keinen Schutz vor endogener Reaktivierung. Die serologische Diagnose der Primärinfektion kann durch Nachweis der Serokonversion (mit CMV-IgM) gestellt werden. Häufig wird auch bei CMV-Reaktivierungen CMV-IgM erneut nachweisbar (vorausgesetzt, die Fähigkeit zur Antikörperbildung ist gegeben). Vor allem bei Schwangeren (s. o.) ist es wichtig, zwischen Primärinfektion und Reaktivierung zu unterscheiden. Dies ist heute über die CMV-IgG-Aviditätsbestimmung und den Nachweis neutralisierender Antikörper besser möglich. Die Synthese von Anti-gB tritt während der Primärinfektion erst relativ spät auf (50–100 Tage), während es zur sofortigen Synthese von Anti-gB bei der Reaktivierung kommt.

Differentialdiagnose Symptome und Befunde der klinischen CMV-Diagnostik sind – abgesehen von Retinitis und interstitieller Pneumonie – nicht pathognomonisch, sondern können vielfältige Ursachen haben. Daher wird für den sicheren Nachweis der CMV-Erkrankung eigentlich der Virusnachweis im pathologisch veränderten Organ bzw. Gewebe gefordert. Wenngleich dies natürlich auch angesichts der betroffenen Patienten vielfach nicht möglich ist, sollte nicht zu leichtfertig von CMV-Erkrankungen aufgrund eines Laborbefundes gesprochen werden.

Therapie und Prophylaxe

Bei CMV-Erkrankungen können Ganciclovir, Foscarnet oder Cidofovir eingesetzt werden. Aciclovir ist zwar therapeutisch nicht wirksam, kann aber bei Transplantationspatienten u.U. prophylaktisch eingesetzt werden. Der erfolgreiche Einsatz der genannten Virostatika ist für Immunsupprimierte (KMT-, AIDS- und Patienten nach Transplantation solider Organe) gut belegt. Generell ist zu beachten, dass es bei Immundefizienz und bei Langzeitherapie vermehrt zur Selektion therapieresistenter Varianten kommen kann. Zur Therapieindikation und zum Therapiemonitoring eignen sich der quantitative CMV-pp65-Antigen-Nachweis und der quantitative CMV-DNA-Nachweis mittels PCR in peripheren Blutzellen.

Eine Verbesserung gegenüber der alleinigen GCV-Therapie bei Patienten mit interstitieller Pneumonie nach Transplantation ist die kombinierte Gabe von Ganciclovir und Immunglobulin. Die aktive Immunisierung ist bis heute noch nicht möglich.

Die Vakzination mit dem attenuierten Laborstamm CMV-Towne, mit rekombinanten attenuierten Laborstämmen und in den letzten Jahren auch mit CMV-Subunit-Vakzinen (CMV-gB-Vakzine), ist in Erprobung, hat aber die Erwartungen bisher noch nicht erfüllt.

Komplikationen Die Reaktivierung der CMV-Infektion hat besonders große klinische Bedeutung bei immunsupprimierten Patienten, da es hier zum schweren Befall viszeraler Organe kommt. Die Organmanifestationen hängen stark von der Art der Immunsuppression ab.

Weiters können Leber und ZNS (Enzephalitis) betroffen sein. Bei nierentransplantierten Patienten geht die CMV-Infektion bzw. -Reaktivierung oft mit einer Abstoßungsreaktion einher.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Wichtigstes Symptom: vielfältige Symptome je nach Patient

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: quantitativer Nachweis von CMV-DNA oder viralem Antigen in peripheren Leukozyten

  • Wichtigste prophylaktische/therapeutische Maßnahmen: Vorbeugung durch Vermeiden der iatrogenen Infektion seronegativer Transplantatempfänger, Ganciclovir oder Foscarnet

Humanes Herpesvirus Typ 6 und 7

Einteilung Man unterscheidet aufgrund biologischer, epidemiologischer, pathogenetischer und virologischer Unterschiede 2 nahe verwandte Varianten HHV-6A und HHV-6B .

Epidemiologie HHV-6 wurde erstmals 1986 aus Lymphozytenkokulturen von Patienten mit lymphoproliferativen Auffälligkeiten bei chronischem Müdigkeitssyndrom und mit AIDS isoliert. Dem Virus wurde zunächst große Aufmerksamkeit zuteil, da eine pathogenetische Bedeutung als Koagens bei AIDS oder AIDS-Manifestationen möglich schien. Retrospektiv scheint die Erstisolierung bei den genannten Patienten relativ leicht erklärlich:

  • Diese Herpesviren treten wie die anderen auch bei Immunsupprimierten vermehrt in Erscheinung.

  • Das Verfahren zur Isolierung von HHV-6 entspricht dem Vorgehen beim Versuch der Retrovirusisolierung.

HHV-7 wurde erstmals 1990 beim Gesunden isoliert. Mittlerweile ist gesichert, dass in allen untersuchten Populationen Erwachsene zu 40–100% mit HHV-6 und HHV-7 infiziert sind, dass beide Viren auch aus Gesunden isoliert werden können und die Durchseuchung in früher Kindheit beginnt. Offenbar erfolgt die HHV-7-Serokonversion später.

Die Übertragung geschieht sehr effektiv über den Speichel: 50–100% aller HHV-6-Infizierten scheiden hierüber das Virus aus. Im Übrigen dienen auch hier die Lymphozyten als Virusreservoir.

Die Geschichte von HHV-6 zeigt einmal mehr, wie vorsichtig man bei der ätiologischen Verknüpfung des Nachweises eines ubiquitären Virus mit spezifischen Symptomen oder Syndromen sein muss.

Ätiologie und Pathogenese Ätiologisch sind HHV-6B und HHV-7 bei Kindern verantwortlich für das Exanthema subitum (Dreitagefieber). Ferner gibt es Beschreibungen von schwereren Krankheitsfällen. Denkbar ist, dass, wie bei den anderen Herpesviren, bestimmte immunologische Voraussetzungen zu besonderer Pathogenität führen. Die klinische Bedeutung von HHV-6A ist noch unklar.

Symptome, Verlauf und Prognose

Bei immunkompetenten Kindern ist das Dreitagefieber oder Exanthema subitum (ES) eine der klassischen „Kinderkrankheiten“: Nach dreitägiger Fieberphase kommt es gleichzeitig mit der Entfieberung zum stammbetonten kleinfleckigen Exanthem. Das ES ist häufiger begleitet von Übelkeit, Erbrechen und auch Durchfall.

Bei Erwachsenen kann es zum mononukleoseähnlichen Krankheitsbild mit langer Rekonvaleszenz kommen. Bei Immunsupprimierten kommen neurologische, pulmonale und hämatologische Komplikationen vor.

Diagnostik

Im Labor ist eine Leukopenie mit relativer Lymphozytose zu erkennen, eine Thrombopenie kann ebenfalls vorliegen.

  • Nachweis viraler Genome: HHV-6-DNA kann während der akuten Infektion durch PCR leicht aus Lymphozyten und Speichel nachgewiesen werden: Nach Überstehen der Primärinfektion geht die Zahl der latent infizierten Lymphozyten erheblich zurück, so dass die PCR im peripheren Blut nur noch in 10% aller Fälle ein positives Ergebnis zeigt. Durch quantitative PCR lässt sich ein Reaktivierungsereignis diagnostizieren.

  • Antikörpernachweis: Die Serodiagnostik ist in ihrer Aussage durch die hohe Durchseuchung von ca. 80% im 2. Lebensjahr eingeschränkt. Für die frische Infektion kommen daher die IgG-Serokonversion und der IgM-Nachweis in Frage – jedoch sind viele IgM-Nachweisverfahren qualitativ nicht zufrieden stellend.

  • Virusisolierung: Aus Speichel und Lymphozyten kann HHV-6 durch Kokultivierung mit stimulierten Nabelschnurlymphozyten isoliert werden: Die Anzucht ist auf• wändig, gelingt aber auch bei gesunden Virusträgern – und hier eher aus Speichel als aus peripherem Blut.

Therapie

Obwohl die Wirksamkeit verschiedener Nukleosidanaloga in vitro gezeigt werden konnte, gibt es keine guten Daten zur klinischen Wirksamkeit.

Symptomatische Therapie. Therapieversuche mit Foscarnet oder Nukleosidanaloga sind bei schweren Erkrankungen immunsupprimierter Patienten u.U. angezeigt.

ZUSAMMENFASSUNG

Durch die Entdeckung von HHV-6 und HHV-7 wurde endlich das alte Rätsel des Dreitagefiebers gelöst, von dem man schon seit langem annahm, dass es sich um eine Infektionserkrankung handeln könnte. Beim immungesunden Erwachsenen kommt es gelegentlich zu schwereren, lang dauernden, mononukleoseähnlichen Erkrankungen. Einzelne fulminante Hepatitiden wurden beobachtet. HHV-6 kann zu verschiedenen Komplikationen bei immunsupprimierten Patienten (Pneumonie, Enzephalitis) führen.

Humanes Herpesvirus Typ 8

Beschreibung und Einteilung Humanes Herpesvirus Typ 8 (HHV-8) wurde zunächst über PCR als herpesvirusspezifische genetische Information in einem AIDS-assoziierten Kaposi-Sarkom (KS) entdeckt. Es ließ sich dann als freies Virus aus HHV-8-assoziierten B-Zell-Lymphomen isolieren und als Gamma-Herpesvirus charakterisieren.

Epidemiologie Antikörper gegen HHV-8 sind im ELISA bei fast allen Kaposi-Sarkom-Trägern, bei 30% der HIV-positiven Homosexuellen und zum geringen Prozentsatz bei Blutspendern nachweisbar. Damit ist HHV-8 offensichtlich nicht so verbreitet wie andere Herpesviren. Die Antikörperprävalenz macht es wahrscheinlich, dass HHV-8 überwiegend durch Sexualkontakte übertragen wird.

Pathogenese Gamma-Herpesviren wirken potenziell transformierend. HHV-8-Genom wird mit der PCR inzwischen auch in Kaposi-Sarkomen von therapeutisch immunsupprimierten Transplantationspatienten, in spontanen Kaposi-Sarkomen und den relativ seltenen HHV-8-assoziierten Body-Cavity-Lymphomen nachgewiesen. Kaposi-Sarkome bestehen typischerweise aus einem Gemisch proliferierender Spindel- und Endothelzellen – die zur Entstehung führenden Mechanismen sind noch ungeklärt.

Symptome, Verlauf und Prognose

Asymptomatische Infektionen werden vor allem bei HIV-Infizierten gefunden, wobei noch nicht klar ist, wie viele dieser Patienten in der Folge ein Kaposi-Syndrom entwickeln werden.

Näheres siehe Kapitel 13.4.

Diagnostik

Der Virusnachweis erfolgt gegenwärtig nur über die PCR. Ein Antikörpernachweis ist noch nicht kommerziell verfügbar, die Ergebnisse verschiedener Studien zur Antikörperprävalenz sind widersprüchlich.

Therapie und Prophylaxe

Retrospektive Studien zur Therapie von Kaposi-Sarkomen (KS) weisen auf eine gewisse Wirksamkeit von Foscarnet und Ganciclovir hin. Bei Verbesserung der Immunsituation eines KS-Patienten durch Nachlassen der immunsuppressiven Therapie bei Transplantatempfängern oder verstärkte antiretrovirale Therapie bei AIDS-Patienten kann zu einem spontanen Rückgang der KS-Läsionen führen. Eine zytostatische Behandlung des KS ist möglich, aber angesichts der Grunderkrankungen der Patienten problematisch.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Wichtigstes Symptom: Kaposi-Sarkom bei AIDS

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Virusnachweis mittels PCR

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: Foscarnet und Ganciclovir, Verbessern des Immunstatus

13.5.2. Caliciviren und Astroviren

Caliciviren und Astroviren verursachen klinisch ähnliche gastrointestinale Erkrankungen mit Durchfällen. Es ist daher aus klinischer Sicht sinnvoll, diese Viren gemeinsam zu besprechen, auch wenn sie unterschiedlichen Virusfamilien angehören.

Beschreibung und Einteilung Caliciviren sind kleine, nackte RNA-Viren (27–35 nm Durchmesser) Zu den humanpathogenen Caliciviren gehören 2 Genera: die Norwalk-Gruppe und die Sapporo-Gruppe mit jeweils mehreren Virusstämmen. Norwalk-Viren lassen sich nicht in Zellkultur vermehren.

Astroviren sind ebenso kleine (6,3 kb), nackte Viren mit Plusstrang-RNA. Beim Menschen konnten mittlerweile 8 Serotypen differenziert werden.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000
109 Abbildung: Caliciviren

Epidemiologie Calici- und Astroviren gehören weltweit zu den häufigsten Erregern hochakuter nichtbakterieller Gastroenteritiden.

Der erste gut untersuchte Norwalk-Ausbruch begann im Oktober 1968. Innerhalb von 2 Tagen erkrankten 50% von 232 Schülern und Lehrern einer Grundschule in Norwalk an einer heftigen Gastroenteritis. 32% der direkten Kontaktpersonen dieser Patienten erkrankten ebenfalls. Erstmals 1972 wurden Norwalk-Viren elektronenoptisch in Stuhlproben Erkrankter nachgewiesen. Spätere Studien zeigten, dass Caliciviren sehr häufig Erreger nichtbakterieller Gastroenteritiden sind. Die Infektion erfolgt durch kontaminierte Nahrungsmittel sowie durch fäkal-orale Übertragung.

Pathogenese, Symptome, Verlauf und Prognose

Caliciviren verursachen weltweit epidemisch (häufig fäkal-oral übertragen

[Aerosole bei Erbrechen!], auch nosokomial) nach kurzer Inkubationszeit (24–72 h) nicht persistierende, hochakute Gastroenteritiden (24–48 h), überwiegend bei älteren Schulkindern und Erwachsenen (durch kontaminierte Lebensmittel, rohen Fisch oder Trinkwasser), begleitet von Durchfall und charakteristischen histologischen Veränderungen der Dünndarmschleimhaut. Die klinischen Symptome umfassen:

  • Fieber (45%)

  • Übelkeit und Erbrechen (45%)

  • Durchfall (81%)

  • Kopfschmerz (80%)

  • Myalgien (50%).

Ähnliche akute epidemische Gastroenteritiden verursachen die als separate Familie geführten Astroviren. Die Prognose beider Erkrankungen ist gut.

Diagnostik

Die Calici- und Astrovirusdiagnostik erfolgt durch den Nachweis viraler Antigene im EIA oder Nukleinsäure über die Reverse-Transkriptase(RT)-PCR im Stuhl. Die ursprüngliche Identifizierung erfolgte über Elektronenmikroskopie von Stuhlproben.

Differentialdiagnose Differenzierungsmaßnahmen

Infektion mit Rotaviren Virologische Diagnostik

Lebensmittelvergiftung Nachweis toxinbildender Bakterien oder Toxine

Therapie und Prophylaxe

Es existiert keine spezifische Therapie. Prophylaxe: Trinkwasserdesinfektion und Vermeidung roher Speisen in Endemiegebieten.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Infektionsursachen: kontaminierte Lebensmittel, fäkal-orale Übertragung

  • Wichtigste Symptome: Durchfall, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Antikörpernachweis durch ELISA, Nachweis viraler Antigene oder Nukleinsäure

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: symptomatisch, Rehydratation

13.5.3. Reoviren (Rotaviren)

Beschreibung und Einteilung Die Reoviridae sind sphärische RNA-Viren von 70–80 nm Durchmesser. Sie enthalten als einzige humanpathogene Viren doppelsträngige RNA und ein segmentiertes Genom. Man unterscheidet 4 für den Menschen pathogene Genera:

  • Orthoreoviren

  • Orbiviren

  • Rotaviren

  • Coltiviren.

Die Segmentierung des Genoms ermöglicht, ähnlich wie bei den Orthomyxoviren, eine hohe Variabilität durch Reassortierung der Teilgenome in Mischinfektionen.

Epidemiologie Reoviren sind ubiquitär verbreitet. Sie lassen sich auch aus Wasser relativ häufig isolieren und sind sehr umweltresistent. Abgesehen von den Rotaviren herrscht über die Rolle der 3 übrigen humanen Reovirus-Serotypen beim Menschen noch keine Klarheit. Vor allem respiratorische Infektionen, aber auch Gastroenteritiden und Exantheme wurden mit ihnen in Verbindung gebracht. Ferner besteht der Verdacht, dass sie für einige konnatale Erkrankungen (Gallengangsatresie, Hepatitis) verantwortlich sein könnten.

Wo immer man weltweit nach Rotaviren gesucht hat, wurden diese auch gefunden.

Ätiologie und Pathogenese Die Rotaviren sind für einen großen Anteil der Gastroenteritiden von Säuglingen und Kleinkindern und damit auch für die hohe Kindersterblichkeit in den Entwicklungsländern verantwortlich. Bei Erwachsenen kommen Rotavirusinfektionen als Anschlusserkrankungen nach Kindergartenausbrüchen vor, außerdem führen sie zu Reisedurchfallerkrankungen.

Das NSP4-Glykoprotein des Virions wirkt als virales Enterotoxin. Nach der Bindung an entsprechende Rezeptoren auf Darmepithelzellen kommt es zu gesteigerter Sekretion und verminderter Resorption und so zur Durchfallerkrankung.

Als Erreger nosokomialer Infektionen sind Rotaviren auch in Europa von erheblicher Bedeutung. Die Prognose der Infektion ist in Europa stets gut.

Symptome Asymptomatische Verläufe

sind bei Neugeborenen mit Rotavirusinfektionen beschrieben worden. Normalerweise treten aber nach einer kurzen Inkubationszeit von 2–4 Tagen Fieber und Erbrechen auf, gefolgt von wässrigen Diarrhöen ohne Blut- oder Schleimauflagerungen.

Reoviren sind möglicherweise sehr selten an neurologischen Erkrankungen beteiligt.

Diagnostik Virusnachweis:

Aus Stuhlproben lassen sich Rotaviren kaum anzüchten. Die Elektronenmikroskopie als klassische Standardmethode wird inzwischen durch einen ELISA-Antigennachweis ersetzt, der jedoch nicht alle humanpathogenen Rotaviren erfasst. Zum Genomnachweis ist die RT-PCR verfügbar.

Differentialdiagnose Differenzierungsmaßnahmen

Gastroenteritiden durch Adenoviren, Calciviren, Astroviren oder Coronaviren Virologische Diagnostik

Lebensmittelvergiftungen Nachweis toxinbildender Bakterien oder Toxine

Therapie und Prophylaxe

Nosokomiale Rotavirusinfektionen auf Säuglingsstationen werden durch Einhaltung guter Hygienestandards vermieden. Auch schwere rotavirusbedingte Diarrhöen lassen sich durch Volumensubstitution und Elektrolytgaben beherrschen. Gegen die hohe Säuglingssterblichkeit in den Entwicklungsländern wurde kürzlich erstmals eine Rotavirusvakzine entwickelt und zugelassen. Eine kausale Therapie gibt es nicht.

Verlauf und Prognose Zwar ist die Letalität bei Kindern mit Rotavirusinfektionen in den hoch industrialisierten Ländern sehr gering. In den Entwicklungsländern sterben jedoch jährlich ca. 1–3 Mio. Kinder daran. In den USA werden jedes Jahr 80 000 Kinder wegen einer Rotavirus-Infektion stationär aufgenommen.

Als schwere Komplikation ist vor allem die nekrotisierende Enterokolitis zu nennen.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Infektionsursache: nosokomiale Übertragung (Deutschland)

  • Wichtigste Symptome: Fieber, Erbrechen, wässrige Durchfälle

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: ELISA-Antigennachweis

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: symptomatisch, Rehydratation

13.5.4. Coronaviren

Beschreibung und Einteilung Coronaviren (Abb. 13.24 , Ultradünnschnitt) wurden zunächst elektronenmikroskopisch diagnostiziert, da sie eine Hülle mit charakteristischen Oberflächenstrukturen besitzen. Oligomere des sogenannten S-Proteins bilden die „Spikes“ der Virusoberfläche und führen zum EM-Bild, das einer Sonnencorona ähnelt. Das S-Protein determiniert auch den Zelltropismus, die Pathogenität und die Induktion neutralisierender Antikörper. Einige Coronaviren (CV) besitzen ein 4. Hüllprotein mit den Eigenschaften eines Hämagglutinins und einer Esterase. Drei humanpathogene CV finden sich in 4 Serogruppen. Im Jahr 2003 wurde als Erreger von SARS ein neues CV identifiziert.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Coronaviren (Vergrößerung × 120 000).

Epidemiologie Natürliche Ausbrüche von Erkältungskrankheiten, induziert durch HCoV-229E bzw. HCoV-OC43, scheinen in zeitlichen Abständen von 2–4 Jahren alternierend aufzutreten.

Pathogenese Die humanen Coronaviren verursachen, soweit bekannt, nur akute respiratorische und OC43 evtl. gastrointestinale Infektionen. Über eine Bedeutung von Coronaviren für chronische ZNS-Erkrankungen des Menschen kann trotz vereinzelter Isolierungen aus menschlichem Hirnmaterial nichts Abschließendes gesagt werden.

Symptome, Verlauf und Prognose

Coronaviren verursachen bei allen Altersgruppen in der kalten Jahreszeit milde Ausbrüche respiratorischer Infektionen (Unwohlsein, Kopfschmerzen, fiebrige Erkältung, Halsschmerzen, Husten) und machen 15–30% der banalen Erkältungen aus. Die Erkrankungen dauern durchschnittlich 7 Tage (3–18 Tage). Coronaviren können beim Säugling auch zu Gastroenteritiden führen. Die Übertragung erfolgt durch Aerosole und fäkal-oral. Die Inkubationszeit dauert ca. 3–4 Tage. Die Immunität hält nicht lange an, deshalb sind Reinfektionen möglich. Während eines Ausbruchs mit HCoV-OC43 und -229E entwickelten nur alte Risikopatienten vereinzelt eine Pneumonie. HCoV-NL63 verursacht gelegentlich Pneumonien bei Kindern und das neuentdeckte HCoV-HKU1 verursacht Pneumonien bei alten Risikopatienten im Winter und Frühjahr (80% >65 Jahre).

SARS

Im Februar 2003 wurde von den chinesischen Gesundheitsbehörden gemeldet, dass es seit November 2002 zur auffälligen Häufung neuartiger respiratorischer Infektionen gekommen sei mit schweren Krankheitsverläufen und hoher Letalität. Dieses als Severe Acute Respiratory Syndrome (SARS) bezeichnete Krankheitsbild war zunächst eine klinische Falldefinition (siehe RKI). Das SARS-CoV wurde offenbar mehrfach bei der Schlachtung von Tieren (Larvenroller) auf den Menschen übertragen. Ob es sich bereits um eine besondere Virusrekombinante handelt, ist unklar. Bis Juni 2003 wurden weltweit 8447 Erkrankungsfälle registriert aus >30 Ländern und mehr als 800 Todesfälle (Gesamtletalität 9,5%). Die Infektionsdosis bei SARS-CoV ist sehr gering und die Infektion führt zur Induktion einer Protease in der Lunge, welche die Infektionsrate erhöht. Bei Kleinkindern kommt es offenbar häufig zur milderen unspezifischen respiratorischen Erkrankung. In einer chinesischen Studie betrug die Gesamtletalität 19,7%, bei älteren und vorerkrankten Patienten aber bis zu 78,6%.

Diagnostik

  • Virusnachweis: Coronaviren lassen sich nicht alle leicht in Zellkulturen anzüchten. Die klassische Diagnose aus dem Stuhl erfolgt mit dem Elektronenmikroskop. In abgeschilferten Epithelien lassen sich Virusantigen und -genom durch Immunfluoreszenz bzw. RT-PCR nachweisen (SARS-CoV).

  • Antikörpernachweis: Antigenmaterial für serologische Untersuchungen (KBR, HHT, ELISA) kann zwar gewonnen werden, steht aber routinemäßig nicht zur Verfügung.

Differentialdiagnose Differenzierungsmaßnahmen

Infektion mit Rhinoviren Kürzere Inkubationszeit, virologische Diagnostik

Infektion mit Adenoviren Virologische Diagnostik

Infektion mit Paramyxoviren Virologische Diagnostik

Therapie und Prophylaxe

Eine gesicherte antivirale Therapie bei HcoV-Infektionen existiert nicht, dies gilt auch für SARS. Ribavirin in Kombination mit Kortikoiden schien bei schwerkranken SARS-Patienten effektiv zu sein. Eine klinische Besserung wurde auch bei Kombinationstherapie mit Lopinavir/Ritonavir, Ribavirin plus Steroiden beobachtet. Da Überträger meist symptomatisch sind, spielt Quarantäne hier eine große Rolle.

Komplikationen Häufigkeit

Asthmaattacken und Bronchitis Bei Kindern mit Disposition häufig

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Infektion mit Coronaviren über Aerosol oder fäkal-oral

  • Wichtigste Symptome: „Erkältung“, Gastroenteritis, (SARS)

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Beobachtung (RT-PCR bei Verdacht auf SARS-CoV)

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: symptomatisch (s. o.)

13.5.5. Picornaviren

Beschreibung und Einteilung Picornaviridae sind kleine (28–30 nm), nackte, sehr umweltresistente RNA-Viren mit ikosaedrischem Nukleokapsid.

Die wichtigsten humanpathogenen Vertreter sind (Tab. 13.26 ):

  • Enterovirus

  • Rhinovirus

  • Hepatitis-A-Virus.

Tab. 13.26

Picornaviridae

GenusViren/SerotypenSpezifische Krankheitsbilder
Enterovirus Polio/3
Coxsackie A 23
Coxsackie B 6
ECHO 28
Enteroviren 4
Poliomyelitis anterior acuta
Herpangina, Hand-Mund-Fuß-Krankheit (A16)
Bornholmer Erkrankung, Myokarditis, aseptische Meningitis
Exantheme (rötelnähnlich: ECHO 9, ähnlich Exanthema subitum: ECHO 16), aseptische Meningitis
Hämorrhagische Konjunktivitis (Typ 70), poliomyelitisähnliche Meningomyelitis (Typ 71)
Rhinovirus Rhino 113 „Schnupfen“ (verursachen 30–35% aller Erkältungen)
Hepatitis-A-Virus Hepatitis A 1 Epidemische Hepatitis

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000
110 Abbildung: Picornaviren

Epidemiologie Humanpathogene Picornaviren sind weltweit endemisch. Der Mensch ist einziges Reservoir.

Die Infektion erfolgt bei den säurelabilen Rhinoviren über die Schleimhäute des Respirationstrakts als Tröpfcheninfektion, vielfach auch auf dem Weg Nase – Hand – Hand – Nase. Rhinoviren findet man ca. 2 Wochen lang im Nasensekret mit einem Maximum der Ausscheidung an den Krankheitstagen.

Enterovirusinfektionen kommen bei uns ganz überwiegend im Sommer und Herbst vor („Sommergrippe“). Die Ausscheidung der Enteroviren beginnt 2–3 Tage nach Infektion. Sie kann einige Tage lang oral erfolgen und für mehrere Wochen fäkal. Bei der Übertragung handelt es sich generell um eine enterale „Schmutz-Schmierinfektion“, wobei in den Ländern mit hohem Hygienestandard die Übertragung durch Rachensekrete bedeutsamer ist. Sehr selten werden bei schweren Immundefekten (z. B. bei Agammaglobulinämie) Dauerausscheider beobachtet.

Die paralytische Poliomyelitis konnte während der letzten 30 Jahre in den westlichen Industrieländern durch Impfung im Rahmen des WHO-Eradikationsprogramms drastisch vermindert werden (Europa 1951–1955: ca. 50 000 Fälle jährlich, Deutschland ist seit 1990 frei von Infektionen, s. u.).

Die Seroprävalenz der Hepatitis-A-Antikörper hat in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls stark abgenommen (Kriegsgeneration bis zu 80% seropositiv, Studenten heute < 5%); die Bedeutung der Hepatitis A als Reiseerkrankung (Entwicklungsländer) nimmt demzufolge zu. Das Hepatitis-A-Virus wird im Gegensatz zu anderen Picornaviren, die auch oral ausgeschieden werden, nur fäkal und v. a. in der späten Inkubationsphase ausgeschieden.

Pathogenese Picornaviridae führen zu unterschiedlich stark ausgeprägter zytozidaler Virusvermehrung, also in der Regel zu nicht persistierenden Infektionen. Die Partikelproduktion erfolgt zunächst in Epithelzellen des Nasen-Rachen-Raums bzw. Magen-Darm-Trakts und in den regionalen Lymphknoten und findet erst danach bei einigen Picornaviren in typischen Zielorganen, z. B. ZNS, Skelettmuskulatur, Herz oder Leber, statt. Die Vermehrung von Enteroviren im Darm interferiert mit der simultanen Vermehrung eines 2. Serotyps; dies war von großer Bedeutung für die Polio-Lebendimpfung (daher mehrmalige Impfungen im Winter, Kap. 13.10).

MERKE

Relevante Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts durch Enteroviren sind trotz der primären Vermehrung im Darm selten.

Es wurde gezeigt, dass Enteroviren auch bei Immungesunden u.U. doch persistieren können (z. B. im Myokard), ohne dass dieser Infektionszustand bisher vollständig charakterisiert wäre. Die Immunität ist typenspezifisch und antikörpervermittelt. Immunologische Vorgänge spielen bei der Pathogenese der Hepatitis A eine wichtige Rolle.

Im Mäusemodell wurde experimentell gezeigt, dass bestimmte Enteroviren eine Pankreatitis und so Insulinmangeldiabetes induzieren. Vergleichbare Ereignisse wurden auch bei einzelnen Patienten beobachtet. Offenbar ist eine genetische Disposition erforderlich. Auch die für bestimmte Formen des chronischen postinfektiösen Müdigkeitssyndroms typische Myalgie ist möglicherweise durch Coxsackie-B-Viren verursacht: Eine persistierende Infektion lässt sich hier durch den PCR-Nachweis viraler RNA in der Muskelbiopsie belegen.

Symptome, Verlauf und Prognose

Die Inkubationszeit beträgt bei den Enteroviren 7–14 Tage (im Extremfall 2–35 Tage), bei Rhinoviren 1–4 Tage. Die meisten Picornavirusinfektionen verlaufen jedoch subklinisch.

Haut- und Schleimhauterkrankungen Enteroviren können rötelnähnliche Exantheme verursachen (Differentialdiagnose!), und einige Coxsackie-A-Viren rufen neben Allgemeinsymptomen eine charakteristische Pharyngitis mit vesikulärem Enanthem (Herpangina) hervor. Wenn, vor allem bei Coxsackievirus A9, A16 und Enterovirus 71, ein vesikuläres Exanthem der Hände und Füße hinzukommt, spricht man von der Hand-Fuß-Mund-Krankheit.

Augenerkrankungen Mehrere Enteroviren können Konjunktivitiden verursachen, besonders schwer verläuft eine hämorrhagische Konjunktivitis durch Enterovirus 70 und Coxsackie A24.

ZNS-Erkrankungen Bei symptomatischen Poliovirusinfektionen (je nach endemischer oder epidemischer Situation 1–5%) unterscheidet man 3 Verlaufsformen:

  • Bei der abortiven Poliomyelitis kommt es nach der Inkubationszeit nur zu einer 2–5 Tage anhaltenden „Grippesymptomatik“ (minor illness), wie sie viele Enterovirustypen hervorrufen können. Nach einer 2- bis 3-tägigen Besserung kann es dann zu plötzlicher Verschlechterung kommen (Hauptkrankheit).

  • Die meningitische Poliomyelitis verläuft unter dem Bild der prognostisch günstigen aseptischen Meningitis, die ebenso durch viele andere Enteroviren verursacht werden kann (sehr selten ist die perakute, letal verlaufende Enzephalitis).

  • Am 1.–4. Tag der Hauptkrankheit tritt (bei ca. 1‰ aller Infizierten, je älter der Infizierte, umso häufiger) die paralytische Poliomyelitis akut auf, bei Befall motorischer Vorderhornzellen (ca. 80%) mit spinalen schlaffen Lähmungen (Frühmorgenlähmung). Typisch sind Fieber, Muskelschmerzen und asymmetrische Paresen ohne sensorische Störungen, die über einen Zeitraum von wenigen Tagen mit Betonung der unteren Extremitäten entstehen.

  • Eine Sonderform ist die bulbäre Poliomyelitis mit Beteiligung des IX. und X. Hirnnervs (selten VII. und VIII.). Das Enterovirus 71 verursacht ebenso eine „epidemische paralytische Meningomyelitis“, die der Poliomyelitis ähnelt.

Die Lähmung kann auch, ohne vorangehende Minor Illness, 1. Symptom der Erkrankung sein. Die bleibenden Schäden bei Überlebenden (Letalität: 5–30%) sind geprägt durch Muster und Umfang des ZNS-Befalls. Das Ausmaß der bleibenden Kernlähmung wird erst nach Rückgang der entzündlichen Veränderungen (Wochen bis Monate später) offenbar.

Akute aseptische Meningitis: Coxsackie- und ECHO-Viren sind für ca. 80% der aseptischen Meningitiden mit guter Prognose verantwortlich. Sie tritt vor allem bei Kindern und jungen Erwachsenen auf, meist geht eine fieberhafte Pharyngitis voraus. Enzephalitis und Paresen sind selten.

Respiratorische Erkrankungen Rhinoviren verursachen Schnupfen, hinzu kommen jedoch häufig weitere Symptome:

  • Husten (86%)

  • Halsschmerzen (71%)

  • Kopfschmerzen (62%)

  • Schüttelfrost (45%)

  • Augenbeteiligungen (31%)

  • Myalgien (25%).

Paradoxerweise sind Enteroviren auch in erheblichem Umfang für respiratorische Infektionen verantwortlich, von milden Affektionen des oberen Respirationstrakts über influenzaartige Krankheitsbilder bei Kindern (Enterovirus 71) bis hin zu kindlichen Bronchiolitiden und Pneumonien (Enterovirus 68). Klinisch ist bei den letztgenannten eine differentialdiagnostische Abgrenzung zu anderen respiratorischen Viren (Rhinoviren, Parainfluenzaviren, RS-Viren und Adenoviren) nicht möglich, abgesehen von einer enterovirustypischen jahreszeitlichen Häufung im Sommer.

Kardiale Erkrankungen Ein klinisches Problem stellt die Sicherung der Diagnose Coxsackie-Virus-Myokarditis dar. Hierbei folgen auf einen grippalen Infekt plötzlich Luftnot, retrosternale Schmerzen, Zeichen der Herzinsuffizienz (Verbreiterung des Herzschattens), Perikarditis und Herzrhythmusstörungen (z. B. AV-Block, Schenkelblock). Die ätiologische Bedeutung dieser Viren für einen Teil der Myo- und Perikarditiden, auch für chronische Kardiomyopathien, v. a. bei jungen Menschen, ist vielfach virologisch gesichert.

Gastrointestinale Erkankungen Das Hepatitis-A-Virus führt bei Kindern seltener, bei Erwachsenen häufiger zur nicht persistierenden Hepatitis. Beim Erwachsenen kann diese im Einzelfall durchaus schwer oder zweiphasig verlaufen und sehr selten auch zum Leberkoma führen.

Erkrankungen des Bewegungsapparates Coxsackie-B-Viren, selten Coxsackie-A- und ECHO-Viren können lang anhaltende (Rückfälle!) Pleurodynien (Bornholmer Erkrankung, Myalgia acuta epidemica) verursachen. Die schweren, Zoster-artigen Thoraxschmerzen gehen wegen zusätzlicher Zwerchfellbeteiligung mit einschränkender Atmung einher und treten häufig abrupt nach fieberhaften Prodromi auf. Es handelt sich um den Sonderfall einer Myalgie mit Befall der Interkostalmuskulatur. Die Prognose ist wie bei den meisten Enterovirusinfektionen gut.

Diagnostik

  • Virusnachweis: Die meisten humanpathogenen Picornaviren kann man in Zellkulturen von Mensch oder Affe innerhalb weniger Tage leicht isolieren. Einige Coxsackie-A-Viren lassen sich primär nur in neugeborenen Mäusen vermehren. Hepatitis-A-Virus ist in Zellkulturen nur schwer züchtbar und kaum zytozidal. In Anbetracht der recht langen fäkalen Virusausscheidung sollten bei Verdacht auf eine Enterovirusinfektion möglichst mehrere Stuhlproben von verschiedenen Tagen zur Virusisolierung eingesandt werden.

  • In der Frühphase der Erkrankung kommen je nach klinischer Manifestation auch Rachenabstriche, frische Vesikelflüssigkeit oder Liquor zur Isolierung in Frage; Isolierungsversuche gelingen bei Meningitiden nur in den ersten 2–3 Krankheitstagen, bei Poliovirus selbst dann nicht. Ein rasch durchführbarer Antigennachweis ist nur für Hepatitis-A-Virus verfügbar. Seine Bedeutung beschränkt sich in der Praxis auf epidemiologische Untersuchungen.

  • Nachweis viraler Genome: Molekulargenetische Virusnachweise in Liquor oder Gewebeproben tragen wesentlich zur Abklärung von Meningitiden und Kardiomyopathien bei. Dabei werden die gesuchten Virusgenomanteile durch In-situ-Hybridisierung, zunehmend auch durch schnelle und hochsensitive RT-PCR im Liquor oder Herzmuskelbiopsat nachgewiesen. Durch Sequenzierung der amplifizierten Virussequenzen ermöglicht die PCR eine schnelle Typisierung. RT-PCR ist prinzipiell auch bei Stuhlproben möglich.

  • Antikörpernachweise: Die vielfach durchgeführte Komplementbindungsreaktion ist wenig aussagekräftig, da sie insensitiv und nicht ausreichend typenspezifisch ist. Moderne ELISA-Verfahren stehen, außer bei Hepatitis A, zurzeit ebenfalls nicht routinemäßig zur Verfügung. Der relativ typenspezifische Neutralisationstest ist sehr aufwändig und meist nur für die 3 Polio- und 6 Coxsackie-B-Viren etabliert. Leider ist selbst die Bestimmung neutralisierender IgM-Antikörper durch störende Kreuzreaktionen belastet.

Serologische Untersuchungen führen bei Enteroviren selten zur Diagnose, zumal die ersten Serumproben oft zu spät nach Krankheitsbeginn eingehen. Antikörperbestimmungen sind bei Rhinoviren routinemäßig nicht durchführbar.

MERKE

Bei der ätiologischen Zuordnung eines positiven Virusisolierungsbefundes darf man nicht vergessen, dass Enteroviren häufig auch von klinisch gesunden Personen ausgeschieden werden.

Differentialdiagnose Differenzierungsmaßnahmen

Hautmanifestationen

Herpes-simplex-bedingte Stomatitis Morphologie und Lokalisation des Exanthems, virologische Diagnostik

Windpocken Verteilung der Effloreszen stammbetont, oraler Befall nur selten

Augenerkrankungen

Epidemische Konjunktivitis (Adenoviren) Inkubationszeit bei Enteroviren extrem kurz (1 Tag), bei Adenoviren länger

ZNS-Beteiligung

Enzephalitis durch Herpes-simplex-Virus PCR aus Liquor

Guillain-Barré-Syndrom (DD der bulbären Poliomyelitis) Kein Fieber, symmetrische Paresen, zusätzlich sensorische Läsionen, häufig Fazialisbeteiligung

Akute aseptische Meningitis bei Mumps, lymphozytärer Choriomeningitis, Tuberkulose, Leptospirose, Herpes, Neisserieninfektion, Borreliose, FSME Anamnese, weitere Symptome, virologische Diagnostik

Therapie und Prophylaxe

Eine erste Substanz, die bei Rhino- und Enterovirusinfektionen wirksam ist, Pleconaril, wurde in den USA erprobt. Bei Poliomyelitis stand bisher die supportive Therapie im Vordergrund, bis hin zur künstlichen Beatmung.

Für Hepatitis A besteht die Möglichkeit passiver und aktiver Impfung, die bei Auslandsreisen in Länder mit hoher Inzidenz bzw. anderer Exposition Verwendung findet. Indiziert ist die aktive Impfung besonders zum Schutz von Personal in medizinischen Untersuchungsstätten, in Kinder- und Pflegeheimen, von homosexuell aktiven Männern und Kontaktpersonen von HAV-Infizierten.

Polio-Impfung Die aktive Polio-Schutzimpfung erfolgt heute in Deutschland durch Injektion inaktivierter Impfviren (IPV). Der massive Einsatz der leicht applizierbaren und preiswerten oralen Polio-Vakzinierung (OPV) sollte die für das Jahr 2005 von der WHO angestrebte weltweite Ausrottung der Polio ermöglichen. Leider ist es in Afrika wieder zu Poliovirus Ausbrüchen gekommen. Von den weltweit 1951 gemeldeten Fällen im Jahr 2005 trug Nigeria mit 802 Fällen die Hauptlast, gefolgt von Jemen (478), Indonesien (303) und Somalia (185). Aus den „alten“ Endemiegebieten Indien, Pakistan und Afghanistan wurden insgesamt nur 103 Fälle berichtet. Für 2006 liegen der WHO bislang Berichte zu 309 Polio-Fällen weltweit vor (Stand 9.5.06, Vergleichszeitraum 2005: 155 Fälle).

Solange noch in einigen Regionen Poliowildviren zirkulieren, besteht auch für Deutschland ein Risiko einer Einschleppung von Polioviren. Um importierte Fälle schnell entdecken und geeignete Kontrollmaßnahmen einleiten zu können, fordert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von allen Mitgliedsländern geeignete Überwachungssysteme. Hierbei wird allen pädiatrischen und neurologischen Kliniken in Deutschland zur differentialdiagnostischen Abklärung von viralen Meningitiden/Enzephalitiden eine unentgeltliche Enterovirus-Diagnostik angeboten. Dafür wurde ein bundesweites Labornetzwerk aufgebaut.

MERKE

2002 wurden für die Region Europa die WHO-Kriterien der Eradikation der Poliomyelitis erfüllt: Europa ist poliofrei!

Komplikationen Schwerste, gelegentlich tödlich verlaufende, septische Krankheitsbilder mit Meningitis, Myokarditis, Enteritis, Pankreatitis und Hepatitis können bei Neugeborenen durch Enteroviren verursacht sein (Nosokomialinfektionen!).

MERKE

Gelegentlich folgt auf dem Boden einer Rhinovirusinfektion eine schwerere bakterielle Infektion der tieferen Atemwege.

Zweiterkrankungen durch Rhinoviren sind möglich, verlaufen aber milder. Obwohl Rhinovirusinfektionen bekanntlich gutartig verlaufen, besitzen sie angesichts der Erkrankungshäufigkeit erhebliche ökonomische Bedeutung (113 bekannte Serotypen und Möglichkeit der Reinfektion!).

ZUSAMMENFASSUNG

Jeder Mensch macht viele Picornavirusinfektionen durch, meist subklinisch oder als milde Erkrankung. Schwere Krankheitsbilder kommen – auch altersabhängig – vor. Picornaviren verursachen einige charakteristische Erkrankungen und viele uncharakteristische Symptome und Syndrome. Enteroviren und Hepatitis-A-Virus hinterlassen eine belastbare typenspezifische Immunität. Bei Rhinoviren sind symptomatische Reinfektionen bekannt. Picornaviren können bei Kardiomyopathien und dem juvenilen Diabetes mellitus ätiologisch beteiligt sein. Viele Picornaviren sind leicht isolierbar. Die Serologie ist wenig aussagekräftig. Einige der vielen tierpathogenen Picornaviren können den Menschen infizieren.

13.5.6. Adenoviren

Beschreibung und Einteilung Adenoviren sind nackte und sehr umweltresistente ikosaedrische Partikel von 70–100 nm Durchmesser (Abb. 13.25 ). Sie enthalten doppelsträngige lineare DNA. Im Genus der Mastadenoviren gibt es 6 Subgenera A–F mit den zunächst serologisch definierten humanpathogenen Virustypen 1–51 (HAdV 1, … 51). Später wurde auch eine genotypische Abgrenzung nach Homologie der Nukleotidsequenz festgelegt. Epidemiologie Humane Adenoviren kommen weltweit vor, endemisch (sporadisch) und epidemisch, vorwiegend bei dichtem Zusammenleben (Rekruten). Die fäkal-orale Übertragung hat die größte Bedeutung, v. a. da die Adenoviren im Gastrointestinaltrakt lange persistieren. Die aerogene Übertragung, die Kontaktinfektion („Türklinken“) und die nosokomiale Übertragung sind auch möglich und für die epidemische Keratokonjunktivitis typisch. Man rechnet damit, dass ca. 3% aller Infektionen durch Adenoviren verursacht werden (5–10% bei Kindern). Obwohl typenspezifische neutralisierende Antikörper gebildet werden, sind meist asymptomatische Reinfektionen möglich. Jahreszeitliche Häufungen kommen bei respiratorischen Infektionen im Winter und Frühjahr und bei pharyngokonjunktivalem Fieber im Sommer vor.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Adenoviren (Vergrößerung × 200 000).

Pathogenese Beim Menschen rufen Adenoviren des Subgenus C latente Infektionen (Tonsillen) hervor (Primärisolierung aus Adenoiden). Inapparente Infektionen findet man bei respiratorischen und v. a. den gastrointestinal vorkommenden Serotypen 40 und 41.

Symptome, Verlauf und Prognose

Adenoviren verursachen Erkrankungen der Atemwege, des Gastrointestinalbereichs und der Bindehaut des Auges und Erkrankungen des ZNS (HAdV 3, 7, 21). Sie sind als Neugeboreneninfektion, bei Organtransplantationen (Subgenera B und C, Knochenmark, Leber, Niere) und im Zusammenhang mit AIDS von Bedeutung (HAdV 42–47). Sie verursachen häufig (17%) unklare fieberhafte Erkrankungen bei Kindern und führen zu Fieberkrämpfen.

Augen- und HNO-Erkrankungen Die epidemische Keratokonjunktivitis (HAdV 8, 19, 37) und das pharyngokonjunktivale Fieber (HAdV 3 und 7) sind klar definierte Krankheitsentitäten. Die „Epidemica“ ist eine häufig einseitige, hartnäckige und hochinfektiöse, vielfach nosokomiale Infektion des Erwachsenenalters, die gelegentlich mit Allgemeinsymptomen und präaurikulärer Lymphknotenschwellung einhergeht. Selten kommt es zur Hornhauttrübung (Keratitis nummularis) mit Visuseinschränkung (Abb. 13.26 ).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Keratoconjunctivitis epidemica: Vollbild am zuerst befallenen Auge (links) mit Pseudoptose, Hyperämie vor allem medial (Plikaschwellung) und Chemose der Bindehaut. Beginnende Veränderungen am rechten Auge.

(Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von B. Kühn, Remscheid).

Das pharyngokonjunktivale Fieber betrifft häufiger Kinder. Die Konjunktivitis ist meist sehr belästigend und dauert 1–2 Wochen.

Ein typisches Krankheitsbild ist die akute Tonsillitis mit glasigen Bläschen oder auch Belägen, die von einer durch Streptokokken verursachten Angina klinisch anfangs nicht zu unterscheiden ist. Adenoviren sind bei Kindern unter 3 Jahren der häufigere Erreger, während zwischen 5 und 17 Jahren Streptokokken öfter vorkommen.

Respiratorische Erkrankungen Die akuten respiratorischen Infektionen von Kindern < 5 Jahren sind zu ca. 5% durch Adenoviren verursacht (HAdV 1, 2, 3, 5, 6 und 7; DD: Rhinoviren). Eine (u.U. einseitige) Konjunktivitis kann begleitend auftreten, ebenso eine Pneumonie, die bei Epidemien zu letalen Verläufen führen kann. 10–20% der Pneumonien bei Kindern sind durch Adenoviren verursacht. Bei kleinen Kindern kommt es v. a. bei gleichzeitiger Maserninfektion zu bleibenden Lungenschäden. Epidemische Pneumonien wurden auch bei eng zusammenlebenden Rekruten unter erheblicher körperlicher Anstrengung in den USA beobachtet. Ein Pertussis-Syndrom wurde bei Kindern mit Nachweis von Adenoviren beschrieben, evtl. handelt es sich aber auch um Koinfektionen mit Bordetella pertussis. Besonders Adenovirus Typ 7 verursacht schwere respiratorische Infektionen.

Gastrointestinale Erkrankungen Adenoviren werden bei 4–15% aller wegen Gastroenteritis hospitalisierten Kinder isoliert. So verursachen z. B. die HAdV 3 und 7 bei generalisierter Infektion respiratorische Symptome und Diarrhöen, während die schwer anzüchtbaren HAdV 40 und 41 wichtige Ursache für monosymptomatische kindliche Diarrhöen, gleich nach den Rotaviren, sind. Erkrankungen der Nieren und Harnwege Die akute hämorrhagische Zystitis (HAdV 11, 21) wird – meist bei männlichen Kindern – in 20–70% durch Adenoviren verursacht. Sie tritt gehäuft auch bei KMT-Patienten auf.

Diagnostik

Je nach Manifestation (Auge, Gastrointestinaltrakt) müssen andere mikrobiologische Erreger abgegrenzt werden.

Die Diagnose stützt sich auf Virusisolierung und kaum auf die Serologie.

  • Virusnachweis: Die meisten Adenoviren sind aus Rachenspülwasser, Augenabstrich, Stuhl, Urin, Liquor und anderen Proben leicht in Zellkulturen zu isolieren. Die schwer anzüchtbaren HAdV 40 und 41 werden elektronenmikroskopisch oder im Antigen-ELISA nachgewiesen, der auch schon eine Subgenusdiagnose ermöglicht.

  • Nachweis viraler Genome: Die PCR ermöglicht den Nachweis der Virus-DNA direkt aus klinischen Materialien und sogar eine genotypspezifische Diagnose.

  • Antikörpernachweis: Die Serologie (Komplementbindungsreaktion, KBR) gestattet die Diagnose einer frischen Infektion bei Nachweis eines Antikörperanstiegs, bei gastrointestinalen Infektionen kommt es aber nicht immer zu diesem Antikörperanstieg.

Differentialdiagnose Picornaviren, aber auch andere respiratorische und gastrointestinale Viren. Wichtig ist die frühzeitige Abgrenzung zur Streptokokkentonsillitis.

Therapie und Prophylaxe

Bei schweren Adenoviruserkrankungen, v. a. auch bei Immunsupprimierten, ist ein Therapieversuch mit Cidofovir oder Ribavirin möglich und indiziert. Ribavirin scheint vorwiegend wirksam gegen Viren des Subgenus C.

Komplikationen Bei angeborenen oder erworbenen Immundefekten können Adenoviren auch sehr schwere disseminierte Infektionen induzieren, die Lunge, Gastrointestinaltrakt, Leber und ZNS betreffen und fatal verlaufen.

Adeno- und Rotaviren können vereinzelt auch nach Ende einer akuten Infektion ausgeschieden und bei Gesunden nachgewiesen werden, teils gemeinsam mit Enteroviren. Adenovirusausbrüche auf Neugeborenenstationen können sehr schwer, mit hoher Letalität verlaufen.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Infektionsursachen: fäkal-orale Übertragung, respiratorische Übertragung, Kontaktinfektion

  • Wichtigste Symptome: respiratorische, gastrointestinale und okuläre Erkrankungen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Virusnachweis (Ag) und Serologie

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: symptomatisch, bei schwerer Erkrankung oder Immunsupprimierten Therapieversuch mit Cidofovir oder Ribavirin

13.5.7. Orthomyxoviren

Beschreibung und Einteilung

Orthomyxoviren (Influenzaviren, Abb. 13.27 ) sind umhüllte, teils sphärische, meist jedoch pleomorphe RNA-Viren mit helikalem Nukleokapsid (Abmessungen 80–120 nm). Die einzelsträngige, negativ orientierte RNA besteht je nach Spezies aus 6–8 Segmenten.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Influenzaviren (Vergrößerung × 200 000).

Epidemiologie

Influenzaviren werden durch Aerosole mit kleinen Tröpfchen effektiv (auf 70% der Exponierten) übertragen. Die notwendige Infektionsdosis ist sehr gering, und Aerosole bleiben bei nicht zu hoher Luftfeuchtigkeit einige Stunden lang infektiös. Auf glatten Oberflächen bleiben die Viren 1–2 Tage lang infektiös. Die Virusausscheidung von der Schleimhaut beginnt sehr rasch (24 h nach Infektion) und kann 1 Woche lang anhalten (kurze Generationszeit).

Antigendrift und Antigenshift Influenza-A-Viren verändern durch verschiedene Mechanismen ihre Oberflächenglykoproteine und damit ihre Antigenität: Unter Antigendrift versteht man die langsame Veränderung der Aminosäuresequenz der Oberflächenproteine (durch Punktmutationen in den Genen für Hämagglutinin [HA] und Neuraminidase [NA]) und Selektion unter dem Druck der Antikörperausstattung der Bevölkerung. Der Antigenshift verläuft dagegen sprunghaft, indem es bei der Doppelinfektion eines Wirts durch 2 verschiedene Influenza-A-Viren zum genetischen Reassortment kommt, d.h. zum Austausch der entsprechenden Genomsegmente und damit zum völlig neuen antigenen Make-up und neuem pathogenen Potenzial. Im ungünstigsten Fall besteht in der Bevölkerung überhaupt keine Immunität gegen eine neue Reassortante, was zu gewaltigen Pandemien mit Millionen von Toten geführt hat. Neue Subtypen kommen oft aus Asien, wo das enge Zusammenleben vieler Menschen und Tiere Doppelinfektionen fördert.

Die ebenfalls pathogenen Influenza-B-Viren infizieren, soweit bekannt, nur den Menschen. Influenza-C-Viren, beim Menschen und bei Schweinen isoliert, führen beim Menschen zu einer meist milden Erkältung.

Influenza-B-Viren unterliegen auch einer Antigendrift, aber keinem Antigenshift, so dass zwar Antigenveränderungen, aber keine neuen pandemischen Stämme auftreten.

Serologische Charakterisierung In der Zusammenschau von historischen Berichten und serologischen Untersuchungen bei Menschen verschiedener Altersgruppen konnte man „archäologische Epidemiologie“ betreiben (Tab. 13.27 ), die lange Zeit zurückreicht, bevor das erste Influenzavirus 1933 isoliert wurde.

Tab. 13.27

Epidemiologie der Influenza-A-Subtypen beim Menschen

ZeitraumSubtypPandemie/Epidemie – Bemerkungen
1900–1917 H3N8 Retrospektiv: vermutlich avianer (Gans, Wachtel, Ente) Herkunft
1918–1956 H1N1 Spanische Grippe (1918–1919), 40 Mio. Tote
1957–1968 H2N2 Asiatische Grippe
Seit 1968 H3N2 Hongkong-Grippe
Seit 1977 Parallel H1N1 und H3N2 Russische Grippe

Weltweit gibt es Influenza-Referenzlaboratorien, die Virusisolate typisieren, um Antigendrifts und neue pandemische Reassortanten zu erfassen. Jedes Prototypisolat wird durch eine Formel beschrieben, die Antigensubtyp, Isolierungsort und Isolierungszeitpunkt angibt (z. B. A/H2N2/Singapore/1/57).

Die WHO erlässt vor jeder Influenzasaison eine Empfehlung für die Zusammensetzung des Impfstoffs. Bei der Untersuchung weltweit von Menschen und Tieren isolierter Influenza-A-Stämme hat man 14 verschiedene HA-Subtypen (H1–H16) und 9 verschiedene NA-Subtypen (N1–N9) entdeckt.

Evolution von Virusstämmen Die Evolution der Influenza-A-Viren scheint im Wesentlichen auch von Viren des avianen Reservoirs (Vögel) beeinflusst zu sein. Die Genom- und Antigenanalyse einer Epidemie in Hongkong im Jahr 1997 zeigt, dass aus den Viren A/Goose/H5N1/Guangdong/1/96 und A/Quail/H9N2/Hong Kong/G1/97 Reassortanten entstanden, die für Menschen pathogen waren und zum Auftreten der Viren A/Human/H5N1/Hongkong/ 165/97 bzw. A/Human/H9N2/Hongkong/1073/99 führten. Bis 2005/6 ist es zur weiten Verbreitung von hochpathogenen H5N1-Viren unter wildlebenden Vögeln gekommen. Vereinzelte Ausbrüche in Geflügelfarmen waren mit extrem hoher Letalität belastet. Das Virus ist wenig infektiös für den Menschen, allerdings war die Gesamtletalität bei den knapp 200 berichteten Erkrankungen hoch (50%, Tab. 13.28 ).

Tab. 13.28

Aviäre Influenzavirus-Infektionen bei Menschen.

JahrLandVirusFälleToteErkrankungMensch-Mensch Übertragung
1996 UK H7N7 1 0 Konjunktivitis
1997 Hongkong H5N1 18 6 Influenza (ARDS)
1999 HK (China) H9N2 7 0 Influenza
2003 Hongkong H5N1 2 1 Influenza (ARDS)
2003 Vietnam H5N1 3 3 Influenza (ARDS)
2003 NL H7N7 83 1 Konjunktivitis (ARDS) +
2004 Ostasien H5N1 46 32 Influenza (ARDS) ?
2005 Ostasien H5N1 97 42 Influenza (ARDS) ?
2006 Ostasien H5N1 82 63 Influenza (ARDS) ?
2006 Türkei/Ägypten H5N1 27 11 Influenza (ARDS) ?

(Nach: WHO)

Übersterblichkeit Im Zusammenhang mit der Influenzaepidemiologie bedient man sich des sehr nützlichen Begriffs „Übersterblichkeit“. Legt man die jahreszeitlichen Kurven nachgewiesener Influenzainfektionen (unabhängig vom klinischen Verlauf) und die Kurve der Sterbefälle der gleichen Bevölkerung zeitgleich übereinander, so findet man regelmäßig bei Influenzagipfeln einen Sterblichkeitsgipfel, der Aussagen über die Influenzamortalität zulässt, ohne genaue Kenntnis individueller Todesursachen.

Pathogenese

Das Hämagglutinin vermittelt die Adsorption des Virus an die Zielzelle mit anschließender Endozytose. Voraussetzungen dafür sind die Spaltung des Hämagglutinins in die Untereinheiten HA1 und HA2 und eine Konfigurationsänderung des HA, die im sauren Milieu des Lysosoms stattfindet. Die Spaltbarkeit seines HA ist mitentscheidend für die Pathogenität eines Influenzavirus. Die Neuraminidase auf dem Virion fördert den Infektionsprozess, indem sie die schützende muköse Schleimbarriere auf dem Epithel des Respirationstraktes abbaut. Erst nach Durchwandern dieser Barriere kann das Virus mit dem HA an die zellständigen Rezeptoren binden.

Das Vorhandensein von Antikörpern gegen HA ist entscheidend für die Immunität. Die Immunität ist damit subtypenspezifisch. Die Bedeutung zellulärer Immunmechanismen für den Schutz ist dagegen nicht geklärt.

Symptome, Verlauf und Prognose

Die Pathogenität der Influenza-A-Viren ist am höchsten. Charakteristisch ist der plötzliche Erkrankungsbeginn bei kurzer Inkubationszeit (1–5 Tage). Ohne Prodromi treten Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Muskelschmerzen auf. Symptome des Respirationstrakts können im Hintergrund stehen, bei Kleinkindern stellen Durchfall und Fieber gelegentlich die einzigen Symptome dar (Tab. 13.29 ).

Tab. 13.29

Symptomatik bei der unkomplizierten Influenza

SymptomInfluenza A(%)Influenza B(%)
Kopfschmerzen 90 75
Schüttelfrost 70–90 55–80
Myalgien/Arthralgien 60–80 60–80
Husten 75 80–90
Halsschmerzen 45 40–70
Schnupfen 25 80
Gastroenteritis 10–25 10–45

(Modifiziert nach: Van Voris et al.)

Diagnostik

Für die Verdachtsdiagnose sind epidemiologische Situation und Jahreszeit bedeutsam. Der Virusnachweis ist für die virologische Diagnostik entscheidend.

  • Der Antigennachweis in Zellen aus Nasopharynxsekreten ist gut etabliert.

  • Virusnachweis: Die Isolierung von Influenzaviren ist bei Anwendung geeigneter Techniken in Zellkulturen möglich. Als Material kommen v. a. Rachenabstriche oder Rachenspülflüssigkeit in Frage.

  • Die Überwachung der Influenza erfolgt in Europa parallel auf 2 Ebenen.

    • Aus den Meldungen ausgewählter sog. Sentinel-Arztpraxen, die zunächst nur die Häufigkeit „grippaler Infekte“ melden, ergibt sich die Prävalenz akuter respiratorischer Infekte in der Bevölkerung, an denen die Influenza zunächst keinen Anteil haben muss. Ein Anstieg dieser Infekte weist aber auf epidemiologische Besonderheiten hin.

    • Aus dem Infektionsgeschehen werden aktuelle Viren isoliert und an die nationalen Referenzzentren zur Charakterisierung von HA- und NA-Antigenstruktur gegeben. Mit Hilfe von Standardseren werden die Isolate vergleichend im Hämagglutinationshemmtest (HHT) untersucht. Die Feindiagnostik (z. B. H5N1) erfolgt mit der RT-PCR, bei der die interessierenden Teile des Virusgenoms in cDNA umgeschrieben und für die Sequenzierung amplifiziert werden.

  • Antikörpernachweis: Die KBR ermöglicht an gepaarten Seren (Titeranstieg) die typenspezifische Antikörperbestimmung. Zur subtypenspezifischen Serodiagnostik werden HHT und radialer Hämolysetest eingesetzt.

Differentialdiagnose

In Epidemiezeiten ist die Verdachtsdiagnose leicht zu stellen. Bei sporadischen Fällen kommen viele andere Viren differentialdiagnostisch in Betracht, da die Symptome vielfältig und teils wenig charakteristisch sind.

Therapie und Prophylaxe

Als spezifisches Therapeutikum gegen Influenzaviren zugelassen sind 2 Neuraminidasehemmer, die lokal bzw. systemisch mit Erfolg angewendet werden (Kap. 13.10), auch steht Amantadin zur Verfügung, was aber nur gegen Influenza-A-Viren wirksam ist, nicht gegen H5N1-Viren.

Komplikation Häufigkeit

Otitis media Gelegentlich

Sinusitis Selten

Pseudokruppanfälle Bei Disposition nicht selten

Interstitielle Pneumonie Bis 10%, vor allem bei Kindern

Sekundäre bakterielle Pneumonie (Streptococcus pneumoniae, Staphylococcus aureus, Haemophilus influenzae, Abb. 13.28) Häufig, vor allem bei Risikopatienten

Perimyokarditis Gelegentlich

Myositis, evtl. mit Myoglobinurie Selten

Enzephalitis Selten

Guillain-Barré-Syndrom Selten

Reye-Syndrom (Enzephalopathie + Hepatopathie ohne Ikterus) 0,33–0,88 pro 100 000 Influenzaerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen bei gleichzeitiger Einnahme von Acetylsalicylsäure; Letalität 22–42%

Die Influenza verläuft bei Schwangeren, v. a. wegen pulmonaler Komplikationen, schwerer. Gefürchtet ist die hämorrhagische Influenza-Pneumonie (Abb. 13.28).

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Tröpfcheninfektion mit Influenza-A- oder Influenza-B-Virus

  • Wichtigste Symptome: abrupter Beginn mit Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Muskelschmerzen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Virusnachweis (RT-PCR)

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: Neuraminidasehemmer, Amantadin, Prophylaxe durch Schutzimpfung

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Hämorrhagische und z. T. nekrotisierende Tracheitis und hämorrhagische Pneumonie bei Influenza. Beachte die flammende Röte der Trachealschleimhaut und die düsterrote Farbe des Lungenparenchyms.

(Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von R. Fischer, Institut für Pathologie, Universität zu Köln)

13.5.8. Paramyxoviren

Beschreibung und Einteilung Humanpathogene Paramyxoviridae (Abb. 13.29 ) sind membranumhüllte, 150 bis 350 nm große, sphärische (gelegentlich auch pleomorphe) RNA-Viren mit helikalem Nukleokapsid. Hierzu gehören die Genera

  • Parainfluenzavirus

  • Respiratory Syncytial Virus

  • Masernvirus

  • Mumpsvirus.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Masernvirus(Vergrößerung × 80 000). Dünnschnitt.

Weiter werden hinzugerechnet die 1994 zuerst beschriebenen Hendraviren und Nipahviren (HEV bzw. NiV, 400–600 nm messende Partikel mit 18 kb langem Genom), die zu humanen Infektionen (1999: 100 Todesfälle durch NiV-Enzephalitis) führen können.

Pathogenese Parainfluenzaviren und das Respiratory Syncytial Virus (RSV) verursachen akute respiratorische Infektionen bei Kindern, RSV selten auch bei alten Menschen. Parainfluenzavirusinfektionen beginnen bei Kleinkindern oft mit Kruppsymptomatik. Parainfluenzavirus-3-Infektionen sind häufig Ursache von (asthmoiden) Bronchitiden und Pneumonien (Letalität bei Kindern mit schweren Grunderkrankungen > 30%).

Das Masernvirus ist hoch kontagiös und verursacht bei allen Infizierten eine generalisierte Virusinfektion mit typischem Exanthem. Verschiedene Organkomplikationen bis hin zur SSPE (Slow-Virus-Infektion, subakute sklerosierende Panenzephalitis) können auftreten.

Das Mumpsvirus verursacht auch eine generalisierte Infektion mit bevorzugtem Befall der Speicheldrüsen (Bild der klassischen Parotitis epidemica) und anderer Drüsen (spezifische Komplikationen: Innenohrschaden, Orchitis).

Parainfluenzaviren und RSV

Epidemiologie Parainfluenzaviren (Typ 1–4) sind weltweit verbreitet. Parainfluenzavirus Typ 3 kommt endemisch und epidemisch zu jeder Jahreszeit vor, während die übrigen Parainfluenzaviren und RSV meist zwischen Herbst und Frühjahr auftreten. Typ 4 wird seltener diagnostiziert, da das Virus schwer anzüchtbar ist. Die Übertragung geschieht durch Tröpfcheninfektion oder durch direkten Kontakt von Mensch zu Mensch. Das epidemiologische Verhalten der Parainfluenzaviren (v. a. Typ 3) zeigte in den letzten Jahren einen unregelmäßigen Wechsel in der jahreszeitlichen Häufung und zwischen epidemischem und endemischem Auftreten.

RSV kann auch über Hände und sogar Kleidungsstücke übertragen werden. Nach Einschleppung der Viren durch Kindergartenkinder in die Familien kommt es bei über 60% der Familienangehörigen zu serologisch nachweisbaren Infektionen. Im Alter von 2 Jahren sind ca. 60% der Kinder erstmals infiziert. Die Virusausscheidung beträgt durchschnittlich 8 Tage, ist aber deutlich länger bei Immundefekten oder chronischen pulmonalen Grunderkrankungen.

Pathogenese Gegen Parainfluenzaviren und RSV besteht in den ersten Monaten eine passiv übertragene Teilimmunität, wodurch sich das typische Erkrankungsalter zwischen 6 Monaten und 6 Jahren – zu diesem Zeitpunkt ist eine weitgehende Durchseuchung erreicht – erklärt. Asymptomatische Infektionen sind selten. Trotz vorhandener neutralisierender Antikörper kann es v. a. bei Parainfluenzaviren zur Reinfektion kommen, die meist leichter verläuft. Wahrscheinlich ist die lokale Virusvermehrung verantwortlich für das Krankheitsbild. Die Rolle der humoralen Immunität (IgG, IgA, sekretorisches IgA) und der zellvermittelten Immunität bei Beendigung der Infektion und beim Schutz vor schwerer Zweiterkrankung ist noch nicht völlig geklärt.

Parainfluenzaviren und v. a. RSV spielen eine große Rolle als Nosokomialerreger in Kinderkliniken. Ältere Menschen können erneut schwer durch RSV erkranken.

Symptome, Verlauf und Prognose

Die Inkubationszeit ist kurz (2–6 Tage), es kommt zu Symptomen eines fieberhaften grippalen Infekts mit Pharyngitis, Husten und Bronchitis (s. Rhinoviren). Bei Parainfluenzaviren verläuft die Erkrankung leichter (außer Typ 3). Für RSV und auch Parainfluenzavirus Typ 3 sind eine Bronchiolitis, selten als Bronchiolitis obliterans mit letalem Verlauf, und eine atypische Pneumonie charakteristisch.

Andere virale Erreger der atypischen Pneumonie sind das Masernvirus (sehr häufig bakterielle Superinfektion), Influenzaviren A und B, Adenoviren, Varicella-Zoster-Virus. Schwere und letale Erkrankungen sind bei immundefizienten Patienten zu beobachten (z. B. Organtransplantation, Zytomegalieviren).

Diagnostik

Neben der klinischen Untersuchung sind abhängig von Schweregrad der Infektion und der Organmanifestation apparative (Röntgen) oder sogar invasive (Bronchoskopie) Untersuchungen nötig.

Die Verdachtsdiagnose ergibt sich aus Klinik und epidemiologischer Situation.

  • Virusnachweis: Der immunologische Antigennachweis (Immunfluoreszenz und ELISA) wird zu wenig eingesetzt, obwohl eine gleichzeitige Untersuchung auf Adeno-, Influenza-, Parainfluenza- und RS-Viren in wenigen Stunden durchführbar ist.

  • Nachweis viraler Genome: Die PCR-Methodik ist verfügbar.

  • Antikörpernachweis: Bei Untersuchung von Serumpaaren (Titeranstieg) ist die serologische Diagnostik aussagekräftig.

Therapie und Prophylaxe

Symptomatisch; bei Vorliegen von Immundefekten und schwersten, ätiologisch gesicherten RSV-Pneumonien bei Kindern kann Ribavirin als Aerosol verwendet werden. Die Therapie ist in den USA zugelassen, an hohen apparativen Aufwand geknüpft und teuer, bei mäßiger Effektivität. Eine i.v. Therapie ist auch möglich.

Komplikation Häufigkeit

Pseudokruppanfall bei Laryngotracheobronchitis Häufig bei entsprechender Disposition

Pertussisähnlicher Verlauf Häufig

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Tröpfcheninfektion meist bereits in der frühen Kindheit

  • Wichtigstes Symptom: fieberhafter grippaler Infekt mit Pharyngitis, Husten und Bronchitis

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Klinik, ggf. Röntgen, Bronchoskopie, Virusdiagnostik

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: symptomatisch, nur im Ausnahmefall Ribavirin

Masernvirus

Epidemiologie Das Masernvirus wird aerogen über die Schleimhäute des Nasopharynx übertragen, ist hochkontagiös und hat eine Manifestationsrate von praktisch 100%. Es hinterlässt lebenslange Immunität, die vor Zweiterkrankung schützt (SSPE s. u.). Die Infektiosität ist während der Prodromalphase am höchsten, beginnt jedoch einige Tage vorher und nimmt nach Auftreten des Exanthems ab. Es existiert kein natürliches, extrahumanes Reservoir wie bei den Influenzaviren. Daher benötigt das Masernvirus eine Mindestgröße und -dichte einer Population, um sich in ihr endemisch halten zu können. Waren diese Voraussetzungen gegeben, machte in der Vorimpfära praktisch jedes Kind die Masern durch und war dann lebenslang immun. Seit Einführung der Impfung (1963 in den USA) hat sich der Erkrankungsgipfel ins junge Erwachsenenalter verschoben.

Während sich die Erkrankung in der westlichen Welt zu leichteren Verlaufsformen gewandelt zu haben scheint, stellen die Masern in Entwicklungsländern, v. a. bei mangelernährten und sehr jungen Patienten (< 2 Jahre), eine schwere und komplikationsreiche Erkrankung dar, die in ländlichen Regionen ein epidemisches, in den Städten ein hyperendemisches Muster zeigt. Bei einigen afrikanischen Völkern verlaufen die Masern – offenbar genetisch determiniert – generell viel schwerer als bei uns.

Pathogenese Zunächst kommt es zur Virusvermehrung in den Schleimhäuten des Oropharynx, dann über den Befall regionärer Lymphknoten und in einer 2. virämischen Phase zur Beteiligung von Haut und oberem Respirationstrakt. Mit dem Exanthem treten Antikörper auf (IgM, IgG), und es kommt zum Verschwinden des Virus aus Blut und Körpersekreten und zur Beendigung der Riesenzellbildung.

Für die normale Beendigung der Maserninfektion ist die zellvermittelte Immunantwort entscheidend. Die Maserninfektion verursacht selbst eine Störung der zellulären Immunität mit T-Zell-Verminderung (z. B. Tuberkulintest wird vorübergehend negativ).

Symptome, Verlauf und Prognose

Prodromalsymptome (Husten, Schnupfen, Konjunktivitis, Fieber) 10 Tage nach Infektion. Am 12. Tag typisches „Kalkspritzer“-ähnliches Enanthem (sog. Koplik-Flecken) bukkal, in der Schleimhaut der Unterlippe; kurz darauf (14. Tag) makulopapulöses, konfluierendes Exanthem (Abb. 13.30 ), das vom Kopf nach kaudal fortschreitet und nach ca. 5 Tagen in der gleichen Richtung abblasst. Inkubationszeiten und Ablauf der Infektion gehorchen genauen zeitlichen Gesetzen, so dass im Hinblick auf den hohen Manifestationsindex gezielt nach Kontaktpersonen gefahndet werden soll.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Masernvirusexanthem am Stamm mit leicht erhabenen, teilweise konfluierenden Effloreszenzen.

(Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von H. Rasokat, Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie, Universität zu Köln)

ZNS-Erkrankungen Es können 3 Enzephalitisformen beobachtet werden:

  • akute progressive virusbedingte Masernenzephalitis: tritt bei Immundefekten (Malignompatienten) früh auf und verläuft mit massiver Produktion von viralem Nukleoprotein im Gehirn

  • akute postinfektiöse Enzephalitis (1:1000 Masernkranke, die älter als 1 Jahr sind): beginnt meist abrupt in der 1. Woche nach Exanthembeginn als Verschlechterung der Erkrankung mit mehr oder weniger ausgeprägten Zeichen einer Meningoenzephalitis. Ursache ist keine Virusvermehrung im Gehirn, sondern ein gegen basisches Myelinprotein gerichteter Autoimmunprozess (perivaskuläre Entzündung und Demyelinisierung).

  • subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE): sehr seltene Slow-Virus-Erkrankung mit konventionellem Erreger. Die Pathogenese erklärt sich aus der Unfähigkeit eines an sich immunkompetenten Organismus, ein mutiertes Masernvirus zu eliminieren. Extrem hohe Antikörpertiter sind gegen die meisten Strukturproteine des Masernvirus in Serum und Liquor nachweisbar (pathognomonisch). Histopathologisch handelt es sich um eine demyelinisierende Erkrankung.

Diagnostik

  • Antikörpernachweis: Serologisch werden frische Masern an den spezifischen IgM-Antikörpern im Serum erkennbar. Immunität ist bei Nachweis spezifischer Antikörper im HHT oder IgG-ELISA gegeben. Bei der SSPE werden extrem hohe Antikörpertiter in Serum und Liquor gefunden.

  • Virusnachweis: Das Virus kann in frühen Krankheitsphasen u. a. aus Rachenspülwasser, Lymphozyten und Urinsedimentzellen in Zellkulturen isoliert werden. Im Lichtmikroskop zeigen sich Riesenzellen, bei Immundefekten auch Einschlusskörperchen.

Differentialdiagnose Differenzierungsmaßnahmen

Enanthem:
  • Steven-Johnson-Syndrom

  • Lyell-Syndrom

Morphologie des Enanthems, Lokalisation, weitere Symptomatik

Enanthem:
  • Röteln

  • ECHO-Virus-9-Infektion

  • Hand-Fuß-Mund-Krankheit

  • Herpangina

  • Windpocken

  • Scharlach

  • Lues


Exanthem:
  • Röteln

  • ECHO-Virus-9-Infektion

Morphologie des Exanthems

Therapie und Prophylaxe

Die Therapie mit Ribavirin wurde vereinzelt beschrieben und kann bei Immundefekten sinnvoll sein.

Impfung Die Masern-Lebendimpfung, gemäß Impfkalender als Mumps-Masern-Röteln-Tripelvakzine (MMR) im 12. bis 15. Lebensmonat und mit Wiederholung im 6. Lebensjahr, hat die Zahl der Masernfälle in Deutschland im Jahr 1996 auf 520 zurückgehen lassen. Der Grad der Durchimpfung reicht mit 60% aber nicht aus, um die Mensch-zu-Mensch-Übertragung ganz erlöschen zu lassen. Das Ziel der WHO, in Europa bis zum Jahr 2000 die Masern auf weniger als 1 Erkrankung/100 000 Einwohner zu senken und den Tod an Masern auszurotten, erfordert Immunitätsraten von > 95%, die mit einer einmaligen MMR-Impfung nicht erreicht werden können. Kürzlich ist es auch in Deutschland wieder zu größeren Masernausbrüchen gekommen.

Bei Masernexposition ungeschützter Personen ist ferner die passive Immunisierung mit Standard-Serum-Immunglobulin hilfreich (Kap. 13.10). Angesichts der Pathogenese ist es verständlich, dass die moderne Masern-Lebendimpfung auch vor der SSPE schützt.

Komplikation Häufigkeit

Masernpneumonie (als direkte Folge der Maserninfektion oder als Folge einer bakteriellen Superinfektion des geschädigten Flimmerepithels) 1–7%

Riesenzellpneumonie Bei Immundefekt (sehr schlechte Prognose)

Masernkrupp (Laryngitis) Bei disponierten Kindern

Otitis 5–9%

Masernenzephalitis (Letalität 10–20%) 1:1000

Subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), Auftreten nach 7–10 Jahren, Verlauf unterschiedlich, bis zu 3 Jahre mit psychischen und neurologischen Veränderungen 1:1 000 000

ZUSAMMENFASSUNG

  • Infektionsursache: aerogene Übertragung

  • Wichtigstes Symptom: makulopapulöses Exanthem

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Klinik, Antikörperbestimmung

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: symptomatisch, in Einzelfällen Ribavirin

Mumpsvirus

Epidemiologie Zwei epidemiologisch relevante Unterschiede zum Masernvirus sind

  • geringere Kontagiosität (Tröpfcheninfektion)

  • offenbar schwächere Immunität nach Infektion.

Der Mensch ist einziger natürlicher Wirt. Mumps ist im Frühjahr am häufigsten. Obwohl das Mumpsvirus auch aus anderen Körperflüssigkeiten isolierbar ist, erfolgt die Übertragung durch Speichel, der 1 Woche vor bis 2 Wochen nach Beginn der Parotisschwellung infektiös ist, mit einem Gipfel der Infektiosität am Anfang der Erkrankung.

Pathogenese Nach relativ langer Inkubationszeit (2–3 Wochen) tritt bei ca. 75% der Infizierten die typische Parotitis epidemica auf (Abb. 13.31 ). Betroffen sind aber auch andere Drüsen.

Symptome, Verlauf und Prognose

Meist schmerzhafte Parotis, gerötete und geschwollene Mündung des Speicheldrüsengangs, Mundtrockenheit. Das Ohrläppchen steht charakteristischerweise etwas ab. Eine Allgemeinsymptomatik ist meist ebenfalls vorhanden.

In 2/3 wird innerhalb von 4–5 Tagen auch die kontralaterale Seite befallen. Manchmal sind auch nur die submaxillären und sublingualen Drüsen sichtbar entzündet.

Die Disseminierung während der Inkubation führt bei 50% zur klinisch und labormäßig fassbaren, aber prognostisch günstigen aseptischen Meningitis, selten auch zur zerebellaren Ataxie. Eine Enzephalitis ist selten und geht mit psychiatrischen und neurologischen Spätschäden einher (Verhaltensstörungen, Krampfleiden, Taubheit, Retrobulbärneuritis, Hydrozephalus).

Diagnostik

Der typische Verlauf erleichtert die Diagnose.

  • Antikörpernachweis: Serologisch lässt sich der Antikörperanstieg mit Hilfe der KBR nachweisen. Die „KBR-Antikörper“ fallen allerdings 6–12 Monate nach Erkrankung unter die Nachweisgrenze und sind daher zur Immunitätsbestimmung ungeeignet. Die Frage der Immunität wird durch Nachweis virushüllenspezifischer Antikörper im Mumps-IgG-ELISA beantwortet. Bei Diagnose einer frischen Infektion ist die Untersuchung auf Mumps-IgM-Antikörper im ELISA die Methode der Wahl.

  • Virusnachweis: erfolgt aus Liquor, Speichel und Urin Erkrankter in Zellkulturen.

Differentialdiagnose Ausschlussmaßnahmen

Infektionen durch Influenza- oder Parainfluenzaviren, Coxsackie-, Zytomegalie- oder Epstein-Barr-Virus Allgemeinsymptome, virologische Diagnostik

Bakterielle Infektion mit Staphylokokken, Streptokokken oder M. tuberculosis Schweres Krankheitsgefühl, Fieber, Granulozytose

Beteiligungen im Rahmen eines Sjögren-Syndroms Weitere Symptomatik

Heerfordt-Syndrom (bei Morbus Boeck) Röntgen-Thorax, ggf. Histologie

Therapie und Prophylaxe

Therapie nicht möglich. Symptomatische Maßnahmen sind erforderlich und hilfreich. Die konservative (auch mit Kortikosteroiden) und chirurgische Therapie bei Orchitis (Abb.13.32) zeigt keine klaren Erfolge.

Impfung Der Mumps-Lebendimpfstoff, als MMR-Tripelvakzine im 12–15. Lebensmonat mit Wiederholung im 6. Lebensjahr, hat die Zahl der Mumpsfälle deutlich reduziert.

Auch Mumps steht auf dem Eradikationsprogramm der WHO für Europa. Wie bei den Masern muss auch hier der Durchimpfungsgrad von 60 auf > 95% gesteigert werden. Die passive Immunisierung ist bei Mumps nicht zuverlässig.

KomplikationenHäufigkeit
Orchitis (beim Mann, Abb. 13.32, kann zur Sterilität führen) 20–35%, 3–17% beidseitig

Myokarditis Häufig, mild

Polyarthritis der großen Gelenke Selten

Leber- und Nierenbeteiligung Selten

Pankreatitis Im Kindesalter häufig, 8–22% der juvenilen Diabetiker hatten zuvor Mumps

Schwerhörigkeit durch Innenohrschaden (Spätkomplikation) Gelegentlich

Meningitis 10–20%

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Übertragungsursache: Tröpfcheninfektion

  • Wichtigstes Symptom: schmerzhafte Speicheldrüsenentzündung

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Klinik, Mumps-IgM-Antikörper

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: symptomatisch

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Mumpsorchitis bei einem 12-jährigen Knaben.

(Mit freundlicher Genehmigung von H. J. Cremer, Städtische Krankenanstalten Heilbronn).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Doppelseitige Parotisschwellung, rechts stärker als links, bei einem Jungen mit Mumps, ausgetrocknete Lippen.

(Mit freundlicher Genehmigung von H. J. Cremer, Städtische Krankenanstalten Heilbronn).

13.5.9. Togaviren

Beschreibung und Einteilung Togaviren sind 60–70 nm große umhüllte RNA-Viren mit ikosaedrischem Nukleokapsid. Hierzu gehören die Genera Alpha- und Rubivirus. Rubellavirus ist das einzige humanpathogene Rubivirus (Abb. 13.33 ). Viele Togaviren besitzen diagnostisch nutzbare hämagglutinierende Eigenschaften.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Sindbisviren, typischer Vertreter der Togaviren (Vergrößerung × 200 000).

Epidemiologie Alphaviren (Tab. 13.30 ) führen in unterschiedlichen Regionen zu teils großen Epidemien. Im Gegensatz zu Rubellaviren ist für die Übertragung der Alphaviren ein Vektor (Moskitos) nötig, in dem sie sich auch vermehren. Haupt- und Nebenwirte verschiedener Alphaviren sind Vögel, Pferde, Esel, Nagetiere und Mensch. Nach den Vertebratenwirten der Alphaviren, bei denen es zu hohen Virustitern im Blut kommt, und nach Art der übertragenden Insekten unterscheidet man verschiedene Infektionskreisläufe.

Tab. 13.30

Humanpathogene Togaviren

GenusSerogruppe, -typVorkommenErkrankung
Alphavirus Chikungunya
O'Nyong-Nyong
Mayaro
Ross River
Sindbis
Afrika, Südostasien, Indien
Afrika
Südamerika
Australien, Ozeanien
Afrika, Asien, Skandinavien
Fieber, makulopapulöses Exanthem, Arthralgie, Kopfschmerz, Retrobulbärschmerz, Konjunktivitis, Lymphadenitis, Petechien, vesikuläres Exanthem
Östliche Pferdeenzephalitis EEE USA, Atlantikküste, Karibik, Südkanada, Golf Enzephalitis (Letalität 50–70%)
Westliche Pferdeenzephalitis WEE Westliche USA, Kanada, Südamerika Enzephalitis, meist Kinder (Letalität 3–5%)
Venezolanische Pferdeenzephalitis VEE Süd- und Zentralamerika, Florida „Grippe“ (Gesamtletalität 1%) bei 1–4% der Infizierten Enzephalitis (Letalität 10–20%), besonders Kinder
Rubivirus Rötelnvirus Ubiquitär Exanthem, Arthralgien, teratogene Schäden

Wirte mit starker Virämie sind verantwortlich für den endemischen und epidemischen Erhalt der Infektion, da nur von diesen die Übertragung durch Insekten möglich ist. Diese Einteilung ist Grundlage der Bekämpfungsstrategien. Vor Enzephalitisviren, bei denen die Pferde die Infektion unterhalten, kann man z. B. den Menschen auch durch Impfung der Tiere schützen.

Das Rötelnvirus (Rubellavirus) kommt weltweit vor, ohne bekanntes, natürliches, extrahumanes Reservoir. Die Rötelnvirusinfektion zeichnet sich durch mittelgradige Übertragbarkeit mit Häufung in den Wintermonaten aus, was regelmäßig zu mehreren Infektionswellen und längerem Verweilen in einer Population führt (endemischer Infektionstyp).

Pathogenese Die Virämie der Alphaviren ist beim Menschen von kurzer Dauer und gering. Nach einer Phase der Virämie kommt es v. a. bei den Pferdeenzephalitiden zur Invasion des ZNS mit herdförmigem Gewebeuntergang.

Bei den Röteln beträgt die Inkubationszeit 16–21 Tage, die Virämie dauert vom 8. Tag nach Infektion bis zum 2. Tag des Exanthems. Eine geringgradige Virusausscheidung kann noch 2–3 Wochen anhalten. Die Infektion erfolgt über die Rachenschleimhaut oder diaplazentar.

Symptome, Verlauf und Prognose

Manche Alphaviren können harmlose fieberhafte Erkrankungen auslösen, einige (z. B. Chikungunya-Virus) verursachen teils schwere, lang anhaltende Arthritiden, andere auch folgenschwere Enzephalitiden. Meist ist der Gewebstropismus unbekannt. Nur wenige der bekannten Alphaviren kommen in Westeuropa vor.

Das Rötelnvirus verursacht eine exanthematische milde Kinderkrankheit, ist aber ausgeprägt teratogen.

Asymptomatische Infektionen Ca. 50% der Rötelnvirusinfektionen verlaufen asymptomatisch. So sind anamnestische Angaben über durchgemachte Röteln auch wegen des teils milden oder oligosymptomatischen Verlaufs unbrauchbar.

Haut- und Schleimhauterkrankungen Die postnatalen Röteln verlaufen mild und bei Kindern nur zu 50% symptomatisch. Das fazial betonte, makulöse, selten konfluierende Exanthem (Abb. 13.34 ) geht mit Enanthem, mittelgradigem Fieber, nuchalen Lymphomen, Pruritus und Konjunktivitis einher. Die fehlenden Koplik-Flecken und der leichtere Verlauf von Fieber und Konjunktivitis unterscheiden die Röteln von den Masern. Ferner kommt es zu Arthralgien und Arthritiden, zur thrombozytopenischen Purpura, selten zur postinfektiösen Enzephalitis und zu anderen neurologischen Manifestationen.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Typisches Rötelnvirusexanthem am Stamm mit blassen, nicht erhabenen Effloreszenzen.

(Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von H. Rasokat, Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Venerologie, Universität zu Köln).

Erkrankungen von ZNS und Bewegungsapparat Nach Infektion durch EEE(Eastern Equine Encephalitis)-, WEE(Western Equine Encephalitis)- oder seltener VEE-Virus (Venezuelan Equine Encephalitis) kommt es beim Menschen nach unterschiedlich langer Inkubationszeit (2–11 Tage) zur Enzephalitis mit schlechter Prognose. Die anderen Alphavirusinfektionen führen neben Fieber, Kopfschmerzen, Konjunktivitiden und

Exanthemen zu hochschmerzhaften Arthralgien und Arthritiden v. a. der großen Gelenke evtl. bis zur völligen Unbeweglichkeit. Bei der Chikungunya- und Sindbisvirusinfektion können jahrelang anhaltende postinfektiöse rheumatische Beschwerden beobachtet werden.

Diagnostik

Alphaviren

  • Antikörpernachweis: Die Verdachtsdiagnose einer Alphavirusinfektion, vielfach aufgrund epidemiologischer Angaben gestellt, lässt sich serologisch durch Komplementbindungsreaktion, Hämagglutinationshemmtest, Immunfluoreszenztest und IgM-ELISA erhärten.

  • Virusnachweis: bei einigen Alphaviren durch Isolierung, abhängig von der Viruskonzentration, leicht möglich (z. B. bei der VEE aus Blut, Speichel und Liquor). Bei anderen schwierige Isolierung, die meist nur aus Sektionsmaterial im Versuchstier gelingt.

Rötelnvirus

  • Antikörpernachweis: Die Immunität gegen Rötelnvirus wird durch Bestimmung rötelnspezifischer Antikörper im Hämagglutinationshemmtest (HHT : Titer 1 : > 16) oder durch ELISA ermittelt. Eine frische Infektion kann durch Nachweis einer Serokonversion bei Untersuchung zweier Serumproben diagnostiziert werden, wenn die 1. Serumprobe innerhalb der ersten Tage nach Exanthembeginn abgenommen wurde. Ist dies nicht mehr möglich, bestimmt man rötelnspezifische IgM-Antikörper, die bei guter Standardisierung des Testsystems mind. 10 Wochen nachweisbar bleiben. Weitere Möglichkeiten zur Eingrenzung des Infektionszeitpunktes sind die Bestimmung der Avidität der virusspezifischen IgG-Antikörper und die Bestimmung von Antikörpern gegen separierte Virusantigene (hochavide IgG-Antikörper sprechen für eine länger zurückliegende Infektion).

  • Virusnachweis: Beim Rötelnvirus ist die Virusisolierung in Zellkulturen aus Rachenabstrichen, Konjunktivalabstrichen, Urin, Synovia, Blutlymphozyten, kindlichem und mütterlichem Abortmaterial, Liquor und Sektionsmaterial möglich. Vereinzelt waren Virusnachweise aus Synovia und Blutlymphozyten noch Wochen und Monate nach Infektion möglich. Beim Kind, das konnatal Zeichen einer intrauterinen Infektion aufweist, sollte eine Isolierung aus Urin angestrebt werden, da intrauterin infizierte Kinder auch Wochen nach der Geburt das Rötelnvirus noch ausscheiden können und eine Klärung auf serologischem Wege nicht immer möglich ist (s. u.).

  • Nachweis viraler Genome: Im Rahmen der Pränataldiagnostik kann bei einer Schwangeren mit Verdacht auf eine frische Rötelninfektion der Nachweis von Rötelnvirus-RNA aus kindlichem Blut und/oder Fruchtwasser erfolgen.

Postnatal sollte bei Verdacht auf intrauterine Infektion daher neben der Virusisolierung aus dem Urin (s. o.) sofort der Nachweis von IgM-Antikörpern beim Kind versucht werden. Jedoch können auch tatsächlich intrauterin infizierte Kinder (Virusisolierung) schon sehr bald nach der Geburt Röteln-IgM-negativ sein und später gelegentlich sogar vollständig (auch Röteln-IgG) seronegativ werden.

Der Nachweis rötelnspezifischer IgM-Antikörper oder viraler RNA in intrauterin entnommenem kindlichem Blut (20. bis 22. Schwangerschaftswoche) ist Ultima Ratio, um bei bestehendem Kinderwunsch und nachgewiesener mütterlicher Infektion in der Frühschwangerschaft (zur exakten Indikationsstellung einer Interruptio) eine Infektion des Kinds zu beweisen oder unwahrscheinlich zu machen.

MERKE

Die Rötelnexposition einer Schwangeren erfordert optimale Diagnostik, um ggf. eine postexpositionelle passive Immunisierung durchführen zu können (s. u.).

MERKE

Fehlen rötelnspezifische IgM-Antikörper, schließt dies eine Infektion innerhalb der letzten 10 Wochen vor Blutentnahme aus.

Umgekehrt ist aber durch den zufälligen Nachweis rötelnspezifischer IgM-Antikörper ohne weitere klinische und anamnestische Angaben die Diagnose „frische Infektion“ nicht möglich, da IgM-Antikörper vereinzelt lang (> 1 Jahr) nachweisbar bleiben können.

Differentialdiagnose Differenzierungsmaßnahmen

Enterovirusinfektionen (Exanthem) Virologische Diagnostik

Allergische Reaktionen

Intrauterin: Zytomegalievirusinfektion (hinsichtlich teratogener Schäden) Unterschiedliches Schädigungsmuster, gelegentlich nur durch virologische Diagnostik unterscheidbar

Infektion mit Parvovirus B19 (Exanthema infectiosum, Ringelröteln) Virologische Diagnostik, nicht teratogen

Therapie und Prophylaxe

Keine kausale Therapie bei Alphaviren. Nichtsteroidale Antiphlogistika zur symptomatischen Therapie. Impfstoffe sind in der Erprobung.

Röteln: Die zweifache Grundimmunisierung von Kleinkindern mit einer Mumps-Masern-Röteln-Lebendvakzine (Kap. 13.10) und die Wiederimpfung von Mädchen in der Präpubertät vermindern bei einem Durchimpfungsgrad von > 95% das Risiko einer Rötelninfektion in der Frühschwangerschaft erheblich (bislang waren ca. 80% der 12- bis 14-jährigen Schülerinnen seropositiv). Eine akzidentelle Impfung in der Frühschwangerschaft ist zu vermeiden, stellt aber bei einem Risiko von < 1% keine Indikation zur Interruptio dar.

Längstens bis zum 5. postexpositionellen Tag sollte die Gabe des i.m. applizierbaren Hyperimmunglobulins erfolgen, bei späterer Gabe evtl. kombiniert mit einem i.v. Immunglobulinpräparat, um die Resorptionszeit des i.m. Präparats zu überbrücken.

MERKE

Bei einer rötelnexponierten seronegativen Schwangeren ist die postexpositionelle passive Immunisierung indiziert.

Komplikationen Das Rötelnvirus ist teratogen. Die Schädigungsrate sinkt von ca. 60% im 1. auf ca. 10% im 4. Schwangerschaftsmonat, Spätschäden (rubella expanded syndrome) sind dabei nicht berücksichtigt. Bei jedem Symptom, das in der Schwangerschaft auf Röteln hinweist, ist bis zum Beweis des Gegenteils eine Rötelninfektion anzunehmen. Die Palette möglicher schwerer Schäden beim Kind umfasst neben der klassischen Gregg-Trias (Katarakt, Innenohrschwerhörigkeit, Herzfehler) viele vorübergehende Symptome, postnatal persistierende und postnatal auftretende Schäden. Bei konnatal Infizierten kann es nach Jahren zur tödlich verlaufenden subakuten Panenzephalitis kommen.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Infektion mit Alpha- bzw. Rubellaviren

  • Wichtigste Symptome:

    • Alphavirusinfektion je nach Erreger unterschiedlich

    • Röteln: fazial betontes, makulöses Exanthem

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Antikörpernachweis

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen:

    • Alphavirusinfektion: symptomatisch

    • Röteln: in der Schwangerschaft Gabe von Hyperimmunglobulin; Prophylaxe durch konsequentes Impfen

13.5.10. Parvoviren

Beschreibung und Einteilung Die Familie der Parvoviridae enthält kleine (18–26 nm Durchmesser) ikosaedrische Viren, die zu den kleinsten animalen Viren gehören. Dazu gehört im Genus Erythrovirus das humanpathogene autonome Parvovirus B19. Die Dependoviren sind ein weiterer Genus: replikationsdefekte, helfervirusabhängige Viren (z. B. adenoassoziierte Viren, AAV1–6), beim Menschen weit verbreitet (latente Infektionen), besitzen aber keine bekannte Pathogenität. Im Tierversuch zeigen diese interessanterweise tumorsupprimierende Eigenschaften.

Die primär einzelsträngige DNA des Dependovirus AAV2 wird als Doppelstrang in Abwesenheit eines Helfervirus innerhalb eines Integrationsbereichs (AAVS1) im menschlichen Chromosom 19 integriert. Nach Überinfektion mit dem Helfervirus kommt es zur Aktivierung des AVV2-Provirus, zur Expression viraler Gene und zur Partikelproduktion. Daher gibt es Strategien, AAV als Vektor in der Gentherapie einzusetzen.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000
111 Abbildung: Dependoviren

Epidemiologie Parvovirus B19 wurde 1975 in England bei einem gesunden Blutspender entdeckt. Die Seroprävalenz zeigt einen altersabhängigen Anstieg von 2–15% bei 1- bis 5-jährigen auf 60% bei Jugendlichen und Erwachsenen. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion und durch Blut bzw. Blutprodukte. Die Kontagiosität ist mittelgradig (ca. 50% bei Haushaltskontakten). Das Virus vermehrt sich lytisch in den Vorläuferzellen der Erythrozyten, wobei die produktive Infektion der Normoblasten zur hohen Virämie (> 1010/ml) führt.

Die Virusausscheidung bei Erythema infectiosum (Ringelröteln) dauert ebenso wie die Virämie vom 5. bis 10. Tag nach Infektion; bei aplastischen Krisen hält sie länger an.

Pathogenese Parvovirus B19 verursacht eine exanthematische Erkrankung (Ringelröteln oder Erythema infectiosum) und ferner folgenschwere intrauterine Infektionen (Hydrops fetalis). Wegen der geringen Kodierungskapazität des Genoms sind diese Viren extrem von der zellulären Synthesemaschine der Wirtszellen abhängig. So sind sie besonders nur in Zellen vermehrungsfähig, die sich in der S-Phase befinden. Das Virus kann v. a. bei Patienten mit kongenitalen hämolytischen Anämien schwere aplastische Krisen hervorrufen.

Symptome, Verlauf und Prognose

Die Manifestationsrate beträgt ca. 80%, aber auch asymptomatische Infektionen mit möglicher Virusübertragung auf Kontaktpersonen kommen vor.

Die Zeit bis zum Auftreten des Exanthems beträgt beim Erythema infectiosum 14–18 Tage nach Infektion. Nach kurzen, unspezifischen Prodromi der Virämiephase (Fieber, Pharyngitis) erscheint parallel zum Auftreten virusspezifischer IgM-Antikörper das Exanthem im Gesicht und kurz danach oder gleichzeitig an Armen und Beinen. Der Stamm ist normalerweise ausgespart, und der Ausschlag zeigt eine zentrale Aufhellung (Abb. 13.35 ). Im Exanthemstadium besteht nur leichtes Fieber, der Allgemeinzustand ist kaum reduziert.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Typisches Exanthem bei Parvovirus-B19-Infektion (Ringelröteln).

Folge einer zytoziden, aber meist wieder vom Immunsystem limitierten Infektion der erythropoetischen Vorläuferzellen können aplastische Anämie und aplastische Krisen bei hämolytischen Anämien und chronische Anämien bei Immundefizienten sein.

Bei Immungesunden kann eine Infektion mit Parvovirus B19 zu anhaltenden Arthralgien führen. Vereinzelt wurde auch über eine Myokarditis berichtet.

Intrauterine und perinatale Infektionen Eine Infektion in der Schwangerschaft kann zum Frühabort oder intrauterinen Kindstod führen. Hinweise auf ein wesentliches teratogenes Potenzial des Virus gibt es nicht. Die Infektion des ungeborenen Kindes erfolgt diaplazentar mit einem noch nicht bekannten kindlichen Erkrankungsrisiko von 5–20% (Abort mit und ohne Hydrops fetalis, Maximum im 1. und 2. Trimenon).

Diagnostik

Das B19-Virus ist bisher nur in primären Knochenmarkzellen oder fetalen Leberzellen züchtbar. IgM-Antikörper treten zusammen mit dem Exanthem in 80% auf, IgG ist 1 Woche später im ELISA nachweisbar. Fehlende IgM-Antikörper schließen eine frische Infektion nicht immer aus. Der Nachweis von Virus-DNA ist in Serum, Leukozyten, respiratorischen Sekreten, Urin, Fruchtwasser und Geweben möglich. Die PCR ist gut etabliert.

Differentialdiagnose Differenzierungsmaßnahmen

Hydrops fetalis durch andere intrauterinen Infektionen (Zytomegalievirus) Virologische Diagnostik pränatal

Hydrops fetalis durch nicht-infektiöse Ursachen (z. B. Rh-Inkompatibilität) Labordiagnostik pränatal

Röteln Virologische Diagnostik, keine ausgeprägten retroaurikulären Lymphknoten

Therapie und Prophylaxe

Eine antivirale Therapie ist nicht möglich und ein Impfstoff nicht verfügbar. Die Möglichkeit einer postexpositionellen passiven Immunisierung ist nicht ausreichend untersucht.

Komplikationen Bei postnataler Infektion Immungesunder bis auf Arthralgien an Handgelenken und Knien selten. Die intrauterine Infektion mit Hydrops fetalis muss schnell diagnostiziert werden, da mit intrauteriner Austauschtransfusion beim Kind wirksam therapiert wird. Erfolgreiche Behandlung der Anämie führt rasch zum Rückgang des Hydrops und zur Geburt gesunder Kinder. Aplastische Krisen bei Patienten mit hämatologischen Grunderkrankungen.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Übertragungsursache: Tröpfcheninfektion mit Parvovirus B19

  • Wichtigstes Symptom: Exanthem bei Erythema infectiosum

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Antikörpernachweis

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: keine Therapie bekannt, intrauterine Austauschtransfusion

13.5.11. Hepatitis-B-Virus

Siehe auch Kapitel 15.6.4.

Beschreibung und Einteilung Die Familie der Hepadnaviridae umfasst im einzigen Genus Hepadnavirus ein menschenpathogenes und mehrere tierpathogene Hepatitisviren. Das Hepatitis-B-Virus ist in Zellkulturen nicht züchtbar.

HBV ist neben dem Menschen (einziges natürliches Reservoir) nur für nichthumane Primaten infektiös. Durch den Einsatz molekulargenetischer Methoden konnten virale Gene exprimiert und für die Entwicklung von Impfstoffen eingesetzt werden. Hepadnaviren (Abb. 13.36 ) sind membranumhüllte Partikel.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Hepatitis-B-Viren (Vergrößerung × 200 000).

HBV enthält eine teilweise doppelsträngige DNA von ca. 3,2 kb. Hepadnaviren sind evolutionär mit Retroviren verwandt, sie besitzen eine reverse Transkriptase (RT), die die prägenomische RNA in doppelsträngige, ins Wirtsgenom integrierbare DNA überführt. Integration ist aber nicht zwingend Voraussetzung für die Virusvermehrung.

MERKE

Die Hepatitis ist nicht Folge einer zytozidalen Virusvermehrung, sondern der antiviralen T-Zell-Antwort des Infizierten.

13.5.12. Hepatitis-D-Virus

Siehe auch Kapitel 15.6.4.

Beschreibung Es handelt sich um ein defektes, membranumhülltes Partikel von 36–42 nm Durchmesser. Es enthält einzelsträngige zirkuläre RNA und ist mit Protein-HDAg (Hepatitis-Delta-Antigen) komplexiert, das als einziges Genprodukt von der RNA kodiert wird. HDAg liegt in 2 Varianten vor (22 bzw. 24 kD), von denen die größere als Folge von RNA-Editing entsteht.

Das Delta-Antigen ist diagnostisch verwertbar. In die Membran sind Oberflächenproteine des Hepatitis-B-Virus (HBsAg) eingelagert, auf dessen Helferwirkung es angewiesen ist.

Epidemiologie Wie HBV wird das HDV parenteral übertragen. Es kommt in Deutschland nur selten vor, meist bei i.v. Drogensüchtigen. Für die produktive Vermehrung ist es auf die Koinfektion mit HBV angewiesen und erzeugt selten eine fulminante Hepatitis B. Bei Vorliegen von chronischer Hepatitis B entsteht häufig auch chronische Hepatitis D, die sehr oft zur Leberzirrhose führt. Etwa 5% aller HBs-Antigen-Träger sind auch mit HDV infiziert.

13.5.13. Hepatitis-E-Virus

Siehe auch Kapitel 15.6.4.

Beschreibung Das Hepatitis-E-Virus (HEV, Hepevirus) ist ein kleines sphärisches Partikel mit einzelsträngiger, linearer, positiv orientierter RNA. Vergleiche der Nukleotidsequenz zeigen bei moderater Heterogenität 4 große geographische Haupt- und mehrere kleinere Untergruppen. Serologische Unterschiede entsprechen dem nicht streng, es scheint nur 1 Serotyp zu existieren.

Epidemiologie, Symptome, Verlauf und Prognose HEV ist in Südostasien, im Mittleren Osten, in Afrika und Zentralamerika endemisch und wird fäkal-oral, meist durch kontaminiertes Trinkwasser, übertragen: Nach Übelkeit, Erbrechen und Fieber kommt es zur akuten ikterischen Phase, die im Allgemeinen folgenlos ausheilt. Tödliche Verläufe sind selten; bei Schwangeren aber mit bis zu 20% häufig.

13.5.14. Flaviviren

Beschreibung und Einteilung Flaviviren sind von einer Lipidmembran umhüllt und erscheinen als sphärische Partikel mit einem Durchmesser von 40–60 nm (Abb. 13.37 ). Sie sind durch organische Lösungsmittel und Detergenzien leicht zu inaktivieren.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Flaviviren (Vergrößerung × 130 000).

Die Familie enthält in den 3 Genera Flavivirus, Pestivirus (Haustiere wie Wiederkäuer, Schwein) und Hepacivirus (Hepatitis-C-Virus) über 70 für Mensch und Tier z. T. hochpathogene Viren. Viele der Viren sind sehr nahe verwandt (serologische Kreuzreaktionen).

Mit vielen hochpathogenen Flaviviren wird aus Sicherheitsgründen nur in Laboratorien der höchsten biologischen Sicherheitsstufe (L4) gearbeitet.

Epidemiologie Neben den eigentlichen humanpathogenen Flaviviren können ca. 50% aller bekannten Flaviviren zumindest vereinzelt Erkrankungen des Menschen hervorrufen. Bei Gelbfieber und Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) sind epidemiologisch die extrahumanen Reservoire entscheidend.

Infektionen (Tab. 13.31 ) treten endemisch und epidemisch mit großen Infektions- und Erkrankungszahlen auf. Die meisten Flaviviren werden durch Vektoren (Zecken, Moskitos) auf ihre natürlichen Wirte (Nager, Vögel, Schweine, Pferde und andere Vertebraten) und vereinzelt auf den Menschen übertragen, einige aber auch vektorfrei, z. B. durch Milch infizierter Tiere oder sogar durch direkten Kontakt mit infektiösem Material (wie das Omsker hämorrhagische Fieber).

Tab. 13.31

Humanpathogene Flaviviren

GenusViren/VektorVorkommenErkrankung
Flavivirus FSME/Zecke Ost- und Zentraleuropa, Skandinavien Unspezifische Symptome, Enzephalitis
Japanische B-Enzephalitis/Moskito Südostasien Unspezifische Symptome, Enzephalitis
Dengue/Moskito Trop. Amerika, Australien, Afrika, tropisches Asien Dengue-Fieber, 2 Formen (Exanthem und Arthralgie/hämorrhagisches Fieber)
Gelbfieber/Moskito Afrika, Südamerika Hämorrhagisches Fieber, Hepatitis
Hepatitis C/kein Vektor Ubiquitär (Europa: 0,2–7%) Parenteral übertragene Hepatitis

Frühsommer-Meningoenzephalitis Die durch Zeckenbiss ausgelöste („Tick-Borne“) Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist in Deutschland in Gebieten Bayerns und Baden-Württembergs endemisch. In Österreich, Tschechien, Russland, der Slowakei, dem Bereich des früheren Jugoslawien, der Schweiz, Frankreich, Schweden und Finnland kommt FSME häufiger vor. Die Übertragung erfolgt durch eine Zecke (Ixodes ricinus), daher die saisonale Begrenzung der Übertragung zwischen Frühjahr und Spätherbst. Die Zecken infizieren sich bei Mäusen (natürliches Reservoir) und anderen Wildtieren. Im Vergleich zu Borrelia burgdorferi sind weniger Zecken infiziert.

Dengue-Fieber Die 4 Dengue-Virus-Serotypen sind in Asien, Westafrika, Südamerika, in der Karibik und im Pazifik endemisch und werden durch Moskitos übertragen. Zu erwarten ist auch die zunächst sporadische Einschleppung in die USA und nach Europa im Rahmen von Klimaveränderungen (globale Erwärmung) und weiträumig intensivem Transportgeschehen. Mitte des 20. Jahrhunderts war die Eradikation von Aedes aegypti in Mittel- und Südamerika weit vorangeschritten. Nach Ende des Einsatzes von DDT kam es aber zur erneuten Besiedelung durch Moskitos. Durch Einschleppung asiatischer Dengue-Viren entwickelten sich große Epidemien. 1986 wurden in Amerika 88 000 (!) Fälle gemeldet. Die tatsächlich angenommene Zahl betrug 1986 ca. 2 Mio. Fälle; eine der letzten Epidemien in Peru umfasste 150 000 Infizierte. Ein extrahumanes Reservoir ist nicht bekannt.

Gelbfieber Gelbfiebervirus-Endemiegebiete liegen in Afrika und Südamerika im sog. Gelbfiebergürtel (Afrika: zwischen 15. nördlichem und 10.–15. südlichem Breitengrad; Südamerika von Panama bis zum 15. südlichen Breitengrad). Die Übertragung geschieht durch Moskitos (vor allem A. aegypti), wobei man urbanen (Übertragung Mensch – Mensch) und silvatischen Zyklus (Übertragung der Viren innerhalb von Affenpopulationen, aus denen der Mensch infiziert wird) unterscheidet. Der Mensch ist in den ersten 5 Tagen der Erkrankung virämisch. Urbanes Gelbfieber kommt derzeit weltweit praktisch nicht vor.

MERKE

Moskitos bleiben lebenslang infiziert und können die Infektion vertikal in der Mückenpopulation weitergeben; explosionsartige Epidemien sind daher weiter zu erwarten (Nigeria 1986 mit 10 000 Fällen und einer Letalität von 50%).

Pathogenese Die humanpathogenen Flaviviren werden nach den Kardinalsymptomen bzw. -syndromen in 4 Gruppen eingeteilt:

  • 1.

    Enzephalitis (z. B. FSME)

  • 2.

    Fieber, Arthralgie und Exanthem (z. B. Dengue-Fieber)

  • 3.

    hämorrhagisches Fieber (z. B. Gelbfieber)

  • 4.

    Hepatitis.

Symptome, Verlauf und Prognose

Die schwere Gelbfiebererkrankung ist gekennzeichnet durch abrupten Beginn (Inkubationszeit 3–6 Tage) mit Fieber, Myalgien, schwersten Kopfschmerzen, Lumbosakralschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Schleimhautblutungen. Die Pulsfrequenz ist trotz hohen Fiebers inadäquat niedrig (Faget-Zeichen, auch bei Typhus, Brucellose, Leptospirose [DD!], Ornithose, Mykoplasmenpneumonie und Lassa-Fieber). Später treten Nierenversagen, Ikterus und ZNS-Symptome auf. 20–50% versterben am 7.–10 Tag. Die Krankheitsverläufe können sehr unterschiedlich sein, von der asymptomatischen Infektion über den „banalen Infekt“ bis zur tödlichen Erkrankung.

Primär ZNS-Erkrankungen Bei 70% der FSME-Virus-Infizierten ist der Verlauf asymptomatisch; bei symptomatischer Infektion kommt es nach einer Inkubationszeit (5–14 Tage) zum typischen biphasischen Krankheitsgeschehen mit unspezifischen grippalen Symptomen. Die 2. Krankheitsphase (3 bis 10% der Infizierten) kann einen benignen meningitischen Verlauf nehmen, aber auch als meningomyeloenzephalitische Form auftreten.

Die Letalität beträgt in Westeuropa ca. 1–2%; Defektheilungen kommen vor (10–20%). Dagegen ist die Letalität der russisch-asiatischen Form offenbar höher (bis 20%), ebenso die Rate der Defektheilungen (30–60%).

Das klinische Bild vieler Flavivirusenzephalitiden hängt vom Alter des Erkrankten ab. Kleinkinder leiden häufig nur unter hohem Fieber mit Krampfanfällen. Beim Erwachsenen können Krämpfe und zerebrales Koma auftreten (prognostisch ungünstig). Die Erkrankungen verlaufen nicht selten zweigipflig. Bei leichteren Verläufen ist die klinische Abgrenzung zur Enterovirusmeningitis nicht möglich.

Primär gastrointestinale Erkrankungen Siehe auch Kapitel 15.6.4.

1989 wurde der in Schimpansen experimentell propagierte Erreger einer Non-A-non-B-Hepatitis durch molekulargenetische Expression zugänglich zur weiteren Charakterisierung und Bereitstellung diagnostisch verwertbarer Reagenzien. Das als Hepatitis-C-Virus (HCV) bezeichnete Agens ist im Serum Infizierter oft mit Lipiden oder Antikörpern komplexiert. Es wird überwiegend parenteral durch Blut und Blutprodukte verbreitet – mit hoher Prävalenz bei den i.v. Drogenabhängigen. Sexuelle und Mutter-Kind-Übertragungen sind möglich, aber selten. In Deutschland gibt es ca. 5000 Neuinfektionen/Jahr bei 200 000–400 000 chronisch HCV-Infizierten. Die Infektion führt nur in 25% zur klinischen, meist milden Symptomatik und Erhöhung der GOT/GPT-Leberenzyme – sie wird

aber > 70% persistent. Der chronisch HCV-infizierte Patient bleibt häufig über Jahrzehnte symptomlos, aber ist als Virusträger potenziell infektiös. Die chronische Infektion kann zu Leberzirrhose und Leberkarzinom führen.

Primäre Erkrankungen des Bewegungsapparates Die Dengue-Virus-Infektion führt nach einer Inkubationszeit (5–8 Tage) zu Fieber, schwersten Arthralgien und Myalgien (lumbal betont), Kopfschmerzen und ab dem 3. Tag zum Exanthem (u.U. vesikulär). Die Prognose ist insgesamt gut. Tritt bei der hämorrhagischen Verlaufsform in einer 2. Krankheitsphase ein Schock mit Organversagen auf, sterben die Patienten oft.

Diagnostik

Die Laboruntersuchungen zeigen Thrombopenie und Leukopenie.

  • Antikörperbestimmungen: kann serologisch mittels KBR, HHT oder auch mit ELISA durchgeführt werden. Der Nachweis spezifischer IgM-Antikörper kann auch hier bei der Bestimmung des Infektionszeitpunkts hilfreich sein, umso mehr, als eine Serokonversion häufig frühzeitig auftritt und so schwer erfassbar ist. Ein diagnostisches Problem liegt in der serologischen Kreuzreaktion vieler Flaviviren.

  • Virusisolierung: Je nach Flavivirus ist eine Isolierung z. B. aus dem Blut in Zellkulturen (von Vertebraten oder Insekten) oder in Versuchstieren, zwar nicht schwer, problematisch ist die Sicherheit im Labor.

  • Nachweis viraler Genome: RT-PCR weist quantitativ HCV-RNA nach und damit die aktive Infektion.

HCV-spezifische Antikörper beweisen eine akute oder chronische, evtl. auch ausgeheilte Infektion. Der Nachweis von HCV-Genomen zeigt eine frische Infektion, aber auch chronische Carrier-Zustände mit Virusreplikation an; bei ausgeheilten HCV-Infektionen wird die PCR negativ. Die akute HCV-Erkrankung ist meldepflichtig.

Therapie und Prophylaxe

Therapie der chronischen HCV-Infektion durch Kombination von pegylierten alpha-Interferonen mit Nukleosidanaloga (Kap. 15.7.4).

Durch Untersuchung von Blut- und Organspendern, ggf. auch von Angehörigen von Hochrisikogruppen auf HCV-Antikörper kann die Verbreitung des Virus eingeschränkt werden.

Die symptomatische Therapie (Analgetika bei Arthralgien) ist möglich. Impfungen sind nur gegen Gelbfieber, FSME und die Japanische Enzephalitis verfügbar. Ein Impfstoff gegen Dengue-Virus müsste alle 4 Serotypen erfassen, da Teilimmunität gegen nur 1 Typ negative Auswirkungen (Immunenhancement) bei Wildvirusinfektion mit einem weiteren Serotyp haben kann.

Komplikationen Bei Dengue-Fieber kommt es v. a. bei sequentieller Infektion durch verschiedene Serotypen zu schweren Krankheitsverläufen.

13.5.15. Bunyaviren (Hantaviren)

Beschreibung und Einteilung Die weltweit verbreiteten Bunyaviren sind eine sehr große und pathogenetisch heterogene Virusfamilie mit großer medizinischer Bedeutung (Tab. 13.32 ). Bunyaviren sind sphärische, oft auch pleomorphe, membranumhüllte RNA-Viren mit 80–120 nm Durchmesser und helikalem Nukleokapsid. Das virale Genom besteht aus 3 linearen Segmenten L, M, S, wodurch genetische Reassortanten bei Mischinfektionen entstehen können.

Tab. 13.32

Humanpathogene Bunyaviren

GenusSerogruppe/VirusVorkommenErkrankung/Letalität
Bunyavirus Bunyamwera
LaCrosse
California-Enzephalitis
Zentralafrika
Nördl. USA
USA
Fieberhafte Allgemeinerkrankungen mit Meningitis/Enzephalitis; Letalität ca. 1%, aber 6–10% Defektheilungen (Epilepsie)
Tahynja Europa Fieber, Meningitis
Hantavirus Hantaan
Puumala
Seoul
Asien
Skandinavien
Korea
Hämorrhagisches Fieber mit Renalem Syndrom, Nierenversagen; Letalität je nach Virus < 1–10%
Sin-Nombre-Virus 1993 USA Schwere pulmonale Infektion; Letalität 50%
Nairovirus Crimean-Congo HF Asien, Europa Hepatitis, hämorrhagisches Fieber; Letalität 10–50%
Phlebovirus Sandmückenfieber
Phlebotomus
Toskana
Europa
Neapel, Sizilien
Toskana
Fieberhafte Allgemeinerkrankungen, selten Meningitis
Rift Valley Fever Ostafrika, Ägypten Fieber, Enzephalitis, hämorrhagische Retinitis

Epidemiologie Viele dieser Viren werden durch Insekten übertragen, die persistierend infiziert sind. Das Wirtsspektrum bei den Insekten ist meist eng, dagegen können viele Vertebraten (veterinärmedizinische Bedeutung) und der Mensch infiziert werden.

Das Hantaanvirus wurde während des Koreakrieges isoliert, als natürlicher Wirt wurde die Feldmaus Apodemus agrarius identifiziert. Die Übertragung auf den Menschen erfolgt durch Kontakt mit deren Ausscheidungen.

In Südeuropa, Asien und Nordafrika kommt das Sandmückenfiebervirus in 4 serologisch differenten Stämmen (u. a. Neapel und Sizilien) vor. Es wird von Phlebotomus pappataci übertragen, daher Pappataci-Fieber (Toskana-Virus).

Die Erkrankungen mit gutartigem Verlauf kommen v. a. im Frühsommer und Herbst vor.

Von zunehmender Bedeutung sind weit verbreitete Hantaviren, die auch in Mitteleuropa endemisch sind und zur benignen Nephropathia epidemica, aber auch zum akuten Nierenversagen mit hämorrhagischer Diathese führen können. Sie werden ohne Vektoren durch Aspiration getrockneten, virushaltigen Staubs übertragen (Kot und Urin von Mäusen). Weltweit sind verschiedene Virustypen mit jeweils engem Nagetier-Wirtsspektrum beschrieben:

  • Hantaanvirus (klassisches Koreanisches hämorrhagisches Fieber)

  • Seoul-Virus (mildere Verlaufsform)

  • Puumalavirus (Nephropathia epidemica)

  • Dobrava-Belgrad-Virus (Balkan: hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom [HFRS])

  • Sin-Nombre-Virus (USA: hämorrhagisches Fieber mit pulmonalem Syndrom [HFPS])

  • Prospect-Hill-Virus (USA, keine Krankheitsfälle).

In Europa liegt die Seroprävalenz je nach Region und Risiko (Land- und Waldarbeiter) bei 1–30% mit deutlicher Betonung des männlichen Geschlechts. In Deutschland (z. B. Schwäbische Alb, 2007 > 1000 Fälle) ist die milde Form mit Nephropathia epidemica mit einer Seroprävalenz von 1–4% vertreten. Auf dem Balkan sind die Puumalaform und die asiatische Form (Typ Hantaan und Seoul) beobachtbar. In den USA kam es 1992/1993 zum Ausbruch eines HFPS, verursacht durch das hier erstmals beschriebene Sin-Nombre-Hantavirus. Über 350 weitere Fälle mit einer Letalität von 45% wurden 1997 aus den USA und Südamerika berichtet.

Pathogenese In mehreren Genera finden sich viele humanpathogene Viren, die für die Tropenmedizin (Reisemedizin) sehr bedeutsam sind. Die Viren dieser Familie verursachen fieberhafte, z. T. hämorrhagische Erkrankungen, Enzephalitiden und renale Syndrome. Grundlage der Pathogenese bei Puumalavirus ist der Befall von Gefäßendothelien, die direkt oder durch immunpathologische Vorgänge geschädigt werden.

Symptome, Verlauf und Prognose

Die in Deutschland bei Nagern nachweisbaren Hantavirusinfektionen (Puumala, Seoul, Dobrava) haben oft einen leichten Verlauf. Von schweren Verläufen sind dann v. a. Niere und Lunge betroffen. Häufig ergeben sich dabei eine interstitielle Nephritis und Thrombozytopenie infolge von Verbrauchskoagulopathie. Wird die Lunge zum Zielorgan – besonders ausgeprägt bei Sin-Nombre-Hantavirus-Infektionen –, stehen pulmonale Symptomatik, Lungenödem und Atemstresssyndrom im Vordergrund. Erkrankungen der Nieren und Harnwege Nach längerer Inkubationszeit (9–35 Tage) kommt es bei der durch den Puumalatyp ausgelösten Nephropathia epidemica, die meist leicht verläuft (Letalität < 1%) und nicht zu anhaltendem Nierenversagen führt, zu folgenden Stadien:

  • Stadium I (Tag 1–4): Fieber, Pharyngitis, Kopfschmerzen, Myalgien, Erythem

  • Stadium II (Tag 4–7): lumbale und abdominelle Schmerzen, Übelkeit, Oligurie, Thrombopenie

  • Stadium III (ab Tag 7): Niereninsuffizienz mit Proteinurie.

Beim schwerer verlaufenden Koreanischen hämorrhagischen Fieber (Hantaan oder Seoul) treten akutes Nierenversagen und Verbrauchskoagulopathie mit Thrombopenie hinzu. Es kommt zu ausgedehnten Blutungen, Myokarditis und im Zusammenhang mit der interstitiellen Nephritis zur Hypertonie. Wichtigste Differentialdiagnose (auch bzgl. Übertragung und Risikogruppen) ist die Leptospirose.

Diagnostik

Sie umfasst alle Aspekte des akuten Nierenversagens, ggf. bis hin zur Biopsie.

Über ELISA werden virusspezifische IgM- und IgG-Antikörper nachgewiesen. Die Zellkulturanzucht von Hantaviren aus Patientenmaterial ist schwierig, etwas leichter nach einer Passage im Nagetierhirn und gelingt am ehesten aus Urin. RT-PCR zum Nachweis gruppen- oder speziesspezifischer Genomanteile.

Differentialdiagnose Bunyaviren müssen beim Verdacht auf hämorrhagisches Fieber in die differentialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden. Die Differentialdiagnose des hämorrhagischen Fiebers umfasst die hämorrhagische Verlaufsform des Dengue-Fiebers, weiterhin das Lassa-Fieber, Filovirusinfektionen, die Hantavirusinfektionen, die Malaria, die Meningokokkensepsis, die Verotoxin-produzierenden Escherichia-coli-Stämme und die Leptospirose. Bei Verdacht auf importiertes hämorrhagisches Fieber ist unbedingt frühzeitig der öffentliche Gesundheitsdienst einzuschalten!

Therapie und Prophylaxe

Eine Therapie existiert nicht. Verdachts- und Erkrankungsfälle von Hantavirusinfektionen sollten wegen der Möglichkeit der Mensch-zu-Mensch-Übertragung isoliert werden. Bei HFRS Dialyse und Volumensubstitution, bei HFPS Atemunterstützung.

Der Kontakt mit Nagern und deren Ausscheidungen ist zu meiden. In Endemiegebieten: Kontrolle der spezifischen Nagetierpopulationen. Generell: Staub vermeiden und Tragen von Atemschutzmasken beim Reinigen von Räumen, die mit Exkrementen von Mäusen und Ratten belastet sind, evtl. Vorabdesinfektion.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Infektion durch Aspiration getrockneten, virushaltigen Staubs (Kot, Urin)

  • Wichtigste Symptome: häufig leichter Verlauf mit Fieber, Pharyngitis, Kopfschmerzen; bei schwereren Verläufen vor allem Niere und Lunge betroffen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Nachweis virusspezifischer IgM- und IgG-Antikörper per ELISA

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: symptomatisch

13.5.16. Filoviren (Marburg-Virus, Ebola-Virus)

Beschreibung Filoviren sind pleomorphe filamentöse, z. T. verzweigte oder ring- bzw. U-förmige, membranumhüllte RNA-Viren mit helikalem Nukleokapsid mit großer Heterogenität der Partikellängen (800–14 000 nm). In Zellkulturen vermehrte Partikel zeigten bei den beiden Spezies Marburg- und Ebola-Virus (Abb. 13.38 ) ein Maximum an Infektiosität für die „Einheitslänge“ von 860 bzw. 1200 nm.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Ebola-Virus (Vergrößerung × 22 000).

Epidemiologie 1967 kam es in Marburg, Frankfurt und Belgrad zu 31 Erkrankungen mit 7 Todesfällen. 25 der Betroffenen hatten sich direkt bei der Betreuung von Grünen Meerkatzen aus Zentralafrika oder im Labor infiziert. Es gab auch 6 Mensch-zu-Mensch-Übertragungen, davon 1 durch sexuellen Kontakt mit einem bereits Genesenen. Alle Sekrete von Infizierten sind virushaltig – andererseits gibt es keine Hinweise auf eine Übertragung durch Aerosole oder Insekten. Das Marburg-Virus führte noch zu weiteren kleinen Ausbrüchen. 1976 verursachte dann in Sudan und Zaire/Kongo das verwandte Ebola-Virus (ZEBOV) erstmals 2 Ausbrüche mit über 600 Erkrankten und einer Letalität von > 60%. Ein Großteil dieser Infektionen muss auf unzureichende Hospitalhygiene zurückgeführt werden. Die nächsten größeren, ebenfalls nosokomialen Ebola-Ausbrüche ereigneten sich 1995 und 1996 in Zaire und Gabun mit insgesamt über 400 Erkrankten und > 70% Letalität, ein weiterer (1994) an der Elfenbeinküste (CIEBOV) und ein weiterer vom Typ Sudan (SEBOV) im Jahr 2000 in Uganda. Endemiegebiete scheinen an den Regenwaldgürtel Afrikas gebunden zu sein. Ein natürlicher Wirt ist nicht bekannt. Zur Epidemiologie der humanen Infektion ist wenig bekannt. Alle Ausbrüche scheinen auf die Erkrankung einer Einzelperson zurückführbar. Serologische Untersuchungen zeigten, dass Goldwäscher in Gabun und Landarbeiter in Zaire im ELISA-Test Antikörper aufweisen (ca. 10%). Es scheint also, dass Ebola-Infektionen in bestimmten ländlichen Gebieten Afrikas vermutlich mit nichtpathogenen Virusstämmen relativ häufig auftreten.

Pathogenität Offensichtlich sind nicht alle Filoviren für den Menschen pathogen: So wurde 1989 und 1990 in den USA und 1992 in Italien in mehreren Affentransporten aus den Philippinen das Ebola-Reston-Virus (REBOV) entdeckt. Die Transporte waren durch ihre hohe Zahl verendeter Tiere aufgefallen. Das Pflegepersonal entwickelte zum Teil REBOV-spezifische Antikörper als Zeichen einer asymptomatisch überwundenen Infektion mit diesem asiatischen Filovirus.

Symptome, Verlauf und Prognose

Die Erkrankung (hämorrhagisches Fieber) befällt nach einer mittleren Inkubationszeit von 5 Tagen (3–16) zunächst die Leber und kann fast alle Organe betreffen. Bei den schweren, meist tödlichen Verläufen stehen am Ende Blutungen, intravasale Gerinnungsstörungen und ZNS-Symptome.

Diagnostik

Meist wird die Verdachtsdiagnose klinisch und aufgrund der epidemiologischen Situation gestellt. Die virologische Diagnostik ist weltweit nur in einigen Laboratorien möglich.

  • Virusnachweis: mit Beginn der Erkrankung elektronenoptisch und durch Immunfluoreszenz (Gewebe) in Blut, Sekreten, Exkreten und Geweben. Die Isolierung ist in der Zellkultur und im Meerschweinchen möglich (Hochsicherheitslabor L4).

  • Antikörpernachweis: IgM- und IgG-Antikörper lassen sich mittels Immunfluoreszenz und ELISA nachweisen, die Ergebnisse durch Westernblot und Immunpräzipitation bestätigen.

Therapie und Prophylaxe

Ausreichende Überwachung und Quarantäne von Affentransporten sind nötig. Die nosokomiale Ausbreitung von Filovirus-Infektionen des Menschen wird durch gute Krankenhaushygiene verhindert. Kontaktpersonen sollten 17 Tage beobachtet, fieberhaft Erkrankte strikt im Einzelzimmer gepflegt werden.

Eine spezifische Therapie ist noch nicht möglich.

ZUSAMMENFASSUNG

Mit Ausnahme des Ebola-Reston-Virus sind Filoviren für den Menschen hochpathogen (Hochsicherheitslabor L4 entsprechend WHO-Stufe 4). Bei Verdacht auf hämorrhagisches Fieber sollten sofort die Gesundheitsbehörden eingeschaltet werden.

13.5.17. Arenaviren (Lassavirus)

Beschreibung und Einteilung Die Familie der Arenaviridae besitzt nur das Genus Arenavirus.

Es handelt sich um membranumhüllte, sphärische oder pleomorphe RNA-Viren mit 62–200 nm Durchmesser und helikalem Nukleokapsid. Arena – lat. Sand – beschreibt das körnige Aussehen, das durch im Partikel artifiziell mitverpackte Ribosomen der Wirtszelle entsteht.

Epidemiologie Die Inzidenz von Lassa-Fieber in Westafrika von 1–100/1000 Einwohner, je nach lokaler Situation, hängt vom Vorhandensein persistent infizierter Nager in direkter Umgebung des Menschen (Häuten von Ratten zum Verzehr, Kontakt von Rattenurin mit Hautverletzungen) ab. Übertragungen von Mensch zu Mensch (auch nosokomial) sind möglich, diese Infektionen sind meist kurz. Man rechnet mit bis zu 300 000 Lassa-Fällen in Westafrika/Jahr und ähnlich vielen asymptomatischen Infektionen. Die Fallzahlen beim Argentinischen hämorrhagischen Fieber schwanken mit 100–4000/Jahr. Alle Arenaviren bilden stabile infektiöse Aerosole.

Pathogenese Zur Familie gehören mehrere hochpathogene Viren (Lassa-Virus, Machupo-Virus, Junin-Virus, Tab. 13.33 ) und das weniger pathogene Virus der lymphozytären Choriomeningitis LCM. Die Viren verursachen in den natürlichen Wirtstieren (Hamster, Maus, Ratte) häufig persistierende Infektionen mit chronischer Virämie und Virurie und werden so auf den Menschen übertragen (z. B. durch kontaminierte Nahrung oder bei der Ernte).

Tab. 13.33

Humanpathogene Vertreter des Genus Arenavirus (Modifiziert nach: McCormick)

VirusVorkommenÜbertragungErkrankung/SymptomatologieManifestationsrate (%)Letalität (%)
LCM Westl. HemisphäreEuropa Nager–Mensch Fieber, Meningitis Myalgie, Leukopenie 65 < 1
Lassa Westafrika Nager–MenschMensch–Nager Fieber, Hämorrhagie Enzephalopathie, Pharyngitis, Nephropathie, Schock, Pleuritis 10–25 4–16
Junin Argentinien Nager-Mensch (Erntemaschine) Fieber, Hämorrhagie, Erythem, Ataxie, Knochenmarkdepression, Schock 66 10–16
Machupo Bolivien Nager–Mensch Ähnlich wie Junin 100? 15

Die Arbeiten mit pathogenen Arenaviren müssen in Laboratorien der höchsten biologischen Sicherheitsstufe erfolgen (L4).

Symptome, Verlauf und Prognose

Bei Lassa handelt es sich um eine systemische Infektion mit Befall aller Organsysteme. Nach einer Inkubationszeit (7–18 Tage) beginnt die Erkrankung langsam und unspezifisch mit steigendem Fieber, lumbal betonten Myalgien und Gelenkbeschwerden. Am 3.–4. Tag setzt bei 75% trockener Husten mit heftigen Halsschmerzen und schwerer Pharyngitis mit gelblichem Belag ein, gefolgt von heftigen frontalen Kopfschmerzen, Thoraxschmerzen und abdominellen Krämpfen. Das Auftreten einer hämorrhagischen Konjunktivitis und eines Gesichts- und Nackenödems ist prognostisch ungünstig. Es kann zum Schock kommen, Nierenversagen ist häufig. Der Tod oder die Wende in der Erkrankung ist zwischen der 2. und 3. Krankheitswoche zu erwarten. Als prognostische Laborparameter können das schwer zu bestimmende Ausmaß der Virämie und der Anstieg der GOT herangezogen werden. Bei Kindern beträgt die Letalität 12–14%, bei Schwangeren ist die Prognose besonders ungünstig.

ZNS-Erkrankungen Die LCM verläuft recht häufig asymptomatisch (35%); die Erkrankung beginnt nach längerer Inkubationszeit (1 bis mehrere Wochen) grippeähnlich und kann in der 2. Krankheitsphase zur prognostisch günstigen aseptischen Meningitis mit mäßiger lymphozytärer Pleozytose führen. Nur selten entsteht eine schwere Meningoenzephalitis. Leukopenie, Thrombopenie, Hepatitis und andere Organmanifestationen sind möglich.

Diagnostik

Klinische und apparative neurologische Diagnostik müssen je nach Symptomatologie durchgeführt werden.

  • Virusnachweis: Die Virusisolierung (Sicherheitslabor) ist in Zellkulturen, saugenden Mäusen und Meerschweinchen aus dem Blut Erkrankter vom 1.–20. Krankheitstag möglich. Bei Lassa-Fieber ist auch die PCR-Diagnostik erfolgreich.

  • Antikörpernachweis: Ab dem 3. Krankheitstag ist der Nachweis spezifischer IgM- und IgG-Antikörper durch ELISA oder Immunfluoreszenz möglich.

Differentialdiagnose Siehe Bunyaviren.

Therapie und Prophylaxe

Vermeiden von Kontakt mit infizierten Nagetieren (Kontrolle von Laboratoriumstierzuchten auf LCM; Lassa: Verzicht auf Ratten als Nahrungsmittel; Junin: Schutz vor virushaltigem Staub bei der Maisernte). Bereits bei Lassa-Verdacht sollte eine Chemotherapie mit Ribavirin, möglichst i.v., eingeleitet werden. Bei Therapiebeginn innerhalb der ersten 6 Krankheitstage kann man die Letalität bei oraler Gabe um den Faktor 3 und bei i.v. Gabe um den Faktor 10 senken. Eine deutliche Besserung des Verlaufs ist bei Lassa-Fieber und bei den südamerikanischen Formen des hämorrhagischen Fiebers durch hoch dosierte i.v. Gabe von Rekonvaleszentenserum möglich.

Komplikation Häufigkeit

Perikarditis 20%

Schwere Blutungen 15–25%

Enzephalopathie mit Schädigung des VIII. Hirnnervs (Taubheit) Häufig

ZUSAMMENFASSUNG

  • Wichtigste Symptome: zunächst unspezifisch mit trockenem Husten, heftigen Halsschmerzen und schwerer Pharyngitis

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Virusnachweis

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: bereits bei Lassa-Verdacht Chemotherapie mit Ribavirin, Isolierungsmaßnahmen

13.5.18. Poxviren

Beschreibung und Einteilung Es handelt sich um die größten bekannten Viruspartikel mit äußerst komplexer Struktur, die sie morphologisch von allen anderen Viren unterscheidet. Sie sind quaderförmig mit z. T. deutlich erkennbaren, oft tubulären Oberflächenstrukturen. Extrazelluläre Virionen haben eine zusätzliche äußere Membran, in der virale Proteine verankert sind. Beide Partikel sind infektiös. Als Gesamtgröße ergeben sich Abmessungen von 270 × 350 bis 160 × 190 nm.

Die Vermehrung findet nur im Zytoplasma statt. Daher müssen alle Enzyme und Faktoren zur Replikation und Transkription nicht nur viral kodiert, sondern auch im infizierenden Partikel vorhanden sein und in die Zelle eingeschleust werden. Der Zusammenbau erfolgt in sog. Virusfabriken, bestimmten Arealen im Zytoplasma.

Die Subfamilie der Chordopoxviridae besitzt 8 Genera, von denen 4 humanpathogene Viren enthalten:

  • 1.

    Orthopoxvirus: Variolavirus, Vacciniavirus, Affenpockenvirus, Kuhpockenvirus

  • 2.

    Parapoxvirus: Orf-Virus, Melkerknotenvirus

  • 3.

    Molluscipoxvirus: Molluscum-contagiosum-Virus

  • 4.

    Yatapoxvirus: Der Name ist ein Kunstwort aus Yaba (Yaba Monkey Tumor Virus) und Tana (Tana River Valley, Kenia).

Epidemiologie Ursprünglich aus Asien eingeschleppt, waren die humanen Pocken (Variola major) etwa seit dem 15. Jahrhundert auch in ganz Europa endemisch. Die Infektion wurde aerogen über den Oropharynx übertragen, das Virus war hochkontagiös, die Manifestationsrate hoch. Die Letalität lag bei 20–30%.

Das Affenpockenvirus (MPXV) kommt in West- und Zentralafrika in Affen- und Baumhörnchenpopulationen vor. Der Mensch ist durch Tierkontakte infizierbar und erkrankt mit einem Variola-ähnlichen Bild. Zwischen 1970 und 1986 wurden ca. 400 Fälle von Affenpocken beim Menschen beschrieben. 1996/1997 kam es in Kongo/Zaire zum größeren Ausbruch mit über 500 Erkrankungen.

Das Molluscum-contagiosum-Virus ist ubiquitär und wird durch direkten Kontakt (ggf. Sexualkontakt) von Mensch zu Mensch übertragen.

MERKE

Die Welt ist frei von humanen Pocken!

In bislang einmaliger Initiative gelang es der WHO, die Pocken als erste und einzige Infektionskrankheit durch konsequente Impfung von 1958–1977 weltweit auszurotten (letzter Pockenfall am 26. Oktober 1977, feierliche Erklärung der WHO am 8. Mai 1980).

Die Pocken waren mit Pest und Cholera eine der 3 gefürchtetsten Menschheitsseuchen. Leider eignet sich Variola major als biologischer Kampfstoff, und es bleibt zu hoffen, dass es nicht zur Rückkehr des Erregers kommt.

Symptome, Verlauf und Prognose

Alle humanpathogenen Chordopoxviridae verursachen Hautmanifestationen, die bei Variola major generalisiert auftraten, begleitet von schwerer systemischer Infektion.

Die Affenpocken verlaufen beim Menschen ähnlich, meist mit viel ausgeprägterer Lymphadenopathie. Beim Ausbruch 1996/1997 in Kongo/Zaire waren von 511 Erkrankungen ca. 80% durch sekundäre Mensch-zu-Mensch-Infektionen verursacht. Das Virus kann sich offenbar für begrenzte Zeit in der fremden Spezies Mensch ausbreiten. Andererseits war die Rate an Todesfällen unter den Infizierten mit 1,5% viel niedriger als die noch in den 80er Jahren beobachtete Rate von 10%, so dass die WHO zurzeit eine Wiederaufnahme der auch vor Affenpocken schützenden Vakzinierung ablehnt.

Haut- und Schleimhauterkrankungen Das Molluscum contagiosum (Dellwarze) ist eine harmlose, auf den Menschen beschränkte Infektion der Epidermis, die höchstens kosmetisch bedeutsam ist. Nach einer Inkubationszeit (1–30 Wochen) wachsen meist multiple, wachsfarbene Papeln von 3–8 mm Durchmesser heran, die bindegewebig gut abgegrenzt sind und nach 2–12 Monaten spontan zurückgehen. Die voll ausgebildeten Knötchen haben zentral eine Pore, aus der sämiges, weißliches Material ausgepresst werden kann. Dieses enthält die elektronenoptisch nachweisbaren Viren. Sehr häufig erkranken Kinder und Immunsupprimierte (AIDS). Die Übertragung, auch Autoinokulation, erfolgt durch direkten Kontakt oder durch gemeinsame Handtuchnutzung. Bei Kindern findet man die Veränderungen meist im Gesicht und an den Extremitäten, bei Erwachsenen angesichts der sexuellen Übertragung am Genitale und dessen Umgebung. Dellwarzen mit längerer Persistenz werden mittlerweile häufig bei AIDS-Patienten beobachtet.

Melkerknotenvirus (Kuh) und Orf-Virus (Schaf) sind primär tierische Poxviren, mit denen sich andere Tierspezies und – meist bei beruflicher Exposition – auch Menschen infizieren können. Kuhpocken- und Melkerknotenvirus (beide sind nicht antigenverwandt) werden von Tieren durch direkten Kontakt auf den Menschen übertragen. Betroffen sind meist die Hände, wobei das Kuhpockenvirus vesikuläre Veränderungen, das Melkerknotenvirus derbe, oft geschwürig zerfallende Knoten verursacht. Allgemeinsymptome und Lymphangitis sind bei den Kuhpocken häufiger.

Diagnostik

Bei klinischem Verdacht kann der Erreger leicht elektronenmikroskopisch als Quadervirus aus der Vesikelflüssigkeit dargestellt werden. Vaccinia-, Affen- und Kuhpockenvirus lassen sich gut auf der Chorioallantoismembran anzüchten und differenzieren.

Der Nachweis von Dellwarzen bei Erwachsenen ist ungewöhnlich und weist auf eine Störung der Immunabwehr hin; ggf. sollte eine HIV-Infektion ausgeschlossen werden.

Therapie und Prophylaxe

Keine spezifische antivirale Therapie bekannt. Die Pockenimpfung gegen Variola major ist nach Ausrottung der humanen Pocken weltweit ausgesetzt worden.

ZUSAMMENFASSUNG

Die Pocken waren eine der großen Menschheitsseuchen und stellen die 1. Infektionskrankheit dar, die durch den Menschen weltweit ausgerottet wurde.

13.5.19. Papillomaviren und Polyomaviren

Beschreibung und Einteilung Die ehemalige Familie der Papovaviridae (Abb. 13.39 ) wurde in 2 selbstständige Virusfamilien aufgeteilt, die Papillomaviridae (Durchmesser 55 nm, Genom 8 kb) und Polyomaviridae (Durchmesser 45 nm, Genom 5 kb). Es handelt sich bei beiden um nackte, ikosaedrische Partikel mit doppelsträngiger zirkulärer, superhelikaler DNA. Einige tierische Papillomaviren induzieren Tumoren, v. a. wenn sie in Spezies inokuliert werden, die nicht natürliche Wirte sind.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Papovaviridae (Vergrößerung × 180 000).

Epidemiologie Die Vermehrung der Papillomaviren in konventionellen Zellkulturen ist nicht möglich und eine typenspezifische Serologie war nicht möglich. Lange war dagegen bekannt, dass sie übertragbare Warzen des Menschen verursachen (Abb. 13.40 ).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Über dem Grundgelenk des rechten Mittelfingers ein ca. 1 × 1,5 cm großer, derber, keratotischer Tumor mit verruköser Oberfläche und punktförmigen Hämorrhagien, verursacht durch Papillomaviren.

(Aus: Rassner, 2002)

Erst die molekulare Genetik ermöglicht pathogenetische Untersuchungen und molekulare Epidemiologie. Die Papillomavirustypen sind so als Genotypen definiert (< 50% Sequenzhomologie = neuer Typ). Bisher unterscheidet man > 100 HPV-Genotypen, die vielfach den Krankheitsbildern zugeordnet werden können.

Polyomaviren sind in Form einer latenten Infektion bei den meisten Menschen vorhanden.

Pathogenese Humane Papillomaviren (HPV) verursachen persistierende Infektionen. Die ätiologische Beteiligung bestimmter HPV-Typen an der Entstehung anogenitaler Malignome ist gesichert.

Die primäre Infektion mit den Polyomaviren BKV und JCV bleibt meist unerkannt. Sie verläuft häufig als milder respiratorischer Infekt und führt bei BKV zur Latenz in der Niere, während das eher neurotrope JCV im ZNS – weniger ausgeprägt auch in der Niere – latent wird.

Symptome, Verlauf und Prognose

Asymptomatische Primärinfektionen mit Polyomaviren sind die Regel und mit Papillomaviren sehr häufig.

Haut- und Schleimhauterkrankungen Warzen entstehen nach relativ langer Inkubationszeit durch produktive Virusinfektion mit HPV in den Epithelzellen, wobei die Virusvermehrung an Differenzierung und Keratinisierung der Zellen gebunden ist. Die normalen Hautwarzen sind eine selbstlimitierende Erkrankung. Die seltene, familiär gehäuft auftretende Epidermodysplasia verruciformis, assoziiert mit HPV 20 und 36, zeigt beetartig verschiedene Warzenformen, die in 30–60% in ein Plattenepithelkarzinom übergehen.

HNO-Erkrankungen Die juvenile Larynxpapillomatose (HPV 6, 11) ist eine hartnäckige und gefürchtete Erkrankung, die möglicherweise auf einer Infektion im infizierten Geburtskanal der Mutter beruht.

ZNS-Erkrankungen Die durch JCV bedingte progressive multifokale Leukoenzephalopathie (PML) tritt bei schwer Immunsupprimierten (maligne Lymphome, v. a. Morbus Hodgkin, AIDS, Transplantationspatienten) auf und spielt eine Rolle in der Differentialdiagnose der zerebralen Non-Hodgkin-Lymphome und anderer demyelinisierender Erkrankungen (multiple Sklerose, Lupus erythematodes mit ZNS-Befall). Es kommt an mehreren Orten zu Herden, die meist keine Verdrängungserscheinungen verursachen, aber zu großen Entmarkungsherden zusammenfließen können. Die Patienten zeigen zunehmende Wesensveränderungen und kognitive Störungen, die Erkrankung führt 6 Monate nach den ersten neurologischen Ausfällen zum Tode.

Weitere Erkrankungen Schwere Immundefekte können zur Virurie und Zystitis durch BKV führen.

Papillomavirusinfektionen führen zu spitzen Kondylomen (HPV 6, 11, 42 u. a.) und intraepithelialen Dysplasien der Cervix uteri und der Vagina (HPV 6, 11, 16). Vergleichbare Dysplasien sind auch am Penis möglich.

Diagnostik

Warzen und Kondylome werden klinisch leicht erkannt. Anders HPV-assoziierte Präkanzerosen, die als Epitheldysplasien charakteristische zytologische Veränderungen im Abstrichpräparat ergeben (Abb. 13.41 ). Hier können DNA- und RNA-Hybridisierung hinweisend auf latente oder aktive Infektion durch bestimmte HPV-Typen sein.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Koilozyten (große ballonierte Zellen) im Zervixabstrich als Zeichen einer HPV-Infektion.

(Dankenswerterweise zur Verfügung gestellt durch Herrn Dr. Herting, Wuppertal).

Eine PML wird zunächst nach Kernspintomographie vermutet und virologisch durch JCV-PCR im Liquor oder sicherer im Biopsat durch PCR oder Elektronenmikroskopie diagnostiziert.

BKV-Infektionen sind häufig mit Nierenerkrankungen assoziiert und werden durch PCR leicht und spezifisch im Urin nachgewiesen, so dass eine Partikelisolierung entbehrlich ist.

Therapie und Prophylaxe

Lokale Maßnahmen bei noch nicht maligne transformierten HPV-Manifestationen. Warzen und Papillome neigen zur spontanen Rückbildung. Neben Kürettage und Laser- bzw. Kryotherapie ist die lokale Anwendung von 5-Fluorouracil und Interferon möglich. Bei juvenilen Larynxpapillomen und Genitalkondylomen sind Therapieversuche mit Interferon und ggf. Cidofovir angezeigt. Impfstoffe gegen 4 HPV-Genotypen werden seit 2006 zur Prophylaxe des Zervixkarzinoms erstmalig eingesetzt und sind von der STIKO zur allgemeinen Anwendung bei Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren empfohlen.

Bei PML kann die niedrig dosierte Chemotherapie mit Cytosinarabinosid zum Rückgang der Symptome führen, aber nur bei relativ intakter zellvermittelter Immunität. Bei Transplantierten mit PML ist daher die therapeutische Immunsuppression zurückzunehmen – die Prognose der PML bleibt insgesamt schlecht.

Komplikationen Die kausale Assoziation bestimmter HPV-Genotypen (z. B. HPV 16, 18, insgesamt 40 HPV-Genotypen von der Cervix nachgewiesen) mit weiblichen Genitalkarzinomen hat dazu geführt, dass die HPV-Diagnostik mehr Eingang in die Vorsorgeuntersuchung bei der Frau gefunden hat. Der Nachweis von HPV-Genotypen der Hochrisikogruppe führt zumindest zur engmaschigen Kontrolle oder zum aktiven Vorgehen bei gleichzeitigen zytologischen Veränderungen.

ZUSAMMENFASSUNG

Papillomaviren und Polyomaviren haben große Bedeutung als Tumorviren und als Krankheitserreger bei immunsupprimierten Patienten.

13.5.20. Rhabdoviren (Tollwutvirus)

Beschreibung und Einteilung Rhabdoviren sind membranumhüllte RNA-Viren mit geschossähnlicher Morphologie (bullet-shaped viruses). Die Abmessungen der Partikel variieren stark für die humanpathogenen Genera Vesiculovirus (45–100 nm Durchmesser und 100–430 nm Länge) und Lyssavirus (60–110 nm Durchmesser und 130–200 nm Länge). Die Tollwut ist eine der ältesten bekannten Infektionskrankheiten. Schilderungen und auch Darstellungen aus dem Kontext der Tollwut sind aus dem Altertum überliefert.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000
112 Abbildung: Rhabdoviren

Epidemiologie Das zu den Lyssaviren gehörende Rabiesvirus (Tollwutvirus) kann alle Warmblüter infizieren, aber unter natürlichen Bedingungen sind nur Mammalia epidemiologisch relevante Wirte mit unterschiedlicher Suszeptivität für das Virus. Es gibt mehrere unterscheidbare Virusstämme. Hauptüberträger der Wildtollwut ist der Fuchs, der auch für die Infektion von Haustieren (Rinder, Katzen, Hunde) verantwortlich ist. Während in Deutschland weniger als 1 Fall, in Europa ca. 30 Fälle/Jahr auftreten, ist die Tollwut in Asien (35 000, davon Indien 30 000) und Afrika nicht nur ein Gesundheitsproblem, sondern auch ökonomisch durch Verluste unter den Rindern von Bedeutung. Weltweit wird die Übertragung durch den Hund häufiger, weitere Überträger (Stinktier, Fledermaus) sind regional (USA) unterschiedlich bedeutsam. Einige Länder und Inseln gelten als tollwutfrei (z. B. Portugal, Malta, Großbritannien, Norwegen, Schweden, Finnland, Island, Australien, Neuseeland, Japan, Hawaii und die Bermudas). Die Reduktion der Fuchspopulation und die flächenhafte Ausbringung von Tollwut-Lebendvakzine als Köder haben in Europa zum wesentlichen Rückgang der Fuchstollwut geführt. Dies ergab hier – zusammen mit der Tollwutimpfung der Hunde – einen wesentlichen Schutz. Die Tollwut wird fast nur (99,8%) durch Biss infizierter Tiere auf den Menschen übertragen und dringt nicht über unverletzte Haut ein. Andere sehr seltene Übertragungswege (Höhlenforscher durch Aerosole [infektiöse Fledermäuse] und Hornhaut- und Organtransplantation) sind bekannt.

MERKE

Der Speichel ist bereits 1 Woche vor Erkrankung des Tiers infektiös. Das Virus ist relativ empfindlich gegenüber Hitze und Austrocknung, kann aber unter bestimmten Umständen (feucht, kalt, dunkel) über mehrere Tage infektiös bleiben.

Die in der westlichen Hemisphäre bei Pferd, Rind und Schwein vorkommenden Vesiculoviren können als Zoonose beim Menschen zu grippeähnlichen Infekten, Myalgien und auf Schleimhäuten zu herpetiformen Bläschen mit hoher Partikelzahl führen.

Pathogenese Das Tollwutvirus bleibt nach Infektion für Stunden bis Wochen im Bereich der Eintrittspforte in der Peripherie; es vermehrt sich wahrscheinlich auch in den Zellen der quergestreiften Muskulatur oder persistiert in Makrophagen. Dabei kommt es nicht zur nennenswerten protektiven Immunantwort. Nach Eindringen in die peripheren Nervenendigungen gelangt es mit dem Axoplasmastrom (ca. 3 mm/h) ins ZNS. Nach Erreichen des Gehirns verursacht es eine Enzephalitis, die histologisch (Negri-Körperchen) nicht sehr ausgeprägt sein muss, und kehrt dann in verschiedene Organe in der Peripherie „zurück“ (z. B. Speicheldrüsen) und auch in verschiedene periphere Nervenzellen. Durch die intrazelluläre Entwicklung innerhalb des Nervensystems kommt es erst sehr spät zum effektiven Kontakt mit dem Immunsystem, so dass neutralisierende und diagnostisch verwertbare Antikörper in Serum und Liquor anfangs fehlen können. Die Inkubationszeit ist umso kürzer (Spanne zwischen 7 Tagen und mehreren Jahren; Durchschnitt: 1–2 Monate) und die Erkrankungswahrscheinlichkeit umso höher, je näher die Verletzung am ZNS liegt (Bein: 10%, Gesicht: 80%) und je schwerer sie ist.

Symptome, Verlauf und Prognose

Die Erkrankung kann in 3 Abschnitte eingeteilt werden:

  • 1. Phase: Prodromalphase (2–10 Tage): unspezifische Symptome (Übelkeit, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Lichtscheu, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Durchfall, Halsschmerzen und Husten); initial Schmerzen, Parästhesien und Muskelschmerzen an der Inokulationsstelle

  • 2. Phase: neurologisch-psychiatrische Symptome (verstärkte Speichelsekretion, Reizbarkeit). „Stille Wut“ mit aufsteigender Paralyse, „wilde Wut“ mit starker Unruhe und charakteristischer Hydrophobie in 17–80% (Muskelspasmen im Mund-, Rachen- und Larynxbereich), anfangs beim Versuch zu trinken, später schon bei der visuellen Wahrnehmung von Wasser oder anderen akustischen und taktilen Reizen. Die wilde Wut verläuft rascher progredient (2–7 Tage) als die stille (bis 30 Tage).

  • 3. Phase: präfinales Koma (3–7 Tage). Bei intensivmedizinischer Versorgung mit Beatmung kann der Verlauf viel länger sein.

Inwieweit unterschiedliche Virusstämme für verschiedene Verläufe verantwortlich sind, ist noch unklar. Es gibt 4 Berichte über überlebte Erkrankungen, wobei alle Patienten vorgeimpft waren, so dass es sich eher um Impfversagen handelte. Die Rate tatsächlich erfolgter, aber asymptomatischer Infektionen ist nicht bekannt.

Diagnostik

  • Virusnachweis: Immunfluoreszenznachweis des Virusantigens im Abdruckpräparat der Kornea. Postmortale Diagnose durch Genomnachweis mittels RT-PCR und histopathologisch am Gehirn (Negri-Körperchen) oder durch Immunhistologie. Die Virusisolierung in Mäusen und Neuroblastomzelllinien aus Speichel ist möglich.

  • Nachweis des viralen Genoms: über RT-PCR als Standardmethode

  • Antikörpernachweis: Die serologische Diagnose der Tollwut (IFT, ELISA) ist unzuverlässig.

Therapie und Prophylaxe

Jede Tollwutexposition bedeutet Lebensgefahr und erfordert beim Ungeimpften eine sofortige postexpositionelle, kombinierte aktive und passive Immunisierung.

Nach Ausbruch der Erkrankung gibt es keine spezifische Therapie – die Rabies des Menschen verläuft tödlich. Virostatika zeigten keinen Einfluss, doch sind Zytokine wie IL-12 evtl. interessant. Intensivmedizinische Maßnahmen wegen hypoxischem ZNS-Ödem und gestörter Thermoregulation.

Bei beruflicher Gefährdung (u. a. Tierärzte, Förster) ist die aktive Schutzimpfung indiziert. Biss- und Kratzwunden mit evtl. Tollwutexposition müssen chirurgisch gereinigt, gründlich desinfiziert und mit Rabies-Immunglobulin umspritzt werden. Präventiv lebenswichtig ist die schnelle Postexpositionsimpfung (Kap. 13.10) mit inaktivierten Vakzinen und bald evtl. gentechnologisch erzeugten Impfstoffen.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Infektion durch Biss eines tollwutinfizierten Tiers

  • Wichtigstes Symptom: nach unterschiedlich langer Inkubationszeit zunächst unspezifische Prodromalphase

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Virusnachweis

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: sofortige postexpositionelle aktive und passive Impfung

13.5.21. Retroviren

Siehe auch Kapitel 13.4.

Beschreibung und Einteilung Retroviren (Abb. 13.42 ) sind sphärische Partikel mit 100–120 nm Durchmesser. Sie sind von einer Lipidmembran umhüllt, die von der Wirtszellmembran abgeleitet ist und viral kodierte Glykoproteine enthält. Zwei homologe, einzelsträngige, lineare Plusstrang-RNA-Moleküle sind eng mit Proteinen assoziiert und bilden das Nukleocore, das vom Nukleokapsid umgeben ist. Die retrovirale RNA ist so diploid. Das Nukleokapsid enthält ferner mehrere Kopien dreier viraler Enzyme:

  • reverse Transkriptase (RT)

  • Protease (PR)

  • Integrase (IN).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

HIV (Vergrößerung × 200 000).

Mit Hilfe der RT wird das RNA-Genom im Verlauf der Virusvermehrung in doppelsträngige DNA umgeschrieben, die dann von der viralen IN als DNA-Provirus in das Genom der Wirtszelle integriert wird. Auf Grundlage der definierten morphologischen Kriterien und der genetischen Merkmale werden die Retroviridae in 7 Genera eingeteilt. Bekannte exogene humanpathogene Vertreter finden sich bei den Deltaretroviren (HTLV-1 und HTLV-2, humane T-Zell-Leukämie-Viren) und bei den Lentiviren (HIV-1 und HIV-2, humane Immundefizienzviren).

Besonderer Hinweis Das retrovirale Enzym reverse Transkriptase besitzt 3 verschiedene Funktionen (RNA-abhängige DNA-Polymerase, RNase H und DNA-abhängige DNA-Polymerase), die zentrale Reaktionen in der molekularen Genetik und Gentechnologie ermöglichen, auch im Rahmen von Diagnostik und Gentherapie.

Epidemiologie HTLV-1 kommt weltweit beim Menschen mit sehr unterschiedlicher Häufigkeit von 0,003–9% vor. Die Gesamtzahl Infizierter liegt bei 15–25 Millionen. Die Prävalenz ist am höchsten in einigen Gebieten Japans (max. 35%) > Uganda > Ghana > Zaire > Dominikanische Republik > Mashhad (Iran, 3%). Die Durchseuchung scheint weltweit zuzunehmen und ist in einigen Risikopopulationen in den USA und Europa schon sehr hoch. Das Auftreten von HTLV-2 ist insgesamt viel seltener und weniger geographisch bestimmt als durch bestimmte Verhaltensweisen (intravenöser Drogengebrauch).

Die Übertragung von HTLV erfolgt wie bei HIV von Mutter zu Kind (intrauterin und durch Brustmilch, Infektionsrate 16%), bei Geschlechtsverkehr, durch Blut und Blutprodukte. Allerdings werden HTLV praktisch nur lymphozytenassoziiert übertragen und nicht zellfrei, daher die weitgehend gerichtete Übertragung vom Mann auf die Frau bei Sexualkontakten (Kap. 13.4).

Pathogenese Retroviren erzeugen vielfache Wechselwirkungen mit den Wirtszellen und Organismen, da die Virusvermehrung obligatorisch über Integration der proviralen DNA ins Wirtschromosom und so zu vielen Mutationen führt. Als Folge sind Zelltransformation, Tumorgenese und Zelltod möglich.

Symptome, Verlauf und Prognose

HIV-1 und -2 verursachen AIDS (Kap. 13.4).

Das Risiko bei HTLV-1-Infektion, einen Tumor zu entwickeln, liegt bei ca. 1% (5–10% bekommen insgesamt Symptome der Infektion). Die Bedeutung von HTLV-2 für Erkrankungen des Menschen ist unklar, obwohl einiges für eine Beteiligung bei Leukämien spricht.

Hautmanifestationen im Sinne eines kutanen Lymphoms sind häufig im Rahmen einer adulten T-Zell-Leukose (ATL), an deren Entstehung HTLV-1 oft beteiligt ist. Jedoch ist die Inkubationszeit der ATL mit 20–30 Jahren lang. ATL geht einher mit opportunistischen Infektionen durch Immunsuppression, Lymphadenopathie, Hepatosplenomegalie, Lungeninfiltraten und Osteolysen. Das Zellbild im peripheren Blut kann sehr unterschiedlich sein. Bei einigen verläuft die Erkrankung eher unter dem Bild eines Lymphoms.

HTLV-1 ist selten Ursache der tropischen spastischen Paraparese (langsam fortschreitende Myelopathie mit Pyramidenbahnzeichen).

Diagnostik

Analog zu HIV durch Antikörpernachweis und Nachweis viraler RNA. Antikörper treten evtl. erst spät nach Infektion auf. Die Differenzierung zwischen HTLV-1 und HTLV-2 bedarf manchmal zusätzlicher Tests.

Inwieweit und in welchen Ländern Blutspender generell auf HTLV-1 getestet werden sollten, muss immer wieder aufgrund der epidemiologischen Situation geprüft werden.

Therapie und Prophylaxe

Therapeutische Optionen bei adulter T-Zell-Leukose sehr begrenzt. Schlechte Prognose und kurze Überlebenszeiten. Die Bedeutung antiretroviraler Medikamente ist noch nicht klar, eine Kombinationstherapie mit Zidovudin, α-IFN und anderen Substanzen scheint hoffnungsvoll.

ZUSAMMENFASSUNG

  • HTLV-1 ist das erste bekannt gewordene RNA-Tumorvirus des Menschen und als solches Verursacher der prognostisch ungünstigen ATL, von Lymphomen und der tropischen spastischen Paraparese.

  • Ein wesentliches Problem kann angesichts steigender Infektionszahlen auf Dauer die Notwendigkeit der allgemeinen Testung von Blutspendern werden.

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Antikörpernachweis im Serum

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: Kombinationstherapie mit Zidovudin, α-IFN

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KEYWORDS

Coxsackie-Erkrankungen ♦ Dengue-Virus ♦ Dreitagefieber ♦ EBV ♦ Enterovirus ♦ Flavivirus ♦ Herpes-Virus-Erkrankungen ♦ Lassa-Virus ♦ Molluscum contagiosum ♦ Mumps ♦ Parvovirus ♦ Picornavirus-Erkrankungen ♦ Röteln Tollwut VZV

13.6. Durch Prionen verursachte Erkrankungen

Synonym: transmissible spongiforme Enzephalopathien (TSE)

Einführung

In Abbildung 13.12 (S. 619) ist der Verlauf einer Infektionskrankheit schematisch auf einer Zeitskala durch die Begriffe Infektion und Beginn der Erkrankung veranschaulicht. Die zeitliche Differenz ist die Inkubationszeit, die bei vielen Infektionskrankheiten ein charakteristisches Merkmal darstellt. Es wurden frühzeitig Erkrankungen des Zentralnervensystems beschrieben, bei denen es nicht gelang, ein Viruspartikel oder endogene virale Nukleotidsequenzen zu identifizieren.

Prionen als Krankheitserreger

Heute gilt als sicher: Prionen sind Erreger von übertragbaren, chronischen, degenerativen, stets letalen Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Sie kommen mit ähnlichen Erscheinungsformen als subakute Enzephalopathien bei Menschen und anderen Wirbeltieren (Rind, Schaf, Ziege, Katze, Hirsch, Nerz u. a.) vor. Beim Menschen unterscheidet man folgende Krankheitsbilder:

  • Creutzfeldt-Jakob-Disease (CJD)

  • neue Variante Creutzfeldt-Jakob-Disease (vCJD)

  • Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom (GSS)

  • fatale familiäre Insomnie (FFI)

  • Kuru.

Bei Tieren sind hier insbesondere Scrapie beim Schaf und die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE) beim Rind aufzuführen.

MERKE

Allen Krankheiten ist gemeinsam:

  • Es werden keine entzündlichen Prozesse, kein Fieber und keine Immunantwort beobachtet.

  • Es gibt ein breites Spektrum von Symptomen, das für das jeweilige Krankheitsbild einen charakteristischen Schwerpunkt hat.

  • Eine Therapie ist gegenwärtig nicht verfügbar, alle Erkrankungen führen zum Tod.

Beschreibung der Erreger

Prionen sind nach Ansicht der meisten Forscher nukleinsäurefreie Proteine. Der Name Prion wurde 1982 von Stanley Prusiner aus der Bezeichnung „proteinaceous infectious particles“ abgeleitet. Die Assoziation von Prionprotein als wesentlichem Bestandteil des infektiösen Agens ist zweifelsfrei bewiesen. Eine alternative Vorstellung geht von einer konzeptionell noch unklaren Beteiligung von Nukleinsäuren aus, um die Existenz von Varianten sowie hereditäre Aspekte analog zur genetisch determinierten Situation etwa in viralen Systemen zu erklären.

Prionen verschiedener Wirtsspezies

Allen bisher bekannten Prionen ist gemeinsam, dass es sich um glykosylierte Proteine mit ca. 250 Aminosäuren, entsprechend Molekülmassen von 33–35 kDa handelt, die von zellulären Genen kodiert werden. Transkription und Translation sind im gesunden wie im krankhaften Zustand unverändert. Soweit Sequenzdaten vorliegen, handelt es sich um ein evolutionär insgesamt hoch konserviertes Molekül insbesondere im Bereich der Aminosäurepositionen 124–226.

Die tatsächlich vorhandenen Abweichungen in der Aminosäuresequenz von Prionen verschiedener Spezies definieren zusammen mit anderen Faktoren (s. u.) die sog. Speziesbarriere für eine heterologe Infektion. Die Höhe der Übertragungsbarriere ist für sequenzierte Prionen im Vergleich zueinander zumindest abschätzbar (Unterschiede ausgedrückt als Zahl der voneinander abweichenden Aminosäuren: Schaf – Rind 7, Rind – Mensch > 30, Maus – Mensch 28).

Prionen des Menschen

Das Gen für das menschliche Prion (PRNP) befindet sich auf dem kurzen Arm von Chromosom 20 und kodiert für ein primäres Genprodukt PrPC mit 253 Aminosäuren. Der Index C steht für „cellular“. Das Protein trägt am N- und am C-Terminus Signalsequenzen (22 bzw. 23 Aminosäuren), die posttranslational durch zelluläre Peptidasen entfernt werden. An das C-terminale Ende wird anschließend ein GPI-Anker (Glykosylphosphatidyl-Inositol) für die Befestigung in der Zellmembran angehängt. Diese Form des Prionproteins ist durch zelluläre Proteasen leicht abbaubar.

Im Gegensatz dazu lassen sich aus Gehirnen von an übertragbarer spongiformer Enzephalopathie (TSE) erkrankten Menschen und Tieren Isoformen des Prionproteins isolieren, die trotz ihrer mit PrPC identischen Aminosäuresequenz wegen der spezifischen Faltung unlöslich und in vitro nur bis auf den C-terminalen Rest von 142 Aminosäuren (Positionen 90 bis 231) abbaubar sind. Dieses Restmolekül wird auch als PrP27–30 bezeichnet und stellt den proteaseresistenten, aber immer noch infektiösen Anteil von PrPTSE dar.

Die räumliche Struktur von PrPC enthält nach Modellrechnungen drei α-Helices und nur geringe β-Faltblatt-Bereiche, während der nicht spaltbare PrPSc-Anteil bis zu 30% β-Faltblätter und nur einen geringen Gehalt an α-Helices aufweist.

Klassifizierungsmodelle

Eine Klassifizierung der Prionen analog oder ähnlich derjenigen der Viren gibt es gegenwärtig nicht. Sinnvoll ist zurzeit lediglich die Unterscheidung aufgrund der betroffenen Wirte unter Beachtung der Tatsache, dass in Tiermodellen mehr als 20 verschiedene Stämme von PrPSc identifizierbar sind, die sich durch die Inkubationszeit, den von der Krankheit betroffenen Bereich der Gehirne und das Spektrum der klinischen Symptome unterscheiden.

Interessant ist der Befund, dass sich verschiedene klinisch definierte Phänotypen von CJD verschiedenen Fragmentierungsmustern nach unvollständiger Proteinase-K-Spaltung zuordnen ließen. Fragment- und Glykosylierungsmuster von CJD und BSE lassen nach experimentellen Übertragungen auf transgene Mäuse eine Definition von Prionenstämmen zu. Insbesondere ergaben sich nach Inokulation von Wildtypmäusen mit vCJD bzw. BSE identische Glykosylierungsmuster, d.h., die beiden Krankheiten wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit durch den gleichen Prionenstamm hervorgerufen.

Pathogenese

Aggregatbildung und Ablagerung der proteaseresistenten PrPSc-Moleküle werden als pathogenes Prinzip angesehen, das mit dem Krankheitsbild der spongiformen Enzephalopathie assoziiert ist. Als Mechanismus der Aggregation wird spontane autokatalytische bzw. durch PrPSc vermittelte Umfaltung zellulärer „gesunder“ PrPC-Moleküle in die schwer abbaubaren, aggregierenden TSE-Prionen angenommen.

Im Gegensatz zu Viruserkrankungen kommt es nicht zum Einbringen, Exprimieren und Vervielfältigen eines genetischen Programms, sondern zur kumulativen Ausbreitung einer Strukturform innerhalb einer Population bereits bestehender Moleküle. Die Prionenstruktur macht krank! Dies ist ein grundsätzlich neues pathogenes Prinzip.

Erkrankungen, Symptome, Diagnose, Epidemiologie

Creutzfeldt-Jakob-Disease (CJD)

CJD ist die am besten bekannte TSE-Erkrankung, die 1920 von Hans G. Creutzfeldt bzw. 1921 von Alfons Jakob beschrieben wurde. Gegenwärtig wird sie unter 4 Aspekten der Entstehung diskutiert als

  • sporadisch auftretend (spCJD)

  • genetisch beeinflusst (gCJD)

  • iatrogen hervorgerufen (iCJD)

  • und neuerdings als variante Form (nvCJD), durch Aufnahme boviner Prionen erzeugt.

Sporadische Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (spCJD)

Sporadisch kommt CJD weltweit mit einer Inzidenz von etwa 1 Fall pro 1 Mio. Einwohner pro Jahr vor. Abweichungen resultieren vornehmlich aus der Nichtvergleichbarkeit der Erhebungsmethoden in den einzelnen Ländern. Die Altersgruppe der 70- bis 80-Jährigen ist am häufigsten betroffen. Der bisher jüngste Patient in Deutschland war 23 Jahre alt, der älteste 88 Jahre, niemals jedoch war ein Kind erkrankt. Beide Geschlechter scheinen gleichermaßen betroffen zu sein. Nach dem Auftreten erster Symptome (Kopfschmerz, Müdigkeit, Schlaf- und Appetitlosigkeit, Depression) folgt das Bild einer rasch voranschreitenden generellen Enzephalopathie mit Verlust der Bewegungskoordination sowie mit Demenz. Die Krankheitsdauer beträgt in etwa 65% der Fälle < 6 Monate. Eine sichere Diagnose kann bislang letztlich nur durch neuropathologische Untersuchungen gestellt werden.

Genetisch bedingte Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (gCJD)

Familiäre Häufungen von CJD sind bereits in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts beobachtet worden. Von zentraler Bedeutung scheint der Polymorphismus 129 zu sein, der durch das Vorkommen der Aminosäuren Methionin (M) oder Valin (V) an der Aminosäureposition 129 im Prionprotein charakterisiert ist. In England liegt bei 80% der spCJD-Fälle Homozygotie 129MM vor, im Gegensatz zu 40% in der Normalbevölkerung. Dagegen sind nur 10% der Erkrankten heterozygot MV bei einem 50%igen Anteil in der Normalbevölkerung. Alle bekannten nvCJD-Fälle sind 129MM-homozygot (s. u.)! Die Aminosäureposition 129 befindet sich innerhalb des Prionmoleküls an einer Übergangsstelle zwischen der zweiten α-Helix und dem β-Faltblatt und könnte daher von wesentlichem Einfluss auf die Faltung des Moleküls sein.

Das klinische Bild wird bezüglich Krankheitsbeginn und -dauer stark von der genetischen Disposition in Bezug auf die Codons 129, 178 und 200 geprägt. Weitere Punktmutationen und Insertionen sind ebenfalls von Bedeutung. In den familiären Fällen ist die Inzidenz der Erkrankung stark erhöht und geographisch auf bestimmte Regionen begrenzt. So findet sich eine jüdische, aus Libyen stammende Population in Israel mit 50-fach häufigerem Auftreten von CJD. Charakteristisch ist hier der Aminosäureaustausch Glu200Lys.

Neben der histopathologischen Abklärung ist die Sequenzierung des PRNP-Gens zur Sicherung der Diagnose gCJD erforderlich.

Iatrogen übertragene Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (iCJD)

Iatrogene Übertragung erfolgte nach neurochirurgischen Eingriffen, durch Verwendung unvollständig sterilisierter neurochirurgischer Geräte und Elektroden, nach Transplantationen von Kornea und Dura mater von Verstorbenen sowie nach der Verwendung von aus Leichen gewonnenem humanem Wachstumshormon (hGH) bzw. Hypophysen-Gonadotropin. Das klinische Bild entspricht demjenigen von spCJD, in die Diagnose ist die Krankengeschichte einzubeziehen.

Neue Variante Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (nvCJD)

Im Jahr 1995 trat der erste Todesfall auf, der einer neuen Variante der CJD zuzuordnen ist. Bezüglich des Krankheitsbildes liegen ähnliche Symptome wie bei den anderen Formen vor, jedoch sind das niedrige Patientenalter (28 als medianes Alter für den Krankheitsbeginn, Gesamtintervall 14–53 Jahre) sowie die epidemiologisch wichtige Erkenntnis der fast ausschließlichen geographischen Beschränkung auf Großbritannien hervorzuheben. Im Mai 2002 waren weltweit 111 Fälle bekannt, davon 107 in Großbritannien, 3 in Frankreich und 1 in Irland.

Klinisch stehen bei Krankheitsbeginn hier eher psychiatrische als neurologische Symptome im Vordergrund, wie Depression, Angst, Erregung, Halluzinationen und Schmerz, aber auch neuropsychologische Auffälligkeiten wie Aphasie oder Alexie. Später kommen die üblichen sensorischen Symptome wie Ataxie, Parese und Demenz hinzu. Im Gegensatz zu spCJD finden sich neuropathologische Besonderheiten. Es liegen keinerlei Hinweise auf familiäre Häufungen vor.

Die Übertragung erfolgt mit großer Wahrscheinlichkeit durch den Genuss von „infektiösen“ Nahrungsmitteln. Durch die normale Zubereitung von Speisen werden Prionen vermutlich nur unvollständig inaktiviert.

Das Auftreten von nvCJD-Prionen im Gehirn und in den Tonsillen ist ein sicheres diagnostisches Merkmal. Biologische Typisierungen von Prionen in Versuchstieren sind zeitaufwändig und teuer und nicht für diagnostische Zwecke geeignet.

Epidemiologische Untersuchungen zeigten allerdings, dass bislang keine Risikofaktoren wie Berufszugehörigkeit (Landwirte, Veterinäre, Schlachter, Abdecker etc), Essgewohnheiten oder geographische Nähe zu BSE-belasteten landwirtschaftlichen Betrieben erkennbar sind.

Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom (GSS)

Diese TSE-Erkrankung ist mit der Inzidenz von einem Fall unter 10 Mio. Einwohnern pro Jahr äußerst selten und mit wenigen sporadischen Ausnahmen wohl ausschließlich genetisch determiniert. Der Erbgang ist autosomal-dominant. Im Vordergrund steht eine Punktmutation mit der Konsequenz des Aminosäureaustausches von Prolin durch Leucin (Pro102Leu). Hinzu kommen weitere Punktmutationen und ein Spektrum von Oktapeptid-Insertionen, die in Zusammenwirken mit dem Polymorphismus an der Position 129 Einfluss auf die klinisch-pathologischen Aspekte der Amyloidbildung im Gehirn haben.

Erste Symptome von GSS sind uncharakteristische Beschwerden, wie Schlafstörungen, psychische Veränderungen, Gedächtnisverlust, Aphasie und Alexie, gefolgt von dem Spektrum der anderen TSE-Symptome, die nach völliger Dezerebration einige Monate bis 2 Jahre nach Auftreten der ersten Symptome zum Tode führen. Das Erkrankungsalter liegt zwischen 30 und 50 Jahren.

Die Diagnose erfolgt anhand der neuropathologischen Befunde und ggf. durch Sequenzanalysen des PRNP-Gens.

GSS ist ausschließlich als hereditär anzusehen, die vertikale Weitergabe des GSS-spezifischen PRNP-Gens sollte nicht als Übertragung eines Krankheitserregers bezeichnet werden.

Fatale familiäre Insomnie (FFI)

Es handelt sich um eine äußerst seltene genetisch bedingte Erkrankung, die 1986 zuerst bei 5 Mitgliedern einer italienischen Familie entdeckt wurde. Der Erbgang ist autosomal-dominant, scheint jedoch nur eingeschränkt penetrant zu sein, da mehrere Familienmitglieder die entscheidende PRNP-Mutation mit der Folge des Aminosäureaustausches Asp178Asn aufwiesen, jedoch symptomlos blieben. Die gleiche Mutation ist auch bei der familiären Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (gCJD) von zentraler Bedeutung, was zu intensiver Diskussion der beiden klinisch-pathologisch sehr unterschiedlichen Situationen geführt hat. Auch hier ist das Codon 129 von Bedeutung.

Das zentrale klinische Bild der FFI ist geprägt durch einen stark gestörten Schlafrhythmus und entsprechende Veränderungen in EEG-Schlafmustern und endokrinen zirkadianen Stoffwechselleistungen. Die Erkrankung tritt zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf und führt nach 7–18 Monaten zum Tode. Nach zunächst uncharakteristischen Stadien liefert die neuropathologische Untersuchung Astrogliose, Vakuolenbildung und Amyloidablagerungen.

Kuru

Kuru ist der klassische Fall einer horizontal übertragenen spongiformen Enzephalopathie. Sie wurde zuerst 1957 von Gajdusek und Zigas beschrieben als eine degenerative Krankheit des Zentralnervensystems in isolierten Populationen in Neuguinea. Seit dem Verbot des dort praktizierten rituellen Kannibalismus Ende der 50er Jahre ist die Erkrankung im Verschwinden begriffen und heute praktisch ausgelöscht. Homozygotie für Methionin an der Codonposition 129 des PRNP-Gens ist charakteristisch für die Erkrankung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die horizontale Übertragung von infektiösem Material eines an spontaner Creutzfeldt-Jakob-Krankheit Verstorbenen entstanden und durch die kannibalistischen Beerdigungsriten epidemisch verbreitet wurde. Die Infektion ist vermutlich über den Intestinaltrakt verlaufen. Eindringen der Kuru-Prionen durch Verletzungen während des Eröffnens des Leichnams und damit verbundene Hautkontaminationen sowie konjunktivale und nasale Schmierinfektionen sind als Übertragungswege ebenso denkbar.

Die Krankheit beginnt mit unspezifischen Beschwerden und führt nach neurologischen Ausfällen mit Ataxie, schweren Lähmungen, damit verbundener Unterernährung und letztlich völliger motorischer Unfähigkeit zum Tode.

Übertragung

Im Fall von iatrogener CJD, Kuru und nvCJD ist die Übertragbarkeit von infektiösen Prionen sehr wahrscheinlich bzw. nachgewiesen.

Seit Jahrzehnten wird Tiermehl weltweit als Zuschlagstoff in der Tierfütterung eingesetzt. In Großbritannien wurden Ende der 70er- bis Anfang der 80er Jahre in verschiedenen Produktionsanlagen unterschiedliche Änderungen des Herstellungsprozesses vorgenommen, die offensichtlich eine Minderung der Inaktivierungseffizienz zur Folge hatten. Heute wird unter dem Eindruck der BSE-Epidemie eine 20-minütige Erhitzung auf 133 °C bei 3 bar Überdruck als Norm gefordert. Zur Inaktivierung von Prionen an chirurgischen Instrumenten, die nicht autoklavierbar sind, wird eine einstündige Behandlung mit Natronlauge oder Natriumhypochlorid empfohlen. Um Risiken inadäquater Dekontaminierung zu vermeiden, wird die Benutzung von lediglich einmal zu verwendendem Material empfohlen.

Therapie und Prognose

Mit zunehmendem Verständnis der Pathogenitätsmechanismen ergeben sich Hinweise auf mögliche Therapiestrategien. So ist es denkbar, in den Umwandlungsprozess der PrPC-Konformation direkt einzugreifen. Behinderung von Eintritt in den Wirtsorganismus und Transport von PrPSc in das ZNS ist eine weitere Möglichkeit.

Im Fall tierischer Erkrankungen wären genetische und züchterische Maßnahmen denkbar, etwa die Aufzucht von Tieren, die von Individuen abstammen, die künstlich negativ homozygot für das Priongen (PrP–/–) gemacht wurden. Diese Tiere sind nicht infizierbar, da sie selbst keine zellulären Prionen synthetisieren können, die dann nach dem Eindringen von PrPSc in die pathogene Konformation umgefaltet werden könnten. Da die natürliche Funktion des Genproduktes des zellulären PrP-Gens und damit die Folgen seines Verlustes jedoch nicht bekannt sind, ist dieser Weg risikoreich und vorerst nicht gangbar; beim Menschen ist er sowieso ausgeschlossen. Die konventionelle Züchtung nicht erkrankender Schafe ist gelungen und hat wohl dazu geführt, dass mittlerweile England, Neuseeland und Australien Scrapie-frei sind.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Einzige Ursache: Körpereigene zelluläre Prionproteine (PrPc) erleiden spontan oder durch Wechselwirkung mit fremden Prionen (PrPsc) eine initiale Umfaltung in eine nicht abbaubare Konformation. Durch einen katalytischen Prozess werden solche Umfaltungen fortgesetzt, bis durch Akkumulation von PrPsc metabolische zelluläre Prozesse verändert werden und der Zelltod eintritt.

  • Wichtigste Symptome: neurologische sensorische Symptome wie Ataxie, Parese und Demenz und auch neuropsychiatrische Symptome wie Depression, Angst, Erregung, Halluzinationen und Schmerz

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: neuropathologische und immunhistochemische Nachweise in Hirn- und Tonsillenmaterial, direkter Nachweis von Prionprotein durch Westernblot und Kapillarelektrophorese im Blut in Entwicklung

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: gegenwärtig keine bekannt, stets letal

LITERATUR

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KEYWORDS

amyloid plaques ♦ „infektöses“, nukleinsäurefreies ♦ Prionprotein Spongiforme Enzephalopathie ♦ transmissible spongiform encephalopathy

13.7. Infektionskrankheiten durch Pilze

Synonym: invasive Mykosen

Von der invasiven Mykose ist die systemische Mykose abzugrenzen, die nur infolge hämatogener Streuung auftritt.

Invasive Mykosen werden durch etwa 100 verschiedene Pilzarten hervorgerufen. Sie betreffen nahezu ausschließlich abwehrgeschwächte Patienten. Prädisponierende Faktoren sind Abdominalchirurgie, zentrale Venenkatheter, Störung der normalen Flora durch Breitspektrum-Antibiotika, Herabsetzung der Abwehr durch Kortikosteroide, Immunsuppressiva und Zytostatika, HIV-Infektion, Diabetes mellitus, Transplantation solider Organe oder allogener Stammzellen.

Epidemiologie Die meisten Pilze leben saprophytär. Einige können aber in geringer Zahl auf Haut und Schleimhäuten sowie im Darmtrakt vorhanden sein, ohne Krankheitserscheinungen hervorzurufen. Bei einem Pilznachweis in entsprechenden Materialien stellt sich daher oft die Frage nach ihrer Relevanz als Erreger. Liegen keine der oben genannten Risikofaktoren vor, so ist der Nachweis von Hefepilzen im Stuhl klinisch nicht relevant.

Ätiologie und Pathogenese Die Adhärenz der Pilze an die Wirtszellen ist notwendige Bedingung für eine Infektion. Sie wird durch Wechselwirkungen zwischen Kohlenhydrat- und Proteinstrukturen der Pilzzellwand und der Wirtszelle verursacht. Es können zell- und gewebsschädigende sekretorische Proteasen und Phospholipasen gebildet werden. Außerdem spielen spezielle morphologische Eigenschaften der Pilze eine Rolle, wie z. B. das „Switching“, der Übergang von der Sprosspilzform in die Hyphenform bei dimorphen Pilzen. Für die Wirtsabwehr gegen die meisten opportunistischen Pilze – insbesondere bei den am häufigsten vorkommenden Gattungen Candida und Aspergillus – sind Zahl und Funktion der Neutrophilen entscheidend. Makrophagen und Monozyten wird zunehmend Bedeutung beigemessen, während die T-Zell-vermittelte Immunität hauptsächlich für die Abwehr der obligat pathogenen Pilze und von Cryptococcus neoformans relevant ist.

Diagnostik

Das klinische Bild der meisten Pilzinfektionen ist uncharakteristisch, damit ist der Erregernachweis besonders bedeutend. Beweisend ist die Kultur aus physiologisch sterilem Material (Blut, Liquor, Biospie) oder die Histologie an Paraffinschnitten. In allen Materialien lassen sich Pilze mit optischen Aufhellern (Blankophoren), Giemsa-Färbung oder Gram-Färbung (grampositiv) nachweisen. Für die genaue Identifizierung der Pilze ist die kulturelle Anzüchtung erforderlich. Hierfür werden als selektive Medien z. B. Sabouraud-Agar und Chrom-Agar verwendet. Als weitere diagnostische Möglichkeiten gibt es für einige Pilze Antigennachweise, z. B. Galactomannan für Aspergillus und β-1,3-D-Glucan für Candida, Aspergillus und andere. Serologische Untersuchungsverfahren weisen spezifische Antikörper nach und sind generell weniger verlässlich. Molekularbiologische Nukleinsäurenachweise sind nicht ausreichend standardisiert und der Kultur in der Identifizierung des Erregers unterlegen.

Therapie

Zur Therapie invasiver Pilzinfektionen stehen 6 Substanzklassen zur Verfügung, deren Charakteristika in Tabelle 13.34 wiedergegeben sind.

Tab. 13.34

Charakteristika systemisch angewendeter Antimykotika

SubstanzklasseWirkmechanismusAntimykotikumDosierung pro Tag (mg)HauptindikationenTypische unerwünschte Wirkungen
Polyene Anlagerung an das Ergosterol der Zellmembran ändert die Permeabilität, führt zu Substanzaustritt und Zelltod Amphotericin B Desoxycholat 0,7–1 Kryptokokkose∗ Nephrotoxizität, Kaliumverlust, Fieber, Schüttelfrost
Liposomales Amphotericin B 3 Zweitlinientherapie Aspergillose und Candidiasis Seltener und geringer ausgeprägt
Fluoropyrimidine Antimetabolit des Cytosins, Hemmung der DNA- und RNA-Synthese 5-Fluorcytosin 100–200 Kryptokokkose, Chromoblastomykose Hämatotoxizität
Triazole Hemmung der Ergosterolsynthese über das fungale P450-System Fluconazol 50–800 Candidiasis Gastrointestinale Störungen, Erhöhung der Leberwerte
Itraconazol∗∗ 100–800 Prophylaxe invasiver Mykosen
Voriconazol 6–12 Aspergillose, Candidämie
Posaconazol 600–800 Prophylaxe invasiver Mykosen, Zweitlinientherapie Aspergillose
Echinocandine Hemmung der β-1,3-D-Glucan-Synthese und damit der Zellwandsynthese Anidulafungin 100 Candidämie Selten Leberwerterhöhungen
Caspofungin 70 an Tag 1 50 ab Tag 2 Candidiasis, Zweitlinientherapie Aspergillose, persistierendes Fieber in der Neutropenie
Micafungin 100 Candidiasis

13.7.1. Erkrankungen durch Sprosspilze

Aus der Gruppe der Sprosspilze kommen Krankheitserreger vor allem in der Gattung Candida vor. Trichosporon und Blastoschizomyces sind sehr viel seltener. Candida verursacht bei Schleimhautbefall weißliche Beläge, den Soor (engl.: thrush). Dieser kann bei Vorliegen von Risikofaktoren zu invasiven Infektionen (Organbefall, Fungämie) führen. Eine weitere Sprosspilzart, Cryptococcus neoformans, verursacht nach einem flüchtigen Lungeninfiltrat eine Meningoenzephalitis bei abwehrgeschwächten, z. B. HIV-infizierten Patienten.

Erkrankungen durch Candida und verwandte Gattungen

Synonym: Candidiasis, Candidose

Praxisfall

Ein 76-Jähriger befindet sich zur Diabeteseinstellung eher zufällig im Krankenhaus, klagt über plötzlich einsetzende Bauchschmerzen und wird bewusstlos. Es liegt ein rupturiertes Bauchaortenaneurysma vor, das notfallmäßig operiert wird. Seit 7 Tagen liegt er beatmet auf der Intensivstation, ein perioperativ diagnostiziertes akutes Nierenversagen erfordert die Dialyse über einen Shaldon-Katheter. Er fiebert auf, Blutkulturen werden abgenommen, eine Breitspektrumantibiotika-Therapie beginnt. Drei Tage später ergeben erneute Blutkulturen den mikroskopischen Nachweis von Sprosspilzen. Der Patient erhält zusätzlich Fluconazol 400 mg täglich. Wider Erwarten ergibt die Speziesdifferenzierung am Folgetag Candida krusei. Es wird auf Caspofungin 70/50 mg umgestellt. Die Candidämie dauert fort, die täglich abgenommenen Blutkulturen sind erst ab dem 5. Tag steril. Das Antimykotikum wird für 14 weitere Tage gegeben. Ophthalmoskopie und transösophageale Echokardiographie sind hinsichtlich eines Organbefalls unauffällig. Weitere Komplikationen treten nicht ein. Nach 3 Wochen wird der Patient von der Beatmung entwöhnt und nach schleppender Erholung zur Rehabilitation verlegt.

Definition Candidiasis ist der Oberbegriff für Erkrankungen durch Sprosspilze der Gattung Candida, wobei es sich um oberflächliche oder tiefe Prozesse handeln kann.

Epidemiologie Inzidenz ca. 2,5/100 000. Die am häufigsten nachgewiesene Art der Gattung Candida ist C. albicans; außerdem kommen C. glabrata, C. tropicalis, C. guilliermondii, C. krusei und C. parapsilosis in klinischen Materialien vor. Wegen ihrer Resistenz gegen Fluconazol ist C. krusei von besonderer Bedeutung. Gleichfalls häufig Fluconazol-resistent sind Stämme von C. glabrata und C. dubliniensis. Eine eingeschränkte Empfindlichkeit für Fluconazol weisen ebenfalls Pilze der Gattungen Trichosporon und Blastoschizomyces auf. Seitdem Fluconazol häufig verwendet wird, steigt der Anteil der resistenten bzw. eingeschränkt empfindlichen Sprosspilze.

Ätiologie und Pathogenese Die von Sprosspilzen hervorgerufenen Infektionen entstehen meist endogen, da Sprosspilze bei vielen Menschen in geringer Zahl in der normalen Flora vorkommen. Insbesondere auf Intensivstationen nehmen nosokomiale Sprosspilzinfektionen zu.

In der Regel besiedeln die Sprosspilze zunächst Schleimhäute, Haut oder Darm, ohne Allgemeinsymptome hervorzurufen. Bei Änderungen des lokalen Milieus (z. B. durch Breitspektrum-Antibiotika) können sie die normale Flora überwuchern. Es kommt es zu einer lokalen Infektion, die sich auf den Schleimhäuten als Soor (Abb. 13.43 ) und auf der Haut als Rötung manifestiert. Eine Herabsetzung der T-Zell-Immunität bewirkt eine mukokutane Candidiasis, während bei Granulozytopenie eher hämatogen disseminierte Candida-Infektionen auftreten. Seltenere Wege der Entstehung einer invasiven Candidiasis sind die folgenden:

  • durch direkte Einschwemmung ins Blut von einem infizierten Katheter aus

  • als aufsteigende Infektion bei liegendem Blasenkatheter.

Symptome

Der Schleimhautbefall äußert sich in Form von weißen Belägen der Zunge, des Gaumens oder der Vagina. Auf der Haut kommt es zur diffusen Rötung. In beiden Fällen spürt der Patient Jucken und Brennen als lästige und beeinträchtigende Symptome.

Zur mukokutanen Candidiasis zählt außer dem Schleimhautbefall die Soor-Ösophagitis, eine der häufigsten opportunistischen Infektionen, die bei Vorliegen einer HIV-Infektion AIDS definieren. Schmerzen beim Schluckakt (Odynophagie) prägen das Beschwerdebild, zumeist findet sich dann auch ein oraler Soor. Bleibt das Krankheitsbild unerkannt, führen die Beschwerden dazu, dass die Nahrungsaufnahme unmöglich wird.

Verschlechtert sich die lokale oder allgemeine Abwehrlage, können die Pilze im Prozess der Translokation invasiv in die

Schleimhaut einwachsen. Bei Erreichen eines Blutgefäßes streuen sie hämatogen und verursachen die akute disseminierte Candidiasis. Fieber tritt bei der überwiegenden Zahl der Patienten auf. Mitunter sind an der Haut rötlich-bräunliche Herde von bis zu mehreren Millimetern Durchmesser zu erkennen.

Die Candida-Pneumonie ist Folge einer systemischen Candidiasis und entsteht durch hämatogene Streuung des Erregers. Es ist ungewiss, ob eine primäre Candida-Pneumonie existiert, die aus der Besiedlung der unteren Atemwege hervorgehen soll, aber keineswegs mit dieser gleichgesetzt werden darf. Beim Nierenbefall kommt es zu einer klinisch uncharakteristischen, protrahiert verlaufenden Pyelonephritis. Im Verlauf der hämatogenen Streuung können sich die Pilze auch in der Netzhaut absiedeln (Abb. 13.44 ). Von der akuten Form wird die chronische disseminierte Candidiasis abgegrenzt. Häufig wird auf sie synonym der Begriff der hepatolienalen oder hepatosplenischen Candidiasis (Abb. 13.45 ) angewendet, da diese die häufigste chronische Form ist.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Veränderungen des Augenhintergrunds bei akuter disseminierter Candidiasis. Zwei benachbarte Candida-Herde liegen nasal der Papille und ein weiterer Herd kranial (Pfeile).

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Abszesse in Leber und Milz bei chronischer disseminierter Candidiasis, hier: hepatolienale Form.

Diagnostik

Bei Verdacht auf Candidiasis der Haut oder Schleimhäute werden Abstriche genommen. Invasives Wachstum ist nur durch die histologische Untersuchung von Organbiopsien zu erkennen. Zum Ausschluss einer diskontinuierlichen hämatogenen Streuung müssen mehrere venöse Blutkulturen untersucht werden, die an aufeinanderfolgenden Tagen abgenommen werden. In jedem Fall einer invasiven Candidiasis muss aktiv der Ausschluss weiterer Organbeteiligungen erfolgen. Die Absiedlung in die Nieren wird bildmorphologisch und über eine Urinuntersuchung dokumentiert. Der Nachweis von Candida im Urin kann bei Patienten ohne Harnblasenkatheter der erste Hinweis auf eine systemische Candidiasis sein. Die Computertomographie ist der Sonographie in der Frage nach Beteiligung parenchymatöser Organe überlegen. Eine Osteomyelitis entsteht sehr selten, bei Knochenschmerzen sollte die Indikation zu Szintigraphie und – abhängig von

Art und Lokalisation der Beschwerden – weiteren bildgebenden Verfahren gestellt werden.

Für die kulturelle Anzüchtung stehen selektive Kulturmedien zur Verfügung, auf denen die Pilze nach 1–2 Tagen wachsen. Die wichtigsten Arten können auf einem chromogenen Medium bereits an der Farbe ihrer Kolonien erkannt werden.

Die exakte Speziesbestimmung muss durchgeführt werden, weil

  • die bereits erwähnten Artresistenzen (Fluconazol-Resistenz von C. krusei, eingeschränkte Fluconazol-Empfindlichkeit von C. glabrata sowie von Trichosporon- und Blastoschizomyces-Arten) für die einzuleitende Therapie eine entscheidende Rolle spielen.

  • nur mit Hilfe der genauen Artbestimmung epidemiologische und krankenhaushygienische Fragen beantwortet werden können und der mögliche Ausgangspunkt der Infektion erkannt werden kann. Beispiel: Wenn von einem Venenkatheter und aus der Blutkultur des Patienten dieselbe Pilzart nachgewiesen wird, handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine katheterassoziierte Fungämie.

Therapie

Bei Patienten mit akuter oder chronisch disseminierter Candidiasis kann die Therapie mit Fluconazol begonnen werden (Anfangsdosis 400–800 mg/d, weiter 200–400 mg/d). Bei Vorliegen einer Fluconazol-resistenten Spezies sollte auf ein Echinocandin gewechselt werden. Patienten mit Kreislaufschock und Patienten in der Neutropenie sollten als Erstlinientherapie ein Echinocandin erhalten. Liegende Venenkatheter müssen in der Regel entfernt werden, wenn eine Candidämie diagnostiziert wurde bzw. der Verdacht darauf besteht. Bei Nachweis einer Candidämie werden weiterhin täglich Blutkulturen angelegt, da nur so die Therapiedauer festgelegt werden kann. Sie beträgt ab der letzten positiven Blutkultur mindestens 14 Tage. Patienten mit Risikofaktoren für eine invasive Candidiasis und nachgewiesener Kolonisation können entsprechend der Erregersensitivität präemptiv, d.h. ohne definitiven Nachweis der Invasivität, behandelt werden. Sind über den bloßen Nachweis der Candidämie hinaus Organbeteiligungen vorhanden, dann dauert die Therapie Monate. Nach Entfieberung kann eine Oralisierung erwogen werden. Bei Vorliegen der seltenen Komplikationen Endokarditis und Endophthalmitis ist ein zusätzliches chirurgisches Vorgehen sinnvoll.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Candida-Soor im Gaumenbereich.

Verlauf und Prognose Trotz der Entwicklung moderner Antimykotika (Tab. 13.34 ) beträgt die Letalität der Patienten mit invasiver Candidiasis ca. 60%. Sie ist zu etwa gleichen Teilen der Pilzinfektion und der individuellen Grunderkrankung zuzuschreiben.

Erkrankungen durch Cryptococcus neoformans

Synonym: Kryptokokkose, früher auch als Europäische Blastomykose bezeichnet

Epidemiologie Inzidenz ca. 0,5/100 000. Cryptococcus ist ein in der Umwelt verbreiteter Pilz, der in Vogelkot, auf Pflanzen und im Boden vorkommt. Infektionen entstehen meist aerogen.

Ätiologie und Pathogenese Bei Patienten mit abgeschwächter zellulärer Immunität, überwiegend infolge HIV-Infektion, kommt es zunächst zu einer flüchtigen Lungensymptomatik. Von diesem primären Infektionsort ausgehend werden hämatogen die Meningen und das ZNS befallen. Es entwickelt sich eine schleichend verlaufende Meningoenzephalitis.

Symptome

Die Symptome des pulmonalen Befalls sind so uncharakteristisch, dass sie in der Regel nicht erkannt bzw. als „Bronchitis“ gedeutet werden. Auch die sich allmählich entwickelnde Meningoenzephalitis zeigt zu Beginn nur eine geringe klinische Symptomatik: leichte Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit.

Diagnostik

Bei Verdacht auf Kryptokokkose ist die Diagnose leicht zu sichern, denn bei genügend hoher Keimzahl sieht man im Tuschepräparat des Liquors typische runde Gebilde mit einer Schleimkapsel als typischem Strukturelement und Virulenzfaktor. Die kulturelle Anzüchtung ist unproblematisch, der Pilz wächst innerhalb von 2–5 Tagen. Ferner steht mit dem Nachweis des Kapselantigens aus Liquor und Serum eine sichere diagnostische Methode zur Verfügung.

Therapie

Die Therapie erfolgt mit Amphotericin B plus Flucytosin über 4–6 Wochen. Danach muss bei HIV-Patienten Fluconazol bzw. Itraconazol als Sekundärprophylaxe gegeben werden. Bei Erreichen einer stabilen Helferzellzahl >200/μl kann nach 6 Monaten die Prophylaxe abgesetzt werden.

13.7.2. Erkrankungen durch Schimmelpilze

Definition Schimmelpilze sind ubiquitär verbreitete Hyphenpilze. Medizinische Bedeutung haben vor allem Aspergillus (A. fumigatus, A. flavus, A. niger, A. terreus) und Mucorales.

Aspergillosen

Synonym: Aspergillose

Bei einem 18-Jährigen wird die Erstdiagnose einer akuten myeloischen Leukämie gestellt. Unter Chemotherapie mit Thioguanin, Arabinosid-C und Daunorubicin (TAD) tritt erwartungsgemäß eine etwa 2-wöchige Neutropenie < 500/μl auf. Der Patient fiebert während der Neutropenie auf (38,1 °C). Es werden Blutkulturen angelegt und sofort beginnt eine empirische Therapie mit Piperacillin/Tazobactam 3 × 4,5 g. Das Röntgenbild des Thorax und die Blutkulturen sind unauffällig. Dennoch fiebert der Patient jetzt schon seit 72 h. Im nativen CT Thorax liegt ein typisches Halozeichen vor. In der bronchoalveolären Lavage wird Galactomannan nachgewiesen. Der Patient wird mit Voriconazol 2 × 6 mg an Tag 1 und 2 × 4 mg ab Tag 2 behandelt. Unter dieser Therapie entfiebert er nach 6 weiteren Tagen. 3 Tage später erholt sich die Neutrophilenzahl.

Epidemiologie Inzidenz ca. 2/100 000. Aspergillus-Sporen kommen in der Außen- und Raumluft vor, in Belüftungsanlagen, an Feuchtstellen, in der Umgebung von Kartons, in Blumenerde und auf Trockenblumen sowie in Gewürzen. In Krankenhäusern ist besonders bei Baumaßnahmen mit der Freisetzung von Sporen zu rechnen. Bei 90% der Isolate aus klinischem Material handelt es sich um Aspergillus fumigatus.

Ätiologie und Pathogenese Da Aspergillus-Sporen 2–3 μm groß sind, dringen sie nach Inhalation bis in die Alveolen vor. Dennoch kommt es bei immunkompetenten Menschen nur bei Aufnahme sehr hoher Sporenmengen zur Erkrankung der Lunge. Nach inhalativer Aufnahme können sich die Sporen zunächst klinisch stumm z. B. in den Nasennebenhöhlen festsetzen. Von dort aus ist bei Immunsuppression ein Befall der Orbita und des ZNS möglich. In der Lunge kommt es zu verschiedenen Erkrankungsformen:

  • Bei vorbestehenden Kavernen oder Bronchiektasen kann sich ein Aspergillom (engl.: fungus ball) entwickeln, welches röntgenologisch an der typischen Luftsichel erkennbar ist (Abb. 13.46 ).

    Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

    Aspergillom. Beweglicher „Pilzball” in vorbestehender Höhle, z. B. tuberkulöser Kaverne mit typischer Luftsichel.

  • Bei Patienten mit vorgeschädigter Lunge, z. B. Mukoviszidose- und COPD-Patienten führt der Aspergillus-Befall entweder nur zu einer saprophytären Besiedlung oder zu einer allergischen bronchopulmonalen Aspergillose (ABPA), die durch flüchtige Infiltrate und das Aushusten von Schleimpfröpfen gekennzeichnet ist.

  • Bei hochgradiger Abwehrschwäche – besonders gefährdet sind neutropenische Patienten – entwickelt sich eine invasive pulmonale Aspergillose.

Bei der invasiven Form treten infarzierende Gefäßverschlüsse auf, die Hämoptysen und massive, evtl. tödliche Blutungen auslösen können.

Diagnostik

Das charakteristische Bild des Aspergilloms wird mittels Röntgen oder CT der Lunge diagnostiziert (Abb. 13.46). Zur OP-Planung ist ein CT in jedem Falle sinnvoll. Die Diagnose der anderen Formen ist komplex: bei der ABPA ist die Kombination aus anamnestischem Asthma, positivem Aspergillus-Antigen-Hauttest, spezifischen Aspergillus-fumigatus-Antikörpern im Serum (IgG und IgE), Gesamt-IgE im Serum > 1000 ng/ml, Eosinophilenzahl > 500/μl, Lungeninfiltraten und zentralen Bronchiektasen im CT. Beweisend für die invasive pulmonale Aspergillose ist die Histologie. Da diese meist kontraindiziert ist, wird eine Kombination aus typischer CT-Morphologie (Halo-Zeichen [Abb. 13.47 ] oder Luftsichelzeichen) mit dem Nachweis von Galactomannan aus dem Serum als hinreichend angesehen. Damit wird häufig auf die eindeutige Bestimmung durch kulturelle Anzüchtung verzichtet. Die unvollkommene Diagnostik verhindert eine epidemiologische Erfassung.

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Invasive pulmonale Aspergillose. Typisch ist das rechtsseitige noduläre Infiltrat mir umgebendem Halo.

Therapie

Ein Aspergillom kann nur chirurgisch saniert werden. Die ABPA spricht auf Prednison 1 mg/kg an, das mit Itraconazol 5 mg/kg kombiniert werden kann. Prednison sollte nach 14 Tagen ausgeschlichen werden, Itraconazol wird für 4 Monate gegeben. Zur Primärtherapie der invasiven pulmonalen Aspergillose kommt Voriconazol in Frage. Bei Kontraindikationen kann auf liposomales Amphotericin B ausgewichen werden, bei Nichtansprechen ist Caspofungin eine Alternative. Die Therapiedauer beträgt Monate und richtet sich nach dem CT im Verlauf.

Verlauf und Prognose Das Aspergillom wird chirurgisch definitiv saniert und hat damit eine gute Prognose. Die Prognose der ABPA wird unzureichend verstanden. Die invasive pulmonale Aspergillose hat, wenn sie frühzeitig im CT diagnostiziert wird, eine gute Prognose. Bei ausgedehntem Befall der Lunge beträgt die Letalität 30–50%.

Zygomykosen

Synonym: Mucorales

Definition In der Ordnung Mucorales (Köpfchenschimmel) sind Pilze der Gattungen Mucor, Rhizopus, Absidia, Rhizomucor, Cunninghamella und andere vertreten. Sie sind in der Umwelt weit verbreitet.

Epidemiologie Inzidenz ca. 0,5/100 000. Es ist eine Grunderkrankung erforderlich, ohne die keine Zygomykose entsteht.

Ätiologie und Pathogenese Die Sporen dringen mit der Atemluft in die oberen und unteren Luftwege ein. Abwehrschwäche, z. B. wochenlange Neutropenie, Eisenüberladung oder schlecht eingestellter Diabetes mellitus Typ 2 ermöglicht den Mucorales invasives Wachstum.

Symptome

Die pulmonale Zygomykose verursacht keine Symptome oder einen diskreten Husten, die sinuorbitale Zygomykose betrifft fast ausschließlich Diabetiker und führt zur einseitigen Erblindung und in der Folge als rhinozerebrale Form zu generalisierten Krampfanfällen.

Diagnostik

Im CT der Lunge und des Kopfes werden uncharakteristische Raumforderungen gesehen, die in Verbindung mit der Grunderkrankung an diese Differentialdiagnose denken lassen sollten. Eine histologische Sicherung ist zwingend erforderlich.

Therapie

Neben der radikalen und ggf. wiederholten chirurgischen Sanierung besteht die medikamentöse Therapie der Wahl in liposomalem Amphotericin B. Die Empfehlungen zur Dosierung gehen auseinander: 3–10 mg/kg. Ist der Patient Diabetiker, dann wird sich die Nierenfunktion unter dieser Therapie sehr bald verschlechtern. Einzige Alternative ist Posaconazol 4 × 200 mg. Die Therapiedauer kann nicht genau abgegrenzt werden, beträgt aber zumindest 1–2 Jahre. Nach Ende der Therapie ist eine regelmäßige Nachsorge nötig.

Verlauf und Prognose Der Verlauf hängt von der erfolgreichen Behandlung der Grundkrankheit und damit im Falle eines Diabetes von der Adhärenz des Patienten ab. Wird ein Diabetes optimal therapiert, kann die Infektion überlebt werden. Die Gesamtsterblichkeit beträgt 30–70%. Nach 1–2 Jahren kann unter engmaschiger Kontrolle eine Therapiepause versucht werden.

13.7.3. Erkrankungen durch dimorphe Pilze

Während Infektionen mit den bisher besprochenen Pilzen eine Abwehrschwäche voraussetzen, sind die dimorphen Pilze, die Erreger der klassischen Systemmykosen, obligat pathogen. Sie leben temperaturabhängig in 2 Formen:

  • Bei 37 °C liegt die parasitäre Sprosspilzform vor.

  • Bei Temperaturen unter 30 °C nehmen sie die saprophytäre Schimmelpilzform an, deren in sog. Arthrosporen zerfallende Hyphen das infektiöse Agens darstellen.

Die dimorphen Pilze kommen nur in bestimmten Endemiegebieten vor, wo die Infektion meist durch Einatmen von sporenhaltigem Staub erfolgt. Da eine Übertragung von Mensch zu Mensch nicht beschrieben ist, kann die Infektion nur in den Endemiegebieten erworben werden. Eine entsprechende Reiseanamnese kann also den Verdacht auf die Erkrankung richten (Tab. 13.35 ).

Tab. 13.35

Erkrankungen durch dimorphe Pilze

ErkrankungErregerVorkommenKlinische ErscheinungenDiagnoseTherapie
Kokzidioidomykose Coccidioides immitis Südliche USA, Kalifornien, Mittel- und Südamerika Inkubationszeit 1–3 Wochen. Husten, Auswurf, Fieber, Pneumonie, Pleuritis, Arthralgien. Immunsupprimierte Patienten höher gefährdet. Disseminierung mit Befall aller Organe möglich. Häufiger aber oligosymptomatisch Mikroskopischer Nachweis der typischen Sphärulen, kulturelle Anzüchtung (Cave: Laborinfektionen), serologische Reaktionen, Hauttest Überwiegend Spontanheilung, ansonsten Amphotericin B, Liposomales Amphotericin B, Itraconazol
Histoplasmose Histoplasma capsulatum Weltweit, endemisch in den südlichen USA und Mittlerem Westen, besonders in Vogel- und Fledermauskot Inkubationszeit 3–17 Tage. Bei nicht Immunsupprimierten: primärer Verlauf subklinisch oder als akute Pneumonie (Fieber, Hypoxie, Lungeninfiltrat). Chronischer Verlauf mit Schwäche, Müdigkeit, Gewichtsverlust, enoralen Ulzera möglich. Verwechslung mit Tuberkulose möglich. Bei vorgeschädigter Lunge, z. B. Emphysem: chronisch kavitäre Form. Bei Patienten mit zellulärem Immundefekt, z. B. HIV systemische Disseminierung Mikroskopischer Nachweis (nativ oder Giemsa) von Hefezellen in Makrophagen, kulturelle Anzüchtung (5–14 Tage), histologisch (Grocott-Gomori-Färbung); Antigennachweis (Cave: Kreuzreaktion mit Blastomyces) Häufig Spontanheilung, ansonsten Itraconazol, Fluorconazol, in schweren Fällen liposomales Amphotericin B
Afrikanische Histoplasmose Histoplasma capsulatum var. duboisii Zentralafrika Aufnahme wahrscheinlich oral. Kein Lungenbefall, enoral granulomatöse Läsionen, subkutane Herde, Läsionen in Schädel- und Röhrenknochen Wie oben bei H. capsulatum Itraconazol, in schweren Fällen liposomales Amphotericin B
Nordamerikanische Blastomykose, Gilchrist-Erkrankung Blastomyces dermatitidis Zentrale, südöstliche, südliche USA, selten Südamerika, Afrika, Indien, Mittlerer Osten Systemische granulomatöse Erkrankung. Akute Pneumonie: hohes Fieber, Husten, Auswurf, lobäre Infiltrate; chronisch: Verwechslung mit Tuberkulose; extrapulmonal: verruköse oder ulzerative Hautläsionen, Befall von Knochen, Prostata, Leber, Milz, ZNS. Mikroskopischer Nachweis; kulturelle Anzüchtung (10–14 Tage) Fluconazol, Itraconazol, in schweren Fällen liposomales Amphotericin B
Südamerikanische Blastomykose, Parakokzidioidomykose Paracoccidioides brasiliensis Südamerika Inkubationszeit bis 10 Jahre. Enorale Ulzera, Zahnausfall, sekundärer Befall von Haut, Lymphwegen, Milz, Leber, Knochenmark; Symptome oft erst nach langer Zeit; primärer Lungenbefall meist unerkannt, sekundärer Lungenbefall (hämatogen) unbehandelt infaust Mikroskopischer Nachweis; kulturelle Anzüchtung Itraconazol, in schweren Fällen liposomales Amphotericin B

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KEYWORDS

Aspergillose ♦ aspergillosis ♦ Candidiasis ♦ cryptococcosis ♦ invasive filamentous fungal infections ♦ invasive fungal infections ♦ Kryptokokkose ♦ moulds ♦ mucormycosis ♦ mycoses ♦ Zygomykose ♦ zygomycosis

13.8. Durch Protozoen und Helminthen verursachte Krankheiten, Tropenkrankheiten

13.8.1. Erkrankungen durch Protozoen

Synonym: Protozoonosen

Tabelle 13.36 gibt einen Überblick über Krankheiten, die von Protozoen verursacht werden.

Tab. 13.36

Protozoen und Krankheiten, die von ihnen hervorgerufen werden

ErregerKrankheitsbezeichnungPräpatenz/Inkubation (kürzeste Zeit in Tagen)
Sporozoen

Plasmodium faciparum Malaria tropica 6/7
P. vivax Malaria tertiana 10/12
P. ovale Malaria tertiana 10/12
P. malariae Malaria quartana /20
Toxoplasma gondii Toxoplasmose /7
Cryptosporidium spp. Kryptosporidose /4
Isospora belli Kokzidiose /1
Sarcocystis bovihominis Sarkosporidiose /1
S. suihominis 15/1

Amöben

Entamoeba histolytica Amöbenruhr /6
E. dispar, E. coli, E. hartmanni Apathogene Amöben –/–
Naegleria fowleri u. a. Primäre Amöbenmeningoenzephalitis /3

Flagellaten

Giardia lamblia Giardiasis /3
Trypanosoma brucei gambiense Schlafkrankheit /5
T. b. rhodesiense Schlafkrankheit /5
T. cruzi Chagas-Krankheit /7
Leishmania donovani mit Unterarten Kala-Azar (viszerale Leishmaniose) /10
L. tropica, L. major Hautleishmaniose /6
L. brasiliensis und verwandte Arten Schleimhautleishmaniose /10

Ziliaten

Balantidium coli Balantidienruhr /–

Flagellaten

Giardiasis

Synonym: Lambliasis

Definition Der Flagellat Giardia lamblia (Syn.: G. intestinalis, G. duodenalis) kommt als Dünndarmparasit beim Menschen und bei einigen Säugetieren vor. Giardien treten in Form von Trophozoiten (Vegetativform, 5–9 × 12–18 μm groß, mit zwei Zellkernen und vier Geißelpaaren) und Zysten (im Stuhl ausgeschiedene Dauerform, 7–9 × 8–12 μm groß mit 4 Zellkernen) auf. Die Zysten können im externen Milieu monatelang infektionstüchtig bleiben.

Epidemiologie Giardien sind ubiquitär verbreitet. In Entwicklungsländern ist die Prävalenz deutlich höher als in Ländern mit hohem Hygienestandard.

Ätiologie und Pathogenese Die Infektion kommt durch die orale Aufnahme von Zysten in kontaminiertem Wasser oder auch Nahrungsmitteln zustande. Die Parasiten sind nicht invasiv. Sie können jedoch größere Darmflächen regelrecht auskleiden und zu wässrigen, säuerlich riechenden Durchfällen führen (Abb. 13.48 ).

Komplikation Häufigkeit

Post-Giardia-Laktoseintoleranz 20–40% der symptomatischen Fälle

Malabsorptionssyndrom Bei stark exponierten Kindern häufig

Symptome

Das Spektrum des klinischen Erscheinungsbildes reicht von völliger Symptomlosigkeit bis zu schweren Durchfällen mit deutlichem Malabsorptionscharakter, Erbrechen und starken abdominellen Schmerzen.

Diagnostik

Bei akutem Durchfall können im frischen, mikroskopisch untersuchten Stuhl die beweglichen Trophozoiten, meist zusammen mit dem Zystenstadium des Parasiten, nachgewiesen werden. Bei Patienten mit weniger ausgeprägter Symptomatik sowie im nicht frischen Stuhl werden nur Zysten gefunden. Sensitiver als die Mikroskopie ist der Nachweis spezifischen Antigens mittels ELISA im Stuhl.

Therapie

Mittel der Wahl sind 5-Nitroimidazole (z. B. Metronidazol, Tinidazol). Der Behandlungserfolg muss nach 3–4 Wochen durch Stuhluntersuchungen kontrolliert werden. Mehrfache Kuren können erforderlich sein.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Giardia lamblia, Dünndarmbiopsie, Hämatoxylin-Färbung. Festgesaugt auf dem Bürstensaum bzw. in unmittelbarer Nähe zahlreiche strich- bis sichelförmige Gebilde, z. T. ist auch die typische Lamblienform angedeutet.

Prognose Die Prognose ist gut, allerdings können in manchen Fällen auch nach erfolgreicher Therapie noch eine Zeit lang intestinale Symptome (z. B. Laktoseintoleranz) bestehen.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Aufnahme der Zysten durch kontaminiertes Wasser oder Nahrungsmittel

  • Wichtigste Symptome: Durchfälle, Erbrechen, abdominelle Schmerzen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Nachweis von Parasiten oder Antigen im Stuhl

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: Gabe von 5-Nitroimidazol, Stuhlkontrolle nach 3–4 Wochen

Viszerale Leishmaniose

Synonym: Kala-Azar

Definition Die Leishmaniosen sind überwiegend Anthropozoonosen, die durch Hämoflagellaten der Gattung Leishmania hervorgerufen werden. Verschiedene Spezies von Phlebotomus-Mücken übertragen diese Parasiten. Es gibt mind. 30 verschiedene Leishmanienspezies, die in unterschiedlichen Regionen vorkommen und unterschiedliche Krankheitsbilder auslösen können. Neben der viszeralen Leishmaniose gibt es auch kutane und mukokutane Formen, auf die hier aber nicht näher eingegangen werden soll.

Epidemiologie Die viszerale Leishmaniose ist in zahlreichen tropischen und subtropischen Gebieten endemisch, so auch im Mittelmeerraum. Der Mensch und verschiedene Säugetiere fungieren als Erregerreservoir, im Mittelmeerraum sind dies vor allem Hunde.

Ätiologie und Pathogenese Die Parasiten vermehren sich intrazellulär in den Zellen des retikuloendothelialen Systems. Besonders betroffen sind Leber, Milz und Knochenmark. Mit fortschreitender Erkrankung entwickelt sich eine Hepatosplenomegalie durch die Vergrößerung des histiozytären Anteils in diesen Organen. Im Knochenmark drängen die proliferierenden Retikulumzellen die übrigen Komponenten stark zurück, so dass Anämie, Granulozytopenie und Thrombopenie entstehen.

Der Schweregrad der Erkrankung ist variabel, hier spielt die zellvermittelte, TH1/TH2-gesteuerte Immunantwort eine Rolle. Auch eine generelle Immunsuppression wie bei der HIV-Infektion begünstigt die Entwicklung einer viszeralen Leishmaniose.

Symptome

Nach einer sehr variablen Inkubationszeit (3 Wochen bis zu Jahre, im Durchschnitt 2–4 Monate) entwickelt sich in der Regel schleichend eine fieberhafte Erkrankung mit Anämie, Hepatosplenomegalie und Gewichtsverlust. Milzinfarkte sowie Nekrosen innerhalb der Leber können vorkommen, ebenso interstitielle Pneumonien.

Häufig steht eine durch die zunehmende Abwehrschwäche bedingte Zweiterkrankung im Vordergrund des klinischen Bilds, z. B. eine Tuberkulose. Aus diesen Gründen haben Leishmaniosepatienten nicht selten eine lange Vorgeschichte mit Fehldiagnosen bzw. ohne befriedigende Diagnose.

Bei HIV-infizierten Patienten kann die Symptomatik verändert sein. Lymphadenopathien und Ulzera der Schleimhäute treten häufiger auf, Hepatosplenomegalien dagegen nicht immer.

Diagnostik

Wecken Anamnese und klinisches Bild den Verdacht auf eine viszerale Leishmaniose, wird die Diagnose durch den Nachweis von Leishmanien im Knochenmark- oder Milzpunktat gestellt (Abb. 13.49 ). PCR bietet die sensitivste Methode zum Parasitennachweis aus Gewebe, hier ist auch eine Speziesdifferenzierung möglich.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Viszerale Leishmaniose (Kala-Azar), Knochenmarkausstrich (Giemsa-Färbung). Neben den Zellen des Knochenmarks eine Anzahl von Leishmanien. Diese eigentlich intrazellulär gelegenen Parasiten können durch Zerreißen der Zelle beim Ausstreichen freigesetzt werden und deshalb im Präparat extrazellulär liegen. Entscheidend für die Diagnose von Leishmanien ist, dass neben dem Zellkern der Kinetoplast als separates Organell sicher erkannt wird (Pfeil).

Als sehr wertvoll hat sich die serologische Diagnostik erwiesen. Der Nachweis von Antikörpern im indirekten Immunfluoreszenztest ist nach dem direkten Parasitennachweis die zuverlässigste Methode. Nur immunsupprimierte Patienten (vor allem Patienten mit AIDS) bilden gelegentlich keine ausreichenden Antikörpertiter aus.

Differentialdiagnose Ausschlussmaßnahmen

Leukämie, Lymphome Knochenmarkpunktion, evtl. Lymphknotenbiopsie

Malaria Anamnese, Dicker Tropfen

Brucellose Anamnese, Blutkultur, Serologie

Typhus Anamnese, Blutkultur, Stuhl, Serologie

Miliartuberkulose Tine-Test, Sputum, Röntgendiagnostik, PCR

Therapie

Die klassische Therapie besteht aus einer mehrwöchigen Therapie mit 5-wertigen Antimonverbindungen (z. B. Pentostam®, Glucantime®). Aufgrund von Resistenzen (vor allem in Indien) und Nebenwirkungen wird inzwischen häufig

alternativ Amphotericin B oder das besser verträgliche liposomale Amphotericin B gegeben. Vorteil ist ein kürzeres Behandlungsschema, Nachteil sind deutlich höhere Kosten. Das Alternativpräparat Miltefosin (Impavido®) ist das einzige Mittel, das oral appliziert werden kann. Aufgrund hoher Effektivität und geringer Nebenwirkungen hat es sich innerhalb kürzester Zeit als Mittel der Wahl etabliert.

Prognose Eine klinisch manifeste Kala-Azar führt stets zum Tode, wenn nicht rechtzeitig und ausreichend behandelt wird. In diesem Fall ist die Prognose allerdings in der Regel ausgezeichnet.

Komplikation Häufigkeit

Sekundärinfektionen, besonders Tuberkulose Häufig

Hämorrhagien

Milzinfarkt Bei längerem Verlauf

Immunkomplexnephritis, -uveitis Selten

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: verschiedene Leishmanienspezies, im Mittelmeerraum L. infantum

  • Wichtigste Symptome: Fieber, Panzytopenie, Hepatosplenomegalie

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Knochenmarkpunktion, PCR, Serologie

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: Miltefosin oder Amphotericin B

Trypanosomeninfektionen

Synonyme: Schlafkrankheit, Chagas-Krankheit

Ätiologie und Epidemiologie Krankheitserreger aus der Gruppe der Trypanosomen sind beim Menschen Trypanosoma brucei gambiense und T. b. rhodesiense, die in Endemiegebieten West- und Zentralafrikas (T. b. g.) bzw. Zentral- und Ostafrikas (T. b. r.) die Schlafkrankheit verursachen, des Weiteren T. cruzi, das die in Süd- und Mittelamerika vorkommende Chagas-Krankheit auslöst. Die afrikanischen Trypanosomen werden durch den Stich der Tsetsefliege übertragen, die amerikanischen durch Raubwanzen. Diese setzen beim Blutsaugen flüssigen Kot ab, der die infektiösen Trypanosomenstadien enthält. Die Parasiten dringen über den Stichkanal oder über Schleimhäute, z. B. die Bindehaut des Auges, ein. Als Erregerreservoir fungieren häufig Tiere, bei T. b. gambiense und T. cruzi auch der Mensch.

Pathogenese und Symptome

Schlafkrankheit Die Trypanosomen vermehren sich zunächst an der Einstichstelle (Trypanosomenschanker), dann generalisiert im Blut und in der Lymphe (hämolymphatisches Stadium mit unregelmäßigem Auftreten von Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Lymphknotenvergrößerungen, Ödemen, Hepatosplenomegalie, Hautveränderungen, Herzrhythmusstörungen u. a.). Schließlich dringen die Erreger in das zentrale Nervensystem ein. Sie führen über ein meist monatelanges Siechtum zu zunehmender Erschöpfung, neurologischen Störungen, Bewusstseinstrübung und Auszehrung des Kranken (meningoenzephalitisches Stadium).

Chagas-Krankheit Das klassische Romaña-Syndrom (Konjunktivitis und Lidödem) kann auftreten, wenn der trypanosomenhaltige Kot der Raubwanzen in das Auge gelangt. Die Symptome der akuten Phase sind sehr variabel (Fieber, Lymphadenopathien, Tachykardien u. a.). Die Trypanosomen sind anfangs zwar im Blut zu finden, vermehren sich jedoch ausschließlich intrazellulär als amastigote (geißellose) Formen unter langsamer Zerstörung der befallenen Wirtszellen. Besonders betroffen sind Hohlorgane (Herz, Darm). Schleichend über Monate, meist sogar Jahre, entwickelt sich eine massive Dilatation der betroffenen Organe mit den entsprechenden Komplikationen (z. B. dilatative Kardiomyopathie).

Diagnostik

Schlafkrankheit Der direkte Parasitennachweis im Blut (mittels verschiedener Anreicherungsmethoden), Lymphknotenpunktat oder Liquor sollte angestrebt werden. Indirekte Hinweise geben serologische Verfahren (ELISA, Fluoreszenztests, Agglutinationstests) und charakteristische Laborbefunde wie z. B. die Gesamt-IgM-Erhöhung in Blut und Liquor.

Chagas-Krankheit Nur in der akuten Phase sind die Parasiten direkt im Blut zu finden. In der chronischen Phase spielen serologische Tests die größte Rolle.

Differentialdiagnose Ausschlussmaßnahmen

Schlafkrankheit

Malaria Anamnese, Dicker Tropfen

Viszerale Leishmaniose Anamnese, Knochenmarkpunktion

Tuberkulose Anamnese, Röntgen, Tine-Test, Sputum, PCR

Lymphome Anamnese, Knochenmarkpunktion, Lymphknotenbiopsie

Brucellose Anamnese, Blutkultur, Serologie

Virusinfektionen Anamnese, Serologie

Enzephalitiden anderer Genese Anamnese, CT, Liquorpunktion

Chagas-Krankheit

Herzinsuffizienz anderer Genese Kardiologische Abklärung

Therapie

  • Die Schlafkrankheit wird je nach Stadium mit Suramin (nicht liquorgängig) oder Pentamidin bzw. Melarsoprolol oder Eflornithin behandelt.

  • Zur Behandlung der Chagas-Krankheit stehen Nifurtimox und Benznidazol zur Verfügung.

Die Behandlung aller Trypanosomiasen ist schwierig und sollte Spezialisten vorbehalten bleiben.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursachen: Trypanosoma brucei gambiense/ rhodesiense bzw. Trypanosoma cruzi

  • Wichtigstes Symptom: Enzephalitis bzw. Herzinsuffizienz

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Parasitennachweis, Serologie

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: Behandlung in Absprache mit Spezialisten

Rhizopoden

Amöbiasis

Synonym: Amöbenruhr

Definition Infektion mit der Amöbe Entamoeba histolytica.

Der Trophozoit als einkernige Vegetativform kann sich mittels Pseudopodien aktiv fortbewegen; im externen Milieu ist er nicht überlebensfähig. Es existieren 2 Formen:

  • Magnaform: Erythrozyten phagozytierend, gewebeinvasiv

  • Minutaform: Darmlumenform, kleiner, nichtinvasiv, kann sich aber in die Magnaform umwandeln. Mikroskopisch ist E. histolytica nicht von der apathogenen Amöbe E. dispar zu unterscheiden!

Die reife Zyste stellt die vierkernige Dauerform dar; sie ist auch im externen Milieu relativ resistent.

Epidemiologie Weltweite Verbreitung mit Häufung in Tropen und Subtropen.

Ätiologie und Pathogenese Amöbenzysten werden mit fäkal verunreinigtem Trinkwasser oder kontaminierter Nahrung aufgenommen. Vorzugsweise im Kolon entsteht die Minutaform, die entweder nichtinvasiv bleibt oder sich in die invasive Magnaform umwandeln kann (Abb. 13.50 ). Hier spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, die einerseits in der unter schiedlichen Pathogenität der Amöbenstämme zu suchen sind, andererseits im Darmmilieu. So fördern bakterielle Diarrhöen eine invasive Amöbiasis.

Symptome

Die Krankheitsbezeichnung „Amöbenruhr“ kann irreführend sein, denn wirklich ruhrartige Durchfälle sind eher selten. Abhängig von Lokalisation und Ausdehnung der Darmulzera sind halbflüssige oder breiige Stühle mit festen Bestandteilen und Blut-Schleim-Beimengungen typisch.

Diagnostik

  • mikroskopische Stuhluntersuchung: Die Probe muss gezielt aus den blutig-schleimigen Anteilen des frisch abgesetzten Stuhls entnommen und innerhalb von 2 h mikroskopiert werden (nicht eigens warm halten!). Die typischen beweglichen hämatophagen Trophozoiten sind dann im Nativpräparat leicht zu erkennen (Abb. 13.51 ). Werden im Stuhl nur Minutaformen und/oder Zysten gefunden, so ist die Diagnose schwieriger, da Minutaformen und Zysten von E. histolytica sich mikroskopisch nicht von jenen der apathogenen Amöbe E. dispar unterscheiden lassen.

    Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

    Entamoeba histolytica (Stuhlpräparat, nativ). 4 Magnaformen mit phagozytierten roten Blutkörperchen (Pfeile) sind zu erkennen, außerdem enthält der Stuhl freie rote Blutkörperchen (stark deformiert, Pfeilköpfe) und wenige Leukozyten (Sternchen).

  • Antigennachweis im Stuhl: nach ELISA-Prinzip, ist sensitiver als die Mikroskopie. Neuere Tests ermöglichen die Differenzierung zwischen pathogenen und apathogenen Amöben.

  • Rekto-/Koloskopie: Typisch sind Ulzera mit zackiger Begrenzung und hämorrhagischen Rändern, die von makroskopisch normal wirkender Mukosa umgeben sind. Wenn der mikroskopische Amöbennachweis im Stuhl oder im rektoskopisch gewonnenen Schleim nicht gelingt, können aus dem Geschwürsrand gewonnene Gewebeproben direkt oder histologisch untersucht werden.

  • Serologie: Bei der invasiven Amöbiasis, vor allem bei extraintestinalem Befall, sind spezifische Serum-Antikörper nachzuweisen, die man bei der reinen Darmlumeninfektion nur in Ausnahmefällen findet.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Entamoeba histolytica: Entwicklung im Darm.

Differentialdiagnose Ausschlussmaßnahmen

Bakterielle Diarrhöen (Shigellose, Salmonellose, Yersiniose, Campylobacter-, EHEC-Infektion u. a.) Klinik, mikrobiologische Stuhluntersuchung

Giardiasis Mikroskopische Stuhluntersuchung

Morbus Crohn, Colitis ulcerosa Koloskopie mit Histologie

Dickdarmkarzinom

Therapie

Mittel der Wahl sind die 5-Nitroimidazole (z. B. Tinidazol, Metronidazol). Diese Medikamente werden ausgezeichnet resorbiert und wirken vor allem auf die Gewebsformen. Zur Behandlung der Darmlumenformen können zusätzlich Paromomycin oder Diloxanidfuroat gegeben werden.

Nach der klinischen Heilung einer Amöbenerkrankung sollte der Stuhl nach etwa 6 Wochen nochmals auf Amöben untersucht werden, da zurückgebliebene Darmlumenformen zu einem Rezidiv führen können.

Verlauf und Prognose Eine Darmamöbiasis kann sich über mehrere Monate hinziehen. Charakteristisch ist der Wechsel zwischen stärkeren Beschwerden und weitgehender Beschwerdefreiheit. Die entstehenden Geschwüre können alle Schichten der Darmwand durchsetzen, auch eine hämatogene Verschleppung der Amöben, vor allem in die Leber, ist möglich. Dort führen sie dann zur Bildung von Nekrosen, die klinisch als Abszesse in Erscheinung treten. Unbehandelt entwickeln bis zu 30% der Patienten mit manifester Darmamöbiasis Leberabszesse. Diese können aber auch vorkommen, ohne dass zuvor ein intestinaler Befall klinisch manifest geworden ist.

Komplikation Häufigkeit

Perforation von Ulzera, Peritonitis Relativ selten

Leberabszess Bis zu 30%

Abszesse in anderen Organen
Selten
Hautamöbiasis

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Infektion mit Entamoeba histolytica

  • Wichtigste Symptome: schleimig-blutiger Durchfall, Bauchschmerzen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Nachweis von Parasiten oder Antigen im Stuhl

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: 5-Nitroimidazole

Sporozoen

Toxoplasmose

Definition Infektion mit dem Kokzidium Toxoplasma gondii.

Epidemiologie Toxoplasmen können fast alle Säugetiere, u. a. den Menschen, und Vögel als Zwischenwirt nutzen, obligate Endwirte sind Katzen. Die Prävalenz der Infektion mit T. gondii nimmt mit steigendem Lebensalter zu. Hierzulande haben etwa 30% der Frauen im gebärfähigen Alter Antikörper gegen Toxoplasmen.

Ätiologie und Pathogenese Frisch infizierte Katzen scheiden mit ihrem Kot Oozysten aus, die nach einer Reifungszeit von wenigen Tagen für den Zwischenwirt infektiös werden. Menschen nehmen sie über Salate, Rohkost, Erdbeeren etc. auf, Tiere auch direkt aus dem Erdboden oder über Gras. Eine weitere wichtige Infektionsquelle für den Menschen sind die sog. Gewebszysten in rohem oder ungenügend gegartem Fleisch von Schlachttieren (vor allem Schweine- und Schaffleisch).

Nach oraler Aufnahme vermehren sich die Toxoplasmen als sich schnell teilende sog. Tachyzoiten mehrere Wochen lang in verschiedenen Körperzellen, vorrangig des retikuloendothelialen Systems (Abb. 13.52 ). Sie verursachen einen mäßig ausgeprägten Zelluntergang mit einer zunächst geringgradigen Entzündungsreaktion. Bereits etwa 1 Woche nach der Infektion beginnt das Immunsystem auf die Infektion zu reagieren. Die Parasitenvermehrung wird innerhalb weniger Wochen deutlich verlangsamt. Die Parasiten kommen dann im Wesentlichen nur noch in Zysten vor, in denen sie vor dem Angriff von Immunfaktoren geschützt sind.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Toxoplasma gondii, Zellkultur (Giemsa-Färbung). In einer Zelle 2 sog. parasitophore Vakuolen mit zahlreichen Trophozoiten von T. gondii.

Die Zysten werden bevorzugt im Gehirn, in der Retina und in der Muskulatur gebildet (Abb. 13.53 ). Die Parasiten in den Zysten bleiben jahrelang lebensfähig und verursachen in der Regel keine Symptome.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Toxoplasma gondii, Gehirn (Nativ-Quetschpräparat). Eine große Zyste mit zahlreichen Einzelparasiten. Die Zyste ist durch Druck auf das Deckglas bereits gesprengt. Ein freigesetzter Einzelparasit befindet sich links neben der Zyste (Pfeil).

Liegt eine Schwäche der Immunabwehr vor, proliferieren die Parasiten ungehemmt und führen zu ausgedehnten Zerstörungen in den befallenen Organen.

Symptome

  • beim Immunkompetenten: Die Infektion verläuft in der Regel symptomlos. Gelegentlich tritt ein grippeähnliches Krankheitsgefühl mit geringfügig erhöhter Körpertemperatur auf, manchmal sind vergrößerte Lymphknoten, vor allem am Hals, tastbar. In seltenen Fällen kommt es zu regelrechten fieberhaften Erkrankungen mit generalisierter, nicht schmerzhafter Lymphadenopathie, geringfügiger Hepatosplenomegalie und erhöhten Entzündungsparametern.

  • beim Immunsupprimierten: Bei AIDS-Patienten manifestiert sich die Toxoplasmose typischerweise als Enzephalitis mit einzelnen oder multiplen Herden, auch generalisierte Infektionen kommen vor.

  • pränatale Toxoplasmose: Infiziert sich eine Frau erstmals während einer Schwangerschaft, können Toxoplasmen in die Plazenta einwandern, die Plazentaschranke durchdringen und das Ungeborene befallen. Sehr frühe Infektionen führen häufig zum Tod des Kindes, spätere können klinisch zunächst unauffällig sein oder sich nur in Chorioretinitiden und geringfügigen Entwicklungsverzögerungen manifestieren.

Diagnostik

  • Serologie: Zur Diagnostik einer Toxoplasmose sind mindestens 2 Antikörpernachweise durchzuführen, einer für IgG- und der andere für IgM-Antikörper (Abb. 13.54 ). Sind beide negativ, so liegt keine Toxoplasma-Infektion vor.

    • Bei positivem IgG und negativem IgM ist eine länger zurückliegende, nicht mehr aktive Infektion wahrscheinlich. Sind beide positiv, so spricht dies für eine frische Infektion.

    • Im fetalen oder Neugeborenenblut ist der Nachweis von IgM oder IgA beweisend für eine Toxoplasmose.

    • Bei immunsupprimierten Toxoplasma-infizierten Patienten ist die Serologie fast immer positiv, die Dynamik der Antikörperentwicklung lässt eine Beurteilung des Infektionsstatus aber nicht zu.

    Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

    Titerverlauf bei Toxoplasma-Infektion. IgG-Antikörper bleiben jahrelang, wahrscheinlich lebenslang nachweisbar (Tests: Sabin-Feldman-Test, indirekte Immunfluoreszenz, verschiedene Enzymimmunoassays). Positive IgM-Antikörper sind je nach verwendeter Nachweismethode (Immunfluoreszenztest oder Immunosorbent Agglutination Assay) 3–12 Monate fassbar. Erhebliche individuelle Abweichungen von diesem allgemeinen Schema kommen vor.

  • Histologie: Im Lymphknotenbiopsat (oft zum Ausschluss anderer Ursachen gewonnen) sind meist keine Toxoplasmen nachzuweisen, die Verdachtsdiagnose einer Toxoplasmose kann aber häufig anhand des typischen histologischen Bildes gestellt werden (sog. Piringer-Kuchinka-Lymphadenitis mit kleinherdiger Epitheloidzellreaktion).

Differentialdiagnose Ausschlussmaßnahmen

Lymphom Lymphknotenbiopsie

Infektiöse Mononukleose und andere Virusinfektionen Serologie, Blutbild

Lymphadenopathien bakterieller Genese Fokussuche, Blutbild

Therapie

  • beim Immunkompetenten: In der Regel ist keine Therapie nötig.

  • beim Immunsupprimierten: Klassischerweise kommt eine Kombinationstherapie mit Pyrimethamin (plus Folinsäure) und einem Sulfonamid zur Anwendung. Anschließend sollte eine Sekundärprophylaxe erfolgen (Kap. 13.4).

  • Schwangerschaft: Eine nachgewiesene oder wahrscheinliche Erstinfektion während der Schwangerschaft ist eine absolute Therapieindikation. Mindestens 4 Wochen lang wird eine Kombination von Pyrimethamin (plus Folinsäure) und einem Sulfonamid (vor der 16. Woche Spiramycin, ab der 16. Schwangerschaftswoche meist Sulfadiazin) verabreicht. Die in den Zysten eingeschlossenen Parasiten sind chemotherapeutisch kaum zu beeinflussen, d.h., auch eine lange fortgeführte Behandlung vermag die Erreger nicht zu eliminieren; die Serologie bleibt positiv.

Verlauf und Prognose Bei Immunkompetenten ist die Prognose sehr gut. Die Infektion hinterlässt lebenslangen Schutz. Bei Immunsupprimierten hängt die Prognose von Art, Schwere und Dauer der zugrunde liegenden Immunsuppression ab, bei pränatal erworbener Toxoplasmose vor allem vom Zeitpunkt der Infektion sowie von der konsequenten Durchführung der Therapie.

Komplikationen Bei immunkompetenten Infizierten sind Komplikationen sehr selten. Treten sie auf, sollten sie immer den Verdacht auf eine Immunschwäche wecken.

Komplikation Häufigkeit

Zerebrale oder disseminierte Toxoplasmose 25–50% der HIV-Infizierten ohne Prophylaxe

Konnatale Toxoplasmose Ca. 0,35% der Schwangerschaften

Chorioretinitis toxoplasmotica Beim Immunkompetenten selten

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Infektion mit Toxoplasma gondii

  • Wichtigstes Symptom: Lymphadenopathie

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: serologischer Nachweis von IgG und IgM

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: beim Immunkompetenten keine

Malaria

Synonym: Wechselfieber, Sumpffieber

Für Entwicklungsländer ist die Malaria von überragender Bedeutung. Durch Touristen, Geschäftsreisende und Besucher wird sie in die Länder der gemäßigten Zonen mitgebracht. Nicht selten stellt sie dann ein diagnostisches Problem dar; besonders bei der häufigsten Form, der Malaria tropica, sind schnelle Diagnostik und gezielte Behandlung lebensrettend.

Definition Der Begriff Malaria umfasst mehrere durch Protozoen der Gattung Plasmodium verursachte fieberhafte Erkrankungen:

  • Malaria tropica (Plasmodium falciparum), (eng.: falciparum malaria)

  • Malaria tertiana (P. vivax, P. ovale) (eng.: vivax bzw. ovale malaria)

  • Malaria quartana (P. malariae) (eng.: quartan malaria).

Die Malaria tropica ist eine unmittelbar lebensbedrohliche Infektion.

Epidemiologie Die Malaria ist in fast allen tropischen und in vielen subtropischen Ländern verbreitet, ausgenommen sind, je nach Breitengrad, Höhenlagen über 2200 m NN, am Äquator über 3000 m NN. Die weit überwiegende Zahl der Infektionen manifestiert sich im Afrika südlich der Sahara (90% aller Fälle).

Insgesamt leben etwa 40% der Weltbevölkerung in Malariagebieten. Pro Jahr treten nach einer Schätzung der WHO 300 bis 500 Mio. Erkrankungen auf, wenigstens 1 Mio. davon verläuft tödlich. In Endemiegebieten kann die Malaria zwischen 10 und 30% der Kindersterblichkeit (1- bis 4-Jährige) verursachen.

Ätiologie und Pathogenese Die für den Menschen infektiösen Stadien der Malariaparasiten entwickeln sich ausschließlich in Stechmückenweibchen der Gattung Anopheles. Beim Stich der Mücke werden Sporozoiten mit dem Speichel übertragen, den der Moskito injiziert. Die Sporozoiten dringen in Leberzellen ein und vermehren sich dort. Nach einer Entwicklungszeit von mindestens 6 Tagen verlassen sie die zerstörte Leberzelle, treten in das Blut über und befallen die roten Blutkörperchen. Dort kommt es wiederum zu Wachstum und Vermehrung durch Teilung (Abb. 13.55 ). Dabei wird das Hämoglobin aufgebraucht und der Erythrozyt schließlich aufgelöst. Die frei werdenden Einzelparasiten (Merozoiten) penetrieren in weitere Erythrozyten. Nur diese Vermehrung im Blut (Blutschizogonie) führt zu den klinischen Erscheinungen einer Malaria. Bei der Lyse der roten Blutkörperchen freigesetzte Stoffwechselprodukte der Parasiten wirken als pyrogene Faktoren.

  • Malaria tertiana und quartana: Bei P. vivax-, P. ovale- und P. malariae-Infektionen kommt es ungefähr 1 Woche nach Krankheitsausbruch zur Synchronisation der Parasitenvermehrung im Blut, d.h., die Parasiten wachsen synchron heran und zerstören gleichzeitig ihre Wirtserythrozyten (P. vivax und P. ovale an jedem 2., P. malariae an jedem 3. Tag). Diese Synchronisation bedingt die regelmäßigen und charakteristischen Fieberanfälle. P. vivax und P. ovale hinterlassen sog. Hypnozoiten in der Leber, die Monate und Jahre später zu Rezidiven führen können.

  • Malaria tropica: P. falciparum neigt nicht zur synchronisierten Vermehrung. Eine weitere wichtige Besonderheit der Malaria tropica ist die Veränderung der Erythrozytenoberfläche durch die heranwachsenden Formen von P. falciparum. Die befallenen roten Blutkörperchen gewinnen dadurch eine besondere Affinität zum Gefäßendothel. Vor allem in den Kapillaren bleiben sie am Endothel „kleben“ (Sequestration) und verstopfen sie. Die Folge sind Hypoxie und Metabolitenstau im abhängigen Gewebebezirk (Abb. 13.56 ). Diese einzigartige Eigenschaft der Tropica-Parasiten bedingt die Gefährlichkeit der Malaria tropica, die infolge der zunehmenden Ischämie in wichtigen Organen (Gehirn, Lunge, Niere, Herz) innerhalb weniger Tage zum Tod führen kann.

    Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

    Malaria tropica, Gehirn (Histologie, HE-Färbung). Kapillare mit zahlreichen parasitierten roten Blutkörperchen, die vor allem an den dunklen Pigmentkörpern (Malariapigment) zu erkennen sind.

Symptome und Verlauf

Häufig setzt eine Malaria nach einer Inkubationszeit von einer oder mehreren Wochen schlagartig mit Kopf- und Rückenschmerzen, vor allem aber mit deutlichem Fieber ein. Frösteln und Hitzegefühl wechseln einander ab. Der Beginn einer Malariaerkrankung ist völlig uncharakteristisch und unterscheidet sich z. B. nicht von einer Grippe.

Malaria tertiana und quartana Nach einem einige Tage dauernden Initialfieber ohne Periodizität kommt es zu Fieberschüben, die jeweils 3–4 h dauern und nach einem fieberfreien Intervall von 1 oder 2 Tagen wiederkehren. Der Fieberanstieg ist von ausgeprägtem Schüttelfrost und schwerem Krankheitsgefühl begleitet.

Malaria tropica Diese weist in der Regel keine rhythmische Fiebercharakteristik auf. Nicht selten besteht eine Kontinua. Je schneller daran gedacht wird, dass eine Malaria tropica vorliegen könnte, und die notwendige Diagnostik (s. u.) durchgeführt wird, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit einer Organkomplikation durch die Sequestration. Gefürchtet ist besonders die sog. zerebrale Malaria mit zunehmender Benommenheit, die in ein Koma übergeht, das schließlich zum Tod führen kann. Kardiovaskuläre Manifestationen mit zunehmendem Herzversagen, Nierenbeteiligung, gastrointestinale Symptome mit Erbrechen und schweren Durchfällen sowie ein Lungenödem können auftreten.

Diagnostik

  • Mikroskopie: Im Blutausstrich, wie er für ein Differentialblutbild angefertigt wird, lassen sich die Malariaparasiten erkennen, allerdings nur bei relativ hoher Parasitendichte, d.h. bei fortgeschrittener Krankheit (Abb. 13.57 ). Sensitiver ist die Untersuchung des „Dicken Tropfens“: Ein Tröpfchen Blut wird auf einem Objektträger mindestens 1 min lang verrührt, so dass ein im Durchmesser etwa 10–12 mm messender Blutfleck entsteht. Dieses Präparat muss wenigstens 20 min trocknen, dann kann es unfixiert mit Giemsa-Gebrauchslösung gefärbt werden.

    Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

    Malaria tropica (Blutausstrich, Giemsa-Färbung). Mehrere rote Blutkörperchen mit Trophozoiten von Plasmodium falciparum (sog. Tropica-Ringe). Im Ausstrich sind bei korrekter Färbung die Zellkerne (Chromatinkörperchen) rot, das etwa sichelförmige Zytoplasma blau.

  • Schnelltests: Malariaschnelltests zum Nachweis spezifischen Antigens können den Dicken Tropfen nicht ersetzen. Sie sind aber sinnvoll, wenn keine mikroskopische Diagnostik möglich ist. Falsch positive und falsch negative Ergebnisse kommen vor, werden aber zunehmend seltener.

  • Serologie: Der serologische Nachweis von Plasmodienantikörpern hat in der Diagnostik der akuten Malaria keinen Platz, weil sich die Antikörper nur langsam entwickeln.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Zyklus der Malariaerreger im Blut (Blutschizogonie).

Differentialdiagnose Ausschlussmaßnahmen

Typhus Anamnese, Blutkultur, Stuhl, Serologie

Sepsis Anamnese, Blutkultur

Viszerale Leishmaniose Anamnese, Knochenmarkpunktion, Serologie

Bei zerebraler Malaria: Meningitis, Enzephalitis Liquorpunktion

Im Anfangsstadium: banaler fieberhafter Infekt Anamnese, Klinik

Therapie

Malaria tertiana und quartana Malaria tertiana und quartana können mit Chloroquin ausreichend behandelt werden. Vereinzelt wird aus Südostasien und Südamerika über das Auftreten restistenter P.-vivax-Stämme berichtet, die mit Mefloquin behandelt werden sollten. Bei einer Malaria tertiana kann durch die Gabe von Primaquin (Wirkung auf zurückgebliebene Leberformen des Parasiten) nach der Behandlung der klinischen Erkrankung dem Auftreten von Rückfällen vorgebeugt werden.

Malaria tropica Die Behandlung muss so früh wie möglich begonnen werden. Wenn ein mikroskopischer Parasitennachweis aus technischen Gründen nicht möglich ist, andererseits der Verdacht auf Malaria besteht, muss ebenfalls sofort behandelt werden.

Sofern keine Resistenzen vorliegen und noch keine Komplikationen eingetreten sind, kann auch die Malaria tropica mit Chloroquin behandelt werden. Ist aufgrund der Reiseanamnese oder der vorherigen Medikamenteneinnahme anzunehmen, dass eine Infektion mit Chloroquin-resistenten Malariaerregern vorliegt, gibt man Mefloquin, Arthemeter/Lumefantrin oder Atovaquon/Proguanil.

Die orale Therapie ist die Regel, solange der Patient noch keine Bewusstseinstrübung erkennen lässt, erbricht oder andere Zeichen einer komplizierten Malaria vorliegen. Ist dies jedoch der Fall, muss unverzüglich intravenös behandelt werden.

Chinin, als Infusion gegeben, ist der stationär-intensivmedizinischen Behandlung der Malaria tropica vorbehalten. Häufig wird zusätzlich noch Doxycyclin oder Clindamycin gegeben. Eine effektivere Alternative ist Artesunat, das jedoch aus China importiert werden muss.

Patienten mit Malaria tropica sind stets stationär zu betreuen. In jedem Fall muss eine Malaria tropica, bei der sich Komplikationen andeuten, z. B. Bewusstseinstrübung, Niereninsuffizienz oder exzessive Hämolyse, intensivmedizinisch behandelt werden.

Einen Überblick über die Therapie der Malaria gibt auch Tabelle 13.37.

Tab. 13.37

In Deutschland zur Behandlung der Malaria zugelassene Medikamente

MedikamentTherapieProphylaxeBemerkungen
Chloroquin
  • Tag 1: 600 + 300 mg Base

  • Tag 2–4: je 300 mg

300 mg Base/Woche, bei >75 kg KG 450 mg Base/Woche, 1 Woche vor bis 4 Wochen nach Aufenthalt in Malariagebiet Bei P. falciparum Resistenzen unterschiedlichen Grades
Chinin 30 mg/kg/d bis max. 2 g/d über 7 Tage P. falciparum: Resistenzen selten
Mefloquin 750 + 500 (+ 250) mg im Abstand von je 8 h 250 mg/Woche, 1–3 Wochen vorher bis 4 Wochen nachher Resistenzen in Gebieten Südostasiens bekannt, evtl. neuropsychiatrische NW
Atovaquon/Proguanil 1000/400 mg (4 Tbl.)/d über 3 Tage 250/100 mg (1 Tbl.)/d, 1–2 Tage vorher bis 7 Tage nachher Evtl. gastrointestinale NW
Arthemeter/Lumefantrin (Riamet®) 80 mg/480 mg (4 Tbl.) initial, nach 8 h weitere 4 Tbl., dann 2x tgl. 4 Tbl. an Tag 2 und 3 Nicht geeignet Bisher nur für Pat., die älter als 12 sind und mehr als 35 kg wiegen, zugelassen
Proguanil 200 mg/d, 1 Woche vorher bis 4 Wochen nachher Nur in Kombination mit Chloroquin
Primaquin 15–30 mg/d über 2 Wochen Rezidivprophylaxe bei M. tertiana; Cave: bei G-6-PDH-Mangel
Doxycyclin 200 mg/d über 7 Tage 100 mg/d, 1 Tag vorher bis 4 Wochen nachher Zur Therapie nur in Kombination mit Chinin

Prophylaxe Bei einem Aufenthalt in Malariagebieten kann durch regelmäßige Einnahme einer Chemoprophylaxe der Ausbruch einer Malaria verhindert werden, allerdings nicht mit absoluter Zuverlässigkeit. Im Einzelfall muss Rat von kompetenter Stelle eingeholt werden. Derzeit gebräuchliche Mittel zur Prophylaxe sind Mefloquin, Atovaquon/Proguanil und Doxycyclin.

Prognose Gar nicht oder zu spät behandelt, hat die Malaria tropica eine sehr hohe Letalität. Die rechtzeitige und ausreichende Behandlung dagegen beseitigt die Infektion vollständig.

Komplikationen der Malaria tropica Häufigkeit

Zerebrale Malaria Abhängig vom Zeitpunkt des Behandlungsbeginns

Schwere Anämie

Niereninsuffizienz

Hypoglykämie

Azidose

ARDS

Schwerer Ikterus

Spontanblutungen

Schock

Algide Malaria

Splenomegalie mit Milzruptur Sehr selten

Schwarzwasserfieber Sehr selten, Sensibilisierung durch vorherige Chinineinnahme

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Infektion mit Plasmodium falciparum

  • Wichtigste Symptome: Fieberanämie, Kopfschmerzen, Benommenheit (zerebrale Malaria!)

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Ausstrich/Dicker Tropfen

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: schneller Therapiebeginn mit Chloroquin, Mefloquin, Atovaquon/Proguanil, Arthemeter/Lumefantrin, Chinin oder Artesunat, je nach Spezies, Resistenzlage und Klinik

13.8.2. Erkrankungen durch Helminthen

Synonym: Würmer

Tabelle 13.38 gibt einen Überblick über Krankheiten, die durch Helminthen verursacht werden.

Tab. 13.38

Helminthen und Krankheiten, die von ihnen hervorgerufen werden

ErregerKrankheitsbezeichnungPräpatenz/ Inkubation (kürzeste Zeit in Tagen)
Nematoden

Enterobius vermicularis Madenwurmbefall 35/–
Ascaris lumbricoides Spulwurmbefall 58/10
Trichuris trichiura Peitschenwurmbefall 30/–
Ancylostoma duodenale Hakenwurmbefall 35/–
Necator americanus Hakenwurmbefall 35/–
Strongyloides stercoralis Zwergfadenwurmbefall 17/–
Trichinella spiralis Trichinellose –/5
Wuchereria (Brugia) Lymphatische Filariosen 250/90
Onchocerca volvulus Onchozerkose (Flussblindheit) 360/–
Loa-Loa Loiasis (Calabar-Schwellung) 180/60
Dracunculus medinensis Medinawurmbefall 360/360

Zestoden (Bandwürmer)

Taenia saginata Rinder(finnen)bandwurmbefall 21/–
T. solium Schweine(finnen)bandwurmbefall, Zystizerkose 60/–
Echinococcus granulosus Zystische Echinokokkose –/–
E. multilocularis Alveoläre Echinokokkose –/–
Diphyllobothrium latum Fisch(finnen)bandwurmbefall 21/–

Trematoden

Schistosoma haematobium Blasenbilharziose (urogenitale Schistosomiasis) 70/50
S. mansoni Darmbilharziose 40/15
S. japonicum Darmbilharziose 20/14
Fasciola hepatica Leberegelbefall 60/30
Opisthorchis felineus Leberegelbefall 21/–
Clonorchis sinensis Leberegelbefall 21/–
Paragonimus-Arten Lungenegelbefall 65/–

Trematoden (Saugwürmer)

Schistosomiasis (Bilharziose)

Synonym: Schistosomiasis

Definition Die Schistosomiasis gehört zu den wichtigsten tropischen Wurmerkrankungen und wird durch Saugwürmer der Gattung Schistosoma hervorgerufen. Es gibt 2 große Erkrankungsgruppen:

  • Blasenbilharziose: hervorgerufen durch Schistosoma haematobium

  • Darmbilharziose: hervorgerufen durch Schistosoma mansoni, Schistosoma japonicum und andere Schistosomenarten, die epidemiologisch von geringerer Bedeutung sind.

Epidemiologie Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation gibt es über 200 Mio. Schistosomeninfizierte auf der Welt, 600 Mio. leben unter dem Risiko, sich eine solche Infektion zuzuziehen. Mit landwirtschaftlichen Bewässerungsprojekten und Dammbauten in den Tropen wird für die Parasiten neuer Lebensraum geschaffen, weshalb die Verbreitung der Schistosomiasis in vielen tropischen Ländern zunimmt.

Ätiologie und Pathogenese Hauptendwirt der Schistosomen ist der Mensch. Infizierte scheiden Eier aus, die im Wasser ein sog. Mirazidium freigeben, welches einen spezifischen Zwischenwirt (Wasserschnecken unterschiedlicher Spezies) infiziert und sich dort zu Zerkarien (Larven) weiterentwickelt. Der Mensch infiziert sich durch zerkarienhaltiges Wasser. Die Zerkarien können die unverletzte Haut des Menschen durchdringen, wandern in die Blutgefäße ein, reifen zunächst in der Lunge, später in Lebergefäßen heran und paaren sich hier. Die nun adulten Würmer gelangen schließlich in die Venen, die die Harnblase umgeben (S. haematobium), oder in die Venen des Mesenterialgebietes (S. mansoni: V. mesenterica inferior, S. japonicum: V. mesenterica superior).

Das eigentliche pathogene Agens sind die von den Wurmweibchen produzierten Eier. Sie gelangen z. T. in das umliegende Gewebe und führen dort zu einer Entzündung der Blasen- bzw. Darmwand. Zum Teil werden sie vom venösen Blutstrom erfasst und nach zentral mitgenommen (Abb. 13.58 ). Die Eier von S. haematobium werden dann im Wesentlichen in der Lunge, die von S. mansoni und S. japonicum in der Leber abgefangen. Um die in die verschiedenen Organe eingeschwemmten Eier entwickelt sich jeweils eine granulomatöse Entzündung. Das Ausmaß dieser Veränderungen hängt von der Zahl der vorhandenen Würmer und deren Produktivität ab.

  • Blasenbilharziose: Durch die Granulome in der Blasenwand können sich eine generalisierte Blasenfibrose und Kalzifizierungen ausbilden, ebenso können die Harnleiter befallen sein und Abflussstörungen und Stenosen entwickeln, die schließlich zu Dilatationen und letztlich zur Hydronephrose mit all ihren Komplikationen führen.

  • Darmbilharziose: Die in der Darmwand angesiedelten Eier führen vor allem im distalen Dickdarm zu Granulomen, die fibrosieren und somit Funktionsstörungen auslösen können. Auch in anderen Organen können Eier nachweisbar sein. Am gravierendsten sind aber die Folgeerscheinungen der in die Lebervenen eingeschwemmten Eier. Sie bilden hier zunächst Granulome, später Narben, die die kleinen Gefäße obliterieren lassen. Im weiteren Verlauf bildet sich eine periportale Leberfibrose mit portalem Hochdruck und seinen Folgen (Aszites, Ösophagusvarizen, Caput medusae, Splenomegalie).

Symptome

Die Penetration der Zerkarien durch die Haut kann sich zunächst in einer stark juckenden Zerkariendermatitis manifestieren. Bei schweren Infektionen, d.h. mit hohen Wurmzahlen, tritt noch vor Erreichen der Geschlechtsreife der Würmer (Präpatenzzeit, bei S. mansoni 38–40 Tage, bei S. haematobium 70 Tage), ein fieberhaftes Krankheitsbild mit Exanthemen und Erhöhung der Eosinophilen im peripheren Blut auf, das sog. Katayama-Syndrom. Fieber und Eosinophilie gehören auch zum weiteren Verlauf der Bilharziose.

Das charakteristische Symptom der S.-haematobium-Infektion ist die Hämaturie. Je nach Schwere der Infektion ist sie geringgradig bis massiv. Allgemeine Krankheitserscheinungen beinhalten Fieber, Durchfälle, nicht selten mit Blut durchmischt, gelegentlich auch Leibschmerzen. Die S.-japonicum-Infektion verursacht die am schwersten verlaufende Erkrankung mit hoher Komplikationsrate.

Diagnostik

  • Mikroskopie: Die Eier der Würmer lassen sich nach Ablauf der Präpatenz mikroskopisch im Urinsediment (Abb. 13.59 ) bzw. im Stuhl nachweisen. Auch in Biopsien der Blasen- bzw. Rektumschleimhaut finden sich Eier, manchmal selbst dann, wenn sie im Urin bzw. im Stuhl fehlen.

    Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

    Blasenbilharziose, Urinsediment. Nativ: Zusammen mit Schleim, Leukozyten und roten Blutkörperchen finden sich insgesamt 7 Eier (Pfeile) von Schistosoma haematobium (Maße: 110–170 × 50–70 μm). Charakteristisch für die Eier ist der sog. Endstachel, eine spitze Ausziehung der Eihülle an einem Ende.

  • Zystoskopie/Koloskopie: Bei der Blasenbilharziose bietet sich ein charakteristisches Bild mit sandkornartigen Einlagerungen (Eigranulome) in der Blasenschleimhaut, bei starkem Befall auch mit Ulzera und Polypen. Polypen der Schleimhaut sind ebenso bei der Darmbilharziose zu beobachten.

  • Serologie: In der Routinediagnostik stehen mehrere Verfahren zur Verfügung, die allerdings nicht zwischen den verschiedenen Schistosomenarten differenzieren können. In der Regel sind spezifische Antikörper vorhanden, bevor Eier ausgeschieden werden.

  • Labor: Im Differentialblutbild fällt regelmäßig eine Eosinophilie auf.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Entwicklungszyklus von Schistosoma mansoni (Darmbilharziose). (1) Adultwürmer als Pärchen in einer Vene der Darmwand. Eier im Gewebe der Darmwand, ein Teil erreicht durch entzündliche Schleimhautdefekte das Darmlumen. (2). Gelangen sie ins Wasser (3), schlüpft aus den Eiern eine frei schwimmende Larve, das Mirazidium (4). Dieses dringt in Wasserschnecken ein, wo es sich entwickelt und vermehrt. Von den Schnecken werden infektiöse Larven (5, Zerkarien) abgegeben, die die Haut des Menschen bei Wasserkontakt durchdringen. Die juvenilen Würmer erreichen nach einer Wanderung durch verschiedene Gewebe (6) des Menschen schließlich wieder die Venen der Darmwand, wo sie zu adulten Würmern heranwachsen. Ein Teil der Eier, die die Adultwürmer produzieren, gelangt über den Portalkreislauf in die Leber (7).

Differentialdiagnose Ausschlussmaßnahmen

Fieber: Malaria Dicker Tropfen

Fieber, Durchfälle: Typhus Blutkultur, Stuhl, Serologie

Blutige Durchfälle: Amöbiasis Stuhlmikroskopie

Hämaturie: Blasenkarzinom Zystoskopie, Histologie

Therapie

Wegen seiner guten Verträglichkeit und ausgezeichneten Wirksamkeit ist Praziquantel (Biltricide®) das Mittel der Wahl. Es wirkt auf alle menschenpathogenen Schistosomen. Bei der S.-japonicum-Infektion ist eine höhere Dosierung notwendig.

Verlauf und Prognose Europäer, die sich eine Schistosomeninfektion meist bei einer einmaligen Exposition erwerben und in der Regel frühzeitig behandelt werden, erleben meist keine Komplikationen oder bleibende Schäden. Bei den Bewohnern von Endemiegebieten bestimmen verschiedene Faktoren die Prognose, z. B. die Pathogenität der lokal vorkommenden Schistosomenstämme und vor allem die Häufigkeit der Exposition.

Komplikationen Häufigkeit

Darmbilharziose

Portale Hypertonie, Leberfibrose Bei jahrelangem Bestehen der Infektion in manchen Regionen häufig

ZNS-Befall Selten

Blasenbilharziose

Cor pulmonale Bei jahrelangem Bestehen der Infektion, selten

Blasenkarzinom Kausaler Zusammenhang umstritten

ZNS-Befall Selten

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Infektion mit Schistosoma mansoni/Schistosoma haematobium

  • Wichtigste Symptome: blutige Stühle bzw. Hämaturie, Eosinophilie

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Einachweis in Stuhl bzw. Urin, Serologie

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: Praziquantel

Zestoden

Synonym: Bandwürmer

Definition Der Mensch kann einer Reihe von Bandwürmern als Endwirt oder als Zwischenwirt dienen. Ausschließlich Endwirt ist der Mensch für den Rinderbandwurm Taenia saginata und den Fischbandwurm Diphyllobothrium latum. Der Schweinebandwurm Taenia solium kann den Menschen nicht nur als Adultwurm (Mensch ist Zwischenwirt), sondern auch als Larve (Mensch ist Fehlzwischenwirt) befallen. Für die Hunde- bzw. Fuchsbandwürmer Echinococcus granulosus bzw. Echinococcus multilocularis ist er Fehlzwischenwirt.

Zestoden des Darms

Epidemiologie Taenia saginata und T. solium sind weltweit verbreitet, in Europa ist die Prävalenz aber durch Fleischbeschau und Hygienemaßnahmen deutlich gesunken. Der Fischbandwurm D. latum kommt gehäuft in Nordeuropa und Sibirien vor.

Ätiologie und Pathogenese Der Mensch infiziert sich durch die Aufnahme von ungenügend gegartem Schweinefleisch (T. solium), Rindfleisch (T. saginata) oder Fisch (D. latum), in denen die Finnen der entsprechenden Bandwürmer enthalten sind. Die sich dann im Gastrointestinaltrakt des Menschen entwickelnden geschlechtsreifen Rinderbandwürmer (bis 10 m lang), Schweinebandwürmer (bis 4 m) und Fischbandwürmer (bis 10 m) leben im Dünndarm. Sie bestehen aus dem Kopf (Skolex) und einer langen Kette von Gliedern (Proglottiden), die im kopfnahen Bereich undifferenziert sind, am anderen Ende des Wurms dagegen als sog. gravide Proglottiden große Eizahlen enthalten. Lösen sich die Proglottiden im Darm auf, werden die Eier mit dem Stuhl ausgeschieden. Vor allem bei T. saginata erscheinen aber meist ganze Proglottiden im Stuhl, die noch längere Zeit, u.U. Tage, eine Eigenbeweglichkeit zeigen können (Abb. 13.60 ). Der Zyklus der genannten Bandwürmer setzt einen obligaten Wirtswechsel voraus (Zwischenwirte sind Rinder, Schweine bzw. Fische).

Symptome

Uncharakteristische abdominelle Beschwerden können auftreten, vor allem Bauchkrämpfe, Durchfälle und Anorexie. Meist führt ein Befall mit Bandwürmern im Darm aber nicht zu Krankheitserscheinungen. Auch die beim Fischbandwurm berichtete Vitamin-B12-Mangelanämie kommt nur ausnahmsweise vor.

Diagnostik

In der Regel werden Bandwurminfektionen zufällig entdeckt beim Abgang von Proglottiden oder durch den Nachweis von Eiern bei mikroskopischen Stuhluntersuchungen. Eine Bluteosinophilie kann hinweisend auf eine Bandwurminfektion sein, liegt jedoch nicht regelmäßig vor.

Therapie

Die Behandlung erfolgt oral mit Praziquantel, alternativ mit Niclosamid:

  • T. solium, T. saginata, D. latum: Praziquantel 10 mg/kg KG oder Niclosamid 2 g als Einzeldosis

  • H. nana: Praziquantel 25 mg/kg KG als Einzeldosis oder Niclosamid 2 g/d über 7 Tage, evtl. Wiederholung nach 3 Wochen

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Taenia saginata. Teile einer Proglottidenkette des Rinderbandwurms, die nach Behandlung im Stuhl abgegangen sind. Kleinere derartige Verbände gehen auch spontan ab und sind dann Hinweis für eine Bandwurminfektion (Maßstab etwa 1:1).

Verlauf und Prognose Die Prognose der Zestodeninfektionen ist nach der fast immer erfolgreichen Therapie sehr gut. Die einzig wichtige Komplikation ist die im Folgenden beschriebene Zystizerkose.

Zystizerkose

Wenn Eier von T. solium aufgenommen werden (bei Schweinebandwurmträgern besteht die Gefahr einer fäkal-oralen Eigeninfektion durch z. B. unter den Fingernägeln haftende Eier), schlüpfen die in ihnen enthaltenen Larven im Darm des Menschen, bohren sich in die Darmwand und werden hämatogen bevorzugt in die Muskulatur, aber auch in andere Gewebe, z. B. das Zentralnervensystem, verschleppt. Ein Muskelbefall durch diese Parasiten verursacht gewöhnlich keine Beschwerden. Die Parasiten verkalken nach einigen Monaten und werden zufällig bei einer Röntgenaufnahme entdeckt. Ein gefährliches Krankheitsbild ist dagegen die Neurozystizerkose. Eine oder mehrere der blasenförmigen Bandwurmfinnen (Durchmesser bis etwa 20 mm) entwickeln sich im Zentralnervensystem und führen je nach Lokalisation zu Verdrängungserscheinungen oder fokalen Zeichen wie Krampfanfällen oder Erblindung.

Diagnostik

Der Verdacht auf eine Neurozystizerkose ergibt sich bei neurologischer Symptomatik häufig aus einem Computertomogramm oder einer Magnetresonanztomographie des Schädels. Der Nachweis spezifischer Antikörper, vor allem im Liquor (Immunoblot), sichert die Diagnose.

Differentialdiagnose Ausschlussmaßnahmen

Zerebraler Tumor oder Metastase CT, MRT, Liquor, Histologie, evtl. Primärtumorsuche

Zerebrale Foci anderer Ursache Anamnese, CT, MRT, Liquor

Zerebrale Toxoplasmose Anamnese, CT, MRT, Liquor, Immunstatus

Therapie

Gegen Zystizerken haben sich Praziquantel und Albendazol als wirksame Chemotherapeutika erwiesen. Allerdings wird in letzter Zeit diskutiert, wie viele Patienten wirklich von einer solchen Therapie profitieren, denn wahrscheinlich wird ein Parasitenbefall nicht selten erst dann entdeckt, wenn die Bandwurmlarven abgestorben sind und eine Chemotherapie ins Leere geht.

Bei aktiver Zystizerkose entstehen zu Beginn der Behandlung nicht selten Komplikationen durch ein Gehirnödem bzw. vermehrte Entzündungserscheinungen, die wahrscheinlich von Antigenen verursacht werden, die der angeschlagene Parasit freisetzt. Bewährt hat sich in diesen Fällen die zusätzliche Gabe von Kortikosteroiden.

Prognose und Verlauf Je nach Lokalisation und Aktivität der Zystizerken können dauerhafte neurologische Defekte auftreten, Krampfanfälle und die Ausbildung eines Hydrozephalus sind möglich.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Infektion durch ungenügend gegartes Fleisch bzw. Fisch

  • Wichtigste Symptome: uncharakteristisch

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Stuhluntersuchung mit Nachweis der Proglottiden

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: Praziquantel, wenn nötig zusammen mit Steroiden

Echinokokkosen

Synonym: Hydatidose, Fuchs- bzw. Hundebandwurmbefall, zystische Echinokokkose, alveoläre Echinokokkose

Definition „Echinokokkose“ ist ein Oberbegriff für zwei Erkrankungen des Menschen, die zwar von nahe verwandten Bandwürmern verursacht werden, die aber hinsichtlich Pathogenese und Klinik so verschieden sind, dass auf eine klare Trennung Wert gelegt werden muss. Der Kleine Hundebandwurm Echinococcus granulosus (Darmparasit beim Hund, bis zu 6 mm lang) verursacht die zystische Echinokokkose, der Kleine Fuchsbandwurm E. multilocularis (Darmparasit beim Fuchs, bis zu 4 mm lang) die alveoläre Echinokokkose. Natürliche Zwischenwirte für E. granulosus sind v. a. Wiederkäuer, für E. multilocularis vor allem Nager. Der Mensch ist für beide Parasiten ein Fehlzwischenwirt.

Epidemiologie Der Hundebandwurm ist weltweit verbreitet, tritt aber vorrangig im Mittelmeerraum, in Asien, Ostafrika, Südamerika und Australien auf. In Mitteleuropa kommt er so gut wie nicht mehr vor.

Der Fuchsbandwurm ist in der nördlichen Hemisphäre weit verbreitet, Endemiegebiete sind z. B. Süddeutschland, Österreich und die Schweiz. Sporadische Fälle wurden auch aus anderen Teilen der Welt gemeldet.

Ätiologie und Pathogenese Der Mensch wird durch die orale Aufnahme von Eiern infiziert, die aus Hunde- oder Fuchskot stammen (Abb. 13.61 ). Aus den Eiern werden im Dünndarm Larven freigesetzt, sie dringen in die Darmwand ein und gelangen durch hämatogene Verschleppung in die Organe. Die häufigste Lokalisation für beide Bandwurmlarven (oft auch Metazestoden genannt) ist die Leber. An zweiter Stelle steht die Lunge.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Vergleichende Darstellung der Lebenszyklen der beiden Echinococcus-Arten, E. granulosus und E. multilocularis. Als Larve (syn. Metazestode) ist jeweils nur eine Brutkapsel dargestellt, diese haben etwa 1 mm Durchmesser. Die Zysten von E. granulosus oder die schwammartigen Tumoren bei E. multilocularis können viele Tausende solcher Brutkapseln enthalten.

Die E.-granulosus-Larve bildet in der Regel eine mit Flüssigkeit gefüllte Zyste (Abb. 13.62 ), die langsam verdrängend wächst und einen Durchmesser von 20 cm und mehr erreichen kann: zystische Echinokokkose.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Echinococcus granulosus. Aus der Leber entfernte Zyste mit mehrfacher Kammerung und zahlreichen laminierten Membranen. In diesem Fall eine sog. sterile Zyste, d.h., es waren keine Kopfanlagen der Bandwurmlarve ausgebildet. Durchmesser des Präparats 5 cm.

Im Gegensatz dazu bildet die E.-multilocularis-Larve komplizierte, schwammartige, gallertig gefüllte Schläuche und Hohlräume von wenigen Millimetern Durchmesser: alveoläre Echinokokkose. Der Parasit wächst infiltrativ destruktiv, ähnlich wie ein bösartiger Tumor; Metastasierungen in alle Organe können vorkommen.

Symptome

Für beide Echinokokkosen werden Inkubationszeiten von mehreren Jahren, bei der alveolären Echinokokkose sogar von mehr als 10 Jahren angenommen. Die Symptome sind von der Ausdehnung des Organbefalls und von der Wachstumsgeschwindigkeit des Parasiten abhängig. Häufig sind Oberbauchschmerzen, tastbarer Tumor im Bereich der Leber mit Verdrängungsgefühl oder Schmerzen, seltener Gallenstau und Aszites. Oft werden die Zysten auch nur zufällig entdeckt. Bei Lungenbefall kommt es zu Hämoptyse, Atelektasen und Bronchiektasen. Nicht selten sind allergische Reaktionen an Haut und Schleimhäuten, gelegentlich Asthma bronchiale.

Diagnostik

Für die Diagnostik der beiden Echinokokkoseformen sind vor allem Sonographie und Computertomographie von großer Bedeutung. Werden zystische Veränderungen in der Leber oder Lunge festgestellt, muss durch Anwendung serologischer Verfahren versucht werden, eine Diagnose zu stellen. Werden zwei Antikörperbestimmungen unterschiedlichen Aufbaus nebeneinander verwandt, so lässt sich in den meisten Fällen eine Klärung erreichen. Die alveoläre Echinokokkose lässt bei den verschiedenen bildgebenden Verfahren in der Regel keine zystische Struktur erkennen, zentrale Nekrosen im Parasitengewebe können diese allerdings vortäuschen. Verkalkungen sind häufig.

Differentialdiagnose Verifizierungmaßnahmen

Dysontogenetische Leberzysten Anamnese, Sono/CT, Verlaufskontrolle

Leberabszess CT, mikrobiologische Untersuchungen, Amöbenserologie

Leberkarzinom CT, Histologie

Therapie

Chemotherapie Die Benzimidazole Mebendazol und Albendazol sind gegen beide Parasitenarten wirksam, sie führen bei Echinococcus granulosus zu einem Absterben des Parasitengewebes, bei Echinococcus multilocularis in der Regel zu einem Wachstumsstillstand. Die Chemotherapie sollte je nach Lage des Falles peri- und postoperativ durchgeführt werden (bei E. multilocularis mindestens über 2 Jahre, evtl. lebenslang, bei E. granulosus mindestens 3 Monate). In jedem Fall ist eine Überwachung durch serologische und bildgebende Verfahren erforderlich.

Operation Bei geeigneter Lage kommt bei solitären Leberzysten auch das sog. PAIR-Verfahren zur Anwendung (Punktion – Aspiration – Injektion von 95%igem Alkohol über 15 min Reaspiration, in Operationsbereitschaft).

Bei E.-granulosus-Befall ist eine Operation in vielen Fällen indiziert, zu prüfen ist allerdings, ob der Parasit nicht abgestorben ist und ob auf eine Therapie ganz verzichtet werden kann. Des Weiteren gibt es Patienten, die ausschließlich medikamentös behandelt werden sollten. Die operative Entfernung einer E.-multilocularis-Larve gelingt nur ausnahmsweise.

Verlauf und Prognose Bei der alveolären Echinokokkose ist eine Heilung nur bei kurativer Operation solitärer Läsionen zu erreichen. Eine Langzeitchemotherapie kann ein Weiterwachsen der Echinococcus-Larven meist verhindern.

Die Prognose der zystischen Echinokokkose ist bei adäquater Therapie gut, die Benzimidazole wirken hier in der Regel parasitozid.

MERKE

Da der Mensch prinzipiell ein wenig geeigneter Zwischenwirt für die Echinococcus-Larven ist, können diese vor allem im Frühstadium auch spontan absterben, so dass völlig symptomlose Verläufe möglich sind.

Komplikation Häufigkeit

Spontane Zystenruptur Selten (ZE)

Budd-Chiari-Syndrom und/oder biliäre Leberzirrhose Bei langem Verlauf (vor allem einer AE)

Sekundäre Echinokokkose Iatrogen durch intraoperative Aussaat möglich

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursachen: Echinococcus granulosus/E. multilocularis

  • Wichtigstes Symptom: uncharakterische Symptomatik, häufig wie Lebertumor

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Sonographie, CT, Serologie

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: Benzimidazole, evtl. Operation, PAIR

Nematoden

Synonym: Rundwürmer

Einen Überblick über wichtige Nematodeninfektionen des Menschen gibt Tabelle 13.39.

Tab. 13.39

Wichtige Nematodeninfektionen des Menschen

WurmartLokalisation der erwachs. ParasitenGröße1 (Länge)Morphologische CharakteristikaSymptomeTherapie
Enterobius vermicularis (Oxyuris)MadenwurmPfriemenschwanz Zäkum, Appendix, Colon ascendens Bis 10 mm Weiße Würmer mit spitz ausgezogenem Schwanzende, meist dem Stuhl aufgelagert Juckreiz am After Mebendazol Albendazol
Ascaris lumbricoides Spulwurm Dünndarm Bis 300 mm Großer runder elfenbeinfarbiger Wurm, geht meist tot ab Fehlen meist (Proteinentzug? Intoxikation?) chirurg. Komplikationen: z. B. Ileus bei Massenbefall (Kinder) Mebendazol Albendazol
Trichuris trichiura Peitschenwurm Kolon Bis 50 mm Haarfeines Vorderteil in die Schleimhaut eingebettet, dickeres Hinterende (40% der Gesamtlänge) im Darmlumen Meist keine Symptome, bei Massenbefall Anämie, Rektumprolaps möglich Mebendazol Albendazol
Ancylostoma duodenale, Necator americanusHakenwürmer Dünndarm Bis 13 mm Mundhöhle mit zahnartigem Halteapparat Blutungsanämie, Schmerzen im Oberbauch Mebendazol Albendazol
Strongyloides stercoralis Zwergfadenwurm Dünndarm (auch Dickdarm und Magen bei Massenbefall) Bis 27 mm Hämorrhagische Gastroenteritis bei Massenbefall, Hautmaulwurf IvermectinTiabendazol2(Mebendazol)(Albendazol)

Darmnematoden

Definition Infektion mit Rundwürmern, die im Darm leben und deren Eier oder Larven mit dem Stuhl ausgeschieden werden.

Epidemiologie Infektionen mit Darmwürmern aus der Gruppe der Nematoden sind in Mitteleuropa selten geworden. Am häufigsten, vor allem in der pädiatrischen Praxis, ist der Befall mit Madenwürmern (Enterobius vermicularis, Syn.: Oxyuris). Vom Spulwurm (Ascaris lumbricoides, im erwachsenen Zustand bis zu 30 cm lang, etwa bleistiftdick) sind oft nur ein oder wenige Exemplare vorhanden, so dass die Infektion nicht selten erst dann bemerkt wird, wenn der tote Wurm am Ende seines etwa 1-jährigen Lebens abgeht. Von Bewohnern tropischer Länder oder von Urlaubern werden gelegentlich Zwergfadenwurminfektionen (Strongyloides stercoralis) und Hakenwurminfektionen (Ancylostoma duodenale, Necator americanus) mitgebracht.

Ätiologie und Pathogenese Der Mensch wird infiziert durch die orale Aufnahme von Eiern (z. B. Enterobius vermicularis, Ascaris lumbricoides) oder durch Larven, die durch die unverletzte Haut eindringen (z. B. Strongyloides stercoralis, Ancylostoma duodenale, Necator americanus).

Einmal im Körper des Menschen angelangt, erreichen Askaridenlarven (Abb. 13.63 ) und auch andere Nematoden (Hakenwürmer, Strongyloides stercoralis) etwa 10 Tage nach der Infektion hämatogen oder lymphogen die Lunge, treten dort in die Luftwege über und wandern via Bronchien, Trachea, Ösophagus und Magen zu ihrer endgültigen Lokalisation im Darm.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Entwicklungsgang des Spulwurms (Ascaris lumbricoides). 1) Orale Aufnahme embryonierter Eier 2) Schlüpfen der Larven (ca. 260 μm lang) im Dünndarm, Penetration in die Schleimhaut 3) hämatogene Einschwemmung in die Leber → via Herz zur Lunge (etwa 7.–14. Tag nach Infektion) 4) Verlassen der Alveolarkapillaren (Länge: 1,5 mm), Wanderung im Bronchial- und Tracheallumen Richtung Epiglottis 5) Überwechseln in den Ösophagus, erneute Magenpassage. Ankunft im Dünndarm 6) Heranwachsen innerhalb von 60 Tagen 7) Erste Eiausscheidung 60–65 Tage nach Infektion

Hakenwürmer und Zwergfadenwürmer können sich an die Mukosa anheften und Ulzera verursachen. Hakenwürmer ernähren sich vom Blut des Wirtes. Eine Besonderheit des Zwergfadenwurmes ist die Möglichkeit einer kontinuierlichen endogenen Autoinfektion. Bei Madenwurmbefall kommt es hingegen durch orale Aufnahme der an der Analhaut abgelegten Eier, die sich nach Kratzen unter den Fingernägeln befinden, sehr häufig zu einer Reinfektion.

Symptome

Die Beschwerden bei den Wurminfektionen hängen in der Regel von der Zahl der vorhandenen Parasiten ab. Bei der Lungenwanderung (vor allem bei der Askaridiasis) kann es, verbunden mit mäßig erhöhter Körpertemperatur,

zu einem flüchtigen pneumonischen Infiltrat kommen, dem einige Tage später eine Erhöhung der eosinophilen Leukozyten im peripheren Blut folgt.

Allgemein gilt, dass Nematodeninfektionen mit wenigen Parasiten symptomlos verlaufen. Bei großer Wurmzahl werden aber gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Koliken beobachtet.

  • Askariden bilden manchmal Knäuel, die Darmverschlüsse auslösen. Außerdem können sie durch die Papilla Vateri in die Gallenwege eindringen und so zu Stauungsikterus oder Abszessbildungen im Bereich der Leber führen.

  • Hakenwurminfektionen mit hoher Wurmzahl führen zu einer langsam zunehmenden Blutungsanämie, vor allem bei knapper Eisenzufuhr in der Nahrung, wie sie bei Bewohnern tropischer Gebiete nicht selten vorliegt.

  • Madenwurminfektionen können zu Juckreiz in der Analgegend führen.

  • Bei der Strongyloidiasis sind an der Eintrittspforte gelegentlich flüchtige, juckende Hautveränderungen (Larva currens) zu sehen. Beim sog. Hyperinfektionssyndrom (z. B. bei Immunsuppression) liegt ein massiver generalisierter Befall vor.

Diagnostik

Die Diagnose der Wurminfektionen im Darm wird fast stets durch den mikroskopischen Nachweis der Eier bzw. Larven im Stuhl gestellt (Abb. 13.64 ).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Diagnose bei Wurminfektion. a) Spulwurm, Ascaris lumbricoides, Ei (Maße: 50–75 × 40–60 μm): Charakteristisch ist die unregelmäßige, recht dicke Außenhülle. b) Madenwurm, Enterobius vermicularis, Eier (Maße: 50–60 × 20– 30 μm) von einem Tesafilm-Abklatschpräparat: Die Eier sind asymmetrisch und enthalten in der Regel je eine gut erkennbare Larve.

Da die Wurmeier nicht kontinuierlich ausgeschieden werden, sollten 3 Stuhluntersuchungen durchgeführt werden. Wichtig ist außerdem, die sog. Präpatenzzeiten zu beachten (Tab. 13.39 ): Alle Würmer brauchen eine gewisse Zeit, um sich im Menschen zum geschlechtsreifen, d.h. Eier produzierenden Parasiten zu entwickeln. Vor Ablauf dieser Zeitspanne sind keine Eier nachzuweisen. Die Präpatenzzeit für die oben genannten Wurminfektionen beträgt etwa 5 Wochen, eine Ausnahme ist Ascaris, bei dem mit wenigstens 2 Monaten zu rechnen ist.

Allen Wurminfektionen ist gemeinsam, dass sie häufig mit einer Erhöhung der Eosinophilenzahl im peripheren Blut einhergehen. Diese kann besonders hohe Werte erreichen, wenn die Parasiten intensiven Kontakt zum Gewebe haben, z. B. bei der Lungenwanderung der Askariden.

Madenwürmer fallen meist als 5–10 mm lange, weißliche Gebilde auf frisch abgesetztem Stuhl auf, der Einachweis erfolgt durch ein Abklatschpräparat (Tesafilm auf die Analhaut, anschließend auf einen Objektträger aufkleben und mikroskopieren).

Differentialdiagnose Ausschlussmaßnahmen

Protozoeninfektion Mikroskopische Stuhluntersuchung

Gastrointestinale Beschwerden Atemtests, Gastro-/Koloskopie anderer Ursache etc.

Eosinophilie anderer Ursache Anamnese, Serologie, Knochenmarkpunktion etc.

Larva currens bei Strongyloidiasis: Larva migrans bei Hautbefall mit tierischen Hakenwürmern Anamnese, zeitlicher Ablauf

Therapie

Für die Behandlung der genannten Nematoden stehen Präparate aus der Gruppe der Benzimidazole (Mebendazol) zur Verfügung.

Verlauf und Prognose Bei adäquater Behandlung ist die Prognose aller intestinalen Nematodeninfektionen gut, es sei denn, es kommt bei massivem Befall zu Komplikationen. Bei Immunsupprimierten kann ein Hyperinfektionssyndrom bei Strongyloidiasis letal verlaufen.

Komplikation Häufigkeit

Askariasis: Ileus, Cholangitis, Pankreatitis, Hepatitis Bei massivem Befall, vor allem bei mangelernährten Kindern

Hakenwurminfektionen: Anämie Bei längerem Verlauf, vor allem bei Eisenmangel

Strongyloidiasis: Hyperinfektionssyndrom Vor allem bei Immunsuppression

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursachen: in Europa Madenwürmer, in wärmeren Regionen Askariden, Hakenwürmer

  • Wichtigste Symptome: abhängig von der Art der Nematoden Juckreiz am After, unspezifische gastrointestinale Beschwerden, Eosinophilie

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: bei Madenwürmern Einachweis im Abklatschpräparat, bei anderen intestinalen Nematoden Einachweis im Stuhl

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: Mebendazol, Albendazol

Trichinose

Synonym: Trichinellose

Definition Infektion mit Larven von Trichinella spiralis.

Epidemiologie Dank der weitgehend konsequenten Untersuchung der Schlachtschweine ist die Trichinose beim Menschen selten geworden. Trotzdem kommen gelegentlich Infektionen zustande, meist in Form kleiner Epidemien durch den Verzehr von rohem oder nicht ausreichend erhitztem Schweinefleisch (Mett) oder Pferdefleisch.

Ätiologie und Pathogenese Im Darmtrakt des Menschen entwickeln sich aus den aufgenommenen Larven innerhalb von 2–3 Tagen geschlechtsreife Würmer. Die weiblichen Trichinen bohren sich in die Dünndarmschleimhaut ein und geben für 4–6 Wochen Larven ab. Diese zirkulieren wenige Tage im Blut, dringen in quergestreifte Muskelfasern ein und wachsen dort schnell heran. Dabei veranlassen sie die Muskelfaser, eine Kapsel zu bilden. Als spiralig aufgerollte Larve liegen sie dann in die Muskulatur des Menschen eingebettet. Das Wachstum der Larven, das mit einer lebhaften Stoffwechseltätigkeit und offensichtlich starker Antigenproduktion einhergeht, ist mit lokalen und generalisierten Entzündungserscheinungen verbunden.

Symptome

Bei schweren Infektionen kann es bereits zur Zeit des Heranwachsens der Darmtrichinen, d.h. am 3. oder 4. Tag, zu schweren gastroenteritischen Erscheinungen kommen. Die Hauptsymptome einer Trichinellose sind die Muskelschmerzen (ab dem 10. Tag nach der Infektion), verursacht durch die Einwanderung der Larven und die damit verbundene Entzündung, des Weiteren Fieber und Ödeme im Gesicht, vor allem periorbital. Infektionen mit hohen Parasitenzahlen können in 3–4 Wochen zum Tod führen (Myokarditis, Enzephalitis, Meningitis).

Diagnostik

Die Diagnose ist bei sporadisch auftretenden Einzelfällen sehr schwierig. Die Erreger lassen sich erst in der Phase des Muskelbefalls in Biopsien nachweisen (Abb. 13.65 ). Im peripheren Blut ist eine Vermehrung der Eosinophilen häufig, ebenso eine Erhöhung von CPK und LDH. Antikörper gegen Trichinellen werden frühestens in der 3., nicht selten erst in der 4. Woche nach der Infektion gefunden.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Trichinella spiralis, Muskelbiopsie (HE-Färbung). 70 Tage nach Infektion. In einer umgewandelten, als Kapsel ausgebildeten Muskelfaser 4 Anschnitte einer Wurmlarve. An den Polen der Kapsel Reste des entzündlichen Infiltrats.

Differentialdiagnose Ausschlussmaßnahmen

Polymyositis, Kollagenosen Autoantikörper, Biopsie

Enzephalitis, Meningitis Liquordiagnostik

Katayama-Syndrom (Bilharziose) Anamnese

Therapie

Eine befriedigende Behandlung gibt es nicht. Benzimidazolpräparate (z. B. Albendazol, Mebendazol) wirken zwar auf die Darmtrichinellen, die Larven in den Muskelzellen können jedoch beim Menschen durch Chemotherapeutika offensichtlich nur schwer beeinflusst werden. Bei schweren Infektionen und ausgeprägter Symptomatik in der Migrationsphase der Larven sollten zusätzlich Kortikosteroide gegeben werden. In der Regel wird die Diagnose jedoch so spät gestellt, dass eine Chemotherapie nur noch wenig wirksam ist.

Verlauf und Prognose Letale Verläufe sind bei schweren Infektionen mit Komplikationen möglich, im Allgemeinen klingen die Symptome aber nach einem halben Jahr ab. Die im Muskelgewebe enzystierten Larven verursachen in der Regel keine Beschwerden.

Komplikationen Schwere Komplikationen treten vorrangig in der Migrationsphase der Larven auf.

Komplikation Häufigkeit

Herzrhythmusstörungen, Perikarderguss, Herzinsuffizienz Bei schweren Infektionen

Meningitis, Enzephalitis

Seh- und Hörstörungen

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: orale Aufnahmen von Larven der Trichinella spiralis

  • Wichtigste Symptome: Ödeme, Muskelschmerzen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Serologie

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: Benzimidazole plus Kortikoide

Filariosen

Synonym: Filarieninfektionen

Definition Erkrankungen durch gewebebewohnende Nematoden, z. B. Wuchereria bancrofti oder Brugia malayi (lymphatische Filariosen), Loa-Loa (Kalabar-Schwellung) und Onchocerca volvulus (Flussblindheit). Adulte Filarien besiedeln das Lymphsystem oder das Bindegewebe des Menschen, ihre infektiösen Stadien werden durch Insekten übertragen.

Epidemiologie Die lymphatischen Filariosen kommen in Afrika, Südostasien und wenigen Regionen Südamerikas vor, die Loiasis in Zentralafrika und den östlichen Teilen Westafrikas und die Onchozerkose in einigen Regionen Afrikas, Mittel- und Südamerikas.

Pathogenese und Symptome

Der Mensch ist Endwirt, d.h. er beherbergt die geschlechtsreifen Würmer. Infiziert wird der Mensch durch den Stich der Überträgerinsekten, in diesen Insekten hat sich das 3. Larvenstadium des Parasiten entwickelt.

Lymphatische Filariose Die 5–11 cm langen Adultwürmer sitzen im Bereich der Lymphgefäße. Sie führen dort zu Entzündungen, denen Lymphstau, Lymphödem und später eine manchmal monströse Vermehrung des subkutanen Bindegewebes folgen können. So entsteht das Bild der Elephantiasis, von der meist die Extremitäten, das Skrotum und die Mammae betroffen sind.

Loiasis Die 5–7 cm langen erwachsenen Würmer wandern im subkutanen Bindegewebe umher. Es kommt zu flüchtigen Schwellungen des Unterhautgewebes (Kalabar-Schwellungen). Die wandernden Würmer sind manchmal unter der Haut sichtbar. Gelegentlich wandert ein Wurm auch durch die Bindehaut (Abb. 13.66 ) ohne das Augeninnere zu penetrieren. Die Erkrankung ist verhältnismäßig harmlos, außer die wandernden Würmer verursachen im Bereich der Epiglottis Schwellungen mit der Gefahr der Erstickung.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Loa-Loa. Erwachsenes Weibchen bei der Wanderung durch die Konjunktiva des Auges.

Onchozerkose oder Flussblindheit Die erwachsenen Onchocerca-Weibchen, die bis 50 cm lang werden können, liegen meist aufgeknäuelt in bindegewebigen Knoten der Subkutis. Sie setzen Mikrofilarien (Länge: 250–330 μm) frei, die in die oberen Hautschichten einwandern und dort zu Dermatitis mit quälendem Juckreiz führen. Mikrofilarien dringen auch in das Auge ein, vor allem wenn die Adultwürmer kopfnah lokalisiert sind. Sie verursachen Keratitis und Iridozyklitis, die bei schleichender, jahrelanger Entwicklung schließlich zur Erblindung führen.

Diagnostik

Die Diagnose einer Filarieninfektion wird im Allgemeinen durch den Nachweis der Mikrofilarien gestellt. Diese finden sich im Blut (Ausnahme: Onchozerkose), und zwar bei Wuchereria und Brugia fast ausschließlich nachts, bei Loa-Loa (Abb. 13.67 ) dagegen tagsüber um die Mittagszeit. Mit Hilfe von Konzentrations- und Filtrationsmethoden kann die Empfindlichkeit des Mikrofilariennachweises im Blut verbessert werden. Für den Nachweis von Onchocerca volvulus müssen kleine Hautbiopsien entnommen und auf Mikrofilarien untersucht werden.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Mikrofilarie von Loa-Loa. Dicker Tropfen, Hämatoxylin-Färbung nach Hämolyse. Die Färbung lässt neben den Zellkernen der Mikrofilarie (Länge: etwa 270 μm) die sog. Scheide, d.h. die Eihaut der Mikrofilarie, erkennen. Diese ist nach Giemsa-Färbung bei Loa-Loa-Mikrofilarien meist nicht zu sehen. In der Umgebung Kerne von Leukozyten.

Antikörperbestimmungen können Hinweise auf das Vorhandensein einer Filarieninfektion geben, eine Speziesdifferenzierung ist jedoch nicht möglich. Fast immer sind die Filarieninfektionen von ausgeprägten Erhöhungen der Eosinophilenzahl im peripheren Blut begleitet.

Differentialdiagnose Ausschlussmaßnahmen

Lymphödem: Hernie, Tumor, Bestrahlungsfolge Anamnese, Tumorsuche

Onchodermatitis: Ekzem, Krätze, Lepra Erregersuche

Kalabar-Schwellung: allergische Reaktion Anamnese, Allergensuche

Therapie

In der Chemotherapie spielen Ivermectin und Diäthylcarbamazin (DEC) eine besondere Rolle. Beide Medikamente wirken allerdings hauptsächlich auf die Mikrofilarien. Die Adultwürmer von W. bancrofti, B. spp. und Loa-Loa werden durch DEC z. T. beeinflusst, die von O. volvulus nicht. Ivermectin wirkt nicht auf Adultwürmer der lymphatischen Filariosen und wohl kaum auf Adulte von Loa-Loa, beeinträchtigt aber die Reproduktionsfähigkeit von O. volvulus.

Ein neuerer Therapieansatz bei der Onchozerkose ist die Gabe von Doxycyclin gegen die endosymbiontischen Bakterien der Gattung Wolbachia.

Verlauf und Prognose

  • lymphatische Filariose: Bestehende Lymphödeme sind nur durch physikalische und chirurgische Maßnahmen, durch die Chemotherapie nicht mehr zu beeinflussen. Die Prognose ist gut, kann aber bei manifester Elephantiasis durch Sekundärinfektionen verschlechtert werden.

  • Onchozerkose: Vor der recht erfolgreichen Bekämpfung war sie in den Endemiegebieten eine der häufigsten Ursachen für Blindheit. Beim Tropenrückkehrer ist die Infektion selten. Die Prognose ist bei adäquater Therapie gut.

  • Loiasis: Sofern keine Komplikationen auftreten, ist die Prognose auch ohne Behandlung gut.

Komplikation Häufigkeit

Lymphatische Filariose

Funikulitis Bei längerem Verlauf

Hydrozele

Elephantiasis

Chylurie

Onchozerkose

Iritis, Keratitis, Chorioretinitis, Erblindung Bei längerem Verlauf

Loiasis

ZNS-Befall
Sehr selten
Epiglottisbefall

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursachen: durch Insekten übertragene Filarien

  • Wichtigste Symptome: Eosinophilie, Erblindung (O. volvulus), Lymphödeme (W. bancrofti)

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Anamnese, Mikrofilariennachweis, Serologie

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: Ivermectin, DEC, bei O. volvulus zusätzlich Doxycyclin

KEYWORDS

African bzw. American trypanosomiasis ♦ Amöbenruhr ♦ Amoebiasis ♦ Ascaris ♦ lumbricoides ♦ Bandwurminfektion ♦ Chagas ♦ cestodes ♦ Darmnematoden ♦ echinococcosis ♦ Echinokokkose ♦ Filariasis ♦ Giardiasis ♦ helminths ♦ Kalar Azar ♦ Lambliasis ♦ leishmaniasis ♦ Leishmaniose ♦ Malaria ♦ nematodes ♦ Protozoa ♦ roundworms ♦ Schistosomiasis ♦ tapeworms ♦ Toxoplasmose ♦ toxoplasmosis ♦ trichinosis

13.9. Erkrankungen durch Bakterien

13.9.1. Erkrankungen durch Staphylokokken

Definition Die Gattung Staphylococcus umfasst grampositive, katalasepositive, aerob und fakultativ anaerob wachsende Kokken. Die humanmedizinisch wichtigste Spezies S. aureus unterscheidet sich durch ihre Fähigkeit zur Koagulasebildung von den koagulasenegativen Spezies (S. epidermidis, S. haemolyticus).

Staphylococcus aureus

Definition

S. aureus ist Kommensale der physiologischen Körperflora (Schleimhaut des Rachens, Ausführungsgänge der Brustdrüse, Darm, Hautoberfläche im Bereich von Nasenvorhof, Perinealregion und Achselhöhlen). Infektionen mit S. aureus können endogen aus der eigenen Flora (Nase!) und exogen durch Kontaktinfektionen erfolgen.

Die Keimträgerrate von S. aureus ist v. a. bei Langzeitpatienten und medizinischem Personal in Krankenhäusern hoch. Bestimmte S.-aureus-Stämme haben eine besonders ausgeprägte Epidemietendenz. Es kommen lokale (Krankenhaus), regionale und auch globale Ausbrüche vor. Zurzeit herrscht eine weltweite Ausbruchssituation mit wenigen nosokomialen Klonen von methicillinresistenten S. aureus (MRSA). Besonders in den USA, aber auch weltweit treten jetzt „community acquired S. aureus“ (cMRSA) auf, die zusätzlich das PVL-Gen (s. u.) tragen.

Pathogenese
  • invasive Infektion: fortschreitende Schädigung des Gewebes nach Infektion und In-situ-Vermehrung durch die Gesamtaktivität der Virulenzfaktoren (Zellwandbestandteile, Adhäsine, Enzyme, porenbildende Toxine, Toxine mit Superantigeneigenschaften). Ausgehend von lokal invasiven Infektionsprozessen kann es zur septischen Streuung kommen. Die Schwere der resultierenden Erkrankung wird festgelegt durch:

    • Infektionsort

    • Virulenz des Infektionsstammes

    • Abwehrlage des Patienten.

  • toxinvermittelte Erkrankungen: ein bestimmtes Toxin hat die entscheidende pathogenetische Bedeutung, wobei der Infektionsherd, in dem die Toxinproduktion stattfindet, evtl. klinisch inapparent bleibt. Bei enterotoxinbedingter Gastroenteritis findet die Produktion des Toxins, das über Lebensmittel aufgenommen wird meist außerhalb statt.

S. aureus kann intrazellulär in Endothel- und Epithelzellen gelangen und dort persistieren. Zur Persistenz ist v. a. der Small-Colony-Variant-Phänotyp (SCV) in der Lage, bei dem aggressive extrazelluläre Proteine nicht mehr gebildet werden.

Invasive Erkrankungen

Man unterscheidet lokale, oberflächliche von tiefen, systemischen Prozessen. Beispiele sind:

  • Furunkel und Karbunkel: von Talgdrüsen und Haarbälgen der Haut ausgehende (Mini-)Abszesse

  • generalisierte Pyodermie (Impetigo contagiosa): meist im Säuglings- oder Kleinkindalter bei unzureichenden hygienischen Verhältnissen als Folgeinfektion nach primärer Streptococcus-pyogenes-Infektion

  • Wundinfektionen

  • eitrige Parotitis (hämatogen fast immer beidseitig)

  • Mastitis puerperalis

  • primäre hämatogene Osteomyelitis (Abb. 13.68 a, b), vor allem im Kindesalter, aber auch sekundäre, postoperative oder posttraumatische Osteomyelitis

    Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

    Osteomyelitis.

    a) Röntgenbild, Periost: Zerstörung von Kortikalis und Periost (Pfeile).

    b) Computertomogramm: Sequester (Pfeil).

  • Pneumonie meist sekundär nach Viruspneumonien (Influenza!). Panton-Valentine-Leukozidin (PVL) produzierende Stämme verursachen hyperakute nekrotisierende, abszedierende Pneumonie mit hoher Letalität (Cave: Leukopenie, Hämophthise!).

  • Abszesse in Weichteilen, auch in Organen und Empyeme in Körperhöhlen und Gelenken

  • Einschwemmung der Erreger in die Blutbahn durch oberflächliche bzw. tiefe Prozesse führt zu:

    • akuter, überwiegend ulzeröser Endokarditis: verläuft z. T. foudroyant mit Gefahr der rasch progredienten Klappenzerstörung. Evtl. sekundäre Organmetastasierungen, z. B. in Milz, Lunge, Niere und ZNS (Herdenzephalitis!). S. aureus ist mittlerweile auch der häufigste Erreger der subakuten infektiösen Endokarditis.

    • Sepsis: kann zum irreversiblen Schock führen. Dabei spielen Zellwandbestandteile (Peptidoglykan), Zelltoxine und Enterotoxine bzw. TSST-1 (s. u.) als „Superantigene“ durch direkte T-Zell-Stimulation eine entscheidende pathogenetische Rolle.

  • Infektionen von implantierten Fremdkörpern (z. B. Gefäßprothesen und Hämodialyse-Shunts).

Toxinvermittelte Erkrankungen

Staphylococcal Scalded Skin Syndrome (SSSS) Durch die Wirkung des dermatotropen Toxins (Exfoliativtoxin A bzw. Exfoliativtoxin B) kommt es zur intraepidermalen Spaltbildung. Die generalisierte Form dieses Krankheitsbildes tritt vorwiegend bei Säuglingen (Morbus Ritter von Rittershain) und Kleinkindern auf.

Klinische Bilder

  • erythematöses Stadium: abrupter Beginn mit generalisiertem Erythem und Fieber

  • epidermolytisches Stadium: nach wenigen Stunden großflächige Epidermolyse mit Blasenbildung (positives Nikolski-Zeichen in allen Hautbereichen)

  • regeneratives Stadium: nach vollständiger Ablösung der oberen Epidermisschichten Verkrusten der befallenen Hautareale und Erscheinen der neu gebildeten oberen Epidermisanteile.

Verlauf

Meist gutartig; Komplikationen durch Flüssigkeits- und Elektrolytverlust mit folgendem Volumenmangel. Bei abwehrgeschwächten Patienten auftretendes generalisiertes SSSS ist mit 50% letal. Bei lokaler Toxinproduktion und/oder verhinderter Toxingeneralisation durch vorhandene spezifische Antikörper kommt es zum lokalisierten SSSS: bullöse Impetigo, Pemphigus neonatorum.

Toxic Shock Syndrome (TSS) Da die menstruelle Vagina optimales Milieu für die Produktion von Toxic-Shock-Syndrome-Toxin 1 (TSST-1) ist, tritt TSS v. a. bei jüngeren Frauen ohne protektiven Antikörpertiter während der Menstruation auf. Menstruelles TSS ist mit ca. 90% viel häufiger als nichtmenstruelles. Verantwortlich ist das von 25–30% aller aus klinischem Material stammenden S.-aureus-Stämme produzierte Toxin TSST-1. Aber auch Enterotoxine (s. u., Enterotoxin B), können TSS verursachen. Die Toxinwirkung führt zuletzt zum protrahierten Schockzustand mit Gewebehypoxie. Die Letalität des menstruellen TSS liegt bei 5–8%, die des nichtmenstruellen bei 15%.

Klinische Bilder

  • Leitsymptome: Fieber, Hypotonie und Exanthem (feinfleckig, skarlatiniform bis hin zur Erythrodermie, bevorzugt an Stamm, Schultergürtel und Extremitäten) in der Akut- und Desquamation (groblamelläre Schuppung an Palmar- bzw. Plantarflächen von Händen und Füßen) in der Rekonvaleszenzphase

  • zusätzlich Beeinträchtigung mind. zweier weiterer Organsysteme: symptomreiches klinisches Bild bis hin zum Multiorganversagen

  • Spätfolgen: chronische Niereninsuffizienz, Extremitätengangrän, Karpaltunnelsyndrom und Verhaltensstörungen

  • Diagnostik: Beim Vollbild ist die Diagnostik einfach, bei milden Verlaufsformen (Prä-TSS) mit unspezifischen klinisch-chemischen Parametern schwer möglich. Hinweisend ist eine Hypokalzämie (ionisiertes Kalzium) bei gleichzeitiger Hyperkalzitoninämie.

Spezifische Antikörper spielen eine bedeutende Rolle in der Protektion gegen TSS. Die Anzahl an Personen mit ausreichend hohem TSST-1-Antikörpertiter steigt mit zunehmendem Alter exponentiell an. Menstruelles TSS betrifft fast nur Patientinnen ohne bzw. mit zu niedrigem Antikörpertiter.

Staphylococcus-aureus-Enterotoxikose Bei dieser Lebensmittelvergiftung handelt es sich meist um eine hochakute Enterotoxikose durch präformiertes Enterotoxin (Enterotoxine A, B und C am häufigsten) in verdorbenen Lebensmitteln (Milch-, Eiprodukte, Fleisch).

Klinische Bilder

Massives Erbrechen, Fieber, starkes allgemeines Krankheitsgefühl und vereinzelt Diarrhö wenige Stunden nach Toxinaufnahme in Abhängigkeit von der aufgenommenen Dosis. Bei Säuglingen, Kleinkindern und älteren Patienten evtl. Kreislaufdysregulation durch den Elektrolyt- und Wasserverlust. Abklingen der Symptomatik nach 24–48 h ohne Spätfolgen.

Diagnostik

Bei oberflächlichen invasiven S.-aureus-Erkrankungen lässt sie sich durch eingehende körperliche Inspektion bzw. Untersuchung stellen. Tiefe invasive S.-aureus-Prozesse zeigen entsprechende organtypische klinische Befunde, ergänzt mit modernen bildgebenden Verfahren und allgemeinen klinisch-chemischen Laborparametern (BSG-/CPR-Erhöhung, Leukozytose mit Linksverschiebung etc.). Entscheidend ist die mikrobiologische Absicherung durch den Erregernachweis aus Blutkulturen, Abszess- bzw. Empyempunktaten, intraoperativ gewonnenem Material oder Wundabstrichen.

Bei toxinvermittelten S.-aureus-Erkrankungen ist nicht nur der Erregernachweis, sondern auch der Nachweis der Toxinbildungsfähigkeit entscheidend (Toxingen-Nachweis durch PCR). Ferner werden hier Antikörperuntersuchungen eingesetzt. Bei der S.-aureus-Enterotoxikose werden Enterotoxine evtl. im „angeschuldigten“ Lebensmittel nachgewiesen.

Differentialdiagnose

Es kommen alle Erreger in Betracht, die unspezifische pyogene bzw. nosokomiale Infektionen verursachen. Wichtigste Differentialdiagnose zum SSSS ist das Lyell-Syndrom (schwerste Form des Arzneimittelexanthems) mit subepidermaler Spaltbildung (Hautbiopsie!), bei abwehrgeschwächten Patienten ein generalisierter Zoster. Beim TSS müssen alle hochakuten klinischen Syndrome mit Fieber, hypotoner Kreislaufdysregulation, Exanthem und Multiorganbeteiligung (Meningokokkensepsis, Scharlach und Puerperalsepsis (S. pyogenes), Leptospirose, Rickettsiosen, fulminante virale Erkrankungen und das Kawasaki-Syndrom) ausgeschlossen werden.

Therapie

Invasive S.-aureus-Infektionen

  • chirurgische Interventionen: Eröffnung, Drainage und Ausräumung von Empyemen und Abszessen, Entfernung von Sequestern und Fremdkörpern

  • Chemotherapie: Benzylpenicilline gegen nicht Penicillinase bildende S.-aureus-Stämme und Isoxazolylpenicilline und Cephalosporine der 2. Generation gegen Penicillinasebildner (im klinischen Material 70–80%) sowie in der kalkulierten Chemotherapie, bei schweren Infektionen jeweils kombiniert mit Aminoglykosid.

  • Infektionen mit MRSA erfordern ein individuelles Therapieregime nach Antibiogramm (v. a. Glykopeptide, z. B. Vancomycin). Glykopeptide sind auch Alternativantibiotika

  • bei Penicillinallergie. Clindamycin wird bei Osteomyelitis eingesetzt. Erythromycin, Fusidinsäure, Fosfomycin und Rifampicin sind weitere Reserveantibiotika. Neue auch gegen MRSA wirksame Antibiotika sind Linezolid und Daptomycin. Diese wirken auch gegen die sehr seltenen

  • Glykopeptid-intermediärempfindlichen Stämme (GISA). Bei chronisch-persistierenden Infektionen (z. B. Osteomyelitis, subakute Endokarditis) werden intrazellulär wirksame Substanzen (Clindamycin oder Rifampicin) hinzukombiniert.

Toxinvermittelte S.-aureus-Erkrankungen Symptomatische und intensivmedizinische Behandlung, keine spezifische antitoxische Therapie. Antibiotikatherapie zur Elimination des Herdes und zum schnellen Stopp der Toxinproduktion. Mittel der Wahl, zumindest in Kombinationstherapie, ist Clindamycin, das schon in subinhibitorischen Dosen die Toxinbildung hemmt. Der Wert einer frühzeitigen, einmaligen und hoch dosierten Gabe von Kortikosteroiden beim TSS ist nicht gesichert.

Koagulasenegative Staphylokokken

Klinische Bedeutung

Habitat ist die Haut- und Schleimhautflora des Menschen. Man unterscheidet Novobiocin-resistente S. saprophyticus und Novobiocin-empfindliche S. epidermidis:

  • S. saprophyticus: verursacht bei jungen, geschlechtsaktiven Personen unspezifische Urethritiden, Zystitiden, aber auch Pyelonephritis bis zur Urosepsis

  • S. epidermidis: nicht pathogen (Ausnahme: Nativklappenendokarditis). Besonders empfänglich für Infektionen sind jedoch: Abwehrgeschwächte (unreife Frühgeborene und onkohämatologische Patienten in der Aplasie: larviert verlaufende Sepsis), parenteral Drogenabhängige (Rechtsherzendokarditis) und Patienten mit implantierten Fremdkörpern und intravasalen oder anderen Kathetern aus Plastikmaterial (z. B. Liquorableitungssysteme, Herzklappen, Schrittmacherelektroden, CAPD-Katheter, Venenkatheter, Gelenkprothesen etc.). Die Bakterien adhärieren irreversibel an Plastikoberflächen, vermehren sich dort und bilden einen gegen Wirtsabwehrmechanismen und Chemotherapeutika schützenden Biofilm.

Diagnostik

Kultureller Erregernachweis(Blutkulturen und explantierte Polymerfremdkörper).

Cave: Hohe Kontaminationsgefahr bei Interpretation der kulturellen Befunde (Haut, Schleimhäute!)!

Therapie

Wie bei Chemotherapie von Staphylococcus aureus. Wegen höherer Neigung zur Multiresistenz wird häufiger Vancomycin eingesetzt. Bei polymerassoziierten Infektionen ist meist die Entfernung des infizierten Fremdkörpers nötig, da die Chemotherapie allein sehr häufig nicht zum Erfolg führt.

13.9.2. Erkrankungen durch Streptokokken und Enterokokken

Definition
  • Streptococcus: grampositive, aerob wachsende Kokken, mikroskopisch überwiegend Kettenkokken. Die weitere Einteilung erfolgt aufgrund Hämolyseverhalten und Gruppenantigen. Man unterscheidet hämolysierende Streptokokken der serologischen Gruppen A (S. pyogenes), B (S. agalactiae), C und G und vergrünende oder nicht hämolysierende „orale“ Streptokokken. S. pneumoniae imponieren mikroskopisch als ovale, lanzettförmige Diplokokken.

  • Enterokokken: eigene Gattung mit den wichtigsten Spezies Enterococcus faecalis und Enterococcus faecium.

Streptococcus pyogenes

Synonym: A-Streptokokken

Epidemiologie Wichtigstes Reservoir ist der menschliche Oropharynx. Von Bedeutung sind dabei erkrankte und gesunde Keimträger. Die Übertragung erfolgt meist durch Tröpfcheninfektion.

Pathogenese Wichtigster Virulenzfaktoren sind das M-Protein mit starker phagozytosehemmender Wirkung, Zellwandbestandteile und Exoenzyme (Streptolysine S und O: porenbildendes Toxin; Streptokinase und Desoxyribonuklease: Streptodornase). Die pyrogenen Exotoxine A und C haben Superantigencharakter, sind bei der Pathogenese des streptokokkenassoziierten Toxic Shock Syndrome entscheidend und verursachen auch das typische Scharlachexanthem. Streptokokken-Folgeerkrankungen (rheumatisches Fieber, akute Glomerulonephritis, s. u.) werden durch Immunphänomene erklärt.

Klinische Bilder

Infektionen des Respirationstraktes Infektionen des Rachens treten meist im Winter und Frühjahr und gehäuft in gemäßigten und kalten Zonen auf. Wichtigste Infektion ist die akute Pharyngitis, meist in Form einer hochfieberhaften exsudativen Tonsillitis (Angina lacunaris), aus der sich ein Peritonsillarabszess entwickeln kann. Weitere klinische Manifestationen sind: akute Sinusitis, akute Otitis media und selten Pneumonie. Betroffen sind vor allem Schulkinder und jüngere Erwachsene.

Scharlach ist eine Sonderform der Streptokokkenpharyngitis, bei der die verursachenden A-Streptokokken mind. ein pyrogenes (= erythrogenes) Toxine produzieren, gegen die der Betroffene nicht immun ist. Neben hohem Fieber und Angina treten typisches kleinfleckiges Exanthem und Enanthem auf (Kap. 15.3.7).

Infektionen der Haut Diese sind in subtropischen und tropischen Gebieten v. a. im Spätsommer und Frühherbst häufiger. Betroffen sind besonders Kinder im Vorschulalter:

  • Pyodermie: betrifft nur die Epidermis und kann als Impetigo contagiosa vor allem bei Kleinkindern epidemisch auftreten. Häufig sind auch sekundäre Mischinfektionen mit S. aureus.

  • Erysipel: pathognomonisches A-Streptokokken-Krankheitsbild, das auch tiefere Hautschichten betrifft. Beginnt mit lokalisiertem Erythem mit Schwellung, das sich rasch ausbreitet und klar vom normalen umgebenden Gewebe abgrenzbar ist begleitet von hohem Fieber, Schüttelfrost und allgemeinem toxischem Krankheitsgefühl. Im Gesichtsbereich ist es meist selbstlimitierend, bei anderer Lokalisation kann es nur durch gezielte Therapie geheilt werden.

  • Wundinfektionen

  • Phlegmone: ausgehend von Mikrotraumen mit subkutan oder subfaszial rasch ausbreitender Infektion und massiver Enzymaktivität der involvierten Streptokokken (z. B. Streptodornase, Hyaluronidase)

  • Fasciitis necroticans: bei fulminantem Verlauf rasche Zerstörung von Faszien und Muskelgewebe.

Sepsis Charakterisiert durch besonders fulminanten Verlauf; kann sehr rasch durch Verbrauchskoagulopathie (Purpura fulminans) zum Tode führen. Eine Sonderform ist die Puerperalsepsis (peri- bzw. postnatal bei Frauen).

Toxinvermittelte Erkrankungen Bestimmte Stämme (pyrogene Toxine mit Superantigencharakter, s. o.) können ein Toxic Shock Syndrome klinisch und pathogenetisch ähnlich dem nichtmenstruellen S.-aureus-TSS auslösen.

Streptokokken-Folgeerkrankungen Von den genannten Erkrankungen werden Streptokokken-Folgeerkrankungen abgegrenzt:

  • akutes rheumatisches Fieber: nach durchgemachter Streptokokkenpharyngitis mit einer Latenzzeit von ca. 18–20 Tagen. Es kommt zu Fieber, schmerzhaften Schwellungen der großen und mittleren Gelenke und zur Pankarditis (v. a. als Endokarditis: Endocarditis verrucosa). Nach längerer Latenzzeit evtl. Syndrom im ZNS-Bereich (Chorea minor). Andere Spätfolgen sind: Erythema nodosum und Erythema anulare rheumaticum. Man führt den Gesamtkomplex des rheumatischen Fiebers auf eine Immunpathogenese zurück. Nur bestimmte M-Typen von A-Streptokokken verursachen diese Folgeerkrankung, solche Stämme kommen zurzeit bei uns nicht autochthon vor. Häufiger betroffen sind (bei uns meist türkische) Patienten aus mediterranem Gebiet.

  • akute Glomerulonephritis: tritt auch nach Hautinfektionen auf. Gute Prognose v. a. bei Kindern.

Diagnostik

Einige der Erkrankungen (z. B. Erysipel und Scharlach) sind schon klinisch pathognomonisch. Wichtigste mikrobiologisch-diagnostische Maßnahme ist der Erregernachweis aus Blutkultur und Abstrich- und Punktionsmaterialien.

Im Verlauf stellt man meist serologisch eine Titerbewegung der Antikörper gegen Streptolysin O (ASO-, ASL-Titer) und/oder bei Antikörpern gegen DNAse B (ADB-, Streptodornase-Titer) fest. Faustregel: der ASL-Titer steigt v. a. bei Infektionen im Respirationstrakt, der ADB-Titer meist bei Hauterkrankungen an.

ASL spielt in der Diagnostik des rheumatischen Fiebers nur eine geringe Rolle, ADB hat in der Diagnostik der akuten Glomerulonephritis größere Bedeutung. Die ADB-Werte können hier extrem hoch ansteigen.

Differentialdiagnose Extrem hohe ASL- bzw. ADB-Werte treten auch bei Plasmozytomen mit entsprechender Antikörperspezifität auf.

Differentialdiagnostisch kommen bei den pyogenen A-Streptokokken-Infektionen v. a. Infektionen durch S. aureus in Frage. Dies gilt auch für das Toxic Shock Syndrome. Beim Erysipel muss, v. a. bei Immunsupprimierten, eine Aeromonas-spp.-Ätiologie ausgeschlossen werden (Cave: andere Antibiotikatherapie!). Bei Streptokokken-Folgeerkrankungen müssen auch Autoimmunerkrankungen in die Differentialdiagnose einbezogen werden.

Therapie

Penicillin G als Mittel der Wahl. Dosierung und Dauer hängen von Manifestation und klinischer Fulminanz ab. Bei der Streptokokkenpharyngitis reicht eine orale Therapie über 10 Tage (Tagesdosis bei 6–12 Mega), bei fulminanter Sepsis sind Tagesdosen bis zu 40 Mega nötig, alternativ evtl. Cephalosporine.

Bei Penicillinallergie sind Makrolidantibiotika bzw. Vancomycin Alternativen. Bei einigen Krankheitsbildern (z. B. Phlegmone, Fasciitis necroticans) sind ferner schnelle und offensive chirurgische Maßnahmen nötig.

Bei Streptokokken-Folgeerkrankungen spielt auch die antiphlogistische Behandlung eine wichtige Rolle und evtl. Kortikosteroidgabe. Ferner ist eine Rezidivprophylaxe mit Penicillin oder Erythromycin für mind. 1–2 Jahre indiziert.

Bei den übrigen A-Streptokokken-Erkrankungen keine spezifischen prophylaktischen Maßnahmen, was auch für die Expositionsprophylaxe mit Antibiotika bei Scharlachausbrüchen gilt.

Streptococcus agalactiae

Hämolysierende Streptokokken der serologischen Gruppe B verursachen v. a. peripartale Infektionen bei Neugeborenen, bis 48 h post partum eine Sepsis und 8–14 Tage post partum Meningitis. Zunehmend findet man sie auch bei pyogenen Infektionen geriatrischer Patienten.

Hämolysierende Streptokokken der Gruppen C und G

Verursachen auch Pharyngitis oder Wundinfektion. Systemisch-septische Infektionen fast ausschließlich bei abwehrgeschwächten Patienten.

„Orale“ Streptokokken

Vergrünende bzw. nicht hämolysierende Streptokokken haben ihren natürlichen Standort im Oropharynx des Menschen, S. bovis im Darm von Mensch und Tier. Sie werden als orale Streptokokken bezeichnet. Sie verursachen:

  • Karies und Parodontitis

  • Nativklappen- („Endocarditis lenta“) und Spät-Prothesenendokarditis (Kap. 7.9.1).

Bei Nachweis von S. bovis in der Blutkultur muss eine Kolonerkrankung (Karzinom, Divertikulitis) ausgeschlossen werden!

Pneumokokken

Synonym: Streptococcus pneumoniae

Epidemiologie Einzig relevanter Wirt ist der Mensch, wo sie in der Oropharynxflora vorkommen. Infektionen entstehen von hier aus endogen-hämatogen, meist exogen durch Tröpfcheninfektion.

Pathogenese Entscheidend ist die Polysaccharidkapsel. Nur bekapselte Stämme sind virulent. Es gibt verschiedene Polysaccharidkapseltypen und so unterschiedliche Serotypen der Pneumokokkenstämme (> 80); dies ist bei der Protektion von Bedeutung.

Prädisponierende Faktoren: maligne Grunderkrankungen wie Leukämien, Granulozytopenien verschiedenster Ursachen, nephrotisches Syndrom, massiver Alkoholabusus und Sichelzellanämie. Besondere Gefährdung besteht für splenektomierte Patienten.

Klinische Bilder

  • Lobärpneumonie: früher typischste und wichtigste Pneumokokkenerkrankung, heute seltener

  • Bronchopneumonie: wesentlich häufiger. Pneumokokken als wichtigste Erreger ambulant erworbener Bronchopneumonien

  • akute Sinusitis und akute Otitis media

  • Pneumokokkenmeningitis: in jedem Lebensalter möglich, häufigste bakterielle Meningitis bei Patienten > 40 Jahren.

Diagnostik

Erregernachweis in entsprechenden Materialien. Pneumokokken sterben wegen ihres starken Autolysesystems auf dem Transport rasch ab. Wichtig sind – vor allem bei Pneumonie – Blutkulturen. In der Meningitisdiagnostik spielen der mikroskopische Erreger- und der spezifische Antigennachweis (Kapselpolysaccharid) eine zunehmende Rolle in der spezifischen Schnelldiagnostik. Der Antigennachweis aus Sputum oder Trachealsekret ist oft unspezifisch.

Therapie

Penicillin G. Andernorts schon sehr häufig (Spanien!) isolierte Penicillin-G-resistente Pneumokokken wurden bei uns bisher nur selten gefunden. Stämme mit nur mäßiger Empfindlichkeit gegen Penicilline sind auch bei uns häufiger. Eine Resistenztestung ist daher durchzuführen. Alternative Substanzen: Cephalosporine der 3. Generation (z. B. Cefotaxim) oder Carbapeneme.

Es besteht die Möglichkeit zur aktiven Immunisierung. Die Vakzine beinhaltet die wichtigsten, vor allem bei septischen Verlaufsformen vorkommenden Kapseltypen. Die Impfung ist Regelimpfung nach STIKO für Kinder und ältere Menschen.

Enterokokken

Epidemiologie Natürlicher Standort ist der Darm von Mensch und Tier. Der Infektionsweg ist endogen-hämatogen nach Translokation aus dem Darm, auch exogene Schmutz-Schmierinfektionen sind möglich.

Klinische Bilder

E. faecalis ist Erreger akuter Harnwegsinfektionen und Adnexitiden (innerhalb einer Mischinfektion) der Frau. Von größerer Bedeutung ist die Enterokokkenendokarditis (ca. 10%). Ferner spielen Enterokokken eine Rolle als Wundinfektionserreger.

Diagnostik

Erregernachweis in entsprechenden Materialien, v. a. in der Blutkultur (Endokarditis).

Therapie

  • Enterokokken-Harnwegsinfektionen: Aminopenicilline

  • Enterokokkenendokarditis: auch alternativ Mezlocillin. Grundsätzlich immer kombinierte Behandlung mit Gentamicin in den ersten 2 Wochen. Die Therapiedauer liegt bei 4–6 Wochen. Bei Penicillinallergie oder bei Stämmen mit „High-Level“-Resistenz (> 2000 mg/l MHK) gegen Gentamicin Gabe von Glykopeptiden (v. a. Teicoplanin). Gegen glykopeptidresistente Enterokokken wirken Linezolid und Daptomycin.

13.9.3. Erkrankungen durch gramnegative Kokken

Die wichtigsten sind Meningokokken und Gonokokken der Gattung Neisseria.

Branhamella catarrhalis (früher Neisseria catarrhalis, kokkoide Stäbchen) gehört zur physiologischen Rachenflora, kann aber Infektionen des oberen und unteren Respirationstrakts verursachen. Moraxella- und Kingella-Arten (kokkoide Stäbchen) werden mitunter als opportunistische Infektionserreger isoliert. Selten werden Veillonellen (anaerob) aus pyogenen Mischinfektionen isoliert.

Meningokokkenmeningitis/-sepsis

Epidemiologie Die Meningitis, verursacht durch Neisseria meningitidis, häufig kombiniert mit Sepsis, kommt weltweit vor. Epidemische Erkrankungen werden in gemäßigten Zonen meist von Stämmen des Kapseltyps C, sonst des Typs A verursacht. Hierzulande herrscht der für sporadische Fälle verantwortliche Serotyp B vor. Ca. 50% der Erkrankungen trifft Kinder ≤ 5 Jahren. Erregerreservoir ist der Mensch, die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion. Der Manifestationsindex ist gering, symptomloses Keimträgertum nicht selten.

Pathogenese Die systemische Meningokokkeninfektion entsteht durch Besiedelung des Rachenraumes mit virulenten Meningokokken (Pharyngitis) und deren Eindringen in die Blutbahn, da Antikörper gegen das Kapselpolysaccharid fehlen (entscheidender Virulenzfaktor).

Bei Sepsis entstehen massive Blutungen (Haut, innere Organe, v. a. Nebennieren), pathogenetisch verursacht durch endotoxinbedingte Verbrauchskoagulopathie und direkte Gefäßschädigung.

Symptome

Meningokokkenmeningitis Plötzlicher Beginn und foudroyanter Verlauf. Nach kurzer Inkubationszeit (wenige Tage) Manifestation der akut-eitrigen Meningitis mit

  • starken Kopfschmerzen

  • Erbrechen

  • hohem Fieber

  • Nackensteifigkeit

  • je nach Ausdehnung weitere neurologische Symptome (Bewusstseinstrübung, Fazialisparese etc.).

Meningokokkensepsis Bei Verlauf als foudroyante Allgemeininfektion versterben die Patienten an Sepsis mit Schock, vor Ausbildung einer Meningitis. Eine besondere Form bei foudroyantem Verlauf ist das Waterhouse-Friderichsen-Syndrom mit Einblutungen in Haut und innere Organe und zusätzlichem Nebennierenversagen (hohe Letalität!).

Diagnostik

Bei foudroyanten Verläufen muss die Verdachtsdiagnose schon klinisch gestellt werden. Eine sichere Diagnose ist nur über den kulturellen Erregernachweis aus Liquor oder Blutkultur möglich. Zur Frühdiagnostik gehören zwingend auch:

  • mikroskopische Untersuchung des eitrigen Liquors im Gram-Präparat (Abb. 13.69 )

    Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

    Meningokokken (Pfeile) im Liquor, umgeben von Granulozyten.

    (Aus: Thomas, 1986).

  • Versuch des Antigennachweises im Liquor.

Weitere laborchemische Befunde von Liquor und Blut spiegeln die generell bei eitriger Meningitis bzw. Sepsis erhobenen Befunde (z. B. Meningitis: Zellzahlerhöhung [Granulozyten!] und Eiweißerhöhung; Sepsis: Leukozytose mit Linksverschiebung, CRP-, Procalcitoninerhöhung) wider.

Therapie

Entscheidend ist die frühzeitige Penicillin-G-Therapie in hoher Dosierung (20–40 Mega/Tag). Alternativen (vor allem bei Penicillinallergie) sind Carbapeneme oder Cephalosporine der 3. Generation. Die Therapie dauert mind. 10–14 Tage; von Anfang an durchgeführte Liquorkontrollen müssen keimfrei sein.

Prophylaxe Eine präventive Schutzimpfung für die Serotypen A und C zur Eindämmung von Großepidemien ist möglich (Ausnahme: Säuglinge). Gegen Neisseria meningitidis Typ B gibt es bisher keine Impfung. Expositionsprophylaxe mit Rifampicin wird Personen empfohlen, die intensiven Kontakt zu einem Erkrankten hatten (Familie, Kindertagesstätten). Die Erkrankung ist meldepflichtig (s. IFSG nach § 6 Abs. 1 Nr. 1).

Gonorrhö

Synonym: Tripper

Verursacht durch Neisseria gonorrhoeae (Gonokokken), ist sie die häufigste bakterielle Geschlechtskrankheit. Außerhalb der Genitalschleimhaut sterben die Bakterien relativ schnell ab.

Klinische Bilder

Akute Form Urethritis bei genitaler Infektion des Mannes. Von dort evtl. Aszension und Entwicklung einer Prostatitis bis zur Gonokokkensepsis. Die genitale Infektion der Frau betrifft die Zervix, weniger die Urethra. Insgesamt ist die Klinik hier wesentlich blander als beim Mann, der Übergang ins chronische Stadium viel häufiger. Extragenitale Infektionen (Mund- und Darminfektionen oder Augenbeteiligung: Ophthalmoblennorrhö) sind möglich.

Chronische Form Manifestation beim Mann als Prostatitis, Epididymitis und evtl. als Harnröhrenstriktur, bei der Frau als Adnexitis und im Extremfall als Douglas-Abszess mit Peritonitis. Selten Monarthritis (rechtes Kniegelenk) oder Endokarditis.

Diagnostik

Kultureller Erregernachweis (spezielles Transportmedium!).

Therapie

Bei Erwachsenen Gabe von Penicillin oder Chinolonen (evtl. nur eine Dosis!), bei Kindern Cephalosporine der 3. Generation.

13.9.4. Erkrankungen durch grampositive Stäbchen

Diphtherie

Definition Erreger ist Corynebacterium diphtheriae, und zwar nur Diphtherietoxin-bildende Stämme. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion oder direkten Kontakt mit erkrankten oder gesunden Keimträgern.

Epidemiologie 1975 gab es in Deutschland zum bisher letzten Mal Gruppenerkrankungen bzw. Kleinepidemien. Einzelfälle (meist eingeschleppt aus Epidemiegebieten, zurzeit Russland, Ukraine) kommen immer wieder vor. Da bei uns der Impfschutz bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen (nicht durchgeführte Wiederimpfungen) durch die aktive Impfung stark abnimmt, ist ein epidemieartiges Auftreten der Diphtherie jederzeit möglich.

Manifest erkranken ca. 20% der Infizierten.

Pathogenese Pathogenetisch entscheidend ist das Diphtherietoxin, bestehend aus den Untereinheiten A (letal zytotoxisch) und B (vermittelt Zelleinschleusung) und kodiert von einem Prophagen.

Das Toxin wird am Ort der Infektion produziert und gelangt per continuitatem oder hämatogen zu anderen Gewebsbereichen bzw. Organen.

Klinische Bilder

Rachendiphtherie Hauptsächliche Manifestation mit Rötung und Schwellung von Rachenschleimhaut bzw. Tonsillen und schwerem allgemeinem Krankheitsgefühl nach bis zu 5 Tagen Inkubationszeit. Hohes Fieber ist selten, dann oft Zeichen einer primär-toxischen Diphtherie. Im weiteren Verlauf bilden sich nach wenigen Stunden weiße Beläge auf der Schleimhaut, aus denen die bräunlichen Pseudomembranen aus Fibrin, Entzündungszellen und nekrotischen Epithelzellen gebildet werden (Abb. 13.70 ), die fest auf den Wundflächen haften. Eine instrumentelle Ablösung führt daher zu Blutungen (wichtiges diagnostisches Kriterium!). Von diesen Pseudomembranen kann ein sehr charakteristischer fötid-süßlicher Geruch ausgehen. Die zugehörigen regionären Lymphknoten sind deutlich geschwollen. Klinischer Höhepunkt nach 4–5 Tagen. Dieser kann im sekundär-toxischen Verlauf mit Spätkomplikationen, aber auch unter Entfieberung in die Hei lungsphase übergehen. Selten hämatogene Metastasierung der Erreger.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Pharynx bei Rachendiphtherie.

Weitere primäre Manifestationen

  • Nasendiphtherie (mit eitrig-blutiger Sekretion), Augendiphtherie (Konjunktivitis) und Nabeldiphtherie: vorrangig bei Säuglingen

  • primäre Kehlkopfdiphtherie: Beginn mit Heiserkeit und bellendem Krupphusten; führt sehr schnell durch Ödem der Larynxschleimhaut zur Stenosierung der Atemwege

  • Wunddiphtherie: Wunden stellen die Eintrittspforte dar; nach anfänglicher Heilung immer wieder erneutes Aufbrechen des Prozesses

  • deszendierender Krupp: aus der primär-lokalisierten entwickelt sich rasch eine progrediente Diphtherie der tieferen Atemwege, was sehr schnell zur Stenosierung durch ein Schleimhautödem im Trachea- und Bronchialbereich führt.

Maligne Diphtherie Bei primär-toxischem foudroyantem Verlauf (maligne Diphtherie) dominieren von Anfang an die durch die Toxinämie verursachten, vor einem lokalen Infektionsprozess auftretenden Allgemeinsymptome. Die charakteristischen Schleimhautzeichen (Pseudomembranen) fehlen evtl. anfangs völlig. Im Vordergrund stehen Myokarditis, toxisches Herz-Kreislauf-Versagen, Haut- und Schleimhautblutungen, Niereninsuffizienz und unstillbares Erbrechen. Bedingt durch ein massives Ödem im Bereich der Halsweichteile, kommt es zum sog. Cäsarenhals.

Sekundäre Organschädigungen Toxisch bedingte Sekundärschädigungen anderer Organe können bei allen Formen der Diphtherie nach Abklingen der akuten Infektion auftreten. Hier ist die diphtherische Myokarditis klinisch am bedeutsamsten.

Weitere Spätschäden:

  • toxische Nephropathie

  • Polyneuritis diphtherica: überwiegend als Lähmung des Gaumensegels bzw. der Schlundmuskulatur, kann als Paresen auch andere Muskelbereiche betreffen.

MERKE

Regelmäßige EKG-Kontrollen sind unabdingbar! Es kommt überwiegend zu Überleitungsstörungen bis zum totalen AV-Block. Die diphtherische Myokarditis ist die häufigste Ursache von plötzlichen Todesfällen in der Rekonvaleszenzphase.

Diagnostik

Anamnese und klinisches Bild: lokaler Befund mit Pseudomembranen, süßlicher Foetor ex ore und toxische allgemeine Krankheitserscheinungen. Mikrobiologische Diagnosesicherung durch Erregernachweis und Nachweis der Toxinbildungsfähigkeit.

Differentialdiagnose Primäre Ausschlussmaßnahme

Infektiöse Mononukleose Monozytäres Blutbild

Schwere Streptokokkenangina Keine Pseudomembranen

Plaut-Vincent-Angina Nekrotisch, meist einseitig

Epiglottitis durch Haemophilus oder S. aureus Hellrot ohne Membranauflagerungen

Mumps Keine Beläge im Rachen

Therapie

  • sofortige Gabe von Antitoxin (Toxinneutralisation!): meist nur in Form eines Pferdeimmunserums verfügbar, was für allergische Reaktionen Bedeutung hat

  • Chemotherapie mit Penicillin G oder Erythromycin (bei Penicillinallergie) zur möglichst schnellen Proliferationshemmung und folgender Eliminierung der Keime. Sie beeinflusst die pathogenetische Wirkung von bereits vorgebildetem Toxin nicht.

  • weitere, z. T. intensivmedizinische Therapiemaßnahmen entsprechend der Organschädigung: z. B. rechtzeitige Intubation, evtl. über Tracheostoma oder bronchoskopische Entfernung von Pseudomembranen aus der Trachea bzw. den größeren Bronchien.

Prophylaxe Nach durchgemachter Diphtherie besteht lang dauernde, nicht unbedingt lebenslange Immunität. Eine passive Immunisierung von disponierten Personen mit Pferdeserum führt nur zu einer ca. 2-wöchigen Immunität und ist nicht wiederholbar. Daher ist die wichtigste prophylaktische Maßnahme die aktive Schutzimpfung mit Toxoidimpfstoff. Die so erworbene antitoxische Immunität verhindert die Infektion zwar nicht, mildert aber den Verlauf. Wichtig ist auch, die Impfung in entsprechenden Abständen (ca. 10 Jahre) bis ins Erwachsenenalter zu wiederholen. Verdacht, Erkrankung und Tod an Diphtherie sind meldepflichtig (s. IFSG nach § 6 Abs. 1 Nr. 1). Betroffene Patienten müssen isoliert werden; Umgebungsuntersuchungen sind zwingend.

Verlauf und Prognose Hohe Letalität der malignen Diphtherie; gute Prognose der anderen Formen bei entsprechender Therapie.

Zusammenfassung

  • Häufigste Ursache: Tröpfcheninfektion mit Corynebacterium diphtheriae (toxinogene Stämme)

  • Wichtigstes Symptom: bräunliche Pseudomembranen auf der Rachenschleimhaut

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Klinik!

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: Gabe von Antitoxin und Penicillin G

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000
113 Text: Erkrankungen durch andere Korynebakterien.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000
114 Text: Schweinerotlauf

Listeriose

Definition Listerien sind grampositive kokkoide Stäbchen. Menschenpathogen sind die Arten Listeria monocytogenes und L. ivanovii. Die durch L. monocytogenes verursachte Listeriose verläuft bei Tier und Mensch mit verschiedenen klinischen Erscheinungsbildern.

Epidemiologie Listerien sind ubiquitär verbreitet und vermehren sich bei niedrigen Temperaturen bis zu + 4 °C (Wachstum im Kühlschrank). Sie kommen physiologischerweise und als Krankheitserreger bei vielen Tieren vor. Infektion erfolgt durch direkten Kontakt mit Tieren oder über Tierprodukte (z. B. Milch, Milchprodukte besonders Camembert).

Pathogenese Neben der extrazellulären Aggression invadieren Listerien Zellen, v. a. Makrophagen, und persistieren intrazellulär. In der Abwehr spielt die T-Zell-vermittelte Immunität die wichtigste Rolle, auch die Bedeutung der Granulozyten wird diskutiert. Man unterscheidet 2 Verlaufsformen:

  • akut-eitrige Entzündung: z. B. an Bindehaut und Meningen, neben Granulozyten kommen auch mononukleäre Zellen vor.

  • granulomatöse Verlaufsform: Ausbildung granulomatöser Entzündungsherde mit Zentralnekrose und Abszessherden (Listeriome).

Im Erwachsenenalter sind meist ältere Patienten mit konsumierenden Grunderkrankungen oder Abwehrgeschwächte betroffen. Bei Schwangeren kann die Listeriose zwar immer, v. a. aber im letzten Trimenon auftreten und zur diaplazentaren und so intrauterinen Infektion des Fetus führen. Für die Neugeborenen-Listeriose ist neben dem intrauterinen der perinatale Infektionsweg aus dem besiedelten Geburtskanal bekannt.

Klinische Bilder

Sepsis, Meningitis, Enzephalitis, selten Endokarditis, Konjunktivitis, Endometritis und sog. Lymphadenitis.

Bei Schwangeren-Listeriose grippal-milder bis septischer Verlauf mit Fieber und Schüttelfrost; bei schweren Verlaufsformen evtl. Abort bzw. Frühgeburt. Schwerste Manifestation der Neugeborenen-Listeriose ist die septische Neugeborenen-Granulomatose.

Diagnostik

Klinik meist uncharakteristisch. Diagnosestellung nur nach Erregernachweis in der Blutkultur, aus Liquor oder evtl. Biopsien.

Differentialdiagnose Breites Spektrum. Bei fieberhaften Erkrankungen während der Schwangerschaft muss eine Listeriose ausgeschlossen werden. Auch muss bei septischen Krankheitsbildern in Kombination mit Meningoenzephalitis bei älteren Patienten mit entsprechenden Prädispositionen frühzeitig an Listeriose gedacht werden.

Therapie

Gabe von Aminopenicillinen (bei Penicillinallergie: Chloramphenicol), evtl. in Kombination mit Aminoglykosiden. Cephalosporine sind unwirksam. Bei Listerienmeningitis bevorzugt kombinierte Gabe von Aminopenicillinen und Chloramphenicol.

Prophylaxe Fachgerechte Behandlung von Tierprodukten, z. B. ausreichende Pasteurisierung der Milch. Schwangere sollten Tierkontakte meiden. Evtl. prophylaktische Antibiotikagabe bei symptomloser Besiedlung des Geburtskanals mit Listerien bei Schwangeren.

13.9.5. Erkrankungen durch Aktinomyzeten

Definition Grampositive Fadenbakterien, die in verzweigten Geflechten wachsen (Strahlenpilze). Man unterscheidet anaerobe (Gattung Actinomyces und Arachnia) von aerob wachsenden Aktinomyzeten (Gattung Nocardia). Nokardien leben im Erdboden, die anaeroben Aktinomyzeten auf der menschlichen Oropharyngealschleimhaut.

Aktinomykose

Synonym: Strahlenpilzkrankheit

Obligat endogene Mischinfektion. Leitkeime sind Actinomyces israelii oder A. gerencseriae mit evtl. umfangreicher Begleitflora (typische Vertreter der normalen Mundflora). Ursächlich ist die Invasion der Aktinomyzeten aus dem Schleimhautbereich ins Gewebe (z. B. Wange). Dort entsteht bei Vorliegen anaerober bzw. mikroaerophiler Bedingungen zunächst ein entzündliches Granulationsgewebe, das eitrig einschmilzt. So kommt es zur multiplen Abszessbildung und parallel zur Bindegewebsproliferation und häufiger Fistelung nach außen. Im Eitermaterial finden man pathognomonische Strahlenpilzdrusen, stecknadelkopfgroße, derbe gelbliche bis rötliche Körnchen, bestehend aus einem Konglomerat myzelialer Aktinomyzetenkolonien, Begleitbakterien und Leukozyten. Gemäß dem endogenen Infektionsweg vom Oropharynx aus manifestiert sich die Aktinomykose in schleimhautnahen Geweben als zervikofaziale Aktinomykose. Dieser Prozess kann sich per continuitatem ausbreiten und dann den ganzen Halsbereich umfassen oder hämatogen andere Organe erreichen. Zugrunde liegen v. a. Verletzungen oder Manipulationen im Gesichtsschädelbereich (z. B. Zahnextraktionen, Kieferbrüche, Fremdkörperverletzung). Nach dem akuten Initialstadium folgt meist ein subakuter bis chronischer Verlauf. Möglich ist auch eine primär chronische Form.

Klinische Bilder

Nebeneinander von Eiter- und Vernarbungsprozessen mit harten Infiltraten mit neuen Einschmelzungen und Fistelbildungen, aus denen sich drusenhaltiger Eiter entleert. Thorakale Aktinomykosen, meist entstanden durch Aspiration von erregerhaltigem Material aus dem Oropharynx, sind viel seltener und können in der Differentialdiagnose zur Lungentuberkulose oder zum Bronchialkarzinom Schwierigkeiten bereiten. Sehr selten sind auch abdominale Aktinomykosen und Aktinomykosen der Haut.

Diagnostik

Erregernachweis von Aktinomyzeten selbst und deren aeroben/anaeroben Begleitflora. Bei typischen Drusen im Eiter wird die mikroskopische Verdachtsdiagnose sehr schnell gestellt. Die endgültige kulturelle Diagnose kann bis zu 2 Wochen erfordern.

Therapie

Chemotherapie mit Aminopenicillin/β- Lactamase-Inhibitor-Kombinationen oder Kombinationstherapie von Breitspektrumpenicillinen mit Clindamycin oder Metronidazol; bei fortgeschrittenen Prozessen (multiple Eiterherde und Fistelungen) zusätzlich chirurgische Therapie.

Nokardiose

Nocardia (N. asteroides, N. farcinica, N. nova und N. abscessus) sind opportunistische exogene Krankheitserreger. Nokardiosen treten meist bei prädisponierenden Grunderkrankungen (Abwehrschwäche) auf. Im Gegensatz zu den Aktinomykosen ist die Nokardiose eine Monoinfektion. Ferner gelangen Nokardien aus der Umwelt exogen in den menschlichen Organismus. Man unterscheidet:

  • pulmonale Nokardiose: Bronchopneumonie mit oder ohne Abszedierungstendenz

  • systemische Nokardiose: Abszessbildungen in verschiedenen Organen (Hirnabszess!) bis hin zur Sepsis

  • Haut- und Schleimhautnokardiosen. Diese kommen v. a. in tropischen und subtropischen Regionen vor, Haupterreger ist N. brasiliensis.

Ausgesprochen bösartige Erkrankung: mit 50% letal auch bei frühzeitiger Diagnose und Therapie.

Diagnostik

Klinische Verdachtsdiagnose bei auftretenden Hirnabszessen bzw. abszedierenden Pneumonien bei entsprechender Prädisposition. Eine primäre Verdachtsdiagnose kann der mikroskopische Nachweis von relativ säurefesten Stäbchen zulassen, hier ist die Differentialdiagnose zu Mykobakterien wichtig. Der Erregernachweis muss angestrebt werden, trotz schwieriger Anzüchtung und weiterer Differenzierung der Nokardien.

Therapie

Chemotherapie mit Imipenem in Kombination mit Amikacin oder Kombination aus Amoxicillin und Clavulansäure mit Amikacin. Wichtig ist die ausreichend lange Therapiedauer zur Vermeidung von Frührezidiven.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000
115 Text: Allergische Alveolitis.

13.9.6. Erkrankungen durch Mykobakterien

Zur Gattung Mycobacterium gehören die Erreger der klassischen Tuberkulose, M. tuberculosis und M. bovis, die nicht tuberkulösen Mykobakterien sowie M. leprae als Erreger der Lepra.

Die grampositiven Bakterien zeichnen sich durch ihre Säurefestigkeit aus. Sie lassen sich daher mikroskopisch mit einem besonderen Färbeverfahren (Ziehl-Neelsen-Färbung) darstellen.

Tuberkulose

Synonym: Schwindsucht

Siehe Kapitel 10.5.

M. tuberculosis ist Erreger der klassischen Tuberkulose, mit der Lungentuberkulose als häufiger Manifestation. M. bovis ist Erreger der klassischen Darmtuberkulose. M. africanum ist eine taxonomisch zwischen M. tuberculosis und M. bovis stehende Spezies, die nur in Afrika vorkommt und auch eine typische Tuberkulose verursacht.

Diagnostik

Neben der speziellen Anfärbbarkeit (Abb. 13.71 ) zeichnen sie sich durch eine lange Generationszeit aus. Der konventionelle kulturelle Erregernachweis kann 4–6 Wochen dauern. Weitere Differenzierungsmaßnahmen und Antituberkulotika-Empfindlichkeitsprüfungen können noch zusätzlich Zeit beanspruchen. Die mikroskopische Nachweisbarkeitsgrenze von säurefesten Stäbchen liegt bei 104–105 Bakterien/ml Untersuchungsmaterial.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Tuberkulose: Mycobacterium tuberculosis (Sputum; Ziehl-Neelsen-Färbung).

Moderne, teilautomatisierte kulturelle Nachweisverfahren ermöglichen heute die Diagnose schon in kürzerer Zeit (ca. 5–20 Tage), inkl. der Speziesdiagnose mit Gensonden. Ferner gibt es den PCR-Nachweis aus Sputum und evtl. aus anderen Materialien.

Therapie

Die Chemotherapie erfordert ein lang dauerndes kombiniertes Regime von mehreren Antituberkulotika, um Resistenzentwicklungen und Selektion vorzubeugen. Dennoch sind bereits multiresistente (Länder des ehemaligen Ostblocks), sogar omniresistente M.-tuberculosis-Klone (Südafrika) aufgetreten (Kap. 10.5).

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000
116 Text: Lepra

Nichttuberkulöse („atypische“) Mykobakteriosen

Vielzahl von Spezies, die z. T. in der Normalflora, z. B. des Urogenitaltraktes, überwiegend aber ubiquitär (z. B. Wasser, Boden, Tiere) vorkommen. Man unterscheidet schnell wachsende (wie „normale“ Bakterien) von langsam wachsenden (wie „Tbk-Mykobakterien“) Arten. Bei nicht abwehrgeschwächten Patienten können einige dieser Mykobakterien langwierige Weichteil-/Knocheninfektionen nach Minimalverletzungen verursachen. Außerdem sind Abwehrgeschwächte, v. a. HIV-Patienten betroffen. Gerade hier spielt die Spezies M. avium intracellulare eine wichtige Rolle. Siehe auch Kapitel 13.4.

13.9.7. Erkrankungen durch Sporenbildner

Hautmilzbrand, Gasbrand und Tetanus sind klassische chirurgische Infektionen. Aus Sicht der Inneren Medizin kommen klassische Krankheitsbilder (Lungen- und Darmmilzbrand, Botulismus) nur noch sehr selten vor. Dagegen spielen einige Bacillus-Arten, v. a. Bacillus cereus, zunehmend eine Rolle als opportunistische Erreger von pyogenen Infektionen wie Meningitis, Sepsis und Endokarditis, v. a. bei Intensivpflege- und abwehrgeschwächten Patienten.

Aerobe Sporenbildner

Milzbrand

Synonym: Anthrax

Definition Zoonose, hervorgerufen durch Bacillus anthracis.

Epidemiologie In Ländern der Dritten Welt noch ein sehr großes Problem, in Deutschland selten und betrifft fast nur Menschen mit sehr engem Kontakt zu potenziell kranken Tieren. In letzter Zeit hat der Milzbrand im Rahmen der Bioterrorismusdiskussion an Beachtung gewonnen.

Klinische Bilder

  • Hautmilzbrand: häufigste Form. Milzbrandsporen gelangen in kleinere oberflächliche Hautverletzungen. Nach kurzer Inkubationszeit entsteht eine rote Papel mit schwarzem Zentrum, die sich zur Pustel mit serös-blutiger Flüssigkeit weiterentwickelt (Pustula maligna). Bei weiterer Ausdehnung treten neue Bläschen auf, die miteinander verschmelzen können (Milzbrandkarbunkel).

  • Inhalationsmilzbrand: bei Einatmen der Sporen. Ein bis wenige Tage imponiert ein banaler Infekt der oberen Luftwege, die 2. Phase beginnt plötzlich mit schwerster Dyspnoe, Zyanose, Desorientiertheit, hohem Fieber und zunehmendem hypovolämischem Schock, der meist innerhalb von 24 h zum Tode führt. Aus den Alveolen phagozytierte Anthraxsporen gelangen in die mediastinolen Lymphknoten, keimen aus und bewirken eine hämorrhagisch-nekrotisierende Mediastinitis, von der dann die tödliche Bakteriämie und Toxinämie ausgehen.

  • Darmmilzbrand: bei Aufnahme der Milzbrandsporen mit der Nahrung mit blutigem Erbrechen und blutigen Stühlen.

Aus allen 3 Organmanifestationen kann eine Milzbrandsepsis hervorgehen, die mit Fieber, Schüttelfrost, Hautblutungen, Splenomegalie und Schock sehr foudroyant verläuft und rasch zum Tode führt.

Diagnostik

Verdachtsdiagnose durch Anamnese und klinischen Befund; Absicherung durch mikroskopische und kulturelle Untersuchung von entsprechenden Körpersekreten bzw. Abstrichen. Schnelldiagnostik mit molekularbiologischen Methoden.

Therapie

Möglichst frühzeitige und hoch dosierte Penicillin-G- bzw. Chinolongabe. Chirurgische Eingriffe (Hautmilzbrand) sind immer kontraindiziert, da sie sehr schnell zur Milzbrandsepsis führen können (zur Meldepflicht s. IFSG nach § 6 Abs. 1 Nr. 1).

Opportunistische Bacillus-Infektionen

Selten können andere Bacillus species (B. cereus, fast immer β-Lactam-resistent!) z. T. schwere Infektionen (Endokarditis, Sepsis) verursachen. Dies betrifft meist Abwehrgeschwächte oder Patienten mit konsumierenden Grunderkrankungen.

Anaerobe Sporenbildner

Gasbrand

Synonym: Gasödem

Definition Wichtige chirurgische Infektionskrankheit, hervorgerufen durch anaerobe Sporenbildner der Gattung Clostridium. Häufigster Erreger ist Clostridium perfringens. Andere sind C. novyi, C. septicum und C. histolyticum.

Klinische Bilder

Schon Stunden nach Infektion kommt es beim Extremitäten- bzw. Weichteilgasbrand zu Ödembildung, Verfärbung der Haut, Gasbildung im Gewebe und massiver Schmerzhaftigkeit. Wenn die im Wundbereich gebildeten Toxine in die Blutbahn gelangen, kommt es zu systemischen Zeichen (hohes Fieber, Unruhe und Kreislaufstörungen bis zum Schock). Nach dickdarmchirurgischen Eingriffen, Abdominalverletzungen mit Dickdarmläsion oder bei nicht kunstgerechtem Abort kann der meist sehr foudroyant verlaufende Darmgasbrand mit auch bei adäquater Therapie sehr hoher Letalität entstehen.

Bei internistischen Patienten kann ein Gasödem auf dem Boden einer arteriellen Verschlusskrankheit mit Ulkus v. a. im Bereich der unteren Extremitäten auftreten. Die Infektion erfolgt überwiegend aus der normalen Hautflora der Zwischenzehenräume.

Klostridien – meist C. septicum – können auch ein allgemein-septikämisches Krankheitsbild ohne typische Gasbrandsymptomatik verursachen. Dies ist nicht selten bei Patienten mit anderen Grunderkrankungen im Bereich des Dickdarms (Divertikulitis, Dickdarmkarzinom). Klostridien werden hier in der Blutkultur nachgewiesen.

Therapie

Penicillin G (20–30 Mega), evtl. kombiniert mit Metronidazol.

Tetanus

Synonym: Wundstarrkrampf

Definition Klassische chirurgische Infektionskrankheit, nach jeder Verletzung ohne ausreichenden Antikörperschutz möglich. Erreger ist Clostridium tetani.

Pathogenetisch verantwortlich für das Krankheitsbild ist das am Ort der Infektion (Wunde) gebildete Tetanustoxin (Tetanospasmin). Es gelangt entlang den Nervenbahnen, selten über das Gefäßsystem zu den Vorderhörnern des Rückenmarks, die erregungsmodulierend auf motorische Neurone wirken. Dort blockiert es die Freisetzung der Transmittersubstanzen Glycin und γ-Aminobuttersäure. Dies führt zu unkontrollierten Fortsetzungen der Erregerimpulse aus dem zentralen Nervensystem (Spastik).

Klinische Bilder

Vielfältige Symptomatik mit tonisch-klonischen Krämpfen und vegetativen Erscheinungen. Nach Inkubationszeit (4–14 Tage) kommt es zunächst zur Tonuserhöhung der Muskulatur, v. a. im Bereich der Kaumuskulatur (Trismus). Der Befall der mimischen Muskulatur führt zum grinsend-weinerlichen Gesichtsausdruck (Risus sardonicus), ein Befall der Nacken- und Rückenmuskulatur zum charakteristischen Opisthotonus. Durch geringste Außenreize kommt es zur Auslösung der tonisch-klonischen Krämpfe bei vollem Bewusstsein. Unbehandelt führt die Lähmung von Schlundmuskulatur, Zwerchfell und Glottis letztlich zum Erstickungstod.

Diagnostik

Kultureller Erregernachweis (gelingt nur selten!); wichtiger: Toxinnachweis durch Tierversuch aus dem Wundexzidat.

Therapie

Sorgfältige Wundtoilette, Penicillin-G-Gabe zur Verhinderung der weiteren Vermehrung und der dadurch bedingten Toxinbildung. Möglichst frühzeitige Gabe von Antitoxin, da dieses gegen schon im zentralen Nervensystem gebundenes Tetanustoxin nicht mehr wirksam ist! Ferner lang dauernde intensivtherapeutische Behandlung im Vollbild der Erkrankung mit Sedierung, Muskelrelaxierung und dadurch bedingter Dauerbeatmung.

Entscheidende Bedeutung kommt daher der Tetanusprophylaxe bei Verletzungen zu:

  • ausreichende Grundimmunisierung mit Tetanustoxoidimpfstoff

  • Auffrischungsimpfungen in vorgegebenen Zeitabständen

  • zusätzliche Gabe von Tetanushyperimmunglobulin, wenn kein ausreichender Impfschutz besteht bzw. nicht sicher nachgewiesen werden kann.

Hohe Letalität beim Vollbild der Erkrankung (Kap. 13.10).

Antibiotikaassoziierte pseudomembranöse Kolitis

Synonym: Clostridium-difficile-Infektion

Epidemiologie Clostridium difficile ist Erreger der antibiotikaassoziierten Diarrhö bzw. der antibiotikaassoziierten pseudomembranösen Kolitis. Diese Krankheitsbilder treten überwiegend infolge längerer Antibiotikatherapie (Ausnahmen bisher nur Vancomycin, Teicoplanin und Metronidazol) auf. Zunehmend gibt es auch nosokomiale Fälle, v. a. unter geriatrischen Patienten.

Es ist eine insgesamt seltene Erkrankung, larvierte Verläufe oder die antibiotikaassoziierte Diarrhö sind wesentlich häufiger und entgehen oft der Diagnose.

Pathogenese Durch Antibiotikatherapie kommt es evtl. zur Umstellung in der Dickdarmflora, die durch selektive Keimabtötung zum Überwuchern oder sekundären Einwandern von Clostridium difficile führt. Dieses produziert 2 verschiedene Toxine mit zytotoxischem Effekt auf die Mukosa des Darms bzw. mit enterotoxischer Wirkung.

Klinische Bilder

Gehäufte, teils blutige Durchfälle und kolikartige Mittel- und Unterbauchschmerzen, evtl. so stark, dass der Eindruck eines akuten Abdomens entsteht. Zugleich Fieber mit oder ohne Schüttelfrost.

Diagnostik

Klinisch-chemisch finden sich Leukozytose, BSG-Erhöhung, Thrombopenie und Hypalbuminämie. Diagnosesicherung durch Koloskopie und Toxinnachweis im Stuhl (ELISA), evtl. zusätzlich ein kultureller Erregernachweis. Die Morphologie der Mukosa in diesem Zustand reicht von einem Ödem über Auflagerung von weißlichen Plaques bis hin zur Bildung von Pseudomembranen, die aus Fibrin, neutrophilen und eosinophilen Granulozyten und Nekrosen bestehen.

Therapie

Sofortiges Absetzen der Antibiotika, gefolgt von der oralen Gabe von Vancomycin (oral nicht resorbierbar) oder Metronidazol (leichte Fälle).

Verlauf und Prognose Seltene, aber schwerwiegende Komplikationen: toxisches Megakolon, spontane Dickdarmperforation und dadurch entstehende Peritonitis und Sepsis.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Störung der Darmflora durch lang dauernde Antibiotikatherapie begünstigt die Ausbreitung von Clostridium difficile

  • Wichtigste Symptome: blutige Durchfälle, kolikartige Bauchschmerzen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Anamnese, Koloskopie und Toxin- und/oder Erregernachweis im Stuhl

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: Vancomycin oder Metronidazol oral, Absetzen der systemischen Antibiotikatherapie

Botulismus

Synonym: Allantiasis

Definition Keine eigentliche Infektionskrankheit, sondern Intoxikation mit dem von Clostridium botulinum produzierten Toxin, das in 7 verschiedene Typen unterteilt werden kann. Es ist nach heutigem Kenntnisstand das stärkste bakterielle Toxin.

Pathogenese Botulinumtoxin ist hitzelabil und wird durch längeres Kochen zerstört. Es wird unter geeigneten anaeroben Bedingungen von C. botulinum v. a. in verdorbenen Lebensmitteln (Gemüse, Fisch, Fleisch) produziert und wirkt neurotoxisch. Angriffspunkte sind die Nervenendplatten des peripheren Nervensystems, wo die Freisetzung von Acetylcholin verhindert wird. So kommt es zur Lähmung der betroffenen Muskulatur, zuerst der Augenmuskeln (Doppelbilder). Der Tod erfolgt durch Paralyse der Atemmuskulatur.

Diagnostik Mikrobiologisch-diagnostischer

Toxinnachweis aus dem Lebensmittel, Erbrochenen oder Serum durch Tierversuch.

Therapie

Frühzeitige Gabe von Antitoxin. Eine Antibiotikagabe ist sinnlos (Kap. 26.6).

13.9.8. Erkrankungen durch Salmonellen

Man unterscheidet die zyklischen Allgemeininfektionen Typhus und Paratyphus von den mit Übelkeit, Erbrechen und Durchfällen einhergehenden Enteritissalmonellosen. Die Übertragung erfolgt überwiegend auf oralem Infektionsweg.

Definition Die Gattung Salmonella hat einen sehr großen Arten- bzw. Serovarreichtum. Es handelt sich um gramnegative Stäbchen aus der Familie der Enterobakterien. Nach heute gültiger, aber umstrittener exakter Taxonomie ist der einzige humanmedizinisch bedeutende Vertreter die Spezies Salmonella enterica bzw. die Subspezies Salmonella enterica subspecies enterica mit einer großen Vielfalt an Serovaren (zur Abgrenzung von Speziesnamen werden die Serovare mit Großbuchstaben gekennzeichnet).

Unter klinischen Gesichtspunkten hat sich folgende Einteilung bewährt: S. Typhi (die abgekürzte Form von S. enterica subsp. enterica serovar Typhi) ist klassischer Erreger des Typhus, S. Paratyphi (S. enterica subsp. enterica serovar Paratyphi) der Erreger des Paratyphus, unterteilt in die Gruppen A, B und C. Wichtigste Erreger von Enteritissalmonellosen sind S. Typhimurium (S. enterica subsp. enterica serovar Typhimurium) und S. Enteritidis (S. enterica subsp. enterica serovar Enteritidis). Die übrigen Enteritissalmonellen werden aufgrund ihrer Oberflächenantigene (O-Gruppen) und Geißelantigene (H-Gruppen) typisiert. Sie werden aufgrund der Antigenformel benannt oder mit einem speziellen Namen, der meist nach dem ersten Nachweisort erfolgt (z. B. S. Coeln). Diese repräsentieren dann Serovare und keine (!) Spezies oder Subspezies.

Typhus abdominalis

Synonym: Typhus

Epidemiologie Typhus wird durch Salmonella Typhi hervorgerufen und kommt weltweit vor, jährlich erkranken weltweit ca. 16 Mio. mit ca. 600 000 Todesfällen. Meist handelt es sich hier um eingeschleppte Fälle aus dem indischen Subkontinent, aus Afrika und seltener aus Lateinamerika, autochthone Typhusfälle sind bei uns extrem selten. 2005 wurden in Deutschland 136 Fälle von Typhus und Parathypus gemeldet. Der Mensch ist das einzige Erregerreservoir für S. Typhi. Hauptinfektionsquelle sind Dauerausscheider, die nach durchgemachter manifester oder nach inapparent verlaufender Infektion weiter S. Typhi für > 1 Jahr im Stuhl oder Urin ausscheiden. Die Übertragung erfolgt fäkal-oral, v. a. indirekt durch Trinkwasser oder kontaminierte Lebensmittel. Insekten können eine indirekte Überträgerfunktion einnehmen.

Pathogenese Nach oraler Aufnahme gelangen die Bakterien in den Darm. Da nur ein Teil im sauren Milieu des Magens überlebt, sind zur Infektion meist hohe Keimzahlen nötig. Die Erreger penetrieren das Darmepithel über M-Zellen der Mukosa über den Peyer'schen Plaques durch Endozytose. Nach Passage des Darmepithels werden die Bakterien von Makrophagen aufgenommen, in denen sie sich vermehren. Anschließend gelangen sie über Lymphgefäße in die Blutbahn und können so zu verschiedenen Organen gelangen. Salmonella spp. vermehren sich intrazellulär in den Zellen des mononukleär-phagozytären Systems von Lymphknoten, Milz, Leber und Knochenmark.

Symptome

Nach einer Inkubationszeit von 1–2 Wochen (bei geringerer Infektionsdosis auch länger) typischer Krankheitsverlauf:

  • 1. Krankheitswoche: stufenförmiger Fieberanstieg bis zu einer Kontinua mit 39–41 °C am Ende der Woche (Abb. 13.72 ). Außerdem abdominelle Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Husten, Konjunktivitis und Diarrhö oder Obstipation (bei jeweils 50%); meist relative Bradykardie

    Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

    Typischer klinischer Verlauf einer Typhus-/Paratyphuserkrankung bei fehlender spezifischer antibiotischer Behandlung. Unten sind die Tage angegeben, an denen Erregernachweise im Stuhl und Blut geführt werden können.

  • 2. Krankheitswoche: Kontinua mit Temperaturen von 39 bis 41 °C. Z. T. Splenomegalie, Rasselgeräusche bei Auskultation und typischer kleinfleckiger makulopapulärer Hautausschlag (Roseolen, Abb. 13.73 ). Schweres Krankheitsgefühl, evtl. delirante Zustände und erbsbreiartige Durchfälle bei jedem 3. Patienten

    Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

    Typhus abdominalis. Roseolen.

  • 3. Krankheitswoche: durch den Befall des lymphozytären Gewebes der Lymphfollikel bzw. der Peyer-Plaques evtl. intestinale Blutungen, vereinzelt Perforation des Darms mit nachfolgender Peritonitis

  • 4. Krankheitswoche: Entfieberung beim unbehandelten Patienten. Die Letalität bei importierten Fällen liegt bei < 1%.

Dieser typische wochenlange Krankheitsverlauf ist heute selten, da auch ohne die Diagnose „Typhus“ meist eine kalkulierte, breite antibakterielle Chemotherapie begonnen wird, die auch S. Typhi einschließt. Die Letalität bei importierten Fällen liegt in Deutschland bei < 1%.

Diagnostik

Bei entsprechender Reiseanamnese und typischem Fieberverlauf lässt sich häufig klinisch die Verdachtsdiagnose stellen. Richtungweisend sind das Auftreten von Roseolen, eine Leukopenie, das Fehlen eosinophiler Leukozyten im Differentialblutbild mehrerer Blutausstriche und eine relative Bradykardie. Die kulturelle Erregerdiagnose gelingt im sehr frühen Krankheitsstadium evtl. noch im Stuhl, meist aber in der 1. und 2. Krankheitswoche nur in der Blutkultur, zur Erhöhung der Sensitivität sollten multiple Blutkulturen abgenommen werden. Die kulturelle Untersuchung von Knochenmark ist besonders sensitiv.

Am Ende der 2. Krankheitswoche lässt sich der Erreger meist wieder aus dem Stuhl isolieren. Der Antikörpernachweis ist für die Akutdiagnostik wenig hilfreich. Wegen der schwierigen Isolierungsbedingungen (Selektivnährböden nötig!) kann dies mehrere Tage erfordern. Ab Ende der 1. bzw. Beginn der 2. Krankheitswoche kommt es zur messbaren Antikörperbildung, hohe Titer werden ab der 3. Woche erreicht. Dann kann die Diagnose serologisch (Widal-Reaktion) bestätigt werden. Bei sehr früh begonnener antibiotischer Therapie kann der Antikörpernachweis negativ bleiben. Zur Differentialdiagnose siehe auch Tabelle 13.40.

Tab. 13.40

Spektrum wichtiger invasiver und nichtinvasiver bakterieller Enteritiserreger

NichtinvasivInvasiv
Lokalisation Proximaler Dünndarm Distaler Dünndarm + Kolon
Klinik (Wässrige) Diarrhö Dysenterie
Leukozyten im Stuhl +
Erreger Bacillus cereus (Toxin)
Clostridium perfringens (Toxin)
Escherichia coli (ETEC, EPEC)
Salmonella spp.∗/∗∗
Staphylococcus aureus (Toxin)
Vibrio cholerae
Campylobacter spp.∗
Clostridium difficile∗
Escherichia coli (EIEC, EHEC)
Salmonella spp.∗/∗∗
Salmonella Typhi/S. Paratyphi∗∗
Shigella spp.
Vibrio parahaemolyticus
Yersinia. enterocolitica∗∗

Therapie

Bei Erwachsenen Gabe von Fluorchinolonen, z. B. Ciprofloxacin für 5–7 Tage. Typisch ist eine nur langsame Entfieberung innerhalb von ca. 4 Tagen. Eine zunehmende Resistenzentwicklung ist bei den früher eingesetzten Antibiotika zu beobachten, aber auch Resistenz gegenüber Chinolonen wird v. a. auf dem indischen Subkontinent und in Vietnam häufiger. Drittgenerations-Cephalosporine sind hier eine Alternative. Ein durchgemachter Typhus verleiht normalerweise eine länger dauernde Immunität. Eine aktive Schutzimpfung steht zur Verfügung (Reiseimpfung). Typhus ist nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtig.

Entscheidend zur Verhütung und Bekämpfung von Typhus ist bei uns die Einhaltung hoher Standards in der Lebensmittel- und Wasserhygiene. Durch suffiziente Meldesysteme werden Ausbrüche frühzeitig erkannt. Dauerausscheider werden regelmäßig durch die Gesundheitsbehörden überwacht (zur Meldepflicht s. IFSG nach § 6 Abs. 1 Nr. 1). Erkrankte werden im Krankenhaus isoliert, entsprechende Vorschriften zur laufenden Desinfektion müssen beachtet werden.

Komplikationen

Toxisch bedingte Kreislaufdepression

Herzversagen als Folge einer typhösen Myokarditis

Erregerdissemination und entsprechende Infektionssymptomatik: Meningitis, Pneumonie, Cholezystitis, Arthritis, Spondylitis, Osteomyelitis, mykotisches Aneurysma

Dauerausscheider (ca. 1–4% der unbehandelten Patienten)

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Infektion mit Salmonella Typhi durch kontaminiertes Trinkwasser und kontaminierte Lebensmittel; besondere Ansteckungsgefahr durch asymptomatische Dauerausscheider. Reiseanamnese!

  • Wichtigste Symptome: stufenförmiger Fieberanstieg bis 40 °C, dann Kontinua, Bauch- und Kopfschmerzen, relative Bradykardie, später Roseolen, Diarrhö oder Obstipation

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Reiseanamnese, Differentialblutbild (Leukopenie, keine Eosinophilen), Erregernachweis aus der Blutkultur, später aus dem Stuhl

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: Chinolone

Paratyphus

Typhusähnliches Krankheitsbild, hervorgerufen durch S. enterica subsp. enterica serovar Paratyphi mit oft weniger ausgeprägter Symptomatik als bei Typhus. Diagnostik und Therapie wie beim Typhus abdominalis.

Der Paratyphus A, hervorgerufen durch S. enterica serovar Paratyphi A (Salmonella Paratyphi A), und der Paratyphus C, verursacht durch S. enterica serovar Paratyphi C (Salmonella Paratyphi C), kommen nur in sub- und tropischen Ländern und vereinzelt in Regionen des Mittelmeerraumes vor.

Der von S. enterica serovar Paratyphi B (Salmonella Paratyphi B) ausgelöste Paratyphus B kommt dagegen auch in Deutschland vor. Die genannten Erreger können auch ein rein enteritisches Krankheitsbild (s. u.) hervorrufen.

Salmonellenenteritis

Synonym: Enteritissalmonellose

Epidemiologie und Übertragung S. Typhimurium und S. Enteritidis sind die beiden häufigsten Erreger der Salmonellenenteritis, mit > 50 000 gemeldeten Fällen in Deutschland im Jahr 2005 und nach der Campylobacter-Enteritis die zweithäufigste bakterielle Durchfallerkrankung. Viele weitere Enteritissalmonellen können ein gleichartiges Krankheitsbild verursachen. Erregerreservoire sind Schweine, Rinder und v. a. Geflügel. Die Übertragung erfolgt durch den Verzehr kontaminierter Lebensmittel (Geflügel, Eierspeisen, Milchprodukte). Die Inkubationszeit beträgt 6–48 h.

Symptome

Wässrige Diarrhöen, abdominelle Schmerzen, und vereinzelt Erbrechen. Gelegentlich Fieber.

Diagnostik

Erregernachweis im Stuhl. Bei kleinen Kindern, Älteren oder Immungeschwächten können Enteritissalmonellosen auch septisch verlaufen, hier gelingt der Erregernachweis in der Blutkultur.

Therapie

Rein symptomatisch durch Flüssigkeits- und Elektrolytersatz. Eine primäre Antibiotikatherapie kürzt den Verlauf nicht ab, kann aber die Dauer der Erregerausscheidung verlängern. Sie ist nur bei schwerem klinischem Krankheitsbild, Auftreten von Komplikationen (s. u.), bei Säuglingen und Kleinkindern und Immunsupprimierten indiziert; zum Einsatz kommen meist Co-trimoxazol und Fluorchinolone.

Komplikationen Gefürchtet ist die während der Bakteriämie mögliche Dissemination der Erreger, die zu schweren extraintestinalen Manifestationen wie Organabszessen, Osteomyelitis, Spondylodiszitis, abszedierender Pneumonie, Pyelonephritis, Endokarditis und mykotischem Aneurysma führen kann. Bei HIV-Patienten kann die Salmonellensepsis, wie die Sepsis generell, deutlich blander verlaufen, Komplikationen treten aber mit gleicher Häufigkeit auf.

Bezüglich Lebensmittelhygiene und Prävention der Enteritissalmonellosen gilt das für Typhus abdominalis Gesagte.

Dauerausscheider treten mit einer Häufigkeit von 0,2–0,6% auf.

13.9.9. Erkrankungen durch Shigellen

Synonym: bakterielle Ruhr

Praxisfall

Ein 21-Jähriger wird mit kolikartigen Mittel- und Unterbauchschmerzen in die Klinik eingewiesen. Anamnese: Rückkehr vor 2 Tagen von 4-wöchiger Rundreise durch die Türkei. Seit gestern Durchfälle mit zunehmender Stärke und Frequenz. Jede Stuhlentleerung sei mit stärksten Bauchschmerzen verbunden. Klinik: sehr geringe produzierte Stuhlmenge, mit Auflagerungen von Schleim und Blut. Stark druckschmerzhafter Mittel- und Unterbauch. Bei der Koloskopie, die wegen sehr starker Schmerzen nach kurzer Zeit abgebrochen werden muss, zeigt sich eine stark entzündlich veränderte Dickdarmschleimhaut im einsehbaren sigmoidalen Bereich mit Rötung, Ödem und vereinzelten ulzerösen Aufwerfungen. Mit der Verdachtsdiagnose Ruhr werden körperwarmer Stuhl zur Untersuchung auf Amöben sowie ein Rektalabstrich zum Nachweis von Shigellen entnommen. Nach 2 Tagen wird Shigella boydii im Rektalabstrich identifiziert und eine Therapie mit Fluorchinolonen eingeleitet.

Definition Shigellen sind unbewegliche gramnegative Stäbchenbakterien aus der Familie der Enterobacteriaceae. Erreger der klassischen bakteriellen Ruhr ist Shigella dysenteriae. Weitere Spezies sind S. boydii, S. flexneri und S. sonnei, die meist ein weniger schweres Krankheitsbild verusachen.

Epidemiologie S. dysenteriae kommt fast nur in sub- und tropischen Gebieten Asiens und Afrikas vor. S. boydii hat als hauptsächliche Verbreitungsgebiete Vorderasien und Nordafrika. S. flexneri und S. sonnei kommen weltweit vor, letzterer ist häufigster Erreger der bakteriellen Ruhr in Europa und USA. Weltweit erkranken jährlich 200 Mio. Menschen mit 650 000 Todesfällen. 2005 wurden in Deutschland 1164 Erkrankungen gemeldet. Der Mensch ist als manifest Erkrankter oder als Dauerausscheider einziges Erregerreservoir der Shigellen, die mit dem Stuhl ausgeschieden werden. Die Infektion erfolgt meist oral durch Wasser oder kontaminierte Lebensmittel, wegen der niedrigen Infektionsdosis (s. u.) ist auch eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch möglich. V. a. in Ländern mit niedrigem Hygienestandard sind Fliegen Überträger. Autochthone Ruhrfälle treten bei uns nur selten auf.

Pathogenese Nach oraler Aufnahme gelangen die Shigellen in den Darm, bei schweren Ruhrverläufen manifestiert sich die Erkrankung v. a. als oberflächliche Infektion des Dickdarms. Die Erreger dringen in Epithelzellen ein, vermehren sich dort und befallen benachbarte Zellen, sie durchdringen meist nicht die Mukosa. Die Invasivität ist der wichtigste Virulenzfaktor. Ferner spielen verschiedene von den Shigellenspezies gebildete Exotoxine eine Rolle bei der Ausbildung von Nekrosen und Geschwüren in der Mukosa des Dickdarms. Das von S. dysenteriae Typ I gebildete Shiga-Toxin ist ein potentes bakterielles Toxin mit neurotoxischer und zytotoxischer Wirkung. Bei schweren Verlaufsformen kommt es in der Mukosa des Dickdarms zu Nekrosen und Geschwürsbildung. Shigellen sind hochinfektiös, die für eine Infektion erforderliche Erregermenge liegt bei nur 200 Bakterien.

Symptome

Nach kurzer Inkubationszeit (6–72 h, selten länger) Beginn der Erkrankung mit Fieber, Übelkeit, Erbrechen und zunehmend wässrigem Durchfall mit Beimengungen von Schleim, Eiter und Blut (sog. Ruhr). Charakteristisch sind dann sehr häufige (bis zu 40/Tag) geringvolumige Stuhlentleerungen, verbunden mit abdominellen Schmerzen und schmerzhaftem Stuhldrang (Tenesmen). Die Fieberhöhe nimmt ab.

Bei Infektion mit stark toxinbildenden Stämmen kommen allgemein-toxische Erscheinungen v. a. an Herz-Kreislauf- und Zentralnervensystem hinzu.

Manchmal entsteht nach der akuten eine chronisch-subakute Verlaufsform mit wechselnden Durchfällen. Im Gefolge von Shigellosen können postinfektiöses, mit heftigen Arthralgien einhergehendes Reiter-Syndrom und ein hämolytisch-urämisches Syndrom (Kap. 19.7.4) auftreten.

Die durch S. flexneri und S. sonnei in unseren Breiten verursachte Ruhr verläuft meist mild mit gastroenteritischen Beschwerden mit Durchfall; die kolitische Komponente kann fehlen.

Diagnostik

Nachweis zahlreicher Leukozyten im Stuhlausstrich. Diagnosesicherung durch Erregernachweis im Stuhl oder besser im Rektalabstrich. Stuhlprobe bzw. Rektalabstrich müssen umgehend ins mikrobiologische Institut gebracht werden, da die Erreger sehr empfindlich sind und rasch absterben. Die Erregerausscheidung ist zu Erkrankungsbeginn am höchsten.

Differentialdiagnose

Antibiotikaassoziierte pseudomembranöse Enterokolitis

Colitis ulcerosa

Amöbenruhr durch Entamoeba histolytica

Enteritiden durch andere bakterielle Erreger (Campylobacter, Yersinien, Salmonellen)

Therapie

Symptomatische Therapie mit Flüssigkeitsersatz bei leichten enteritischen Verlaufsformen. Fluorchinolone für 3 Tage bei schweren Verlaufsformen.

Prävention Eine Impfprophylaxe ist nicht möglich. Wichtigste Präventivmaßnahme ist die Verbesserung der persönlichen und allgemeinen Hygienebedingungen. Dauerausscheider unterliegen entsprechender Überwachung durch die Gesundheitsbehörde. Meldepflicht besteht bei Erkrankung und Tod (s. IFSG nach § 6 Abs. 1 Nr. 1).

Verlauf und Prognose Seltene, aber oft tödliche Komplikationen: schwere Dehydratation mit Krampfanfällen, Darmblutungen und Darmperforationen mit folgender Peritonitis.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Shigelleninfektion durch kontaminiertes Wasser oder Nahrungsmittel

  • Wichtigste Symptome: sehr häufige Stuhlentleerungen, typischerweise mit Schleim-, Eiter- oder und Blutbeimengungen, Tenesmen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Erregernachweis im Stuhl oder Rektalabstrich, Rektoskopie

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: symptomatisch, bei schwerem Verlauf Gabe von Fluorchinolonen

13.9.10. Yersiniosen

Definition Die gramnegativen Stäbchen der Gattung Yersinia gehören zur Familie der Enterobacteriaceae. Historisch bedeutsamste Spezies ist Yersinia pestis, Erreger der Pest, sie kommt in Mitteleuropa nicht mehr vor. Die beiden Spezies Y. enterocolitica und Y. pseudotuberculosis kommen weltweit vor. Sie verursachen altersabhängig unterschiedliche Infektionssyndrome, darunter Enterokolitis, terminale Ileitis und mesenteriale Lymphadenitis (Pseudoappendizitis). Im Jahr 2005 sind in Deutschland 5600 Yersiniose-Fälle gemeldet worden.

Yersinia enterocolitica

Epidemiologie Y. enterocolitica kommt weltweit vor. Die häufigsten Serotypen in Europa sind O:3 und O:9. Wichtigste Infektionsquellen sind Haus- und Wildtiere, kontaminiertes Wasser und kontaminierte, unzureichend erhitzte Nahrungsmittel tierischer Herkunft (v. a. unpasteurisierte Milch und Schweinefleisch). Die Infektion erfolgt peroral (Tab. 13.40 ) bei hoher Infektionsdosis. Die Erreger können sich auch bei Kühlschranktemperaturen vermehren. Vereinzelt kommt es daher auch zur Infektion durch kontaminierte Blutkonserven.

Pathogenese Yersinien haften nach peroraler Aufnahme am Mukosaepithel, dann erfolgt die Invasion in die M-Zellen des terminalen Ileums. In der Schleimhaut und in den Peyer'schen Plaques können geschwürige Läsionen entstehen, es werden auch die mesenterialen Lymphknoten befallen, die sich stark vergrößern können. Gesichert ist die Bedeutung plasmidkodierter äußerer Membranproteine (YOPs) für die Humanpathogenität.

Symptome

Es gibt mehrere Verlaufsformen:

  • akute Enteritis bzw. Enterokolitis: am häufigsten; befällt meist Säuglinge und Kleinkinder bis zu 4 Jahren. Es imponieren Fieber, Übelkeit, Erbrechen, abdominelle Schmerzen, allgemeines Krankheitsgefühl, breiige bis wässrige Stühle. Seltener ein ruhrähnliches Krankheitsbild mit Schleim- oder Blutbeimengungen. Meist akuter Beginn der Erkrankung und Sistieren der Symptome spätestens nach 2–3 Wochen.

  • mesenteriale Lymphadenitis (Pseudoappendizitis, kann mit akuter oder subakuter Appendizitis verwechselt werden): leichtere abdominelle Schmerzsymptomatik mit Durchfällen bis zum Bild des akuten Abdomens

  • septischer Krankheitsverlauf: sehr selten und fast nur bei schweren Grunderkrankungen (Leberzirrhose, Diabetes, chronischer Alkoholabusus und maligne Tumoren). Besonders häufig entwickeln Dialysepatienten unter Desferoxamin-B-Therapie eine systemische Yersiniose, da dieses Eisenkomplexion von den Yersinien als enterale „Eisenquelle“ genutzt werden kann und das Wachstum der Erreger begünstigt.

Bei allen Formen sind Tage nach Beginn der Diarrhö bis zu 4 Wochen danach reaktiv-immunpathologische Para- oder Postinfektionssyndrome möglich. Die wichtigsten sind Arthralgien, Polyarthritis, Erythema nodosum, Morbus Reiter, Uveitis. Deren Auftreten ist signifikant mit dem Histokompatibilitätsantigen HLA-B27 assoziiert. Die Symptomatik kann mehrere Monate anhalten.

Diagnostik

Erregernachweis aus Stuhl, Operationsmaterial und evtl. aus der Blutkultur. Antikörpernachweisverfahren (Mikroagglutination, ELISA, Westernblot) spielen in der Diagnostik der akuten Enterokolitiden keine wesentliche Rolle. Bei subakut oder chronisch verlaufenden Pseudoappendizitisformen und Postinfektionssyndromen sind sie dagegen ausschlaggebend.

Therapie

Meist selbstlimitierende Erkrankung, keine antibakterielle Chemotherapie nötig. Bei schwerem oder septischem Verlauf Behandlung mit Tetrazyklinen, Chinolonen, Co-trimoxazol oder Aminoglykosiden.

Yersinia pseudotuberculosis

Definition Erkrankungen durch Y. pseudotuberculosis sind Zooanthroponosen. Ein fäkal-oraler Infektionsweg wird angenommen, Infektionsquelle sind infizierte Tiere oder kontaminierte tierische Nahrungsmittel. Eine Besonderheit scheint die Affinität von Y. pseudotuberculosis zum lymphatischen Gewebe im abdominellen Bereich zu sein.

Wichtigste klinische Manifestation ist die Pseudoappendizitis (mesenteriale Lymphadenitis, akute terminale Ileitis), die ihren Häufigkeitsgipfel in der Altersgruppe von 6–14 Jahren hat.

Symptome

Fieber und Schmerzen im rechten Unterbauch. Extrem selten septischer Verlauf, dann v. a. bei stark abwehrgeschwächten Patienten.

Begleitende Krankheitserscheinungen sind reaktive Arthritis und Erythema nodosum.

Diagnostik

Erregernachweis aus Schleimhautbiopsien, Operationsmaterial, seltener aus Stuhl. Die serologische Diagnostik (Titerverlauf im Mikroagglutinationstest) spielt jedoch eine wichtige Rolle.

Therapie

Meist keine antibakterielle Chemotherapie erforderlich. Nur bei schwerem septischem Verlauf Antibiotikatherapie mit Ampicillin, Tetrazyklinen oder Aminoglykosiden.

Pest

Ätiologie Eine der ältesten und gefährlichsten Zooanthroponosen, hervorgerufen durch Y. pestis. Nagetiere, v. a. Ratten, sind wichtigstes Erregerreservoir, Flöhe die wichtigsten Vektoren.

Epidemiologie Kommt in Europa nicht mehr vor. Sporadische Fälle werden aus dem nördlichen und südlichen Afrika, aus den USA, Südamerika und weiten Teilen Asiens berichtet. Jährlich werden weltweit mehrere Tausend Krankheitsfälle gemeldet. Wegen der relativ kurzen Inkubationszeit sind auch touristisch eingeschleppte Fälle extrem selten (zur Meldepflicht s. IFSG nach § 6 Abs. 1 Nr. 1).

Symptome

Bedeutende Verlaufsformen:

  • Beulenpest: Befall der regionalen Lymphknoten im Abflussbereich der Bissstelle des infizierten Flohs mit schwerer Allgemeinsymptomatik

  • Lungenpest: aerogene Übertragung von Mensch zu Mensch mit hoher Letalität.

Therapie

Gut behandelbar mit Antibiotika (Gentamicin oder Doxycyclin). Die Pest verursachte in den letzten Jahren nur selten größere Epidemien und hat viel von ihrem früheren Schrecken verloren.

13.9.11. Erkrankungen durch fakultativ pathogene Enterobacteriaceae

Definition Die Familie der Enterobacteriaceae zeichnet sich durch großen Artenreichtum aus. Viele Gattungen besitzen auch humanmedizinische Bedeutung. Während den Salmonellen, Shigellen und Yersinien überwiegend spezielle Krankheitsentitäten zugeordnet werden können, ist dies für die meisten anderen Gattungen nicht möglich. Daher werden diese Enterobacteriaceae-Arten als fakultativ pathogene Erreger gesondert betrachtet (Tab. 13.41 ).

Tab. 13.41

Fakultativ pathogene gramnegative Stäbchen der Familie Enterobacteriaceae

GattungHäufige Arten
Citrobacter C. freundii
C. koseri (früher C. diversus)
Enterobacter E. cloacae
E. aerogenes
Escherichia E. coli
Klebsiella K. pneumoniae
K. oxytoca
Morganella M. morganii
Proteus P. mirabilis
P. vulgaris
Providencia P. stuartii
P. rettgeri
Serratia S. marcescens
S. liquefaciens

Viele ambulant erworbene, aber auch nosokomiale Infektionen werden durch Enterobakterien verursacht. Dies gilt v. a. für Harnwegsinfektionen, Gallenwegsinfektionen, Pneumonien, Wundinfektionen und Peritonitiden. Oft kommt es hier zu sekundären Bakteriämien mit Erregerdissemination in die Blutbahn und dem klinischen Bild der Sepsis oder des septischen Schocks. Diese Bakterien tragen daher entscheidend zur Morbidität und Mortalität von hospitalisierten Patienten bei.

Epidemiologie Die natürlichen Standorte der verschiedenen Gattungen sind z. T. sehr unterschiedlich, daher unterscheiden sich mögliche Infektionswege und ihre Epidemiologie. So ist z. B. der natürliche Standort von E. coli und z. T. auch der Gattungen Klebsiella, Citrobacter, Enterobacter und Proteus der Darm von Mensch und Tier; daher das Vorkommen dieser Erreger bei ambulant erworbenen Harn- und Gallenwegsinfektionen. Unter Einfluss einer vorangegangenen Antibiotikatherapie kommt es v. a. unter stationären Bedingungen zur raschen Kolonisation des Oropharynx als Ausgangspunkt für eine nosokomiale Pneumonie. Andere Eintrittspforten (Schmutz-Schmierinfektion) sind z. B. Wunden, Drainagen, intravasale Katheter und Harnableitungssysteme. Die Erreger entstammen dabei der patienteneigenen Flora (endogene Infektion) oder werden über Pflegepersonal von Patient zu Patient, seltener über kontaminierte Gegenstände übertragen (exogene Infektionen).

Diagnostik

Kultureller Erregernachweis aus Urin, Wundabstrichen, Atemwegssekreten, Punktionsmaterial und aus Blutkulturen.

Therapie

Nach Entnahme von Material zur mikrobiologischen Diagnostik kalkulierte Therapie mit Antibiotika mit Wirksamkeit gegenüber Enterobakterien. Häufig wird hierzu ein Breitspektrum-β-Lactam (z. B. Piperacillin oder Drittgenerations-Cephalosporin), ein Fluorchinolon oder ein Carbapenem eingesetzt (Kap. 13.2.1). Grundlage für eine gezielte Chemotherapie ist das Ergebnis der Antibiotikaresistenzprüfung. Weltweit wird bei Enterobakterien eine zunehmende Resistenzentwicklung beobachtet, von der neben älteren Substanzen (Ampicillin, Co-trimoxazol) zunehmend auch Fluorchinolone (v. a. bei E. coli) betroffen sind. Hinzu kommt das zunehmende Auftreten von Stämmen, die „Extended Spectrum“-β-Lactamasen (ESBLs) bilden, die zur Resistenz gegenüber allen β-Lactam-Antibiotika mit Ausnahme der Carbapeneme führen. Besondere Therapiemaßnahmen bei septischem Krankheitsverlauf (z. B. Gabe von Antikörpern, Kortikosteroiden oder aktiviertem Protein C) und supportive Therapiemaßnahmen werden an anderer Stelle beschrieben.

Prävention Bisher keine spezifischen Maßnahmen. Die Verhinderung nosokomialer Infektionen durch fakultativ pathogene Enterobacteriaceae beruht v. a. auf präventiven hospitalhygienischen Maßnahmen und dem rationalen Umgang mit Antibiotika.

Darmerkrankungen durch Escherichia coli

Bestimmte darmpathogene E.-coli-Stämme können Enteritiden und Kolitiden verursachen (Tab. 13.40). 2005 wurden in Deutschland ca. 5800 Erkrankungen durch darmpathogene E. coli gemeldet. Man unterscheidet mind. 6 Gruppen von E.-coli-Stämmen, die durch unterschiedliche Pathomechanismen auch verschiedene Krankheitsentitäten verursachen. Diese Stämme lassen sich mit Hilfe der Serotypisierung in O-Gruppen (Oberflächenantigen) unterteilen und so unterschiedlichen Pathovaren zuordnen. Die Diagnostik enteropathogener E.-coli-Infektionen erfolgt v. a. molekularbiologisch durch den Nachweis von Genen, die für spezifische Virulenzfaktoren der Erregergruppen kodieren.

Enteropathogene E. coli (EPEC) verursachen bei Säuglingen und Kleinkindern Diarrhö. Es handelt sich um Stämme u. a. der O-Gruppen 111, 125 oder 128. Diese Stämme wurden früher als „Dyspepsie-Coli“ bezeichnet und verursachten in Deutschland auf Säuglingsstationen oft Ausbrüche von Durchfallerkrankungen. Sie spielen in unterentwickelten Ländern weiter eine große Rolle als Ursache frühkindlicher, wässriger Diarrhöen, treten in Deutschland aber nur noch selten auf.

Diagnostik

Erregernachweis im Stuhl, gefolgt von entsprechender Serotypisierung oder mit molekularbiologischen Methoden.

Therapie

Neben Flüssigkeits- und Elektrolytersatz in Einzelfällen antibiotische Therapie.

Enterotoxische E. coli (ETEC) Hauptursache der sog. Reisediarrhö. Es handelt sich um Enterotoxin-bildende Stämme bestimmter Serogruppen (z. B. O6, O8, O128), die in gemäßigtem Klima nicht vorkommen und v. a. in mediterranen, subtropischen und tropischen Gebieten bei Reisenden heftigen Brechdurchfall hervorrufen können. Pathogenetisch verantwortlich ist ein hitzelabiles (LT) und ein hitzestabiles Enterotoxin (ST), die eine Störung des intestinalen Elektrolyt- und Wassertransportes verursachen. Einheimische besitzen offenbar eine lokale mukosale Immunität, die den Reisenden fehlt. Die Übertragung erfolgt durch kontaminierte Nahrungsmittel.

Diagnostik

Erübrigt sich größtenteils, da die Patienten mit der Erkrankung v. a. im Reiseland konfrontiert werden.

Therapie

Neben unspezifischen Maßnahmen zur Behandlung der Diarrhö kann eine orale Antibiotikatherapie über 3 Tage mit Co-trimoxazol oder Fluorchinolonen den Verlauf deutlich mildern.

Enteroinvasive E. coli (EIEC, u. a. O 28, O 112, O 124, O 144) dringen in die Epithelzellen des Kolons ein und breiten sich horizontal aus. Sie verursachen ein ruhrähnliches Krankheitsbild mit blutig-schleimigen Durchfällen (Kolitis). Die Erregerdiagnose aus Stuhl erfolgt mittels molekularbiologischer Methoden.

Enterohämorrhagische E. coli (EHEC) produzieren hochpathogene Zytotoxine, die wegen ihres zytopathischen Effekts auf Verozellen früher als „Verotoxin“, heute wegen ihrer Verwandtschaft mit dem Exotoxin von Shigella dysenteriae als Shiga-Toxine bezeichnet werden. Diese wirken zytotoxisch durch Hemmung der Proteinbiosynthese und führen ferner zur Flüssigkeits- und Elektrolytsekretion.

Symptome

Nach einer Inkubationszeit von 3–4 Tagen zunächst wässrige, später blutige Diarrhö, verbunden mit Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen. Ausbrüche von Durchfällen besonders im Zusammenhang mit dem Genuss von Hamburgern oder unpasteurisierter Rohmilch. Kühe und Rinder sind natürliche Reservoire. Diese Infektionen sind mit hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) oder thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura (Moschcowitz-Syndrom) assoziiert (Kap. 19.7.5), 2–4 Tage nach Beginn der Diarrhö. Hier sind vor allem Stämme der Serogruppe O157:H7, seltener auch andere Serogruppen verantwortlich. Diese Komplikationen treten mit 5–10% auf und sind mit einer Letalität von ca. 10% verbunden.

Diagnostik

Erregerdiagnose aus dem Stuhl mit Nachweis der Shiga-Toxine mittels Zellkultur oder durch spezifische ELISA-Systeme oder molekularbiologischen Nachweis der Toxingene. Der Nachweis der Serogruppe ist von epidemiologischer Bedeutung.

Therapie

Symptomatische Maßnahmen; antibiotische Therapie bei Infektionen mit EHEC und EIEC offenbar nicht effektiv. Die Gabe von Ampicillin, Tetrazyklinen oder Co-trimoxazol führt zur vermehrten Toxinbildung und wird daher nicht empfohlen. Das enteropathische HUS ist nach § 6 IfSG meldepflichtig. 2005 wurden in Deutschland 1163 EHEC- und 77 HUS-Fälle gemeldet.

Enteroaggregative E.-coli-Stämme (EAEC) Vorwiegend in warmen Ländern verbreitet. Verursachen Durchfallerkrankungen bei Neugeborenen und Kleinkindern, auch ausbruchsartig.

Diffus adhärierende E. coli (DAEC) Diese neue Gruppe verursacht wässrige Durchfälle bei Kindern v. a. in Entwicklungsländern.

13.9.12. Erkrankungen durch Vibrionaceae

Definition Bakterien der Gattung Vibrio sind gramnegative, gebogene Stäbchenbakterien der Familie der Vibrionaceae. Vibrio cholerae wird in unterschiedliche Serogruppen unterteilt: O:1 und O:139 sind Erreger der echten, oft pandemisch verlaufenden Cholera. Vibrio cholerae O:1 wird weiter unterteilt in 3 Serotypen und 2 Biotypen: den klassischen und den Biotyp El Tor, der die derzeitige 7. Pandemie verursacht. V. cholerae Stämme, die nicht mit Antiserum gegen das O:1-GruppenAntigen agglutinieren, heißen V. cholerae non-O:1 (früher NAG-Vibrionen = non-agglutinable germs). Erreger der Gruppe O:139 waren für die Choleraepidemie von 1992 in Indien und Bangladesch verantwortlich. Weitere bedeutsame Spezies sind V. parahaemolyticus, V. mimicus und V. fluvialis, die Diarrhöen verursachen und aus Stuhl isoliert werden können, und V. vulnificus, ein Erreger von Wundinfektionen mit gelegentlich schwerem septischem Verlauf (Tab. 13.40).

Cholera

Praxisfall

Ein 38-jähriger Marokkaner, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt, wird in reduziertem Allgemein- und Ernährungszustand in die Notfallambulanz eingeliefert. Er kehrte vor 5 Tagen vom Verwandtenbesuch aus Marokko zurück. Schon einige Tage vor dem Rückflug klagte er über Übelkeit und leichten Durchfall. Seit der Rückkehr nahm die Symptomatik zu mit wässrigen Durchfällen (> 20 Entleerungen/Tag), wiederholtem, heftigem Erbrechen und massivem Gewichtsverlust (ca. 15 kg) innerhalb weniger Tage.

Aufnahmeuntersuchung: schwer kranker, massiv exsikkierter Patient. Systolischer Blutdruck bei 90 mmHg, Herzfrequenz bei 112. Aufgrund Reiseanamnese und massivem Flüssigkeitsverlust durch Erbrechen und Durchfall wird eine Choleraerkrankung in die Differentialdiagnose mit einbezogen. Der wässrige, helle, schlierige Stuhl wird sofort mikrobiologisch untersucht und nach 8 h wird der Verdacht auf Choleravibrionen geäußert. Nach massiver parenteraler Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr und intensivmedizinischer Überwachung bessert sich das Krankheitsbild innerhalb weniger Tage ohne antibiotische Therapie.

Epidemiologie Erkrankung der warmen Klimazonen. Autochthone Fälle kommen in den westeuropäischen Ländern nicht mehr vor. Bei den in Deutschland auftretenden Fällen handelt es sich um importierte Infektionen von Touristen, Katastrophenhelfern oder Bürgern mit Migrationshintergrund nach Rückkehr aus dem Heimaturlaub. Infektion erfolgt oral über kontaminiertes Trinkwasser und kontaminierte Lebensmittel (z. B. Meeresfrüchte). Eine Kontamination der städtischen Wasserversorgung führt zu explosionsartigen Ausbrüchen vorwiegend in der heißen Jahreszeit. Da eine hohe Infektionsdosis erforderlich ist, ist eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch unwahrscheinlich.

Pathogenese Ursächlich ist die spezifische Wirkung des Cholera-Enterotoxins an den Epithelzellen der Dünndarmschleimhaut. Nach primärer Aktivierung des Enzyms Adenylatzyklase steigt die cAMP-Konzentration in der Darmschleimhaut an. Daraus resultieren eine verminderte Rückresorption von Natrium und eine vermehrte Sekretion von Chlorid mit nachfolgendem passivem Ausstrom von Wasser in das Darmlumen. Es kommt zu massivem Wasser- und Elektrolytverlust durch exzessive wässrige Durchfälle und unstillbares Erbrechen.

Symptome

Akuter Beginn ohne Prodromi nach kurzer Inkubationszeit von 12–72 h mit Erbrechen und heftigen wässrigen Durchfällen mit kleinen Schleimflocken (Reiswasserstuhl). Volumenverluste von 20 l/Tag oder mehr. Folge ist ein ausgeprägtes Dehydratationssyndrom mit Blutdruckabfall, Tachykardie und akutem prärenalem Nierenversagen. Außerdem stark reduzierter Hautturgor und Untertemperatur.

Diagnostik

Kulturelle Erregerdiagnose aus Stuhl oder Erbrochenem. Vibrionen sind gegenüber Austrocknung oder pH-Verschiebungen sehr anfällig, daher muss das native Material innerhalb von 3 h ins mikrobiologische Labor gelangen. Alternativ kann ein spezielles Transportmedium (z. B. alkalisches Peptonwasser) verwandt werden. Die Schnelldiagnose über den spezifischen Immobilisationstest mit O:1-Antiserum in der Dunkelfeldmikroskopie kann nach 6-stündiger Vorkultur versucht werden. Der kulturelle Erregernachweis mit vorläufiger Diagnose benötigt 24 h, die endgültige Diagnose weitere 24 h. Antikörpernachweise spielen keine Rolle.

Therapie

Orale (WHO-Lösung) oder parenterale Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution. Die Antibiotikagabe (Tetrazykline, Co-trimoxazol, Fluorchinolone) über 1–3 Tage spielt nur eine sekundäre Rolle, kann aber Dauer und Intensität der Diarrhö und die Dauer der Erregerausscheidung vermindern, was epidemiologisch bedeutsam ist.

Prophylaxe Verbesserung von Lebensmittel- und Trinkwasserhygiene (z. B. durch Abkochen von Trinkwasser) und Abwasserbeseitigung in Ländern der Dritten Welt. Für Cholera besteht nach WHO bereits im Verdachtsfall Meldepflicht (s. IFSG nach § 6 Abs. 1 Nr. 1). Patienten müssen isoliert werden. Bei Reisen in endemische Choleraländer (Asien, Afrika und einige Mittelmeer-Anrainerländer) ist eine vorherige aktive Immunisierung mit einem oralen V.-cholerae-Impfstoff möglich.

Verlauf und Prognose V. a. bei foudroyantem Verlauf führt Cholera innerhalb weniger Stunden oder Tage durch Kreislaufversagen zum Tode. Bei adäquater Behandlung ist eine schnelle Restitutio ad integrum die Regel. Überstandene Cholera hinterlässt vollständige und lang andauernde Immunität durch sekretorische IgA-Antikörper.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Infektion mit Vibrio cholerae über kontaminiertes Trinkwasser oder Lebensmittel

  • Wichtigste Symptome: heftige wässrige Durchfälle (Reiswasserstuhl) und unstillbares Erbrechen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: mikroskopischer und kultureller Erregernachweis aus Stuhl oder Erbrochenem

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: parenterale oder orale Substitution von Flüssigkeit und Elektrolyten

Erkrankungen durch andere Vibrionen

V.-cholerae-Stämme der Serogruppen non-O:1/O:139 können auch in Mitteleuropa, z. B. aus Abwässern oder stark verschmutzten Flüssen, isoliert werden. Sie rufen nach oraler Aufnahme wässrige Durchfälle mit Erbrechen hervor, die vereinzelt choleraähnlich verlaufen. Wesentliche für Adhäsion, Kolonisation und Toxinproduktion verantwortliche Virulenzgene sind auf einer großen Pathogenitätsinsel lokalisiert. Die Erregerdiagnose erfolgt aus dem Stuhl. Die Therapie ist symptomatisch. Diese Erkrankungen unterliegen nicht der Cholerameldepflicht.

Auch andere Vibrionenspezies, z. B. die halophilen Spezies V. parahaemolyticus, V. fluvialis und V. mimicus, rufen wässrige, aber auch blutig-schleimige Diarrhöen hervor. Meist handelt es sich dann um Lebensmittelinfektionen (Fisch, Meeresfrüchte). Selten kann V. parahaemolyticus Wundinfektionen nach Salzwasserkontakt hervorrufen. V. vulnificus kommt in Meer- und Brackwasser vor und ist ein hochpathogener Erreger, der bei Immunsupprimierten nach Bagatellverletzungen schwere Wundinfektionen und eine fulminante Sepsis mit hoher Letalität, z. B. nach Genuss roher Austern, hervorrufen kann.

13.9.13. Erkrankungen durch Campylobacter

Definition Bakterien der Gattung Campylobacter sind weltweit vorkommende gramnegative, schlanke, S-förmig gebogene Stäbchenbakterien. Campylobacter jejuni, C. coli, C. laridis und andere Spezies verursachen Enteritis bzw. Enterokolitis. C. fetus verursacht eine fieberhafte, mit Bakteriämie einhergehende systemische Infektion und unterschiedliche extraintestinale Manifestationen (Endokarditis, Meningitis, Arthritis, septischer Abort).

Campylobacter-Enteritis

Ätiologie Enteritiden durch Campylobacter haben in Deutschland mit fast 62 000 gemeldeten Fällen im Jahr 2005 erheblich zugenommen und Salmonellen als häufigste Enteritiserreger abgelöst. Zum natürlichen Reservoir gehören Geflügel, Schweine, andere Nutztiere, Hunde und Katzen. Die Infektion erfolgt oral durch kontaminierte Nahrungsmittel tierischen Ursprungs, z. B. Rohmilch oder nicht ausreichend erhitztes Geflügelfleisch, und durch kontaminiertes Trinkwasser, teils auch durch direkten Kontakt mit infizierten Tieren oder durch Übertragung von Mensch zu Mensch. Im Vergleich zu den Salmonellosen ist die krankheitsauslösende Infektionsdosis etwas geringer.

Pathogenese Die Adhäsionsfähigkeit an Epithelzellen und die Invasivität in die Lamina propria der Mukosa und in die regionären Lymphknoten sind wichtige Virulenzeigenschaften. Viele Stämme bilden Zytotoxine und Enterotoxine mit noch unklarer pathogenetischer Bedeutung.

Symptome

Nach einer Inkubationszeit von 2–10 Tagen zunächst 12–24-stündiges Prodromalstadium mit allgemeinem Krankheitsgefühl, Myalgien, Kopfschmerzen und hohem Fieber bis 40 °C. Bei ca. 25% heftiges Erbrechen. Anschließend kolikartige Bauchschmerzen, die wegen ihrer Heftigkeit evtl. ein akutes Abdomen vortäuschen. Zunächst wässrige Durchfälle, später mit Schleim und Blut vermengt und oft sehr schmerzhaft. Die Stuhlfrequenz kann bis zu 20 Entleerungen/Tag erreichen. Die Symptomatik dauert zwischen 1 Tag bis zu mehr als 1 Woche. Neben der häufigeren kolitischen Verlaufsform ist eine Durchfallerkrankung mit Wasser- und Elektrolytverlust ohne entzündliche Mukosakomponente möglich. 1–2 Wochen nach Beginn können eine reaktive Arthritis in einem oder mehreren Gelenken oder ein Erythema nodosum auftreten.

Diagnostik

Erregernachweis im Stuhl mit Spezialmedien und besonderen Bebrütungsbedingungen. Beim septischen Krankheitsbild gelegentlich Nachweis der Erreger in Blutkulturen. Antikörpernachweis (z. B. ELISA als Suchtest und Westernblot zur Bestätigung) wichtig zur Diagnostik von postinfektiöser Arthritis und Campylobacter-assoziiertem Guillain-Barré-Syndrom.

Therapie

Selbstlimitierender Verlauf. Symptomatische Therapie vielfach ausreichend. Bei schwereren Verläufen Antibiotika (Makrolide oder Chinolone) über 5–7 Tage, wodurch Krankheits- und Erregerausscheidungsdauer verkürzt werden. Resistenzen gegen diese Substanzen kommen aber vor. Andere Antibiotika wie Co-trimoxazol, Ampicillin und Cephalosporine sind nicht wirksam.

Prophylaxe Lebensmittelhygiene bei der Herstellung und Lebensmittelkontrolle.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Infektion mit Campylobacter spp. durch kontaminierte tierische Nahrungsmittel

  • Wichtigste Symptome: plötzlicher Beginn mit kolikartigen Bauchschmerzen, wässrigen oder blutig-schleimigen Durchfällen und Erbrechen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Erregernachweis aus dem Stuhl

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: symptomatisch, bei schwerem Verlauf Makrolide oder Chinolone

13.9.14. Erkrankungen durch Pseudomonas aeruginosa und weitere nicht-fermentierende, gramnegative Stäbchenbakterien

Pseudomonas aeruginosa, seltener auch andere Pseudomonas-Spezies, ist ein wichtiger opportunistischer Infektionserreger. Meist handelt es sich um nosokomiale Infektionen bei schweren Grunderkrankungen. Die Erregerdiagnose muss in jedem Fall angestrebt werden, da die individuelle Antibiotikaempfindlichkeit von Pseudomonas spp. sehr unterschiedlich ist. Dies gilt auch für die weiteren wichtigen opportunistischen Krankheitserreger Acinetobacter baumannii, Stenotrophomonas maltophilia, seltener auch Burkholderia cepacia und Bakterien der Gattungen Alcaligenes und Flavobacterium.

Definition Bakterien der Gattungen Pseudomonas, Acinetobacter, Stenotrophomonas, Burkholderia, Alcaligenes und Flavobacterium sind anspruchslose, nicht-fermentierende, gramnegative Stäbchenbakterien. Vor allem P. aeruginosa und A. baumannii sind häufige Erreger von nosokomialen Infektionen. B. cepacia hat eine besondere Bedeutung bei Mukoviszidosepatienten.

Pseudomonas aeruginosa

Epidemiologie Das natürliche Habitat dieser ubiquitär verbreiteten Erreger außerhalb des Krankenhauses sind Erdreich und Oberflächengewässer. Die Erreger sind anspruchslos, widerstandsfähig gegen äußere Einflüsse und vermehren sich sogar in destilliertem Wasser. Im Krankenhaus kann P. aeruginosa Haut und Schleimhäute von Patienten und Feuchtzonen (Waschbecken, Toiletten, Duschen, Blumenvasen und gelegentlich Desinfektionsmittellösungen) besiedeln. Ambulant erworbene Infektionen sind selten und meist mit Exposition gegenüber kontaminiertem Wasser (z. B. Otitis nach Whirlpoolbenutzung) oder kontaminierten Flüssigkeiten (Hautinfektionen nach Piercing, Augeninfektionen bei Kontaktlinsenträgern) verbunden. Die meisten Infektionen finden sich bei Krankenhaus-Patienten, v. a. Beatmungspatienten nach vorausgegangener Antibiotikatherapie, solche mit schweren Grunderkrankungen, nach chirurgischem Eingriff oder mit großflächigen Hautwunden. Die Übertragung erfolgt über kontaminierte Flüssigkeiten, Aerosole oder über die Hände des medizinischen Personals.

Pathogenese Wirtsfaktoren (Immunsuppression, Neutropenie, Verletzung der Kontinuität von Haut und Schleimhäuten) sind für den Verlauf von P.-aeruginosa-Infektionen bedeutsam. Die Virulenz der einzelnen P.-aeruginosa-Stämme ist sehr unterschiedlich. Adhäsions- und Invasionsfaktoren, Hämolysine und bakterielle Exotoxine spielen eine wichtige Rolle. Eine besondere Disposition stellt die Mukoviszidose dar. Hier finden sich v. a. mukoide Stämme mit einer aus Alginat bestehenden Schleimkapsel. Ebenso besonders empfänglich sind abwehrgeschwächte Kleinkinder und Frühgeborene.

Symptome

Alle Organe können von nosokomialen P.-aeruginosa-Infektionen betroffen sein. Von besonderer Bedeutung sind katheterassoziierte Harnwegsinfektionen und Pneumonien bei beatmeten Patienten; seltener Wundinfektionen, Osteomyelitis und Katheterinfektionen. Bei neutropenischen Patienten ist die Pseudomonas-Sepsis besonders gefürchtet und mit hoher Letalität verbunden. Außerhalb des Krankenhauses erworbene Infektionen (z. B. Otitis externa, chronisch-rezidivierende Pyelonephritis bei Dauerkatheter, akut-eitrige Exazerbation einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung) sind seltener.

Diagnostik

Bei jeder nosokomialen Infektion, v. a. nach längerem Krankenhausaufenthalt muss an P. aeruginosa gedacht werden. Hinweise sind grünlich gefärbtes Atemwegs- oder Wundsekret. Die kulturelle Erregerdiagnose aus allen Arten von Untersuchungsmaterialien ist entscheidend. Die Bestimmung der Erregerempfindlichkeit ist bedeutsam, da die individuelle Antibiotikaempfindlichkeit sehr unterschiedlich und die Resistenzrate lokal sehr hoch sein kann.

Therapie

Es besteht eine natürliche Resistenz gegen viele β-Lactam-Antibiotika, Co-trimoxazol und Tetrazykline. Wirksam gegenüber Wildtypstämmen sind Piperacillin, Ceftazidim, Cefepim, Carbapeneme, Aminoglykoside und Fluorchinolone. Die regional unterschiedlich verbreitete Resistenz gegenüber den genannten Substanzen und die oft rasche Resistenzentwicklung unter Therapie erschweren die empirische Antibiotikatherapie. Immer häufiger sind panresistente, nur noch gegen Colistin empfindliche Stämme. Empfohlen wird eine ausreichend hoch dosierte Kombinationstherapie mit einem Pseudomonas-wirksamen β-Lactam-Antibiotikum und einem Pseudomonas-wirksamen Aminoglykosid oder einem Chinolon, überzeugende klinische Studien hierzu liegen allerdings nicht vor.

Prophylaxe Krankenhaushygienische Maßnahmen, vor allem bei entsprechend disponierten Patienten.

Acinetobacter baumannii

Epidemiologie Die bedeutsamste Spezies des Genus Acinetobacter ist A. baumannii (bekannt als Erreger von Hospitalausbrüchen), deren natürliches Habitat außerhalb des Krankenhauses unbekannt ist. Die Erreger sind anspruchslos und widerstandsfähig gegenüber Umwelteinflüssen. Ausgangpunkt ihrer Verbreitung im Krankenhaus sind besiedelte Patienten, v. a. mit vorbestehender Therapie mit Breitspektrumantibiotika.

Symptomatik

Erreger nosokomialer Infektionen mit weltweit zunehmender Häufigkeit. Bedeutsam sind auch hier Beatmungspneumonien und katheterassoziierte Bakteriämien, seltener Wund- und Harnwegsinfektionen. Außerhalb des Krankenhauses erworbene Infektionen sind die Ausnahme.

Therapie

Natürliche Resistenz gegenüber vielen Penicillinen und Cephalosporinen, häufig auch erworbene gegenüber Aminoglykosiden und Chinolonen. Carbapeneme galten lange als Mittel der Wahl. In den letzten 5 Jahren haben Carbapenem-resistente A.-baumannii-Stämme in vielen Ländern dramatisch zugenommen, oft ist Colistin das einzige in vitro wirksame Antibiotikum, gelegentlich sind auch der β-Lactamase-Inhibitor Sulbactam und Tigecyclin wirksam.

Prophylaxe Krankenhaushygienische Maßnahmen und rationaler Umgang mit Antibiotika.

13.9.15. Erkrankungen durch sporenlose gramnegative Anaerobier

Definition Zur Familie Bacteroidaceae gehören u. a. die gramnegativen, obligat anaerobischen Gattungen Bacteroides, Fusobacterium, Prevotella und Porphyromonas. Sie sind wesentlicher Bestandteil der Normalflora von Oropharynx, Dickdarm und Vagina und benötigen zum Wachstum eine reduzierte Sauerstoffspannung. Bei Verletzung der Schleimhautbarriere und Eindringen in sonst sterile Kompartimente verursachen sie Mono- bzw. Mischinfektionen vieler Gewebe und Organe.

Innerhalb der o.g. Gattungen unterscheidet man 2 Gruppen bedeutsamer Spezies:

  • Bacteroides-fragilis-Gruppe (B. fragilis, B. distasonis, B. ovatus, B. thetaiotaomicron und B. vulgatus): sind Bestandteil der normalen (Dick-)Darmflora

  • pigmentbildende Bacteroidaceae (Prevotella melaninogenica, Prevotella intermedia, Porphyromonas asaccharolytica und Porphyromonas gingivalis): sind Bestandteil der normalen Oropharynxflora.

Fusobacterium nucleatum ist mit Borrelia vincentii Erreger der seltenen ulzerösen, einseitigen Plaut-Vincent-Angina. Ferner können Fusobakterienspezies (F. nucleatum und F. necrophorum) an pyogenen Infektionen beteiligt sein.

Pathogenese Die Virulenz der einzelnen Bacteroides-Stämme ist sehr unterschiedlich und wird durch verschiedene Faktoren (kapsuläre Polysaccharide, Proteasen, Enterotoxin und Hämagglutinin) bestimmt. An ihren jeweiligen Standorten sind sie nicht pathogen. Nach Eindringen in andere Gewebebereiche können sie pyogene Infektionen verursachen, oft gemeinsam mit fakultativ anaeroben Bakterien (E. coli, Enterokokken).

Symptome

B. fragilis ist die aus abdominellen und genitalen Infektionsprozessen (generalisierte Peritonitis nach traumatischen oder operativen Koloneröffnungen, abszedierende Infektionen im Bereich von Abdomen und kleinem Becken) am häufigsten isolierte Bacteroides-Spezies. Bei Genitalinfektionen der Frau (v. a. Adnexitis) spielen Anaerobier der B.-fragilis-Gruppe eine große Rolle.

Andere Manifestationen von Anaerobier-Infektionen:

  • nekrotisierende Gingivitis (P. gingivalis und P. melaninogenica)

  • chronische Sinusitis und Otitis media

  • Hirnabszess (Fusobakterien, Bacteroides spp., gemeinsam mit aeroben Streptococcus spp. wie S. anginosus und S. intermedius)

  • Beteiligung an pleuropulmonalen Infektionen: abszedierende Pneumonie, Aspirationspneumonie, Pleuraempyem (Bacteroides, Fusobacterium und Peptostreptococcus spp.)

  • Beteiligung an Haut- und Weichgewebsinfektionen (Bacteroides, Clostridium und Peptostreptococcus spp.): z. B. diabetisches Fußsyndrom

  • selten Beteiligung an Knochen- und Gelenkinfektionen.

Alle Infektionen können zur sekundären Bakteriämie führen, insgesamt 2–5% aller Bakteriämien sind durch Anaerobier bedingt. Eine seltene, oft letal verlaufende Erkrankung ist das Lemierre-Syndrom: eitrige Thrombophlebitis der Vena jugularis, einhergehend mit Bakteriämie und septischen Lungenembolien, verursacht durch F. necrophorum.

Diagnostik

Bei allen abszedierenden Infektionen ist stets eine mögliche Beteiligung von Anaerobiern zu berücksichtigen. Der typische putride Eiter mit sehr unangenehmem fauligem Geruch bei Beteiligung von pigmentbildenden Bacteroides-Arten kann hinweisend sein.

Diagnosesicherung durch kulturellen Erregernachweis. Das Patientenmaterial sollte sofort in speziellen Anaerobiermedien transportiert werden, um möglichst anaerobe Transportbedingungen zu gewährleisten. Der kulturelle Nachweis kann mehrere Tage benötigen. Bei sekundärer Bakteriämie erfolgt er in der anaeroben Blutkultur. Generell sollte bei Verdacht auf ein septisches Krankheitsbild immer anaerobe und aerobe Blutkulturen entnommen werden.

Therapie

Obwohl einige Spezies (z. B. P.-melaninogenica-Gruppe und Fusobakterien) keine β-Lactamase-Bildner und gut empfindlich für β-Lactam-Antibiotika (Penicillin) sind, ist Metronidazol mit fast 100%iger Wirksamkeit Mittel der Wahl bei Anaerobierinfektionen mit Beteiligung der hier genannten Arten.

Wegen der häufig polymikrobiellen Natur der Infektionsprozesse ist oft eine Kombinationstherapie erforderlich. Alternativ kommt der Einsatz von β-Lactam/β-Lactamase-Inhibitor- Kombinationen und Carbapenemen in Frage. Weitere Antibiotika mit guter Wirksamkeit gegen Anaerobier sind Clindamycin und Chloramphenicol.

13.9.16. Erkrankungen durch Haemophilus-Spezies

Bekapselte Haemophilus-influenzae-Stämme (Kapseltyp B) sind Erreger der bakteriellen Meningitis, akuten Epiglottitis, Pneumonie, Zellulitis und der septischen Arthritis im Kleinkindalter. Die Häufigkeit dieser Infektionen ist seit Einführung der Hib-Konjugat-Impfung stark zurückgegangen, in Deutschland von mehreren Tausend Infektionen Anfang der 90er auf 67 im Jahr 2005. Zu den durch nicht bekapselte H.-influenzae-Stämme verursachten Erkrankungen gehören Otitis media, Sinusitis, Konjunktivitis, akut-eitrige Exazerbation einer chronisch-obstruktiven Bronchitis und ambulant erworbene Pneumonie.

Definition Bakterien der Gattung Haemophilus sind zarte, gramnegative Stäbchenbakterien. Sie sind kulturell anspruchsvoll und benötigen bestimmte Wachstumsfaktoren, die im Blut vorkommen, daher die Bezeichnung „hämophile Bakterien“. Medizinisch bedeutsamste Spezies ist H. influenzae, von besonderer Bedeutung sind bekapselte Stämme. H. influenzae Subtyp aegyptius ist Erreger einer epidemischen Konjunktivitis, H. ducreyi ist Erreger der Geschlechtskrankheit Ulcus molle. Andere Haemophilus spp. wie H. aphrophilus, H. paraphrophilus und H. parainfluenzae (seltener H. haemolyticus und H. parahaemolyticus) sind wichtige Endokarditiserreger. Haemophilus spp. werden mit anderen kulturell anspruchsvollen Endokarditiserregern (z. B. Actinobacillus actinomycetemcomitans, Cardiobacterium hominis, Eikenella corrodens, Kingella kingae) zur HACEK-Gruppe zusammengefasst.

Haemophilus influenzae

Epidemiologie H. influenzae kommt nur beim Menschen vor. Nichtbekapselte Stämme sind regelmäßiger Bestandteil der normalen Oropharynxflora, Stämme vom Kapseltyp B finden sich bei Nichtgeimpften Kindern in 2–4%. Die Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt durch Tröpfcheninfektion. Bei chronischen Atemwegserkrankungen können auch die unteren Atemwege mit H. influenzae besiedelt sein.

Pathogenese Die Bakterien heften durch unterschiedliche Adhäsine vermittelt an Epithelzellen der oberen Atemwege an. Das Kapselpolysaccharid (Polyribitolphosphat = PRP) ist wichtigster Virulenzfaktor von H.-influenzae-Kapseltyp-B-Stämmen und für deren Invasivität und Fähigkeit zum Eindringen in die Blutbahn verantwortlich. Die natürliche Immunität gegenüber Infektionen wird durch Antikörper gegen PRP bestimmt, deren Spiegel bei Kindern mit 18–24 Monaten am niedrigsten ist und mit dem Alter zunimmt. Systemische Infektionen bei ungeimpften, über 6-jährigen Kindern sind daher sehr selten.

Symptome

Erkrankungen im Kindesalter durch H. influenzae Typ B:

  • eitrige Meningitis

  • Epiglottitis, oft perakut verlaufend (typische klinische Zeichen: Fieber, Halsschmerzen, Schluckstörung und Atemnot)

  • Pneumonie (oft mit Pleuraerguss)

  • Zellulitis (vor allem periorbital)

  • septische Arthritis

  • besondere Form bei 1- bis 3-Jährigen: primäre Haemophilus-Sepsis ohne lokalisierbaren Herd.

Erkrankungen bei Erwachsenen werden meist durch unbekapselte H.-influenzae-Stämme verursacht. Deren ätiopathogenetische Einordnung ist oft schwierig, da sie auch in der Normalflora des Oropharynx vorkommen können. Sie verursachen:

  • eitrige Sinusitis, Otitis media

  • ambulant erworbene bakterielle Pneumonie

  • akut-eitrige Exazerbation einer chronisch-obstruktiven Bronchitis.

Meningitis und Pneumonie durch H. influenzae Typ B sind bei Erwachsenen die Ausnahme.

Diagnostik

Kultureller Erregernachweis. Dieser kann schwierig sein, da H. influenzae sehr umweltempfindlich ist, hohe Nährstoffansprüche stellt und häufig von der oropharyngealen Begleitflora unterdrückt wird. Die Relevanz von H. influenzae bei Nachweis aus Atemwegsmaterial ist schwer beurteilbar. Entscheidend ist der Nachweis aus primär sterilem Material (Liquor, Blutkulturen, Punktate).

Bei Meningitis: mikroskopische Verdachtsdiagnose aus Gram-Präparat oder Kapselantigennachweis zur Schnelldiagnostik.

Therapie

Bei Infektionen durch empfindliche H.-influenzae-Stämme Aminopenicilline, bei β-Lactamase-bildenden Stämmen kombiniert mit β-Lactamase-Inhibitoren, alternativ Cephalosporine der 3. Generation. Bei kalkulierter Antibiotikatherapie müssen die örtlichen Raten von β-Lactamase-bildenden Stämmen berücksichtigt werden. Zur Therapie der Meningitis (und der Epiglottitis) meist Einsatz von Drittgenerations-Cephalosporinen, die gegenüber den β-Lactamasen von H. influenzae stabil sind.

Prophylaxe Aktive Impfung (HiB, Kap. 13.10) im Kleinkindalter. Bei ungeimpften Kindern in der Umgebung eines an einer invasiven H. influenzae Infektion erkrankten Kindes (Familie, Kindergarten) Chemoprophylaxe mit Rifampicin.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Infektion mit H. influenzae (Tröpfcheninfektion)

  • Wichtigstes Symptom: abhängig von der Lokalisation der Infektion (Meningitis, Epiglottitis, Pneumonie, Arthritis)

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: kultureller Erregernachweis, insbesondere aus Blutkulturen, Liquor und Punktaten mit Resistenzbestimmung

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: Aminopenicilline (evtl. kombiniert mit β-Lactamase-Inhibitoren) und Cephalosporine der Cefotaxim-Gruppe

13.9.17. Erkrankungen durch Bordetella-Spezies

Synonym: Keuchhusten, Pertussis

Keuchhusten, verursacht durch Bordetella pertussis (ein gramnegatives Stäbchenbakterium), ist v. a. eine Erkrankung des Kindesalters, mit abnehmender Immunität sind aber auch ältere Erwachsene wieder zunehmend betroffen. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion.

B. parapertussis und B. bronchiseptica können keuchhustenähnliche Erkrankungen und unspezifische Infektionen des unteren Respirationstrakts verursachen.

Symptome

2-phasiger Verlauf nach 1- bis 2-wöchiger Inkubationszeit mit charakteristischen, wochenlang anhaltenden Hustenanfällen im 2. Stadium.

Diagnostik

PCR-basierte Nachweisverfahren zum Nachweis des pathogenetisch bedeutsamen, von B. pertussis produzierten Pertussis-Toxins stehen im Vordergrund. Andere Verfahren zum Nachweis von B. pertussis (direkte Immunfluoreszenz, kultureller Erregernachweis, serologischer Antikörpernachweis) sind heute von geringerer Bedeutung.

Therapie

Chemotherapie mit Erythromycin: geringer Einfluss auf den Krankheitsverlauf, verkürzt aber die Erregerausscheidungsdauer. Nach durchgemachter Erkrankung besteht eine lang dauernde, aber nicht unbedingt lebenslange Immunität.

Die aktive Impfung erfolgt nicht mehr mit dem klassischen „Ganzzell“-Impfstoff, sondern mit einer „azellulären“ Pertussis-Vakzine mit hoher Effektivität und geringen Nebenwirkungen (Kap. 13.10).

13.9.18. Brucellose

Synonym: Morbus Bang, Maltafieber

Definition Erreger sind gramnegative, kurze, unbewegliche Stäbchenbakterien. Brucellose ist eine weltweit bei Haustieren (Rindern, Ziegen, Schafen, Schweinen, Hunden) vorkommende Anthropozoonose. Wichtigste Spezies sind B. melitensis, B. abortus, B. suis und B. canis.

Epidemiologie Weltweit verbreitet, besonders häufig im Mittelmeerraum, auf der Arabischen Halbinsel, auf dem indischen Subkontinent und in Süd- und Mittelamerika. Man geht von weltweit ca. 500 000 Fällen/Jahr aus, in Deutschland wurden 2005 nur 30 Fälle gemeldet. Die Übertragung erfolgt durch direkten Kontakt mit infizierten Tieren und deren Sekreten über Bagatellverletzungen der Haut, Inhalation erregerhaltiger Aerosole und orale Aufnahme unpasteurisierter Milch und Milchprodukte. Die Brucellose in den Endemiegebieten ist daher meist eine Berufsinfektion in Landwirtschaft, Veterinärmedizin und fleischverarbeitender Industrie, gefährdet ist auch Laborpersonal. In Mitteleuropa sind die Rinderbestände überwiegend brucellenfrei, dies gilt allerdings nicht uneingeschränkt für die Schafbestände. Dennoch ist die autochthone Brucellose in Deutschland extrem selten, meist handelt es sich um eine importierte Infektionskrankheit (Tourismus, Mittelmeerraum, Genuss unpasteurisierter, importierter Milchprodukte).

Ätiologie und Pathogenese Für den Menschen pathogen sind B. abortus (primärer Standort: Rind), B. melitensis (Ziege und Schaf), B. suis (v. a. Schwein) und B. canis (Hund). Brucellen sind fakultativ intrazelluläre Erreger, die in Makrophagen überleben und sich vermehren. Nach Erregeraufnahme kommt es zur Generalisation mit Befall der Organe des retikuloendothelialen Systems (Lymphknoten, Leber, Milz und Knochenmark), typisch ist die Ausbildung epitheloidzelliger Granulome.

Symptome

Zyklische Allgemeininfektion. Obwohl man die Krankheitsbilder Morbus Bang (B. abortus) und Maltafieber (B. melitensis) voneinander abgrenzt, ist die klinische Symptomatik kaum zu unterscheiden. Nach 1–3 Wochen Inkubationszeit uncharakteristisches Krankheitsbild mit heftigen Kopf-, Gelenk- und Gliederschmerzen, Schweißausbrüchen und Fieber, teils mit Schüttelfrost. Meist Abklingen des mäßig hohen Fiebers nach 2–3 Tagen mit evtl. Wiederauftreten in unbehandelten Fällen, teils auch nach Monaten und Jahren. Dieser charakteristische, undulierende Fiebertyp tritt besonders häufig beim Maltafieber auf. Im Stadium der Organmanifestation v. a. Befall von Milz und Leber, in 20–30% mit begleitender Hepatosplenomegalie. Weitere Komplikationen sind Osteomyelitis, v. a. der Wirbelkörper, Befall des Zentralnervensystems mit Meningitis und Enzephalitis, Endokarditis und in 20% Epidydimitis.

Diagnostik

Gezielte Anamnese mit Frage nach beruflicher Exposition, Ernährungsweise und Auslandsaufenthalten. Uncharakteristisches Blutbild, im akuten Stadium mäßige Leukozytose, in späteren Stadien Leukopenie. Anfangs nur gering beschleunigte Blutsenkung.

Kultureller Erregernachweis im akuten Stadium durch wiederholte Blutkulturen während des Fieberanfalls oder Knochenmark- und Organbiopsien. Eine gezielte Fragestellung ist wegweisend für die rasche Erregeridentifikation und trägt zur Vermeidung von Laborinfektionen bei. Sehr sensitiv und daher von großer diagnostischer Bedeutung ist der Nachweis spezifischer Antikörper im Serum, eingesetzt werden Agglutinationsreaktion (Widal-Reaktion), Komplementbindungsreaktion und ELISA.

Differentialdiagnose Bei unklaren Fieberzuständen mit uncharakteristischen Entzündungszeichen und ggf. Splenomegalie sind andere zyklische Infektionskrankheiten (z. B. Typhus, Yersiniose), Miliartuberkulose, Malaria und Mononukleose in Betracht zu ziehen.

Therapie

Kombinierte Gabe von Doxycyclin mit Rifampicin (orale Therapie!) oder einem Aminoglykosid über mind. 6 Wochen. Wenn eine Doxycyclintherapie nicht möglich ist (z. B. Kinder < 8 Jahren), stehen Co-trimoxazol oder Chinolone zur Verfügung, jeweils kombiniert mit Rifampicin oder einem Aminoglykosid. Bei Nachweis von Organkomplikationen Fortführen der Therapie über mehrere Monate. Bei rechtzeitiger Diagnosestellung und Beginn der Behandlung noch im akuten Stadium gelingt die Ausheilung bei einem hohen Anteil der Fälle. Bei späterem Therapiebeginn sinkt die Erfolgsquote, Rezidive oder ein chronischer Verlauf sind möglich.

Prophylaxe Ausrottung der Erregerreservoire in den Tierbeständen und Vermeidung von Genuss kontaminierter tierischer Produkte. Eine Impfung existiert nicht. Zur Meldepflicht siehe IFSG nach § 6 Abs. 1 Nr. 1.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Infektion mit Brucella melitensis durch Kontakt mit infizierten Tieren oder Genuss kontaminierter Milchprodukte

  • Wichtigstes Symptom: undulierendes Fieber mit ausgeprägtem Krankheitsgefühl

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: kultureller Erregernachweis aus der Blutkultur oder aus Knochenmark

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: Doxycyclin plus Rifampicin

13.9.19. Legionellose

Synonym: Legionärskrankheit, Pontiac-Fieber

Praxisfall

Ein 52-jähriger, desorientiert wirkender Diabetiker wird mit starken Kopfschmerzen mit der Diagnose einer ambulant erworbenen Pneumonie in die Klinik eingewiesen.

Anamnese: Vor 5 Tagen plötzlich Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. 2 Tage zuvor war er von einem 2-wöchigen Spanienurlaub zurückgekehrt. Im weiteren Verlauf traten trockener Husten, atemabhängige Brustschmerzen und zunehmende Atemnot hinzu. Röntgen-Thorax: ausgedehnte fleckförmige pulmonale Infiltrate im Bereich beider Lungen. Unauffälliger Auskultationsbefund. Laborbefunde: leichte Leukozytose mit Linksverschiebung, mäßige Erhöhung von Transaminasen und Bilirubin und leicht erhöhtes Kreatinin. Die antibiotische Therapie mit einem Cephalosporin der 3. Generation führt nicht zur raschen Besserung. Blut- und Sputumkulturen bleiben ohne Erregernachweis. Im Urin lässt sich jedoch Legionellenantigen nachweisen. Nach 3 Tagen wird der Befund durch kulturellen Nachweis von Legionella pneumophila aus Bronchiallavagematerial bestätigt. Nach Therapieumstellung auf Levofloxacin langsame, aber stetige Besserung des klinischen Bildes.

Definition Legionellen sind gramnegative, stäbchenförmige Bakterien. Innerhalb der Gattung Legionella sind 50 Spezies bekannt, 20 davon wurden bei Menschen isoliert. Wichtigste Spezies ist Legionella pneumophila mit 16 Serogruppen, die bedeutendste ist die Serogruppe 1.

Legionellose ist eine sporadisch oder epidemisch auftretende Infektionskrankheit, die ambulant oder nosokomial erworben wird. Unter den klinischen Manifestationen dominiert die Pneumonie (Legionärskrankheit). Eine mildere, grippeähnliche Erkrankungsform ohne Pneumonie ist das Pontiac-Fieber. 2005 wurden in Deutschland 537 Legionellose-Fälle gemeldet, wahrscheinlich besteht eine hohe Dunkelziffer.

Epidemiologie Natürlicher Lebensraum von Legionellen sind Seen, Flüsse und Küstengewässer. Sie vermehren sich intrazellulär, geschützt vor Umwelteinflüssen in freilebenden Amöben. Warmwasser (25–40 °C) begünstigt das Bakterienwachstum und ist Hauptreservoir für die Übertragung der Erreger. Die Infektion erfolgt über legionellenhaltige Aerosole. Epidemische Ausbrüche entstehen durch Freisetzung großer Aerosolmengen (z. B. Kühltürme, Wasserhähne, Duschköpfe und Whirlpools, v. a. bei alten Warmwasseranlagen mit niedrigem Fluss).

Legionellose tritt im Spätsommer und Herbst gehäuft auf. Betroffen sind v. a. Männer über 50–70 Jahre mit Nikotin- und Alkoholabusus und Vorerkrankungen (Leberzirrhose, Diabetes mellitus, Lungen- und Herzerkrankungen). Im Krankenhaus sind v. a. beatmete Patienten durch Exposition gegenüber Leitungswasser gefährdet.

Pathogenese Voraussetzung für die Infektion sind die je nach Spezies und Stamm unterschiedliche Virulenz der Erreger, die Bildung lungengängiger Aerosole, eine ausreichende Infektionsdosis und eine lokale oder systemische Abwehrschwäche. Legionellen vermehren sich nach der Phagozytose intrazellulär in Makrophagen.

Symptome

Nach einer Inkubationszeit von 2–10 Tagen relativ rasch hohes Fieber, oft mit relativer Bradykardie, Schüttelfrost, Kopf- und Gliederschmerzen und trockener Reizhusten. Anfangs wenig produktiver Husten, nach 3–5 Tagen Produktion von meist nicht eitrigem Sputum. Der Husten ist oft begleitet von starken Brustschmerzen und Tachypnoe. Häufig gastrointestinale Beschwerden, Übelkeit und Erbrechen. Symptome wie Verwirrtheit und Desorientierung zeigen die Beteiligung des ZNS an. Hauptorganmanifestation der Legionärskrankheit ist die Pneumonie. Schwere Verläufe mit Nierenversagen, Ateminsuffizienz mit Beatmungspflichtigkeit und septischem Schock sind häufig. Die Letalität liegt bei 10–15%, bei nosokomialer Legionellose weitaus höher.

Die 2. Verlaufsform, das Pontiac-Fieber, lässt sich relativ sicher abgrenzen. Sporadisch auftretende Fälle sind viel seltener, Kleinepidemien herrschen vor. Hauptsymptome sind Fieber und Schüttelfrost, mit Muskelschmerzen, allgemeinem Krankheitsgefühl und Kopfschmerzen. Die akute Krankheit dauert nur wenige Tage und verläuft komplikationslos.

Diagnostik

Klinische Symptomatik und radiologische Befunde erlauben keine sichere Abgrenzung von anderen ambulant-erworbenen Pneumonien (z. B. Pneumokokkenpneumonie). Hilfreich sind:

  • sorgfältige Anamnese (Reiseanamnese) mit Eruierung von besonderen Prädispositionen und Expositionsmöglichkeiten und Nichtansprechen auf eine initiale Therapie mit β-Lactam-Antibiotika.

  • Röntgen-Thorax: variables Bild mit bronchopulmonalen Infiltraten, die konfluieren und ganze Lungenlappen erfassen können

  • Laborbefunde: unspezifisch. Erhöhte Transaminasen, Bilirubin, alkalische Phosphatase, LDH und Kreatinin weisen auf Beteiligung mehrerer Organe hin.

  • Blutbild: Leukozytose mit Linksverschiebung, evtl. Leukopenie und Thrombopenie. Bei Vorliegen einer Rhabdomyolyse können die CPK-Werte extrem hoch ansteigen.

  • Diagnosesicherung durch kulturellen Erregernachweis aus Sputum, Trachealsekret oder Bronchiallavagematerial. Er ist aufwendig, wenig sensitiv und kann bis zu 1 Woche dauern.

  • Standardverfahren: Antigentest mittels Enzymimmunassay aus Urin: schnell, weist aber fast nur Serogruppe 1 von L. pneumophila nach, die Sensitivität liegt bei 60–90%.

  • molekularbiologischer Nachweis von Legionella-DNA: kommerziell verfügbar und von zunehmender Bedeutung für die Routinediagnostik

  • Nachweis von Antikörpern durch indirekte Immunfluoreszenz oder ELISA: gelingt in 20–70%, aber oft erst ab der 3. Krankheitswoche, daher für die Akutdiagnostik ungeeignet.

Therapie

Resistenz gegen β-Lactam-Antibiotika. Mittel der Wahl sind intrazellulär wirksame Antibiotika wie Makrolide (Erythromycin, Clarithromycin oder Azithromycin), Telithromycin, Doxycyclin und Chinolone (Ciprofloxacin, Levofloxacin oder Moxifloxacin). Bei schweren Verläufen Chinolone oder Azithromycin. Die Therapiedauer beträgt 10–14 Tage.

Prophylaxe Impfung existiert nicht. Bekämpfung von Legionellen in der Wasserversorgung insbesondere durch periodische Hocherhitzung des Wassers.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Infektion durch Legionellen-haltige Aerosole aus Warmwasseranlagen

  • Wichtigstes Symptom: plötzlicher Beginn mit Fieber, gastrointestinalen, zentralnervösen und pulmonalen Symptomen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Antigennachweis aus Urin, kultureller Erregernachweis aus Sputum oder Bronchiallavage

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: Chinolone oder Makrolide

13.9.20. Erkrankungen durch Treponemen

Syphilis

Synonym: Lues

Definition Treponemen sind bewegliche, gramnegative Schraubenbakterien aus der Familie der Spirochäten und nicht auf künstlichen Nährböden anzüchtbar. Treponema pallidum subsp. pallidum ist Erreger der Syphilis. Die sogenannten endemischen Treponematosen sind eine Gruppe von nicht venerischen Erkrankungen, die nur in Entwicklungsländern vorkommen und durch T. pallidum subsp. pertenue (Frambösie, engl. „yaws“), T. pallidum subsp. endemicum (endemische Syphilis, Bejel) und T. carateum (Pinta) verursacht werden. Diese Erreger sind morphologisch und serologisch nicht von T. pallidum subsp. pallidum unterscheidbar.

Epidemiologie Die Syphilis wird durch Geschlechtsverkehr, sehr selten auch durch Blutkontakt (Bluttransfusionen, Nadelstichverletzungen) übertragen. Die Zahl jährlicher Erkrankungen beträgt weltweit ca. 12 Mio.; 2005 wurden in Deutschland 3210 Fälle gemeldet, die Anzahl ist in den letzten 5 Jahren erheblich angestiegen. Darüber hinaus rechnet man jedoch mit einer hohen Dunkelziffer. Lues tritt gehäuft mit atypischem Verlauf bei HIV-Patienten auf. Größte Ansteckungsgefahr besteht im Stadium I, die tertiäre Lues ist nur noch selten infektiös. Da nach durchgemachter Infektion keine Immunität besteht, sind Reinfektionen möglich. Besonders oft sind junge Erwachsene betroffen, Risikogruppen sind Prostituierte und deren Partner, Homosexuelle und parenteral Drogenabhängige. Eine besondere Form ist die kongenitale Lues, bedingt durch eine intrauterine Infektion des Fetus während der Schwangerschaft. Die Untersuchung auf Lues gehört daher zu den obligatorischen Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft.

Symptome

Innerhalb weniger Tage nach Eindringen von Treponema pallidum durch die intakte Schleimhaut oder im Bereich von Minimalverletzungen von Haut oder Schleimhaut erreichen die Erreger Lymphgefäße oder Blutbahn und disseminieren (frühe Spirochätämie). Fast alle Organe und Gewebe können betroffen sein. Die Inkubationszeit beträgt im Mittel 3 Wochen und hängt von der Infektionsdosis ab.

Primäre Syphilis Bis 5 Wochen nach Infektion kommt es an der Eintrittsstelle zur Ausbildung eines Primäraffektes (Tab. 13.42 ), eines aus einer Papel entstehenden schmerzlosen Geschwürs mit harten Rändern (Ulcus durum) am häufigsten im Bereich der äußeren Geschlechtsorgane, im Analbereich oder im Mund. Begleitend ist eine nicht schmerzhafte Schwellung und Induration der regionären Lymphknoten (syphilitischer Primärkomplex, Abb. 13.74 a). Nach 2–6 Wochen Abheilung des Primäraffektes auch ohne Behandlung.

Tab. 13.42

Symptomatologie der Lues in ihren Stadien

StadienSymptomatologie
Primärstadium (Lues I)
  • Ulcus durum (Eintrittsstelle)

  • Nicht schmerzhafte, harte Schwellung der regionären Lymphknoten

Sekundärstadium (Lues II)
  • Makulopapulöses Exanthem (Stamm, Handflächen, Fußsohlen)

  • Condylomata lata (intertriginöse Bereiche)

  • Angina specifica

  • Lymphadenitis (generalisiert)

  • Alopecia luetica (diffus, kleinfleckig)

  • Spezifische Meningitis, Pneumonie, Hepatitis

Tertiärstadium (Lues III)
  • Gummen (subkutane spezifische Granulome) Spätfolge: z. B. Sattelnase durch Knochenzerstörung

  • Mesaortitis syphilitica Spätfolge: z. B. Koronarsklerose, A.-ascendens-Aneurysma

  • Progressive Paralyse (chronische Enzephalitis) Spätfolge: Demenz

  • Tabes dorsalis (Hyporeflexie, Ataxie, Analgesie)

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Syphilis.

a) Primäraffekt an der Glans penis.

b) Luesexanthem im Stadium II an den Fußsohlen.

c) Alopecia areata, ebenfalls Stadium II.

Sekundäre Syphilis Ca. 8 Wochen nach Auftreten des Primäraffekts setzt das 2. Stadium ein. Wichtigstes Symptom sind multimorphe Exantheme (Abb. 13.74 b). Die Läsionen können makulär, makulopapulär, papulär oder pustulär sein. Betroffen sind zunächst Stamm und Extremitäten, charakteristisch ist der Befall von Handflächen und Fußsohlen. Das Exanthem kann sich auf den ganzen Körper ausdehnen. Bei Befall der Haarfollikel tritt ein diffuser kleinfleckiger Haarausfall auf (Alopecia areata, Abb. 13.74 c). Besonders in intertriginösen Bereichen und im Genital- und Analbereich kommt es zum Auftreten von nässenden, hochinfektiösen Papeln (Condylomata lata). Auch die Schleimhäute können betroffen sein (Angina specifica). Allgemeinsymptome sind geringes Fieber, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, Arthralgien und eine generalisierte schmerzlose Lymphknotenschwellung. Rezidivexantheme sind weniger floride und treten v. a. am Stamm auf. In diesem Stadium können bereits Organe (Leber, Nieren, Knochensystem und Zentralnervensystem: frühe Neurosyphilis) betroffen sein.

Tertiäre Syphilis Nach einer Latenzzeit von einigen Monaten bis Jahren (latente Syphilis) tritt die Lues in das 3. Stadium (tertiäre oder späte Syphilis) ein. Hier lassen sich mehrere Manifestationen unterscheiden:

  • späte Neurosyphilis: verläuft symptomatisch in Form einer chronischen Meningitis mit vielgestaltiger Symptomatik oder auch asymptomatisch

  • progressive Paralyse: chronische Enzephalitis v. a. des Stirnhirnbereiches mit entsprechenden psychisch-intellektuellen Folgen bis hin zur Demenz

  • Tabes dorsalis: Degeneration der Hinterstränge des Rückenmarks und anderer Nervenbereiche (Nervus opticus), gekennzeichnet durch Hyporeflexie, Ataxie und plötzlich auftretende Schmerzen

  • kardiovaskuläre Syphilis (Mesaortitis syphilitica mit Ausbildung eines Aneurysmas der Aorta ascendens) durch Befall der Gefäße (Endarteritis obliterans)

  • Gummen: subkutan auftretende schmerzlose Granulome. Können jahrelang fortbestehen und einen lokal destruierenden Charakter haben, v. a. im Knochenbereich (Sattelnase)

  • kutane Manifestationen: Gruppen von derben, braunroten Knoten, die ulzerieren und dann narbig abheilen können.

Lues connata Angeborene Lues. Siehe hierzu pädiatrische Lehrbücher.

Diagnostik

Wegen des stadienhaften Verlaufs und der möglichen Betroffenheit von fast allen Geweben und Organen kann das klinische Bild von typischer oder auch untypischer Symptomatologie geprägt sein. Meist wird die Lues spätestens im 2. Stadium diagnostiziert. Dies fällt überwiegend in das Fachgebiet der Dermatologie. Dennoch gibt es immer wieder Fälle, die spätere Stadien der Lues repräsentieren.

Treponema pallidum ist auf künstlichen Nährböden nicht anzüchtbar, auch der direkte Erregernachweis aus primären oder sekundären Läsionen in der Dunkelfeldmikroskopie spielt keine Rolle, entscheidend sind daher folgende Untersuchungen.

Serologische Untersuchungen

  • Treponema-pallidum-Hämagglutinationstest (TPHA) bzw. Treponema-pallidum-Partikelagglutinationstest (TPPA) als Suchtest

  • Fluoreszenz-Treponema-Antikörper-Absorptionstest (indirekte Immunfluoreszenz, FTA-Abs) als Bestätigungstest

Da diese Tests nach durchgemachter Lues u.U. lebenslang positiv sind (v. a. TPHA), sind Tests zur Beurteilung der Aktivität des Krankheitsprozesses und Behandlungsindikation nötig:

  • Cardiolipin-Komplementbindungsreaktion

  • VDRL-Test (veneral diseases research laboratory): häufiger durchgeführt, auch zur Kontrolle eines Therapieerfolges einsetzbar.

In speziellen Fällen (z. B. zur sicheren Diagnose der Lues connata) ist der Nachweis spezifischer IgM-Antikörper in der indirekten Immunfluoreszenz erforderlich. Bei Neurosyphilis wird eine autochthone intrathekale Anti-Treponemen-Antikörperproduktion nachgewiesen.

Therapie

Bedeutsam sind frühzeitige Diagnose und Therapiebeginn im 1., spätestens im 2. Stadium. Therapie der Wahl ist Penicillin G oder Ceftriaxon, bei Penicillinallergie Doxycyclin oder Azithromycin. Zur Vermeidung der frühen Neurosyphilis muss die Therapie hoch dosiert (Procain-Penicillin G, 2,4 Mio. E i.m.) für 14 Tage durchgeführt werden, um ausreichend hohe Liquorspiegel zu erreichen. Bei Patienten mit gleichzeitiger HIV-Infektion, bei tertiärer Syphilis und bei Neurosyphilis wird 2 × 10 Mio. E Penicillin i.v., alternativ 1 × 2 g Ceftriaxon für 14 Tage verabreicht. Der Verlauf der Erkrankung und vor allem der Effekt der Therapie müssen durch regelmäßige serologische Aktivitätskontrollen (VDRL-Test, Cardiolipin-KBR) überprüft werden.

Prophylaxe Eine Impfung existiert nicht. Eindämmung der Übertragungswege durch möglichst lückenlose Aufklärung und Überwachung der Risikogruppen.

13.9.21. Erkrankungen durch Borrelien

Lyme-Borreliose

Praxisfall

Eine 42-Jährige bemerkt auf ihrer Schulter eine festgebissene Zecke. Vor 2 Tagen hatte sie im Wald Pilze gesucht. Die bereits mit Blut vollgesogene Zecke ließ sich nur schwer mit einer Pinzette entfernen. Nach 3 Tagen bemerkt sie um die Bissstelle herum eine ovale, 2 × 4 cm große Rötung, die in den nächsten Tagen an Größe zunimmt. Das betroffene Hautareal ist überwärmt. Gleichzeitig treten Fieber, Kopfschmerz und Muskelschmerzen auf. Der Hautarzt stellt die Verdachtsdiagnose Erythema migrans. Trotz fehlenden Nachweises spezifischer Antikörper gegen Borrelia burgdorferi beginnt er eine Therapie mit Doxycyclin über 14 Tage. Darunter blasst das Erythem ab und die Allgemeinsymptomatik bessert sich.

Definition In den gemäßigten Zonen Europas, Asiens und Nordamerikas vorkommende, in Stadien verlaufende Infektionskrankheit. Sie wird durch eine zu den Spirochäten gehörende Borrelienart, Borrelia burgdorferi (sensu lato), verursacht und durch Zecken übertragen. Man unterscheidet 3 Spezies: B. burgdorferi (sensu stricto), B. afzelii und B. garinii. Abhängig vom Stadium der Erkrankung wird das klinische Bild durch unterschiedliche Manifestationen an der Haut, den Gelenken und dem Zentralnervensystem geprägt.

Epidemiologie Die Erkrankung wurde erstmalig 1976 in Lyme County, USA, beschrieben. Hauptvektor für Borrelia burgdorferi in Europa ist die Zecke Ixodes ricinus. Bedingt durch den Übertragungsmodus gibt es saisonale Erkrankungshäufungen. In Mitteleuropa beginnt die Zeckensaison im Frühjahr und endet meist Anfang November, nach trockenen Sommern früher. Die Erkrankung tritt gehäuft in Feuchtgebieten auf, z. B. auch in Naherholungsgebieten großer Städte. Beruflich besonders stark zeckenexponiert sind Forstarbeiter. In Deutschland wurden 2004 nur aus den östlichen Bundesländern 4465 Erkrankungsfälle gemeldet.

Pathogenese Die Wahrscheinlichkeit der Erregerübertragung nimmt mit der Länge der Blutmahlzeit der Zecke zu. Nach Übertragung vermehren sich die Erreger zunächst im Bereich der Bissstelle. Die Dissemination erfolgt wohl v. a. hämatogen, es kommt zur Besiedelung unterschiedlicher Organe, darunter auch des ZNS. Über die Virulenzfaktoren des Erregers ist bislang wenig bekannt.

Symptome

  • Stadium I (lokalisierte Infektion): Auftreten nach einer Inkubationszeit von Tagen bis wenigen Wochen nach Zeckenbiss. Klinische Manifestationen:

    • Erythema migrans (Tab. 13.43 ): sich zentrifugal ausbreitendes Erythem im Bereich der Bissstelle, das später zentral abblasst (Abb. 13.75 ). Dieses Symptom ist pathognomonisch für das Frühstadium der Lyme-Borreliose.

      Tab. 13.43

      Stadienverlauf der Borreliose

      StadiumInkubationszeitKlinische Manifestation1Serodiagnostik2
      I Tage bis Wochen Erythema migrans, Arthralgie, Myalgie, Fieber, Kopfschmerzen (überwiegend IgM) 20–50%
      II Wochen bis Monate Meningoradikulitis, Lymphozytom, Karditis, Iritis, Arthralgie (IgM und IgG) 50–90%
      III Monate bis Jahre Arthritis, Akrodermatitis chronica atrophicans, Enzephalomyelitis, Polyneuropathie, Arthropathie (überwiegend IgG) 90–100%

      Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

    • mögliche Allgemeinsymptome im Rahmen der Spirochätämie: Fieber, Muskel- und Kopfschmerzen, selten auch Meningismus.

  • Stadium II (disseminierte Infektion): Auftreten Wochen bis Monate nach dem Zeckenbiss. Klinische Manifestationen:

    • lymphozytäre Meningoradiculitis Bannwarth: quälende radikuläre Schmerzen überwiegend in topographischer Beziehung zum Zeckenbiss; lymphozytäre Pleozytose in der Liquorpunktion; evtl. Hirnnervenparesen, v. a. Fazialisparesen. Bei Kindern gehäuft meningitische, gelegentlich enzephalitische Verläufe

    • Lymphozytom: selten, aber dann typisch mit lymphoretikulären Infiltraten in Form eines rötlich-lividen Tumors an typischer Stelle (Mamille, Skrotum und Ohrläppchen)

    • Lyme-Karditis: bei 5%; mit AV-Blockierungen unterschiedlichen Grades als Leitsymptom, seltener kommt es zur Kardiomyopathie.

  • Stadium III (persistierende Infektion): Spätmanifestationen nach variabler, meist langer Inkubationszeit. Oft keine typische Anamnese mit Zeckenbiss und Erythema migrans. Klinische Manifestationen:

    • Akrodermatitis chronica atrophicans: vorwiegend an den Extremitäten mit livider Verfärbung und Fältelung der dünnen Haut

    • Lyme-Arthritis: meist Monarthritis oder Oligoarthritis, Kniegelenke am häufigsten betroffen

    • chronische Borrelienenzephalomyelitis: sehr seltene Manifestation des 3. Stadiums; gelegentlich mit spastischen Para- und Tetraparesen

    • konnatal übertragene Fälle: extrem selten.

Diagnostik

Kultureller Nachweis (nur in Speziallaboratorien): vor allem im Frühstadium aus Hautbiopsien aus dem Bereich des Erythema migrans, Liquor, Punktaten und selten auch aus Blut. Das sehr aufwendige, bis zu 5-wöchige Verfahren erfordert ein flüssiges Spezialmedium. Der PCR-Nachweis aus Punktaten und Liquor hat daher an Bedeutung gewonnen.

Im klinischen Alltag wird die Diagnose aufgrund Anamnese, klinischen Befundes und (mit Ausnahme des Erythema migrans) serologischen Nachweises von Antikörpern (ELISA-Test als Suchtest, Westernblot als Bestätigungstest) gestellt. Im Frühstadium sind oft nur IgM-Antikörper, nach einer Krankheitsdauer von > 1 Monat meist IgG-Antikörper nachweisbar. Besonders schwierig ist die serologische Diagnostik der Neuroborreliose. Hier ist die autochthone intrathekale Antikörper-Produktion von Bedeutung. Wegen möglicher Kreuzreaktionen muss bei positiver Borrelienserologie der TPHA bzw. TPPA (s. o.) durchgeführt werden. Signifikant erhöhte IgG-Titer können noch Monate bis Jahre nach Abklingen der Erkrankung vorhanden sein, aber auch ohne manifeste Erkrankung ist bei Exponierten eine Serokonversion möglich. Die Lyme-Arthritis aufgrund uncharakteristischer Gelenkbeschwerden und IgG-Nachweis wird sicher viel zu häufig diagnostiziert.

Therapie

Möglichst frühzeitiger Behandlungsbeginn und ausreichende Behandlungsdauer! Im Frühstadium orale Gabe von Doxycyclin oder Amoxycillin (bei Kindern) über 14–21 Tage, bei Unverträglichkeit oder Allergie Cefuroxim-Axetil oder Makrolide. In späteren Stadien, v. a. bei neurologischer Symptomatik parenterale Gabe von Ceftriaxon (1 × 2 g i.v. für 14–28 Tage). Bei Lyme-Arthritis und -Karditis kommen orale oder parenterale Therapieregime (30–60 Tage) zum Einsatz.

Prophylaxe Es existiert keine Impfung. Schutz vor Zeckenexposition, z. B. durch entsprechende Kleidung oder durch Repellentien. Die prophylaktische Antibiotikagabe nach Zeckenbiss wird nicht empfohlen, da der Anteil manifester Erkrankungen nach Zeckenbiss sehr gering ist.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: durch Zecken übertragene Infektion mit Borrelia burgdorferi

  • Wichtigstes Symptom: Erythema migrans (Stadium I) und Meningoradikulitis (Stadium II)

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Antikörper-Nachweis in Serum und Liquor

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: stadienabhängig Doxycyclin oder Ceftriaxon

Rückfallfieber

Ätiologie und Epidemiologie Durch Arthropoden übertragene und durch Borrelien ausgelöste Infektionskrankheit mit rezidivierenden Fieberattacken, die weltweit auftritt. Man unterscheidet 2 Formen:

  • epidemisches Rückfallfieber: durch Läuse übertragen, verursacht von Borrelia recurrentis; typische Erkrankung der Notzeiten in Ländern mit kühlem oder gemäßigtem Klima

  • endemisches Rückfallfieber: durch Zecken der Gattung Ornithodorus übertragen, verursacht von verschiedenen Borrelienarten.

Pathogenese Nach Eindringen durch die intakte Haut gelangen die Erreger auf dem Blut- und Lymphweg in verschiedene parenchymatöse Organe, wo sie mehrere von Fieberattacken begleitete Vermehrungszyklen durchlaufen. Genaue Patho- und Immunmechanismen sind ungeklärt.

Symptome

Nach einer Inkubationszeit von 4–12 Tagen beginnen beide Formen akut mit hohem Fieber, Schüttelfrost, heftigen Kopf- und Gliederschmerzen und Lethargie. Hepatosplenomegalie, Subikterus und petechiale Hautblutungen als Zeichen einer hämorrhagischen Diathese sind weitere Symptome. Nach ca. 5 Tagen, beim endemischen Rückfallfieber früher, kommt es zum kritischen Temperaturabfall. Nach einem fieberfreien Intervall (7–9 Tage) treten Fieberrezidive auf mit abnehmender Dauer und Intensität. Allgemeines Krankheitsgefühl mit Kopf-, Muskel- und Gliederschmerzen und zum Teil abdominellen Beschwerden während der Fieberattacken. Die Letalität des endemischen Rückfallfiebers beträgt beim Unbehandelten bis zu 5%, die des epidemischen Rückfallfiebers bis zu 40%.

Diagnostik

Nachweis der Borrelien im Blut zu Beginn der Fieberattacken in der Dunkelfeldmikroskopie oder im Giemsa-gefärbten Blutausstrich.

Therapie

Gabe von Tetrazyklinen oder Erythromycin.

13.9.22. Leptospirose

Synonym: Morbus Weil

Praxisfall

Nach mehrfachem Bad in einem Nebenarm des Mains erkrankt ein 36-Jähriger mit heftigen Kopf- und Gliederschmerzen, Fieberanstieg auf 40 °C und schwerem Krankheitsgefühl. Im Uferbereich waren ihm Ratten aufgefallen. Nach 3 Tagen bemerkt er dunkelgefärbten Urin und hellen Stuhl. In der Klinik zeigt sich akutes oligurisches Nierenversagen. GOT, GPT und alkalische Phosphatase sind leicht erhöht, das Bilirubin ist mit 5,4 mg/100 ml deutlich erhöht. Unter der Verdachtsdiagnose Leptospirose wird eine Therapie mit hochdosiertem Penicillin G begonnen. Die Diagnose wird serologisch mit der Komplementbindungsreaktion auf Leptospirose mit einem Titeranstieg von 1:8 auf 1:32 bestätigt. Nach vorübergehender Dialysepflichtigkeit bessert sich nach 1 Woche langsam die Nierenfunktion, der Ikterus geht zurück, 18 Tage nach Beginn der Erkrankung wird der Patient entlassen.

Definition Die zur Familie der Spirochäten gehörige Gattung Leptospira wird in 17 Spezies unterteilt, nur einige davon sind humanpathogen (z. B. L. interrogans). Die Leptospirose ist eine weltweit verbreitete Anthropozoonose, die durch Leptospira interrogans verursacht wird. Innerhalb dieser Spezies gibt es viele verschiedene Serovare, allerdings ohne taxonomische Bedeutung. Die wichtigsten sind L. icterohaemorrhagica, L. canicola und L. grippotyphosa. Den einzelnen Serovaren lässt sich keine typische klinische Verlaufsform zuordnen. 2005 wurden in Deutschland 57 Leptospirose-Fälle gemeldet.

Epidemiologie Erregerreservoir aller pathogenen Leptospiren sind warmblütige Tiere, die die Erreger mit dem Urin ausscheiden. Wichtige Überträger sind Nagetieren (Mäuse, Ratten). Die Übertragung erfolgt durch direkten Kontakt mit infizierten Tieren, häufiger aber auch durch indirekten Kontakt mit durch tierischen Urin verseuchtem Wasser (stehende Gewässer!) oder Erdboden über kleine Haut- bzw. Schleimhautdefekte. Leptospiren sind in warmem Gewässer oder, wenn sie durch Düngung mit Tierkot oder Tierurin in den Boden gelangen, längere Zeit überlebensfähig. Bei beruflicher Exposition (Landwirte, Kanalreiniger, Tierpfleger) stellt die Leptospirose eine Berufskrankheit dar.

Symptome

Ikterische Verlaufsform, Morbus Weil Zweiphasiger, schwerer Krankheitsverlauf:

  • 1. Stadium (3–8 Tage): akuter Beginn nach Inkubationszeit von 5–14 Tagen mit hohem Fieber, Schüttelfrost, heftigen Muskelschmerzen v. a. in den Waden, Arthralgien, Kopfschmerzen, Konjunktivitis und Episkleritis. Evtl. Husten, Bauchschmerzen und Übelkeit. Gelegentlich flüchtiges, makulopapulöses, prätibiales Exanthem gegen Ende der 1. Woche; Erreger in Blut und Liquor (Leptospirämie) nachweisbar

  • 2. Stadium (Organmanifestation): Beginn mit erneutem Fieber, sehr häufig verbunden mit Meningismus nach kurzem afebrilem Intervall. Unterschiedliche Organe betroffen, am häufigsten Leber, Niere, Gefäße und Meningen, symptomatisch resultieren intrahepatischer Ikterus, Hepatosplenomegalie, Nephritis mit Nierenversagen, Blutungen und typischerweise seröse Meningitis mit lymphozytärer Pleozytose. Die schwerste Verlaufsform (Morbus Weil) ist gekennzeichnet durch Leber- und Nierenversagen, hämorrhagische Pneumonie und septischen Schock, die Letalität liegt hier bei bis zu 40%.

Anikterische Leptospirose Wesentlich häufiger. Abrupter Beginn und Multiorganbeteiligung fehlen, vordergründig ist die uncharakteristische grippale Symptomatik.

Diagnostik

Die klinische Diagnose ist nur bei schwerem ikterischen Verlauf möglich, von einer hohen Dunkelziffer nicht diagnostizierter leichterer Leptospirosefälle ist auszugehen. In der 1. Krankheitswoche ist die kulturelle Erregerdiagnose aus Blut oder Liquor (Leptospirämie) möglich, aber methodisch sehr schwierig und langwierig. Die serologische Diagnose durch indirekten Hämagglutinationshemmtest und Bestätigung durch Komplementbindungsreaktion ist erst 2–3 Wochen nach Krankheitsbeginn möglich. PCR-basierte Methoden mit Serum, Liquor und Urin stehen als Alternative zur Verfügung.

Therapie

Die antibiotische Therapie hat nur bei frühem Beginn Einfluss auf den Krankheitsverlauf. Mittel der Wahl ist Penicillin G, alternativ Ceftriaxon. Bei schweren Verläufen intensivmedizinische Maßnahmen, bei milden Verläufen orale Behandlung mit Doxycyclin.

Prophylaxe Eine aktive Immunisierung mit Totimpfstoffen ist prinzipiell möglich, wird aber nur in Ausnahmen bei besonders exponierten Personen vorgenommen.

Bekämpfung von Nagerbeständen. Tragen von Gummistiefeln, Handschuhen und anderer Schutzkleidung bei hohem Expositionsrisiko. Vermeiden sollte man das Baden oder Schwimmen in stehenden Oberflächengewässern, v. a. in Naturgebieten mit hohem Vorkommen von Nagetieren.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Häufigste Ursache: Infektion mit Leptospiren durch direkten Kontakt mit erkrankten Tieren oder indirekten Kontakt mit deren Urin

  • Wichtigste Symptome: plötzlicher Beginn mit hohem Fieber, später Auftreten von Ikterus, Nierenversagen und Blutungen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Antikörper-Nachweis im Serum, PCR-Diagnostik

  • Wichtigste therapeutische Maßnahmen: frühzeitige Gabe von Penicillin G, sonst symptomatisch

13.9.23. Erkrankungen durch Mykoplasmen

Definition Mykoplasmen sind Prokaryonten, die sich von „normalen“ Bakterien v. a. allem durch fehlende Zellwand und ein kleineres Genom unterscheiden. Sie leben als extrazelluläre Parasiten auf den Schleimhäuten eines Wirtsorganismus. Medizinisch bedeutsam sind M. pneumoniae, M. hominis und M. genitalium aus der Gattung Mycoplasma und die Spezies U. urealyticum aus der Gattung Ureaplasma. Der kulturelle Nachweis erfordert spezielle Kulturmedien; die Gram-Färbung ist wegen der fehlenden Zellwand nicht möglich.

Mycoplasma pneumoniae gehört zu den Erregern der sog. atypischen Pneumonie und von Infektionen des oberen Respirationstrakts. M. hominis, M. genitalium und Ureaplasma urealyticum gehören zur normalen Urogenitalflora. Eine Rolle als Erreger von Urogenitalinfektionen ist nur für M. genitalium gesichert.

Erkrankungen des Respirationstrakts

Epidemiologie M. pneumoniae ist weltweit verbreitet, Reservoir ist nur der Mensch. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion. Bedingt durch die Empfindlichkeit des Erregers und die geringe Infektiosität ist meist ein enger Kontakt notwendig, die Infektion breitet sich daher am häufigsten in der Familie, in Kindergärten usw. als Kleinepidemie aus. Der Erkrankungsgipfel liegt bei 5–20 Jahren. Der Anteil von M. pneumoniae unter den Erregern ambulant erworbener Pneumonien beträgt altersabhängig 5–15%.

Pathogenese M. pneumoniae besitzt eine besondere Affinität zum Epithel des Respirationstraktes. Die auf der Epithelzelloberfläche haftenden Mykoplasmen zerstören den Ziliarapparat und im weiteren Verlauf die Epithelzellen. Es kommt zum peribronchialen entzündlichen Infiltrat, überwiegend zusammengesetzt aus Lymphozyten und Plasmazellen.

Symptome

Klassische Manifestation ist die interstitielle Pneumonie. Nach einer Inkubationszeit von 12–20 Tagen Beginn mit Fieber (selten > 38,5 °C), allgemeiner Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen und einem hartnäckigen trockenen Husten, meist ohne starke Sekretproduktion. Die Intensität der Beschwerden nimmt langsam zu, vordergründig sind heftige Hustenattacken. Meist ist die Infektion aber als Pharyngitis oder Bronchitis auf den oberen Respirationstrakt beschränkt.

Diagnostik

Typisch für diese Pneumonie ist die Diskrepanz zwischen relativ milder Symptomatik („walking pneumonia“) mit häufig fehlendem Auskultationsbefund und dem oft ausgeprägten Röntgenthoraxbefund (Abb. 13.76 ) mit meist einseitiger, segmental begrenzter, diffuser Bronchopneumonie mit interstitieller Komponente („milchglasartige“ oder „schleierförmige“ Trübung). In ca. 25% werden kleinere Pleuraergüsse nachgewiesen. Laborchemisch liegt meist nur geringe Leukozytose vor, häufig sind Kälteagglutinine nachweisbar.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000

Ausgeprägte interstitielle Pneumonie mit fleckförmigen alveolären Infiltraten. Differentialdiagnostisch kommen u. a. Legionellose, Mykoplasmenpneumonie, Chlamydienpneumonie oder Q-Fieber-Pneumonie in Frage.

Die kulturelle Anzucht aus Rachenabstrich, Sputum oder Bronchialsekret auf speziellen Nährmedien ist möglich, aber sehr aufwendig und langwierig. Der molekularbiologische Nachweis von Mykoplasmen-DNA aus Rachenabstrich oder Sputum ist wenig standardisiert. Für die Routinediagnostik haben daher serologische Nachweisverfahren größere Bedeutung. Als Suchtest wird die passive Hämagglutination verwendet, zur Bestätigung der Nachweis von IgM- und IgG-Antikörpern mittels ELISA. Letzterer gelingt meist erst ab Beginn der 2. Krankheitswoche.

Differentialdiagnose Andere atypische Pneumonien: Viruspneumonie, Chlamydienpneumonien (Ornithose, C.-pneumoniae-Pneumonie) und Q-Fieber-Pneumonie.

Therapie

Da die Zellwand fehlt, sind β-Lactam-Antibiotika nicht wirksam. Gute Wirksamkeit zeigen Tetrazykline, Makrolide, Ketolide und Chinolone. Therapie der Wahl bei M.-pneumoniae-Infektionen ist Doxycyclin für 7–14 Tage oder, v. a. bei Kindern, Makrolide (z. B. Erythromycin oder Azithromycin). Nach durchgemachter Infektion besteht ca. ab dem 5. Lebensjahr begrenzte Immunität. Reinfektionen sind aber möglich, eine Impfprophylaxe gibt es nicht.

Verlauf und Prognose Meist gutartiger und selbstlimitierender Krankheitsverlauf. Die Letalität liegt bei 1%. Atelektasen und Pleuraergüsse können auch bei milderen Verläufen auftreten. Schwer verlaufende Pneumonien mit respiratorischer Insuffizienz sind sehr selten. Einige extrapulmonale Komplikationen wurden im Zusammenhang mit M.-pneumoniae-Infektion beschrieben: Erythema exsudativum multiforme (Stevens-Johnson-Syndrom), hämatologische Komplikationen (hämolytische Anämie und thrombozytopenische Purpura, Kälteagglutinationskrankheit), neurologische Komplikationen (Enzephalitis, Meningitis, Polyneuritis, Guillain-Barré-Syndrom, Psychose), kardiale Komplikationen (Perikarditis, Myokarditis), Arthralgien und Arthritis. Deren ätiologische Bedeutung ist nicht geklärt, da ein ortsspezifischer Erregernachweis selten geführt werden konnte.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Wichtigste Ursache: Infektion mit Mycoplasma pneumoniae, Übertragung durch Tröpfcheninfektion

  • Wichtigstes Symptom: hartnäckiger trockener Husten, Nachweis der Pneumonie im Röntgenbild

  • Wichtigste diagnostische Maßnahme: Antikörper-Nachweis im Serum

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: Doxycyclin, Makrolide oder Chinolone

Erkrankungen des Urogenitaltrakts

M. hominis, M. genitalium und Ureaplasma urealyticum sind fakultativ pathogene Mykoplasmen, die häufig den Urogenitaltrakt besiedeln. Ihre ätiologische Bedeutung als Erreger von Infektionen des Genitaltrakts ist daher umstritten. Nur M. genitalium ist etablierter Erreger der unspezifischen, nicht-gonorrhoischen Urethritis. Es gibt ferner Hinweise, dass U. urealyticum selten Epididymitis verursacht, evtl. auch eine unspezifische, nicht-gonorrhoische Urethritis, jedoch keine Rolle bei der Prostatitis spielt. Im weiblichen Genitaltrakt wurden M. hominis und U. urealyticum bei bakterieller Vaginose und bei Zervizitis, Endometritis, Salpingitis und Tuboovarialabszess isoliert, meist aber gemeinsam mit anderen potenziell pathogenen Mikroorganismen. Diese Mykoplasmenspezies wurden auch mit Fehl- und Frühgeburten in Zusammenhang gebracht. Sie können offenbar durch peripartale Infektion bei Früh- und Neugeborenen systemische Infektionen, v. a. Pneumonie und Meningitis verursachen.

Weitere seltene Manifestationen von M.-hominis-Infektionen sind Gelenk- und Wundinfektionen, Osteomyelitis und Hirnabszess, teils mit begleitender Bakteriämie. Betroffen sind v. a. Immunsupprimierte. M. hominis wurde vereinzelt bei Sternumwundinfektionen nach Herztransplantation nachgewiesen.

Diagnostik

Anzucht auf künstlichen Nährböden, die Erregerdiagnose ist meist innerhalb von 4 Tagen möglich. Entscheidend bei primär nicht sterilen Materialien ist aber nicht der qualitative Nachweis, sondern die Keimzahl. Ab Keimzahlen von > 104/ml Sekret ist die ätiologische Bedeutung bei entsprechender Klinik wahrscheinlich. Serologische Nachweisverfahren spielen keine Rolle.

Therapie

Chemotherapie der Wahl ist Doxycyclin; von Vorteil ist, dass dieses auch gegen Chlamydien wirken. Bei nachgewiesener U.-urealyticum-Infektion kann auch ein Makrolid eingesetzt werden, nicht aber bei M.-hominis-Infektionen. Auch hier sind die modernen Chinolone im Erwachsenenalter gute Alternativen. Auch eine Partnerbehandlung muss durchgeführt werden, da die Infektion fast nur durch sexuellen Kontakt übertragen wird und daher Reinfektionen möglich sind.

13.9.24. Erkrankungen durch Chlamydien

Definition Chlamydien haben einen unvollständigen Apparat für den Energiestoffwechsel und sind daher obligat intrazellulär wachsende Bakterien, deren Zellwand gramnegativ reagiert. Sie werden ohne Zwischenwirt von Mensch zu Mensch oder von Tier zu Mensch übertragen. Die infektiöse Form ist das Elementarkörperchen. Nach Aufnahme durch Phagozytose in die Wirtszelle durchlaufen Chlamydien einen Zyklus, der mit der Exozytose oder Ruptur der Wirtszelle endet, wobei wieder neue Elementarkörperchen in den Extrazellularraum gelangen. Man unterscheidet die Spezies C. psittaci, C. trachomatis und C. pneumoniae. C. trachomatis kann in zahlreiche Serovare unterteilt werden.

Ornithose

Synonym: Papageienkrankheit, Psittakose

Epidemiologie Weltweit verbreitete, durch C. psittaci verursachte Zoonose. Die Erreger werden im Kot und in anderen Sekreten von infizierten frei fliegenden Vögeln unterschiedlichster Arten z. T. jahrelang ausgeschieden und vom Menschen mit dem Staub eingeatmet.

Pathogenese Ornithose ist eine systemische, zweiphasig verlaufende Erkrankung. Nach Inhalation folgt die Invasion über den Respirationstrakt, von dort aus gelangen die Chlamydien hämatogen in die retikuloendothelialen Zellen von Leber und Milz, wo die Vermehrung stattfindet. Danach erfolgt die Organmanifestation mit bevorzugtem Befall der Lunge.

Klinische Bilder

Variable Intensität. Nach Inkubationszeit (1–3 Wochen) Beginn mit plötzlich auftretendem Schüttelfrost, hohem Fieber, allgemeinem Krankheitsgefühl und starkem, diffusem Kopfschmerz; häufig auch Muskel- und Gelenkschmerzen. Im Verlauf entwickelt sich meist ein nichtproduktiver hartnäckiger Husten. Selten Blutbeimengungen in einem stark mukösen Sputum. Vereinzelt sind auch andere Organe (Leber, Milz, ZNS) betroffen.

Diagnostik

Wichtig für die Verdachtsdiagnose ist die Kombination aus Pneumonie und Hepatosplenomegalie. Es

imponiert die Diskrepanz zwischen Auskultationsbefund und Röntgen-Thoraxbild mit fleckförmig über mehreren Lungenabschnitten alveolären und interstitiellen Infiltraten, die z. T. konfluieren können. Unauffällige laborchemische Befunde mit Ausnahme einer diskreten Leukopenie bzw. Leukozytose. In der Akutphase tritt meist eine Proteinurie auf, im Serum ist eine leichte Erhöhung der Leberenzyme feststellbar. Der zellkulturelle Erregernachweis ist Speziallaboratorien vorbehalten. Die routinemäßige Absicherung erfolgt serologisch oder molekularbiologisch (PCR aus Bronchialsekret).

Andere Organmanifestationen (Endokarditis) sind sehr selten.

Therapie

Tetrazykline (Doxycyclin) für mind. 2–3 Wochen. Alternativ Chinolone beim Erwachsenen und Makrolide bei Kindern.

Prophylaxe Es gibt keine Impfung. Die Erkrankung hinterlässt nur teilweise und zeitlich begrenzte Immunität.

Hygienische Maßnahmen, z. B. veterinärpolizeiliche Begrenzung von Erregerreservoiren, v. a. im urbanen Bereich (Tauben!). Eine völlige Sanierung ist nicht möglich (Vögel!).

Verlauf und Prognose Bei richtiger Antibiotikatherapie sehr gute Prognose, verglichen mit einer Letalitätsquote von 20 bis 40% in der Vor-Antibiotika-Ära.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Infektion mit C. psittaci über erregerhaltigen Vogelkot

  • Wichtigste Symptome: plötzlich einsetzendes Fieber mit Schüttelfrost, starken Kopfschmerzen; hartnäckiger trockener Husten

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Anamnese, Röntgenthorax, Antikörpertiter in KBR

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: Tetrazykline, alternativ Erythromycin oder Chinolone

Erkrankungen durch Chlamydophila pneumoniae

Die neu etablierte Spezies C. pneumoniae kann Infektionen des Respirationstraktes verursachen bis zum Vollbild einer primär atypischen Pneumonie.

Im Gegensatz zu C. psittaci ist der Mensch einziges Erregerreservoir. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion. Der Erreger kommt weltweit vor, nach seroepidemiologischen Untersuchungen liegt die Durchseuchung bei 40–70% der Erwachsenen. Die Pathogenese ist noch weitgehend ungeklärt.

Diagnostik

Zellkultur, PCR-Verfahren und Serologie. Allein der Mikroimmunfluoreszenztest ist hier C.-pneumoniae-spezifisch.

Therapie

Wie bei Ornithose. Die mögliche ätiopathogenetische Bedeutung von C. pneumoniae bei der Entstehung arteriosklerotischer Gefäßerkrankungen und Folgekrankheiten wie z. B. KHK und Herzinfarkt wird kontrovers diskutiert. Eine Rolle in der Kopathogenese (Entzündung!) erscheint möglich, eine monospezifische Bedeutung sehr unwahrscheinlich. Auf jeden Fall rechtfertigt die bisher vorliegende Studienevidenz keine spezifischen therapeutischen Konsequenzen (Antibiotikatherapie).

Okulogenitale Infekte

Die Serovare L1–L3 von C. trachomatis sind für die klassische Geschlechtskrankheit Lymphogranuloma venereum verantwortlich mit Manifestation im Genitalbereich und den benachbarten Lymphknoten.

Die Serovare A–C von C. trachomatis, die weltweit aber vorrangig in warmen Gebieten vorkommen, verursachen die in Stadien fortschreitende Keratokonjunktivitis, das Trachom, die häufigste Einzelursache für Blindheit weltweit.

Natürliche Habitate der Serovare D–K von C. trachomatis sind die Zervix die Frau und die Urethra des Mannes. Infektionen erfolgen daher stets von dort aus, perinatal oder durch Geschlechtsverkehr.

Klinische Bilder

Krankheitsbilder bei Infektionen mit den Serovaren D–K sind v. a. Infektionen des Genitaltrakts: beim Mann nichtgonorrhoische und postgonorrhoische Urethritis. Symptome sind Dysurie, Urethralschmerzen und -ausfluss. Komplizierend kann eine Prostatitis bzw. Epididymitis hinzukommen.

Bei der Frau verlaufen Infektionen oft symptomlos bzw. als Urethral- oder Dysuriesyndrom, mehr durch Unpässlichkeit denn als richtige Krankheit gekennzeichnet. Daraus kann eine Adnexitis bis zum Tuboovarialabszess entstehen. Ausgehend von ersterer kann sich eine Perihepatitis (Fitz-Hugh-Curtis-Syndrom) entwickeln mit entsprechender Oberbauchsymptomatik. Als Folge der Adnexitis kann es durch Verwachsungen zum Tubenverschluss mit Sterilität bzw. zur Extrauteringravidität kommen. Nach perinataler Infektion kann es zur typischen Chlamydienerkrankung des Neugeborenen kommen, der sog. Einschluss(körperchen)konjunktivitis. Die entsprechende Erkrankung des Erwachsenen (Schwimmbadkonjunktivitis) ist heute viel seltener (Chlordesinfektion der Schwimmbäder).

Bei schwer Immunsupprimierten ist eine C.-trachomatis-Pneumonie möglich.

Als Komplikation nach einer C.-trachomatis-Infektion gilt eine reaktive Arthritis bei bevorzugter Betroffenheit von HLA-B27-Trägern.

Diagnostik

Molekularbiologisch.

Therapie

Chemotherapie bei Erwachsenen mit Tetrazyklinen oder Chinolonen (evtl. Partnerbehandlung!), bei Kindern mit Makroliden.

13.9.25. Erkrankungen durch Coxiellen, Rickettsien und Ehrlichien

Synonym: Rickettsiosen

Definition Rickettsia species sind kokkoide gramnegative Stäbchenbakterien. Die bis vor kurzem auch hierzu gerechneten Coxiella species werden aufgrund neuer molekulargenetischer Untersuchungen heute mit den Legionellen in einer eigenen Ordnung geführt. Dies gilt auch für die Ehrlichia species, die mit 2 anderen Gattungen die Familie Anaplasmatacea bilden, und deren Zellwand kein Lipopolysaccharid und Peptitglykan, sondern Cholesterin enthält. Alle haben einen obligat intrazellulären Lebenszyklus und werden mit Ausnahme von Coxiella bumetii durch Arthropoden übertragen.

Q-Fieber

Epidemiologie Erreger ist Coxiella burnetii. Reservoir sind symptomlos erkrankte Haustiere (v. a. Rinder, Schafe, Ziegen), die den Erreger mit Kot, Urin, Milch und anderen Exkreten und auch durch Aborte ausscheiden. In diesen Materialien bleibt C. burnetii auch in getrocknetem Zustand über Monate infektiös. Zur Infektion kommt es durch Einatmen erregerhaltigen Staubs, ein direkter Kontakt zu Tieren ist nicht notwendig. Das Q-Fieber tritt weltweit auf; es verläuft als systemische Infektion.

Klinische Bilder

Plötzlicher Beginn nach Inkubationszeit (ca. 20 Tage) mit schweren Kopfschmerzen, häufig retrobulbär, sehr hohem Fieber, Schüttelfrost und Muskelschmerzen.

Wichtigste Organmanifestation ist eine atypische Pneumonie. Monate bis Jahre nach primärer Infektion mit C. burnetii kann auch eine Endokarditis manifest werden mit Fieber, Abgeschlagenheit, Luftnot, Herzgeräuschen und rezidivierenden Thrombembolien. Eine zugleich bestehende Hepatomegalie und das Vorkommen einer thrombozytopenischen Purpura grenzen die Q-Fieber-Endokarditis gegenüber anderen bakteriellen Endokarditiden ab. Ist die Leber betroffen, kann eine Hepatitis imponieren.

Diagnostik

Unter Routinebedingungen serologisch. Auch ein molekularbiologischer Nachweis (PCR) ist möglich.

Differentialdiagnose Bei akutem systemischem Verlauf mit Multiorganbeteiligung kommen andere zyklische Allgemeininfektionen (Influenza, Brucellose, Leptospirose, Typhus) in Frage. In der Differentialdiagnose der atypischen Pneumonie spielen Mykoplasmenpneumonie, Ornithose und Legionellose die wichtigste Rolle, bei der Endokarditis andere Formen der sog. kulturnegativen Endokarditis.

Therapie

Tetrazykline sind hochwirksam, alternativ Chloramphenicol und Chinolone. Bei Q-Fieber-Endokarditis kann eine lang dauernde Therapie mit Tetrazyklinen, evtl. kombiniert mit Rifampicin, erforderlich sein, vereinzelt auch der operative Klappenersatz.

Prognose Mit Ausnahme der Endokarditis fast immer gut.

Die Erkrankung hinterlässt eine länger dauernde Immunität. Da eine Übertragung von Mensch zu Mensch sehr selten ist, ist keine Isolierung erforderlich. Erkrankung und Tod des Q-Fiebers sind meldepflichtig (s. IFSG nach § 6 Abs. 1 Nr. 1).

ZUSAMMENFASSUNG

  • Ursache: Inhalation von Coxiella-burnetii-haltigem Staub (aus tierischem Kot)

  • Wichtigste Symptome: plötzlicher Beginn mit hohem Fieber, schweren, retrobulbären Kopfschmerzen, Muskelschmerzen

  • Wichtigste diagnostische Maßnahmen: Serologie, PCR

  • Wichtigste therapeutische Maßnahme: Tetrazyklin, Chinolon

Fleckfieber

Erreger ist Rickettsia prowazekii, das durch die Kleiderlaus von Mensch zu Mensch übertragen wird. Das Auftreten ist daher an das Vorhandensein der Kleiderlaus gebunden, d.h., eine Verbreitung findet nur bei sehr engem Zusammenleben unter ungünstigen Bedingungen (z. B. Krieg) statt. Daher kommt die Erkrankung bei uns fast nicht mehr autochthon vor.

Klinische Bilder

Zyklische Allgemeininfektion. Nach Inkubationszeit (10–14 Tage) plötzlicher Beginn mit Fieber, Schüttelfrost, Kopf-, Muskel-, Gelenk- und Gliederschmerzen. Das Fieber bleibt für viele Tage kontinuierlich hoch, z. T. bei 40 °C. Nach 4–7 Tagen charakteristisches makulopapulöses Exanthem, das sich vom Stamm her schnell auf die Extremitäten ausbreitet, Kopf und Hände und Füße bleiben ausgespart; zudem zerebrale Symptome (Somnolenz, Stupor). Bei unbehandeltem Fleckfieber sind Kreislauf- und Nierenversagen häufigste Todesursachen (Letalität ca. 50%). Eine besondere Verlaufsform ist die Brill-Zinsser-Krankheit, die bei schon einmal an Fleckfieber erkrankten Menschen mit nachgelassener Immunität auftreten kann. Im Körper persistierende Rickettsien führen dann erneut zur generalisierten Infektion. Der klinische Verlauf dieser Zweiterkrankung ist meist sehr mild.

Diagnostik

Serologisch (Immunfluoreszenz, ELISA).

Therapie

Gabe von Tetrazyklinen, v. a. Doxycyclin. Entscheidend sind die Prävention durch Beseitigung der Kleiderläuse und die generelle Verbesserung der hygienischen Verhältnisse.

Eine klinisch dem epidemischen Fleckfieber ähnliche Erkrankung ist das sog. murine endemische Fleckfieber, verursacht durch R. typhi, dessen natürliches Reservoir die Ratte ist und das von dort durch Rattenflöhe auf den Menschen übertragen wird. Infektionen mit beiden Rickettsien hinterlassen lang andauernde Kreuzimmunität.

Andere Rickettsiosen

Eine Gruppe von Rickettsien, als bedeutendste R. rickettsii, die durch Zecken übertragen werden, verursacht das Zeckenbissfieber. Wichtigstes Zeckenbissfieber ist das „Rocky Mountain Spotted Fever“, das auf dem amerikanischen Kontinent auftritt. Der Krankheitsverlauf ähnelt dem des epidemischen Fleckfiebers, auch hier ist unbehandelt die Letalität sehr hoch.

R. tsutsugamushi ist Erreger des gleichnamigen Fiebers, auch Milbenfleckfieber oder Buschfieber genannt. Überträger sind Milben, Erregerreservoir ist die Feldmaus.

Eine weitere, meist gutartig verlaufende Rickettsiose sind die Rickettsienpocken, hervorgerufen durch R. akari. Sie werden ebenfalls durch Milben von der Hausmaus auf den Menschen übertragen. Klinisch imponiert ein makulopapulöses Exanthem (windpockenähnlich).

Ehrlichiosen

Ehrlichien sind pleomorphe Bakterien, die durch Zecken übertragen werden. Sie vermehren sich nach Phagozytose durch die Wirtszelle (Granulozyten, Monozyten, Makrophagen) in kleinen Vakuolen (Morulae). Der genaue Entwicklungszyklus ist nur teilweise bekannt. E. chaffeensis als einzige definierte Spezies kommt in Makrophagen aller Organe vor und führt dort zu Nekrosen, perivaskulärer Lymphohistiozytose und Granulomen.

Klinische Bilder

Systemische Erkrankung mit grippeähnlicher Symptomatik, gehäuft im höheren Lebensalter mit einer Letalität von 2–3%. In Mitteleuropa (bisher!) selten. Wichtige Komplikationen sind Meningoenzephalitis, ARDS und Schock.

Diagnostik

PCR-Verfahren und serologische Tests. An mögliche Doppelinfektionen denken (Borreliose, FSME; Zecken!).

Therapie

Tetrazykline, vor allem Doxycyclin, und Rifampicin.

13.9.26. Erkrankungen durch Bartonellen

Bartonellen sind gramnegative pleomorphe Stäbchenbakterien, die früher z. T. als Gattung Rochalimaea in der Familie Rickettsiaceae geführt wurden. Sie werden heute in einer eigenständigen Familie (Bartonellaceae) als Gattung Bartonella eingeordnet. Im Gegensatz zu den klassischen Rickettsien (s. o.) können sie auf Spezialmedien in etwa 1 Woche kulturell angezüchtet werden. Die Pathogenese von Bartonella-Infektionen ist noch weitgehend unbekannt.

Klinische Bilder

Die Spezies B. quintana verursacht das Wolhynische Fieber oder „Fünftagefieber“, eine gutartige selbstlimitierende Erkrankung, klinisch charakterisiert durch periodische Fieberschübe. Übertragung durch die Kleiderlaus. B. bacilliformis ist Erreger des Oroyafiebers, das bisher nur in den Kordilleren in Südamerika beobachtet wurde.

B. henselae kommt auch bei uns häufig vor. Wichtigster natürlicher Wirt ist die Katze (meist nicht erkrankt!), die Übertragung erfolgt direkt oder durch den Katzenfloh auf den Menschen. Wichtigste klinische Manifestation ist die Katzenkratzkrankheit oder Fellinose. Sie ist klinisch charakterisiert durch Fieber, Lymphadenopathie (!) und kutane Läsion (nicht obligat). Untersuchungen deuten an, dass eine substantielle Durchseuchung der Bevölkerung vorliegt, evtl. abhängig von häufigen Kontakten mit Hauskatzen.

Eine seltene, aber gefährliche Manifestation ist die Neuroretinitis mit akutem mono- oder bilateralem Visusverlust mit Papillitis, retinaler Vaskulitis und/oder Makulaödem.

Eine weitere wichtige Manifestation ist die bazilläre Angiomatose mit Sepsis, die nur bei Immundefekten (HIV!) auftritt. Charakteristisch sind generalisierte Gefäßproliferationen an Haut und Schleimhäuten, kombiniert mit septischen Zuständen.

Eine seltene Manifestation ist die bazilläre Peliosis, gekennzeichnet durch zystische, mit Blut gefüllte Läsionen in Leber und Milz.

Diagnostik

Mikrobiologisch durch mikroskopischen und kulturellen Erregernachweis im Spezialverfahren. Wichtiger sind Immunfluoreszenz- und ELISA-Verfahren und auch die PCR.

Therapie

Tetrazykline und Makrolide.

LITERATUR

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  • Thomas C. Schattauer; Stuttgart: 1986. Infektionskolleg in Wort und Bild. [Google Scholar]

KEYWORDS

actinomycosis ♦ Aktinomykose ♦ allergic Alveolitis ♦ Anthrax ♦ antibiotic associated colitis ♦ bacillary dysentery ♦ Bartonellenerkrankungen ♦ botulism ♦ Botulismus ♦ brucellosis ♦ chlamydial diseases ♦ Cholera ♦ coagulase-negative staphylococci ♦ Diphtherie ♦ enteric E. coli infections ♦ enteric ♦ fever ♦ Enteritissalmonellose ♦ enterococci ♦ epidemic typhus ♦ Erysipeloid ♦ fakultativ pathogene Enterobacteracea ♦ gas gangrene/Edema ♦ Gonorrhoe ♦ gonorrhoea ♦ group A streptococci ♦ Haem. Influenzaerkrankungen ♦ HWI ♦ Infektionen durch Staphylokokken ♦ Infektionen durch Streptokokken ♦ Legionärskrankheit ♦ legionellosis ♦ legionnaires‘ disease ♦ ♦ leprosy ♦ Leptospirose ♦ leptospirosis ♦ Listeriose-Pneumokokken ♦ listeriosis ♦ Lyme-Borreliose-Stadien ♦ Lyme-Borreliosis ♦ Lyme disease ♦ meningococcal meningitis/sepsis ♦ Mykoplasmenübertragung ♦ nocardiosis ♦ oculo-genital infections ♦ Ornithose ♦ ornithosis ♦ Pertussis ♦ pint ♦ plague ♦ Pontiac fever ♦ pneumococci ♦ Pseudomonas ♦ psittacosis ♦ Q-Fieber ♦ relapsing ♦ fever ♦ ♦ Rickettsien ♦ rickettsial diseases ♦ salmonella foodborne disease ♦ Salmonellose ♦ Shigellose staphylococcal diseases ♦ streptococcal/enterococcal diseases ♦ swine erysipelas ♦ Syphilis ♦ Tetanus ♦ Tuberkulose ♦ tuberculosis ♦ Typhus ♦ typhoid fever ♦ Weil's disease ♦ whooping cough ♦ yaws ♦ yersiniose ♦ yersiniosis

13.10. Impfungen

13.10.1. Impfstoffe

Verfügbare Zubereitungsformen Aktivimpfstoffe enthalten Impfantigene zur Aktivierung des Immunsystems mit erregerspezifischer Immunantwort (Immunität):

  • humorale Immunantwort: durch Bestimmung spezifischer Antikörper (IgG) testbar. Bei einzelnen Impfungen sind Antikörpergrenzwerte für den optimalen Impfschutz bekannt. Jedoch kann nicht immer von Antikörperkonzentration auf effektiven, sicheren Schutz vor Infektion geschlossen werden (z. B. Varizellen).

  • zellvermittelte Immunantwort: routinemäßig schwer zu testen. T-Lymphozyten haben für die Induktion humoraler Antikörperantworten (z. B. gegen Proteinantigene) große Bedeutung und tragen zur Bildung des immunologischen Gedächtnisses (Memory-Zellen) bei. Der Effekt T-Zell-abhängiger Impfungen lässt sich z. B. durch Bestimmung der Masern-, Mumps- und Röteln-Antikörper nach MMR-Lebendimpfung abschätzen.

Bei der aktiven Immunisierung zum Aufbau eines dauerhaften Impfschutzes unterscheidet man:

  • Lebendimpfstoffe: vermehrungsfähige, attenuierte (abgeschwächte, nicht krank machende) Erreger

  • Totimpfstoffe: „abgetötete“, komplette Viruspartikel, Mikroorganismen (Vollkeim-Impfstoff) oder in mehr oder minder reiner Form immunologisch relevante Antigene des Erregers (Spalt-Impfstoff, Extrakt-Impfstoff, Toxoid-Impfstoff, Subunitvakzine). Die Antigene für Subunitvakzine werden präparativ aus den Erregern gereinigt oder gentechnisch hergestellt. Zur besseren Immunogenität werden viele Totimpfstoffe an einen Immunverstärker (Adjuvanzien, Aluminiumhydroxid oder -phosphat) adsorbiert (Adsorbatimpfstoffe).

Die passive Immunisierung beruht auf der Gabe präformierter Immunglobuline und hat wegen des Abbaus der übertragenen Antikörper eine zeitlich begrenzte Wirkungsdauer. Man unterscheidet heterologe (vom Tier, nur noch bei wenigen Erregern [z. B. Diphtherie] in Gebrauch) und homologe (vom Menschen, intravenös oder intramuskulär applizierbar) Immunglobulinpräparationen. Die heterologen (artfremden) Immunglobuline beinhalten das Risiko der Anaphylaxie bzw. Serumkrankheit (Kap. 14.1.10).

Je nach Auswahl des Spenderkollektivs erhält man polyvalentes Standardimmunglobulin (Gabe i.v. oder i.m.) mit einem Durchschnittsgehalt an spezifischen Antikörpern bei standardisiertem Immunglobulin- und Proteingehalt oder spezifisches Hyperimmunglobulin mit definiertem, garantiertem Mindestantikörpergehalt gegen einen bestimmten Erreger (z. B. Varizellen-Hyperimmunglobulin).

Durch geeignete Spenderkontrolle, Herstellungsverfahren und mehrere Inaktivierungsschritte müssen Immunglobuline für den Empfänger infektionssicher gemacht werden. Insbesondere muss die Übertragungsmöglichkeit von HIV-1 und -2, Hepatitis B und C ausgeschlossen werden. Probleme mit der Virusübertragung in Immunglobulinpräparaten gab es vor Jahren durch Kontaminationen von Spenderpools mit Hepatitis-C-Viren (Kap. 15.6.4).

Vereinzelt werden humanisierte oder humane monoklonale Antikörper auch in vitro zur Prophylaxe und Therapie von Infektionskrankheiten hergestellt. Beispiel: humanisierter Antikörper Palivizumab, zum Schutz von Frühgeborenen unter bestimmten Indikationen (z. B. chronische Lungenkrankheit) vor der Infektion mit dem Respiratory Syncytial Virus (RSV).

13.10.2. Impfstrategien

Impfindikationen und -empfehlungen hängen von folgenden Zielen ab:

  • Ausrottung eines Erregers (z. B. Pocken, aktuell: Poliomyelitis (WHO))

  • Herdenimmunität: Manche Erreger können in einer Bevölkerung nicht mehr epidemisch auftreten, wenn ein bestimmter Mindestanteil der Bevölkerung ausreichend immun ist.

  • Individualschutz.

13.10.3. Impfpolitik

Die Impfpolitik eines Landes hängt von den epidemiologischen Verhältnissen, der Verfügbarkeit von Impfstoffen und der Impfstrategie ab. In Deutschland gibt es von der Ständigen Impfkommission (STIKO) öffentliche Empfehlungen, d.h. Definitionen von Regel- oder Standardimpfungen. Eine gesetzliche Impfpflicht besteht hier nicht. Allgemein empfohlene Standardimpfungen sollen nach einem von der STIKO jährlich aktualisierten Impfplan bereits im frühen Säuglingsalter (ab dem vollendeten 2. Lebensmonat; Tab. 13.44 ) begonnen werden. Eingeschlossen sind Impfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Poliomyelitis, Pertussis, Haemophilus influenzae Typ b, Hepatitis B, Masern, Mumps und Röteln, nach den neuesten Empfehlungen (2006) auch Varizellen, Pneumokokken und Meningokokken (Serogruppe C). Bei Erwachsenen sind Auffrischimpfungen gegen Tetanus und Diphtherie in Abständen von 10 Jahren vorgesehen. Für alle Erwachsenen nach vollendetem 60. Lebensjahr wird eine Standardimpfung gegen Influenza und Pneumokokken empfohlen, aber selten umgesetzt. Für Personen ohne individuelles Risiko, wird in Deutschland z. B. bei Reisen in Länder mit endemischem Auftreten der Poliomyelitis eine routinemäßige Auffrischung der Poliomyelitisimpfung nach dem 18. Lebensjahr nicht mehr empfohlen.

Tab. 13.44

Impfkalender (Standardimpfungen) für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Empfohlenes Impfalter und Mindestabstände zwischen den Impfungen

Impfstoff/Antigen-kombinationenAlter in vollendeten Monaten
Alter in vollendeten Jahren
Geburt23411–1415–23siehe a)5–6siehe a)9–17siehe a)Ab 18≥ 60
T∗ 1. 2. 3. 4. A A A∗∗∗∗∗
D/d∗ siehe b) 1. 2. 3. 4. A A A∗∗∗∗∗
aP/ap∗ 1. 2. 3. 4. A A
Hib∗ 1. 2. c) 3. 4.
IPV∗ 1. 2. c) 3. 4. A
HB∗ d) 1. 2. c) 3. 4. G
Pneumokokken∗∗ 1. 2. 3. 4. S
Meningokokken 1.e) ab vollendetem 12. Monat
MMR∗∗∗ 1. 2.
Varizellen 1. f) s. Tab. 2 +)
Influenza∗∗∗∗ S

Bei den nach § 20 Abs. 3 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) öffentlich empfohlenen Impfungen ist eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen nicht automatisch gegeben, jedoch werden die Kosten für diese Schutzimpfungen in der Regel nach Verhandlungen über die Umsetzung der STIKO-Empfehlungen von den verschiedenen Kostenträgern übernommen (Kassenleistungen nach § 23 Abs. 9 SGB V). Bei anerkanntem Impfschaden nach einer „öffentlich empfohlenen“ Impfung werden die Kosten zur Entschädigung und Versorgung durch die Bundesländer übernommen.

Neben den Standardimpfungen (Regelimpfungen) und den zugehörigen Auffrischimpfungen gibt es Indikationsimpfungen für Risikogruppen (z. B. bei bestimmten Grunderkrankungen, individuell erhöhtem Expositions- bzw. beruflich erhöhtem Risiko). Wichtig ist die Kenntnis der Indikationen für Reiseimpfungen (z. B. Cholera, FSME, Gelbfieber, Hepatitiden A und B, Influenza, Meningokokken, Tollwut, Typhus). Die in den STIKO-Empfehlungen mit R gekennzeichneten Reiseimpfungen werden nicht von den Krankenkassen übernommen.

13.10.4. Allgemeine Indikationen und Kontraindikationen

Indikationen Bei den Regelimpfungen ist die Indikation generell gestellt. Indikationsimpfungen erfolgen zum Individualschutz prä- oder postexpositionell. Als Domäne der postexpositionellen Impfung wird üblicherweise die passive Immunisierung Empfänglicher (nicht Immuner) angesehen, z. B. Standardimmunglobulingabe nach Masernexposition bei Schwangeren, oder Hyperimmunglobulingabe nach Varizellen-Exposition bei Immunsupprimierten oder Schwangeren. Postexpositionelle aktive Impfungen (Inkubationsimpfungen) bei Immungesunden sind möglich und werden allein (z. B. Masern, Hepatitis A) oder als kombinierte Aktiv-/Passivimmunisierungen praktiziert (z. B. Tollwut, Hepatitis B, Tetanus, ggf. Hepatitis A). Die verbreitete Furcht vor Inkubationsimpfungen hat ihre Wurzeln weniger in der Immunologie als in der Sorge um Schadenersatzansprüche bei trotz Impfung schwer verlaufender bzw. nicht vermeidbarer Erkrankung.

Impfabstände Zeitliche Abstände zwischen Impfungen mit Totimpfstoffen sind nicht erforderlich. Lebendimpfungen müssen simultan oder mit 4-wöchigem Abstand verabreicht werden. Die Empfehlungen zu zeitlichen Abständen zwischen Auffrischimpfungen sind sinnvolle Richtschnur für individuelle Impfentscheidungen. Eine begonnene, aber nicht vollständig durchgeführte Grundimmunisierung kann jederzeit fortgeführt und muss nicht von neuem begonnen werden („Jede Impfung zählt.“). Zur konkreten Planung und Verschreibung von Impfungen siehe Produktinformationen der Hersteller und gültige Rote Liste (Tab. 13.45, Tab. 13.46 ).

Tab. 13.45

Passive Schutzimpfungen gegen Infektionserreger und Toxine

ErregerIndikationDosis/ApplikationSchutzdauer/Anmerkung
Passive Impfungen gegen bakterielle Erreger/Toxine mit heterologen Antiseren

Cl. botulinum Botulismus-Erkrankung 500–750 ml i.v.
Cl. perfringens Gasbrand 20–ca. 150 ml i.v.
Coryn. diphtheriae DiphtherieverdachtDiphtherie 3000 IE i.m.500–2000 IE/kg KG i.m. + i.v. Cave: Gegenwärtig ist ein in Deutschland hergestelltes Diphtherie-Antitoxin nicht verfügbar.

Passive Impfungen gegen bakterielle Erreger/Toxine mit homologen Antikörperpräparationen

Cl. tetani Nach ExpositionTetanuserkrankung 250–500 IE i.m.5000–20 000 IE i.m.

Passive Impfungen gegen Viren mit homologen Antikörperpräparationen

FSME-Virus Nach Exposition Tag 1–4 (> 14 Jahre) 0,2 ml/kg KG i.m. Hyperimmunglobulin
Hepatitis-A-Virus Vor/nach Exposition 0,02–0,06 ml/kg KG i.m. Standardimmunglobulin
Hepatitis-B-Virus Nach Exposition(anti-HBs-negativ) 0,06 ml/kg KG i.m.0,2 ml/kg KG i.v. I.m. Präparat! SimultanimpfungI.v. Präparat!
Masernvirus Nach Exposition 0,2–0,5 ml/kg KG i.m. Standardimmunglobulin
Rötelnvirus Nach Exposition (Schwangere) 0,3 ml/kg KG i.m.Ggf. + 3 ml/kg KG i.v. Hyperimmunglobulin, ggf. + Standardimmunglobulin i.v.
Tollwutvirus Nach Exposition 20 IE/kg KG i.m. Immer aktive/passive Simultanimpfung!
Varizellenvirus Nach Exposition Schwangere, Immundefiziente 0,2 ml/kg KG i.m.1 ml/kg KG i.v. Hyperimmunglobulin i.m.Hyperimmunglobulin i.v.
Zytomegalievirus Immunsupprimierte, Frühgeborene 0,2 ml/kg KG i.m.1 ml/kg KG i.v. Hyperimmunglobulin i.m. Hyperimmunglobulin i.v.

Tab. 13.46

Aktive Schutzimpfungen

ErregerIndikationDosis/ApplikationSchutzdauer/Anmerkung
Lebendimpfstoffe (aktiv) gegen Viruserkrankungen

Gelbfiebervirus Vor Exposition, Indikationsimpfung (Reise) 0,5 ml s.c. 10 Jahre, Impfstoffversand in Tiefkühlkette
Masernvirus Vor (ggf. nach) Exposition, Regelimpfung 0,5 ml s.c./i.m. Lebenslang (?)
Mumpsvirus Vor Exposition, Regelimpfung 0,5 ml s.c./i.m. Lebenslang (??)
Rötelnvirus Vor Exposition, Regelimpfung 0,5 ml s.c./i.m. 6 Jahre bis lebenslang (?)
Varizellenvirus Vor Exposition, Regelimpfung 0,5 ml s.c. (bei Erw. 2 x) Lebenslang (?)

Totimpfstoffe (aktiv) gegen bakterielle Erkrankungen

Vibrio cholerae Vor Exposition, Indikationsimpfung (Reise) 0,5/1,0 ml s.c. (2x) Relativer Schutz 3–6 Monate, Vollkeim-Impfstoff
S. typhi Vor Exposition, Indikationsimpfung (Reise) 0,5/1,0 ml s.c./i.m. Schutzdauer ca. 1–3 Jahre
Cl. tetani Vor und nach Exposition, Regelimpfung 0,5 ml i.m. (Grundimmunisierung: 4x) 10 Jahre, Toxoid-Impfstoff
Corynebacterium diphtheriae Vor und nach Exposition, Regelimpfung 0,5 ml i.m. (Grundimmunisierung: 4x) 10 Jahre, Toxoid-Impfstoff
Haemophilus influenzae Kinder > 2 Monate, < 5 Jahre, Regelimpfung 0,5 ml i.m.(Grundimmunisierung: 3x) Schutzdauer unklar, Extrakt-Impfstoff, Konjugatvakzine
N. meningitidis Vor Exposition, Indikationsimpfung (Reise), Regelimpfung im 2. Lebensjahr (Men. C) 0,5 ml s.c. Schutzdauer 3–5 Jahre, Extrakt-Impfstoff, Konjugatvakzine
Pneumokokken Vor Exposition, besondere Indikationsgruppen, Regelimpfung < 2 Jahre 0,5 ml s.c./i.m. 3–5 Jahre, Extrakt-Impfstoff, Konjugatvakzine
B. pertussis Regelimpfung 0,5 ml i.m.(Grundimmunisierung: 4x) Wahrscheinlich 10 Jahre

Totimpfstoffe (aktiv) gegen Viruserkrankungen

FSME-Virus Vor Exposition, Indikationsimpfung 0,5 ml i.m.(Grundimmunisierung: 3x) 3–5 Jahre, Vollkeim-Impfstoff
Hepatitis-A-Virus Vor Exposition, Indikationsimpfung 0,5 ml i.m. (Grundimmunisierung: 2x für Langzeitschutz)Kinder- und Erwachsenendosis! Schutzdauer ca. 10 Jahre, Vollkeim-Impfstoff
Hepatitis-B-Virus Vor und nach Exposition, Regelimpfung 1 ml i.m. (Grundimmunisierung: 3 ×) Kinder- und Erwachsenendosis! abhängig vom Antikörpertiter, Simultanimpfung
Influenzaviren A/B Vor und nach Exposition, Indikationsimpfung (jährlich neu) 0,5 ml i.m./s.c. 1 Jahr
Polioviren 1–3 Vor und nach Exposition, Erwachsene, Immunsuppression, Regelimpfung 0,5 ml i.m./s.c.(Grundimmunisierung 3 ×) 10 Jahre
Tollwutvirus Vor und nach Exposition, Indikationsimpfung 1 ml i.m. (Grundimmunisierung: 3 ×) 3–5 Jahre, nach Exposition: Simultanimpfung

Kontraindikationen

  • akute Infektionskrankheiten

  • akute hämatologische Erkrankungen

  • angeborene und erworbene Immundefekte (bedingt, v. a. Lebendimpfungen)

  • Allergie gegen Impfstoffbestandteile.

Die Indikation für Totimpfstoffe kann großzügig gestellt werden. Indikation und Kontraindikation für Lebendimpfstoffe sollen in jedem Einzelfall abgewogen werden. So hat sich z. B. gezeigt, dass Masern bei AIDS-kranken Kindern häufig deletär verlaufen, was durch rechtzeitige Lebendimpfung bei HIV-Infizierten u.U. verhindert werden kann.

Alle Lebendimpfungen (Gelbfieber, Masern, Mumps, Röteln, Varizellen) sind in der Schwangerschaft primär kontraindiziert. Auch Totimpfstoffe sollen aufgrund möglicher Impfreaktionen in der Schwangerschaft möglichst vermieden werden, obwohl negative Auswirkungen zugelassener Vakzinen auf Schwangerschaften nicht dokumentiert wurden.

Umgang mit Impfstoffen Die korrekte Lagerung von Impfstoffen (2–8 °C) ist unbedingt einzuhalten. Besonders Lebendimpfstoffe sind sehr temperaturempfindlich, eine geschlossene Kühlkette für Transport und Lagerung ist zu gewährleisten. Der Impfstoff darf nicht mit Desinfektionsmitteln in Kontakt kommen. Die Applikation mit trockener Kanüle erfolgt bei Adsorbatimpfstoffen intramuskulär, bei Lebendimpfungen subkutan oder intramuskulär (M. deltoideus).

13.10.5. Besondere Indikationen

Die schnellstmögliche und adäquate antitoxische Behandlung von Botulismus und Diphtherie muss bereits bei klinischem Verdacht sichergestellt werden. Da heterologe Immunglobuline eingesetzt werden, sind konjunktivale Vortestung (Einträufeln in den Bindehautsack) oder Testung am volaren Unterarm mit Lanzettenstich bei Bereitschaft zur Schocktherapie unerlässlich.

Hepatitis-A-Impfung (aktiv, bei besonderem Risiko auch aktiv/passiv) und Hepatitis-B-Impfung (aktiv/passiv) können als Indikationsimpfungen auch postexpositionell bei beruflicher oder sonstiger Exposition indiziert sein.

Eine aktive Mumpsimpfung kann als Indikationsimpfung bei einem seronegativen Mann (nach der Pubertät) vor familiärer oder beruflicher Exposition angezeigt sein, da im Erkrankungsfall relativ häufig mit Mumpsorchitis zu rechnen ist. Die postexpositionelle Prophylaxe mit Immunglobulinen ist nicht sicher möglich.

Jede Frau sollte vor Konzeption natürliche oder durch zweimalige aktive Rötelnimpfung erworbene Antikörper besitzen (Rötelnembryopathie!).

13.10.6. Einzelne Impfungen

Diphtherie-Schutzimpfung

Der Erreger Corynebacterium diphtheriae kommt weltweit vor (Kap. 13.9.5).

Indikationen (Regelimpfung)

  • Eine möglichst vollständige Immunisierung der Bevölkerung ist anzustreben (Auffrischimpfungen!) um ein Wiederauftreten der Diphtherie zu vermeiden.

  • Wichtig ist die Impfung für Reisende in Endemiegebiete.

  • Beim Auftreten von Diphtheriefällen müssen zusätzlich Antibiotika gegeben werden.

Eine durchgemachte Diphtherie stellt keine Kontraindikation für eine „Auffrischung“ nach 10 Jahren dar, vielmehr ist diese sinnvoll. Der Diphtherietoxoidgehalt muss ab dem 5. bzw. 6. Lebensjahr (Herstellerangaben beachten) reduziert werden.

Durchführen der Impfung

MERKE

Eine in der Kindheit versäumte Grundimmunisierung (Tab. 13.44) kann in jedem Alter mit Erwachsenenimpfstoff – auch in Kombination mit Tetanusimpfstoff – nachgeholt werden.

Die erfolgreiche Impfung führt zum Erkrankungsschutz und verhindert letale Ausgänge. Eine Infektion mit Diphtheriebakterien ist weiterhin möglich, ebenso die inapparente Bakterienausscheidung durch einen Geimpften. Die Bestimmung des Antitoxinspiegels ist möglich, aber routinemäßig nicht notwendig.

Aussagekraft des Antitoxinspiegels

< 0,01 IE Antitoxin/ml Serum = kein Schutz

0,01–0,09 IE Antitoxin/ml Serum = Basisimmunität mit relativer Schutzwirkung

> 0,1 IE Antitoxin/ml Serum = sicher schützender Antikörpertiter

Nebenwirkungen Lokale Reaktionen (Rötung, Infiltration) vor allem bei zu flacher (subkutaner) Injektion, evtl. regionale, kurzfristige Lymphknotenschwellung, selten Allgemeinsymptome mit Fieber. Vereinzelt zentrale oder periphere neurologische Symptome (Hirnnervenparesen) (ca. 1:1 Mio. Impfungen), vorübergehende Nephrosen, thrombozytopenische Purpura und Hämaturie. Diese Komplikationen sind fast nur bei älteren (> 12 Jahre) Impflingen bei zu hoher Toxoiddosis beobachtet worden. Die neuen Erwachsenenimpfstoffe mit stark reduziertem Toxoidgehalt (2 IE) sind sehr gut verträglich.

Passive Immunisierung Bei klinischem Diphtherieverdacht muss nach Materialentnahme für die bakteriologische Untersuchung (Nasen- und Rachenabstriche) sofort mit der Serumbehandlung begonnen werden, da bereits an toxinempfindliche Zellen gebundenes Toxin nicht mehr neutralisierbar ist.

Tetanus-Schutzimpfung

Die Erregerübertragung erfolgt parenteral. Besonders gefährdet sind tiefe, verschmutzte Wunden oder solche mit Fremdkörpereintritt (anaerobe Bedingung), Patienten mit Verbrennungen sowie Nabelschnurinfektionen bei Babys in Entwicklungsländern. Der Erreger ist ubiquitär und kommt besonders regelmäßig in tropischen Gebieten vor (Kap. 13.9.8).

Indikationen (Regelimpfung)

  • Kinder sollen bereits im 1. Lebensjahr grundimmunisiert werden (Tab. 13.44).

  • Bei Versäumen des frühkindlichen Impfzeitpunktes ist die Grundimmunisierung in jedem Alter möglich.

  • Auffrischimpfungen in 10-jährigen Abständen, im Verletzungsfall und ggf. bei Auslandsreisen.

Die Grundimmunisierung führt bei > 90% zum 1–2 Jahrzehnte anhaltenden protektiven Antitoxintiter (> 0,1 IE Antitoxin/ml Serum). Auch bei niedrigen Antitoxinspiegeln führen einmalige Auffrischimpfungen zu erneutem Antikörperanstieg.

Nebenwirkungen Lokale Rötung, Schwellung, Induration und Schmerzhaftigkeit und Anschwellen regionärer Lymphknoten. Diese Lokalreaktionen dürfen nicht mit einem Spritzenabszess verwechselt werden (keine Fluktuation). Nach Möglichkeit sollte das entzündete Areal ruhig gestellt und mit Alkoholumschlägen behandelt werden. In schweren Fällen: Gabe antiphlogistischer Medikamente. Derartige Nebenreaktionen kommen auch bei zu häufig durchgeführter Tetanusimpfung vor (Hyperimmunisierung). Sehr selten sind Mono- oder Polyneuritiden. Schwere Allgemeinreaktionen mit Exanthem bis hin zum anaphylaktischen Schock sind nur vereinzelt beschrieben worden.

Passive Immunisierung Die passive Immunisierung mit homologem Hyperimmunglobulin ist im Verletzungsfall wichtig (Tab. 13.47 ). Es ist unklar, inwieweit die Immunglobulingabe den Verlauf einer einmal ausgebrochenen Tetanuserkrankung beeinflussen kann; die Letalität liegt auch behandelt noch bei ca. 50%.

Tab. 13.47

Tetanus-Immunprophylaxe im Verletzungsfall

Vorgeschichte der Tetanus-Immunisierung (Anzahl der Impfungen)Saubere, geringfügige Wunden
Alle anderen Wunden1
Td2TIG3Td2TIG3
Unbekannt Ja Nein Ja Ja
0–1 Ja Nein Ja Ja
2 Ja Nein Ja Nein4
3 oder mehr Nein5 Nein Nein6 Nein

Poliomyelitis-Schutzimpfung

Impfstoff In Deutschland wird seit 1998 die Schluckimpfung mit der oralen Lebendvakzine nicht mehr empfohlen. Sie ist nur noch für den Fall eines Poliomyelitis-Ausbruchs und dann notwendige Riegelungsimpfungen zugelassen. Der inaktivierte Totimpfstoff nach Salk ist als Einzelimpfstoff oder in Impfstoffkombinationen verfügbar.

Indikationen (Regel- und Indikationsimpfung)

  • Die vollständige Impfung der Bevölkerung ist anzustreben, um das Wiederauftreten von Wildvirusinfektionen zu verhindern. Die Einschleppung aus Afrika oder Asien ist immer möglich.

  • vor Reisen in Wildvirusendemiegebiete

  • für Aussiedler, Flüchtlinge und Asylbewerber evtl. Auffrischimpfung

  • in Polio-Wildvirusepidemien: Verdrängungsimpfung. Die Durchführung von Riegelungsimpfungen mit dem Lebendimpfstoff sowie die Festlegung zusätzlicher Maßnahmen werden von den Gesundheitsbehörden angeordnet.

Durchführen der Impfung Die Grundimmunisierung mit Polio-Totimpfstoff erfolgt mit Kombinationsimpfstoffen im 1. Lebensjahr (Tab. 13.44). Die Fortsetzung dieser Immunisierung mit Totimpfstoff ist unbedenklich. Routinemäßige Auffrischimpfungen nach dem 18. Lebensjahr werden nach vollständiger Grundimmunisierung in Deutschland derzeit nicht empfohlen.

Nebenwirkungen Der Totimpfstoff ist gut verträglich, eine Impfpoliomyelitis kann dabei nicht auftreten.

Influenza-Schutzimpfung

Impfstoff In Deutschland sind Spalt- und Subunit-Impfstoffe zugelassen. Die immunologisch bedeutsamen Oberflächenantigene der epidemiologisch relevanten Influenza-A- und -B-Stämme müssen im Impfstoff vertreten sein (WHO). Da das Impfvirus in Hühnereiern vermehrt wird, kann der Impfstoff neben Konservierungsstoffen geringe Mengen Hühnereiweiß enthalten (evtl. allergische Reaktionen).

Indikationen Die Influenzaimpfung ist eine Standard- und Indikationsimpfung für:

  • Menschen > 60 Jahre

  • Erwachsene, Jugendliche und Kinder mit chronischen, funktionell bedeutsamen Organerkrankungen (Herz, Lunge, Diabetes mellitus und andere Stoffwechselkrankheiten, multiple Sklerose)

  • Patienten mit angeborener bzw. erworbener Immunschwäche, solange mit der regulären Bildung humoraler Antikörper nach Impfung zu rechnen ist

  • beruflich Exponierte (z. B. medizinisches Personal, Angehörige von Behörden mit Publikumsverkehr)

  • Berufsgruppen mit besonderer Bedeutung für die öffentliche Sicherheit und Versorgung (Polizei, Feuerwehr)

  • Personen mit erhöhter Gefährdung durch direkten Kontakt zu Geflügel und Wildvögeln.

Eine Impfung in der Schwangerschaft ist möglich.

Durchführen der Impfung Bei bisher nicht geimpften Kindern sind 2 Impfungen in 4-wöchigem Abstand sinnvoll (u.U. halbe Dosis). Die Dauer des Impfschutzes ist nur relativ kurz, so dass die Impfung jährlich wiederholt werden muss, möglichst kurz vor der Influenzasaison, die in Deutschland oft erst im Januar oder Februar beginnt. Die Influenzaimpfung ist nicht gegen alle sog. grippalen Infekte (Kap. 13.2.1) wirksam.

Nebenwirkungen Gelegentlich Schmerzen und Rötung an der Injektionsstelle, selten Allgemeinsymptome von kurzer Dauer. Ein Zusammenhang zwischen der Influenzaimpfung und dem Auftreten eines Guillain-Barré-Syndroms besteht nach neueren Erhebungen nicht.

Varizellen-Schutzimpfung

Impfstoff Es handelt sich um eine attenuierte Lebendvakzine (Tab. 13.46).

Indikationen Die Varizellen-Lebendimpfung wird in Deutschland von der STIKO seit 2004 als allgemeine Standardimpfung parallel zur MMR-Impfung am Ende des 1. Lebensjahres empfohlen. Bei Verwendung eines neu verfügbaren quadrivalenten MMRV-Impfstoffes soll die komplette MMRV-Impfung nach dem 15. Lebensmonat inkl. einer 2. Dosis gegen Varizellen wiederholt werden. Für bisher nicht Varizellen-geimpfte 9- bis 17-Jährige ohne Varizellenanamnese gilt die allgemeine Impfempfehlung zur Komplettierung des Impfschutzes vor dem Erwachsenenalter. Weiterhin besteht die Indikation für folgende seronegative Personen:

  • Frauen mit Kinderwunsch

  • vor geplanter Immunsuppression oder Organtransplantation

  • unter immunsuppressiver Therapie (unter bestimmten Bedingungen, nicht unter intensiver Immunsuppression)

  • Leukämiekranke, nach Abschluss der immunsuppressiven Therapie und vollständiger klinischer Remission ≥ 12 Monate und vollständiger hämatologischer Remission (Lymphozytenzahl ≥ 1200/μl)

  • evtl. beruflich Exponierte

  • mit schwerer Neurodermitis

  • mit engem Kontakt zu empfänglichen Risikopatienten.

Zwischen passiver Immunglobulingabe und aktiver Varizellen-Schutzimpfung sollten mind. 3 Monate liegen.

Erfolg der Impfung Die Impfung Exponierter verhindert bei postvakzinaler Serokonversion in ca. 80% eine Erkrankung. Doch sind auch nach erfolgreicher Impfung leichter verlaufende Varizellen und nachfolgende Fälle von Zoster beschrieben worden.

Nebenwirkungen Selten lokale Reaktionen, in ca. 5% leichtere generalisierte Nebenwirkungen mit kurzfristigem Exanthem. Die Komplikationsrate ist auch bei immunsupprimierten Kindern nicht wesentlich höher.

Passive Immunisierung Die postexpositionelle passive Immunisierung (innerhalb von 96 h) bei seronegativen Immunsupprimierten, seronegativen Frauen in der Frühschwangerschaft und perinatal ist mit homologem Hyperimmunglobulin möglich. Auch bei immundefizienten Patienten ohne Varizellenanamnese sollte eine postexpositionelle passive Immunisierung durchgeführt werden.

Tollwut-Schutzimpfung

Die Übertragung geschieht vorwiegend durch den Biss infizierter Tiere. Der Speichel ist ab ca. 1 Woche vor Erkrankung des Tieres infektiös. Das Virus ist umhüllt und daher empfindlich gegenüber Licht, Hitze und Austrocknung, kann aber unter bestimmten Umständen über mehrere Tage infektiös bleiben (Kap. 13.5.17).

Impfstoff Der aus menschlichen Fibroblasten gewonnene Impfstoff ist gut verträglich. Der alternative Hühnerfibroblasten-Impfstoff bewirkt evtl. (bei sehr guter Verträglichkeit) eine bessere Interferoninduktion, was bei postexpositioneller Impfung vorteilhaft ist (Tab. 13.46).

Indikationen Präexpositionelle Prophylaxe ist als Indikationsimpfung bei Menschen mit erhöhtem Expositionsrisiko (Jäger, Abdecker, Tierärzte, Laborpersonal und ggf. Reisende in Regionen mit hoher Tollwutgefährdung) angezeigt.

Durchführen der Impfung Die prophylaktische Impfung wird z. B. durch Injektion an den Tagen 0, 7, 21 und 28 durchgeführt. Bei Indikation zur postexpositionellen Prophylaxe ergeben sich häufig Probleme, weil das Tier unbekannt ist und nicht nachbeobachtet werden kann. Letztere Prophylaxe (Tab. 13.48 ) erfolgt durch aktive Impfung an den Tagen 0, 3, 7, 14, 28. Bei gleichzeitiger passiver Immunisierung werden 20 IE/kg Körpergewicht eines homologen Hyperimmunglobulins i.m. zum Zeitpunkt der 1. aktiven Impfung verabreicht. Der Impfschutz ist ausgezeichnet. Die Serokonversionsrate liegt bei 100%.

Tab. 13.48

Postexpositionelle Tollwut-Immunprophylaxe

Grad der ExpositionArt der Exposition
Immunprophylaxe∗ (Beipackzettel beachten)
Durch ein tollwutverdächtiges oder tollwütiges Wild- oder Haustier∗∗Durch einen Tollwut-Impfstoffköder
I Berühren oder Füttern von Tieren, Belecken der intakten Haut Berühren von Impfstoffködern bei intakter Haut Keine Impfung
II Knabbern an der unbedeckten Haut, oberflächliche, nicht blutende Kratzer durch ein Tier, Belecken der nicht intakten Haut Kontakt mit der Impfflüssigkeit eines beschädigten Impfstoffköders mit nicht intakter Haut Impfung
III Bissverletzung oder Kratzwunden, Kontamination von Schleimhäuten mit Speichel (z. B. durch Lecken, Spritzer) Kontamination von Schleimhäuten und frischen Hautverletzungen mit der Impfflüssigkeit eines beschädigten Impfstoffköders Impfung und einmalig simultan mit der ersten ImpfungPassive Immunisierung mit Tollwut-Immunglobulin (20 IE/kg Körpergewicht)

Nebenwirkungen Lokale Nebenwirkungen, gelegentlich geringfügige systemische Nebenwirkungen wie Fieber, Kopfschmerzen. In wenigen Fällen vorübergehende periphere Neuropathien.

Frühsommer-Meningoenzephalitis-Schutzimpfung

Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist in Deutschland in einigen Gebieten Bayerns, Baden-Württembergs und Hessens sowie in Rheinland-Pfalz und Thüringen endemisch (Kap. 13.5.11). Ein Übertragungsrisiko besteht saisonal hauptsächlich zwischen April und November.

Indikationen Die Indikationsimpfung (Tab. 13.46) ist empfohlen bei Aufenthalt in Endemiegebieten mit Zeckenexposition (z. B. Waldarbeiter).

Durchführen der Impfung Die Grundimmunisierung erfolgt durch 3-malige i.m. Injektion einer Impfstoffdosis innerhalb von 12 Monaten. Auffrischimpfungen werden bei fortbestehender oder erneuter Exposition nach 3 Jahren empfohlen. Der Impfschutz ist gut. Eine Serokonversion ist in vielen Fällen (> 80%) bereits nach der 2. Injektion nachweisbar. Siehe Tab. 13.46, Tab. 13.47. Innerhalb von 96 h nach Zeckenbiss kann eine postexpositionelle Gabe von spezifischen FSME-Immunglobulinen bei Personen nach Vollendung des 14. Lebensjahrs in Erwägung gezogen werden.

Nebenwirkungen Die lokalen Nebenwirkungen entsprechen etwa denen anderer Adsorbatimpfstoffe (z. B. Tetanus und Diphtherie), selten systemische Nebenwirkungen wie Fieber, Kopf-, Gliederschmerzen.

Pneumokokken-Schutzimpfung

Impfstoffe Sinnvoll und anzustreben sind polyvalente Extrakt-Impfstoffe, die gereinigte Kapselpolysaccharide von möglichst vielen infektionsrelevanten Kapseltypen enthalten (Tab. 13.46). So gibt es eine Polysaccharidvakzine aus 23 verschiedenen Polysaccharidantigenen der ca. 90 bekannten Pneumokokkentypen. Polysaccharid-Impfstoffe führen jedoch bei Kindern < 2 Jahren zu keiner ausreichenden Immunantwort. Zur Bekämpfung schwerer systemischer Pneumokokkeninfektionen war daher die Entwicklung von Pneumokokken-Protein-Konjugat-Vakzinen ein großer Fortschritt, da mit einer bei diesen Konjugaten gegebenen T-Zell-abhängigen Immunisierung auch Säuglinge effektiv gegen Pneumokokken geschützt werden können.

Indikationen Nach eindeutigen Erfolgen in den USA wurde ein 7-valenter Pneumokokken-Konjugat-Impfstoff in Deutschland zunächst für die höchstgefährdeten Frühgeborenen zugelassen. Im Juli 2006 wurde dieser erstmals als Standard für alle Kinder < 2 Jahren empfohlen (Tab. 13.44). Die Verabreichung des Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoffes (Immunantwort T-Zell-unabhängig) an Personen > 60 Jahre ist seit Jahren Standard. Im Sinne einer Indikationsimpfung sollte bei Kindern und Erwachsenen mit erhöhter Morbidität und Mortalität durch Pneumokokken eine Immunisierung durchgeführt werden. Besonders gefährdet sind Patienten mit folgenden Grunderkrankungen:

  • 1.

    angeborene oder erworbene Immundefekte mit T- und/oder B-zellulärer Restfunktion:

    • Hypogammaglobulinämie, Komplementdefekte

    • Asplenie oder nach Splenektomie

    • Krankheiten der blutbildenden Organe

    • Zustand nach Organtransplantation

    • Sichelzellenanämie

    • HIV-Infektion

    • neoplastische Erkrankungen.

  • 2.

    chronische Krankheiten:

    • Herz-Kreislauf-Krankheiten

    • Krankheiten der Atmungsorgane

    • Diabetes mellitus und andere Stoffwechselkrankheiten

    • chronische Nierenkrankheiten

    • neurologische Krankheiten

    • Liquorfistel.

Durchführen der Impfung Säuglinge sollen die Pneumokokken-Konjugat-Impfung parallel zu den anderen Standardimpfungen nach vollendetem 2., 3. und 4. Lebensmonat ebenso wie die 4. Impfung ab vollendetem 11. Lebensmonat erhalten. Bei ca. 90% der vollständig immunisierten Kinder in den USA lag eine schützende Immunantwort gegen alle 7 verabreichten Serotypen vor. Auch in Europa ist trotz der epidemiologischen Verbreitung unterschiedlicher Serotypen ein erheblicher Rückgang von invasiven Pneumokokken-Infektionen durch die generelle Einführung der Konjugatvakzine zu erwarten.

Nebenwirkungen Insgesamt gute Verträglichkeit der Konjugat-Impfung, bisher keine berichteten bleibenden Schäden. Vereinzelt wurden Fieberkrämpfe infolge eines raschen Temperaturanstieges beobachtet. Lokale Schmerzen an der Injektionsstelle wurden von ca. 20% der Geimpften beklagt. Der Polysaccharidimpfstoff gegen Pneumokokken ist wegen seiner zum Teil erheblichen lokalen Nebenwirkungen (Schmerzen, Schwellung) vor allem bei Auffrischimpfungen in zu kurzen Intervallen bekannt, gilt aber als effektiv und sicher.

Meningokokken-Schutzimpfung

Impfstoff Von den in Deutschland relevanten Serogruppen A, B und C können nur A und C durch einen Impfstoff erfasst werden. Eine Impfstoffentwicklung gegen die häufigste Serogruppe B war wegen einer Strukturähnlichkeit des Kapselpolysaccharids mit der N-Acetyl-Neuraminsäure in Gehirnzellen und dadurch bedingter Immuntoleranz bisher nicht erfolgreich (Kap. 13.9.3). Jedoch wurde in den letzten Jahren u. a. in Großbritannien ein Meningokokken-Konjugat-Impfstoff gegen die Serogruppe C erprobt und so eine deutliche Reduktion schwerer Meningokokken-Typ-C-Infektionen erzielt.

Indikationen Die STIKO hat im Juli 2006 erstmals die Impfung aller Kinder zu Beginn des 2. Lebensjahres mit einer einmaligen Meningokokken-Typ-C-Konjugat-Gabe empfohlen. Die Umsetzung in der pädiatrischen Praxis und der erhoffte epidemiologische Erfolg mit Verminderung der lebensbedrohlichen Meningokokken-Infektionen sind kritisch zu verfolgen.

Indikation zur Meningokokkenimpfung gegen die Serogruppen A, C, W135 und Y mit einem quadrivalenten Polysaccharidimpfstoff besteht bei:

  • besonderer gesundheitlicher Gefährdung (angeborene oder erworbene Immundefekte mit T- und/oder B-zellulärer Restfunktion, z. B. Komplementdefekte, Hypogammaglobulinämie, Asplenie)

  • gefährdetem Laborpersonal

  • Reisen in Endemiegebiete (Entwicklungshelfer, medizinisches Personal, Pilger).

Nebenwirkungen Insgesamt gute Verträglichkeit, gelegentlich Lokalreaktionen, selten Fieber.

Gelbfieber-Schutzimpfung (Flavivirus)

Impfstoff Der Impfstoff (Kühlkettenversand!) wird in embryonierten Hühnereiern hergestellt und enthält daher Hühnereiweiß (Cave: Hühnereiweißallergie!).

Indikationen Die Indikationsimpfung ist von einigen afrikanischen Ländern für Reisen in Endemiegebiete vorgeschrieben. Für Reisende nach Asien, die aus Endemiegebieten einreisen wollen, besteht ebenfalls Impf- oder Quarantänezwang. Die Hinweise der WHO zu Gelbfieber-Infektionsgebieten sind zu beachten.

Die Gelbfieberimpfung darf nur in von den Gesundheitsbehörden zugelassenen Gelbfieber-Impfstellen durchgeführt werden. Die Impfung von Kindern < 6 Monaten gilt als kontraindiziert. Schwangere dürfen, besonders im 1. Trimenon nur bei strenger Indikationsstellung geimpft werden. Eine Allergie gegen Hühnereiweiß stellt eine Kontraindikation dar, evtl. kann bei Verdacht darauf durch die intrakutane Gabe von 0,1 ml des Lebendimpfstoffes vorgetestet werden. Der Impfschutz ist hervorragend (100%) und hält wahrscheinlich lebenslang an. Das internationale Impfzertifikat ist jedoch nur 10 Jahre gültig, d.h., bei Reisen in entsprechende Länder ist eine Wiederimpfung nach 10 Jahren nötig, um den rechtlichen Vorschriften zu genügen.

Neben der Bekämpfung der Vektoren (Insekten) ist die Impfung der einzige Schutz vor Gelbfieberepidemien und urbanem Gelbfieber.

Nebenwirkungen Sehr gute Verträglichkeit, gelegentlich lokale Rötungen, vereinzelt kurzfristige grippeähnliche Symptome am 4.–6. Tag nach der Impfung.

Typhus-Schutzimpfung

Impfstoff Die derzeit in Deutschland zugelassenen Impfstoffe zur oralen oder parenteralen Applikation vermitteln eine Schutzrate von 60–90% (kein Schutz gegen Paratyphusinfektionen) für 1–3 Jahre.

Indikationen

  • Reisen in Endemiegebiete

  • beruflicher Umgang mit Infizierten oder dem Erreger.

Kontraindikationen Diese sind für den oralen Lebendimpfstoff gegeben bei:

  • Darminfektionen zum Zeitpunkt der Impfung

  • Antibiotikaeinnahmen vor dem 3. Tag nach Beendigung der Impfung

  • Kindern im 1. Lebenshalbjahr (Kapsel).

Geimpfte scheiden für einige Tage den Impfstamm aus. Die gleichzeitige Einnahme von Malariaprophylaxe, Antibiotika oder Laxanzien kann den Impfschutz beeinträchtigen.

Nebenwirkungen Ausgezeichnete Verträglichkeit, gelegentlich leichte gastrointestinale Beschwerden oder Kopf- und Gliederschmerzen nach den Einnahmen.

Cholera-Schutzimpfung

Indikationen

  • Reisen (Entwicklungshelfer) in Endemiegebiete, Die Indikation sollte von Fall zu Fall, je nach Art der Reise, gestellt werden.

  • bei Choleraepidemien.

Durchführen der Impfung Die derzeit in Deutschland zugelassene Impfung erfolgt subkutan mit altersabhängiger Dosis in Form von 2 Impfungen im Abstand von 1–2 Wochen. Bei fortbestehender Exposition erfolgen Auffrischimpfungen im Abstand von 3–6 Monaten. Dauer und Schutzwirkung der zugelassenen Choleraimpfung sind begrenzt: Der Schutz beträgt 40–80% für nur ca. 3 Monate. Daher wurde sie von der WHO aus den internationalen Gesundheitsvorschriften im Reiseverkehr herausgenommen.

Nebenwirkungen Heftige lokale Beschwerden (Rötung, Schwellung, Schmerzhaftigkeit) sind häufig, systemische Reaktionen mit Fieber, Kopfschmerzen, gastrointestinalen Beschwerden selten.

13.10.7. Impfpläne für Auslandsreisende

Die Indikationen ergeben sich aus Reiseziel, aktuellen epidemiologischen Bedingungen und hygienischen Verhältnissen. Für die Zeitplanung ist entscheidend, ob Lebendimpfungen und evtl. nachzuholende Grundimmunisierungen oder Auffrischimpfungen nötig sind (Tab. 13.49 ).

Tab. 13.49

Impfplan bei vorhandenen Grundimmunisierungen ohne Hepatitis-B- und FSME-Impfung

LebendimpfstoffeTotimpfstoffe/passive Impfung
1. Termin Gelbfieber 1. CholeraimpfungGgf. Hepatitis-B-AuffrischungGgf. Typhus parenteralGgf. Hepatitis-A-Auffrischimpfung
2. Termin2 Wochen später Ggf. Typhoral L® 2. CholeraimpfungGgf. Diphtherie- und/oder Tetanus-Auffrischimpfung(Malariaprophylaxe besprechen)Hepatitis-A-Prophylaxe∗

Man kann und soll bei vielen Grundimmunisierungen und genug Zeit bei der Reiseplanung die Injektionstermine der Totimpfstoffe entflechten. Die 3. Injektion der Grundimmunisierung z. B. gegen Hepatitis B kann nach der Rückkehr oder im Reiseland erfolgen.

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000
261 Original IMPP-Prüfungsfragen

LITERATUR

  • Heininger, U., Bruns, R., Liese, J., Noack, R., Stück, B., Zepp, F.: Schutzimpfungen. In: Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI, Hrsg.) Handbuch „Infektionen bei Kindern und Jugendlichen”, S. 1–10, 4. Auflage, Futuramed Verlag, München, 2003.
  • Heininger U. Schutzimpfungen. In: Reinhardt D., editor. Therapie der Krankheiten im Kindes- und Jugendalter, 7. Auflage. Springer; Berlin, Heidelberg: 2004. S. 289–320, [Google Scholar]
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  • Plotkin S.A., Orenstein W.A. 3rd edn. Saunders; Philadelphia: 1999. Vaccines. [Google Scholar]
  • Mitteilungen der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut Hinweise zu Impfungen bei Patienten mit Immundefizienz. Epidemiol. Bulletin 39/2005. 2005:353–364. [Google Scholar]
  • Mitteilungen der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut. Epidemiol. Bulletin 30/2006. 2006:235–254. [Google Scholar]

KEYWORDS

Immunisierung ♦ Konjugatvakzine ♦ Prävention ♦ Reisemedizin

Wobei herrscht hierzulande ein verhältnis von 1:1000
261 Original IMPP-prüfungsfragen

Fragen

  • 1.

    Ein junger Mann wird in die Krankenhausaufnahme gebracht. Er klagt darüber, dass er seit mehreren Tagen krank sei und vor allem dass er zunehmend unerträgliche Kopfschmerzen habe und immer wieder, mehrmals am Tag, unter Schüttelfrost leide. Der die Vorgeschichte aufnehmende Arzt bemerkt, dass der Patient eine ungewöhnliche Hautbräune aufweist und ein auffallendes, exotisch anmutendes Armband trägt.

    • a.

      Welche beiden Fragen sind dem Patienten zu stellen?

    • b.

      Welche Untersuchung wird dann zur Erregerdiagnostik veranlasst?

    • c.

      Wie wird der Patient behandelt? Sollte die Behandlung stationär oder ambulant erfolgen?

  • 2.

    Vier Monate nach der oben geschilderten Erkrankung wird der Patient wiederum mit Fieber im Krankenhaus aufgenommen. Er berichtet von seiner damaligen Erkrankung und der erfolgreichen Behandlung. Jetzt sei er seit 4 Tagen krank. Die Körpertemperatur sei jeden Tag etwas höher gewesen, kurz vor Krankenhausaufnahme habe er rektal 39,2 °C gemessen.

    • a.

      Welche Untersuchung wird sofort veranlasst?

    • b.

      Welche Behandlung wird vorgenommen?

  • 3.

    Bei einem Südeuropäer ohne Beschwerden wird für eine Einstellungsuntersuchung eine Röntgenaufnahme der Lunge angefertigt. Dabei ist im Bereich des rechten Unterlappens ein zystisches Gebilde von etwa 10 cm Durchmesser zu erkennen.

    • a.

      Welche Verdachtsdiagnose ergibt sich?

    • b.

      Welche Untersuchungen werden durchgeführt?

    • c.

      Welche weiteren Untersuchungen sind nach Klärung der Diagnose durchzuführen?

    • d.

      Welcher Therapieplan ist zu empfehlen?

  • 4.

    Eine 26-jährige Frau stellt sich mit neu aufgetretener zervikaler Lymphknotenschwellung vor. In der Laboruntersuchung zeigen sich eine ALT von 500 U/l und eine AST von 400 U/l, ein Gesamt-Bilirubin von 3 mg/dl sowie eine Lymphozytose von 40% mit Reizformen. Sie berichtet ferner über einen ausgeprägten vaginalen Juckreiz und gelblichen Ausfluss seit Wiederkehr von einer Karibikreise vor 3 Wochen.

    • a.

      Welche gemeinsame Ursache können die beiden Beschwerdekomplexe haben?

    • b.

      Welche Erreger sind die wahrscheinlichste Ursache?

  • 5.

    Ein Patient stellt sich 8 Tage nach Durchführung des 4. Zyklus einer ambulanten Chemotherapie nach dem CHOP-R-Schema im 14-tägigen Abstand mit Fieber in der Notaufnahme vor. Bei der Untersuchung des Blutbildes zeigt sich eine Leukozytenzahl von 600/μl.

    • a.

      Welche Untersuchungen werden neben einer ausführlichen körperlichen Untersuchung veranlasst?

    • b.

      Wie wird der Patient initial behandelt?

  • 6.

    Ein 32-jähriger Patient kommt in Ihre Sprechstunde und gibt an, seit ca. 3 Wochen unter Fieber bis 38,5 °C und unter trockenem Husten zu leiden. Seine körperliche Leistungsfähigkeit habe abgenommen, vor allem beim Treppensteigen komme er leicht „aus der Puste“. Er wisse seit 1,5 Jahren, dass er HIV-positiv sei, habe sich aber bislang nicht weiter untersuchen lassen.

    • a.

      Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose?

    • b.

      Welche Untersuchungen veranlassen Sie?

    • c.

      Welche Therapie ist angezeigt?

    • d.

      Welche weiteren Maßnahmen empfehlen Sie dem Patienten nach erfolgreichem Abschluss der Therapie?

  • 7.

    Ein 25-Jähriger kommt zu Ihnen in die Sprechstunde und klagt über seit etwa 1 Woche bestehende brennende Schmerzen hinter dem Sternum, besonders beim Schlucken. Heute habe er deswegen kaum noch etwas zu sich nehmen können. Bei der körperlichen Untersuchung fällt Ihnen auf, dass der Rachen des Patienten weiße Beläge aufweist, die teilweise abstreifbar sind. Am Hals finden sich beidseits mehrere, bis zu 2 cm im Durchmesser große indolente Lymphknoten, von denen der Patient angibt, dass diese schon seit 1 Jahr unverändert bestünden.

    • a.

      Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose?

    • b.

      Welche diagnostischen Maßnahmen veranlassen Sie und was ist hierbei besonders zu beachten?

    • c.

      Ihr Verdacht bestätigt sich. Was empfehlen Sie dem Patienten?

  • 8.

    Welche sind die 3 wichtigsten Antimykotika-Substanzklassen?

  • 9.

    Welche Candida-Spezies sind immer oder häufig gegen Fluconazol resistent?

  • 10.

    Werden Sprosspilzinfektionen endogen oder exogen erworben?

  • 11.

    Was ist die pathogenetische Bedeutung der Besiedlung der unteren Atemwege mit Candida species?

  • 12.

    Ist die Candidapneumonie eine häufige Erkrankung?

  • 13.

    Wie lange muss die Therapie einer Candidämie durchgeführt werden?

  • 14.

    Werden Fadenpilzinfektionen endogen oder exogen erworben?

  • 15.

    Welche 3 Erkrankungen der Lunge durch Aspergillus species werden unterschieden?

  • 16.

    Ein junger Mann berichtet, dass er seit 4 Wochen unter Leibschmerzen und Durchfällen, gelegentlich auch unter Obstipation leide. Die Beschwerden seien das erste Mal aufgetreten, als er noch in Brasilien war, wo er für seine ethnologische Doktorarbeit bei Urwaldindianern Material gesammelt habe. Auf Befragen gibt er an, dass er unter recht primitiven Umständen gelebt habe.

    • a.

      Welche Frage ist zunächst zu stellen?

    • b.

      Welche Untersuchungen werden durchgeführt?

    • c.

      Wie wird der Patient behandelt?

    • d.

      Was wird dem Patienten gesagt?

  • 17.

    Ein 32-jähriger Patient ist vor 10 Tagen von einer 4-tägigen Geschäftsreise aus Nordindien zurückgekehrt. Er gibt an, er habe seit 4 Tagen Fieber bis 38,9 °C, außerdem Kopfschmerzen, Inappetenz, abdominelle Schmerzen und Übelkeit. Er habe keine Malariaprophylaxe eingenommen, da man ihm gesagt habe, dass im Januar wegen der tiefen Nachttemperaturen in Nordindien kein Malariarisiko bestehe. Sie veranlassen dennoch eine Untersuchung auf Malaria, die aber negativ ist.

    • a.

      Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose?

    • b.

      Welche Untersuchungen veranlassen Sie?

    • c.

      Welche Therapie ist angezeigt?

    • d.

      Welche weiteren Maßnahmen ergreifen Sie, wenn Ihr Patient nach 4-tägiger Antibiotikatherapie nicht entfiebert?

  • 18.

    Eine 22-jährige Frau wird in die Notaufnahme gebracht, nachdem sie am Arbeitsplatz zusammengebrochen ist. Sie gibt an, sich seit gestern stark unwohl gefühlt zu haben, wie in letzter Zeit schon öfter während ihrer Regelblutung. Im Büro heute Morgen habe sie dann begonnen stark zu schwitzen, verbunden mit Hitze-Kälte-Wallungen, schließlich sei ihr „schwarz“ vor Augen geworden. Befunde der orientierenden Untersuchung: RR 80/60 liegend, Puls 112, Temperatur 39,8 °C rektal.

    • a.

      Wie lautet Ihre Verdachtsdiagnose?

    • b.

      Welche Untersuchungen veranlassen Sie zunächst?

    • c.

      Welche therapeutischen Maßnahmen sind angezeigt?

    • d.

      Sind nach Überstehen der Erkrankung präventive Maßnahmen notwendig?